Industrielle Abwässer — Entwicklungen und

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Industrielle Abwässer ­—
Entwicklungen und Perspektiven
Sven-Uwe Geißen // Soo-Myung Kim / TU Berlin
Wasser ist in der Industrie ein wichtiger Produktionsfaktor.
Allerdings wird nur ein Bruchteil effizient genutzt, der
Großteil endet als Abwasser. In diesem Beitrag wird dargestellt, wie man in Entwicklungsländern den industriellen
Wasserverbrauch und die Verschmutzung von Gewässern
und Untergrund verringern könnte.
Wasser ist für die meisten Industriebetriebe sehr wichtig,
obwohl es im Mittel nur zu ca. zehn Prozent in der Produktion
verbraucht wird. Die verbleibende Menge wird als Abwasser
in eine kommunale Kläranlage oder in Gewässer abgegeben.
Der Behandlungsstandard für industrielle Abwässer ist weltweit sehr unterschiedlich und basiert im Wesentlichen auf
dem Bruttosozialprodukt eines Staates.
Wie Abbildung 1 zeigt, nimmt der industrielle Wasserbedarf
mit steigendem Bruttosozialprodukt
zu. Problematisch ist die Situation
in Ländern, die auch bei geringem
Einkommen einen hohen industriellen
Wasserbedarf haben (Grafik 1, links oben).
Dort ist die Verschmutzung der Ge­wässer beson­ders hoch, da keine Mittel für die Investition in effizientere
Produktionstechniken und/oder für
nachgeschaltete Behandlungsverfahren
zur Verfügung stehen. Interessant ist die
Tatsache, dass in diesen Staaten häufig für den Export produziert wird. Ein
Beispiel dafür ist Olivenöl, dessen flüssiger Rückstand auch heute noch unbehandelt in offenen Lagunen abgeladen
wird (Abb. 1). Ein weiteres Beispiel ist
Leder: Für die Herstellung von einem
Kilogramm Leder werden ca. zwei
Kilogramm Chemikalien und ca. 130
Liter Wasser eingesetzt; das Abwasser
versickert in einigen Ländern unbehandelt im Untergrund.
10000
Wasserverbrauch in m3 pro Person und Jahr
1000
100
10
1
0
100
1000
10000
100000
Bruttosozialprodukt in US $ pro Person und Jahr
Grafik 1: Korrelation von Lebensstandard und industriellem Wasserbedarf.
Abb. 1: Endlagerung von Abwasser aus der Olivenölproduktion in offenen Lagunen.
Industrieabwasserbehandlung
mit Sonneneinstrahlung
In den 1980er und Anfang der 1990er Jahre wurden in
Deutschland viele Anlagen zur Vor- und Endreinigung
von industriellen Abwässern entwickelt und installiert.
Diese haben wesentlich zur Entlastung der kommunalen
Kläranlagen und der Gewässer beigetragen. Parallel dazu
erfolgte die Optimierung der Produktionsprozesse mit dem
Ziel, die produktspezifischen Abwassermengen zu verringern. Dieses Wissen wurde im letzten Jahrzehnt genutzt, um
angepasste Technologien zu entwickeln, die in der Lage sind,
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Industrieabwässer unter den in Drittländern gegebenen klimatischen, operativen und ökonomischen Randbedingungen
zu behandeln.
Ein Beispiel dafür ist die Entfärbung von Textilabwasser
mit Sonnenlicht. Das zu reinigende Abwasser fließt dabei
in einem dünnen Film über eine Katalysatorschicht, die
unter Sonneneinstrahlung Farbstoffe und andere kritische Stoffe zerstört, so dass eine erneute Nutzung des
Wassers im Produktionsprozess möglich wird (Abb. 2).
Die Herausforderung bei diesem Verfahren ist die kostengünstige Herstellung und Fixierung aktiver Katalysatoren
auf den Reaktoroberflächen. Eine wesentliche pH-Wert-
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Abb. 2: Solare Abwasserbehandlung in einem Textilbetrieb in Nordafrika.
Einstellung ist bei neutralen Abwässern nicht erforderlich.
Neben Speicher- und Ausgleichsbecken ist somit nur noch
Pumpenergie notwendig, um das Abwasser über die schräge
Fläche fließen zu lassen.
Ein biologisches Hochleistungssystem
Eine andere Aufgabe stellt sich in Schwellenländern mit
einem zum Teil rasanten Wirtschaftswachstum, wie z.B. in
einigen asiatischen Ländern. Dort steht häufig nicht ausreichend Platz zur Verfügung, und die Anlagen sollen kurzfristig
in Betrieb zu nehmen sein. Besonders geeignet für solche
Anwendungen sind biologische Hochleistungssysteme, die
in den 1980er Jahren entwickelt wurden.
Das weltweit einzige aerobe System, das heute großtechnisch eingesetzt wird, ist in Abbildung 3 dargestellt.
Dieser Schlaufenreaktor wird mit einer Zweistoffdüse begast
und reduziert den Platzbedarf aufgrund des sehr guten
Stofftransports und der schlanken Bauweise um bis zu einem
Faktor von 15. Weltweit sind 19 Anlagen mit Reaktorvolumina
bis zu 2.700 m3 in der Lebensmittelindustrie, der chemischen,
der pharmazeutischen, der Elektro- und der Stahlindustrie in
Betrieb. Diese Anlagen können einerseits zur Vorreinigung
vor der Einleitung in eine kommunale Kläranlage eingesetzt werden, andererseits auch zur vollständigen
Stickstoffentfernung, wie in Abbildung 4 gezeigt. In dieser
Anlage wird Abwasser der chemischen Industrie behandelt
(1.700 m3/d), um die Stickstoffkonzentration von 750 mg/l
auf Einleitgrenzwerte zu reduziren. An diesem
Fließbild wird
deutlich, dass eine
Industrieabwasseranlage nicht nur aus
dem Bioreaktor
besteht, sondern
aus einer Vielzahl
von weiteren Prozessschritten, die
es erst ermöglichen, einen sicheren und stabilen
Betrieb zu garantieren. Neben der
in diesem Fließbild
nicht gezeigten
Feststoffabtrennung sind weitere wesentliche
Bausteine einer
solchen Anlage:
die Abwasserspei­cherung und -ver­gleichmäßigung,
die eventuelle
Nähr­stoffzugabe,
d i e p H - We r t Kontrolle und
ggf. -Einstellung,
die fest-flüssig-Trennung zur Abscheidung und Anreicherung
der Mikroorganismen und die Behandlung der durch die
Abbauvorgänge gebildeten überschüssigen Biomasse.
Diese Schlaufenreaktoren werden in Kombination mit
Ultrafiltrationsmembranen zur weitergehenden Behandlung
von Industrieabwässern eingesetzt, da dadurch der
Reinigungsgrad deutlich erhöht werden kann und eine vollständige Feststoffabtrennung erfolgt. Letzteres ist insbesondere für das Wasserrecycling sehr wichtig, da beispielsweise
nachgeschaltete Umkehrosmoseanlagen dann sehr viel leistungsfähiger und weniger störungsanfällig sind.
Biogas aus Industrieabwasser
Bereits seit einiger Zeit bekannte Technologien, wie zum
Beispiel Biogasanlagen und Membranbioreaktoren, wurden
in den letzten Jahren weiterentwickelt und haben dazu beigetragen, die Wirtschaftlichkeit der Abwasserbehandlung
zu verbessern. Ein Beispiel ist die Entwicklung eines anaeroben Membranbioreaktorsystems für die Behandlung von
gering konzentrierten Abwässern im Rahmen eines EUForschungsvorhabens. Dieses System besteht aus einem
vorgeschalteten Festbett-Versäuerungsreaktor und einem
Gaslift-Schlaufenreaktor mit Membranfiltration für die
Methanisierung. Wesentliche Vorteile dieses Verfahrens sind,
dass es 1. bei sehr geringen Konzentrationen eingesetzt werden kann (vergleichbar mit häuslichem Abwasser), 2. aus
den organischen Stoffen im Abwasser energetisch nutzbares
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Methan gebildet wird und 3. das gereinigte Abwasser qualitativ sehr hochwertig ist. Aufgrund der Kinetik kann der
Prozess nur bei Abwassertemperaturen
über 20°C eingesetzt werden, erreicht
aber dann Ablaufkonzentrationen, die
in vielen Fällen ausreichend für eine
weitergehende Nutzung sind.
Produktionsintegrierte
Maßnahmen
Erhebliche Fortschritte in der Reduzierung
des Wasserbedarfs wurden durch produktionsinterne Maßnahmen erreicht. So
konnte der mittlere spezifische Bedarf
der Papierindustrie in Deutschland von
ca. 50 m3 pro Tonne Papier in den 1970er
Jahren gegenüber heute um mehr als 70
Prozent reduziert werden. In einzelnen
Betrieben wird sogar kein Abwasser mehr
abgegeben. Eine sehr gute Beschreibung
des aktuellen technischen Stands in den
verschiedenen Industriebereichen bieten
die BREF’s (Best Available Techniques
Reference Documents), die im Internet
abgerufen werden können (http://eippcb.
jrc.es/).
Zukünftige Entwicklungen
Abb. 3: Aerobes biologisches Hochleistungssystem mit Schlaufenreaktor und Sedimentation zur Abtrennung
von Mikroorganismen.
Nach der weltweit sehr starken
Zunahme der Nutzung von Biogasanlagen zur Behandlung im Labor hergestellt werden. Die Applikation solcher
industrieller Abwässer werden die Wasser-kreisläufe in Zu- Materialien zur selektiven Abtrennung von Wertstoffen
kunft soweit wie möglich geschlossen. Dies wird aber aus Abwässern wird zurzeit in einem EU-Vorhaben am
auch in absehbarer Zeit sehr stark von den Kosten und der Fachgebiet untersucht.
Wasserverfügbarkeit gesteuert werden. Zur SchliesZulauf
#1 Denitrifikation
CJR
Entgasungsbecken
Speicher
pH-Kontrolle
sung der Wasserkreisläufe und
Entlastung der
Ablauf
Nachklärbecken
Zwischenlüftung
#2 Denitrifikation
Gewässer wird
in den einzelnen
Eindicker
Entwässerung Schlammkuchen
Branchen bereits
untersucht, welche Abb. 4: Fließbild einer Industrieabwasseranlage in der chemischen Industrie zur Elimination von Stickstoffverbindungen.
refraktären Stoffe Fotos und Quellen: Autoren
in den Abwässern
enthalten sind und wie diese am kostengünstigsten entfernt
Dr. Soo-Myung Kim, Technocon GmbH
werden können.
Tannenhöhe 2
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Rückgewinnung
38678 Clausthal-Zellerfeld
von Wertstoffen aus Abwässern, die immer, wenn sie
[email protected]
kostendeckend ist, eingesetzt wird. Beispielsweise wurde
die Rückgewinnung von Natronlaugen, Tensiden und Iod
Prof. Dr.-Ing. Sven-Uwe Geißen
untersucht und in einigen Betrieben bereits eingesetzt. Zur
TU Berlin - Technischer Umweltschutz
Wertstoffrückgewinnung sind hochselektive Trennverfahren
FG Umweltverfahrenstechnik
notwendig, die an die sehr komplexe Matrix und die
Strasse des 17. Juni 135, 10623 Berlin
Zielkomponente(n) angepasst werden müssen. Ein Beispiel
[email protected]
dafür sind supramolekulare Adsorber (z.B. Calixarene),
die zunächst am Computer entworfen und anschließend
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