Gesamtstrategie für den Asyl- und Flüchtlingsbereich im Kanton Bern Bemerkungen VBG/BGK zum Bericht vom 24. Mai 2016 Vorbemerkung Das Vorgehen wird geschätzt, der frühe Einbezug der kommunalen Verbände ist wichtig. Diese müssen die Beurteilung durch den Vorstand oder andere Gremien vorbehalten und erwartet spätestens bei der rechtlichen Umsetzung (Gesetzgebungsverfahren) ein förmliches Vernehmlassungsverfahren. Erfreulich ist auch der Umstand, dass die Verfügungen zur Bereitstellung von Unterkünften durchwegs bei den Regierungsstatthaltern liegen. Diese Frage ist im Rahmen der Diskussionen um die Anpassung des EG Asyl- und AuG zu klären. Es kann nicht sein, dass für die nächsten Zeit Jahre ein anderes Regime gelten soll. Allgemeine Beurteilung des Berichts / Gesamteindruck Die Stossrichtung wird durch die kommunalen Verbände begrüsst und unterstützt. Guter Aufbau, grundsätzlich vollständig, gewisse Fragen müssen noch vertieft geklärt werden (der Teufel bzw. die politischen Differenzen stecken im Detail) Die Frage ist zu klären, welche Grösse eine Kollektivunterkunft haben soll. Die kommunalen Verbände regen an, Modelle zu prüfen, in welchen auch kleinere Einheiten vorzusehen sind (siehe Modell Wohlen). Die Akzeptanz in den Gemeinden und die Erhöhung der Anzahl von Unterbringungsplätzen könnte so viel besser gewährleistet werden. Zur Ausgangslage (Ziff. 2.1) Hier im Sinne einer Kurzanalyse auch auf die Koordinationsprobleme hinweisen (Asylsozialhilfestellen und weitere Organisationen suchen relativ autonom Unterkünfte, Einbezug Gemeinden mangelhaft, Auftritt der Asylsozialhilfestellen zu stark, teilweise wenig politisches „Gschpüri“). Kosten (Ziff. 2.1.4) Hier wären die zum Teil namhaften Kosten der Gemeinden für adminstrative Arbeiten (Einwohnerkontrolle, Schulleitungen), aber auch für andere Aufwendungen (z.B. Schule, etc.) zu nennen. Ziel und Zweck Neustrukturierung (Ziff. 2.4) Hier wären die folgenden Punkte aufzunehmen und zu vertiefen: Es erscheint von zentraler Bedeutung, dass die Rollen geklärt werden. Einerseits tritt der Staat (handelnd durch Bund, Kanton und Gemeinden) in Erscheinung, andererseits beauftragt der Staat (im vorliegenden Fall vorwiegend der Kanton) Dritte mit der operativen Umsetzung der politisch legitimierten Beschlüsse. Politische Fragen, namentlich die Frage nach den Standards, nach der Organisation und nach der Finanzierung, werden durch den Staat beantwortet. Die jeweils zuständige staatliche Ebene beauftragt bei Bedarf Dritte mit der Umsetzung. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten (sowohl in vertikaler wie auch in horizontaler Hinsicht) müsste im Detail vorgenommen werden (Funktionendiagramm). Grafisch lässt sich die Rollenteilung wie folgt darstellen: 2 Eine wichtige Rolle spielen die beauftragten Dritten. Im Bericht ist die Rede von den „Regionalen Trägerschaften“. Die kommunalen Verbände machen beliebt von diesem Begriff abzusehen. Sowohl der Kanton wie auch die Gemeinden können Träger von Aufgaben sein und sich mit anderen Kantonen bzw. Gemeinden zu horizontalen Kooperationen zusammenschliessen. Etwas anderes ist die Auslagerung der Aufgabenerfüllung auf Dritte (Make or Buy?). Diese Dritten sind nicht Träger der Aufgabe (die Trägerschaft verbleibt beim Staat), sondern erfüllen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses einen Auftrag. Der Begriff „Leistungserbringer“ (wie er auch in der Sozialhilfegesetzgebung verwendet wird) wäre dem Begriff „Trägerschaft“ vorzuziehen. Die Kommunikation erfolgt ausschliesslich durch den Staat. Zudem muss das Spannungsfeld bei der Suche nach Unterkünften geklärt werden (Gemeinden versus Leistungserbringer). Ein wichtiges Ziel besteht in der „gerechten“ Verteilung der betroffenen Personen auf die Verwaltungskreise, aber auch auf die Gemeinden (nicht bevölkerungsproportional auf die Gemeinden verteilen, aber auch zwischen den Gemeinden eine gewisse „Verteilgerechtigkeit“ herbeiführen, ev. mit sinnvollen Instrumenten versehen). Die kommunalen Verbände unterstützen diese Verteilung. Bei grösseren Verwaltungskreisen dürfte die bevölkerungsproportionale Zuweisung für die Verantwortlichen (Regierungsstatthalter, Gemeinden) zu einer „machbaren“ Aufnahme führen, weil angesichts der Grösse wohl meistens noch Handlungsspielräume bestehen. In kleineren Verwaltungskreisen, namentlich im Kreis Obersimmental-Saanenland, müssten besondere Rege- 3 lungen zur Diskussion gestellt werden. Unter Umständen würde es Sinn machen, wenn kleine Verwaltungskreise zur bevölkerungsproportionalen Verteilung von Asylsuchenden mit anderen Verwaltungskreisen zusammengelegt würden. Zu klären ist die Frage, ob es wirklich zielführend ist, wenn es pro Region nur einen Leistungserbringer gibt. Zudem ist zu klären, wem die Fallführung obliegt und wer letztlich die (Arbeits-) Integration verantwortet. Hier sind auch Modelle zu diskutieren, in welchen die bestehenden Strukturen (z.B. BIAS) als Leistungserbringer mit der Durchführung beauftragt werden. Namentlich in den peripheren Lagen des Kantons erscheint es unerlässlich, dass Leistungserbringer vor Ort die Asylsuchenden betreuen, da erscheint die Region als „Versorgungsgebiet“ zu gross. Diese Frage ist noch einmal einlässlich zu diskutieren. Übergeordnete Zielsetzung (Ziff. 3.1) Hier machen die kommunalen Verbände beliebt, auf die Begriff „Vision“ und „Mission“ zu verzichten, diese Begriffe könnten auch falsche Assoziationen auslösen. Zuständigkeitsmodell (Ziff. 3.2, Seite 19 erstes Bullet) Hier ist das Spannungsfeld bei der Beschaffung von Kollektivunterkünften durch die GEF zu den Regierungsstatthalter und den Gemeinden hinzuweisen, bzw. das ist zu klären. Warum ist hier nicht auch der Regierungsstatthalter in Zusammenarbeit mit den Gemeinden zuständig, sonst haben wir im Alltag wieder viele Friktionen (die Gemeinde hat nichts gewusst oder wird von ein fait accompli gestellt. Aufnahmepflicht Gemeinden (Abbildung 3.1, Seite 20, auch auf anderen Abbildungen) Die Gemeinden können verpflichtet werden, Unterkünfte im Eigentum der Gemeinde zur Verfügung zu stellen, weitergehende Pflichten sehen wir nicht. Gegen diese Pflicht ist – als ultima ratio – nichts einzuwenden. Sollte eine weitergehende Pflicht der Gemeinde zur „Aufnahme“ (also auch Beschaffung weitere Unterkünfte, die nicht im Eigentum der Gemeinde sind, Betreuung, Ausstattung mit Mobilien, etc.) gemeint sein, müsste dies so gesagt werden, das ist wohl nicht die Absicht. Erstaufnahme und Verteilung (Ziff. 3.3.1) Grundsätzlich sind die kommunalen Verbände mit dem Ziel einverstanden. Im Text ist die Rede von „Auslastung der Gemeinden resp. der Verwaltungskreise“. Hier muss genau gesagt werden, worin das Ziel besteht. Grundsätzlich muss sich dieses Ziel (namentlich bei der Erstaufnahme) auf die Verteilung auf die Verwaltungskreise beziehen, und nicht auf die einzelnen Gemeinden. Insgesamt sind aber die Regierungsstatthalter anzuweisen, die möglichst gleichmässige Verteilung auf die Gemeinden anzustreben. Ev. wäre nach Instrumenten des Ausgleichs suchen. Planung und Beschaffung von Kollektivunterkünften in normalen Lagen (Ziff. 3.3.2) Ist es richtig, dass die Regierungsstatthalter und die Gemeinden nur einbezogen werden, warum läuft das nicht wie in der nächsten Phase bereits über die 4 Regierungsstatthalter, es muss ja in jedem Verwaltungskreis mindestens eine Kollektivunterkunft haben. Bei einer Notlage regelt das KFO die Beschaffung der Kollektivunterkunft. Entweder werden die Gemeinden auch erwähnt wie der Bund (in enger Koordination) oder im Bericht wird ergänzt, wonach die betroffene Gemeinde zumindest frühzeitig informiert würde. Betrieb Kollektivunterkünfte und Betreuung (Ziff. 3.3.3) Ziel: Der Betrieb… ist „professionalisiert“. Was heisst das im Vergleich zu heute? Heute sind es ja bereits Profis, welchen der Betrieb obliegt. Diese Aussage muss geklärt werden. Flüchtlinge und vorläufige Aufgenommene (Ziff. 3.4) Hier und auch nachfolgend ist immer wieder die Rede von „längstens 7 Jahren“. Diese Frage ist zu klären, diese Aussage ist politisch sehr brisant und mit grossen Kostenfolgen verbunden. Die kommunalen Verbände halten sich bei dieser Diskussion zurück, diese Fragen müssen von politischen Behörden bewertet und entschieden werden. Unterbringung (Ziff. 3.4.1) Es dürfte unterschiedliche Haltungen geben, ob und in welchem Ausmass die betroffenen Personen in Phase 2 bereits die Niederlassungsfreiheit haben. Diese Frage ist unbedingt zu klären, die Steuerungsmöglichkeiten durch den Staat sind aufzuzeigen. Die Rollen bei der Suche nach Unterkünften zwischen Regierungsstatthalter, Gemeinden und Leistungserbringern sind nach wie vor unklar und bergen Stoff für Konflikte, diese müssen unbedingt geklärt werden Es müsste ein Funktionendiagramm erlassen werden, welches minutiös bestimmt, wer was macht und wer wen informiert (vor der Handlung, oder nachher, etc.) Sozialhilfe (Ziff. 3.4.3) Hier wäre nicht auf SKOS zu verweisen, sondern auf das kantonale Sozialhilferecht. Die von der Regierung soeben in die Vernehmlassung geschickte Änderung des SHG sieht eine Abweichung von SKOS vor. Es wäre daher merkwürdig, wenn für die Personen des Asylbereichs andere Massstäbe gelten würden. Es wäre auszuführen, ob die „Asylsozialhilfe Plus“ gegenüber heute weitergeht und wie hoch sich allenfalls die Mehrkosten darstellen. Rückkehrzentren (Ziff. 3.6.2) Ist es richtig, dass die Beschaffung von Rückkehrzentren der gleichen Logik bzw. der gleichen Zuständigkeit (Regierungsstatthalter) entspricht, wie die Beschaffung von Kollektivunterkünften) und dass die Gemeinden auch hier eine Aufnahmepflicht haben? Finanzen (3.7.2) Zitat Bericht: „Die Finanzen stellen den limitierenden Faktor bei der Umsetzung der Asyl- und Flüchtlingsstrategie dar. Es ist daher zentral, dass die Finanzierung der Massnahmen geklärt ist“. Hier werden unseres Erachtens zwei Sachen vermischt. Eine politisch wichtige Frage betrifft die „Standards“ (wel- 5 cher Status nach welcher Zeit, welche Ansprüche, etc.). Die andere Frage betrifft die Finanzierungszuständigkeit. Alle wesentlichen Fragen betreffend die Standards wird der Kanton entscheiden. Es erscheint undenkbar, dass jede Gemeinde hier eigene Standards setzt. Heute ist es tatsächlich so, dass unterschiedliche Zuständigkeiten bestehen. Ob künftig wirklich aus einer Hand finanziert werden soll, ist zu diskutieren. So abwegig erscheint das nicht, vorausgesetzt, die Bundesstrategie wird umgesetzt und ist erfolgreich (was noch nicht erwiesen ist). Im Bericht wird erwähnt, dass die Kostenentwicklung im Asyl- und Flüchtlingsbereich als Ganzes zu betrachten sei. Im darauffolgenden Satz wird jedoch nur von den Kostenfolgen im Sozialwesen gesprochen. Hier müsste unbedingt die gesamtstaatliche Optik erwähnt werden, und nicht nur eine sektorielle. Im Bericht werden zwei „Prinzipien“ zitiert, die fiskalische Aequivalenz (Variante 1) und die Solidarität (Variante 2), letztere wird vom Kanton priorisiert. Positiv zu vermerken ist der Umstand, dass im Bericht klar ausgeführt wird, der Saldo der Lastenverschiebung werde im Lastenausgleich „Neue Aufgabenteilung“ angerechnet. Es ist für die kommunalen Verbände ein absolutes „no go“, ein neues Prinzip zu erfinden. Aufgabenteilungsprojekte orientieren sich stets nach drei Prinzipien: Subsidiarität, Fiskalische Aequivalenz und Accountability. Namentlich der Grundsatz der Fiskalischen Aequivalenz ist heute auch in der Bundesverfassung verankert. Bei bestehenden Aufgaben- und Finanzierungsteilungen werden diese Grundsätze nicht immer eingehalten und lassen sich nur historisch begründen. Bei neuen Aufgabenteilungsprojekten tut man gut daran, diese Grundsätze zu beachten. Die Kantone wehren sich gegenüber dem Bund immer mit Nachdruck gegen die Übernahme von Kosten, der Bund argumentiert immer mit dem kantonalen Vollzugsföderalismus. Wenn wir den Grundsatz der fiskalischen Aequivalenz opfern und zum Grundsatz der Solidarität schwenken, könnte der Kanton den Gemeinden auch die halben Kosten an den Kantonsstrassen anhängen, mit der gleichen Logik. Wenn bei der Teilung der Sozialhilfekosten der Grundsatz der Solidarität eine Rolle spielt, betrifft dies ausschliesslich die horizontale Ebene (Ausgleich unter Gemeinden), nicht aber das vertikale Verhältnis. Hier hat die Solidarität nichts zu suchen, Aufgabenteilung mit einhergehender Finanzierungsverantwortung orientiert sich an staatsrechtlichen Prinzipien. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Lastenausgleich Sozialhilfe politisch unter Druck steht. Es wäre verfehlt, diesem Gefäss noch zusätzlich Kosten in einem sehr dynamischen Aufgabenbereich zuführen zu wollen. Zusammenarbeit zwischen den wichtigen Akteuren (Ziff. 3.7.3) Hier muss grundsätzlich das Primat der Politik gelten. Der Zentralkanton, die Regierungsstatthalter und die Gemeinden müssen die wichtigen Entscheide koordinieren und verantworten. Die Leistungserbringer müssen sich auf den Vollzug beschränken und treten gegenüber der Öffentlichkeit und auch der Gemeinden nur mit Zurückhaltung auf. Die Abgrenzungen sind genau zu beschreiben. 6 Mittel- bis längerfristige Szenarien Der Strategie können keine mittel- bis längerfristigen Szenarien entnommen werden. Es ist aufzuzeigen, wie sich die Kosten mittel- bis längerfristig entwickeln, wenn die Zuwanderung auf hohem Niveau weitergeht und die betroffenen Personen mit einem Bleiberecht in die Regelstrukturen übergehen. Zu beachten ist namentlich der Umstand, dass bei realistischer Betrachtungsweise trotz verstärkten Integrationsbemühungen ein grosser Teil der betroffenen Personen auf Sozialhilfe angewiesen sein wird. 23. Juni 2016 Verband Bernischer Gemeinden Bernisches Gemeindekader