2 Quantenstatistik

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2 Quantenstatistik
2.1 Grundlagen
Unsere bisherigen, recht ausführlichen Betrachtungen zur Statistischen Physik waren rein klassischer Natur. Natürlich würde es uns nicht schwerfallen,
Grenzen ihrer Gültigkeit aufzudecken, d. h. Widersprüche zum Experiment
aufzuspüren, so wie es uns ja auch mit der Klassischen Mechanik ergangen ist.
Letztlich benötigt die korrekte Naturbeschreibung natürlich die übergeordnete
Quantenmechanik. Wir werden also die Klassische Statistische Physik des ersten Kapitels auf eine Quantenstatistik umzuschreiben haben. Dabei wird sich
herausstellen, daß die grundlegenden Konzepte der Statistik dieselben bleiben,
daß sie allerdings auch mit einigen typisch quantenmechanischen Aspekten
zu kombinieren sind. Erinnern wir uns noch einmal: Klassisch gelingt die
vollständige Beschreibung eines physikalischen Systems durch Angabe der
Phase π = (q, p), die sich den Hamiltonschen Bewegungsgleichungen (1.13)
entsprechend zeitabhängig im Phasenraum ändert und damit die Phasentrajektorie des Systems definiert. Statistische Methoden werden notwendig bei
unvollständiger Information über die zur Lösung der Bewegungsgleichungen
unverzichtbaren Anfangsbedingungen, was für makroskopische Systeme der
Regelfall ist.
Quantenmechanisch liegt eine ganz andere Situation vor, die gewissermaßen durch eine doppelte Unkenntnis charakterisiert ist. Da ist zunächst
der spezifisch quantenmechanische Indeterminismus. Selbst wenn der
Systemzustand eigentlich bekannt ist (reiner Zustand ), sind Meßergebnisse
in der Regel nicht exakt vorauszusagen. Die Messung selbst führt zu einer
unkontrollierbaren Störung des Systems. Diese Unsicherheit manifestiert sich
in der statistischen Interpretation der Wellenfunktion (Abschn. 2.2.1, Bd. 5
Teil 1) und in der Unbestimmtheitsrelation ((1.5), (3.155), Bd. 5 Teil 1). Orte
qi und Impulse pi sind nicht mehr gleichzeitig scharf meßbar. Damit verlieren
automatisch auch Phasenraum und Phasentrajektorie in der Quantenmechanik ihren Sinn; Begriffe, die ja in der Klassischen Statistischen Physik von
großer Bedeutung sind. Die zweite Unsicherheit ist dann die unvollständige
Information, die klassisch wie quantenmechanisch im Fall makroskopischer
Systeme statistische Konzepte zur Problemlösung erzwingt. Sie wird im Prinzip in der Quantenstatistik genauso behandelt wie in der Klassischen Statistik.
Die Hauptaufgabe wird demnach darin bestehen, die in Kap. 1 entwickelten
92
2 Quantenstatistik
Methoden um den oben erwähnten typisch quantenmechanischen Aspekt zu
erweitern.
2.1.1 Statistischer Operator (Dichtematrix)
Strenggenommen haben wir die soeben formulierte Problematik der doppelten Unkenntnis, die von der Quantenstatistik zu bewältigen ist, bereits in
der Quantenmechanik (Abschn. 3.3.4, Bd. 5 Teil 1) diskutiert. Die simultane
Ausführung der beiden qualitativ verschiedenen Mittelungsprozesse gelingt
mit Hilfe des Statistischen Operators, auch Dichtematrix genannt, an dessen
Wirkungsweise wir uns mit der folgenden Zusammenstellung erinnern wollen.
Die Darstellung soll kurz und knapp ausfallen, Einzelheiten sind im Bd. 5
Teil 1 des Grundkurs: Theoretische Physik nachzulesen. Allerdings ist
der Statistische Operator für die Quantenstatistik auch von so zentraler Bedeutung, daß eine gewisse Wiederholung wichtiger Fakten gerechtfertigt sein
dürfte.
Die Quantenmechanik unterscheidet zwei Typen von Zuständen, in denen
sich physikalische Systeme befinden können, den reinen und den gemischten
Zustand.
1) Reiner Zustand
Dieser wird präpariert durch Messung eines vollständigen Satzes kommutierender Observabler, d. h. durch einen zur Identifikation ausreichenden Satz
von Meßprozessen. Einem reinen Zustand läßt sich deshalb stets ein HilbertVektor |ψi zuordnen. Trotzdem sind Resultate von Messungen auch an einem
sich in einem solchen reinen Zustand befindlichen System in der Regel nicht
mit Sicherheit vorherzusagen.
Sei Fb eine Observable mit der Eigenwertgleichung:
Fb |fn i = fn |fn i ;
hfn | fm i = δnm .
Die Eigenzustände { |fn i } mögen ein vollständiges, orthonormiertes (von-)
System darstellen. Dann läßt sich jeder Zustand |ψi nach dem Entwicklungssatz ((3.27), Bd. 5 Teil 1) als Linearkombination der |fn i schreiben:
X
|ψi =
cn |fn i ;
cn = hfn | ψi .
n
(Wir lassen sogenannte uneigentliche Dirac-Zustände (Abschn. 3.2.4, Bd. 5
Teil 1), bei denen die Summe durch ein Integral zu ersetzen wäre, hier
zunächst außer acht.) Das Betragsquadrat des Koeffizienten |cn | 2 stellt die
Wahrscheinlichkeit dafür dar, bei einer Messung der Observablen Fb am Systemzustand |ψi den Meßwert fn zu erhalten. Es ist eine Zahl zwischen 0
und 1, die die erwähnte quantenmechanische Unsicherheit der Messung zum
2.1 Grundlagen
93
Ausdruck bringt. Eine gesicherte Aussage ist nur dann möglich, wenn |ψi als
Eigenzustand zu Fb präpariert ist. Es ist deshalb sinnvoll, einen Mittelwert
einzuführen, gedacht als mittlerer Wert vieler nacheinander durchgeführter
Messungen an ein und demselben System unter stets gleichen Bedingungen
oder aber auch simultan an vielen gleichartigen Systemen. Letzteres erinnert
stark an den für die Statistik fundamentalen Begriff des Ensembles, dem wir
in der Tat bereits in der Quantenmechanik in diesem Zusammenhang begegnet sind:
X
X
hFbi =
fn |cn | 2 =
fn hψ | fn i hfn | ψi =
n
=
X
n
(2.1)
hψ | Fb | fn i hfn | ψi = hψ | Fb | ψi .
n
Im letzten Schritt haben wir die Vollständigkeitsrelation ausgenutzt.
2) Gemischter Zustand
Liegt eine unvollständige Vorinformation über das zu beschreibende System
vor, konnte also kein vollständiger Satz kommutierender Observabler gemessen werden, so sagt man, das System befinde sich in einem gemischten Zustand. Diese Situation ist typisch für die makroskopischen Systeme; aber nicht
nur für die, wenn wir uns an unser Standardbeispiel, den unpolarisierten Elektronenstrahl, in Bd. 5 Teil 1 erinnern. Dem gemischten Zustand kann kein
Hilbert-Vektor zugeordnet werden. Denkbar sind aber Charakterisierungen
der folgenden Art:
Das System befindet sich mit der Wahrscheinlichkkeit pm in dem
reinen Zustand |ψm i ; m = 1, 2, . . .:
X
0 ≤ pm ≤ 1 :
pm = 1.
m
Wir wissen zwar aufgrund unserer mangelhaften Vorinformation nicht wirklich, in welchem Zustand sich das System befindet, sind aber in der Lage,
die Möglichkeiten ein wenig einzuschränken. |ψm i sei einer der denkbaren
Zustände des Systems, die wir als orthonormiert voraussetzen wollen:
hψn | ψm i = δnm .
(2.2)
Die Annahme der Orthogonalität ist bequem, aber nicht notwendig. Wir demonstrieren in Aufgabe 2.1.2, daß die Annahme der Normiertheit eigentlich
bereits ausreicht. Die Hauptaufgabe wird später darin bestehen, die Wahrscheinlichkeit pm festzulegen, mit der sich das System im Zustand |ψm i
befindet.
Wir führen nun eine Messung der Observablen Fb durch. Wenn das System mit Sicherheit im Zustand |ψm i wäre, würden wir gemäß (2.1) den
Mittelwert
94
2 Quantenstatistik
hψm | Fb | ψm i
erhalten. Wegen unvollständiger Information haben wir diese Sicherheit nicht,
sondern sind zu einer zusätzlichen statistischen Mittelung gezwungen:
X
hFbi =
pm hψm | Fb | ψm i .
(2.3)
m
Dieser Mittelwert enthält nun zwei unterschiedliche Prozesse, wobei der quantenmechanische prinzipieller Natur ist, (2.1), und sich damit in keinem Fall
vermeiden läßt. Er kommt durch die Zustände selbst ins Spiel, die durch
Meßprozesse beeinflußt werden. Typische Konsequenzen sind die bekannten
Interferenzeffekte (Abschn. 2.1, Bd. 5 Teil 1). Die statistische Mittelung (pm )
resultiert aus unvollständiger Information und wäre damit im Prinzip behebbar. Sie ist also nicht von so grundsätzlicher Art und erfolgt über Erwartungswerte (Zahlen!), hat demnach keine Interferenzeffekte zur Folge.
Äquivalent zu (2.3) ist die Darstellung
X
hFbi =
fn wn .
n
Dabei ist wn die Wahrscheinlichkeit, bei der Messung von Fb am gemischten
Zustand den Eigenwert fn zu finden. wnm = | hfn | ψm i | 2 ist die entsprechende Wahrscheinlichkeit für den Fall, daß sich das System mit Sicherheit
im reinen Zustand |ψm i befindet. Dann gilt offenbar
X
wn =
pm wnm ,
(2.4)
m
wodurch die doppelte Natur der Quantenstatistik noch einmal zum Ausdruck
gebracht wird. Die zentrale Größe der Quantenstatistik, mit der sich die beiden Mittelungsprozesse gewissermaßen simultan erfassen lassen, ist der Statistische Operator ρ̂:
X
ρ̂ =
pm |ψm i hψm | .
(2.5)
m
Wir stellen seine wichtigsten Eigenschaften zusammen (s. Abschn. 3.3.4, Bd. 5
Teil 1):
1) Mittelwerte
hFbi = Sp(ρ̂Fb).
(2.6)
Den Begriff der Spur (Sp) haben wir in Abschn. 3.2.8 in Bd. 5 Teil 1 als
Summe der Diagonalelemente einer Matrix kennengelernt. Sie hat unter anderem die nützliche Eigenschaft, von der verwendeten von-Basis unabhängig
zu sein. Das bringt rechentechnische Vorteile mit sich, da man diese dann
2.1 Grundlagen
95
nach Zweckmäßigkeit auswählen kann. Weitere nützliche Eigenschaften rufen
wir uns mit Aufgabe 2.1.1 in Erinnerung. Wegen ihrer fundamentalen Bedeutung wollen wir den Beweis der Beziehung (2.6) noch einmal skizzieren. Es
sei { |ϕi i } ein von-System:
X
X
hFbi =
pm hψm | Fb | ψmi =
pm hψm | ϕii hϕi | Fb | ϕji hϕj | ψmi =
m
i,j
m
=
X X
i,j
=
X
pm hϕj | ψmi hψm | ϕii
hϕi | Fb | ϕji =
m
ρ̂ji Fbij =
i,j
X
(ρ̂Fb)jj = Sp(ρ̂Fb).
j
2) Hermitezität: ρ̂ = ρ̂+
Diese Tatsache ist unmittelbar an der Definition (2.5) abzulesen. Der Projektionsoperator |ψm i hψm | ist hermitesch ((3.84), Bd. 5 Teil 1) und pm reell.
3) Spur
Sp ρ̂ = 1.
(2.7)
Dies folgt direkt aus (2.6) für Fb = 1.
4) ρ̂ nicht-negativ
Dies bedeutet, daß der Erwartungswert des Operators ρ̂ in jedem beliebigen
Zustand |ϕi nicht negativ ist:
X
hϕ | ρ̂ | ϕi =
pm hϕ | ψm i 2 ≥ 0.
m
Falls |ϕi normiert ist, kann dieser Erwartungswert auch als Wahrscheinlichkeit interpretiert werden, das durch ρ̂ beschriebene System im Zustand |ϕi
anzutreffen.
5) Eigenwerte
ρ̂ besitzt als hermitescher Operator reelle Eigenwerte und zueinander orthogonale Eigenzustände. Da wir die |ψm i als orthonormal vorausgesetzt haben (2.2), sind sie bereits die Eigenzustände mit den Wahrscheinlichkeiten pm
als zugehörige Eigenwerte. Diese Aussage ist offensichtlich nicht mehr richtig,
wenn die |ψm i zwar normiert, aber nicht orthogonal sind (Aufgabe 2.1.2).
6) Reiner Zustand
Auch dieser läßt sich natürlich formal mit Hilfe eines Statistischen Operators
behandeln. In (2.5) ist dann eines der pm gleich 1, die anderen sind sämtlich
Null (vollständige Information!). ρ̂ ist in diesem Spezialfall also mit dem
Projektionsoperator auf den reinen Zustand identisch:
ρ̂ψ ≡ P (ψ) = |ψi hψ| .
(2.8)
96
2 Quantenstatistik
Sämtliche allgemeinen Eigenschaften des Statistischen Operators bleiben
selbstverständlich gültig. Wir überprüfen ({ |ϕn i }-von-System):
X
X
Sp ρ̂ψ =
hϕn | ρ̂ψ | ϕni =
hψ | ϕnihϕn | ψi = hψ | ψi = 1 ⇐⇒ (2.7),
n
Sp(ρ̂ψ Fb) =
X
n
hϕn | ρ̂ψ Fb | ϕni =
n
X
hψ | Fb | ϕni hϕn | ψi =
n
= hψ | Fb | ψi ⇐⇒ (2.1), (2.6).
7) Operatorquadrat
Wegen der Orthonormalität der denkbaren Zustände |ψm i erhält man aus
der Definition (2.5):
X
ρ̂2 =
p2m |ψm i hψm | .
(2.9)
m
Dies bedeutet insbesondere:
X
Sp ρ̂2 =
p2m .
(2.10)
m
Wegen 0 ≤ pm ≤ 1 ist
X
X
p2m ≤
pm = 1.
m
m
Das Gleichheitszeichen gilt für reine Zustände.
8) Zeitliche Entwicklung
Die Bewegungsgleichung des Statistischen Operators haben wir als Gleichung (3.167) in Bd. 5 Teil 1 für das Schrödinger-Bild abgeleitet:
i~
∂ ρ̂
= [H, ρ̂]− .
∂t
(2.11)
Sie wird sich im nächsten Abschnitt als das quantenmechanische Analogon
zur klassischen Liouville-Gleichung (1.36) interpretieren lassen.
Da sich mit Hilfe des Statistischen Operators alle beobachtbaren Eigenschaften eines physikalischen Systems erfassen lassen, können wir andererseits
zwei gemischte Zustände identisch nennen, wenn ihnen derselbe Statistische
Operator zugeordnet ist.
2.1.2 Korrespondenzprinzip
Wir suchen nun nach einer Zuordnung, nach einer Übersetzungsvorschrift zwischen Quantenstatistik und Klassischer Statistischer Physik. Dazu haben wir
uns zunächst Gedanken über den grundlegenden Begriff der Statistischen
2.1 Grundlagen
97
Gesamtheit zu machen. Dieser macht allerdings überhaupt keine Schwierigkeiten, da wir ihn in die Quantenstatistik in voller Analogie zum klassischen
Pendant (Abschn. 1.2.2) einführen können.
Unter einem Statistischen Ensemble oder einer Statistischen Gesamtheit versteht man eine Schar (Gemisch) von gedachten, gleichartigen Systemen, die sämtlich exakte Abbilder des realen Systems sind, über das keine
vollständige Information vorliegt, das sich also in einem gemischten Zustand
befindet. Jedes Ensemble-Mitglied besetzt einen der denkbaren Zustände
|ψm i des realen Systems. Wichtig ist, daß das Ensemble eine inkohärente
Menge von Zuständen einnimmt. Die Systeme der Gesamtheit wechselwirken
nicht miteinander, ihre Zustände interferieren nicht.
Diese Definition ist völlig gleichlautend mit der entsprechenden klassischen, womit aber auch klar ist, daß der Statistische Operator ρ̂ in direkter
Analogie zur klassischen Dichteverteilungsfunktion gesehen werden muß. Das
wird insbesondere deutlich, wenn wir einmal die Scharmittelwerte, deren Berechnung das vornehmliche Ziel der Statistischen Physik darstellt, gegenüberstellen:
Klassisch ((1.26), (1.52), (1.134), (1.135)):
1
Z
Z
d3N q d3N p ρ(q, p)F (q, p),
h3N N !
Z
Z
1
!
1 = 3N
· · · d3N q d3N p ρ(q, p).
h N!
hF i =
···
Quantenmechanisch:
hFbi = Sp(ρ̂Fb),
!
1 = Sp ρ̂.
Einen weiteren Hinweis geben die Bewegungsgleichungen:
Klassisch (Liouville-Gleichung (1.36)):
∂ρ
= − {H, ρ}
(H: Hamilton-Funktion).
∂t
Quantenmechanisch:
∂ ρ̂
i b
b Hamilton-Operator).
= − [H,
ρ̂]−
(H:
∂t
~
Um praktisch sämtliche Ergebnisse der Klassischen Statistischen Physik aus
Kap. 1 für die Quantenstatistik übernehmen zu können, haben wir uns nur
an das Korrespondenzprinzip (Abschn. 3.5 (3.228), (3.229), Bd. 5 Teil 1)
98
2 Quantenstatistik
zu erinnern. Dieses legt die folgenden Zuordnungen nahe (links: klassisch,
rechts: quantenmechanisch):
1)
Phasenraumfunktion
⇐⇒
Observable (Operator)
Fb
F (q, p)
2)
Dichteverteilungsfunktion
ρ(q, p)
⇐⇒
Statistischer Operator
ρ̂
3)
Poisson-Klammer
⇐⇒
Kommutator
i b b
[F , G]− =
~
i b b b b
=
F G − GF
~
⇐⇒
Spur
{F, G} =
X ∂F ∂G
∂G ∂F
=
−
∂qj ∂pj
∂qj ∂pj
j
4)
Phasenraumintegration
Z
Z
1
·
·
·
d3N q d3N p · · ·
h3N N !
5)
Sp(. . . )
(2.12)
stationäres
Ensemble
{ρ, H} = 0
⇐⇒
b − = 0.
[ρ̂, H]
Auch in der Quantenstatistik interessieren nur stationäre Gesamtheiten, da
nur diese zu zeitunabhängigen Scharmittelwerten führen. Für nicht explizit
zeitabhängige Observable gilt ((3.211), Bd. 5 Teil 1):
i~
d b
b − .
hF i = [Fb, H]
dt
Unter Ausnutzung der zyklischen Invarianz der Spur (s. Aufgabe 2.1.1) formen wir die rechte Seite um:
b − = Sp ρ̂(FbH
b −H
b Fb) = Sp H
b ρ̂Fb − ρ̂H
b Fb = Sp [H,
b ρ̂]− Fb .
[Fb, H]
Damit folgt also in der Tat:
d b
b ρ̂]− = 0.
hF i = 0 ⇐⇒ [H,
dt
(2.13)
2.1.3 Aufgaben
b H
b quantenmechanische Operatoren und α, β komAufgabe 2.1.1: Es seien Fb, G,
plexe Zahlen. Beweisen Sie die folgenden nützlichen Eigenschaften der Spur :
1) Sp Fb+ = (Sp Fb)∗ ,
b = α Sp Fb + β Sp G,
b
2) Sp(αFb + β G)
2.2 Mikrokanonische Gesamtheit
99
3) Sp(Fb+ Fb) ≥ 0,
b H)
b = Sp(H
b FbG)
b = Sp(G
bH
b Fb)
4) Sp(FbG
b+
b ) = Sp Fb,
5) Sp(U FbU
(zyklische Invarianz der Spur),
b : unitärer Operator.
U
Aufgabe 2.1.2: Beweisen Sie, daß die charakteristischen Eigenschaften des Statistischen Operators,
X
ρ̂ =
pm |ψm i hψm | ,
m
auch dann erhalten bleiben, wenn die Zustände |ψm i zwar normiert, aber nicht
orthogonal sind.
2.2 Mikrokanonische Gesamtheit
Wir wollen nun damit beginnen, die in der Klassischen Statistischen Physik
des ersten Kapitels kennengelernten Statistischen Gesamtheiten in die Quantenstatistik zu übertragen.
Die Aufgabe ist als gelöst anzusehen, wenn es uns gelingt, den für die betreffende Gesamtheit zuständigen Statistischen Operator anzugeben. Beginnen werden wir auch hier mit der mikrokanonischen Gesamtheit, für die der
Statistische Operator leicht ableitbar ist, wenn man die Gültigkeit des Postulats gleicher a-priori“-Wahrscheinlichkeiten (Abschn. 1.1.1) akzeptiert. Bei
”
der Detail-Diskussion der mikrokanonischen Gesamtheit werden wir uns allerdings auf die Dinge beschränken, die wirklich neu, also quantenmechanischer
Natur sind. Die weiteren Überlegungen, die völlig parallel zur klassischen Betrachtung in Kap. 1 verlaufen, sollen nur angedeutet werden. Es empfiehlt
sich jedoch, im Bedarfsfall die entsprechenden Passagen im Kap. 1 nachzulesen. Das gilt auch für die beiden dann folgenden Kapitel zur kanonischen
(Abschn. 2.3) und zur großkanonischen Gesamtheit (Abschn. 2.4).
Nach Entwicklung der mikrokanonischen Gesamtheit werden wir in der
Lage sein, den Dritten Hauptsatz zu kommentieren (Abschn. 2.2.2), der quantenmechanischer Natur ist und deshalb in Kap. 1 noch ausgespart werden
mußte.
2.2.1 Phasenvolumen
Der aussondernde Gesichtspunkt für die mikrokanonische Gesamtheit ist wie
in der Klassischen Statistischen Physik die Tatsache, daß ein
isoliertes System
100
2 Quantenstatistik
mit quasi-scharfer Energie zwischen E und E +∆ beschrieben werden soll. Dabei ist ∆ eine kleine Energietoleranz. Exakte Energiekonstanz ist bei den uns
hier interessierenden makroskopischen Systemen nicht zu erwarten (s. Bemerkungen in Abschn. 1.1.1). Das System, dessen Hamilton-Operator sicher
zeitunabhängig ist, soll sich natürlich im thermischen Gleichgewicht befinden.
Die zugehörige Gesamtheit muß deshalb auf jeden Fall durch eine stationäre
Verteilung charakterisiert sein. Dies bedeutet nach (2.13), daß der Statistische
Operator ρ̂ mit dem Hamilton-Operator kommutiert. Die Quantenmechanik
b einen gemeinsamen Satz von Eigenzuständen besitlehrt, daß dann ρ̂ und H
zen müssen. Diese Tatsache hilft uns bei der folgenden Ableitung von ρ̂ :
Denkbare Zustände des Systems sind solche mit Energien zwischen E und
E + ∆. Die Energiedarstellung wird deshalb günstig sein:
b |En i = En |En i ,
H
hEn | Em i = δnm ;
b | Em i = Em δnm .
hEn | H
(2.14)
Auch ρ̂ muß in der Energiedarstellung diagonal sein:
hEn | ρ̂ | Em i ∼ δnm .
Abb. 2.1. Energietoleranz eines (quasi-)isolierten makroskopischen Systems
Für (quasi-)isolierte Systeme gilt das fundamentale Postulat gleicher a prio”
ri“-Wahrscheinlichkeiten (Abschn. 1.1.1), d. h., alle mit den Randbedingungen verträglichen Zustände sollten mit gleicher Wahrscheinlichkeit auftreten.
Dann liegt aber der folgende Ansatz auf der Hand:
X
ρ̂MKG =
pMKG
|Em i hEm | ,
m
m
pMKG
m
=
(
const., falls E < Em < E + ∆,
0
(2.15)
sonst.
Die Konstante ist leicht aus der Bedingung Sp ρ̂ = 1 bestimmbar. Wir definieren zunächst:
E<EX
m <E+∆
Γ (E) = Sp
|Em i hEm | .
(2.16)
m
Das ist das quantenstatistische Analogon zum klassischen Phasenvolumen (1.44). Seine Bedeutung erkennen wir, wenn wir die Spur in der Energiedarstellung auswerten:
2.2 Mikrokanonische Gesamtheit
Γ (E) =
E<EX
m <E+∆
1=
m
101
Anzahl der Zustände mit Energien
zwischen E und E + ∆.
Im konkreten Fall wird Γ (E) natürlich auch noch von anderen Parametern
abhängen, wie zum Beispiel N und V . Das werden wir im Bedarfsfall durch
entsprechende Indizes kenntlich machen.
Aus Sp ρ̂ = 1 folgt also für die Gewichte pm der mikrokanonischen Gesamtheit entsprechend (2.15):
pMKG
=
m
1
Γ (E)
für alle m mit E < Em < E + ∆.
(2.17)
Mittelwerte von Observablen Fb berechnen sich dann im Konzept der mikrokanonischen Gesamtheit gemäß:
hFbi =
E<EX
m <E+∆
1
Sp
|Em i hEm | Fb .
Γ (E)
m
(2.18)
Wendet man hierauf das Korrespondenzprinzip des letzten Abschnitts an und
vergleicht mit dem klassischen Scharmittel (1.52), so läßt sich die völlige Äquivalenz leicht erkennen. Man beachte, daß in (2.18) über Zustände summiert
wird, nicht über Energien. Im Fall von Entartung sind alle Zustände explizit
zu zählen.
Alle weiteren Überlegungen, insbesondere der Anschluß an die Thermodynamik, gestalten sich nun exakt so wie in der Klassischen Statistischen Physik (Abschn. 1.3). Die Argumente können wortwörtlich übernommen werden,
brauchen deshalb hier nicht vollständig wiederholt zu werden. Als Beispiel
sei nur die innere Energie U erwähnt:
b =
U ≡ hHi
E<EX
m <E+∆
1
b =
Sp
|Em i hEm | H
Γ (E)
m
1
=
Γ (E)
E<EX
m <E+∆
(2.19)
Em ≈ E.
m
Dies stimmt mit (1.57) überein! – Die Entropie stellt auch in der Quantenstatistik die zentrale Größe der mikrokanonischen Gesamtheit dar, da deren
Variable U = E, V, N die natürlichen Variablen der Entropie sind. Ihre Definition lautet analog zu (1.71):
S = kB ln Γ (E).
(2.20)
(Genauer: Γ (E) → ΓN (E, V ) für ein N -Teilchen-Quantensystem im Volumen
V .) Mit der Definition (2.20) wird in der Quantenstatistik ein Gibbssches
Paradoxon (Abschn. 1.3.7) übrigens vermieden. Die korrekte Abzählung der
102
2 Quantenstatistik
Zustände ist durch (2.16) bereits gewährleistet. – Führt man schließlich noch
über
D(E) = lim
∆→0
Γ (E)
∆
(2.21)
eine Zustandsdichte D(E) ein, so ist für makroskopische Systeme die Darstellung
S = kB ln D(E)
(2.22)
zu (2.20) äquivalent. Der Beweis entspricht dem zu (1.74). – Bisweilen kann
auch das zum klassischen Phasenvolumen ϕ(E) (1.48) passende quantenmechanische Analogon,
ϕ(E) =
EX
m ≤E
1,
(2.23)
m
nützlich sein. Es bestehen wie in der Klassischen Statistischen Physik die
Zusammenhänge:
Γ (E) = ϕ(E + ∆) − ϕ(E);
D(E) =
d
ϕ(E).
dE
(2.24)
ϕ(E) ist einfach die Zahl der Eigenzustände des Hamilton-Operators mit
Energien kleiner oder gleich E.
2.2.2 Dritter Hauptsatz
Die ersten beiden Hauptsätze der Thermodynamik konnten wir im Rahmen
der Klassischen Statistischen Physik begründen. Das haben wir in den Abschnitten 1.3.3 und 1.3.5 durchgeführt und in der thermodynamischen Grundrelation (1.103) zusammengefaßt. Die Diskussion des Dritten Hauptsatzes
mußten wir zurückstellen, da er quantenmechanischer Natur ist. Er lautet
((3.82), (3.83), Bd. 4):
Die Entropie eines thermodynamischen Systems ist am absoluten
Nullpunkt (T = 0) eine universelle Konstante, die man zu Null
wählen kann. Dies gilt unabhängig von den Werten der anderen Zustandsvariablen.
Die praktischen Konsequenzen (z. B. Unerreichbarkeit des absoluten Nullpunktes) des Dritten Hauptsatzes, der auch Nernstscher Wärmesatz genannt
wird, haben wir in Abschn. 3.8 von Bd. 4 besprochen. Wir können nun versuchen, ihn anhand der quantenstatistischen Formulierungen (2.20) bzw. (2.23)
der Entropie auch zu begründen.
2.2 Mikrokanonische Gesamtheit
103
Besitzt das System ein diskretes Energiespektrum, so gibt es einen energetisch tiefsten Zustand, den Grundzustand. Genau diesen wird es für T → 0
annehmen. Ist der Grundzustand g-fach entartet, so folgt aus (2.20) für die
Entropie am absoluten Nullpunkt:
S(T = 0) = kB ln g.
(2.25)
Bei fehlender Entartung (g = 1) ist der Dritte Hauptsatz wegen ln 1 = 0 direkt an dieser Formel ablesbar. Ein Problem ergibt sich jedoch für g > 1, wenn
der Grundzustand zum Beispiel infolge innerer Symmetrien des HamiltonOperators entartet ist. S wäre dann nicht gleich Null. Anders ausgedrückt:
Da das Nernstsche Wärmetheorem sich bislang immer als richtig erwiesen hat,
könnte man auch schließen, daß solche Symmetrien bei T = 0 zum Beispiel
durch Phasenübergänge gebrochen sind.
Bei Systemen mit quasi-kontinuierlichen Spektren (z. B. makroskopische
Festkörper) untersucht man die Entropie besser mit Hilfe der Darstellung
(2.22), wonach das T → 0 -Verhalten der Zustandsdichte D(E) entscheidend
wird. Bei allen rechenbaren (!) Fällen stellt sich die Zustandsdichte in der
Tat für T → 0 so dar, daß der Dritte Hauptsatz erfüllt ist. So ist für die Gitterdynamik eines Festkörpers bei tiefen Temperaturen die Debyesche Theorie anwendbar, mit der man einen Beitrag zur Wärmekapazität in der Form
CV = αT 3 berechnet (s. Aufgabe 2.3.10 und Abschn. 3.3.7). Die Entropie
verschwindet am Nullpunkt also wie T 3 . Die Sommerfeldsche Theorie der
Metallelektronen (Abschn. 3.2) führt zu einem linearen Tieftemperaturverhalten der Wärmekapazität (CV = γT ). Auch das ist im Einklang mit dem
Dritten Hauptsatz. Dieser wird jedoch verletzt durch das klassische ideale
Gas; allerdings handelt es sich bei diesem für T → 0 auch nicht um ein
realistisches Modellsystem.
Wir stellen fest, daß auch im Rahmen der Quantenstatistik der Dritte Hauptsatz nicht allgemein und streng beweisbar ist. Es bleibt letztlich
doch ein Theorem, basierend auf empirischer Erfahrung, allerdings auch stark
gestützt durch quantenstatistisch auswertbare Spezialfälle und Modellsysteme.
2.2.3 Aufgaben
Aufgabe 2.2.1:
1) Es sei
ρ̂(E) =
1
Γ (E)
E<EX
m <E+∆
|Em i hEm |
m
der mikrokanonische Statistische Operator in der Energiedarstellung. Welche
Gestalt erhält ρ̂, wenn statt der Eigenzustände |Em i des Hamilton-Operators
b ein anderes vollständiges Orthonormalsystem zur Darstellung benutzt wird?
H
Ändert sich dabei das quantenmechanische Phasenvolumen Γ (E)?
104
2 Quantenstatistik
b sei eine Observable, die mit H
b nicht vertauscht, für deren Eigenzustände
2) A
|an i zum Eigenwert an aber eine Entwicklung nach den |Em i bekannt sei.
b
Berechnen Sie den mikrokanonischen Mittelwert hAi!
Aufgabe 2.2.2: Ein System von N an Gitterplätzen lokalisierten S = 12 -Spins
befinde sich in einem homogenen Magnetfeld B. Jedem Spin ist ein magnetisches
Moment µB zugeordnet. Die Energie des Systems im Magnetfeld ist dann durch
E = −(N↑ − N↓ )µB B = −M µB B
gegeben, wobei N↑ (N↓ ) die Zahl der Spins parallel (antiparallel) zu B bezeichnet.
Berechnen Sie mit der mikrokanonischen Gesamtheit als Funktionen von N und M
1) die Entropie S des Systems,
2) die Temperatur T ,
3) die innere Energie U ,
4) die Wärmekapazität CV .
Aufgabe 2.2.3: Gegeben sei ein System von N unterscheidbaren Teilchen. Deren
mögliche Energien seien r (r = 1, 2, 3, . . .).
1) Berechnen Sie die Entropie S(E) des Systems. Nehmen Sie der Einfachheit
halber an, daß alle Besetzungszahlen Nr der Niveaus r die Benutzung der
Stirling-Formel erlauben!
2) Berechnen Sie die Gleichgewichtsverteilung {Nr } der Besetzungszahlen Nr , d. h.
die wahrscheinlichste Verteilung, unter den Nebenbedingungen:
X
festes N =
Nr ,
r
festes E =
X
Nr r .
r
Berücksichtigen Sie diese Nebenbedingungen nach der Methode der Lagrangeschen Multiplikatoren (1.2.5, Bd. 2).
3) Diskutieren Sie die physikalische Bedeutung der Multiplikatoren!
Aufgabe 2.2.4: Berechnen Sie die Erwartungswerte hp̂2x i, hp̂2y i, hq̂x2 i, hq̂y2 i, hTbi und
hVb i (Tb(Vb ): Operator der kinetischen (potentiellen) Energie) über der mikrokanonischen Gesamtheit für einen zweidimensionalen, quantenmechanischen, harmonischen Oszillator der Masse m und der Frequenz ω.
Aufgabe 2.2.5: Betrachten Sie ein System von N harmonischen Oszillatoren gleicher Masse m und gleicher Frequenz ω. Es besitze die Energie
1
(N0 ≥ 0; ganz).
E = N ~ω + N0 ~ω
2
1) Berechnen Sie das quantenmechanische Phasenvolumen ΓN (E).
2) Berechnen Sie Entropie S und Temperatur T als Funktionen der Energie E.
3) Geben Sie den Zusammenhang zwischen der Quantenzahl N0 und der Temperatur T an.
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