Klinische Psychologie I WS 04/05 Psychobiologische Aspekte 15.11.2004 Prof. Dr. Renate de Jong-Meyer Überblick 1. Das Nervensystem 2. Das endokrine System 3. Das Immunsystem 4. Verhaltensgenetik 5. Entwicklung über die Lebensspanne 6. Chronobiologie 1. Das Nervensystem Neurone • • • • • • • Bausteine des Nervensystems Dienen dem Empfang, der Weiterleitung und Übertragung von Informationen Informationsweiterleitung: elektrisch (Aktionspotential) Informationsübertragung: chemisch (Neurotransmitter) Gehirn: Besteht aus ca. 100 Mrd. Neuronen Jedes Organ ist über Neurone mit dem Gehirn verbunden. Synapse: Verbindungsstelle zweier Neurone 1. Das Nervensystem Aktionspotential Öffnung von Ionenkanälen in der Nervenzellmembran ð Einstrom von Na+-Ionen ð Positivierung der Spannung über der Zellmembran Dadurch elektrische Informationsweiterleitung vom Soma über das Axon bis zum synaptischen Endknöpfchen. Synaptische Erregungsübertragung Bei den meisten Synapsen chemisch durch Ausschüttung von Neurotransmittern aus präsynaptischem Neuron u. Bindung des Transmitters an Rezeptor am postsynaptischen Neuron. 1. Das Nervensystem Neurotransmitter • • • • • • Glutamat GABA (Gamma-Amino-Buttersäure) Acetylcholin (ACh) Katecholamine ð Dopamin, Noradrenalin Serotonin Neuropeptide Für jeden Transmitter gibt es spezielle Schaltkreise, die an der Regulation von Verhalten beteiligt sind. 1. Das Nervensystem Zentrales Nervensystem (ZNS) • • Besteht aus dem Gehirn und Rückenmark Gehirn: - Asymmetrie (strukturell / funktionell) - verschiedene funktionale Strukturen • Wichtige Hirnstrukturen: - Formatio reticularis (Aktivierungssystem) Hypothalamus (Steuerung lebenswichtiger Funktionen) Limbisches System (Emotionsvermittlung) Hippocampus (verantwortlich für explizites Gedächtnis) Cortex (intellektuelle Leistungen) Präfontaler Cortex (Kontrolle von emotionalem u. impulsivem Verhalten) 1. Das Nervensystem Peripheres Nervensystem (PNS) • Besteht aus zwei Teilsystemen: - Somatisches Nervensystem - Autonomes (vegetatives) Nervensystem • Somatisches Nervensystem: - Leitet afferente Reize aus Haut, Skelettmuskeln, Gelenken, Augen u. Ohren ans ZNS - Leitet efferente Reize aus dem ZNS an Skelettmuskulatur • Autonomes Nervensystem: - Reguliert inneres Gleichgewicht der Körperorgane - Sympathische und parasympathische efferente Nerven (funktioneller Antagonismus) 2. Das endokrine System • Hormondrüsen setzen Botenstoffe frei, die Erfolgsorgane erreichen und beeinflussen ð Regulierung von Wachstum, Energieverbrauch, Stoffwechsel etc. ð Beteiligung an Sexualität, Emotionen, Motivation, Stressreaktion, Gedächtnis • Hypothalamisch-hypophysäres System reguliert periphere Hormonfreisetzung ð System fungiert als Schnittstelle zwischen Gehirn und Körper • Psychoendokrinologie: Untersucht die Beziehung zwischen Verhalten/Erleben einerseits und Hormonsystem andererseits. 2. Das endokrine System Hormonklassen • Peptid- oder Proteinhormone - Mehrzahl aller Hormone - lange Ketten aus Aminosäuren - wenig fettlöslich ð können Zellmembran nicht passieren • Aminhormone - bestehen aus einer umgewandelten Aminosäure (ASDerivate) - leichte Passage durch Zellmembran • Steroidhormone - bestehen aus Fetten ð sind lipophil - leichte Passage durch Zellmembran 2. Das endokrine System Hormonwirkungen • Endokrine Wirkung ð Hormone verteilen sich mit Blutkreislauf im gesamten Organismus; lösen aber nur in entsprechenden Erfolgsorganen Reaktionen aus. • Parakrine Wirkung ð Sogenannte Gewebshormone; wirken in direkter Umgebung der freisetzenden Hormondrüse. • Autokrine Wirkung ð Hormon bindet sich an Rezeptoren an Erzeugerzelle und beeinflusst diese über eine Rückkoppelung. 2. Das endokrine System Rezeptoren • Hormone können nur dann einen Effekt auf die Zielzelle ausüben, wenn diese einen entsprechenden Rezeptor hat, an dem sich das Rezept binden kann. • Aufgrund der unterschiedlichen Fettlöslichkeit der Hormonklassen gibt es verschiedene Rezeptoren. • Hormonrezeptoren können sich in Anzahl, Bindungsaffinität und Funktion an die HormonFreisetzung anpassen. 2. Das endokrine System Regelung der Hormonausschüttung Hormone kontrollieren ihre eigene Freisetzung, indem Hormonsysteme den Spiegel und die Effekte des Hormons im Körper messen und die weitere Freisetzung daran anpassen (Feedback). • • • Ebenen des Feedbacks Autokrines Feedback: Das freigesetzte Hormon wirkt direkt auf die Erzeugerzelle zurück. Hormon bewirkt einen Effekt auf die Zielzelle; Produkte dieser Zielzelle melden den Effekt an die endokrine Drüse zurück. Freigesetzte Hormone wirken auf alle vorgeschalteten Regulationsebenen zur Kontrolle der Freisetzung. 2. Das endokrine System Schema psychoneuroendokriner Zusammenhänge 2. Das endokrine System Psychoneuroendokrinologie Die Psychoneuroendokrinologie untersucht die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen Verhalten und Erleben einerseits und endokrinen Funktionen andererseits. Über die hypothalamisch-hypophysäre Schnittstelle können zentrale Schaltkreise das endokrine System beeinflussen. Umgekehrt wirken Hormone auf diese neuronalen Schaltkreise ein und beeinflussen Emotionen, Kognitionen und Verhalten. 2. Das endokrine System Untersuchungen zeigen, dass chronischer unvorhersagbarer und unkontrollierbarer Stress einhergeht mit Dysregulationen der HypothalamusHypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA). Insbesondere Stress in der frühen Entwicklung führt zu einer langfristigen Verstellung neuroendokriner Stressreaktivität. Die Antwort auf die Frage der relativen Bedeutung genetischer und epigenetischer Faktoren in der neuroendokrinen Stressreaktivität liegt wahrscheinlich in der Interaktion beider Faktoren. 3. Das Immunsystem Das Immunsystem schützt den Menschen vor Erkrankungen, indem es körperfremde und veränderte körpereigene Stoffe erkennt und diese durch Substanzen, spezialisierte Zellen und andere Mechanismen abwehrt und bekämpft. • • • • Gliederung des Immunsystems: Konstitutive (unspezifische) Immunität Erworbene (spezifische) Immunität Zelluläre Immunität Humorale Immunität 3. Das Immunsystem Zellen des Immunsystems Die wichtigste Rolle im Immunsystem spielen die verschiedenen Arten weißer Blutkörperchen (Leukocyten). ð ð ð ð ð Monocyten/Makrophagen: Bekämpfung unspezifisch eindringender Fremdkörper B-Lymphocyten: Freisetzung spezifischer Antikörper T-Lymphocyten: Beteiligung an zellulärer Immunität Gedächtniszellen Plasmazellen Die verschiedenen Teile des Immunsystems kommunizieren über sog. Cytokine miteinander. 3. Das Immunsystem Störungen des Immunsystems Erkrankungen entstehen, wenn die Immunreaktion auf innere oder äußere pathologische Einflüsse zu stark oder zu schwach ist. Hierbei gibt es vier grundlegende Konstellationen: Pathologischer Einfluss Immunreaktion zu schwach Immunreaktion zu stark Von außen Infektionskrankheiten AIDS Allergien Von innen Krebs Autoimmunerkrankungen (z.B. multiple Sklerose) 3. Das Immunsystem Interaktion zwischen endokrinem System, ZNS und Immunsystem Das endokrine System, das zentrale Nervensystem und das Immunsystem stehen in engem Kontakt. Sie tauschen untereinander Informationen aus und beeinflussen sich gegenseitig, um den Körper bestmöglich auf momentane und langfristige Bedürfnisse einzustellen. Das Gehirn kommuniziert mit dem Immunsystem hauptsächlich über das endokrine System und das autonome Nervensystem. 3. Das Immunsystem Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA) Bei akutem Stress oder auch durch bei Entzündungen ausgeschütteten Substanzen wird CRH (Cortisol Releasing Hormone) im Hypothalamus freigesetzt. Das mittelbar dadurch freigesetzte Cortisol beeinflusst eine Vielzahl von Immunreaktionen. Es entfaltet seine Wirkung überwiegend durch intrazelluläre Rezeptoren, die in großer Zahl in Leukocyten und wichtigen Organen des Immunsystems zu finden sind. 3. Das Immunsystem Psychoneuroimmunologie Die Psychoneuroimmunologie erforscht die Wechselwirkungen zwischen Erleben, Verhalten und Immunsystem. • • • Psyche und Immunsystem stehen in wechselseitiger Interaktion. Stress und Emotionen beeinflussen das Immunsystem. Immunreaktionen beeinflussen Befindlichkeit und Verhalten. 3. Das Immunsystem Nervensystem Thyroidhormone sind notwendig für die Entwicklung des Nervensystems Die Wahrnehmung von Bedrohung führt zur Freisetzung von Cortisol durch die Nebennierenrinde Produkte des Immunsystems beeinflussen Gehirnaktivität Noradrenerge Innervation beeinflusst Antikörperproduktion Die Freisetzung von Cortisol hemmt Immunreaktionen Hormonsystem Immunsystem Produkte des Immunsystems modulieren endokrine Reaktionen auf Infektionen Beispiel für wechselseitige Zusammenhänge zwischen Nerven-, endokrinem und Immunsystem. 4. Verhaltensgenetik • Informationen über Erleben und Verhalten werden sowohl über Lernen und Umwelt an die nächste Generation weitergegeben als auch genetisch vererbt. • Grundlage für die genetische Vererbung ist die DNA. Sie dient als Vorlage, um mittels Transkription und Translation Proteine herzustellen. • Die Vererbung von Merkmalen unterliegt bestimmten Regeln. 4. Verhaltensgenetik Verhaltensgenetik Sie untersucht, welche Aspekte des Erlebens und Verhaltens durch Gene beeinflusst werden. Experimentelle Methoden der Verhaltensgenetik • Tierexperimentelle Methoden • Methoden der Humanforschung ð z.B. Zwillings- u. Adoptionsstudien 5. Entwicklung über die Lebensspanne • Die biologische Entwicklung eines Menschen erstreckt sich über die gesamte Lebensspanne. Der menschliche Körper passt sich dabei seinen individuellen Lebensbedingungen möglichst optimal an. • Die Entwicklung des ZNS verläuft vorgeburtlich und um die Geburt herum in bekannten Stadien. Aber auch in späteren Lebensabschnitten behalten das ZNS und das endokrine System die Fähigkeit zur Plastizität und Anpassung. • Lebensgeschichtlich frühe Erfahrungen können langfristig den Körper des Menschen beeinflussen. 5. Entwicklung über die Lebensspanne • Die sexuelle Entwicklung wird durch das Zusammenspiel verschiedener Hormonsysteme beeinflusst, die sowohl Auswirkungen auf den Körper als auch die Psyche haben. • In höherem Lebensalter kommt es tendenziell zur Abnahme verschiedener Körperfunktionen. Dieser Prozess ist interindividuell jedoch sehr unterschiedlich. • Einige Körperfunktionen und Hirnbereiche verändern sich jedoch bis ins hohe Lebensalter kaum. 6. Chronobiologie • Die meisten physiologischen Prozesse und einige Verhaltensweisen weisen einen charakteristischen zirkadianen Rhythmus auf. Auffälligster Rhythmus: Schlaf-Wach-Rhythmus • Auch Krankheitssymptome und Medikamentenwirksamkeit schwanken im Tagesverlauf. • Neben zirkadianen Rhythmen existieren auch längere und kürzere Rhythmen. 6. Chronobiologie • Verantwortlich für diese Rhythmen ist eine innere Uhr, die im Hypothalamus liegt (im Nucleus suprachiasmaticus). • Rhythmusstörungen können ausgelöst werden durch eine dysfunktionale innere Uhr oder äußere Einflüsse. Sie können zu psychischen und körperlichen Störungen beitragen. Literaturhinweis: Heim, C. & Meinlschmidt, G. (2003). Biologische Grundlagen. In U. Ehlert (Hsrg.), Verhaltensmedizin (S. 17-94). Berlin: Springer.