Powered by Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustriebw.de/de/fachbeitrag/aktuell/von-der-synapse-zumlerneffekt/ Von der Synapse zum Lerneffekt Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr - so ganz stimmt diese alte Redewendung nicht mehr. Man weiß heute, dass die Modulation synaptischer Funktionen bis hin zur Neubildung von Neuronen auch im Alter noch stattfindet, wenn auch in geringerem Maße als in der Kindheit. Erinnerungen speichert das Gehirn als Aktivitätsmuster von Neuronengruppen ab. Dabei scheint die Veränderbarkeit von einzelnen Synapsen die Grundlage aller Lernprozesse zu sein. Der Mediziner Thomas Hainmüller und Prof. Dr. Marlene Bartos untersuchen am Physiologischen Institut der Universität Freiburg Mechanismen, die der Gedächtnisbildung zugrunde liegen. Sie fanden heraus, dass den hemmenden Interneuronen im Hippocampus diesbezüglich eine besondere Funktion zukommt. Möchten die Mechanismen der Gedächtnisbildung verstehen: Thomas Hainmüller und Prof. Dr. Marlene Bartos. © Hainmüller/Bartos, Universität Freiburg. Die Neuronen im Gehirn kommunizieren alle miteinander über ihre Kontaktstellen, die Synapsen. Diese sind fähig, die Stärke in der Kommunikation mit anderen Zellen in Abhängigkeit ihrer Nutzung zu verändern. Bestimmte Verbindungen können abgeschwächt, andere ausgebaut und verstärkt werden. Dieses als synaptische oder funktionelle Plastizität bezeichnete Phänomen ist ein natürlicher Prozess, der es dem Organismus erlaubt, auf Änderungen in der Umwelt angemessen zu reagieren. Die Stärke der Informationsübertragung von einem Neuron auf das nächste ist dabei durch die Menge des Botenstoffes oder die Rezeptordichte auf der nachfolgenden Membran variierbar. Somit ist die funktionelle Plastizität die Basis aller Umstrukturierungen im Gehirn. Sie kann auch strukturelle Plastizität verursachen, beispielsweise wenn die synaptische Kontaktfläche vergrößert oder verkleinert wird oder wenn ganze Synapsen auf- oder abgebaut werden. In der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Marlene Bartos am Physiologischen Institut der Universität Freiburg stellte sich Thomas Hainmüller im Rahmen seiner Doktorarbeit die Frage, wie das auf molekularer Ebene funktioniert. „Da das erwachsene Gehirn nur in ganz vereinzelten Regionen neue Nervenzellen generiert, müssen die Änderungen an Verbindungen stattfinden, die zwischen den Zellen bestehen“, sagt er, „wir glauben momentan, dass der Hauptmechanismus des Lernens an den Synapsen geschieht.“ Neuronenaktivität im Hirn-Orchester Die Fluoreszenzmikroskopie zeigt, wie eine Körnerzelle (v-förmig, rechts) synaptisch mit einem Interneuron (oval, links) verbunden ist. © Hainmüller/Bartos, Universität Freiburg. Es ist noch nicht sehr lange bekannt, dass eine Neubildung von Nervenzellen, die Neurogenese, beim erwachsenen Menschen tatsächlich noch funktioniert. Es sind jedoch nur in zwei Regionen Stammzellen vorhanden, im Bulbus olfactorius und im Gyrus dentatus als Eingangsregion des Hippocampus. Bezeichnenderweise wird der Hippocampus als primäres Organ zur Speicherung von Gedächtnisinhalten angesehen. „Es gibt eine klare Evidenz, dass synaptische Plastizität hier unmittelbar ans Lernen gekoppelt ist“, betont Hainmüller. Die Nervenzelltypen, die er und seine Kollegen dafür verstärkt in den Blick nehmen, sind erregende Körnerzellen und hemmende Interneuronen. Für die Bildung von Erinnerungen im Gehirn, so dachte man lange, hätten vor allem die zahlenmäßig weit überlegenen erregenden Neurone die wichtigste Bedeutung. Doch nun weiß man: Auch hemmende Interneuronen, von denen es etwa zehnmal weniger gibt, tragen erheblich dazu bei, dass wir uns Dinge merken können. Während eine erregende Nervenzelle eine Nachbarzelle aktiviert, schaltet ein Interneuron die nachfolgende Zelle ab. So kann es zur Trennung von ähnlichen Gedächtnisinhalten kommen. „Neuronen sind nicht wahllos aktiv, sondern synchron wie in einem Orchester: mal sind bestimmte Neuronen aktiv, zu anderen Zeiten andere“, sagt Hainmüller, „die Pause dazwischen wird von den hemmenden Interneuronen initiiert.“ Schaltet man die aus, geht die Synchronisierung verloren. Ein Blick in die Nervenzellaktivität verdeutlicht, wie die Stärke der synaptischen Übertragung Ich bin aktiv und ihr seid still modulierbar ist. Der Mediziner setzt seinen Fokus auf die Synapsen von erregenden Körnerzellen, die sich mit hemmenden Interneuronen im Gyrus dentatus verbinden. Im Wettstreit um die Informationsweitergabe sagt die Körnerzelle anderen erregenden Körnerzellen: „Ich bin jetzt aktiv und ihr müsst still sein“, und das tut sie mithilfe der Interneuronen, um ihre Information bevorzugt weiterzugeben. „Die Frage war: Wie können diese Körnerzellen mit ihren Synapsen Interneuronen aktivieren, die dann ihrerseits wieder andere Körnerzellen hemmen?“, erläutert Hainmüller, „und wie funktioniert dies während des Lernens und Erinnerns?“ Um das zu verstehen, müssen der Charakter der synaptischen Verbindungen sowie die Mechanismen, mit denen sie verändert werden können, genau bekannt sein. Eine Verstärkung von Synapsen zwischen Zellen wird erreicht, wenn sie gemeinsam aktiv sind. Das heißt, die Körnerzelle muss gleichzeitig mit dem Interneuron aktiv sein, damit diese Verbindung stärker wird, also das Interneuron effektiver aktiviert werden kann. Die gemeinsame Aktivierung ist wichtig, um neben den ionotropen AMPA-Rezeptoren auch die metabotropen Glutamatrezeptoren (mGluR) zu aktivieren. Auf molekularer Ebene ist eine Veränderung der Synapsen ein Zusammenspiel mehrerer Glutamatrezeptoren. Die Körnerzellen schütten Glutamat als erregenden Neurotransmitter aus, der an schnelle ionotrope Rezeptoren (AMPARezeptoren) am Interneuron bindet. Hainmüller und seine Kollegen fanden heraus, dass durch die AMPA-Rezeptoren Calcium in die Zelle strömen muss. Nebenbei erregt Glutamat auch die langsameren metabotropen Rezeptoren (mGluR), die eine Signalkaskade hervorrufen, indem sie ein G-Protein ins Zellinnere entsenden, wenn sowohl Körnerzelle als auch Interneuron aktiv sind. „Nur aus diesem Zusammenspiel von Calcium aus AMPA-Rezeptoren und dem G-Protein aus den metabotropen Rezeptoren kann hinterher in der postsynaptischen Zelle durch eine Second-messenger-Kaskade Plastizität ausgelöst werden“, so Hainmüller. Plastizität trennt Gedächtnisinhalte Mit Langzeitplastizität werden Erinnerungen geformt: Das Interneuron sendet über die Proteinkinase C (PKC) ein Signal zurück an die Körnerzelle, die nun dieser Verbindung Priorität einräumt und verstärkt Transmitter ausschüttet. © Hainmüller/Bartos, modifizert nach PNAS: Joint CP-AMPA and group I mGlu receptor activation is required for synaptic plasticity in dentate gyrus fast-spiking interneurons (2014; 111: 13211-6) Der Forscher und seine Kollegen vermuten, dass über diesen Mechanismus sichergestellt wird, dass die synaptische Plastizität nur dann tatsächlich ausgeführt wird, wenn Körnerzelle und Interneuron gleichzeitig aktiv sind. Und nur so kann die Verbindung zwischen den beiden enger werden und die Körnerzelle das Interneuron zukünftig stärker aktivieren. Gleichzeitig wird das Silencing (Stilllegen) von weniger aktiven Neuronen gefördert. „So könnte es dazu beitragen, dass zwei Informationen weiter voneinander getrennt werden, indem man Überlappung meidet und gleichzeitig das Aktivitätsniveau ein bisschen drosselt“, meint Hainmüller, „denn manche Dinge müssen ganz klar getrennt werden, wie zum Beispiel eine rote und eine grüne Ampel.“ Aufrechterhalten wird diese Verstärkung, indem das Interneuron über die Proteinkinase C (PKC) ein noch unbekanntes retrogrades Signal an die Präsynapse sendet, was die Wahrscheinlichkeit der Neurotransmitter-Freisetzung aus der Körnerzelle dauerhaft erhöht (Langzeitplastizität). In Versuchen mit Mäusen konnte das Bartos-Team bereits zeigen, dass beim Ausschalten der Interneuronen die Tiere in dieser Zeit keine Erinnerung formen und Defizite im Arbeitsgedächtnis aufwiesen. Umgekehrt ist es in aktuellen Studien gelungen, über künstliches Erzeugen synaptischer Plastizität mittels Optogenetik Erinnerungen neu zu generieren. Was medizinische Anwendungen bei Demenz oder Gedächtnisstörungen angeht, zeigt sich Hainmüller bescheiden: „Wir müssen erst mal verstehen, wie das Hirn lernt, dann können wir uns überlegen, wie wir Abweichungen korrigieren.“ Fachbeitrag 17.11.2014 Stephanie Heyl BioRegion Freiburg © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH Weitere Informationen Thomas Hainmüller Institut für Physiologie Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Hermann-Herder-Str. 7 79104 Freiburg Tel.: 0761 / 203 - 67309 E-Mail: thomas.hainmueller(at)physiologie.uni-freiburg.de Prof. Dr. Marlene Bartos Institut für Physiologie Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Hermann-Herder-Str. 7 79104 Freiburg Tel.: 0761 / 203 - 5194 E-Mail: marlene.bartos(at)physiologie.uni-freiburg.de Universität Freiburg, Institut für Physiologie Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers The neurosciences