BILD PETER LAUTH Harry Nussbaumer, Martin Läubli, Monica Kissling und Christoph Uehlinger diskutieren, ob die Astrologie wieder an Universitäten gelehrt werden sollte. «Natürlich sind wir alle Sternenkinder» Hat die Astrologie neben den Fortschritten in der Astronomie noch ihre Berechtigung? Eine Astrologin, ein Astronom und ein Religionswissenschaftler debattieren im TA-Podiumsgespräch. Das Gespräch führte Martin Läubli Herr Nussbaumer, was sehen Sie in den Sternen? Harry Nussbaumer: Ich bin in einer Zwickmühle. Bis gestern hätte ich mich ganz klar geäussert, dass wir Astronomen mit der Astrologie nichts am Hut haben. Jetzt bin ich plötzlich bekehrt, denn ich habe auf «Madame Etoiles» Website mein Horoskop gelesen. Da stand: «Als Skorpion sind Sie ohnehin der leidenschaftlichste Liebhaber, und die Sterne machen Sie in diesem Jahr noch unwiderstehlicher.» Das hat Ihnen geschmeichelt. . . Nussbaumer: Ja klar! Man kann sich vermutlich einem kleinen Einfluss des Horoskops gar nicht entziehen. Die Soziologen würden das «selbsterfüllende Prophezeiung» nennen. Das sagt aber nichts darüber aus, ob die Sterne etwas damit zu tun haben. Als Naturwissenschaftler hinterfrage ich natürlich sofort die Grundlagen. Monica Kissling: Solche Horoskope dienen in erster Linie der Unterhaltung und sind natürlich positiv formuliert, weil, wie Sie richtig sagen, ein gewisser Erfüllungszwang vorhanden ist. Herr Nussbaumer, Sie können sich also nicht vorstellen, als Astronom auch Astrologie zu betreiben. Nussbaumer: Ich kenne keinen professionellen Astronomen, der etwas mit Astrologie zu tun haben will. Schauen Sie, das Weltbild hat sich doch gründlich geändert. Früher glaubten Wissenschaftler wie der Grieche Ptolemäus, dass sich alle Himmelskörper um die Erde drehten und auf sie einwirkten. Das ist auch heute noch eine der Grundannahmen der Astrologie. Kissling: Es stört mich, dass Sie mit Ihrer Aussage die Astrologie mit einem Wisch vom Tisch fegen und sagen, die Astrologie sei widerlegt. Ich vermisse ein bisschen den Respekt vor grossen Wissenschaftlern wie Kepler oder C.G. Jung, die auch Astrologie betrieben. Sie ist eine ganzheitliche Lehre, während sich die Astronomie nur mit den messbaren physikalischen und mathematischen Dimensionen beschäftigt. Insofern ist die Astronomie ein Teilgebiet der Astrologie. Nussbaumer: Die alten Astrologen waren hochintelligente Leute, und ich habe grossen Respekt für sie. Ihre Kenntnisse beruhten aber auf dem alten Weltbild. Sie dachten, Planeten würden Feuer, Wasser und Luft durcheinanderwirbeln und uns so beeinflussen. Kepler stand mit einem Bein noch im Mittelalter, mit dem anderen war er ein ganz moderner Wissenschaftler. Er war überzeugt, dass Gott das Universum geometrisch aufgebaut hatte. Frau Kissling, was kann denn die Astrologie? Konnten die Astrologen die Wirtschaftskrise in den Sternen lesen? Kissling: Tatsächlich wurde die Finanzkrise vorausgesehen. Ein amerikanischer Kollege hat bereits vor 13 Jahren darauf hingewiesen, dass wir von 2008 bis 2015 eine globale Weltwirtschaftskrise haben würden. Das ist gut dokumentiert. Er wusste das, weil dieser Zeitraum ähnliche astrologische Konstellationen aufweist wie in den 30er-Jahren. Solch grosse Zyklen wiederholen sich. Können Sie auch einzelne Ereignisse voraussagen? Kissling: Nein. Die Astrologie ist nicht in der Lage, konkrete Voraussagen zu machen. Es handelt sich um eine Zyklenforschung. Wir können aber sagen, welches Verhalten sinnvoll ist. Wir erkennen aufgrund der planetaren Zyklen Gesetzmässigkeiten auf der Erde. Dazu gehören auch Tag und Nacht und die Jahreszeiten. Sie sehen also einen kausalen Zusammenhang zwischen den Sternen und dem Geschehen auf der Erde. Kissling: Nein, es besteht generell kein nachweisbares Ursache-Wirkung-Prinzip, sondern es ist ein Analogiemodell. Wir schauen, welche Konstellation momentan am Himmel ist und bringen sie dann in Zusammenhang mit dem Geschehen auf der Erde. Wer lange genug beobachtet, kann daraus gute Erkenntnisse gewinnen. Herr Uehlinger, sehen Sie die Trennung von Astrologie und Astronomie auch so klar wie Herr Nussbaumer? Oder anders gefragt: Was unterscheidet Kepler von einem modernen Astronomen? Christoph Uehlinger: Vieles. Kepler war Teil einer intellektuellen Tradition – er konnte sich beispielsweise nicht einfach von der Bibel verabschieden. Seit 1670 wird die Astrologie aber nicht mehr an Universitäten gelehrt. Heute erwirbt ein Astronom sein Wissen innerhalb der Grenzen seiner Wissenschaft. Aus meiner Sicht wäre die interessanteste Frage aber, wie in einer Gesellschaft Wissen generiert wird und wie verschiedene Wissensformen miteinander in Beziehung gesetzt werden. Warum investiert beispielsweise die ETH nur in die Astronomie und nicht auch in die Astrologie? Kissling: Ich bedaure sehr, dass es an den Universitäten keinen Lehrstuhl für Astrologie gibt. Das ist mitunter ein Grund, warum das Wissen der Astrologie so verkümmert ist. Viele Leute wissen gar nicht mehr, was hinter der Astrologie eigentlich steckt, und begegnen ihr deshalb sehr skeptisch. Es gibt leider praktisch keinen Austausch zwischen diesen beiden Weltbildern. Nussbaumer: Wir Naturwissenschaftler glauben eben an die Kausalität. Es gibt eine Ursache und eine Wirkung. Weil bei der Astrologie die Kausalität angeblich keine Rolle spielt, gehört sie auch nicht an die ETH. Uehlinger: Nur damit ich richtig verstanden werde: Ich plädiere nicht für einen Lehrstuhl für Astrologie an der ETH. Die Astrologie gehört am ehesten zur Wissenschaftsgeschichte der Astronomie. Ob und wo sie sonst noch hingehört, da bin ich mir nicht sicher. Dieser Anachronismus, dass man der Astrologie Gültigkeit für etwas zuschreibt, das wissenschaftlich längst überholt ist, ist eigentlich etwas typisch Religiöses. Deshalb glaube ich, dass die Astrologie eher den Religionen zuzuordnen ist. Kissling: Vielleicht gehört die Astrologie tatsächlich in den Bereich der Religion, oder eher noch der Philosophie. Denn es hat ja einen Sinn, dass die Sterne da oben sind. Die Astrologie hat die Aufgabe, diesen Sinn in den Sternen zu erkennen und ihn für uns zu deuten. Warum haben Sie, Herr Uehlinger, einen Lehrstuhl, und Frau Kissling hat keinen? Uehlinger: Der Religionswissenschaftler beobachtet, während der Astrologe praktiziert. Die Frage ist, inwiefern der praktizierende Astrologe bereit ist, sich selber zu beobachten und seine Arbeit kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls auszusteigen. Der Religionswissenschaftler glaubt an nichts, solange er Religionswissenschaft betreibt. Die Astrologie scheint sich in dieser Hinsicht noch nicht in eine moderne Wissenschaft gewandelt zu haben. Nussbaumer: Wenn man die Astrologie irgendwo im universitären Bereich ansiedeln müsste, so würde ich sie wahrscheinlich ins Gebiet der Psychotherapie einreihen. Wenn man den Sternen Eigenschaften zuspricht und dann Probleme der Leute am Himmel spiegelt, dann kann die Astrologie durchaus ihre Existenzberechtigung haben. Sie kann so sicher einen Prozess in Gang setzen, der den Menschen hilft. Frau Kissling, es kommen ja vermehrt auch Banker zu Ihnen – aufgeklärte Männer, die vor allem an Finanzmodelle glauben. . . Kissling: . . . sie glauben eben nicht mehr daran. Warum kommen sie zu Ihnen? Ist das bereits Resignation? Kissling: Sie kommen in erster Linie für eine Standortbestimmung. Die meisten glauben nicht an die Astrologie, aber sie sind vielleicht offen und nehmen an, was ich ihnen sage. Manche sagen, dass ich sie besser kenne als ihre Ehepartner. Auch für Unternehmen erstelle ich Horoskope und schaue, wie die Zyklen verlaufen. Beispielsweise habe ich einmal eines für die Migros gemacht, wo ich unter anderem das Gründungsdatum und den Tod von Gottlieb Duttweiler einbezogen habe. Zum Schluss: Trotz der Differenzen sind wir doch alle Sternenkinder, nicht wahr, Herr Nussbaumer? Nussbaumer: Ja, natürlich, wir sind Sternenkinder! Das habe ich meinen Studenten immer mit Vergnügen erzählt. Das Eisen, dass wir im Spinat essen, ist wie andere wichtige Elemente, die wir in uns tragen, in den Sternen entstanden. Sterne leben und sterben wie wir, es ist faszinierend! Einer der Gründe für die Astrologie ist natürlich das Aussehen der Planeten. Mars schimmert rot wie Blut, Venus leuchtet hell und lieblich. . . man projiziert die eigenen Vorstellungen in die Gestirne und holt sie dann wieder zurück. Uehlinger: Dass ein ETH-Astronom im 21. Jahrhundert immer noch menschliche Methaphern für die Entstehung und das Vergehen der Sterne verwendet, finde ich bemerkenswert. Sie sind vielleicht gar nicht so weit weg von den Astrologen. Aufgezeichnet von Viviane Bühr. Das Podium «Astronomie-Astrologie: Was uns die Sterne sagen» des «Tages-Anzeigers» fand am Mittwoch in der Veranstaltungsreihe «Treffpunkt Science City» der ETH Zürich statt.