Vorkurs: Grundlagen für das Mathematikstudium Caroline Uhler (2007) aktualisiert von Ulrich Derenthal (2008) Inhaltsverzeichnis 1 Logische Grundbegriffe 3 2 Elementare Mengenlehre 2.1 Mengen und Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Mengen und Teilmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Potenzmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 5 6 7 3 Relationen und Abbildungen 3.1 Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Relationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 8 8 9 4 Natürliche Zahlen 4.1 Peano Axiome 4.2 Rechnen in N . 4.3 Primzahlen . . 4.4 Abzählbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Beweistechniken 5.1 Behauptungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Beweistechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Direkter Beweis . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Widerspruchsbeweis (Indirekter Beweis) 5.2.3 Beweis der Kontraposition . . . . . . . . 5.2.4 Beweis durch vollständige Induktion . . 5.3 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 12 13 14 14 . . . . . . . 15 15 16 16 16 17 18 19 22 2 Kapitel 1 Logische Grundbegriffe Definition 1.1. Eine Aussage ist ein Satz, von dem man sinnvollerweise behaupten kann, dass er wahr“ (w) oder falsch“ (f ) ist. ” ” Beispiel 1.2. (i) Aussagen sind: - 625 ist eine Quadratzahl. - Krokodile leben vorwiegend in der Arktis. - Am 6. September 2050 wird es in Zürich regnen. (ii) Keine Aussagen sind: - Wie spät ist es? - Der hier niedergeschriebene Satz ist falsch. Aus einfachen Aussagen lassen sich durch logische Verknüpfungen kompliziertere bilden. Dabei gibt man mit Hilfe von Wahrheitstafeln an, wie der Wahrheitswert der zusammengesetzten Aussage durch die Werte der Teilaussagen bestimmt ist. Definition 1.3. Seien A und B Aussagen. (i) A ∧ B (in Worten: A und B“) heisst Konjunktion der Aussagen A und B und ist ” genau dann wahr, wenn sowohl A als auch B wahr sind. (ii) A ∨ B (in Worten: A oder B“) heisst Disjunktion der Aussagen A und B und ist ” genau dann falsch, wenn sowohl A als auch B falsch sind. A w w f f B w f w f A∧B w f f f A∨B w w w f Definition 1.4. Sei A eine Aussage. Dann heisst ¬A (in Worten: nicht A“) Negation der ” Aussage A und ist genau dann wahr, wenn A falsch ist. A ¬A w f f w 3 Definition 1.5. (i) Die Implikation A ⇒ B (in Worten: Aus A folgt B“ oder A im” ” pliziert B“) ist die zusammengesetzte Aussage (¬A) ∨ B. Dann heisst A hinreichend für B und B notwendig für A. (ii) Die Äquivalenz A ⇐⇒ B (in Worten: A gilt genau dann, wenn B gilt“ oder A ” ” und B sind äquivalent“) ist die zusammengesetzte Aussage (A ⇒ B) ∧ (B ⇒ A). A w w f f B w f w f A⇒B w f w w A ⇐⇒ B w f f w Der Wahrheitstafel entnimmt man, dass zwei Aussagen A und B genau dann äquivalent sind, wenn A und B den gleichen Wahrheitswert haben. Man kann Aussagen umformen: Satz 1.6. Seien A und B Aussagen. Dann gilt: (i) ¬(A ∧ B) ⇐⇒ (¬A) ∨ (¬B). (ii) ¬(A ∨ B) ⇐⇒ (¬A) ∧ (¬B). (iii) ¬(¬A) ⇐⇒ A. (iv) ¬(A ⇒ B) ⇐⇒ A ∧ (¬B). Beweis. Behauptungen (i), (ii), (iii) beweist man, indem man die Wahrheitstafeln für die Aussagen auf der linken und rechten Seite (in Abhängigkeit von den Wahrheitswerten von A und B) aufschreibt und feststellt, dass sie übereinstimmen. Behauptung (iv) folgt aus der Definition der Implikation sowie den schon bewiesenen Behauptungen (ii), (iii): ¬(A ⇒ B) ⇐⇒ ¬((¬A) ∨ B) ⇐⇒ (¬(¬A)) ∧ (¬B) ⇐⇒ A ∧ (¬B). Bemerkung 1.7. Die Aussage (¬B) ⇒ (¬A) heisst Kontraposition der Aussage A ⇒ B und es gilt: (A ⇒ B) ⇐⇒ ((¬B) ⇒ (¬A)) Beweis. Es gilt nach Definition der Implikation und Satz 1.6(iii): ((¬B) ⇒ (¬A)) ⇐⇒ (¬(¬B)) ∨ (¬A) ⇐⇒ (¬A) ∨ B ⇐⇒ (A ⇒ B). Bemerkung 1.8. Wir werden später weitere logische Grundbegriffe kennenlernen: Zeichen A : ⇐⇒ B a := b ∃ @ ∃! ∀ Bedeutung A gilt definitionsgemäss genau dann, wenn B gilt a ist definitionsgemäss gleich b es existiert es existiert nicht es existiert genau ein für alle 4 Kapitel 2 Elementare Mengenlehre Definition 2.1. Eine Menge ist eine Zusammenfassung von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten“ unserer Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen“. [Cantor, ” ” 1895] Bemerkung 2.2. Dies ist keine mathematisch exakte Definition, sondern nur eine intuitive Beschreibung unserer Vorstellung. Die Mengentheorie beruht auf Axiomensystemen (ZFC: Zermelo/Fraenkel mit Auswahlaxiom). 2.1 Mengen und Logik Sei X eine Menge. Für jedes Element x der Menge X sei E(x) eine Aussage, deren Wahrheitswert (möglicherweise) von x abhängt. Man kann E als Eigenschaft auffassen, die manche (oder keine oder alle) Elemente von X haben. Beispiel 2.3. Sei X = {1, 2, 3, 4, 5}. Für jedes x ∈ X sei E(x) die Aussage, dass x eine ungerade Zahl ist. Dann ist E(3) wahr und E(4) falsch. Definition 2.4. Sei X eine Menge und E eine Eigenschaft von Elementen von X. (i) {x ∈ X | E(x)} ( die Menge aller Elemente von X mit der Eigenschaft E“) ist definiert ” als die Menge aller Elemente x aus X, für die die (von x abhängige) Aussage E wahr ist. (ii) ∃ x ∈ X : E(x) ( es existiert ein x in X, für das E(x) gilt“) ist die (wahre oder falsche) ” Aussage, dass ein Element der Menge X existiert, das die Eigenschaft E hat. (iii) @ x ∈ X : E(x) ist die Aussage, dass kein Element von X mit der Eigenschaft E existiert. (iv) !∃ x ∈ X : E(x) ist die Aussage, dass genau ein Element von X mit der Eigenschaft E existiert. (v) ∀ x ∈ X : E(x) ist die Aussage, dass alle Element von X die Eigenschaft E haben. Bemerkung 2.5. (i) ¬ (∃ x ∈ X : E(x)) ⇐⇒ (∀ x ∈ X : ¬E(x)) (ii) ¬ (∀ x ∈ X : (∃ y ∈ Y : E(x, y))) ⇐⇒ (∃ x ∈ X : (∀ y ∈ Y : ¬E(x, y))) (iii) ¬(∃ x ∈ X : (∀ y ∈ Y : E(x, y))) ⇐⇒ (∀ x ∈ X : (∃ y ∈ Y : ¬E(x, y))) 5 Bemerkung 2.6. ∀ x ∃ y : E(x, y)“ und ∃ y ∀ x : E(x, y)“ sind zwei verschiedene Aussa” ” gen. 2.2 Mengen und Teilmengen Definition 2.7. Seien X und Y Mengen. (i) X ⊂ Y (in Worten: X ist Teilmenge von Y “ oder X ist in Y enthalten“) : ⇐⇒ ” ” (∀ x : x ∈ X ⇒ x ∈ Y ). (ii) X = Y (in Worten: X ist gleich Y “) : ⇐⇒ (X ⊂ Y ) ∧ (Y ⊂ X). ” (iii) Die leere Menge ∅ ist die Menge, die kein Element enthält. Für jede Menge X gilt ∅ ⊂ X. Satz 2.8. Seien X, Y und Z Mengen. Dann gilt: (i) X ⊂ X (Reflexivität). (ii) ((X ⊂ Y ) ∧ (Y ⊂ Z)) ⇒ (X ⊂ Z) (Transitivität). Definition 2.9. Sei X eine Grundmenge, M, N ⊂ X zwei Teilmengen von X. Dann heisst (i) M ∪ N := {x ∈ X | (x ∈ M ) ∨ (x ∈ N )} die Vereinigung von M und N . (ii) M ∩ N := {x ∈ X | (x ∈ M ) ∧ (x ∈ N )} der Durchschnitt von M und N . Gilt M ∩ N = ∅, so sind M und N disjunkt. (iii) M \N := {x ∈ X | (x ∈ M ) ∧ (x ∈ / N )} das (relative) Komplement von N in M . (iv) M c := X \M das Komplement von M . Bemerkung 2.10. Sei X eine Grundmenge, M, N ⊂ X zwei Teilmengen von X. Dann gilt: M \N = M ∩ N c . Satz 2.11. Sei X eine Grundmenge, M, N, P ⊂ X drei Teilmengen von X. Dann gilt: (i) M ∪ N = N ∪ M, M ∩N =N ∩M (ii) M ∪ (N ∪ P ) = (M ∪ N ) ∪ P, (Kommutativität). M ∩ (N ∩ P ) = (M ∩ N ) ∩ P (iii) M ∪(N ∩P ) = (M ∪N )∩(M ∪P ), (Assoziativität). M ∩(N ∪P ) = (M ∩N )∪(M ∩P ) 6 (Distributivität). Satz 2.12. Seien M und N zwei Mengen. Dann gilt: M ⊂ N ⇐⇒ M ∪ N = N ⇐⇒ M ∩ N = M. Satz 2.13. Sei X eine Grundmenge, M, N ⊂ X zwei Teilmengen von X. Dann gilt: (i) (M ∪ N )c = M c ∩ N c . (ii) (M ∩ N )c = M c ∪ N c . 2.3 Potenzmenge Die Elemente einer Menge Y können Teilmengen einer anderen Menge X sein. Beispiel 2.14. Sei X := {a, b, c}. Dann ist Y := {∅, {a}, {a, c}, {a, b, c}} eine Menge, deren Elemente Teilmengen von X sind. Definition 2.15. Sei X eine Menge. Dann ist P(X) (die Potenzmenge von X) die Menge, deren Elemente genau alle Teilmengen von X sind. Bemerkung 2.16. Sei X eine Menge. Dann gilt: (i) ∅ ∈ P(X), X ∈ P(X). Insbesondere ist P(X) nie leer. (ii) x ∈ X ⇐⇒ {x} ∈ P(X). (iii) Y ⊂ X ⇐⇒ Y ∈ P(X). Beispiel 2.17. (ii) P(∅) = {∅}, (i) P({a, b, c}) = {∅, {a}, {b}, {c}, {a, b}, {a, c}, {b, c}, {a, b, c}}. P({∅}) = {∅, {∅}}. Bemerkung 2.18. Nicht jede Ansammlung“ von Objekten“ lässt sich als Menge auffassen. ” ” Man könnte beispielsweise versuchen, die Menge X aller Mengen zu bilden: X := {x | x ist eine Menge}. Elemente von X sind also {1}, {1, 2}, ∅, {a} usw. Auch die Menge X ist ein Element von X. Nun könnte man versuchen, die folgende Teilmenge von X zu definieren. Die Menge Y aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten: Y = {x | (x ist Menge) ∧ (x ∈ / x)}. Versucht man nun die Frage zu beantworten, ob Y sich selbst enthält oder nicht, entdeckt man einen Widerspruch. In diesem Kurs werden solche Phänomäne aber keine weitere Rolle spielen. 7 Kapitel 3 Relationen und Abbildungen 3.1 Produkte Definition 3.1. Seien X, Y zwei Mengen, x, x0 ∈ X und y, y 0 ∈ Y . (i) (x, y) := {{x}, {x, y}} ⊂ P(X ∪ Y ) heisst geordnetes Paar und es gilt: (x, y) = (x0 , y 0 ) ⇐⇒ ((x = x0 ) ∧ (y = y 0 )). (ii) Das (kartesische) Produkt von X mit Y ist X × Y := {(x, y) ∈ P(P(X ∪ Y )) | x ∈ X, y ∈ Y }. Bemerkung 3.2. Sei X eine Mengen und x, x0 ∈ X. Dann gilt: (i) {x, x0 } ⊂ X und {x, x0 } = {x0 , x}. (ii) (x, x0 ) ∈ X × X und im allgemeinen (x, x0 ) 6= (x0 , x). Beispiel 3.3. Sei X := {1, 2, 3}, Y := {x, y}. Dann ist X × Y = {(1, x), (1, y), (2, x), (2, y), (3, x), (3, y)}. Satz 3.4. Seien X und Y zwei Mengen. (i) X × Y = ∅ ⇐⇒ ((X = ∅) ∨ (Y = ∅)). (ii) Im allgemeinen gilt: X × Y 6= Y × X. Beweis. Siehe Abschnitt 5.3, Beispiel 1. 3.2 Relationen Definition 3.5. Sei X eine Menge. Eine Menge R ⊂ X × X heisst Relation auf X. Notation 3.6. xRy : ⇐⇒ (x, y) ∈ R Beispiel 3.7. Sei W die Menge aller englischen Wörter und R := {(w1 , w2 ) ∈ W × W | w1 und w2 haben den gleichen Anfangsbuchstaben}. Konkret: all“ R at“. ” ” 8 Definition 3.8. Sei R eine Relation auf X. R heisst (i) reflexiv : ⇐⇒ (∀ x ∈ X gilt: xRx). (ii) symmetrisch : ⇐⇒ (∀ x, y ∈ X gilt: xRy ⇒ yRx). (iii) transitiv : ⇐⇒ (∀ x, y, z ∈ X gilt: xRy ∧ yRz ⇒ xRz). Erfüllt R jede dieser drei Eigenschaften, so heisst R Äquivalenzrelation auf X. Beispiel 3.9. Die Relation R ⊂ W × W aus Beispiel 3.7 ist eine Äquivalenzrelation. Notation 3.10. Sei R ⊂ X × X eine Äquivalenzrelation auf X. Wir schreiben: x ∼R y : ⇐⇒ (x, y) ∈ R. Definition 3.11. Sei R ⊂ X × X eine Äquivalenzrelation auf X. Die Menge [x] := {y ∈ X | y ∼R x} heisst Äquivalenzklasse von x. Ist y ∈ [x], so heisst y ein Repräsentant von [x]. Bemerkung 3.12. Ist R eine Äquivalenzrelation auf X, so zerfällt X in paarweise disjunkte Äquivalenzklassen: Jedes Element liegt in genau einer dieser Äquivalenzklassen. Beispiel 3.13. Die Äquivalenzrelation R ⊂ W × W aus Beispiel 3.7 zerfällt in 26 paarweise disjunkte Äquivalenzklassen. Definition 3.14. Eine Relation R ⊂ X × X heisst antisymmetrisch : ⇐⇒ ∀ x, y ∈ X gilt: xRy ∧ yRx ⇒ x = y. Definition 3.15. (i) Eine Relation R ⊂ X × X heisst Ordnungsrelation auf X : ⇐⇒ R ist reflexiv, transitiv und antisymmetrisch. (ii) Ist R eine Ordnungsrelation auf X, so heisst das Paar (X, R) geordnete Menge. Beispiel 3.16. Sei X eine nichtleere Menge. Dann ist R := {(X1 , X2 ) ∈ P(X) × P(X) | X1 ⊂ X2 } eine Ordnungsrelation auf P(X). Definition 3.17. Eine Ordnungsrelation R auf X heisst linear : ⇐⇒ xRy ∨ yRx. Beispiel 3.18. ∀ x, y ∈ X gilt: (i) Sei X := R. Dann ist R := {(r1 , r2 ) ∈ R × R | r1 ≤ r2 } eine lineare Ordnungsrelation auf R. (ii) Für welche Mengen X ist die Ordnungsrelation auf P(X) in Beispiel 3.16 ist eine lineare Ordnungsrelation? 3.3 Abbildungen Definition 3.19. Seien X, Y zwei Mengen. Eine Abbildung ϕ von X nach Y ist eine Vorschrift“, die jedem Element von M genau ein Element von Y zuordnet. Wir schreiben ” dafür ϕ : X → Y, x 7→ y = ϕ(x). 9 Bemerkung 3.20. Dies ist eine vage Definition. Was ist eine Vorschrift“? ” Definition 3.21. Seien X, Y zwei Mengen. Eine Abbildung von X nach Y ist eine Teilmenge Φ ⊂ X × Y mit folgender Eigenschaft: ∀ x ∈ X ∃! y ∈ Y mit (x, y) ∈ Φ. Notation 3.22. (i) Wir schreiben ϕ : X → Y “ statt Φ ⊂ X × Y “ und y = ϕ(x)“ statt ” ” ” (x, y) ∈ Φ“. ” (ii) Abb(X, Y ) := {ϕ | ϕ ist eine Abbildung von X nach Y }. Definition 3.23. Sei ϕ ∈ Abb(X, Y ). Dann heisst X Definitionsbereich von ϕ, Y Wertebereich von ϕ und ϕ(x) Bild von x unter ϕ. Definition 3.24. Sei ϕ ∈ Abb(X, Y ). Dann heisst (i) im(ϕ) := {y ∈ Y | ∃ x ∈ X mit y = ϕ(x)} Bild von ϕ. (ii) graph(ϕ) := {(x, y) ∈ X × Y | y = ϕ(x)} Graph von ϕ. Bemerkung 3.25. Es gilt: graph(ϕ) = Φ. Definition 3.26. Sei ϕ ∈ Abb(X, Y ), A ⊂ X, B ⊂ Y . Dann heisst (i) ϕ(A) := {y ∈ Y | ∃ x ∈ A mit y = ϕ(x)} Bild von A (unter ϕ). (ii) ϕ−1 (B) := {x ∈ X | ϕ(x) ∈ B} Urbild von B (unter ϕ). Speziell: Für b ∈ Y heisst ϕ−1 ({b}) Faser von ϕ über b. Bemerkung 3.27. Seien ϕ, ψ ∈ Abb(X, Y ). Dann gilt: ϕ = ψ ⇐⇒ (ϕ(x) = ψ(x) Beispiel 3.28. ∀ x ∈ X). (i) Die Abbildung idX : X → X, x 7→ x ist die Identität (von X). (ii) Sei X ⊂ Y . Dann heisst die Abbildung i : X → Y , x 7→ x Inklusion von X in Y . (iii) Seien X, Y nichtleere Mengen und b ∈ Y fest gewählt. Dann ist ϕ : X → Y , x 7→ b eine konstante Abbildung. (iv) Sei ϕ : X → Y eine Abbildung und es gelte A ⊂ X. Dann heisst die Abbildung f |A : A → Y , x 7→ ϕ(x) die Restriktion von ϕ auf A. Definition 3.29. Eine Abbildung ϕ : X → Y heisst (i) injektiv : ⇐⇒ (∀ x, y ∈ X gilt: ϕ(x) = ϕ(y) ⇒ x = y). (ii) surjektiv : ⇐⇒ im(ϕ) = Y . (iii) bijektiv : ⇐⇒ ϕ ist injektiv und surjektiv. Beispiel 3.30. (i) ϕ1 : R → R, x 7→ x2 ist weder injektiv noch surjektiv. (ii) ϕ2 : R≥0 → R, x 7→ x2 ist injektiv, aber nicht surjektiv. 10 (iii) ϕ3 : R → R≥0 , x 7→ x2 ist surjektiv, aber nicht injektiv. (iv) ϕ4 : R≥0 → R≥0 , x 7→ x2 ist bijektiv. Lemma 3.31. Seien ϕ : X → Y , ψ : Y → Z zwei Abbildungen. Dann existiert eine Abbildung ψ ◦ ϕ : X → Z, definiert durch x 7→ ψ(ϕ(x)) ∀ x ∈ X, die Komposition von ψ mit ϕ. Satz 3.32. Eine Abbildung ϕ : X → Y ist genau dann bijektiv, wenn es eine Abbildung ψ : Y → X gibt mit ψ ◦ ϕ = idX und ϕ ◦ ψ = idY . In diesem Fall ist ψ eindeutig bestimmt und heisst Umkehrabbildung zu ϕ. Notation 3.33. Ist ϕ : X → Y bijektiv, so wird die eindeutig bestimmte Umkehrabbildung mit ϕ−1 : Y → X bezeichnet. Satz 3.34. Seien ϕ : X → Y und ψ : Y → Z zwei bijektive Abbildungen. Dann ist auch ψ ◦ ϕ : X → Z bijektiv und es gilt: (ψ ◦ ϕ)−1 = ϕ−1 ◦ ψ −1 . 11 Kapitel 4 Natürliche Zahlen 4.1 Peano Axiome Definition 4.1. Eine Menge U heisst unendlich : ⇐⇒ ∃ ϕ : U → U injektiv, nicht surjektiv. Axiom 4.2. Es gibt unendliche Mengen. Definition 4.3. (Peano Axiome) Eine Menge von natürlichen Zahlen ist ein Tripel (N, S, 0), das aus einer Menge N , einer Selbstabbildung S : N → N und einem ausgezeichneten Element 0 ∈ N besteht und folgende Bedingungen erfüllt: 1) S ist injektiv, 2) 0 ∈ / S(N ), 3) Ist M eine Teilmenge von N , für die gilt: i) 0 ∈ M , ii) S(M ) ⊂ M , so ist M = N . Proposition 4.4. Es existiert eine Menge von natürlichen Zahlen. Ist (N, S, 0) eine Menge von natürlichen Zahlen, so nennen wir die Elemente von N natürliche Zahlen, S die Nachfolgerabbildung und 0 die Null. Bemerkung 4.5. Die Peano Axiome können folgendermassen interpretiert werden: 1) Trifft man beim Zählen zwei Mal auf die gleiche Zahl, so hat man sich verzählt. 2) 0 als Ausgangspunkt des Zählens wird nie erreicht. 3) Dieses Axiom entspricht dem Prinzip der vollständigen Induktion Proposition 4.6. (Prinzip der vollständigen Induktion) Um eine Aussage A(n) für alle natürlichen Zahlen n zu beweisen, genügt es folgendes zu zeigen: 1) A(0) ist wahr (Induktionsanfang). 2) Wenn A(n) für irgendein n ∈ N wahr ist, so ist auch A(S(n)) wahr (Induktionsschluss). 12 Theorem 4.7. (Dedekind’scher Rekursionssatz) Sei A eine Menge, a ∈ A, α : A → A eine Abbildung. Dann existiert genau eine Abbildung ϕ : N → A mit ϕ(0) = a und ϕ ◦ S = α ◦ ϕ. Korollar 4.8. (Einzigkeit) Seien (N, S, 0) und (N’,S’,0’) zwei Mengen von natürlichen Zahlen. Dann existiert genau eine bijektive Abbildung ϕ : N → N 0 mit ϕ(0) = 00 und ϕ ◦ S = S 0 ◦ ϕ. Also sind je zwei Mengen von natürlichen Zahlen kanonisch identifizierbar. Notation 4.9. N = {0, 1, 2, . . . }, wobei 1 := S(0), 2 := S(1), usw. 4.2 Rechnen in N Definition 4.10. Sei M eine nichtleere Menge. Eine Verknüpfung auf M ist eine Abbildung ◦ : M × M → M. Notation 4.11. a ◦ b := ◦(a, b) ∈ M . Definition 4.12. Eine Verknüpfung ◦ : M × M → M auf M heisst (i) assoziativ : ⇐⇒ (∀ a, b, c ∈ M gilt: (a ◦ b) ◦ c = a ◦ (b ◦ c)). (ii) kommutativ : ⇐⇒ (∀ a, b ∈ M gilt: a ◦ b = b ◦ a). Definition 4.13. Sei H eine nichtleere Menge und ◦ eine Verknüpfung auf H. Das Paar (H, ◦) heisst Halbgruppe : ⇐⇒ ◦ ist assoziativ. Definition 4.14. Sei (H, ◦) eine Halbgruppe. Ein Element e ∈ H heisst neutrales Element : ⇐⇒ ∀ a ∈ H gilt: e ◦ a = a ◦ e = a. Proposition 4.15. Auf der Menge N der natürlichen Zahlen können auf eindeutige Weise zwei Verknüpfungen, die Addition + und die Multiplikation ·, sowie eine Ordnungsrelation ≤ definiert werden, so dass die folgenden Aussagen gelten: (i) Die Addition ist assoziativ, kommutativ und besitzt 0 als neutrales Element. (ii) Die Multiplikation ist assoziativ, kommutativ und besitzt 1= S(0) als neutrales Element. (iii) Es gilt das Distributivgesetz (l + m) · n = l · n + m · n ∀ l, m, n ∈ N. (iv) 0 · n = 0 (v) N ist durch ≤ linear geordnet. (vi) Zu n ∈ N gibt es kein k ∈ N mit n < k < n + 1. (vii) Die Ordnungsrelation ≤ ist monoton bezüglich +, das heisst m ≤ n ⇐⇒ m + l ≤ n + l ∀ m, n, l ∈ N. (viii) Die Ordnungsrelation ≤ ist monoton bezüglich ·, das heisst m ≤ n ⇐⇒ m · l ≤ n · l 13 ∀ m, n, l ∈ N. Satz 4.16. (Euklidischer Algorithmus oder Division mit Rest) Zu m ∈ N \{0} und n ∈ N gibt es genau ein k ∈ N und genau ein l ∈ N mit n=k·m+l und l < m. Beweis. Siehe Abschnitt 5.3, Beispiel 3. 4.3 Primzahlen Definition 4.17. Seien a, b ∈ Z. b 6= 0 heisst Teiler von a : ⇐⇒ ∃ q ∈ Z mit a = q · b. Notation 4.18. Ist b ein Teiler von a, so schreibt man b | a (in Worten: b teilt a“). ” Definition 4.19. Eine Zahl p ∈ N\{0, 1} heisst Primzahl, falls für alle a, b ∈ N gilt: p | (a · b) ⇒ (p | a oder p | b). Proposition 4.20. Eine Zahl p ∈ N\{0, 1} ist genau dann eine Primzahl, wenn für alle n ∈ N gilt: n | p ⇒ n ∈ {1, p}. Lemma 4.21. Sei n ∈ N\{0, 1}. Dann gibt es eine Primzahl p mit p | n, und zwar ist der kleinste Teiler p > 1 von a eine Primzahl. Proposition 4.22. (Fundamentalsatz der elementaren Zahlentheorie) Jede natürliche Zahl n ∈ N\{0, 1} besitzt eine Darstellung n = p1 · p2 · · · pn als Produkt endlich vieler Primzahlen. Diese Primfaktorzerlegung ist bis auf die Reihenfolge der auftretenden Primzahlen eindeutig bestimmt. Proposition 4.23. (Satz von Euklid) Es existieren unendlich viele Primzahlen. Beweis. Siehe Abschnitt 5.3, Beispiel 2. 4.4 Abzählbarkeit Definition 4.24. Eine Menge M ist endlich : ⇐⇒ M ist nicht unendlich. Beispiel 4.25. (i) N ist unendlich. (ii) Sei m ∈ N. Dann ist N≤m := {n ∈ N | n ≤ m} endlich. Definition 4.26. Zwei Mengen M und N heissen gleichmächtig, wenn es eine bijektive Abbildung von M nach N gibt. Definition 4.27. (i) Eine Menge M heisst abzählbar : ⇐⇒ M und N sind gleichmächtig. (ii) Eine Menge M heisst überabzählbar : ⇐⇒ M ist unendlich und nicht abzählbar. Beispiel 4.28. (i) N, Z und Q sind abzählbar. (ii) R, C und P(N) sind überabzählbar. 14 Kapitel 5 Beweistechniken Beweise sind für die Mathematik existentiell. Ein Beweis besteht aus einer geschlossenen und lückenlosen Ableitung einer zuvor formulierten Behauptung aus den zugrundeliegenden Axiomen, den gegebenen Voraussetzungen und den schon bewiesenen Behauptungen. 5.1 Behauptungen Bevor man mit dem Beweisen einer Aussage beginnen kann, muss man die Behauptung verstehen. Es gibt verschiedene Arten von Behauptungen: 1) A ⇒ B. A und B sind zwei Aussagen. Es ist sehr wichtig zwischen der zusammengesetzten Aussage A ⇒ B und den Einzelaussagen A und B zu unterscheiden. Um zu zeigen, daß die Aussage A ⇒ B immer richtig ist, können wir zwei Fälle unterscheiden. Im ersten Fall ist die Aussage A falsch. Da aber dann nach Definition 1.5 die Aussage A ⇒ B immer richtig ist, egal ob die Aussage B wahr oder falsch ist, braucht man in diesem Fall nichts zu beweisen. Im zweiten Fall ist die Aussage A wahr. Dann muss aber auch die Aussage B wahr sein, um die Implikation A ⇒ B wahr zu machen. Dies braucht nun einen Beweis. Das ist der Grund, warum man die Aussage A als richtig voraussetzt und unter dieser Voraussetzung dann beweist, dass die Aussage B (die Behauptung) auch richtig ist. 2) A ⇐⇒ B. Diese Aussage beweist man meist, indem man die beiden Implikationen A ⇒ B und B ⇒ A einzeln zeigt. 3) M = N. Die Gleichheit zweier Mengen beweist man meist, indem man die beiden Inklusionen M ⊂ N und N ⊂ M einzeln zeigt. 4) ∀ x ∈ M gilt A(x). Hier muss die Gültigkeit der Aussage A(x) bewiesen werden, egal welchen konkreten Wert x ∈ M annimmt. Deswegen ist hier die Voraussetzung: Sei x ∈ M ein beliebig gewähltes Element. Die Behauptung ist: Für dieses Element gilt A(x). 5) ∃ x ∈ M für das A(x) gilt. (Existenzaussage) 15 ∃“ ist immer zu lesen als es gibt mindestens ein“. Anderenfalls steht ∃!“. Eine Exi” ” ” stenzaussage beweist man meist, indem man einen (geeignet konstruierten) konkreten Wert x0 für x nennt und zeigt, dass A(x0 ) gilt. 6) ∃! x ∈ M für das A(x) gilt. (Existenz- und Eindeutigkeitsaussage) Hier muß man neben der Existenz eines x0 ∈ M , welches A(x0 ) erfüllt, auch zeigen, dass es keine weiteren Elemente y in M gibt, für welche A(y) gilt. Dies macht man meist, indem man annimmt, dass es ein weiteres Element y ∈ M gibt, für welches A(y) gilt und dann zeigt, dass y = x0 gilt. 7) ∀ y ∃ x für das A(x) gilt. Um ein konkretes x zu konstruieren, darf man in diesem Fall y verwenden; x könnte also z.B. folgendermassen aussehen: x = y − 3. 5.2 Beweistechniken Die Extraktion von Voraussetzung und Behauptung schafft Übersicht. Nun muss die Behauptung bewiesen werden. Dabei können verschiedene Beweistechniken behilflich sein. 5.2.1 Direkter Beweis Um eine Aussage der Form A ⇒ B zu beweisen, verwendet man im direkten Beweis die Tatsache, dass gilt ((A ⇒ C) ∧ (C ⇒ B)) ⇒ (A ⇒ B). Um also die Gültigkeit des Satzes A ⇒ B zu zeigen, wird die Aussage A ⇒ B in bereits als richtig erkannte Teilaussagen (A ⇒ C1 ), (C1 ⇒ C2 ), . . . , (Cn ⇒ B) zerlegt. Es ist hilfreich, in den Argumentationsschritten die Definitionen der Begriffe einzusetzen, die in den Aussagen vorkommen. Zudem dürfen in der Argumentation nur Sätze verwendet werden, die schon bewiesen wurden. Beispiel: Behauptung: Die Mengeninklusion ⊂ ist transitiv. Beweis: Nach Definition der Transitivität ist folgendes zu zeigen: Seien M , N und P Mengen mit M ⊂ N und N ⊂ P . Dann gilt: M ⊂ P . Die Aussage M ⊂ P bedeutet definitionsgemäss: ∀m : m ∈ M ⇒ m ∈ P. Sei also m ∈ M ein beliebiges Element. Nach der Voraussetzung M ⊂ N gilt: ∀ x : x ∈ M ⇒ x ∈ N . Daraus folgt: m ∈ N . Nach der Voraussetzung N ⊂ P gilt: ∀ y : y ∈ N ⇒ y ∈ P . Daraus folgt m ∈ P . ¤ 5.2.2 Widerspruchsbeweis (Indirekter Beweis) Es soll die Wahrheit einer Implikation A ⇒ B beweisen werden. Diese ist gegeben, wenn die Verneinung der Implikation, also die Aussage ¬B ∧ A (vgl. Satz 1.6(iv)) falsch ist. Kann man eine Implikation (¬B ∧ A) ⇒ C zeigen, wobei C eine falsche Aussage ist, so muss ¬B ∧ A falsch und somit A ⇒ B wahr sein. 16 In der Praxis bedeutet dies: Unter der Voraussetzung A und der zusätzlichen Annahme ¬B zieht man solange direkte Schlüsse, bis man auf einen Widerspruch C stösst. Dabei ist ein Widerspruch eine Aussage der Form Z ∧ ¬Z. Beispiel: √ 2 ist keine rationale Zahl (oder: x2 = 2 ⇒ x ist irrational). √ √ Beweis: Annahme: 2 ist eine rationale Zahl. Dann gibt es a, b ∈ Z, so dass 2 = a/b. Wir können annehmen, dass a/b ein vollständig gekürzter Bruch ist, d.h., dass a und b teilerfremd sind. Es gilt also: √ a 2= b a2 ⇒ 2= 2 b ⇒ 2b2 = a2 Behauptung: ⇒ a2 ist gerade ⇒ a ist gerade ⇒ ∃ r ∈ Z, so dass a = 2r ⇒ 2b2 = a2 = (2r)2 ⇒ 2b2 = 4r2 ⇒ b2 = 2r2 ⇒ b2 ist gerade ⇒ b ist gerade ⇒ 2|a ∧ 2|b Das√ist aber ein Widerspruch zur Annahme, dass der Bruch a/b vollständig gekürzt ist. Also ist 2 keine rationale Zahl. ¤ 5.2.3 Beweis der Kontraposition Manchmal ist es einfacher, statt der Aussage A ⇒ B ihre Kontraposition ¬B ⇒ ¬A zu beweisen. Gemäss Bemerkung 1.7 ist die Kontraposition zur gewünschten Aussage A ⇒ B äquivalent. Beispiel: Behauptung: ∀ n ∈ N gilt: n3 gerade ⇒ n gerade. Beweis: Annahme: n ist ungerade. ⇒ ∃ k ∈ N, so dass n = 2k + 1 ⇒ n3 = (2k + 1)3 = 8k 3 + 12k 2 + 6k + 1 ⇒ n3 ist ungerade (da 8k 3 + 12k 2 + 6k gerade ist) ¤ 17 5.2.4 Beweis durch vollständige Induktion Dieses Beweisprinzip beruht auf Proposition 4.6 und kann angewendet werden, um Aussagen über die natürlichen Zahlen oder über andere abzählbare Mengen zu beweisen. Man kann aber niemals Aussagen über überabzählbare Mengen, wie z.B. Aussagen über die reellen Zahlen, mit vollständiger Induktion beweisen. Das Induktionsverfahren, um eine Aussage der Form A(n) ist wahr ∀ n ∈ N zu beweisen, besteht aus den folgenden Schritten: 1) Induktionsanfang: Zeigen Sie, dass die Aussage A(0) wahr ist. 2) Formulieren Sie die Induktionsvoraussetzung A(n). 3) Formulieren Sie die Induktionsbehauptung A(n + 1). 4) Induktionsschluss: Zeigen Sie, dass für beliebiges n ∈ N die folgende Implikation gilt: A(n) ⇒ A(n + 1). In vielen Anwendungen ist es wichtig, den Induktionsanfang nicht bei 0, sondern bei einer Zahl n0 ∈ N zu setzen. Durch die vollständige Induktion kann in diesem Fall gezeigt werden, dass A(n) für jedes n ∈ N, n ≥ n0 , gilt. Beispiel: Behauptung: ∀ n ∈ N, n ≥ 1 gilt: 1 + 3 + 5 + · · · + (2n − 1) = n2 . Beweis: durch vollständige Induktion. 1) Induktionsanfang bei n0 = 1: 2) Induktionsvoraussetzung: 3) Induktionsbehauptung: 1 = 12 Sei n ∈ N, n ≥ 1, und es gelte: 1+3+5+· · ·+(2n−1) = n2 . 1 + 3 + 5 + · · · + (2(n + 1) − 1) = (n + 1)2 4) Induktionsschluss: 1 + 3 + 5 + · · · + (2(n + 1) − 1) = 1 + 3 + 5 + · · · + (2n + 1) = [1 + 3 + 5 + · · · + (2n − 1)] + (2n + 1) = n2 + (2n + 1) = (n + 1) (Induktionsvoraussetzung eingesetzt) 2 ¤ Falsches Beispiel: Behauptung: ∀ n ∈ N, n ≥ 1 gilt: Wenn sich unter n Tieren ein Elefant befindet, dann sind alle diese Tiere Elefanten. Beweis: durch vollständige Induktion. 18 1) Induktionsanfang bei n0 = 1: Wenn von einem Tier eines ein Elefant ist, dann sind alle diese Tiere Elefanten. 2) Induktionsvoraussetzung: Sei n ∈ N, n ≥ 1, und die Behauptung sei richtig. 3) Induktionsbehauptung: Wenn sich unter n + 1 Tieren ein Elefant befindet, dann sind alle diese Tiere Elefanten. 4) Induktionsschluss: Sei unter n + 1 Tieren eines ein Elefant. Wir stellen die Tiere so in eine Reihe, daß sich dieser Elefant unter den ersten n Tieren befindet. Nach Induktionsannahme sind dann alle diese ersten n Tiere Elefanten. Damit befindet sich aber auch unter den letzten n Tieren ein Elefant, womit diese auch alle Elefanten sein müssen. Also sind alle n + 1 Tiere Elefanten. Was ist an diesem Beweis falsch? Im Fall n + 1 = 2 kann man den Elefanten zwar so stellen, daß er bei den ersten n = 1 Tieren steht. Folglich sind alle Tiere unter den ersten n = 1 Tieren Elefanten. Aber deshalb befindet sich unter den letzten n = 1 Tieren nicht notwendigerweise ein Elefant. Der Induktionsschluß funktioniert also erst von n ≥ 2 auf n + 1 ≥ 3, doch die Induktionsvoraussetzung wurde nur gezeigt für n = 1. 5.3 Beispiele Das hier gelernte Handwerk reicht jedoch nicht aus, um Beweise vollständig zu führen. Kreativität ist gefragt, um die richtigen Argumente im Übergang von Voraussetzung zu Behauptung zu finden. Zudem gibt es kaum Beweise, welche nur eine Beweistechnik verwenden, sondern meist ist eine Kombination der verschiedenen Techniken gefragt. Ein Beweis ist immer eine Mischung aus Kreativität und solidem Handwerk. Im Folgenden werden wir einige Behauptungen aus den vorangegangenen Kapiteln beweisen, um die oben beschriebenen Techniken zu verdeutlichen und einzuüben. Beispiel 1: Behauptung: (Satz 3.4) Seien X und Y zwei Mengen. (i) X × Y = ∅ ⇐⇒ ((X = ∅) ∨ (Y = ∅)). (ii) Im allgemeinen gilt: X × Y 6= Y × X. Beweis: (i) Wir müssen zwei Aussagen beweisen, nämlich die Aussage X × Y = ∅ ⇒ ((X = ∅) ∨ (Y = ∅)) sowie deren Umkehrung. Dies deuten wir durch die Symbole ⇒“ und ⇐“ an. ” ” ⇒“ Wir führen einen Widerspruchsbeweis. Also nehmen wir an, X × Y = ∅ und die Aussage ” (X = ∅) ∨ (Y = ∅) sei falsch. ⇒ Die Aussage (X 6= ∅) ∧ (Y 6= ∅) ist richtig. ⇒ ∃x ∈ X ∧ ∃y ∈ Y ⇒ ∃ (x, y) ∈ X × Y ⇒ X × Y 6= ∅ Dies widerspricht aber der Voraussetzung X × Y = ∅. 19 (nach Satz 1.6(ii)) ⇐“ Wir beweisen die Kontraposition der Aussage ((X = ∅) ∨ (Y = ∅)) ⇒ X × Y = ∅. Sei ” also X × Y 6= ∅. ⇒ ∃ (x, y) ∈ X × Y ⇒ ∃x ∈ X ∧ ∃y ∈ Y ⇒ (X 6= ∅) ∧ (Y 6= ∅) ⇒ ¬((X = ∅) ∨ (Y = ∅)) (ii) Wir geben ein Gegenbeispiel an: Sei X := {1, 2} und Y := {a}. Dann gilt: X ×Y 6= Y ×X. ¤ Beispiel 2: Behauptung: (Proposition 4.23) Es gibt unendlich viele Primzahlen. Beweis: Wir führen einen Widerspruchsbeweis. Also nehmen wir an, dass es nur endlich viele Primzahlen p1 , . . . , pn gibt. Wir bilden die Zahl x := p1 · p2 · . . . · pn + 1. ⇒ x ist keine Primzahl, da x > pj , ⇒ ∃ Primzahl, die x teilt. ∀ j = 1, . . . , n. (nach Lemma 4.21) ⇒ ∃ i ∈ {1, . . . , n} mit pi | x ⇒ ∃ k ∈ N mit pi · k = x = p1 · p2 · . . . · pn + 1 ⇒ pi · (k − p1 · . . . · pi−1 · pi+1 · . . . · pn ) = 1 ⇒ pi | 1 Dies ist aber ein Widerspruch dazu, dass pi eine Primzahl ist. ¤ Beispiel 3: Behauptung: (Proposition 4.16) Zu m ∈ N \{0} und n ∈ N gibt es genau ein k ∈ N und genau ein l ∈ N mit n = k · m + l und l < m. Beweis: (a) Wir verifizieren zuerst die Existenzaussage. Dazu wählen wir m ∈ N\{0} beliebig und setzen N := {n ∈ N | ∃ k, l ∈ N mit n = k · m + l, l < m}. Durch vollständige Induktion werden wir nun zeigen, dass N = N gilt, was die Existenzaussage beweist. 1) Induktionsanfang: 0 ∈ N , da 0 = 0 · m + 0. 2) Induktionsvoraussetzung: Sei n ∈ N . ⇒ ∃ k, l ∈ N mit n = k · m + l, l < m. 3) Induktionsbehauptung: n + 1 ∈ N . 4) Induktionsschluss: n + 1 = (k · m + l) + 1 = k · m + (l + 1). Nun müssen wir zwei Fälle unterscheiden: 20 - Fall I: Ist l + 1 < m, so ist n + 1 ∈ N . - Fall II: Ist l + 1 = m, so ist n + 1 = k · m + m = (k + 1) · m + 0 ∈ N . Somit gilt also N = N. (b) Um die Eindeutigkeit zu beweisen, nehmen wir an, es seien m ∈ N\{0} und k, k 0 , l, l0 ∈ N mit k · m + l = k 0 · m + l0 und l < m, l0 < m, gegeben. Zudem können wir annehmen, dass l ≤ l0 gelte. Der Fall l0 ≤ l kann analog behandelt werden. l ≤ l0 ⇒ k 0 · m + l0 = k · m + l ≤ k · m + l0 ⇒ k0 · m ≤ k · m ⇒ k0 ≤ k Es gilt auch: l0 < m ⇒ k · m ≤ k · m + l = k 0 · m + l0 < k 0 · m + m = (k 0 + 1) · m ⇒ k < k0 + 1 Also erhalten wir: k 0 ≤ k < k 0 + 1. Nach Proposition 4.15(vi) ist dies nur für k = k 0 möglich. Daraus folgt auch l = l0 und somit die Eindeutigkeit. ¤ 21 Kapitel 6 Literatur [1] H. Amann, J. Escher, Analysis I, Birkhäuser Verlag 2002. [2] O. Deiser, Einführung in die Mengenlehre, Springer Verlag 2002. [3] K. Fritzsche, Mathematik für Einsteiger, Spektrum Akademischer Verlag, 1995. 22