Nr. 439 vom 12. Januar 2010 Biodiversität als Koppelprodukt der Landwirtschaft ZUSAMMENFASSUNG. Die Artenvielfalt nimmt zu, die Ökoflächen bleiben konstant, die Agrobiodiversität ist in Genbanken gesichert. Doch die Vielfalt wird immer gleichförmiger. Und die vielfältigen Familienbetriebe, die Hüter einer vielfältigen Landwirtschaft, drohen zum Auslaufmodell zu werden. Von Eveline Dudda, Dipl.Agr.Ing. und Stimmen die Lebensbedingungen, dann haben Raupen, Schmetterlinge und viele andere Tiere in den landwirtschaftlichen Kulturen Platz. (ed) Agrarjournalistin schweizerische Landwirtschaft ist be- Das Jahr 2010 ist das Jahr der Biodi- Mehr Arten – weniger Artenreichtum versität. Zahlreiche Aktivitäten sind Obwohl zugunsten der Biodiversität könnten dazu führen, dass sich der geplant, häufig wird dabei die Land- bereits vieles unternommen und vieles Acker-, Obst- und Gemüsebau in der wirtschaft dabei thematisiert. So wer- erreicht ist, besteht kein Grund zur Schweiz nicht mehr lohnt. Dann würde den die Naturschutzorganisationen Beruhigung: Denn die Vielfalt wird schweizweit fast nur noch Milch für darauf hinweisen, dass die Bauern viel nicht wertvoller, sondern gleichförmiger. den Exportmarkt produziert. In einer zu wenig für die Erhaltung der Biodi- Die Rassen und Sorten gleichen sich nach ökonomischen Gesichtspunkten versität tun. Und die landwirtschaftli- an, die Vielfalt wird immer banaler. Das „fit-getrimmten“ Landwirtschaft wür- chen Organisationen werden aufzei- gilt sowohl für den Bereich der den einseitige Spezialbetriebe domi- gen, dass sich die Bauern bereits sehr wildlebenden Pflanzen und Tiere als nieren, welche sich an industriellen für die Erhaltung der Vielfalt einsetzen. auch bei der Agrobiodiversität. Aller- Werten wie Wachstum und Cash-flow Im vorliegenden Dossier geht es um Welts-Rassen verdrängen heimische orientieren. Vielfältige Familienbetriebe den Bereich „dazwischen”: Wo und Rassen aus den Ställen und der Markt verlieren ihre Existenzberechtigung. warum machen die Bauern etwas für für alte Kulturpflanzen findet nach wie Mit ihnen verschwinden zahlreiche die Biodiversität? Warum machen sie vor nur in einer kleinen Nische statt. Lebensräume. Denn Biodiversität ist ein Koppelprodukt einer vielfältigen nicht mehr, warum nicht weniger? WelGesellschaft wirklich bereit, mehr Geld Vielfältige Betriebe oder Spezialisten? für mehr Biodiversität auszugeben? Auf lange Sicht hängt das Überleben Die Abhandlung ist nicht vollständig – der Menschheit von der Vielfalt ab; dafür ist das Thema viel zu komplex –, einer Vielfalt, die von einer vielfältigen sondern als Diskussionsbeitrag ge- Landwirtschaft am besten bewahrt dacht . werden kann. Und die vielfältige che Rolle spielt das Geld? Ist die droht: Globalisierung und Freihandel Redaktion: Markus Rediger (mr), Roland Wyss-Aerni (wy), Helene Soltermann (hs) | [email protected] Das Dossier erscheint sechsmal pro Jahr | Online-Archiv unter www.lid.ch Landwirtschaft. Ohne Bauern keine Vielfalt. BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 3 Inhalt Biodiversität als Koppelprodukt der Landwirtschaft ……………………………………………………………. 1 1. Biodiversität: Ein vielfältiger Begriff ……………………………………………………………………………. 4 1.1 Die Artenvielfalt steigt ……………………………………………………………………………………………. 4 1.2 Mehr Arten – weniger Wert ………………………………………………………………………………………. 5 1.3 Aller-Welts-Rassen auf dem Vormarsch 1.4 Vereinheitlichung schretet voran ……………………………………………………………………………. 5 ……………………………………………………………………………………. 5 1.5 Wald frisst Wiesen, Siedlungen fressen Äcker ………………………………………………………………………. 6 2. Agrobiodiversität: Genpool der Zukunft ………………………………………………………………………. 7 2.1 Kulturpflanzen-Vielfalt ……………………………………………………………………………………………. 7 2.1.1 Der Markt ist nicht auf Vielfalt eingestellt 2.2 Vielfalt der Nutztierrassen ………………………………………………………………………. 7 ………………………………………………………………………………………. 8 3. Wilde Vielfalt auf genutzten Flächen 3.1 Kein Ökoausgleich passt überall …………………………………………………………………………. 9 …………………………………………………………………………………. 9 3.1.1 Die wichtigsten Anforderungen einiger Ökoflächen 3.2 Sonderfall Sömmerungsgebiet ……………………………………………………………. 10 ……………………………………………………………………………………. 10 3.3 Die Schattenseiten des Ökoausgleichs ……………………………………………………………………………. 11 3.3.1 Biotopschutz auf Kosten der Bauern ……………………………………………………………………………. 12 3.4 Geld allein macht noch keine Biodiversität …………………………………………………………………………. 12 3.5 Biodiversität und Produktion: Ein Widerspruch? 3.6 Hier hui, dort pfui ……………………………………………………………………. 12 ………………………………………………………………………………………………. 13 4. Biodiversität mit System? ……………………………………………………………………………………. 14 4.1 Bio und Biodiversität: Ja aber … …………………………………………………………………………………. 14 4.2 Terra Suisse: Bewährungsprobe steht bevor 4.3 Eine Charta für die Biodiversität ………………………………………………………………………. 14 …………………………………………………………………………………. 15 5. Vielfältige Betriebe sichern vielfältige Natur 5.1 Land pflegen, schützen und trotzdem benützen 6. Wie viel ist die Biodiversität wert? 6.1 Ökosysteme leisten mehr als die Industrie 6.2 Biodiversität als Nutzwert ……………………………………………………………………………. 17 …………………………………………………………………………. 17 ……………………………………………………………………………………. 18 7. Biodiversität und Agrarpolitik …………………………………………………………………………………. 18 ……………………………………………………………………………………. 18 8. Ist die Gesellschaft reif für mehr Vielfalt? 8.1 Aufklärung tut Not ……………………………………………………………………. 16 ………………………………………………………………………………………. 17 6.2.1 Ja sagen und Nein stimmen 7.1 Was kostet die Liberalisierung …………………………………………………………………. 15 ……………………………………………………………………. 20 ………………………………………………………………………………………………. 20 9. Quellen / Literatur / Links ………………………………………………………………………………………. 21 LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 4 1. Biodiversität: Ein vielfältiger Begriff Noch beherbergt die Schweiz eine grosse nutzten Flächen vor, fast die Hälfte davon 1.1 Die Artenvielfalt steigt biologische Vielfalt. Schätzungen zufolge auf Wiesen und Weiden. Bei den Reptilien Wie steht es eigentlich um die Biodiversität gibt es hierzulande weit über 40‘000 wurde sogar jede dritte Beobachtung im in der Schweiz? Ist sie bedroht? Nimmt sie Pflanzen- und Tierarten. Die Biodiversität Rahmen des Biodiversitätsmonitorings auf ab? Um das beurteilen zu können, hat das umfasst nicht nur Arten, sondern teilt die einer landwirtschaftlichen Nutzfläche ge- Bundesamt für Umwelt (BAFU) 2001 ein Vielfalt in drei Bereiche ein: macht, bei der Zauneidechse war es sogar Biodiversitätsmonitoring eingerichtet, das s DIE!RTENVIELFALT 0FLANZEN4IERE -IKRO jede zweite. Weil die Landwirtschaft gleich- BDM. Es misst den Zustand der Biodiversität zeitig Wildtiere (wie z.B. Füchse) und Wild- so dass mit der Zeit eine Art „Dow-Jones- s DIE GENETISCHE 6IELFALT VON ,EBEWESEN pflanzen (wie z.B. Unkräuter) wie Nutztiere Index für Naturwerte“ entsteht. Das BDM und Pflanzen (Pflanzensorten und Tier- und Nutzpflanzen beherbergt, kann man hat zwei über die ganze Schweiz verteilte Rassen) die beiden Bereiche eigentlich gar nicht Stichprobennetze. trennen. geben Auskunft darüber, wie sich die ben, Pilze usw.) s DIE 6IELFALT VON ¾KOSYSTEMEN UND Diverse Indikatoren Dank der abwechslungsreichen Topo- biologische Vielfalt langfristig verändert. grafie, den Alpen, Tälern und Seen hat die Dazu gehören direkte Zustandsindikatoren, Die Biodiversität bezieht sich sowohl Schweiz eine grosse Vielfalt natürlicher wie etwa die Veränderung der Fläche auf wildlebende Tiere und Pflanzen als Lebensräume. Diese Lebensräume nutzen wertvoller Biotope. Aber auch indirekte auch auf Tiere und Pflanzen, die in der die Bauern. Sie rodeten die Wälder, legten Faktoren, welche die biologische Vielfalt Landwirtschaft genutzt werden, der so Wiesen und Weiden an, pflegten Äcker und beeinflussen, wie genannten Agrobiodiversität. Viele wild- Obstgärten. Erst durch sie entstand die Veränderung des Nährstoffangebots im lebende Pflanzen und Tiere kommen Vielfalt, wie wir sie heute kennen. LIT 1 Boden. LIT 3 Lebensräumen (Wald, Wiese, Weide, Acker, Hecke, Moor usw.) zum Beispiel die ausschliesslich auf landwirtschaftlich ge- Entwicklung der Artenzahl in der Schweiz Zwischen 1900 und 2000 stieg die Zahl der wild lebenden Arten, die das BDM überwacht, leicht an. Artenzahl 1900 Anzahl Arten, die zwischen 1900 und 2000 ständig vorkamen Neue Arten Verschwundene Arten Netto Artenzahl 2000 51 49 8 2 57 Brutvögel 160 152 19 5 174 Reptilien 14 14 1 0 15 Amphibien 18 16 1 0 19 Fische 53 49 3 3 53 Tagfalter 191 188 1 3 189 Heuschrecken 105 102 1 3 103 65 62 3 3 65 657 633 37 19 675 Säugetiere ohne Fledermäuse Libellen Total Quelle: Biodiversitätsmonitoring Schweiz 2009 LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 5 Die bisherigen Ergebnisse des BDM Roten Liste figurieren etwa 37 Prozent der Dagegen sind viele heimische Nutz- überraschen auf den ersten Blick. Rein Säugetierarten in der Kategorie „ge- tierrassen noch immer vom Aussterben zahlenmässig hat die Vielfalt in der fährdet“, bei den Brutvögeln sind es 40 bedroht, weil sie nicht, nicht mehr oder Schweiz nämlich zugenommen. So leben Prozent, bei den Fischen 60 Prozent und kaum noch wirtschaftlich genutzt werden. heute mehr Tierarten in der Schweiz als bei den Reptilien sogar 80 Prozent. Wenn Ein Teil der genetischen Vielfalt geht sogar noch vor hundert Jahren. Das dürfte die „potenziell gefährdeten“ noch dazu verloren, ohne dass eine Art ausstirbt: Weil mehrere Gründe haben: Erstens konnten gezählt werden, dann braucht rund die sich die Zucht auf wenige Linien und einige Restbestände bedrohter Arten Hälfte unserer Flora und Fauna dringend wenige dank gezielter Naturschutzbemühungen Hilfe! Gerade die Arten, die ein erhöhtes nimmt die Vielfalt der Gene ab. Diese gerettet werden. Zweitens wurden in Aussterberisiko haben, sind für den Erhalt Gefahr ist ganz besonders gross bei kleinen vielen Gebieten neue Arten eingeschleppt und drittens waren der Artenvielfalt besonders wichtig. LIT 5 Rassenvertreter konzentriert, Populationen. Es braucht deshalb noch immer grosse Anstrengungen, um alte verschiedene zum Beispiel der Steinbock, der Biber, 1.3 Aller-Welts-Rassen auf dem Vormarsch die Bisamratte, aber auch der Waschbär Bei die Genau wie bei den Nutztierrassen ver- inzwischen in der Schweiz heimisch. Der Entwicklung ähnlich aus: Zwar haben mitteln auch die BDM-Zahlen zu den Braunbär hat bekanntermassen ebenfalls Lamas, Yaks, Strausse und viele andere, Kulturpflanzensorten ein verzerrtes Bild. Versuche unternommen, sich hierzulande ehemals unbekannte Tierarten in Schweizer Denn obwohl es bei der Gerste 731 Sorten niederzulassen. Neben Schwalben und Ställen Tatsächlich gibt, 1174 Apfelsorten und 97 Kartof- Steinadlern schweben heute auch Gänse- ermöglichen sie manchen Bauern eine felsorten in der Schweiz existieren, werden und Bartgeier über den Eidgenossen; in Nischenproduktion. Aber auch bei den nur wenige Sorten grossflächig angebaut. den letzten hundert Jahren sind gesamthaft traditionellen Tierarten Rind, Schwein oder Die Konsumenten finden von dieser Vielfalt 19 Brutvogelarten neu in der Schweiz Schaf ist in den letzten Jahren laut BDM nur wenig im Angebot des Detailhandels. aufgetaucht. die Rassenvielfalt gestiegen. So hat sich Wiederansiedlungen erfolgreich. So sind der Agrobiodiversität Einzug gehalten. sieht Rassen mit ihren speziellen genetischen Merkmalen zu erhalten. der Rinderrassen in der Schweiz von 19 auf 1.4 Vereinheitlichung schreitet voran 29 erhöht. Die Artenvielfalt auf den Wiesen und dank der Mutterkuhhaltung z.B. die Zahl 1.2 Mehr Arten – weniger Wert Wer aus diesen Zahlen schliesst, der Doch bei den eingeführten Rassen Weiden ist laut BDM ebenfalls gestiegen. Biodiversität gehe es blendend, der irrt. handelt es sich in den meisten Fällen um Doch verheissen diese Arten nichts Gutes Eine hohe Zahl von Arten in einer Region weitverbreitete Aller-Welts-Rassen. zur ökologischen Qualität des Pflanzen- ist zwar grundsätzlich positiv. Allerdings nur, wenn neue weit verbreitete Arten keine einheimischen, weniger verbreitete Arten verdrängen. Wenn man die Anzahl gefährdeter Arten betrachtet, dann ergibt sich ein gänzlich anderes Bild: In den letzten 150 Jahren sind allein in der Schweiz 224 Tierund Pflanzenarten ausgestorben oder verschollen. Ein Drittel der Blütenpflanzen und Farne sind bereits verschwunden, bei den Moosen und Flechten sind 40 Prozent ausgestorben oder gefährdet. Auf der LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT Bei den Nutztieren wurden zahlreiche exotische Rassen, wie zum Beispiel diese Kamerunschafe, eingeführt. (ed) 6 hauptsächlich im Mittelland und im Jura zu ändert sich auch die Lebensgemeinschaft. beobachten, in den Bergregionen dagegen Ein Blick auf die Veränderung der Arealnut- (noch) nicht. Es gibt immer mehr „Normal- zung lässt nichts Gutes ahnen. Die Schweiz wiesen“, „Normwaldränder“ oder „Stan- wurde vor allem in der zweiten Hälfte des dardhecken“ in der Schweiz, die überall 20. Jahrhunderts stark überbaut. Auch der ähnlich aussehen und auch ähnliche Arten Wald dehnte sich stark aus. beherbergen. Wie in den Städten finden Landwirtschaftlich genutzte Flächen wir auch auf den Wiesen immer mehr Ein- stehen doppelt unter Druck: Einerseits heitsbrei. LIT 6 bildet grösste das Landwirtschaftsgebiet Reserve für Bauland die und Verkehrswege. Andererseits zwingt der bestands. Wertvoll wären vor allem wenig 1.5 Wald frisst Wiesen, Siedlungen fressen Äcker verbreitete Arten, sowie Arten, die spezielle Auf Golfplätzen spriessen keine Ackerun- Landwirtschaftsbetriebe zur Rationalisie- ökologische Ansprüche an ihre Umgebung kräuter, über Autobahnen hinweg vermeh- rung und Intensivierung. Die Betriebe stellen. Arten, die typisch sind für bestimm- ren sich keine Feldhasen und Feldlerchen werden grösser, während der Arbeits- te Lebensräume und die die Landschaft brüten nicht im Wald: Jede Nutzung hat kräftebesatz gleich bleibt oder sinkt. Die unverwechselbar machen. Aktuell sieht es ihre eigenen Lebensraumgesellschaften Bewirtschaftung unrentabler oder kaum aber danach aus, als steige die Artenvielfalt mit den entsprechenden, angepassten Tier mechanisierbarer Flächen nimmt ab, auf nur deshalb, weil sich ohnehin häufige Ar- -und Pflanzengemeinschaften. Wenn sich den so genannten Grenzertragsflächen ten weiter ausbreiten. Dieses Phänomen ist die Nutzung der Landschaft verändert, ver- dehnt sich deshalb der Wald aus. wirtschaftliche Druck die verbleibenden Arealnutzung in der Schweiz Die Tabelle stützt sich auf die Arealstatistik, die die Schweizer Landschaft mit Luftaufnahmen erfasst und derzeit aktualisiert wird. Die Daten beziehen sich auf Veränderungen zwischen 1979/85 und 1992/97, aktuellere Daten werden demnächst vorliegen. Fläche in ha 1979/85 Gebäude Fläche in ha 1992/97 Veränderung in ha 118'105 137'558 19'453 Industrie, Gewerbe, Infrastruktur 99'759 1111'879 12'100 Abbau, Deponien, Baustellen 14'962 13'793 -1'169 Erholungs- und Grünanlagen 13'578 15'860 2'282 946'696 926'367 -20'329 Dauerkulturen 70'939 60'954 -9'985 Feldgehölze, Hecken 35'921 35'807 -114 1'007'907 1'025'223 17'316 769'911 756'429 -13'482 64'561 62'265 -2'296 803'671 799'405 -4'266 Feuchtgebiete 8'621 8'967 346 Wasserflächen 173'845 173'969 124 4'128'476 4'128'476 Acker- und Dauergrünland Wälder Strauch- und Krautvegetation, inklusive alpwirtschaftlich genutzte Flächen Baumgruppen und aufgelöster Wald auf landwirtsch. Nutzfläche Offene Flächen Total Fläche Schweiz Quelle: Biodiversitätsmonitoring Schweiz / Arealstatistik LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 7 2. Agrobiodiversität: Genpool der Zukunft Wenn von Biodiversität die Rede ist, ist wert, der keine Köpfe bildet? Wer kauft zu werden. Denn nur eine grosse meistens die Vielfalt wildlebender Pflanzen heutzutage einen mehligen Apfel? Und genetischen Vielfalt ermöglicht es, die und Tiere und ihrer Ökosysteme gemeint. welcher Bauer kann sich eine Kuh leisten, zukünftige Produktion an veränderte Die Agrobiodiversität, die Vielfalt der die mehr frisst und weniger Milch gibt? Nur Umwelt-, Markt- und Produktionsbeding- landwirtschaftlichen Nutztierrassen und ein kleiner Prozentsatz der vielen tausend ungen anzupassen. Niemand weiss, welche Kulturpflanzen, geht häufig dabei unter, Sorten und Rassen schafft den Weg in den Herausforderungen mit dem Klimawandel ihre und Handel. Das gelingt noch am ehesten, in kulturelle Bedeutung wird oft verkannt. wenn die Sorten oder Rassen speziell zukommen werden. Dabei ist die Agrobiodiversität eine aussehen (z.B. rot-weiss gestreifte Randen), Bei der Erhaltung unterscheidet man wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste einen speziellen Geschmack haben (z.B. grundsätzlich die beiden Formen ex-situ Grundlage der menschlichen Ernährung. schwarze Tomate oder Wollschweinefleisch) und in-situ. Ex-Situ bedeutet, dass Saatgut, Sehr viele alte Sorten und Rassen verfügen oder sich als traditionelles Kulturgut Pflanzknollen, Ganzpflanzen, Gewebekul- über spezielle Eigenschaften. Das können etablieren lassen (z.B. Ribelmais oder turen etc. in Genbanken gelagert werden. Resistenzen gegen bestimmte Krankheiten Einkorn). Aber auch dann handelt es sich in Von In-situ oder on-farm spricht man und Schädlinge sein, oder ein besseres der Regel um eine Nischenproduktion. dagegen wenn die Pflanzen (in kleinem wirtschaftliche, ökologische Zukunft auf die Landwirtschaft Umfang) angebaut bzw. die Tiere gehalten Anpassungsvermögen an Höhenlagen und widrige Witterungsverhältnisse. Manchmal 2.1 Kulturpflanzen-Vielfalt und vermehrt werden. Der Vorteil der in- sind es ganz spezielle Produkteigenschaften, Auch wenn sie sich vielleicht niemals mehr situ-Erhaltung ist, dass sich die Sorten und wie ein ausgeprägter Geschmack. verkaufen lassen, so sind trotzdem alle Rassen den veränderten Umweltbeding- alten Sorten und Rassen es wert, erhalten ungen (Klima, Boden etc.) anpassen Dass so viele alte Sorten und Rassen trotzdem nicht mehr angebaut oder gehalten werden, hat verschiedene Gründe. Einer davon ist, dass sich die Konsum- 2.1.1 Der Markt ist nicht auf Vielfalt eingestellt gewohnheiten geändert haben. Kochobst Theoretisch könnte man in der Schweiz das ganze Jahr über eine breite Palette von ist heute genauso wenig gefragt wie ein Apfelsorten frisch oder aus dem Keller anbieten: Das würde im Juli mit frühen Sorten Schweinskotelett mit einer dicken Speck- wie dem „Klarapfel“ anfangen, dann könnten mittelfrühe Sorten wie „Gravensteiner“ schicht. Viele Landsorten lassen sich zudem folgen, im Herbst die „Goldparmäne“ vor, gefolgt von den gut lagerfähigen „Belle de nicht rationell anbauen: Die Bestände Boskoop“, den lang haltbaren „Glockenäpfeln“ und den zum Schluss der „Reinette reifen uneinheitlich und nicht zur selben de Champagne“. Doch Handel und Grossverteiler haben lieber wenige Sorten, weil Zeit aus, sie können deshalb nicht gut das einfacher zum verwalten ist. Um ein, zwei oder drei Sorten Äpfel das ganze Jahr maschinell geerntet werden. Viele alte hindurch in gleichbleibender Qualität anbieten zu können, gibt es deshalb spezielle Rassen wachsen zudem sehr langsam oder Lagerhäuser mit hoher Luftfeuchtigkeit, sehr wenig Sauerstoff und Kohlendioxid und sie geben wenig Milch, legen wenig Eier. einer Temperatur von 2 bis 4 Grad Celsius. Würde man die Sortenvielfalt ausnutzen, Der Hauptgrund dafür, dass so viele Sorten bräuchte man nur einen einfachen Keller. und Rassen verschwanden, liegt in der Und weil im Handel so wenige Sorten dominieren, bauen die Obstbauern vor allem diese mangelnden Wirtschaftlichkeit: Der Ertrag Sorten an, selbst dann wenn sie besonders krankheitsanfällig sind. Die Vielfalt nutzen ist im Vergleich zu modernen Sorten und sie höchstens im Direktverkauf. Dort und in vielen Quartierläden findet man noch eine Rassen zu gering. Palette an Sorten – übrigens oft sogar zu einem tieferen Preis, weil die technischen Seit Jahren wird versucht, die genetische Vielfalt wieder in Wert zu setzen. Doch was ist ein Kohlkopf auf dem Markt LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 Lagerhaltungskosten wegfallen. Quelle: Hotspot 17/2006, Roger Corbaz BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT Die Schweiz hat enorm viele Apfelsorten, doch die wenigsten davon gelangen in die Regale der Grossverteiler. (ed) 8 2.2 Vielfalt der Nutztierrassen gezielten Paarungen werden auch wirt- In der Schweiz, einem typischen Grasland, schaftliche Massnahmen wie die Her- spielt die Viehhaltung seit jeher eine stellung rassenspezifischer Produkte unter- bedeutende Rolle. Tiere und tierische stützt, z.B. Taschen von Fellen der Walliser Erzeugnisse machen 54 Prozent der Schwarzhalsziegen oder Frischkäse aus landwirtschaftlichen Endproduktion aus, Milch der Selbstversorgungsgrad liegt in diesem Vermarktung solcher Produkte trägt direkt Bereich sehr hoch. Mit über 90 registrierten und indirekt zur Förderung der Rasse bei. Neben züchterischen Massnahmen wie reiner Appenzellerziegen. Die Pferde-, Rinder-, Schweine-, Schaf- Ziegen- Den grössten Erfolg haben alte Rassen können. Beide Formen werden in der und Bienenrassen verfügt die Schweiz über in der Hobbyhaltung. Eine Kampfkuh im Schweiz des eine eindrückliche Vielfalt an landwirt- Wallis darf durchaus etwas kosten; die pflanzengenetischen Erbes der Schweiz schaftlichen Nutztieren. Doch nur gerade Stiefelgeiss eines Nebenerwerbsbauern sind unter dem Dach der „Schweizerischen vierundzwanzig Rassen sind ursprünglich, muss nicht unbedingt den maximalen Kommission also einheimisch. Fleischertrag bringen. Und beim familien- praktiziert. für Die die Hüter Erhaltung von zusammenge- Verschiedene Organisationen bemühen eigenen Haus-Huhn kann es sogar ein schlossen. Sie kultivieren, sammeln und be- sich seit Jahren um den Erhalt der ge- Vorteil sein, wenn es nur 100 Eier im Jahr schreiben die pflanzengenetischen Res- fährdeten Rassen. So z.B. die private legt statt 300 wie moderne Leistungs- sourcen. Sie werden dabei mit finanziellen Stiftung „Pro Specie Rara”, die 1982 ins rassen. Mitteln aus dem „Nationalen Aktionsplan Leben gerufen wurde. Seit 1999 unterstützt zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung das BLW Projekte im Rahmen der Erhaltung der pflanzengenetischen Ressourcen für der Rassenvielfalt bei landwirtschaftlichen Ernährung und Landwirtschaft“ vom Bun- Nutztieren in der Schweiz. Gegenwärtig desamt für Landwirtschaft, BLW, unterstützt. sind zehn Schweizer Rassen der Gattungen Das Spektrum ist riesig, die genetischen Rinder, Pferde, Schweine, Schafe und Ziegen Ressourcen umfassen vom Obst, Walnüssen in Erhaltungsprogramme eingebunden. und Reben, Dabei handelt es sich um Rassen, die Ackerpflanzen, Kartoffeln, Gemüse, Aroma- gemäss internationalen Kriterien gefährdet und Medizinalpflanzen bis hin zu den sind (Appenzellerziege, Bündner Strahlen- Futterpflanzen alles, was genutzt werden ziege,Pfauenziege, Stiefelgeiss, Engadiner- kann. Gerade im Bereich der Futterpflanzen schaf, Spiegelschaf) und um Rassen, die im gilt der Alpenraum als Hotspot. Die Moment nicht gefährdet sind, deren genetische Vielfalt der Naturwiesen der Bestände jedoch sinkende Tendenz oder Schweiz ist besonders gross. zunehmende Inzucht aufweisen (Freiberger Kulturpflanzen“, SKEK, Edelkastanien, Beeren, Zu den pflanzengenetischen Ressourcen Pferd, Original Braunvieh, Walliser Schwarz- gehören auch Wildpflanzen mit Gebrauchs- halsziege, Nera Verzasca Ziege, CH- oder Optionswert. Das sind mit Kultur- Landrasse beim Schwein). Die geförderten pflanzen verwandte Wildarten, welche mit Rassen haben oft eine starke regionale diesen Gene austauschen können. Im Bedeutung, sei es als Kulturgut oder als weiteren Sinne zählen auch Forstpflanzen, Lieferant von spezifischen Produkten (z.B. Zierpflanzen, Industriepflanzen und Aroma- Eringer: Kuhkampf, Trockenfleisch). und Medizinalpflanzen dazu. LIT 14 LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 Nur dank ihrer Kampfkunst sind die Eringer Kühe noch nicht ausgestorben. (ed) BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 9 3. Wilde Vielfalt auf genutzten Flächen Wer in der Schweiz Direktzahlungen beantragt, muss mindestens 7 Prozent (bei Spezialkulturen 3,5 Prozent) der landwirtschaftlich genutzten Fläche dem ökologischen Ausgleich, ÖAF, zur Verfügung stellen. Auf diesen Flächen hat die Erhaltung und Förderung der wildlebenden Biodiversität Vorrang vor der landwirtschaftlichen Nutzung. Für den entgangenen Ertrag und den Aufwand der ökologischen oder landschaftspflegerischen Massnahmen zahlt der Bund Ökobeiträge. Die 7 ProzentVorgabe wird schweizweit sogar übertroffen: Alles in allem gehören 11 Prozent der Landwirtschaftsfläche – das sind 120‘000 Hektaren – zur ökologischen Magerwiesen sind eine Augenfreude und reich an biologischer Vielfalt. Doch sie lassen sich nicht überall kultivieren. (ed) Ausgleichsfläche. Die 7 Prozent-Vorgabe wird sogar meisten im Mittelland, im Rhein- und darüber, ob und wie viel Platz die Ökologie übertroffen: Schweizweit gehörten 11 Genferseebecken sowie im Jura und am erhält. LIT 1 Prozent der Landwirtschaftsfläche – das Randen. Der Anteil ÖAF ist, gemessen an sind 120‘000 Hektar – zur ökologischen der landwirtschaftlichen Nutzfläche, im Ausgleichsfläche. Die ÖAF wirken sich Berggebiet mit mehr als 14 Prozent 3.1 Kein Ökoausgleich passt überall positiv auf die Biodiversität aus. Auch wenn wesentlich grösser als im Talgebiet mit Die Forschungsanstalt Agroscope Tänikon sie oft eher eine „unspezifische Arten- knapp 10 Prozent und in Futterbaugebieten versuchte herauszufinden, weshalb gewisse vielfalt“ fördern, so bewahren sie doch grundsätzlich höher als in Ackerbau- Ökomasssnahmen häufiger und andere potenziell gefährdete Arten davor, so selten gebieten. weniger häufig umgesetzt werden. LIT 8 zu werden, dass sie Rote-Liste-Status Je kleiner die Betriebe sind, umso grösser Offensichtlich kommt es dabei nicht nur bekommen. Die Ausgleichsflächen sind vor ist der prozentuale Anteil der ökologischen auf die Höhe der Ausgleichszahlung an, allem dort besonders artenreich, wo noch Ausgleichsfläche pro Betrieb. Am besten sondern auch darauf, ob die Massnahme Reste naturnaher Lebensräume vorhanden schneiden die kleinsten Betriebe mit weniger produktions- und arbeitstechnisch zum sind. Wenn eine Art in einer Region einmal als zehn Hektar landwirtschaftliche Nutz- Betrieb passt. Der ÖAF-Typ Ackerschon- ausgestorben ist, ist ihre Wiederansiedlung fläche ab. Der Löwenanteil der ökologischen streifen passt zum Beispiel nicht gut in den in den meisten Fällen nicht mehr möglich. Ausgleichsfläche wird jedoch von Betrieben produktionstechnischen mit mit einer Grösse von 10 bis 30 Hektar Ackerbaubetriebe: Im Streifen sind weder 55‘000 Hektar zum häufigsten Öko- geliefert, während Betriebe zwischen 60 Insektizide, Herbizide noch stickstoffhaltige flächentyp, gefolgt von den intensiv und 70 Hektar in der Regel gerade das Düngemittel zugelassen und er muss genutzten Wiesen mit rund 30‘000 Hektar. erforderliche Minimum erfüllen. Grosse separat gedroschen werden. Gleichzeitig Rund 7‘000 Hektar Streueflächen befinden Betriebe tragen sowohl prozentual als auch ist der Beitrag dafür nur halb so hoch wie sich vor allem in den Voralpen und im absolut am wenigsten zu den ökologischen für eine Buntbrache. Deshalb pflegen wohl östlichen Mittelland, von den 3‘000 Hektar Ausgleichsflächen bei. Bei ihnen entscheidet nur 84 Betriebe diesen Ökoflächentyp auf Bunt- und Rotationsbrachen liegen die primär der betriebswirtschaftliche Aspekt gerade mal 39 Hektar. „Extensive Wiesen“ gehören LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 Ablauf der BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 10 den klimatischen Faktoren und dem 3.1.1 Die wichtigsten Anforderungen einiger Ökoflächen Ertragspotenzial eines Standortes. In den tiefen Lagen des Berggebietes werden die Extensive Wiese: ÖAF eher an Grenzertragsstandorten Kein Dünger, keine Pflanzenschutzmittel, Mahd nicht vor dem 15.Juni (Talgebiet), angelegt, weil die ertragreicheren Flächen bzw. 1.Juli (Bergzone I und II), bzw. 15.Juli (Berzone III und IV). Herbstweide nicht vor für die Produktion benötigt werden. In den 15.September und höchstens bis 30.November höheren Lagen der Alpen ist der Flächenertrag aber so gering, dass die Wenig intensiv genutzte Wiese: Bauern auf Grund der kürzeren Vege- Kein Pflanzenschutzmittel, pro Hektar und Jahr dürfen höchstens 30 kg Stickstoff über tationsperiode ohnehin wesentlich mehr Mist, Kompost oder Vollgülle ausgebracht werden, jedoch nicht vor dem ersten Schnitt Flächen benötigen, welche sie dann auch gleich noch extensiver bewirtschaften Streueflächen: können. Die Vorschriften für den späten Kein Dünger, keine Pflanzenschutzmittel, Schnitt nicht vor dem 1.September Schnitt der Ökowiesen schränken sie nicht so sehr ein. Eine Intensivierung durch Buntbrachen: Düngung würde ohnehin wenig bringen. Nur im Talgebiet, mindestens 3 m breit, keine Dünger, keine Pflanzenschutzmittel, Die Ökobeiträge sind in diesen Gebieten mindestens zwei und maximal 6 Jahre am selben Standort. deshalb willkommen und attraktiv genug, um entsprechend mehr ÖAF anzumelden. Rotationsbrache: dem 1.September und 30.april, ein bis zwei Jahre stehen lassen. Kein Dünger, keine 3.2 Sonderfall Sömmerungsgebiet Pflanzenschutzmittel. AufAlpweiden und in alpinen Lebensräumen Nur im Talgebiet, mindestens 6 m breit, mindestens 20 Aren gross, Aussaat zwischen wachsen rund ein Viertel mehr Pflanzenarten Ackerschonstreifen: als im tiefer gelegenen Grünland. In den Randstreifen von Ackerkulturen von mindestens 3 m, max. 12 m Breite. Einsaat mit höheren Lagen der Alpen sind zahlreiche Getreide, Raps, Sonnenblumen oder Körnerleguminosen. Keine Insektizide, keine seltene und hoch spezialisierte Pflanzen- Unkrautbekämpfung (auch nicht mechanisch) und keine stickstoffhaltige Dünger. Dauer arten heimisch, die ein stark begrenztes mindestens während zwei aufeinander folgenden Hauptkulturen, Drusch in reifem Verbreitungsgebiet Zustand. Erhaltung trägt die Schweiz eine besondere Quelle: Direktzahlungsverordnung, DZV Verantwortung. Das haben. Für ihre landwirtschaftlich genutzte Grünland ist in den höheren Lagen deutlich artenreicher als im Tiefland. Bei den wenig intensiv genutzten Wiesen Wiesen oder extensive Weiden genutzt, da Diese Vielfalt scheint sich mit dem steht die Mistverwertung im Vordergrund. die Ausbringung von Dünger auf diesen Klimawandel zu verändern: Subalpine und Dieser ÖAF ist deshalb in der Bergregion Flächen ohnehin schwierig ist. alpine Pflanzenarten wachsen heute im Durchschnitt 13 Meter weiter oben als beliebteste, während im Talgebiet häufiger Im Schweizer Berggebiet sind zwischen extensive Wiesen für den Ökoausgleich 2 Prozent und 40 Prozent der landwirt- angelegt werden. Die Talbauern können schaftlichen Nutzfläche einer Gemeinde als In den letzten Jahren hat die Zahl der Mist und Gülle ja auf den Ackerflächen ökologische Ausgleichsfläche (öAF) an- gesömmerter Tiere abgenommen. Gerade verwerten. Praktische Gründe stehen auch gemeldet. Das hängt nicht nur mit der für abgelegene, schlecht erschlossene bei der Hangneigung im Vordergrund: unterschiedlichen Einstellung der Bauern Alpen wird es zusehends schwieriger, Steile Hänge werden eher als extensive zusammen, sondern auch sehr stark mit genügend Vieh für die Alpung zu finden. LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 2001. BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 11 Unrentable Alpen oder Alpflächen werden zusehends unternutzt oder ganz aufgegeben, sie verganden, verbuschen oder werden vom Wald besiedelt. Andere Alpen wurden in den letzten Jahren dagegen gut erschlossen, oft wurde in Gebäude- und Käsereieinrichtung investiert. Um diese Investitionen zu amortisieren, werden diese Alpen intensiv genutzt. Beide Entwicklungen – Vergandung und Intensivierung – sind der Biodiversität jedoch nicht förderlich. Im Gegensatz zur Landwirtschaftlichen Nutzfläche gibt es im Sömmerungsgebiet keine finanziellen Anreize für ökologische Massnahmen. Einzig die Bewirtschaftung inventarisierter Naturschutzgebiete nach Wenn eine Buntbrachen stark verunkrautet, verliert der Bauer den Anspruch auf den entsprechenden Ökobeitrag. (ed) Natur- und Heimatschutzgesetz (z.B. nationale Moore und Trockenwiesen und trockenstehende Kühe. Diese machen in kreuzkraut wurde in den letzten Jahren -weiden) wird unterstützt. Das Bundesamt der Regel jedoch nur einen Teil der Herde vereinzelt zu einem grossen Problem. für Landwirtschaft hat deshalb bei der aus. Wer mehr Ökoflächen bewirtschaftet, LIT 16 landwirtschaftlichen Beratung Agridea eine als er Ökoheu verwerten kann, muss Auch die mehrjährige Goldrute, welche Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, deshalb höherwertiges Futter zukaufen. die einheimische Flora verdrängt, verbreitet um herauszufinden, wie man die vor- Dazu kommt, dass die Bauern bei der sich gerne auf jenen Ökoflächen, die handenen wertvollen Natur- (Flora und Umstellung auf eine extensivere Nutzung eigentlich der Vielfalt der Flora und Fauna Fauna) (Land- auch mengenmässig an Futter verlieren, da dienen sollten. Problematisch können auch schaftstypen, -elemente) im Sömmerungs- ja nicht mehr oder kaum noch gedüngt und Buntbrachen sein: In beinahe jeder dritten gebiet erhalten könnte. Möglicherweise erst spät geschnitten werden darf. Sie Brache gibt es Probleme mit schwer werden ökologische Direktzahlungen im müssen deshalb entweder Futter zukaufen bekämpfbaren Unkräutern wie Acker- Sömmerungsgebiet eingeführt. Allerdings oder aber den Tierbestand verringern, was kratzdistel, Blacke, Quecke und Winden. In kann man die Alpwirtschaft nicht losgelöst durchaus zu grösseren Einbussen führen 5 bis 10 Prozent der Brachen breiten sich von der übrigen Landwirtschaft betrachten. kann, wenn dadurch der Stall nicht mehr die Disteln übermässig aus. Die Goldrute ist Wenn die Tiere für die Flächennutzung voll ausgelastet wird. ebenfalls häufig anzutreffen. Etwa fünf und Landschaftswerte fehlen, nützen hohe Biodiversitätsbeiträge Ein häufig auftretendes Problem ist die Prozent der Buntbrachen werden sogar Verunkrautung, vor allem mit invasiven wegen massivem Auftreten unerwünschter Pflanzen, also jenen Pflanzen, die sich so Unkräuter oder Gräser nicht als Öko- 3.3 Die Schattenseite des Ökoausgleichs stark vermehren dass sie die Lebensräume ausgleichsflächen anerkannt. einheimischer Pflanzen- und Tierarten sind inzwischen in Buntbrachen gewisse Der Ökoausgleich hat auch Grenzen. So ist bedrohen. Das einheimische Jakobskreuz- Herbizide erlaubt. Die Skepsis der Bauern z.B. das Futter von extensiven oder wenig kraut ist für Kühe und Pferde hoch giftig, es gegenüber den „Unkraut-Förderflächen“ intensiven Wiesen von geringerem Nähr- hat auf intensiv bewirtschafteten Wiesen lässt sich jedoch nicht so leicht aus der wert. Es kann deshalb nur an Tiere mit und Weiden keine Chance, verbreitet sich Welt schaffen. bescheidenem Nährstoffbedarf verfüttert jedoch auf extensiven Weiden und teilweise werden, z.B. an Aufzuchtrinder oder auch extensiven Wiesen. Das Jakobs- auf den Alpen wenig. LIT 9 LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 LIT 17 Zwar BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 12 gross, dass diese Flächen weiterhin gepflegt 3.3.1 Biotopschutz auf Kosten der Bauern werden. Etwas schwieriger wird es dagegen Magere Böden, intensive Strahlung und temporäre Trockenheit kennzeichnen die Trockenwiesen und –weiden, TWW, welche rund ein Prozent der Landesfläche der Schweiz bedecken. Diese Flächen sind für die Biodiversität von grosser Bedeutung: Über 40 Prozent der Schmetterlinge sind auf diesen Lebensraum angewiesen und mehr als 50 Prozent aller gefährdeten Pflanzenarten kommen fast nur noch auf Trockenwiesen und -weiden vor. Inzwischen sind 23‘712 Hektaren potentielle TWW von nationaler Bedeutung kartiert und für die Aufnahme in ein Bundesinventar vorgeschlagen. Davon sind 40 Prozent Alpweiden, 4 Prozent Wildheuflächen, je 20 Prozent sonstige Wiesen und Weiden. Rund 15 Prozent der Fläche liegen brach. Die meisten TWW befinden sich in Hanglagen zwischen 1’250 und 2’000 m ü.M., ein Drittel davon liegt im Kanton Graubünden. Die TWW sollen ungeschmälert erhalten werden, der Entwurf der TWWVerordnung weist sogar einen Zweckartikel auf, dass eine nachhaltige Land- und Waldwirtschaft Grundvoraussetzung für den Schutz der Trockenwiesen und -weiden ist. Doch die Verordnung wurde noch immer nicht verabschiedet. bei den extensiven Weiden, da ist oft ein Umdenken erforderlich wenn der ausgeprägte „Ordnungssinn“ über Bord geworfen werden muss. Was früher als Unkraut entfernt wurde, gilt nun plötzlich als ökologisch wertvoll. Dürre Gehölze bleiben stehen, Hecken und das überständige Gras werden nicht „rasiert“, der optische Eindruck ist ungepflegt. Und Buntbrachen, Rotationsbrachen oder Ackerschonstreifen werden zwar gut honoriert (für einen Hektar Buntbrache gibt es z.B. 3‘000 Franken), doch steht die Bewirtschaftung im Widerspruch zum bäuerlichen Die derzeitigen finanziellen Mittel reichen zum Schutz der Trockenwiesen und -weiden nicht aus. Für die Bauern, das zeigt eine Studie, ist es in vielen Fällen lohnender, die Flächen intensiver oder gar nicht zu bewirtschaften, denn der Mehraufwand und Minderertrag wird mit den bisher zur Vergütung stehenden Gelder längst nicht immer ausgeglichen. So haben die Bauern mehr davon, wenn sie eine TWW-Weide als Denken. Denn der Sinn der Landwirtschaft ist primär Nahrungsmittel zu produzieren. Naturschutz verstehen die Bauern in der Regel als Koppelprodukt – nicht als Selbstzweck. intensivierte Wiese oder intensiver genutzte Weide nutzen. Oder anders gesagt: Viele Bauern, die heute Trockenwiesen und –weiden schutzkonform bewirtschaften, tun das zu ihren Ungunsten. Quelle: „Kosten eines gesetzeskonformen Schutzes der Biotope von nationaler Bedeutung“ Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, WSL, Pro Natura und Forum Biodiversität, 2009 3.5 Biodiversität und Produktion: Ein Widerspruch? Es gibt aber andere Koppeleffekte: Dass zum Beispiel Massnahmen, die der 3.4 Geld allein macht noch keine Biodiversität häufig Flächen mit einer hohen biologischen Biodiversität dienen, auch noch zu einem Vielfalt. Dieses Muster gilt auch für besseren Ertrag führen. Das kann bei Geld ist nicht alles. Dieser Spruch gilt auch, Betriebszweige: Wer einmal erfahren hat, der Verwendung pilzwiderstandsfähiger wenn es um Leistungen zur Förderung der dass sich Touristen einfacher melken lassen Rebsorten der Fall sein, weil diese we- Artenvielfalt geht. Denn neben Geld spielt als Kühe, wird seine Arbeitskraft eher in niger Pflanzenschutzmittel brauchen und auch die Zeit eine Rolle: Noch immer diesem Bereich einsetzen, als Natur- so Kleinstlebewesen, Bodenorganismen, schreitet der Strukturwandel voran, wenn schutzdienstleistungen auszubauen, die Grundwasser etc. geschützt werden und auch deutlich langsamer als auch schon. viel Hand- und Körpereinsatz erfordern. gleichzeitig der Aufwand fürs Spritzen Strukturwandel führt zu betrieblichem Neben Geld und Zeit spielt auch die kleiner ausfällt. Auch Nistkästen für Vögel Wachstum. Und dieses Wachstum stösst persönliche Einstellung eine Rolle. Die haben meistens nur positive Wirkungen: hier und da an seine Grenzen. Schwierig Bewirtschaftung von Trockenwiesen und Viele Vögel ernähren sich von Insekten und wird es vor allem dann, wenn der Zuwachs -weiden seit halten damit auch Schädlinge im Schach. so gross ist, dass er nicht mehr mit Jahrhunderten zur Landwirtschaft, sie hat Raubvögel und Eulen dezimieren Mäuse derselben Arbeitskraft bewältigt werden an vielen Orten Tradition. Solange die und Maulwürfe, was in der Landwirtschaft kann. Dann werden als erstes die wenig Bauern bei deren Bewirtschaftung nicht nicht ungern gesehen wird. Und schliesslich produktiven Flächen aufgegeben; das sind drauflegen, sind die Chancen deshalb kann eine Kleeuntersaat im Getreidebau LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 gehört zum Beispiel BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 13 dann die Wiesen, bei denen auch nach zehn oder mehr Jahren extensiver Bewirtschaftung die typischen Magerwiesenpflanzen ausbleiben. 3.6 Hier hui, dort pfui Oft führt die Extensivierung auch zu einer eine Intensivierung: Weil extensive Wiesen überhaupt nicht gedüngt und höchstens im Herbst kurz beweidet werden dürfen, werden dafür andere Wiesen und Weiden intensiver genutzt. Schliesslich wollen die Tiere nicht bis zum Herbst im Stall bleiben und auch der Mist und die Gülle können So ein Wildbienenhotel braucht kaum Platz und keine Pflege und trägt doch zur Förderung der Artenvielfalt bei.(ed) Das gilt auch für Ökoflächen. So eignen nicht bis in alle Ewigkeit gelagert werden. sich zum Beispiel nicht alle Wiesen Aktuell beobachtet man deshalb beide gleichermassen zur Extensivierung. Unter- Trends im Berggebiet: Extensivierung auf nicht nur die pflanzliche Vielfalt auf dem suchungen an Wiesen im Bündnerland der einen und Intensivierung auf der Feld erhöhen, sondern gleichzeitig auch zeigten z.B., dass in einer bestimmten anderen Seite. Sie sind zwei Seiten von ein- einen Düngeeffekt haben, der für mehr Region zwar drei von vier intensiv und Ertrag sorgt (allerdings nur, wenn es nicht genutzten Wiesen extensiver genutzt ausgleichs. zu einer Wasser- oder Platzkonkurrenz werden könnten. Sie stellten aber auch Manchmal schliessen sich Biodiversität kommt). fest, dass es nur bei jeder fünften wenig und Lebensmittelproduktion auch gegen- Häufiger ist es jedoch so, dass Mass- intensiv genutzten Wiese Sinn macht. Die seitig aus: Auf Buntbrachen können zum nahmen, die die Vielfalt fördern, die extensivere Bewirtschaftung würde näm- Beispiel definitiv während mehreren Jahren Produktion beeinträchtigen. So bereichern lich aufgrund der Pflanzenzusammen- keine Nahrungsmittel für den Menschen etwa alte setzung, der Bodenbeschaffenheit und des produziert werden. Diese Ökoflächen sind Kulturpflanzen die Vielfalt, aber sie Nährstoffvorrates im Boden NICHT zu ein Opfer für die Natur, ein Beitrag, den die produzieren dafür weniger Milch, weniger einem artenreicheren Vegetationstyp füh- Bauern leisten für die Vielfalt der Kleintiere, Eier, weniger Fleisch oder liefern geringere ren, so dass sich der Naturwert praktisch Spinnen, Schnecken und für Vögel und Hektarerträge. Das ist nur so lange kein nicht erhöht. selten gewordene Ackerunkräuter. Im Problem, wie ihr Leistungsvermögen exakt Wenn eine Wiese einzig und allein deshalb besten Fall hilft ihnen diese Vielfalt das mit dem Potenzial des jeweiligen Standorts extensiv bewirtschaftet wird, damit die biologische Gleichgewicht Nützling-Schäd- übereinstimmt. Auf mageren Grenzertrags- Anforderung für die 7 Prozent Öko- ling auf dem genutzten Nachbarlichen standorten können alte Ziegenrassen unter ausgleichsfläche erfüllt wird, kann diese Acker in Schach zu halten. Im schlechtesten Umständen sogar besser abschneiden als Wiese im dümmsten Fall in doppelter Fall vermehren sich nur die Unkräuter und Hochleistungs-Milchziegen die man hier Hinsicht unproduktiv sein: Zum einen weil die Schnecken wandern in die benachbarten zufüttern muss. Umgekehrt nützt es nichts, sie nicht ihrem Potential entsprechend Felder ein. eine alte Getreidesorte auf einem Standort genutzt wird, also weniger Futter mit anzubauen, der deutlich mehr Nährstoffe schlechterer Qualität von ihr gewonnen enthält, als der Standfestigkeit der Sorte wird. Und zum anderen, weil sich die gut tut. Nur eine standortangepasste erwünschte (Wildlife-) Biodiversität auf ihr Nutzung erreicht das Optimum. gar nicht einstellt. In der Praxis sind das alte Nutztierrassen oder LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 derselben Medaille, des Öko- BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 14 4. Biodiversität mit System? Der ökologische Leistungsnachweis ist eine gute Basis für eine biodiversitätsschonende Bewirtschaftung. Trotzdem stellen sich viele Bauern und Bäuerinnen die Frage, ob es ein System gibt, mit dem man noch mehr für die Natur herausholen kann – ohne die Produktion zu vernachlässigen. Dabei gibt es verschiedene Ansätze. 4.1 Bio und Biodiversität: Ja, aber... Der biologische Landbau gilt als besonders biodiversitätsfreundlich – zumindest beim Ackerbau und den Spezialkulturen. Im Bioackerbau haben solche Lebewesen eine höhere Überlebenschance. (ed) Zahlreiche Vergleichsstudien belegen den Einfluss biologischer Anbausysteme und auf die Artenvielfalt im Grünland und in weisen eine positive Wirkung auf Flora und höheren Lagen positiver auswirkt, weil die 4.2 Terra Suisse: Bewährungsprobe steht bevor Fauna nach. So gibt es auf Bioackerflächen biologisch bewirtschaftete Wiesen genauso Im Jahr 2008 lancierte die Migros- mehr Vögel, räuberische Insekten, Spinnen, früh und ebenso häufig geschnitten werden Genossenschaft das neue Label TerraSuisse Bodenorganismen und eine grössere wie die konventionell bewirtschafteten zusammen mit der Produzentenvereinigung LIT 3 Ackerflora. Das kommt vom Verzicht auf Wiesen. Herbizide, chemisch-synthetische Pestizide ETH und Mineraldünger; von der vielfältigerer unterschiedlicher Vor vielen Jahren wurde an der IP-Suisse. TerraSuisse steht für mehr Bio- Artenvielfalt diversität und Ressourcenschutz. In Zusam- Bewirtschaftungs- menarbeit mit der Vogelwarte Sempach Fruchtfolge, der geringeren und organischen verfahren gemacht. Dabei fand man im wurde für diesen Mehrwert ein differen- Düngung und der schonenden Bodenpflege Ackerbau einige, im Grünland dagegen ziertes Punktesystem entwickelt. Bis 2011 (Humuswirtschaft). Obwohl die Biovor- überhaupt keine bewirtschaftungsspezi- müssen die Bauern mindestens 12 Punkte schriften es nicht vorschreiben, bewirt- fischen Unterschiede. Die Schlussfolgerung erreichen, bis 2013 sollen es siebzehn schaften die meisten Biobauern auch mehr der Arbeit lautete: „Ausschlaggebend für Punkte sein. Die Vorschrift gilt für rund ökologische Ausgleichsflächen als Nicht- die Pflanzenvielfalt auf einem Betrieb ist die 20‘000 IP-Suisse-Produzenten, mit Aus- Bewirtschaftsphilosophie nahme jener Mutterkuhhalter, die nur Fleisch Biobauern. LIT 7 Die Leistungen des Biolandbaus sind im Ackerbau und bei Dauerkulturen also eindeutig positiv. Ob sie sich jedoch aufs Grünland übertragen ein Vergleich zur des Betriebs- leiters“, nicht jedoch die Bewirtschaftsmethode. LIT 15 nach den Richtlinien RAUS oder BTS für IP-Suisse produzieren und keine weiteren IP-Suisse-Produkte herstellen. LIT 10 lassen, welches IP-Suisse geht davon aus, dass ein immerhin mehr als 90 Prozent der Biofläche Drittel der Betriebe die erforderliche in der Schweiz ausmacht, ist zweifelhaft. Ob Punktzahl heute schon erreicht, ein weiteres die Biobewirtschaftung im grünlandlastigen Drittel die Punkte mit etwas Aufwand Berggebiet für die Biodiversität nachweisbar erreichen kann und dass es das letzte Drittel besser ist, wurde bis heute kaum untersucht. schwer haben wird, auf die erforderlichen Das Biodiversitätsmonitoring bezweifelt siebzehn Punkte zu kommen. In Zukunft sogar, dass sich der biologische Landbaus soll das Punktesystem aufgrund von LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 15 Erkenntnissen aus Forschung und Praxis noch nicht definiert ist. Die Prämien und angepasst und eventuell alle fünf Jahre um der Fonds werden vom Markt finanziert, weitere fünf Punkte erhöht werden. also von den Abnehmern. Das Punktesystem ist vielfältig. So ökologische Ausgleichsfläche Punkte, für 4.3 Eine Charta für die Biodiversität qualitativ höherwertige Ausgleichsflächen Das Delinat-Institut für Ökologie und mit seltenen Arten, aber auch für Hecken, Klimafaming wählt einen pragmatischeren Feldobstbäume oder Nistkästen für Vögel. Ansatz und erstellte eine Charta für Zusätzlich wird der Ressourcenschutz Weinberge mit hoher Biodiversität, welche erhält man z.B. für einen höheren Anteil bewertet, so dass z.B. das Güllen mit lediglich zehn Grundsätze umfasst. Schleppschlauch, ein Laufhof mit perfo- 1. bioaktive Düngung mit Kompost, riertem Boden und Windschutz, aber auch 2. Gründüngung mit Leguminosen futter zusätzliche Punkte einbringen. Auf 3. artenreiche Begrünung mit Holzhaufen anlegen 10. überaltete Stöcke einzeln ersetzen statt ganze Rebberge zu roden. Wildpflanzen und Insektenblüten Die Vorgaben sind plausibel, einfach 4. Anpflanzung an Sträuchern an den Der Mehraufwand lohnt sich nicht nur für die Natur: Die Bauern erhalten für ihre 8. Aufstellen von Bienenstöcken 9. Strukturelemente wie Stein- und ein tieferer Rohproteingehalt im Schwein- Leistungen individuell zusammenstellen. (pro Hektar 2 x 20 qm) Mulch etc. diese Art kann jeder Betriebe seine 7. artenreiche Ausgleichsflächen LIT 13 nachvollziehbar Zielenden der Rebreihen 5. Hecken als Zwischenlinien zwischen den Reben ( pro Hektar 2 x 20 m) umweltfreundlichen Betrieben mit mehr als 6. Pflanzung von Obstbäumen innerhalb des Rebberges (in max. Distanz von einem Biodiversitäts-Fonds, dessen Höhe 50 m) – auch ein einfach nicht zu unterschätzender Vorteil, denn Biodiversität Leistungen höhere Prämien. Besonders 17 Punkten winkt zudem ein Bonus aus kontrollierbar und lässt sich nicht einfach messen. 5. Vielfältige Betriebe sichern vielfältige Natur Ein Grundsatz zieht sich wie ein roter Faden Vielfältige Fruchtfolge für viele Arten, die sich auf solche durch alle Systeme und Leitfäden zur Eine ausgewogene, vielfältige Fuchtfolge Grenzbereiche spezialisiert haben. Aber: Förderung der Biodiversität: Vielfältige ist der viele kleine Parzellen machen viel mehr Betriebe nützen der Biodiversität am Bodenfruchtbarkeit, für die Verringerung Arbeit, denn kleine Parzellen behindern von Erosion, Krankheits-, Schädlings- und eine schlagkräftige und damit günstige Unkrautdruck und es können damit Produktion. Der Trend geht heute eher in Viele verschiedene Kulturarten Nährstoffvorräte im Boden effizienter Richtung parzellenübergreifender Bewirt- Verschiedene Kulturarten wie Ackerbau, genutzt werden. Doch der Trend geht schaftung, z.B. im Getreidebau – um die Hochstammobst, Wiesen und Weiden derzeit in Richtung Vereinfachung, es wird Kosten zu senken. sorgen nicht nur für ein abwechslungsreiches versucht, nur noch Kulturen anbauen, die Landschaftsbild, sondern fördern auch sich lohnen. meisten. LIT 12 verschiedene wildlebende Tier- wichtig für die Erhaltung Viele Ökowiesen Extensive Wiesen und Weiden sind sehr und Pflanzenarten. Aktuell geht der Trend in der Kleine Parzellen artenreich; sie bieten Lebensraum, Nah- Landwirtschaft Kleine Parzellen erhöhen die landschaftliche rungsgrundlage und Überwinterungsplätze Vielfalt und bieten mehr Übergangszonen für jedoch in Richtung Spezialisierung, um die Kosten zu senken. LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 unzählige Insekten und andere BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT Tiergruppen; zahlreiche Pflanzenarten sind auf diesen Biotoptyp angewiesen. Doch diese Flächen liefern weniger Futter von minderer Qualität, so dass entweder der Viehbestand verringert oder mehr Futter zugekauft werden muss. Beides wirkt sich negativ auf die Produktivität und den Ertrag der Landwirtschaft aus. Alte Kulturpflanzen und selten Tierrassen Alte, rare Kulturpflanzen und selten gewordene Nutztierrassen sind ein wichtiger Bestandteil der Artenvielfalt; sie sichern eine grosse genetische Vielfalt, welche vielleicht irgendwann einmal für Neuzüchtungen genutzt werden kann. Im Die Futterkonservierung erfolgt heute mit anderen Methoden als noch vor hundert Jahren: schlagkräftiger, schneller, günstiger, effizienter. Aber nicht unbedingt biodiversitätsfreundlicher.(ed) Rahmen der Direktvermarktung kann deren die meisten alten Sorten und Rassen sind 5.1 Land pflegen, schützen und trotzdem benützen verschwunden, weil sie nicht rentabel Obwohl es nicht immer einfach ist waren. Und der Schweizer Markt besteht Biodiversität und Produktion unter einen nicht nur aus Nischen, das Gros der Hut zu bringen, braucht es beides. Eine rein Konsumenten ernährt sich nicht nur von auf technische Effizienz und produktive Spezialitäten. Leistung Anbau oder Haltung lohnend sein. Doch ausgerichtete Landwirtschaft kann für die Schweiz nicht erstrebenswert Viele ökologische Ausgleichsflächen sein. Aber auch eine rein konservierende Ökologische Ausgleichsflächen bieten der Landwirtschaft macht keinen Sinn. Denn einheimische Flora und Fauna und seltenen die Schweizer Bevölkerung wächst und der und gefährdeten Tier- und Pflanzenarten Konsum steigt. Alles, was nicht in der ungestörte Gleichzeitig Schweiz produziert wird, muss folglich aus schmälern sie die Produktion. Sie werden dem Ausland importiert werden. Aus zwar vom Staat entschädigt. Doch gibt es Ländern, in denen kein Ökoausgleich dafür keinen Markt; die Politik legt in der vorgeschrieben ist, keine Düngebilanz Regel einfach fest, was bezahlt wird und eingehalten werden muss, keine Fruchtfolge wie gross das Budget dafür ist. Ändert sich Pflicht ist. Aus Ländern also, in denen die die Politik, ändern sich auch die Beträge Biodiversität noch stärker unter Druck steht oder die Anforderungen, die gestellt als hierzulande. werden. Lebensräume. Die Belohnung und für die Bewirtschaftung der Ökoflächen ist von der politischen Willkür und dem Goodwill der Gesellschaft abhängig. LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 kaum noch produzierende 16 BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 17 6. Wie viel ist die Biodiversität wert? Wenn die Vielfalt schwindet, merkt man Automobilsektor, der Stahlsektors und der das meistens nicht sofort. Es tut schliesslich IT-Dienstleistungssektor weltweit zusam- nicht weh, wenn ein Käfer weniger auf men an Umsatz erwirtschaften! Und dieser dieser Erde lebt. Und dass immer mehr Wert ist durchaus günstig zu haben, denn Äcker überbaut oder in Wiesen umge- die geschätzten jährlichen Kosten für die wandelt werden, wird erst über einen Erhaltung der Schutzgebiete belaufen sich längeren Zeitraum sichtbar. Der Biochemiker nur auf etwa 40 bis 45 Milliarden US-Dollar Frederic Vester, ein Öko-PIonier und Autor – also nur etwa ein Prozent des Ertrags. Für zahlreicher Bücher, berechnete einmal den die Studienautoren ist klar, dass die globale Wert eines Blaukehlchens als Summe seiner Wirtschaft umdenken muss. Denn genauso Wirkung als Schädlingsbekämpfer, Verbrei- weiter wie bisher gewirtschaftet wird, ter von Samen, Freude fürs menschliche erwarten sie bis 2050, dass: Gemüt, als Bio-Indikator für Umweltbe- s 0ROZENTDERIM*AHRVERBLIEBENEN lastungen und Symbiosepartner und kam Naturräume verloren gehen, in erster dabei auf 154,09 Euro. Den Wert einer Linie als Folge der Flächenumwandlung hundertjährigen Buche schätzte er auf rund für landwirtschaftliche Zwecke, des 271‘000 Euro wert – das 2000-fache des Ausbaus der Infrastruktur und des Holzwertes. LIT 23 Vesters Berechnungen sind als Denkanstösse zu verstehen. Denn die Der „gefühlte“ Wert der Vielfalt lässt sich kaum fassen. Kämen die Touristen auch dann noch in die Schweiz, wenn die Alpen nicht mehr bewirtschaftet würden? (ed) Klimawandels s &AST0ROZENTDERDERZEITINUMWELT Weise bewirtschafteten 6.2 Biodiversität als Nutzwert Vielfalt des Lebens ist unbezahlbar, der schonender Wert der Biodiversität unendlich, eine Nutzflächen auf intensive Bewirtschaf- Es gibt zahlreiche andere Berechnungen monetäre Betrachtung deshalb sinnlos. tungsformen umgestellt werden, was zum Wert der Biodiversität. Häufig ist dann Doch in der Politik geht es nicht um den weitere Biodiversitätsverluste nach sich vom direkten oder indirekten „Gebrauchs- Wert an sich, sondern es geht darum zieht wert“ der Sorten oder Rassen die Rede. s 0ROZENT DER +ORALLENRIFFE BEREITS Weltweit werden zwischen 30‘000 und bis 2030 aufgrund von Fischerei, Ver- 80‘000 Pflanzenarten als essbar einge- schmutzung, invasiven schätzt. Doch nur 7‘000 Arten wurden im 6.1 Ökosysteme leisten mehr als die Industrie Arten und einer durch den Klimawandel Laufe der menschlichen Geschichte als bedingten Korallenausbleichung verloren Nahrung genutzt, und lediglich 150 Arten Die EU gab eine Studie in Auftrag zur gehen im grösseren Umfang kultiviert. Die herauszufinden, was es kostet, diese Werte zu erhalten. Krankheiten, pflanzliche und tierische Vielfalt ist eine „Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität“ (The Economics of Ecosys- In der zweiten Phase der Studie soll jetzt Voraussetzung für die Züchtung angepasster tems and Biodiversity, TEEB). Ziel der TEEB- genauer welche Sorten und Rassen – und zur Gewinnung Studie ist es, den wirtschaftlichen Wert der ökonomischen Modelle und Politikinstru- von Medikamenten und Heilmitteln. Dieser biologischen Vielfalt zu ermitteln. Die mente es braucht, damit die ökosystemaren Beitrag der Biodiversität zur Sicherung der Studie soll im Sommer 2010 fertig werden, Dienstleistungen Welternährung ist der wichtigste direkte erste Zwischenergebnisse liegen bereits können. untersucht LIT 20 werden, sichergestellt werden Gebrauchswert für den Menschen. vor. So wurde z.B. die Ökosystem-Leistung Wichtig ist aber auch „funktionale der rund 100‘000 Schutzgebiete dieser Biodiversität“, also dass zum Beispiel Welt auf 4,4 bis 5,2 Billionen US-Dollar pro Organismengemeinschaften im Boden (wie Jahr geschätzt. Das ist mehr als der Pilze und Mikroorganismen) den Boden LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT fruchtbar und damit für den Menschen 18 6.2.1 Ja sagen und Nein stimmen nutzbar machen. Oder dass rund 500 Wildbienenarten in der Schweiz kostenlos eine Bestäubungsfunktion übernehmen. Die biologische Vielfalt wird in diesem Zusammenhang als eine Art Versicherung angesehen, weil sie das langfristige Funktionieren von Ökosystemen auch dann noch garantiert, wenn sich die Umweltbedingungen ändern. Je grösser die Vielfalt, desto grösser ist das Anpassungsvermögen. In der Ökonomie gibt es verschiedene Ansätze die Zahlungsbereitschaft für etwas zu erfassen. Beliebt sind Umfragen im Stil von: „Wie viel wäre Ihnen einen alternative Landschaftsentwicklung wert?“ oder „Wenn es zur Landschaftserhaltung eine Abstimmung gäbe, und Sie müsste mit einer Steuererhöhung von 50 Franken rechnen, wie würden Sie stimmen?“ Auf diese Weise wurde z.B. 1998 ermittelt, dass die Haushalte im Zürcher Weinland bereit wären, durchschnittlich etwa 400 Franken pro Jahr zusätzliche Steuern zu bezahlen, um die Landschaft in ihrem aktuellen Zustand zu erhalten. Normalweise lässt sich nicht überprüfen, ob solche Versprechen wirklich eingehalten werden. Doch in diesem Fall ergab es sich, dass drei Monate später eine Abstimmung LIT 1 Doch die vielleicht wichtigsten Werte sind die die Existenz- und Vermächtniswerte. Sie sind in der Regel subjektiv und spiegelnd die Wertschätzung wieder, also dass man etwas auch nur um seiner selbst willen erhalten und weitergeben möchten. Existenz- und Vermächtniswerte einer über die Erhöhung des Natur- und Heimatschutzfonds im Kanton Zürich stattfand. Dabei ging es um 10 bis 20 Millionen Franken pro Jahr, was bei einer Million Einwohner rund 10 bis 20 Franken pro Person ausmacht. Doch siehe da: Fast alle Weinländer Gemeinden schickten die Vorlage bachab. Die vorausgegangene Umfrage, so hat man später in einer Analyse herausgefunden, hatte die Zahlungsbereitschaft um den Faktor 6 bis 50 überschätzt… Quelle: Hotspot 12/2005, Felix Schläpfer, Uni ZH intakten Umwelt gelten heute als Hauptmotivation für den Umweltschutz. LIT 19 7. Biodiversität und Agrarpolitik Wie es in Zukunft um die Biodiversität angebotsorientiertes System zu ersetzen. aussieht, steht noch nicht fest, das WDZ steht, wird in weiten Teilen von der Politik Dabei könnten die Bauern ihre Ökoflächen Konzept wird in den nächsten Monaten bestimmt. Sie schafft die erforderlichen dem Bund offerieren, es entstände ein detaillierter ausgearbeitet. Rahmenbedingungen – oder auch nicht. echter Markt mit einem Wettbewerb für Aktuell erarbeitet das Bundesamt für Ökoflächen. 7.1 Was kostet die Liberalisierung? Umwelt eine Biodiversitätsstrategie für die Mit WDZ könnte es in Zukunft auch Schweiz, welche nächstes Jahr vorliegen sein, dass sich die Ökobeiträge ständig Sicher ist jedoch, dass der wirtschaftliche soll. Das Bundesamt für Landwirtschaft verändern – je nachdem, welches Preis- Druck auf die Landwirtschaftsbetriebe mit wird dabei mit einbezogen. niveau landwirtschaftliche Produkte er- einem EU-Agrarfreihandel oder einem Parallel laufen die Arbeiten zur reichen. Sind die Preise für Weizen, WTO-Abkommen Weiterentwicklung des Direktzahlungs- Rindfleisch und Milch z.B. hoch, dann Gemischtwirtschaftliche Landwirtschafts- systems, WDZ, welche ebenfalls einen braucht es einen höheren Anreiz, damit die betriebe mit Tierhaltung und verschiedenen grossen Einfluss auf die Biodiversität haben Bauern ihre Produktion nicht intensivieren. Acker- könnten. So wird im WDZ etwa die Sind die Preise dagegen tief, würden auch eigentlich die besten Voraussetzungen, um Möglichkeit offen gelassen, den obliga- die Ökobeiträge nach unten angepasst, eine hohe Biodiversität auf allen drei torischen Anteil der ökologischen Aus- damit der Anreiz für Ökoflächen nicht Ebenen – Genetik, Arten und Ökosysteme gleichsflächen in Zukunft durch ein übertrieben gross würde. Wie genau das – zu fördern. Doch genau dieser Betriebstyp LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 und zunehmen Spezialkulturen wird. bieten BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT hat agrarpolitisch die Überlebenschancen, 19 geringsten denn die Globalisierung fordert Spezialisierung. Im globalen Handel spielt Biodiversität traditionsgemäss keine Rolle Die heute noch vielfältige Agrarlandschaft würde monotoner werden. Verschiedene Szenarien zeigen, dass der Ackerbau, der Obst- und Gemüsebau am meisten unter Druck kommt und vermehrt dem Grünland weicht. Das bedeutet, dass auch nicht mehr so viele Getreidesorten angebaut werden und dass es für Ackerunkräuter und Buntbrachen ebenfalls immer weniger Platz hat wenn Ackerbaugebiete in intensiv genutzte Bei einem Freihandel mit der EU oder einem WTO-Abschluss wird die Kartoffelproduktion in der Schweiz drastisch zurückgehen. Damit schwinden auch die blühenden Kartoffeläcker. (ed) Wiesen und Weiden umgewandelt werden, damit billige Milch für den Export produziert überhaupt noch Tiere braucht, die Gras werden kann. Grenzertragslagen würden oder Heu fressen. Statt den Wiesenaufwuchs in grossen Umfang aufgegeben, sofern sie zu verfüttern, gibt es ja auch die Möglichkeit, nicht stark subventioniert werden. Um eine das Heu zu verbrennen, das Gras in halbwegs flächendeckende Landbewirt- Biogasanlagen zu verwerten oder das Gras schaftung aufrecht zu halten, müssten die einfach zu mulchen und liegen zu lassen. Direktzahlungen deutlich erhöht werden – Derzeit kommt den Staat die Landwirtschaft das Eidgenössische Volkswirtschaftsde- – und die Produktion von einheimischen partement geht in seiner Botschaft zum Nahrungsmitteln – noch billiger als das Agrarfreihandel mit der EU davon aus, dass Verbrennen oder Vergasen des Aufwuchses. die Direktzahlungen doppelt so hoch sein Doch schon heute ist das mulchen und müssten, wie das landwirtschaftliche Roh- liegenlassen preislich günstiger als weiden, einkommen. Für jeden Franken Einnahmen heuen und verfüttern. Nur führt das weder würden die Bauern dann zwei Franken zu mehr Biodiversität noch zu einem Direktzahlungen erhalten. Dazu kämen höheren Ausgaben in Milliardenhöhe für Begleitmassnahmen. Trotzdem würde der Strukturwandel forciert, es gäbe schweizweit weniger Betriebe mit grösseren Flächen, welche effizienter bewirtschaftet werden müssten – womit weniger Zeit für die Pflege der Vielfalt zur Verfügung stünde. Bereits werden an der Forschungsanstalt Agroscope Tänikon Berechnungen angestellt, ob es für die Offenhaltung der von der Vergandung bedrohten Landschaft LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 Selbstversorgungsgrad Bevölkerung. LIT 22 der BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 20 8. Ist die Gesellschaft reif für mehr Vielfalt? „Biodiversität ist in derAlltagswahrnehmung Biodiversität der Schweizer Bevölkerung angekommen“, Letztlich sollen die Steuerzahler und lautete die Zusammenfassung einer kürzlich Konsumenten diese Arbeit ja honorieren. erschienenen Studie des Bundesamtes für Fragt sich nur, wie das geschehen soll, Umwelt, wenn a) das Problembewusstsein in der BAFU, welche auf einer LIT 24 kennt und wertschätzt. . Sie Bevölkerung gering ist und b) die wenigsten stellte fest, dass die Schweizer Bevölkerung der Befragten wissen, dass Biodiversität mehrheitlich weiss, was mit dem Begriff nicht nur auf Naturschutzflächen vorkommt. Biodiversität gemeint ist und dass sie die Denn auch das hat die Umfrage an den Tag Erhaltung aus verschiedenen Gründen für gebracht: Mit Biodiversität assoziiert die wichtig halten: für zukünftige Generationen, Bevölkerung für die Schönheit der Natur, als Basis einer Naturschutz im weitesten Sinne oder moralischen aus Bioprodukte. Dass eine vielfältige Land- wirtschaftlichen Gründen. Interessanter- wirtschaft mit vielfältigen Höfen die eine weise hatten die meisten Befragten hohen Rassen- und Sortenvielfalt kultivieren trotzdem kein Bedürfnis, mehr zu diesem auch Thema zu erfahren. Dass die Vielfalt in der weitgehend unbekannt. repräsentativen Umfrage beruht. Pflicht, oder dazu vor allem gehören, Artenvielfalt, scheint noch Schweiz ernsthaft bedroht ist, war nur rund Es gibt also noch viel zu tun. Das der Hälfte der Befragten klar, die Mehrheit Internationale Jahr der Biodiversität 2010 stufte eine allfällige Bedrohung höchstens bietet die Gelegenheit dazu. Die Be- als mittelmässig ein. Grundsätzlich scheint völkerung soll wissen, was es langfristig es zwar eine gewisse Bereitschaft zu geben, braucht, um die Vielfalt aufrecht zu erhalten. auf der Sie sollte verstehen, dass Biodiversität ein Biodiversität zu reagieren. In der Umfrage Koppelprodukt einer vielfältigen Land- wurden Massnahmen wirtschaft ist. Denn ohne Bauern gibt es mehrheitlich akzeptiert. Doch – wie so oft keine Biodiversität – doch ohne Biodiversität – war die Akzeptanz von Massnahmen nur gibt es auch keine Landwirtschaft. die drohende Verarmung entsprechende dann gross, wenn die Befragten nicht persönlich davon betroffen waren. 8.1 Aufklärung tut Not Auch die Bauern und Bäuerinnen sind Teil der Gesellschaft, in vielen Fällen dürfte ihre Einschätzung des Zustands der Biodiversität ähnlich ausfallen. Vielleicht halten sie die Biodiversität auch nicht in dem Ausmass für bedroht, wie das die meisten Naturwissenschafter tun? Allerdings sind die Bauern und Bäuerinnen darauf angewiesen, dass die Bevölkerung die bäuerlichen Aktivitäten zur Erhaltung der LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 Das Jahr der Biodiversität ist eine Chance die Bevölkerung für die Zusammenhänge Landwirtschaft und Biodiversität zu sensiblisieren. BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 9. Quellen / Literatur / Links 1. Agrarbericht Bundesamt für Landwirtschaft, BLW, diverse Ausgaben 2. Statistische Erhebungen und Schätzungen Schweizerischer Bauernverband, 2007 3. Zustand der Biodiversität in der Schweiz, Ergebnisse des Biodiversitäts-Monitorings Schweiz Biodiversitätsmonitoring, 2009 4. Tiergenetische Ressourcen der Schweizerischen Landwirtschaft Bundesamt für Landwirtschaft, BLW, 2007 5. Rote Liste Bundesamt für Umwelt, BAFU 2008 6. Hotspot Forum Biodiversität, diverse Ausgaben 7. Gesellschaftliche Leistungen der biologischen Landwirtschaft Urs Niggli, Otto Schmid, Matthias Stolze u.a., FiBL, 2008 8. Akzeptanz ausgewählter Ökomassnahmen Stefan Mann, Agroscope FAT Tänikon, Agrarforschung, 2005 9. Entwicklung von Kriterien zur Bewertung von Ökologie und Landschaft im Sömmerungsgebiet Corina Schiess, Irene Weyermann, Regula Benz; Agridea, 2008 10. Leitfaden für die Anwendung des Punktesystems IP Suisse 2009 11. Mit Vielfalt punkten – Bauern beleben die Natur FiBL, Schweizerische Vogelwarte Sempach, Bio Suisse, IP-Suisse; FiBL, 2009 12. Welche ökologische Leistung erbringt mein Betrieb? Forschungsinstitut für biologischen Landbau, FiBL, 2002 13. Charta für Weinberge mit Biodiversität Delinat-Institut, 2009, 14. Mit Kulturpflanzen verwandte Wildarten erhalten Häner, Schierscher et.al, Agrarforschung, 2009 15. Artenvielfalt auf konventionellen-, IP- und Biobetrieben Claudia Schreiber und Bernhard Lehmann, ETH Zürich, 1996 16. Invasive Pflanzen: Herausforderung für die Landwirtschaft? Christian Bohren, Agrarforschung 2008 17. Unerwünschte Pflanzen in Buntbrachen Christian Bohren, Agrarforschung, 2007 18. Umsetzungsanalyse ÖQV-Vernetzung Michael Weber, BLW, 2007 19. Biodiversität und der Wert der Ökosystemleistungen Andreas Hauser, BAFU, 2009 20. Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität (The Economics of Ecosys-tems and Biodiversity, TEEB) Deutsches Bundesumweltministerium, 2008 21. Kosten eines gesetzeskonformen Schutzes der Biotope von nationaler Bedeutung Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, WSL, Pro Natura und Forum Biodiversität, 2009 LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 21 BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT 22. Was kostet die Verhinderung des Waldeinwuchses im Berggebiet? Dunja Dux, ART Informationstagung Agrarökonomie, 2008 23. Der Wert eines Vogels Frederic Vester, Kösel-Verlag, 1987 24. Biodiversität ohne tiefergreifende Sensibilisierung in der Alltagswahrnehmung angekommen Bundesamt für Umwelt, BAFU, 2009 25. Verordnung über die Direktzahlungen an die Landwirtschaft, DZV Stand 2009 26. Verhandlungen Schweiz-EU für ein Freihandelsabkommen im Agrar- und Lebensmittelbereich (FHAL), Ergebnisse der Exploration und Analyse EDI / EDA / EVD, 2008 www.biodiversitaet2010.ch Die offizielle Website der Schweiz zum Internationalen Jahr der Biodiversität 2010. www.biodiversity.ch Publikationen -> Hotspot www.biodiversitymonitoring.ch Service -> Zweiter Lagebericht www.bafu.admin.ch Pflanzen und Tiere -> Rote Liste www.delinat-institut.org -> Charta für Weinberge in Biodiversität LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010 22