Biodiversität als Koppelprodukt der Landwirtschaft

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Nr. 439 vom 12. Januar 2010
Biodiversität als Koppelprodukt
der Landwirtschaft
ZUSAMMENFASSUNG.
Die Artenvielfalt nimmt
zu, die Ökoflächen bleiben
konstant, die Agrobiodiversität ist in Genbanken
gesichert. Doch die Vielfalt
wird immer gleichförmiger. Und die vielfältigen
Familienbetriebe, die Hüter
einer vielfältigen Landwirtschaft, drohen zum
Auslaufmodell zu werden.
Von Eveline Dudda, Dipl.Agr.Ing. und
Stimmen die Lebensbedingungen, dann haben Raupen, Schmetterlinge und viele andere
Tiere in den landwirtschaftlichen Kulturen Platz. (ed)
Agrarjournalistin
schweizerische Landwirtschaft ist be-
Das Jahr 2010 ist das Jahr der Biodi-
Mehr Arten – weniger
Artenreichtum
versität. Zahlreiche Aktivitäten sind
Obwohl zugunsten der Biodiversität
könnten dazu führen, dass sich der
geplant, häufig wird dabei die Land-
bereits vieles unternommen und vieles
Acker-, Obst- und Gemüsebau in der
wirtschaft dabei thematisiert. So wer-
erreicht ist, besteht kein Grund zur
Schweiz nicht mehr lohnt. Dann würde
den die Naturschutzorganisationen
Beruhigung: Denn die Vielfalt wird
schweizweit fast nur noch Milch für
darauf hinweisen, dass die Bauern viel
nicht wertvoller, sondern gleichförmiger.
den Exportmarkt produziert. In einer
zu wenig für die Erhaltung der Biodi-
Die Rassen und Sorten gleichen sich
nach ökonomischen Gesichtspunkten
versität tun. Und die landwirtschaftli-
an, die Vielfalt wird immer banaler. Das
„fit-getrimmten“ Landwirtschaft wür-
chen Organisationen werden aufzei-
gilt sowohl für den Bereich der
den einseitige Spezialbetriebe domi-
gen, dass sich die Bauern bereits sehr
wildlebenden Pflanzen und Tiere als
nieren, welche sich an industriellen
für die Erhaltung der Vielfalt einsetzen.
auch bei der Agrobiodiversität. Aller-
Werten wie Wachstum und Cash-flow
Im vorliegenden Dossier geht es um
Welts-Rassen verdrängen heimische
orientieren. Vielfältige Familienbetriebe
den Bereich „dazwischen”: Wo und
Rassen aus den Ställen und der Markt
verlieren ihre Existenzberechtigung.
warum machen die Bauern etwas für
für alte Kulturpflanzen findet nach wie
Mit ihnen verschwinden zahlreiche
die Biodiversität? Warum machen sie
vor nur in einer kleinen Nische statt.
Lebensräume. Denn Biodiversität ist
ein Koppelprodukt einer vielfältigen
nicht mehr, warum nicht weniger? WelGesellschaft wirklich bereit, mehr Geld
Vielfältige Betriebe oder
Spezialisten?
für mehr Biodiversität auszugeben?
Auf lange Sicht hängt das Überleben
Die Abhandlung ist nicht vollständig –
der Menschheit von der Vielfalt ab;
dafür ist das Thema viel zu komplex –,
einer Vielfalt, die von einer vielfältigen
sondern als Diskussionsbeitrag ge-
Landwirtschaft am besten bewahrt
dacht .
werden kann. Und die vielfältige
che Rolle spielt das Geld? Ist die
droht: Globalisierung und Freihandel
Redaktion: Markus Rediger (mr), Roland Wyss-Aerni (wy), Helene Soltermann (hs) | [email protected]
Das Dossier erscheint sechsmal pro Jahr | Online-Archiv unter www.lid.ch
Landwirtschaft. Ohne Bauern keine
Vielfalt.
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
3
Inhalt
Biodiversität als Koppelprodukt der Landwirtschaft
……………………………………………………………. 1
1. Biodiversität: Ein vielfältiger Begriff ……………………………………………………………………………. 4
1.1 Die Artenvielfalt steigt
……………………………………………………………………………………………. 4
1.2 Mehr Arten – weniger Wert
………………………………………………………………………………………. 5
1.3 Aller-Welts-Rassen auf dem Vormarsch
1.4 Vereinheitlichung schretet voran
……………………………………………………………………………. 5
……………………………………………………………………………………. 5
1.5 Wald frisst Wiesen, Siedlungen fressen Äcker
………………………………………………………………………. 6
2. Agrobiodiversität: Genpool der Zukunft
………………………………………………………………………. 7
2.1 Kulturpflanzen-Vielfalt
……………………………………………………………………………………………. 7
2.1.1 Der Markt ist nicht auf Vielfalt eingestellt
2.2 Vielfalt der Nutztierrassen
………………………………………………………………………. 7
………………………………………………………………………………………. 8
3. Wilde Vielfalt auf genutzten Flächen
3.1 Kein Ökoausgleich passt überall
…………………………………………………………………………. 9
…………………………………………………………………………………. 9
3.1.1 Die wichtigsten Anforderungen einiger Ökoflächen
3.2 Sonderfall Sömmerungsgebiet
……………………………………………………………. 10
……………………………………………………………………………………. 10
3.3 Die Schattenseiten des Ökoausgleichs
……………………………………………………………………………. 11
3.3.1 Biotopschutz auf Kosten der Bauern
……………………………………………………………………………. 12
3.4 Geld allein macht noch keine Biodiversität
…………………………………………………………………………. 12
3.5 Biodiversität und Produktion: Ein Widerspruch?
3.6 Hier hui, dort pfui
……………………………………………………………………. 12
………………………………………………………………………………………………. 13
4. Biodiversität mit System?
……………………………………………………………………………………. 14
4.1 Bio und Biodiversität: Ja aber …
…………………………………………………………………………………. 14
4.2 Terra Suisse: Bewährungsprobe steht bevor
4.3 Eine Charta für die Biodiversität
………………………………………………………………………. 14
…………………………………………………………………………………. 15
5. Vielfältige Betriebe sichern vielfältige Natur
5.1 Land pflegen, schützen und trotzdem benützen
6. Wie viel ist die Biodiversität wert?
6.1 Ökosysteme leisten mehr als die Industrie
6.2 Biodiversität als Nutzwert
……………………………………………………………………………. 17
…………………………………………………………………………. 17
……………………………………………………………………………………. 18
7. Biodiversität und Agrarpolitik
…………………………………………………………………………………. 18
……………………………………………………………………………………. 18
8. Ist die Gesellschaft reif für mehr Vielfalt?
8.1 Aufklärung tut Not
……………………………………………………………………. 16
………………………………………………………………………………………. 17
6.2.1 Ja sagen und Nein stimmen
7.1 Was kostet die Liberalisierung
…………………………………………………………………. 15
……………………………………………………………………. 20
………………………………………………………………………………………………. 20
9. Quellen / Literatur / Links
………………………………………………………………………………………. 21
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
4
1. Biodiversität: Ein vielfältiger Begriff
Noch beherbergt die Schweiz eine grosse
nutzten Flächen vor, fast die Hälfte davon
1.1 Die Artenvielfalt steigt
biologische Vielfalt. Schätzungen zufolge
auf Wiesen und Weiden. Bei den Reptilien
Wie steht es eigentlich um die Biodiversität
gibt es hierzulande weit über 40‘000
wurde sogar jede dritte Beobachtung im
in der Schweiz? Ist sie bedroht? Nimmt sie
Pflanzen- und Tierarten. Die Biodiversität
Rahmen des Biodiversitätsmonitorings auf
ab? Um das beurteilen zu können, hat das
umfasst nicht nur Arten, sondern teilt die
einer landwirtschaftlichen Nutzfläche ge-
Bundesamt für Umwelt (BAFU) 2001 ein
Vielfalt in drei Bereiche ein:
macht, bei der Zauneidechse war es sogar
Biodiversitätsmonitoring eingerichtet, das
s DIE!RTENVIELFALT 0FLANZEN4IERE -IKRO
jede zweite. Weil die Landwirtschaft gleich-
BDM. Es misst den Zustand der Biodiversität
zeitig Wildtiere (wie z.B. Füchse) und Wild-
so dass mit der Zeit eine Art „Dow-Jones-
s DIE GENETISCHE 6IELFALT VON ,EBEWESEN
pflanzen (wie z.B. Unkräuter) wie Nutztiere
Index für Naturwerte“ entsteht. Das BDM
und Pflanzen (Pflanzensorten und Tier-
und Nutzpflanzen beherbergt, kann man
hat zwei über die ganze Schweiz verteilte
Rassen)
die beiden Bereiche eigentlich gar nicht
Stichprobennetze.
trennen.
geben Auskunft darüber, wie sich die
ben, Pilze usw.)
s DIE 6IELFALT VON ¾KOSYSTEMEN UND
Diverse
Indikatoren
Dank der abwechslungsreichen Topo-
biologische Vielfalt langfristig verändert.
grafie, den Alpen, Tälern und Seen hat die
Dazu gehören direkte Zustandsindikatoren,
Die Biodiversität bezieht sich sowohl
Schweiz eine grosse Vielfalt natürlicher
wie etwa die Veränderung der Fläche
auf wildlebende Tiere und Pflanzen als
Lebensräume. Diese Lebensräume nutzen
wertvoller Biotope. Aber auch indirekte
auch auf Tiere und Pflanzen, die in der
die Bauern. Sie rodeten die Wälder, legten
Faktoren, welche die biologische Vielfalt
Landwirtschaft genutzt werden, der so
Wiesen und Weiden an, pflegten Äcker und
beeinflussen, wie
genannten Agrobiodiversität. Viele wild-
Obstgärten. Erst durch sie entstand die
Veränderung des Nährstoffangebots im
lebende Pflanzen und Tiere kommen
Vielfalt, wie wir sie heute kennen. LIT 1
Boden. LIT 3
Lebensräumen (Wald, Wiese, Weide,
Acker, Hecke, Moor usw.)
zum
Beispiel
die
ausschliesslich auf landwirtschaftlich ge-
Entwicklung der Artenzahl in der Schweiz
Zwischen 1900 und 2000 stieg die Zahl der wild lebenden Arten, die das BDM überwacht, leicht an.
Artenzahl 1900
Anzahl Arten, die
zwischen 1900
und 2000 ständig
vorkamen
Neue Arten
Verschwundene
Arten
Netto
Artenzahl 2000
51
49
8
2
57
Brutvögel
160
152
19
5
174
Reptilien
14
14
1
0
15
Amphibien
18
16
1
0
19
Fische
53
49
3
3
53
Tagfalter
191
188
1
3
189
Heuschrecken
105
102
1
3
103
65
62
3
3
65
657
633
37
19
675
Säugetiere ohne
Fledermäuse
Libellen
Total
Quelle: Biodiversitätsmonitoring Schweiz 2009
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
5
Die bisherigen Ergebnisse des BDM
Roten Liste figurieren etwa 37 Prozent der
Dagegen sind viele heimische Nutz-
überraschen auf den ersten Blick. Rein
Säugetierarten in der Kategorie „ge-
tierrassen noch immer vom Aussterben
zahlenmässig hat die Vielfalt in der
fährdet“, bei den Brutvögeln sind es 40
bedroht, weil sie nicht, nicht mehr oder
Schweiz nämlich zugenommen. So leben
Prozent, bei den Fischen 60 Prozent und
kaum noch wirtschaftlich genutzt werden.
heute mehr Tierarten in der Schweiz als
bei den Reptilien sogar 80 Prozent. Wenn
Ein Teil der genetischen Vielfalt geht sogar
noch vor hundert Jahren. Das dürfte
die „potenziell gefährdeten“ noch dazu
verloren, ohne dass eine Art ausstirbt: Weil
mehrere Gründe haben: Erstens konnten
gezählt werden, dann braucht rund die
sich die Zucht auf wenige Linien und
einige Restbestände bedrohter Arten
Hälfte unserer Flora und Fauna dringend
wenige
dank gezielter Naturschutzbemühungen
Hilfe! Gerade die Arten, die ein erhöhtes
nimmt die Vielfalt der Gene ab. Diese
gerettet werden. Zweitens wurden in
Aussterberisiko haben, sind für den Erhalt
Gefahr ist ganz besonders gross bei kleinen
vielen Gebieten neue Arten eingeschleppt
und
drittens
waren
der Artenvielfalt besonders wichtig.
LIT 5
Rassenvertreter
konzentriert,
Populationen. Es braucht deshalb noch
immer grosse Anstrengungen, um alte
verschiedene
zum Beispiel der Steinbock, der Biber,
1.3 Aller-Welts-Rassen auf
dem Vormarsch
die Bisamratte, aber auch der Waschbär
Bei
die
Genau wie bei den Nutztierrassen ver-
inzwischen in der Schweiz heimisch. Der
Entwicklung ähnlich aus: Zwar haben
mitteln auch die BDM-Zahlen zu den
Braunbär hat bekanntermassen ebenfalls
Lamas, Yaks, Strausse und viele andere,
Kulturpflanzensorten ein verzerrtes Bild.
Versuche unternommen, sich hierzulande
ehemals unbekannte Tierarten in Schweizer
Denn obwohl es bei der Gerste 731 Sorten
niederzulassen. Neben Schwalben und
Ställen
Tatsächlich
gibt, 1174 Apfelsorten und 97 Kartof-
Steinadlern schweben heute auch Gänse-
ermöglichen sie manchen Bauern eine
felsorten in der Schweiz existieren, werden
und Bartgeier über den Eidgenossen; in
Nischenproduktion. Aber auch bei den
nur wenige Sorten grossflächig angebaut.
den letzten hundert Jahren sind gesamthaft
traditionellen Tierarten Rind, Schwein oder
Die Konsumenten finden von dieser Vielfalt
19 Brutvogelarten neu in der Schweiz
Schaf ist in den letzten Jahren laut BDM
nur wenig im Angebot des Detailhandels.
aufgetaucht.
die Rassenvielfalt gestiegen. So hat sich
Wiederansiedlungen erfolgreich. So sind
der
Agrobiodiversität
Einzug
gehalten.
sieht
Rassen mit ihren speziellen genetischen
Merkmalen zu erhalten.
der Rinderrassen in der Schweiz von 19 auf
1.4 Vereinheitlichung
schreitet voran
29 erhöht.
Die Artenvielfalt auf den Wiesen und
dank der Mutterkuhhaltung z.B. die Zahl
1.2 Mehr Arten –
weniger Wert
Wer aus diesen Zahlen schliesst, der
Doch bei den eingeführten Rassen
Weiden ist laut BDM ebenfalls gestiegen.
Biodiversität gehe es blendend, der irrt.
handelt es sich in den meisten Fällen um
Doch verheissen diese Arten nichts Gutes
Eine hohe Zahl von Arten in einer Region
weitverbreitete Aller-Welts-Rassen.
zur ökologischen Qualität des Pflanzen-
ist zwar grundsätzlich positiv. Allerdings
nur, wenn neue weit verbreitete Arten
keine einheimischen, weniger verbreitete
Arten verdrängen.
Wenn man die Anzahl gefährdeter
Arten betrachtet, dann ergibt sich ein
gänzlich anderes Bild: In den letzten 150
Jahren sind allein in der Schweiz 224 Tierund Pflanzenarten ausgestorben oder
verschollen. Ein Drittel der Blütenpflanzen
und Farne sind bereits verschwunden, bei
den Moosen und Flechten sind 40 Prozent
ausgestorben oder gefährdet. Auf der
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
Bei den Nutztieren wurden zahlreiche
exotische Rassen, wie zum Beispiel diese
Kamerunschafe, eingeführt. (ed)
6
hauptsächlich im Mittelland und im Jura zu
ändert sich auch die Lebensgemeinschaft.
beobachten, in den Bergregionen dagegen
Ein Blick auf die Veränderung der Arealnut-
(noch) nicht. Es gibt immer mehr „Normal-
zung lässt nichts Gutes ahnen. Die Schweiz
wiesen“, „Normwaldränder“ oder „Stan-
wurde vor allem in der zweiten Hälfte des
dardhecken“ in der Schweiz, die überall
20. Jahrhunderts stark überbaut. Auch der
ähnlich aussehen und auch ähnliche Arten
Wald dehnte sich stark aus.
beherbergen. Wie in den Städten finden
Landwirtschaftlich genutzte Flächen
wir auch auf den Wiesen immer mehr Ein-
stehen doppelt unter Druck: Einerseits
heitsbrei.
LIT 6
bildet
grösste
das
Landwirtschaftsgebiet
Reserve
für
Bauland
die
und
Verkehrswege. Andererseits zwingt der
bestands. Wertvoll wären vor allem wenig
1.5 Wald frisst Wiesen,
Siedlungen fressen Äcker
verbreitete Arten, sowie Arten, die spezielle
Auf Golfplätzen spriessen keine Ackerun-
Landwirtschaftsbetriebe zur Rationalisie-
ökologische Ansprüche an ihre Umgebung
kräuter, über Autobahnen hinweg vermeh-
rung und Intensivierung. Die Betriebe
stellen. Arten, die typisch sind für bestimm-
ren sich keine Feldhasen und Feldlerchen
werden grösser, während der Arbeits-
te Lebensräume und die die Landschaft
brüten nicht im Wald: Jede Nutzung hat
kräftebesatz gleich bleibt oder sinkt. Die
unverwechselbar machen. Aktuell sieht es
ihre eigenen Lebensraumgesellschaften
Bewirtschaftung unrentabler oder kaum
aber danach aus, als steige die Artenvielfalt
mit den entsprechenden, angepassten Tier
mechanisierbarer Flächen nimmt ab, auf
nur deshalb, weil sich ohnehin häufige Ar-
-und Pflanzengemeinschaften. Wenn sich
den so genannten Grenzertragsflächen
ten weiter ausbreiten. Dieses Phänomen ist
die Nutzung der Landschaft verändert, ver-
dehnt sich deshalb der Wald aus.
wirtschaftliche Druck die verbleibenden
Arealnutzung in der Schweiz
Die Tabelle stützt sich auf die Arealstatistik, die die Schweizer Landschaft mit Luftaufnahmen erfasst und derzeit aktualisiert wird.
Die Daten beziehen sich auf Veränderungen zwischen 1979/85 und 1992/97, aktuellere Daten werden demnächst vorliegen.
Fläche in ha
1979/85
Gebäude
Fläche in ha
1992/97
Veränderung in ha
118'105
137'558
19'453
Industrie, Gewerbe, Infrastruktur
99'759
1111'879
12'100
Abbau, Deponien, Baustellen
14'962
13'793
-1'169
Erholungs- und Grünanlagen
13'578
15'860
2'282
946'696
926'367
-20'329
Dauerkulturen
70'939
60'954
-9'985
Feldgehölze, Hecken
35'921
35'807
-114
1'007'907
1'025'223
17'316
769'911
756'429
-13'482
64'561
62'265
-2'296
803'671
799'405
-4'266
Feuchtgebiete
8'621
8'967
346
Wasserflächen
173'845
173'969
124
4'128'476
4'128'476
Acker- und Dauergrünland
Wälder
Strauch- und Krautvegetation,
inklusive alpwirtschaftlich genutzte Flächen
Baumgruppen und aufgelöster Wald auf landwirtsch. Nutzfläche
Offene Flächen
Total Fläche Schweiz
Quelle: Biodiversitätsmonitoring Schweiz / Arealstatistik
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
7
2. Agrobiodiversität: Genpool der Zukunft
Wenn von Biodiversität die Rede ist, ist
wert, der keine Köpfe bildet? Wer kauft
zu werden. Denn nur eine grosse
meistens die Vielfalt wildlebender Pflanzen
heutzutage einen mehligen Apfel? Und
genetischen Vielfalt ermöglicht es, die
und Tiere und ihrer Ökosysteme gemeint.
welcher Bauer kann sich eine Kuh leisten,
zukünftige Produktion an veränderte
Die Agrobiodiversität, die Vielfalt der
die mehr frisst und weniger Milch gibt? Nur
Umwelt-, Markt- und Produktionsbeding-
landwirtschaftlichen Nutztierrassen und
ein kleiner Prozentsatz der vielen tausend
ungen anzupassen. Niemand weiss, welche
Kulturpflanzen, geht häufig dabei unter,
Sorten und Rassen schafft den Weg in den
Herausforderungen mit dem Klimawandel
ihre
und
Handel. Das gelingt noch am ehesten,
in
kulturelle Bedeutung wird oft verkannt.
wenn die Sorten oder Rassen speziell
zukommen werden.
Dabei ist die Agrobiodiversität eine
aussehen (z.B. rot-weiss gestreifte Randen),
Bei der Erhaltung unterscheidet man
wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste
einen speziellen Geschmack haben (z.B.
grundsätzlich die beiden Formen ex-situ
Grundlage der menschlichen Ernährung.
schwarze Tomate oder Wollschweinefleisch)
und in-situ. Ex-Situ bedeutet, dass Saatgut,
Sehr viele alte Sorten und Rassen verfügen
oder sich als traditionelles Kulturgut
Pflanzknollen, Ganzpflanzen, Gewebekul-
über spezielle Eigenschaften. Das können
etablieren lassen (z.B. Ribelmais oder
turen etc. in Genbanken gelagert werden.
Resistenzen gegen bestimmte Krankheiten
Einkorn). Aber auch dann handelt es sich in
Von In-situ oder on-farm spricht man
und Schädlinge sein, oder ein besseres
der Regel um eine Nischenproduktion.
dagegen wenn die Pflanzen (in kleinem
wirtschaftliche, ökologische
Zukunft
auf
die
Landwirtschaft
Umfang) angebaut bzw. die Tiere gehalten
Anpassungsvermögen an Höhenlagen und
widrige Witterungsverhältnisse. Manchmal
2.1 Kulturpflanzen-Vielfalt
und vermehrt werden. Der Vorteil der in-
sind es ganz spezielle Produkteigenschaften,
Auch wenn sie sich vielleicht niemals mehr
situ-Erhaltung ist, dass sich die Sorten und
wie ein ausgeprägter Geschmack.
verkaufen lassen, so sind trotzdem alle
Rassen den veränderten Umweltbeding-
alten Sorten und Rassen es wert, erhalten
ungen (Klima, Boden etc.) anpassen
Dass so viele alte Sorten und Rassen
trotzdem nicht mehr angebaut oder
gehalten werden, hat verschiedene Gründe.
Einer davon ist, dass sich die Konsum-
2.1.1 Der Markt ist nicht auf Vielfalt eingestellt
gewohnheiten geändert haben. Kochobst
Theoretisch könnte man in der Schweiz das ganze Jahr über eine breite Palette von
ist heute genauso wenig gefragt wie ein
Apfelsorten frisch oder aus dem Keller anbieten: Das würde im Juli mit frühen Sorten
Schweinskotelett mit einer dicken Speck-
wie dem „Klarapfel“ anfangen, dann könnten mittelfrühe Sorten wie „Gravensteiner“
schicht. Viele Landsorten lassen sich zudem
folgen, im Herbst die „Goldparmäne“ vor, gefolgt von den gut lagerfähigen „Belle de
nicht rationell anbauen: Die Bestände
Boskoop“, den lang haltbaren „Glockenäpfeln“ und den zum Schluss der „Reinette
reifen uneinheitlich und nicht zur selben
de Champagne“. Doch Handel und Grossverteiler haben lieber wenige Sorten, weil
Zeit aus, sie können deshalb nicht gut
das einfacher zum verwalten ist. Um ein, zwei oder drei Sorten Äpfel das ganze Jahr
maschinell geerntet werden. Viele alte
hindurch in gleichbleibender Qualität anbieten zu können, gibt es deshalb spezielle
Rassen wachsen zudem sehr langsam oder
Lagerhäuser mit hoher Luftfeuchtigkeit, sehr wenig Sauerstoff und Kohlendioxid und
sie geben wenig Milch, legen wenig Eier.
einer Temperatur von 2 bis 4 Grad Celsius. Würde man die Sortenvielfalt ausnutzen,
Der Hauptgrund dafür, dass so viele Sorten
bräuchte man nur einen einfachen Keller.
und Rassen verschwanden, liegt in der
Und weil im Handel so wenige Sorten dominieren, bauen die Obstbauern vor allem diese
mangelnden Wirtschaftlichkeit: Der Ertrag
Sorten an, selbst dann wenn sie besonders krankheitsanfällig sind. Die Vielfalt nutzen
ist im Vergleich zu modernen Sorten und
sie höchstens im Direktverkauf. Dort und in vielen Quartierläden findet man noch eine
Rassen zu gering.
Palette an Sorten – übrigens oft sogar zu einem tieferen Preis, weil die technischen
Seit Jahren wird versucht, die genetische Vielfalt wieder in Wert zu setzen.
Doch was ist ein Kohlkopf auf dem Markt
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
Lagerhaltungskosten wegfallen.
Quelle: Hotspot 17/2006, Roger Corbaz
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
Die Schweiz hat enorm viele Apfelsorten,
doch die wenigsten davon gelangen in
die Regale der Grossverteiler. (ed)
8
2.2 Vielfalt der
Nutztierrassen
gezielten Paarungen werden auch wirt-
In der Schweiz, einem typischen Grasland,
schaftliche Massnahmen wie die Her-
spielt die Viehhaltung seit jeher eine
stellung rassenspezifischer Produkte unter-
bedeutende Rolle. Tiere und tierische
stützt, z.B. Taschen von Fellen der Walliser
Erzeugnisse machen 54 Prozent der
Schwarzhalsziegen oder Frischkäse aus
landwirtschaftlichen Endproduktion aus,
Milch
der Selbstversorgungsgrad liegt in diesem
Vermarktung solcher Produkte trägt direkt
Bereich sehr hoch. Mit über 90 registrierten
und indirekt zur Förderung der Rasse bei.
Neben züchterischen Massnahmen wie
reiner
Appenzellerziegen.
Die
Pferde-, Rinder-, Schweine-, Schaf- Ziegen-
Den grössten Erfolg haben alte Rassen
können. Beide Formen werden in der
und Bienenrassen verfügt die Schweiz über
in der Hobbyhaltung. Eine Kampfkuh im
Schweiz
des
eine eindrückliche Vielfalt an landwirt-
Wallis darf durchaus etwas kosten; die
pflanzengenetischen Erbes der Schweiz
schaftlichen Nutztieren. Doch nur gerade
Stiefelgeiss eines Nebenerwerbsbauern
sind unter dem Dach der „Schweizerischen
vierundzwanzig Rassen sind ursprünglich,
muss nicht unbedingt den maximalen
Kommission
also einheimisch.
Fleischertrag bringen. Und beim familien-
praktiziert.
für
Die
die
Hüter
Erhaltung
von
zusammenge-
Verschiedene Organisationen bemühen
eigenen Haus-Huhn kann es sogar ein
schlossen. Sie kultivieren, sammeln und be-
sich seit Jahren um den Erhalt der ge-
Vorteil sein, wenn es nur 100 Eier im Jahr
schreiben die pflanzengenetischen Res-
fährdeten Rassen. So z.B. die private
legt statt 300 wie moderne Leistungs-
sourcen. Sie werden dabei mit finanziellen
Stiftung „Pro Specie Rara”, die 1982 ins
rassen.
Mitteln aus dem „Nationalen Aktionsplan
Leben gerufen wurde. Seit 1999 unterstützt
zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung
das BLW Projekte im Rahmen der Erhaltung
der pflanzengenetischen Ressourcen für
der Rassenvielfalt bei landwirtschaftlichen
Ernährung und Landwirtschaft“ vom Bun-
Nutztieren in der Schweiz. Gegenwärtig
desamt für Landwirtschaft, BLW, unterstützt.
sind zehn Schweizer Rassen der Gattungen
Das Spektrum ist riesig, die genetischen
Rinder, Pferde, Schweine, Schafe und Ziegen
Ressourcen umfassen vom Obst, Walnüssen
in Erhaltungsprogramme eingebunden.
und
Reben,
Dabei handelt es sich um Rassen, die
Ackerpflanzen, Kartoffeln, Gemüse, Aroma-
gemäss internationalen Kriterien gefährdet
und Medizinalpflanzen bis hin zu den
sind (Appenzellerziege, Bündner Strahlen-
Futterpflanzen alles, was genutzt werden
ziege,Pfauenziege, Stiefelgeiss, Engadiner-
kann. Gerade im Bereich der Futterpflanzen
schaf, Spiegelschaf) und um Rassen, die im
gilt der Alpenraum als Hotspot. Die
Moment nicht gefährdet sind, deren
genetische Vielfalt der Naturwiesen der
Bestände jedoch sinkende Tendenz oder
Schweiz ist besonders gross.
zunehmende Inzucht aufweisen (Freiberger
Kulturpflanzen“,
SKEK,
Edelkastanien,
Beeren,
Zu den pflanzengenetischen Ressourcen
Pferd, Original Braunvieh, Walliser Schwarz-
gehören auch Wildpflanzen mit Gebrauchs-
halsziege, Nera Verzasca Ziege, CH-
oder Optionswert. Das sind mit Kultur-
Landrasse beim Schwein). Die geförderten
pflanzen verwandte Wildarten, welche mit
Rassen haben oft eine starke regionale
diesen Gene austauschen können. Im
Bedeutung, sei es als Kulturgut oder als
weiteren Sinne zählen auch Forstpflanzen,
Lieferant von spezifischen Produkten (z.B.
Zierpflanzen, Industriepflanzen und Aroma-
Eringer: Kuhkampf, Trockenfleisch).
und Medizinalpflanzen dazu.
LIT 14
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
Nur dank ihrer Kampfkunst sind die
Eringer Kühe noch nicht ausgestorben.
(ed)
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
9
3. Wilde Vielfalt auf genutzten Flächen
Wer in der Schweiz Direktzahlungen
beantragt, muss mindestens 7 Prozent (bei
Spezialkulturen 3,5 Prozent) der landwirtschaftlich
genutzten
Fläche
dem
ökologischen Ausgleich, ÖAF, zur Verfügung
stellen. Auf diesen Flächen hat die Erhaltung
und Förderung der wildlebenden Biodiversität Vorrang vor der landwirtschaftlichen Nutzung. Für den entgangenen
Ertrag und den Aufwand der ökologischen
oder landschaftspflegerischen Massnahmen
zahlt der Bund Ökobeiträge. Die 7 ProzentVorgabe wird schweizweit sogar übertroffen: Alles in allem gehören 11 Prozent
der Landwirtschaftsfläche – das sind
120‘000 Hektaren – zur ökologischen
Magerwiesen sind eine Augenfreude und reich an biologischer Vielfalt. Doch sie
lassen sich nicht überall kultivieren. (ed)
Ausgleichsfläche.
Die 7 Prozent-Vorgabe wird sogar
meisten im Mittelland, im Rhein- und
darüber, ob und wie viel Platz die Ökologie
übertroffen: Schweizweit gehörten 11
Genferseebecken sowie im Jura und am
erhält. LIT 1
Prozent der Landwirtschaftsfläche – das
Randen. Der Anteil ÖAF ist, gemessen an
sind 120‘000 Hektar – zur ökologischen
der landwirtschaftlichen Nutzfläche, im
Ausgleichsfläche. Die ÖAF wirken sich
Berggebiet mit mehr als 14 Prozent
3.1 Kein Ökoausgleich passt
überall
positiv auf die Biodiversität aus. Auch wenn
wesentlich grösser als im Talgebiet mit
Die Forschungsanstalt Agroscope Tänikon
sie oft eher eine „unspezifische Arten-
knapp 10 Prozent und in Futterbaugebieten
versuchte herauszufinden, weshalb gewisse
vielfalt“ fördern, so bewahren sie doch
grundsätzlich höher als in Ackerbau-
Ökomasssnahmen häufiger und andere
potenziell gefährdete Arten davor, so selten
gebieten.
weniger häufig umgesetzt werden.
LIT 8
zu werden, dass sie Rote-Liste-Status
Je kleiner die Betriebe sind, umso grösser
Offensichtlich kommt es dabei nicht nur
bekommen. Die Ausgleichsflächen sind vor
ist der prozentuale Anteil der ökologischen
auf die Höhe der Ausgleichszahlung an,
allem dort besonders artenreich, wo noch
Ausgleichsfläche pro Betrieb. Am besten
sondern auch darauf, ob die Massnahme
Reste naturnaher Lebensräume vorhanden
schneiden die kleinsten Betriebe mit weniger
produktions- und arbeitstechnisch zum
sind. Wenn eine Art in einer Region einmal
als zehn Hektar landwirtschaftliche Nutz-
Betrieb passt. Der ÖAF-Typ Ackerschon-
ausgestorben ist, ist ihre Wiederansiedlung
fläche ab. Der Löwenanteil der ökologischen
streifen passt zum Beispiel nicht gut in den
in den meisten Fällen nicht mehr möglich.
Ausgleichsfläche wird jedoch von Betrieben
produktionstechnischen
mit
mit einer Grösse von 10 bis 30 Hektar
Ackerbaubetriebe: Im Streifen sind weder
55‘000 Hektar zum häufigsten Öko-
geliefert, während Betriebe zwischen 60
Insektizide, Herbizide noch stickstoffhaltige
flächentyp, gefolgt von den intensiv
und 70 Hektar in der Regel gerade das
Düngemittel zugelassen und er muss
genutzten Wiesen mit rund 30‘000 Hektar.
erforderliche Minimum erfüllen. Grosse
separat gedroschen werden. Gleichzeitig
Rund 7‘000 Hektar Streueflächen befinden
Betriebe tragen sowohl prozentual als auch
ist der Beitrag dafür nur halb so hoch wie
sich vor allem in den Voralpen und im
absolut am wenigsten zu den ökologischen
für eine Buntbrache. Deshalb pflegen wohl
östlichen Mittelland, von den 3‘000 Hektar
Ausgleichsflächen bei. Bei ihnen entscheidet
nur 84 Betriebe diesen Ökoflächentyp auf
Bunt- und Rotationsbrachen liegen die
primär der betriebswirtschaftliche Aspekt
gerade mal 39 Hektar.
„Extensive Wiesen“
gehören
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
Ablauf
der
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
10
den klimatischen Faktoren und dem
3.1.1 Die wichtigsten Anforderungen einiger Ökoflächen
Ertragspotenzial eines Standortes. In den
tiefen Lagen des Berggebietes werden die
Extensive Wiese:
ÖAF eher an Grenzertragsstandorten
Kein Dünger, keine Pflanzenschutzmittel, Mahd nicht vor dem 15.Juni (Talgebiet),
angelegt, weil die ertragreicheren Flächen
bzw. 1.Juli (Bergzone I und II), bzw. 15.Juli (Berzone III und IV). Herbstweide nicht vor
für die Produktion benötigt werden. In den
15.September und höchstens bis 30.November
höheren
Lagen
der Alpen
ist
der
Flächenertrag aber so gering, dass die
Wenig intensiv genutzte Wiese:
Bauern auf Grund der kürzeren Vege-
Kein Pflanzenschutzmittel, pro Hektar und Jahr dürfen höchstens 30 kg Stickstoff über
tationsperiode ohnehin wesentlich mehr
Mist, Kompost oder Vollgülle ausgebracht werden, jedoch nicht vor dem ersten Schnitt
Flächen benötigen, welche sie dann auch
gleich noch extensiver bewirtschaften
Streueflächen:
können. Die Vorschriften für den späten
Kein Dünger, keine Pflanzenschutzmittel, Schnitt nicht vor dem 1.September
Schnitt der Ökowiesen schränken sie nicht
so sehr ein. Eine Intensivierung durch
Buntbrachen:
Düngung würde ohnehin wenig bringen.
Nur im Talgebiet, mindestens 3 m breit, keine Dünger, keine Pflanzenschutzmittel,
Die Ökobeiträge sind in diesen Gebieten
mindestens zwei und maximal 6 Jahre am selben Standort.
deshalb willkommen und attraktiv genug,
um entsprechend mehr ÖAF anzumelden.
Rotationsbrache:
dem 1.September und 30.april, ein bis zwei Jahre stehen lassen. Kein Dünger, keine
3.2 Sonderfall
Sömmerungsgebiet
Pflanzenschutzmittel.
AufAlpweiden und in alpinen Lebensräumen
Nur im Talgebiet, mindestens 6 m breit, mindestens 20 Aren gross, Aussaat zwischen
wachsen rund ein Viertel mehr Pflanzenarten
Ackerschonstreifen:
als im tiefer gelegenen Grünland. In den
Randstreifen von Ackerkulturen von mindestens 3 m, max. 12 m Breite. Einsaat mit
höheren Lagen der Alpen sind zahlreiche
Getreide, Raps, Sonnenblumen oder Körnerleguminosen. Keine Insektizide, keine
seltene und hoch spezialisierte Pflanzen-
Unkrautbekämpfung (auch nicht mechanisch) und keine stickstoffhaltige Dünger. Dauer
arten heimisch, die ein stark begrenztes
mindestens während zwei aufeinander folgenden Hauptkulturen, Drusch in reifem
Verbreitungsgebiet
Zustand.
Erhaltung trägt die Schweiz eine besondere
Quelle: Direktzahlungsverordnung, DZV
Verantwortung.
Das
haben.
Für
ihre
landwirtschaftlich
genutzte Grünland ist in den höheren
Lagen deutlich artenreicher als im Tiefland.
Bei den wenig intensiv genutzten Wiesen
Wiesen oder extensive Weiden genutzt, da
Diese Vielfalt scheint sich mit dem
steht die Mistverwertung im Vordergrund.
die Ausbringung von Dünger auf diesen
Klimawandel zu verändern: Subalpine und
Dieser ÖAF ist deshalb in der Bergregion
Flächen ohnehin schwierig ist.
alpine Pflanzenarten wachsen heute im
Durchschnitt 13 Meter weiter oben als
beliebteste, während im Talgebiet häufiger
Im Schweizer Berggebiet sind zwischen
extensive Wiesen für den Ökoausgleich
2 Prozent und 40 Prozent der landwirt-
angelegt werden. Die Talbauern können
schaftlichen Nutzfläche einer Gemeinde als
In den letzten Jahren hat die Zahl der
Mist und Gülle ja auf den Ackerflächen
ökologische Ausgleichsfläche (öAF) an-
gesömmerter Tiere abgenommen. Gerade
verwerten. Praktische Gründe stehen auch
gemeldet. Das hängt nicht nur mit der
für abgelegene, schlecht erschlossene
bei der Hangneigung im Vordergrund:
unterschiedlichen Einstellung der Bauern
Alpen wird es zusehends schwieriger,
Steile Hänge werden eher als extensive
zusammen, sondern auch sehr stark mit
genügend Vieh für die Alpung zu finden.
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
2001.
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
11
Unrentable Alpen oder Alpflächen werden
zusehends unternutzt oder ganz aufgegeben, sie verganden, verbuschen oder
werden vom Wald besiedelt. Andere Alpen
wurden in den letzten Jahren dagegen gut
erschlossen, oft wurde in Gebäude- und
Käsereieinrichtung investiert. Um diese
Investitionen zu amortisieren, werden diese
Alpen intensiv genutzt. Beide Entwicklungen
– Vergandung und Intensivierung – sind
der Biodiversität jedoch nicht förderlich.
Im Gegensatz zur Landwirtschaftlichen
Nutzfläche gibt es im Sömmerungsgebiet
keine finanziellen Anreize für ökologische
Massnahmen. Einzig die Bewirtschaftung
inventarisierter Naturschutzgebiete nach
Wenn eine Buntbrachen stark verunkrautet, verliert der Bauer den Anspruch auf den
entsprechenden Ökobeitrag. (ed)
Natur- und Heimatschutzgesetz (z.B. nationale Moore und Trockenwiesen und
trockenstehende Kühe. Diese machen in
kreuzkraut wurde in den letzten Jahren
-weiden) wird unterstützt. Das Bundesamt
der Regel jedoch nur einen Teil der Herde
vereinzelt zu einem grossen Problem.
für Landwirtschaft hat deshalb bei der
aus. Wer mehr Ökoflächen bewirtschaftet,
LIT 16
landwirtschaftlichen Beratung Agridea eine
als er Ökoheu verwerten kann, muss
Auch die mehrjährige Goldrute, welche
Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben,
deshalb höherwertiges Futter zukaufen.
die einheimische Flora verdrängt, verbreitet
um herauszufinden, wie man die vor-
Dazu kommt, dass die Bauern bei der
sich gerne auf jenen Ökoflächen, die
handenen wertvollen Natur- (Flora und
Umstellung auf eine extensivere Nutzung
eigentlich der Vielfalt der Flora und Fauna
Fauna)
(Land-
auch mengenmässig an Futter verlieren, da
dienen sollten. Problematisch können auch
schaftstypen, -elemente) im Sömmerungs-
ja nicht mehr oder kaum noch gedüngt und
Buntbrachen sein: In beinahe jeder dritten
gebiet erhalten könnte. Möglicherweise
erst spät geschnitten werden darf. Sie
Brache gibt es Probleme mit schwer
werden ökologische Direktzahlungen im
müssen deshalb entweder Futter zukaufen
bekämpfbaren Unkräutern wie Acker-
Sömmerungsgebiet eingeführt. Allerdings
oder aber den Tierbestand verringern, was
kratzdistel, Blacke, Quecke und Winden. In
kann man die Alpwirtschaft nicht losgelöst
durchaus zu grösseren Einbussen führen
5 bis 10 Prozent der Brachen breiten sich
von der übrigen Landwirtschaft betrachten.
kann, wenn dadurch der Stall nicht mehr
die Disteln übermässig aus. Die Goldrute ist
Wenn die Tiere für die Flächennutzung
voll ausgelastet wird.
ebenfalls häufig anzutreffen. Etwa fünf
und
Landschaftswerte
fehlen, nützen hohe Biodiversitätsbeiträge
Ein häufig auftretendes Problem ist die
Prozent der Buntbrachen werden sogar
Verunkrautung, vor allem mit invasiven
wegen massivem Auftreten unerwünschter
Pflanzen, also jenen Pflanzen, die sich so
Unkräuter oder Gräser nicht als Öko-
3.3 Die Schattenseite des
Ökoausgleichs
stark vermehren dass sie die Lebensräume
ausgleichsflächen anerkannt.
einheimischer Pflanzen- und Tierarten
sind inzwischen in Buntbrachen gewisse
Der Ökoausgleich hat auch Grenzen. So ist
bedrohen. Das einheimische Jakobskreuz-
Herbizide erlaubt. Die Skepsis der Bauern
z.B. das Futter von extensiven oder wenig
kraut ist für Kühe und Pferde hoch giftig, es
gegenüber den „Unkraut-Förderflächen“
intensiven Wiesen von geringerem Nähr-
hat auf intensiv bewirtschafteten Wiesen
lässt sich jedoch nicht so leicht aus der
wert. Es kann deshalb nur an Tiere mit
und Weiden keine Chance, verbreitet sich
Welt schaffen.
bescheidenem Nährstoffbedarf verfüttert
jedoch auf extensiven Weiden und teilweise
werden, z.B. an Aufzuchtrinder oder
auch extensiven Wiesen. Das Jakobs-
auf den Alpen wenig.
LIT 9
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
LIT 17
Zwar
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
12
gross, dass diese Flächen weiterhin gepflegt
3.3.1 Biotopschutz auf Kosten der Bauern
werden. Etwas schwieriger wird es dagegen
Magere Böden, intensive Strahlung und temporäre Trockenheit kennzeichnen die
Trockenwiesen und –weiden, TWW, welche rund ein Prozent der Landesfläche der
Schweiz bedecken. Diese Flächen sind für die Biodiversität von grosser Bedeutung: Über
40 Prozent der Schmetterlinge sind auf diesen Lebensraum angewiesen und mehr als
50 Prozent aller gefährdeten Pflanzenarten kommen fast nur noch auf Trockenwiesen
und -weiden vor. Inzwischen sind 23‘712 Hektaren potentielle TWW von nationaler
Bedeutung kartiert und für die Aufnahme in ein Bundesinventar vorgeschlagen. Davon
sind 40 Prozent Alpweiden, 4 Prozent Wildheuflächen, je 20 Prozent sonstige Wiesen
und Weiden. Rund 15 Prozent der Fläche liegen brach. Die meisten TWW befinden sich
in Hanglagen zwischen 1’250 und 2’000 m ü.M., ein Drittel davon liegt im Kanton
Graubünden. Die TWW sollen ungeschmälert erhalten werden, der Entwurf der TWWVerordnung weist sogar einen Zweckartikel auf, dass eine nachhaltige Land- und
Waldwirtschaft Grundvoraussetzung für den Schutz der Trockenwiesen und -weiden ist.
Doch die Verordnung wurde noch immer nicht verabschiedet.
bei den extensiven Weiden, da ist oft ein
Umdenken erforderlich wenn der ausgeprägte „Ordnungssinn“ über Bord
geworfen werden muss. Was früher als
Unkraut entfernt wurde, gilt nun plötzlich
als ökologisch wertvoll. Dürre Gehölze
bleiben stehen, Hecken und das überständige Gras werden nicht „rasiert“, der
optische Eindruck ist ungepflegt. Und
Buntbrachen, Rotationsbrachen oder Ackerschonstreifen werden zwar gut honoriert
(für einen Hektar Buntbrache gibt es z.B.
3‘000 Franken), doch steht die Bewirtschaftung im Widerspruch zum bäuerlichen
Die derzeitigen finanziellen Mittel reichen zum Schutz der Trockenwiesen und -weiden
nicht aus. Für die Bauern, das zeigt eine Studie, ist es in vielen Fällen lohnender, die
Flächen intensiver oder gar nicht zu bewirtschaften, denn der Mehraufwand und
Minderertrag wird mit den bisher zur Vergütung stehenden Gelder längst nicht immer
ausgeglichen. So haben die Bauern mehr davon, wenn sie eine TWW-Weide als
Denken. Denn der Sinn der Landwirtschaft
ist primär Nahrungsmittel zu produzieren.
Naturschutz verstehen die Bauern in der
Regel als Koppelprodukt – nicht als
Selbstzweck.
intensivierte Wiese oder intensiver genutzte Weide nutzen. Oder anders gesagt: Viele
Bauern, die heute Trockenwiesen und –weiden schutzkonform bewirtschaften, tun das
zu ihren Ungunsten.
Quelle: „Kosten eines gesetzeskonformen Schutzes der Biotope von nationaler Bedeutung“ Forschungsanstalt
für Wald, Schnee und Landschaft, WSL, Pro Natura und Forum Biodiversität, 2009
3.5 Biodiversität und
Produktion: Ein
Widerspruch?
Es gibt aber andere Koppeleffekte: Dass
zum Beispiel Massnahmen, die der
3.4 Geld allein macht noch
keine Biodiversität
häufig Flächen mit einer hohen biologischen
Biodiversität dienen, auch noch zu einem
Vielfalt. Dieses Muster gilt auch für
besseren Ertrag führen. Das kann bei
Geld ist nicht alles. Dieser Spruch gilt auch,
Betriebszweige: Wer einmal erfahren hat,
der Verwendung pilzwiderstandsfähiger
wenn es um Leistungen zur Förderung der
dass sich Touristen einfacher melken lassen
Rebsorten der Fall sein, weil diese we-
Artenvielfalt geht. Denn neben Geld spielt
als Kühe, wird seine Arbeitskraft eher in
niger Pflanzenschutzmittel brauchen und
auch die Zeit eine Rolle: Noch immer
diesem Bereich einsetzen, als Natur-
so Kleinstlebewesen, Bodenorganismen,
schreitet der Strukturwandel voran, wenn
schutzdienstleistungen auszubauen, die
Grundwasser etc. geschützt werden und
auch deutlich langsamer als auch schon.
viel Hand- und Körpereinsatz erfordern.
gleichzeitig der Aufwand fürs Spritzen
Strukturwandel führt zu betrieblichem
Neben Geld und Zeit spielt auch die
kleiner ausfällt. Auch Nistkästen für Vögel
Wachstum. Und dieses Wachstum stösst
persönliche Einstellung eine Rolle. Die
haben meistens nur positive Wirkungen:
hier und da an seine Grenzen. Schwierig
Bewirtschaftung von Trockenwiesen und
Viele Vögel ernähren sich von Insekten und
wird es vor allem dann, wenn der Zuwachs
-weiden
seit
halten damit auch Schädlinge im Schach.
so gross ist, dass er nicht mehr mit
Jahrhunderten zur Landwirtschaft, sie hat
Raubvögel und Eulen dezimieren Mäuse
derselben Arbeitskraft bewältigt werden
an vielen Orten Tradition. Solange die
und Maulwürfe, was in der Landwirtschaft
kann. Dann werden als erstes die wenig
Bauern bei deren Bewirtschaftung nicht
nicht ungern gesehen wird. Und schliesslich
produktiven Flächen aufgegeben; das sind
drauflegen, sind die Chancen deshalb
kann eine Kleeuntersaat im Getreidebau
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
gehört
zum
Beispiel
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
13
dann die Wiesen, bei denen auch nach
zehn
oder
mehr
Jahren
extensiver
Bewirtschaftung die typischen Magerwiesenpflanzen ausbleiben.
3.6 Hier hui, dort pfui
Oft führt die Extensivierung auch zu einer
eine Intensivierung: Weil extensive Wiesen
überhaupt nicht gedüngt und höchstens im
Herbst kurz beweidet werden dürfen,
werden dafür andere Wiesen und Weiden
intensiver genutzt. Schliesslich wollen die
Tiere nicht bis zum Herbst im Stall bleiben
und auch der Mist und die Gülle können
So ein Wildbienenhotel braucht kaum
Platz und keine Pflege und trägt doch zur
Förderung der Artenvielfalt bei.(ed)
Das gilt auch für Ökoflächen. So eignen
nicht bis in alle Ewigkeit gelagert werden.
sich zum Beispiel nicht alle Wiesen
Aktuell beobachtet man deshalb beide
gleichermassen zur Extensivierung. Unter-
Trends im Berggebiet: Extensivierung auf
nicht nur die pflanzliche Vielfalt auf dem
suchungen an Wiesen im Bündnerland
der einen und Intensivierung auf der
Feld erhöhen, sondern gleichzeitig auch
zeigten z.B., dass in einer bestimmten
anderen Seite. Sie sind zwei Seiten von ein-
einen Düngeeffekt haben, der für mehr
Region zwar drei von vier intensiv
und
Ertrag sorgt (allerdings nur, wenn es nicht
genutzten Wiesen extensiver genutzt
ausgleichs.
zu einer Wasser- oder Platzkonkurrenz
werden könnten. Sie stellten aber auch
Manchmal schliessen sich Biodiversität
kommt).
fest, dass es nur bei jeder fünften wenig
und Lebensmittelproduktion auch gegen-
Häufiger ist es jedoch so, dass Mass-
intensiv genutzten Wiese Sinn macht. Die
seitig aus: Auf Buntbrachen können zum
nahmen, die die Vielfalt fördern, die
extensivere Bewirtschaftung würde näm-
Beispiel definitiv während mehreren Jahren
Produktion beeinträchtigen. So bereichern
lich aufgrund der Pflanzenzusammen-
keine Nahrungsmittel für den Menschen
etwa
alte
setzung, der Bodenbeschaffenheit und des
produziert werden. Diese Ökoflächen sind
Kulturpflanzen die Vielfalt, aber sie
Nährstoffvorrates im Boden NICHT zu
ein Opfer für die Natur, ein Beitrag, den die
produzieren dafür weniger Milch, weniger
einem artenreicheren Vegetationstyp füh-
Bauern leisten für die Vielfalt der Kleintiere,
Eier, weniger Fleisch oder liefern geringere
ren, so dass sich der Naturwert praktisch
Spinnen, Schnecken und für Vögel und
Hektarerträge. Das ist nur so lange kein
nicht erhöht.
selten gewordene Ackerunkräuter. Im
Problem, wie ihr Leistungsvermögen exakt
Wenn eine Wiese einzig und allein deshalb
besten Fall hilft ihnen diese Vielfalt das
mit dem Potenzial des jeweiligen Standorts
extensiv bewirtschaftet wird, damit die
biologische Gleichgewicht Nützling-Schäd-
übereinstimmt. Auf mageren Grenzertrags-
Anforderung für die 7 Prozent Öko-
ling auf dem genutzten Nachbarlichen
standorten können alte Ziegenrassen unter
ausgleichsfläche erfüllt wird, kann diese
Acker in Schach zu halten. Im schlechtesten
Umständen sogar besser abschneiden als
Wiese im dümmsten Fall in doppelter
Fall vermehren sich nur die Unkräuter und
Hochleistungs-Milchziegen die man hier
Hinsicht unproduktiv sein: Zum einen weil
die Schnecken wandern in die benachbarten
zufüttern muss. Umgekehrt nützt es nichts,
sie nicht ihrem Potential entsprechend
Felder ein.
eine alte Getreidesorte auf einem Standort
genutzt wird, also weniger Futter mit
anzubauen, der deutlich mehr Nährstoffe
schlechterer Qualität von ihr gewonnen
enthält, als der Standfestigkeit der Sorte
wird. Und zum anderen, weil sich die
gut tut. Nur eine standortangepasste
erwünschte (Wildlife-) Biodiversität auf ihr
Nutzung erreicht das Optimum.
gar nicht einstellt. In der Praxis sind das
alte
Nutztierrassen
oder
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
derselben
Medaille,
des
Öko-
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
14
4. Biodiversität mit System?
Der ökologische Leistungsnachweis ist eine
gute Basis für eine biodiversitätsschonende
Bewirtschaftung. Trotzdem stellen sich viele
Bauern und Bäuerinnen die Frage, ob es ein
System gibt, mit dem man noch mehr für
die Natur herausholen kann – ohne die
Produktion zu vernachlässigen. Dabei gibt
es verschiedene Ansätze.
4.1 Bio und Biodiversität:
Ja, aber...
Der biologische Landbau gilt als besonders
biodiversitätsfreundlich – zumindest beim
Ackerbau
und
den
Spezialkulturen.
Im Bioackerbau haben solche Lebewesen eine höhere Überlebenschance. (ed)
Zahlreiche Vergleichsstudien belegen den
Einfluss biologischer Anbausysteme und
auf die Artenvielfalt im Grünland und in
weisen eine positive Wirkung auf Flora und
höheren Lagen positiver auswirkt, weil die
4.2 Terra Suisse: Bewährungsprobe steht bevor
Fauna nach. So gibt es auf Bioackerflächen
biologisch bewirtschaftete Wiesen genauso
Im Jahr 2008 lancierte die Migros-
mehr Vögel, räuberische Insekten, Spinnen,
früh und ebenso häufig geschnitten werden
Genossenschaft das neue Label TerraSuisse
Bodenorganismen und eine grössere
wie die konventionell bewirtschafteten
zusammen mit der Produzentenvereinigung
LIT 3
Ackerflora. Das kommt vom Verzicht auf
Wiesen.
Herbizide, chemisch-synthetische Pestizide
ETH
und Mineraldünger; von der vielfältigerer
unterschiedlicher
Vor vielen Jahren wurde an der
IP-Suisse. TerraSuisse steht für mehr Bio-
Artenvielfalt
diversität und Ressourcenschutz. In Zusam-
Bewirtschaftungs-
menarbeit mit der Vogelwarte Sempach
Fruchtfolge, der geringeren und organischen
verfahren gemacht. Dabei fand man im
wurde für diesen Mehrwert ein differen-
Düngung und der schonenden Bodenpflege
Ackerbau einige, im Grünland dagegen
ziertes Punktesystem entwickelt. Bis 2011
(Humuswirtschaft). Obwohl die Biovor-
überhaupt keine bewirtschaftungsspezi-
müssen die Bauern mindestens 12 Punkte
schriften es nicht vorschreiben, bewirt-
fischen Unterschiede. Die Schlussfolgerung
erreichen, bis 2013 sollen es siebzehn
schaften die meisten Biobauern auch mehr
der Arbeit lautete: „Ausschlaggebend für
Punkte sein. Die Vorschrift gilt für rund
ökologische Ausgleichsflächen als Nicht-
die Pflanzenvielfalt auf einem Betrieb ist die
20‘000 IP-Suisse-Produzenten, mit Aus-
Bewirtschaftsphilosophie
nahme jener Mutterkuhhalter, die nur Fleisch
Biobauern.
LIT 7
Die Leistungen des Biolandbaus sind im
Ackerbau und bei Dauerkulturen also
eindeutig positiv. Ob sie sich jedoch aufs
Grünland
übertragen
ein
Vergleich
zur
des
Betriebs-
leiters“, nicht jedoch die Bewirtschaftsmethode.
LIT 15
nach
den
Richtlinien
RAUS
oder
BTS für IP-Suisse produzieren und keine weiteren IP-Suisse-Produkte herstellen. LIT 10
lassen, welches
IP-Suisse geht davon aus, dass ein
immerhin mehr als 90 Prozent der Biofläche
Drittel der Betriebe die erforderliche
in der Schweiz ausmacht, ist zweifelhaft. Ob
Punktzahl heute schon erreicht, ein weiteres
die Biobewirtschaftung im grünlandlastigen
Drittel die Punkte mit etwas Aufwand
Berggebiet für die Biodiversität nachweisbar
erreichen kann und dass es das letzte Drittel
besser ist, wurde bis heute kaum untersucht.
schwer haben wird, auf die erforderlichen
Das Biodiversitätsmonitoring bezweifelt
siebzehn Punkte zu kommen. In Zukunft
sogar, dass sich der biologische Landbaus
soll das Punktesystem aufgrund von
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
15
Erkenntnissen aus Forschung und Praxis
noch nicht definiert ist. Die Prämien und
angepasst und eventuell alle fünf Jahre um
der Fonds werden vom Markt finanziert,
weitere fünf Punkte erhöht werden.
also von den Abnehmern.
Das Punktesystem ist vielfältig. So
ökologische Ausgleichsfläche Punkte, für
4.3 Eine Charta für die
Biodiversität
qualitativ höherwertige Ausgleichsflächen
Das Delinat-Institut für Ökologie und
mit seltenen Arten, aber auch für Hecken,
Klimafaming wählt einen pragmatischeren
Feldobstbäume oder Nistkästen für Vögel.
Ansatz und erstellte eine Charta für
Zusätzlich wird der Ressourcenschutz
Weinberge mit hoher Biodiversität, welche
erhält man z.B. für einen höheren Anteil
bewertet, so dass z.B. das Güllen mit
lediglich zehn Grundsätze umfasst.
Schleppschlauch, ein Laufhof mit perfo-
1. bioaktive Düngung mit Kompost,
riertem Boden und Windschutz, aber auch
2. Gründüngung mit Leguminosen
futter zusätzliche Punkte einbringen. Auf
3. artenreiche Begrünung mit
Holzhaufen anlegen
10. überaltete Stöcke einzeln ersetzen
statt ganze Rebberge zu roden.
Wildpflanzen und Insektenblüten
Die Vorgaben sind plausibel, einfach
4. Anpflanzung an Sträuchern an den
Der Mehraufwand lohnt sich nicht nur
für die Natur: Die Bauern erhalten für ihre
8. Aufstellen von Bienenstöcken
9. Strukturelemente wie Stein- und
ein tieferer Rohproteingehalt im Schwein-
Leistungen individuell zusammenstellen.
(pro Hektar 2 x 20 qm)
Mulch etc.
diese Art kann jeder Betriebe seine
7. artenreiche Ausgleichsflächen
LIT 13
nachvollziehbar
Zielenden der Rebreihen
5. Hecken als Zwischenlinien zwischen
den Reben ( pro Hektar 2 x 20 m)
umweltfreundlichen Betrieben mit mehr als
6. Pflanzung von Obstbäumen innerhalb
des Rebberges (in max. Distanz von
einem Biodiversitäts-Fonds, dessen Höhe
50 m)
–
auch
ein
einfach
nicht
zu
unterschätzender Vorteil, denn Biodiversität
Leistungen höhere Prämien. Besonders
17 Punkten winkt zudem ein Bonus aus
kontrollierbar
und
lässt sich nicht einfach messen.
5. Vielfältige Betriebe
sichern vielfältige Natur
Ein Grundsatz zieht sich wie ein roter Faden
Vielfältige Fruchtfolge
für viele Arten, die sich auf solche
durch alle Systeme und Leitfäden zur
Eine ausgewogene, vielfältige Fuchtfolge
Grenzbereiche spezialisiert haben. Aber:
Förderung der Biodiversität: Vielfältige
ist
der
viele kleine Parzellen machen viel mehr
Betriebe nützen der Biodiversität am
Bodenfruchtbarkeit, für die Verringerung
Arbeit, denn kleine Parzellen behindern
von Erosion, Krankheits-, Schädlings- und
eine schlagkräftige und damit günstige
Unkrautdruck und es können damit
Produktion. Der Trend geht heute eher in
Viele verschiedene Kulturarten
Nährstoffvorräte im Boden effizienter
Richtung parzellenübergreifender Bewirt-
Verschiedene Kulturarten wie Ackerbau,
genutzt werden. Doch der Trend geht
schaftung, z.B. im Getreidebau – um die
Hochstammobst, Wiesen und Weiden
derzeit in Richtung Vereinfachung, es wird
Kosten zu senken.
sorgen nicht nur für ein abwechslungsreiches
versucht, nur noch Kulturen anbauen, die
Landschaftsbild, sondern fördern auch
sich lohnen.
meisten.
LIT 12
verschiedene
wildlebende
Tier-
wichtig
für
die
Erhaltung
Viele Ökowiesen
Extensive Wiesen und Weiden sind sehr
und
Pflanzenarten. Aktuell geht der Trend in der
Kleine Parzellen
artenreich; sie bieten Lebensraum, Nah-
Landwirtschaft
Kleine Parzellen erhöhen die landschaftliche
rungsgrundlage und Überwinterungsplätze
Vielfalt und bieten mehr Übergangszonen
für
jedoch
in
Richtung
Spezialisierung, um die Kosten zu senken.
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
unzählige
Insekten
und
andere
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
Tiergruppen; zahlreiche Pflanzenarten sind
auf diesen Biotoptyp angewiesen. Doch
diese Flächen liefern weniger Futter von
minderer Qualität, so dass entweder der
Viehbestand verringert oder mehr Futter
zugekauft werden muss. Beides wirkt sich
negativ auf die Produktivität und den Ertrag
der Landwirtschaft aus.
Alte Kulturpflanzen und selten
Tierrassen
Alte, rare Kulturpflanzen und selten
gewordene
Nutztierrassen
sind
ein
wichtiger Bestandteil der Artenvielfalt; sie
sichern eine grosse genetische Vielfalt,
welche vielleicht irgendwann einmal für
Neuzüchtungen genutzt werden kann. Im
Die Futterkonservierung erfolgt heute mit anderen Methoden als noch vor hundert
Jahren: schlagkräftiger, schneller, günstiger, effizienter. Aber nicht unbedingt
biodiversitätsfreundlicher.(ed)
Rahmen der Direktvermarktung kann deren
die meisten alten Sorten und Rassen sind
5.1 Land pflegen, schützen
und trotzdem benützen
verschwunden, weil sie nicht rentabel
Obwohl es nicht immer einfach ist
waren. Und der Schweizer Markt besteht
Biodiversität und Produktion unter einen
nicht nur aus Nischen, das Gros der
Hut zu bringen, braucht es beides. Eine rein
Konsumenten ernährt sich nicht nur von
auf technische Effizienz und produktive
Spezialitäten.
Leistung
Anbau oder Haltung lohnend sein. Doch
ausgerichtete
Landwirtschaft
kann für die Schweiz nicht erstrebenswert
Viele ökologische
Ausgleichsflächen
sein. Aber auch eine rein konservierende
Ökologische Ausgleichsflächen bieten der
Landwirtschaft macht keinen Sinn. Denn
einheimische Flora und Fauna und seltenen
die Schweizer Bevölkerung wächst und der
und gefährdeten Tier- und Pflanzenarten
Konsum steigt. Alles, was nicht in der
ungestörte
Gleichzeitig
Schweiz produziert wird, muss folglich aus
schmälern sie die Produktion. Sie werden
dem Ausland importiert werden. Aus
zwar vom Staat entschädigt. Doch gibt es
Ländern, in denen kein Ökoausgleich
dafür keinen Markt; die Politik legt in der
vorgeschrieben ist, keine Düngebilanz
Regel einfach fest, was bezahlt wird und
eingehalten werden muss, keine Fruchtfolge
wie gross das Budget dafür ist. Ändert sich
Pflicht ist. Aus Ländern also, in denen die
die Politik, ändern sich auch die Beträge
Biodiversität noch stärker unter Druck steht
oder die Anforderungen, die gestellt
als hierzulande.
werden.
Lebensräume.
Die
Belohnung
und
für
die
Bewirtschaftung der Ökoflächen ist von der
politischen Willkür und dem Goodwill der
Gesellschaft abhängig.
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
kaum
noch
produzierende
16
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
17
6. Wie viel ist die Biodiversität wert?
Wenn die Vielfalt schwindet, merkt man
Automobilsektor, der Stahlsektors und der
das meistens nicht sofort. Es tut schliesslich
IT-Dienstleistungssektor weltweit zusam-
nicht weh, wenn ein Käfer weniger auf
men an Umsatz erwirtschaften! Und dieser
dieser Erde lebt. Und dass immer mehr
Wert ist durchaus günstig zu haben, denn
Äcker überbaut oder in Wiesen umge-
die geschätzten jährlichen Kosten für die
wandelt werden, wird erst über einen
Erhaltung der Schutzgebiete belaufen sich
längeren Zeitraum sichtbar. Der Biochemiker
nur auf etwa 40 bis 45 Milliarden US-Dollar
Frederic Vester, ein Öko-PIonier und Autor
– also nur etwa ein Prozent des Ertrags. Für
zahlreicher Bücher, berechnete einmal den
die Studienautoren ist klar, dass die globale
Wert eines Blaukehlchens als Summe seiner
Wirtschaft umdenken muss. Denn genauso
Wirkung als Schädlingsbekämpfer, Verbrei-
weiter wie bisher gewirtschaftet wird,
ter von Samen, Freude fürs menschliche
erwarten sie bis 2050, dass:
Gemüt, als Bio-Indikator für Umweltbe-
s 0ROZENTDERIM*AHRVERBLIEBENEN
lastungen und Symbiosepartner und kam
Naturräume verloren gehen, in erster
dabei auf 154,09 Euro. Den Wert einer
Linie als Folge der Flächenumwandlung
hundertjährigen Buche schätzte er auf rund
für landwirtschaftliche Zwecke, des
271‘000 Euro wert – das 2000-fache des
Ausbaus der Infrastruktur und des
Holzwertes.
LIT 23
Vesters Berechnungen sind
als Denkanstösse zu verstehen. Denn die
Der „gefühlte“ Wert der Vielfalt lässt
sich kaum fassen. Kämen die Touristen
auch dann noch in die Schweiz, wenn die
Alpen nicht mehr bewirtschaftet würden?
(ed)
Klimawandels
s &AST0ROZENTDERDERZEITINUMWELT
Weise
bewirtschafteten
6.2 Biodiversität als
Nutzwert
Vielfalt des Lebens ist unbezahlbar, der
schonender
Wert der Biodiversität unendlich, eine
Nutzflächen auf intensive Bewirtschaf-
Es gibt zahlreiche andere Berechnungen
monetäre Betrachtung deshalb sinnlos.
tungsformen umgestellt werden, was
zum Wert der Biodiversität. Häufig ist dann
Doch in der Politik geht es nicht um den
weitere Biodiversitätsverluste nach sich
vom direkten oder indirekten „Gebrauchs-
Wert an sich, sondern es geht darum
zieht
wert“ der Sorten oder Rassen die Rede.
s 0ROZENT DER +ORALLENRIFFE BEREITS
Weltweit werden zwischen 30‘000 und
bis 2030 aufgrund von Fischerei, Ver-
80‘000 Pflanzenarten als essbar einge-
schmutzung,
invasiven
schätzt. Doch nur 7‘000 Arten wurden im
6.1 Ökosysteme leisten
mehr als die Industrie
Arten und einer durch den Klimawandel
Laufe der menschlichen Geschichte als
bedingten Korallenausbleichung verloren
Nahrung genutzt, und lediglich 150 Arten
Die EU gab eine Studie in Auftrag zur
gehen
im grösseren Umfang kultiviert. Die
herauszufinden, was es kostet, diese Werte
zu erhalten.
Krankheiten,
pflanzliche und tierische Vielfalt ist eine
„Ökonomie von Ökosystemen und der
Biodiversität“ (The Economics of Ecosys-
In der zweiten Phase der Studie soll jetzt
Voraussetzung für die Züchtung angepasster
tems and Biodiversity, TEEB). Ziel der TEEB-
genauer
welche
Sorten und Rassen – und zur Gewinnung
Studie ist es, den wirtschaftlichen Wert der
ökonomischen Modelle und Politikinstru-
von Medikamenten und Heilmitteln. Dieser
biologischen Vielfalt zu ermitteln. Die
mente es braucht, damit die ökosystemaren
Beitrag der Biodiversität zur Sicherung der
Studie soll im Sommer 2010 fertig werden,
Dienstleistungen
Welternährung ist der wichtigste direkte
erste Zwischenergebnisse liegen bereits
können.
untersucht
LIT 20
werden,
sichergestellt
werden
Gebrauchswert für den Menschen.
vor. So wurde z.B. die Ökosystem-Leistung
Wichtig ist aber auch „funktionale
der rund 100‘000 Schutzgebiete dieser
Biodiversität“, also dass zum Beispiel
Welt auf 4,4 bis 5,2 Billionen US-Dollar pro
Organismengemeinschaften im Boden (wie
Jahr geschätzt. Das ist mehr als der
Pilze und Mikroorganismen) den Boden
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
fruchtbar und damit für den Menschen
18
6.2.1 Ja sagen und Nein stimmen
nutzbar machen. Oder dass rund 500
Wildbienenarten in der Schweiz kostenlos
eine Bestäubungsfunktion übernehmen.
Die biologische Vielfalt wird in diesem
Zusammenhang als eine Art Versicherung
angesehen, weil sie das langfristige
Funktionieren von Ökosystemen auch dann
noch garantiert, wenn sich die Umweltbedingungen ändern. Je grösser die Vielfalt,
desto grösser ist das Anpassungsvermögen.
In der Ökonomie gibt es verschiedene Ansätze die Zahlungsbereitschaft für etwas zu
erfassen. Beliebt sind Umfragen im Stil von: „Wie viel wäre Ihnen einen alternative
Landschaftsentwicklung wert?“ oder „Wenn es zur Landschaftserhaltung eine
Abstimmung gäbe, und Sie müsste mit einer Steuererhöhung von 50 Franken rechnen,
wie würden Sie stimmen?“ Auf diese Weise wurde z.B. 1998 ermittelt, dass die
Haushalte im Zürcher Weinland bereit wären, durchschnittlich etwa 400 Franken pro
Jahr zusätzliche Steuern zu bezahlen, um die Landschaft in ihrem aktuellen Zustand zu
erhalten.
Normalweise lässt sich nicht überprüfen, ob solche Versprechen wirklich eingehalten
werden. Doch in diesem Fall ergab es sich, dass drei Monate später eine Abstimmung
LIT 1
Doch die vielleicht wichtigsten Werte
sind die die Existenz- und Vermächtniswerte.
Sie sind in der Regel subjektiv und spiegelnd
die Wertschätzung wieder, also dass man
etwas auch nur um seiner selbst willen
erhalten
und
weitergeben
möchten.
Existenz- und Vermächtniswerte einer
über die Erhöhung des Natur- und Heimatschutzfonds im Kanton Zürich stattfand. Dabei
ging es um 10 bis 20 Millionen Franken pro Jahr, was bei einer Million Einwohner rund
10 bis 20 Franken pro Person ausmacht. Doch siehe da: Fast alle Weinländer Gemeinden
schickten die Vorlage bachab. Die vorausgegangene Umfrage, so hat man später in
einer Analyse herausgefunden, hatte die Zahlungsbereitschaft um den Faktor 6 bis 50
überschätzt…
Quelle: Hotspot 12/2005, Felix Schläpfer, Uni ZH
intakten Umwelt gelten heute als Hauptmotivation für den Umweltschutz.
LIT 19
7. Biodiversität und Agrarpolitik
Wie es in Zukunft um die Biodiversität
angebotsorientiertes System zu ersetzen.
aussieht, steht noch nicht fest, das WDZ
steht, wird in weiten Teilen von der Politik
Dabei könnten die Bauern ihre Ökoflächen
Konzept wird in den nächsten Monaten
bestimmt. Sie schafft die erforderlichen
dem Bund offerieren, es entstände ein
detaillierter ausgearbeitet.
Rahmenbedingungen – oder auch nicht.
echter Markt mit einem Wettbewerb für
Aktuell erarbeitet das Bundesamt für
Ökoflächen.
7.1 Was kostet die
Liberalisierung?
Umwelt eine Biodiversitätsstrategie für die
Mit WDZ könnte es in Zukunft auch
Schweiz, welche nächstes Jahr vorliegen
sein, dass sich die Ökobeiträge ständig
Sicher ist jedoch, dass der wirtschaftliche
soll. Das Bundesamt für Landwirtschaft
verändern – je nachdem, welches Preis-
Druck auf die Landwirtschaftsbetriebe mit
wird dabei mit einbezogen.
niveau landwirtschaftliche Produkte er-
einem EU-Agrarfreihandel oder einem
Parallel laufen die Arbeiten zur
reichen. Sind die Preise für Weizen,
WTO-Abkommen
Weiterentwicklung des Direktzahlungs-
Rindfleisch und Milch z.B. hoch, dann
Gemischtwirtschaftliche Landwirtschafts-
systems, WDZ, welche ebenfalls einen
braucht es einen höheren Anreiz, damit die
betriebe mit Tierhaltung und verschiedenen
grossen Einfluss auf die Biodiversität haben
Bauern ihre Produktion nicht intensivieren.
Acker-
könnten. So wird im WDZ etwa die
Sind die Preise dagegen tief, würden auch
eigentlich die besten Voraussetzungen, um
Möglichkeit offen gelassen, den obliga-
die Ökobeiträge nach unten angepasst,
eine hohe Biodiversität auf allen drei
torischen Anteil der ökologischen Aus-
damit der Anreiz für Ökoflächen nicht
Ebenen – Genetik, Arten und Ökosysteme
gleichsflächen in Zukunft durch ein
übertrieben gross würde. Wie genau das
– zu fördern. Doch genau dieser Betriebstyp
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
und
zunehmen
Spezialkulturen
wird.
bieten
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
hat
agrarpolitisch
die
Überlebenschancen,
19
geringsten
denn
die
Globalisierung fordert Spezialisierung. Im
globalen
Handel
spielt
Biodiversität
traditionsgemäss keine Rolle
Die heute noch vielfältige Agrarlandschaft würde monotoner werden.
Verschiedene Szenarien zeigen, dass der
Ackerbau, der Obst- und Gemüsebau am
meisten unter Druck kommt und vermehrt
dem Grünland weicht. Das bedeutet, dass
auch nicht mehr so viele Getreidesorten
angebaut werden und dass es für
Ackerunkräuter und Buntbrachen ebenfalls
immer
weniger
Platz
hat
wenn
Ackerbaugebiete in intensiv genutzte
Bei einem Freihandel mit der EU oder einem WTO-Abschluss wird die
Kartoffelproduktion in der Schweiz drastisch zurückgehen. Damit schwinden auch die
blühenden Kartoffeläcker. (ed)
Wiesen und Weiden umgewandelt werden,
damit billige Milch für den Export produziert
überhaupt noch Tiere braucht, die Gras
werden kann. Grenzertragslagen würden
oder Heu fressen. Statt den Wiesenaufwuchs
in grossen Umfang aufgegeben, sofern sie
zu verfüttern, gibt es ja auch die Möglichkeit,
nicht stark subventioniert werden. Um eine
das Heu zu verbrennen, das Gras in
halbwegs flächendeckende Landbewirt-
Biogasanlagen zu verwerten oder das Gras
schaftung aufrecht zu halten, müssten die
einfach zu mulchen und liegen zu lassen.
Direktzahlungen deutlich erhöht werden –
Derzeit kommt den Staat die Landwirtschaft
das Eidgenössische Volkswirtschaftsde-
– und die Produktion von einheimischen
partement geht in seiner Botschaft zum
Nahrungsmitteln – noch billiger als das
Agrarfreihandel mit der EU davon aus, dass
Verbrennen oder Vergasen des Aufwuchses.
die Direktzahlungen doppelt so hoch sein
Doch schon heute ist das mulchen und
müssten, wie das landwirtschaftliche Roh-
liegenlassen preislich günstiger als weiden,
einkommen. Für jeden Franken Einnahmen
heuen und verfüttern. Nur führt das weder
würden die Bauern dann zwei Franken
zu mehr Biodiversität noch zu einem
Direktzahlungen erhalten. Dazu kämen
höheren
Ausgaben in Milliardenhöhe für Begleitmassnahmen. Trotzdem würde der Strukturwandel forciert, es gäbe schweizweit
weniger Betriebe mit grösseren Flächen,
welche effizienter bewirtschaftet werden
müssten – womit weniger Zeit für die
Pflege der Vielfalt zur Verfügung stünde.
Bereits werden an der Forschungsanstalt
Agroscope Tänikon Berechnungen angestellt, ob es für die Offenhaltung der von
der Vergandung bedrohten Landschaft
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
Selbstversorgungsgrad
Bevölkerung.
LIT 22
der
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
20
8. Ist die Gesellschaft reif für mehr Vielfalt?
„Biodiversität ist in derAlltagswahrnehmung
Biodiversität
der Schweizer Bevölkerung angekommen“,
Letztlich sollen die Steuerzahler und
lautete die Zusammenfassung einer kürzlich
Konsumenten diese Arbeit ja honorieren.
erschienenen Studie des Bundesamtes für
Fragt sich nur, wie das geschehen soll,
Umwelt,
wenn a) das Problembewusstsein in der
BAFU,
welche
auf
einer
LIT 24
kennt
und
wertschätzt.
. Sie
Bevölkerung gering ist und b) die wenigsten
stellte fest, dass die Schweizer Bevölkerung
der Befragten wissen, dass Biodiversität
mehrheitlich weiss, was mit dem Begriff
nicht nur auf Naturschutzflächen vorkommt.
Biodiversität gemeint ist und dass sie die
Denn auch das hat die Umfrage an den Tag
Erhaltung aus verschiedenen Gründen für
gebracht: Mit Biodiversität assoziiert die
wichtig halten: für zukünftige Generationen,
Bevölkerung
für die Schönheit der Natur, als Basis einer
Naturschutz im weitesten Sinne oder
moralischen
aus
Bioprodukte. Dass eine vielfältige Land-
wirtschaftlichen Gründen. Interessanter-
wirtschaft mit vielfältigen Höfen die eine
weise hatten die meisten Befragten
hohen Rassen- und Sortenvielfalt kultivieren
trotzdem kein Bedürfnis, mehr zu diesem
auch
Thema zu erfahren. Dass die Vielfalt in der
weitgehend unbekannt.
repräsentativen Umfrage beruht.
Pflicht,
oder
dazu
vor
allem
gehören,
Artenvielfalt,
scheint
noch
Schweiz ernsthaft bedroht ist, war nur rund
Es gibt also noch viel zu tun. Das
der Hälfte der Befragten klar, die Mehrheit
Internationale Jahr der Biodiversität 2010
stufte eine allfällige Bedrohung höchstens
bietet die Gelegenheit dazu. Die Be-
als mittelmässig ein. Grundsätzlich scheint
völkerung soll wissen, was es langfristig
es zwar eine gewisse Bereitschaft zu geben,
braucht, um die Vielfalt aufrecht zu erhalten.
auf
der
Sie sollte verstehen, dass Biodiversität ein
Biodiversität zu reagieren. In der Umfrage
Koppelprodukt einer vielfältigen Land-
wurden
Massnahmen
wirtschaft ist. Denn ohne Bauern gibt es
mehrheitlich akzeptiert. Doch – wie so oft
keine Biodiversität – doch ohne Biodiversität
– war die Akzeptanz von Massnahmen nur
gibt es auch keine Landwirtschaft.
die
drohende
Verarmung
entsprechende
dann gross, wenn die Befragten nicht
persönlich davon betroffen waren.
8.1 Aufklärung tut Not
Auch die Bauern und Bäuerinnen sind Teil
der Gesellschaft, in vielen Fällen dürfte ihre
Einschätzung des Zustands der Biodiversität
ähnlich ausfallen. Vielleicht halten sie die
Biodiversität auch nicht in dem Ausmass
für bedroht, wie das die meisten
Naturwissenschafter tun? Allerdings sind
die Bauern und Bäuerinnen darauf
angewiesen, dass die Bevölkerung die
bäuerlichen Aktivitäten zur Erhaltung der
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
Das Jahr der Biodiversität ist eine Chance
die Bevölkerung für die Zusammenhänge
Landwirtschaft und Biodiversität zu
sensiblisieren.
BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
9. Quellen / Literatur / Links
1. Agrarbericht
Bundesamt für Landwirtschaft, BLW, diverse Ausgaben
2. Statistische Erhebungen und Schätzungen
Schweizerischer Bauernverband, 2007
3. Zustand der Biodiversität in der Schweiz, Ergebnisse des Biodiversitäts-Monitorings Schweiz
Biodiversitätsmonitoring, 2009
4. Tiergenetische Ressourcen der Schweizerischen Landwirtschaft
Bundesamt für Landwirtschaft, BLW, 2007
5. Rote Liste
Bundesamt für Umwelt, BAFU 2008
6. Hotspot
Forum Biodiversität, diverse Ausgaben
7. Gesellschaftliche Leistungen der biologischen Landwirtschaft
Urs Niggli, Otto Schmid, Matthias Stolze u.a., FiBL, 2008
8. Akzeptanz ausgewählter Ökomassnahmen
Stefan Mann, Agroscope FAT Tänikon, Agrarforschung, 2005
9. Entwicklung von Kriterien zur Bewertung von Ökologie und Landschaft im Sömmerungsgebiet
Corina Schiess, Irene Weyermann, Regula Benz; Agridea, 2008
10. Leitfaden für die Anwendung des Punktesystems
IP Suisse 2009
11. Mit Vielfalt punkten – Bauern beleben die Natur
FiBL, Schweizerische Vogelwarte Sempach, Bio Suisse, IP-Suisse; FiBL, 2009
12. Welche ökologische Leistung erbringt mein Betrieb?
Forschungsinstitut für biologischen Landbau, FiBL, 2002
13. Charta für Weinberge mit Biodiversität
Delinat-Institut, 2009,
14. Mit Kulturpflanzen verwandte Wildarten erhalten
Häner, Schierscher et.al, Agrarforschung, 2009
15. Artenvielfalt auf konventionellen-, IP- und Biobetrieben
Claudia Schreiber und Bernhard Lehmann, ETH Zürich, 1996
16. Invasive Pflanzen: Herausforderung für die Landwirtschaft?
Christian Bohren, Agrarforschung 2008
17. Unerwünschte Pflanzen in Buntbrachen
Christian Bohren, Agrarforschung, 2007
18. Umsetzungsanalyse ÖQV-Vernetzung
Michael Weber, BLW, 2007
19. Biodiversität und der Wert der Ökosystemleistungen
Andreas Hauser, BAFU, 2009
20. Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität
(The Economics of Ecosys-tems and Biodiversity, TEEB)
Deutsches Bundesumweltministerium, 2008
21. Kosten eines gesetzeskonformen Schutzes der Biotope von nationaler Bedeutung
Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, WSL, Pro Natura und Forum Biodiversität, 2009
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
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BIODIVERSITÄT ALS KOPPELPRODUKT DER LANDWIRTSCHAFT
22. Was kostet die Verhinderung des Waldeinwuchses im Berggebiet?
Dunja Dux, ART Informationstagung Agrarökonomie, 2008
23. Der Wert eines Vogels
Frederic Vester, Kösel-Verlag, 1987
24. Biodiversität ohne tiefergreifende Sensibilisierung in der Alltagswahrnehmung angekommen
Bundesamt für Umwelt, BAFU, 2009
25. Verordnung über die Direktzahlungen an die Landwirtschaft, DZV
Stand 2009
26. Verhandlungen Schweiz-EU für ein Freihandelsabkommen im Agrar- und Lebensmittelbereich (FHAL),
Ergebnisse der Exploration und Analyse
EDI / EDA / EVD, 2008
www.biodiversitaet2010.ch
Die offizielle Website der Schweiz zum Internationalen Jahr der Biodiversität 2010.
www.biodiversity.ch
Publikationen -> Hotspot
www.biodiversitymonitoring.ch
Service -> Zweiter Lagebericht
www.bafu.admin.ch
Pflanzen und Tiere -> Rote Liste
www.delinat-institut.org
-> Charta für Weinberge in Biodiversität
LID Dossier Nr. 439 vom 12. Januar 2010
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