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Grundwissen Naturkunde
Lernheft 14
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Inhaltsverzeichnis
14.1
Einleitung ...............................................................................................
2
14.2
Charles Darwin (1809 – 1882)...............................................................
2
14.3
Darwins große Entdeckungsreise..........................................................
4
14.3.1
Die Galápagos-Inseln ............................................................................
7
14.4
Darwins wissenschaftliche Werke .........................................................
13
14.5
Der Ursprung der Arten .........................................................................
15
14.6
Kreationismus ........................................................................................
21
14.7
Einige Belege für die Evolutionstheorie .................................................
21
14.7.1
Fossilfunde ............................................................................................
21
14.7.2
Der Archaeopterix ..................................................................................
22
14.7.3
Der Stammbaum der Pferde..................................................................
22
14.8
Morphologie und Embryologie ...............................................................
24
14.9
Entwicklung von Arten durch Kreuzungen ............................................
27
14.10
Coevolution ............................................................................................
28
14.11
Ein kleiner Exkurs in die Vererbungslehre (Genetik).............................
30
14.12
Selbstlernaufgaben ................................................................................
32
14.13
Zusammenfassung ................................................................................
32
14.14
Hausaufgabe .........................................................................................
32
14.15
Lösungen zu den Selbstlernaufgaben ...................................................
33
14.16
Anhang ..................................................................................................
34
© Copyright Laudius GmbH
DE-1023-00-00
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
14.1
Lernheft 14
Einleitung
Im Jahr 2009 wurde das internationale Darwin-Jahr proklamiert. Der Grund diesen
herausragenden Wissenschaftler zu ehren, war zum einen sein zweihundertster
Geburtstag und das 150-jährige Jubiläum der Veröffentlichung seiner Evolutionstheorie. Keinen anderen wissenschaftlichen Thesen ist so viel Skepsis und Widerstand
entgegengebracht worden wie eben den Darwin`schen Evolutionsgedanken. Der
Grund dafür ist, dass die Evolutionstheorie vermeintlich im Widerspruch zu religiösen
Weltbildern steht.
Lernziele:
Nach Durcharbeitung dieses Lernhefts …
–
können Sie verstehen, welche Beobachtungen Charles Darwin beeinflussten, als
er sein großes Gedankengebäude entwickelte.
–
können Sie die Grundprinzipien der Evolutionstheorie verstehen lernen und
ebenso einige grundlegende Fachbegriffe der heutigen Evolutionsbiologie
erklären.
14.2
Charles Darwin (1809 – 1882)
Charles Darwin wurde 1809 als fünftes von sechs Kindern auf dem Anwesen seines
Vaters „The Mount“ in Shrewsbury geboren. Sein Vater war der bekannte Arzt ‚
Robert Darwin (1766 – 1848). Seine Großväter waren der schon erwähnte
Erasmus Darwin und der Keramikfabrikant Josiah Wedgwood (1730 – 1795), auf
den u. a. die Wedgwoodskala zur Temperaturmessung zurückgeht. Charles wuchs
also in einem sehr begüterten Umfeld auf. Die Leidenschaft für die Botanik teilte sein
Vater mit seinem Großvater. Robert Darwin legte auf seinem großen Grundstück Gewächshäuser an und kultivierte viele exotische Pflanzen. Charles unternahm schon
als kleiner Junge unentwegt Streifzüge durch die Natur, sammelte Mineralien, beobachtete die Verhaltensweisen der Tiere und beschäftigte sich viel mit Pflanzen.
Sein älterer Bruder hatte einen Schuppen zum Labor umgebaut, dort lernte er von
diesem erste chemische Experimente. Charles sollte wie sein Vater Arzt werden und
begann im Jahr 1825 mit einem Medizinstudium in Cambridge. Die medizinischen
Vorlesungen langweilten ihn aber. Interessiert war er an den Chemievorlesungen von
Thomas Charles Hope (1766 – 1844), dem Entdecker des Elements Strontium, und
er lernte Meereszoologie bei Robert Edmond Grant (1793 – 1874), einem damaligen
Hauptvertreter der lamarckistischen Evolutionstheorie.
Als sein Vater bemerkte, dass Charles sich mit der Medizin schwer tat, schlug er ihm
vor, doch Geistlicher zu werden und Theologie zu studieren. Darwin willigte ein, bezeichnete insgeheim dieses Studium aber als Zeitverschwendung. Dennoch legte er
1831 seinen Bachelor-Abschluss in Theologie ab. Während dieser Zeit beschäftigte er
sich weiter intensiv mit biologischen Themen, so fing er an sich intensiv mit Insektenkunde zu befassen und begann Käfer zu sammeln.
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Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Abb. 1:
Charles Darwin, Aquarell aus den späten 1830er Jahren.
Quelle:
Origins, Richard Leakey and Roger Lewin
Begeistert hörte Darwin sich die Botanik-Vorlesungen von John Stevens Henslow
(1796 – 1861) an. Durch seinen Cousin William Darwin Fox vermittelt erhielt er Einladungen zu den regelmäßig in Henslows Haus stattfindenden Abenden, die dieser für
Studenten durchführte, die noch keinen Abschluss hatten. Es entwickelte sich eine
Freundschaft zwischen den beiden, die lebenslang anhielt und die Darwin als die einflussreichste seines gesamten Werdeganges bezeichnete.
Während seines letzten Jahres in Cambridge las er die „Einführung in das Studium
der Naturphilosophie“, das Werk des berühmten Astronoms Sir John Herschel
(1792 – 1871), sowie Alexander von Humboldts „Reise in die AequinoctialGegenden des neuen Continents“. Auf Humboldts Spuren wollte er ebenfalls eine
Reise unternehmen, plante eine Expedition zu der Kanarischen Insel Teneriffa und
fing an, Spanisch zu lernen.
Bereits im Frühjahr 1831 hatte Henslow ihn überzeugt, sich intensiver mit Geologie zu
beschäftigen und ihn mit dem bereits erwähnten Adam Sedgwick, dem damaligen
Professor für Geologie in Cambridge, bekannt gemacht. Im August 1831 unternahmen
Darwin und Sedgwick eine geologische Exkursion nach Nord-Wales, auf der sie etwa
eine Woche gemeinsam verbrachten.
Nach seiner Rückkehr nach Shrewsbury am 29. August 1831 fand Darwin einen Brief
von Henslow vor. Henslow teilte Darwin darin mit, dass Kapitän Robert FitzRoy für
seine nächste Fahrt mit der HMS Beagle einen naturwissenschaftlich gebildeten
Begleiter suche und er ihn für diese Position empfohlen habe. Das Ziel der von
FitzRoy geleiteten Expedition waren Patagonien und Feuerland an der Südspitze
Südamerikas, um dort kartographische Messungen durchzuführen. Ebenso sollten die
Küsten Chiles, Perus und einiger Südseeinseln vermessen werden. Nachdem Darwin
die Zustimmung seines Vaters zum geplanten Unternehmen erhalten hatte, konnte
sein Traum einer Expedition in Erfüllung gehen. Diese berühmte Reise sollte das
Leben von Charles Darwin für immer verändern, deswegen werden wir sie etwas ausführlicher beleuchten.
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Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Abb. 2:
Admiral Robert FitzRoy (1805 – 1865). Britischer Marineoffizier, Meteorologe und Gouverneur von Neuseeland. FitzRoy entstammte dem britischen
Hochadel, sein Großvater war Augustus FitzRoy, 3. Herzog von Grafton,
britischer Premierminister von 1768 bis 1770. Seine Mutter war die Tochter
des 1. Marquess of Londonderry. Meistens wird sein Name nur in Zusammenhang mit der bekannten Reise der HMS Beagle genannt, deren Kommandant er war. Die fünfjährige Weltumseglung in dem kleinen Schiff war
eine bemerkenswerte seefahrerische Leistung. Er schrieb selbst ein mehrbändiges Werk über die Fahrt aus seiner Perspektive. Von 1843 bis 1845
war FitzRoy Gouverneur von Neuseeland. 1850 schied er aus dem aktiven
Dienst aus, um sich seinen wissenschaftlichen Interessen zu widmen. Er
gründete 1854 das Met Office (Meteorological Office), den heutigen nationalen meteorologischen Dienst des Vereinigten Königreichs, welcher damals
hauptsächlich Sturmwarnungen an Seeleute veröffentlichte. FitzRoy führte
das Barometer und das Sturmglas auf allen britischen Schiffen ein. Der
Ausdruck „Wettervorhersage“ (forecasting the weather) geht auf ihn zurück.
FitzRoy hatte fast fünf Jahre gemeinsam mit Darwin verbracht und sogar
seine Kapitänskajüte mit ihm geteilt. Gleichwohl verurteilte er Darwins Theorien später als Irrlehren und lehnte sie, mit Berufung auf die Bibel, in aller
Öffentlichkeit ab. Im Jahr 1865 nahm FitzRoy, der Jahre seines Lebens
unter Depressionen gelitten hatte, sich mit einem Rasiermesser das Leben.
Quelle:
Nationalbibliothek von Neuseeland, http://find.natlib.govt.nz
14.3
Darwins große Entdeckungsreise
Nachdem sie zweimalig durch schwere, südwestliche Sturmböe, zurückgetrieben
worden war, segelte die HMS Beagle, eine mit zehn Kanonen bestückte Brigg unter
dem Kommando von Robert FitzRoy von der königlichen Marine, am 27. Dezember
1831 von Devonport aus ab. Mit diesen Worten beginnt Darwins eigener, in Buchform
erschienener Bericht seiner historischen, fünf Jahre dauerndernReise auf der Beagle,
die ihn um die ganze Welt führte. Der Theologe Charles Darwin, noch nicht 23 Jahre
alt, war also ausgewählt worden, die Mannschaft der Beagle, eines kleinen Schiffes
von nur 30 m Länge, als Naturforscher zu vervollständigen. Es sollte eine der bedeutendsten, vielleicht die bedeutendste von allen Entdeckungsreisen des 19. Jahrhunderts werden. Während der von 1831 bis 1836 dauernden Reise hielt Darwin eine nie
ganz zum Erliegen kommende Seekrankheit und das Temperament des autoritären
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Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Kapitäns FitzRoy aus. Darwins starke, von seiner relativen Jugend geprägte körperliche Konstitution und das frühere Training als Naturkundler wappneten ihn für die bevorstehenden Aufgaben.
Abb. 3:
Charles Darwins Entdeckungsreise. Die Route der HMS Beagle auf ihrer
fünf Jahre dauernden Weltumseglung.
Quelle:
Hickman C. P. et al.
Die erste Zeit auf dem Schiff verbrachte Darwin damit, die in einem selbst konstruierten, engmaschigen Schleppnetz gefangenen Organismen (Plankton, den Begriff gab
es aber damals noch nicht) mikroskopisch zu untersuchen. Er begann sein erstes
Notizbuch zu schreiben, dem zahlreiche weitere folgten, die er während der Reise zu
unterschiedlichen Zwecken anlegte. Es gab Notizbücher, die er ausschließlich während der Exkursionen an Land benutzte, und andere auf See. In seinen geologischen
und zoologischen Notizbüchern ordnete er die an Land gewonnenen Eindrücke. In
weitere Notizbücher trug er seine gesammelten Proben sorgsam nummeriert ein. Bei
Praia auf der kapverdischen Insel Santiago konnte er am 16. Januar 1832 zum ersten
Mal an Land gehen. Diese Inselgruppe ist der westafrikanische Küste vorgelagert.
Henslow hatte Darwin geraten, sich mit Charles Lyells „Principles of Geology“ zu
beschäftigen. Während des gut dreiwöchigen Aufenthalts entdeckte er in den Klippen
der Küste ein in 15 Meter Höhe verlaufendes waagerechtes Muschelschalenband und
fand zum ersten Mal eine Bestätigung für Lyells Theorie der langsamen, graduellen,
geologischen Formung der Erde.
Die Beagle lief während ihrer Vermessungsfahrt an der südamerikanischen Küste
entlang zahlreiche Häfen an. Darwin führte ausgedehnte Exkursionen durch, um
Beobachtungen der Flora und Fauna dieser Gebiete zu machen. In Rio de Janeiro
erhielt er nach einigen Monaten die erste Post von zu Hause. Während die HMS Beagle die Vermessung der Küste fortsetzte, blieb Darwin mit einigen Besatzungsmitgliedern an Land und unternahm geologische Untersuchungen entlang der Küste. Von
Montevideo aus schickte er die ersten Proben, hauptsächlich geologische, an
Henslow und Sedgwick in Cambridge. Bis Ende Juni 1835 folgten sieben weitere
Sendungen mit pflanzlichen, tierischen, fossilen und geologischen Fund- und Sammelstücken. Auf See sammelte er Proben aus dem Meer. An Land grub er auch zahlreiche Fossilien von lange ausgestorbenen Tierarten aus. Die ersten entdeckte Darwin am 22. September 1832 in der Nähe von Bahía Blanca im östlichen Argentinien.
Bald darauf konnte er dort den Schädel eines Megatheriums und ein gut erhaltenes
Skelett eines Scelidotheriums, beides Riesenfaultiere, freilegen. Aus dem Fundort,
einer Muschelschicht, schloss er, dass sich die beiden ausgestorbenen Arten zur gleichen Zeit wie die sie umgebenden Muscheln entwickelt haben müssten. Dabei fiel
Darwin die Ähnlichkeit von Fossilien der südamerikanischen Pampa mit solchen aus
Nordamerika auf.
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Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Abb. 4:
Skelett eines Riesenfaultiers (Megatherium americanum), die Tiere wurden
bis 6 m lang, mehrere Tonnen schwer und waren die größten Faultiere aller
Zeiten.
Quelle:
Muséum national d'Histoire naturelle, Paris
Über den Jahreswechsel 32/33 hielt sich die HMS Beagle im Gebiet von Feuerland
auf. Nach einem einmonatigen Aufenthalt auf den Falklandinseln setzte die HMS
Beagle ihre Vermessungsarbeiten vor der südamerikanischen Ostküste fort. Darwin
unternahm von April bis November 1833 Exkursionen in das Landesinnere von Uruguay und Argentinien. Nach Durchquerung und Vermessung der Magellanstraße erreichte die HMS Beagle am 11. Juni 1834 den Pazifischen Ozean. Am 23. Juli 1834
traf die HMS Beagle in Valparaíso ein, wo sie mehrere Wochen blieb. Darwin unternahm vom 14. August bis 27. September 1834 eine Expedition durch die Anden, die
ihn bis in das Gebiet von Santiago de Chile führte. Am 20. Februar 1835 wurde er
Zeuge des schweren, dreiminütigen Erdbebens bei Valdivia. Sechs Wochen später
sahen er und FitzRoy bei einem Ritt zur schwer zerstörten Stadt Concepción die Auswirkungen dieses Bebens.
Abb. 5:
Überreste der Kathedrale von Concepción nach dem schweren Erdbeben
vom 20. Februar 1835, Zeichnung von John Clements Wickham
(1798 – 1864).
Quelle:
http://darwin-online.org.uk/
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Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Anfang März 1835 fand Darwin bei der Insel Quiriquina Meeres-Gesteinschichten, die
sich infolge des Erdbebens um fast einen Meter gehoben hatten, worin er eine weitere
Bestätigung für Lyells Theorien und das Alter der Erde sah. Bei einer zweiten AndenExpedition im März und April entdeckte er, dass das weit von der Küste entfernte
Gebirge hauptsächlich aus dem gleichen Lavagestein bestand, das man auch an der
Küste und im Meer finden konnte. Er fand versteinerte Bäume und begann, erste eigene geologische Theorien zu entwickeln. Bei weiteren Andenexpeditionen fand er in
Gestein eingebettete Muschelschalen in mehr als 4000 Metern Höhe und sah mit eigenen Augen Fels- und Schuttbewegungen an Berghängen, die unablässig die Erde
und das Gestein abtrugen. Seine Funde, das Erdbeben und die selbst gemachten
Beobachtungen bestärkten seine Überzeugung, dass die Kräfte der Natur für das
geologische Erscheinungsbild der Erde verantwortlich sind.
14.3.1
Die Galápagos-Inseln
Abb. 6:
Die Galápagos-Inselgruppe. Die Inseln gehören heute nach wie vor zu Ecuador. Sie sind vulkanischen Ursprungs, wie die Krater, die man bei genauem Hinsehen erkennen kann, bezeugen. Die Inseln sind aber unterschiedlich alt, außerdem bewegen sie sich heute immer noch, aufgrund der vulkanischen Aktivitäten im Untergrund, auseinander, obwohl einige ursprünglich
eine gemeinsame Landmasse bildeten.
Quelle:
NASA, Terra Satellite, aufgenommen mit dem Moderate-resolution Imaging
Spectroradiometer (MODIS), 12. März 2002
Mitte September 1835 erreichte die Beagle die Galápagos-Inseln, ein Inselarchipel
vulkanischen Ursprungs, dass rund tausend Kilometer vor der Küste Ecuadors auf der
Höhe des Äquators liegt. Die Inseln wurden 1535 zufällig von spanischen Seefahrern
entdeckt. Der Bekanntheitsgrad, den die Inselgruppe erlangt hat, beruht auf ihrer
Fremdartigkeit. Die Inseln unterscheiden sich von allen anderen Inseln der Erde.
Manche Besucher werden von einem Gefühl der Ehrfurcht und des Staunens übermannt, andere von einem der Niedergeschlagenheit und des Verlassenseins. Von
starken, wechselhaften Strömungen umspült, besitzen die Inseln Küsten aus zerklüfte7
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
ter Lava auf denen gerippeartiges Buschwerk unter den Strahlen der sengenden
Äquatorsonne dörrt. Sie sind von seltsamen Reptilien bewohnt und die ecuadorianische Regierung pflegte ihre Verurteilten dort zu internieren. Um die Mitte des
17. Jahrhunderts war die Inselgruppe den spanischen Weltumseglern bereits als Las
Islas Galápagos (die Schildkröteninsel) bekannt. Die Riesenschildkröten, die zuerst
von ausgesetzten Meuterern später von den Besatzungen britischer und amerikanischer Walfang- und Kriegsschiffe als Nahrung benutzt wurden, waren der Hauptanziehungspunkt der Inseln. Zur Zeit von Darwins Besuch auf den Inseln waren die
Bestände der Riesenschildkröten schon stark dezimiert.
Durch den 5-wöchigen Aufenthaltes der HMS Beagle auf der Inselgruppe bedingt,
begann Darwin, (allerdings erst viel später, bei der Auswertung seiner Daten) seine
ganz eigene Vorstellung von der Evolution des Lebens auf der Erde zu entwickeln.
Seine Beobachtungen der Riesenschildkröten und Meeresechsen, der Spottdrosseln
und der nach ihm benannten Darwin-Finken aus erster Hand trugen ausnahmslos zu
diesem Wendepunkt in Darwins Gedankenwelt bei.
Darwin fiel der Umstand ins Auge, dass die Galápagos-Inseln und die Kapverdischen
Inseln, die er zu einem früheren Zeitpunkt seiner Seereise mit der Beagle besucht
hatte, klimatisch und topografisch ähnlich waren, sich aber in der Flora und Fauna
total unterschieden. Er erkannte, dass die Pflanzen und Tiere der GalápagosInselgruppe denen Südamerikas ähnlich sind, sich aber nichtsdestotrotz ökologisch
und in Bezug auf adaptive (angepasste) Merkmale von diesen unterschieden. Die
einzelnen Inseln beherbergten oftmals eigenständige, endemische (nur dort vorkommende) Arten, die auf anderen Inseln vorkommenden Formen ähnlich, aber von diesen unterscheidbar waren.
Nicholas Lawson, der Direktor des Strafgefangenenlagers auf der Insel Floreana,
machte ihn darauf aufmerksam, dass sich die auf den Galápagos-Inseln lebenden
Schildkröten anhand ihrer Panzer bestimmten Inseln zuordnen ließen. Kurz gesagt, es
mussten die Lebensformen der Galápagos-Inseln in Südamerika entstanden sein und
danach unter dem Einfluss der verschiedenen Umweltbedingungen auf den diversen
Inseln Modifikationen erfahren haben. Darwin kam zu dem Schluss, dass die Lebensformen weder durch einen übernatürlichen Schöpfungsakt entstanden, noch unveränderlich sind. Sie waren tatsächlich vielmehr Produkte einer Evolution ( eines Entwicklungsprozesses). Obwohl Darwin in seinem monumentalen Buch über den Ursprung
der Arten, das er mehr als 20 Jahre später nach einer gründlichen Auswertung des
Probenmaterials veröffentlichte, den Galápagos-Inseln nur wenige Seiten widmete,
waren die dort gemachten Beobachtungen des einzigartigen Charakters der Tiere und
Pflanzen der Schildkröten-Inseln nach seinen eigenen Worten der Ursprung aller
meiner Ansichten.
Man muss aber hinzufügen, dass Darwin dieses Gedankengebäude erst Jahre später
entwickelte und bestimmten wichtigen Dingen während seines Aufenthalts relativ wenig Aufmerksamkeit schenkte. So versäumte er, die verschiedenen Finkenarten, die er
geschossen hatte und präpariert nach England brachte, den verschiedenen Inseln
zuzuordnen. Ein Fehler, der ihm nicht unterlaufen wäre, wenn er die Bedeutung gerade dieser Artaufspaltung schon vor Ort erkannt hätte. Er selbst hat seine Erkenntnisse
später zeitlich etwas vorzuverlegen versucht.
Einige der Tierarten die man nur auf den Galápagos-Inseln findet, sind in den folgenden Abbildungen aufgeführt. Ihre Bestände sind allesamt bedroht. Dies liegt an der
Bejagung durch den Menschen, der Zerstörung ihrer Lebensräume durch Besiedlung,
Überfischung oder Verschmutzung sowie dem Einschleppen von für das einzigartige
Ökosystem der Inseln gefährliche Tier- und Pflanzenarten durch den Menschen.
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Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Abb. 7:
Die nur auf Galápagos vorkommenden Meeresechsen (Amblyrhynchus
cristatus). Sie sind die einzigen heute lebenden Leguane, die sich ihre Nahrung im Meer suchen. Sie tauchen bis zu 15 m tief und weiden am Meeresboden Algen und Tange ab. Ihre Grundfarbe ist schwarz, da sie sich als
wechselwarme Tiere nach den Tauchgängen wieder aufwärmen müssen
und die Farbe Schwarz am meisten Sonnenlicht absorbiert. Die bis 1,3 m
großen Männchen weisen zur Paarungszeit rote Farbtöne auf. Die Weibchen werden nur etwa halb so groß.
Quelle:
Maros Mraz, 2009
Abb. 8:
Galápagos-Riesenschildkröte (Chelonoidis nigra). Dieses Tier lebte im
Australia Zoo in Queensland, Australien. Ihr Name war Harriet. Diese
Schildkröten können sehr alt werden. Sie starb 2006 im gesegneten Alter
von etwa 176 Jahren. Sie kannte den Forscher noch, der hier so ausführlich
besprochen wird, die HMS Beagle und ihren Kapitän. Charles Darwin selbst
hatte sie 1835 auf den Galápagos-Inseln als Baby eingefangen.
Quelle:
Fritz Geller-Grimm 2002
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Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Von den Riesenschildkröten, den größten lebenden Landschildkröten der Erde, existierten 15 Arten, vier gelten als ausgestorben (oder sollte man sagen ausgerottet?),
alle lebten nur auf den Galápagos-Inseln. Von der Unterart abingdonii existiert noch
ein einziges männliches Tier, der so genannte „einsame George“. Die unterschiedlichen Panzerformen erklären sich durch die Anpassung der Tiere an unterschiedliche
Lebensräume. Die Vegetation auf den einzelnen Inseln ist sehr unterschiedlich. Dort
wo die Tiere niedere Vegetation abweiden, sind die Panzer kuppelförmig, dort wo sie
an Sträuchern und Kakteen (Opuntien) fressen, muss der Panzer eine stärkere Kopffreiheit gewährleisten und entwickelte sich zur Sattelform. Die Panzerlänge der Tiere
liegt bei etwa 1 m, wobei die Männchen größer als die Weibchen sind. Das Körpergewicht liegt bei mehreren hundert Kilogramm. Die Geschlechtsreife wird mit
20 – 30 Jahren erreicht. Die Bestände der Tiere gelten als hochgradig bedroht. Wie
wir im Abschnitt über die Saurier gelernt haben, sind die Schildkröten die letzten Vertreter der Anapsiden und existieren seit 220 Millionen Jahren. Warum die GalápagosRiesenschildkröte sich zu einer solch großen Körperform entwickelte, ist durchaus
umstritten, vielleicht tat sie es gar nicht. Normalerweise beobachtet man bei auf Inseln
lebenden Tierarten eher das Phänomen der Inselverzwergung, d. h., dass auf Inseln
lebende Arten sich im Vergleich zu den auf dem Festland lebenden, verwandten Arten
zu Zwergformen entwickeln.
Die einzige Bienenart, die auf den Galápagos-Inseln vorkommt, ist die blaue Holzbiene (Xylocopa darwinii). Da sie gelbe Blüten bevorzugt anfliegt, weisen fast alle
Blütenpflanzen auf den Inseln gelbe Blütenblätter auf. Eine verwandte Art dieser solitären Wildbiene kommt auch in Deutschland vor, allerdings nur in warmen Gegenden
Süddeutschlands. Sie wird etwa 3 cm groß, ist somit die größte Wildbienenart
Deutschlands und ist metallisch glänzend schwarzblau gefärbt. Wie der Name besagt,
nagt sie mit ihren kräftigen Kiefern Brutröhren in altes Holz.
Abb. 9:
Verschiedene Typen der Galápagos-Riesenschildkröte und ihre Verbreitung.
Quelle:
California Academy of Science in San Francisco, Kalifornien
10
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Unterart
Panzer
Lernheft 14
Vorkommen
(Insel)
Anzahl (2004)
abingdonii
Sattelrückenform
Pinta
becki
Sattelrückenform
Wolf-Vulkan auf
Isabela
3500
chathamensis
intermediäre
Form, Kuppelform
San Cristóbal
2000
darwini
intermediäre
Form
San Salvador
1350
ephippium
Sattelrückenform
Pinzón
600
guntheri
Kuppelform
Sierra-NegraVulkan auf Isabela
700
hoodensis
Sattelrückenform
Española
1200
microphyes
Kuppelform
Darwin-Vulkan auf
Isabela
1100
porteri
Kuppelform
Santa Cruz
6700
vandenburghi
Kuppelform
Alcedo-Vulkan auf
Isabela
10000
vicina
intermediäre
Form, Kuppelform
Cerro-Azul-Vulkan
auf Isabela
2700
1 (`Lonesome George´,
in Gefangenschaft,
80 Jahre alt)
Tab. 1:
Unterarten der Galápagos-Riesenschildkröte, ihre Panzercharakteristika,
Vorkommen auf der jeweiligen Insel und die geschätzte Anzahl der Tiere.
Quelle:
Charles Darwin Research Station, Galápagos.
Abb. 10 a:
Abb. 10 b:
Abb. 10 a: Einige Beispiele für die einzigartige Vogelwelt der Inseln.
Galápagos-Bussard (Buteo galapagoensis). Wie der Name besagt, ist er
nur auf den Galápagosinseln heimisch. Der Galápagosbussard wird bis
zu 56 cm lang und erreicht ein Gewicht von 650 – 850 g. Seine Bestände
gelten als bedroht.
Quelle:
Hjalmar Gislason, 2007
11
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Abb. 10 b: Mangroven-Darwinfink (Camarhynchus heliobates). Bei den Darwinfinken
handelt es sich um 14 sehr eng verwandte Arten, die alle von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen und nur auf Galápagos vorkommen.
Sie gehören zur Vogelfamilie der Ammern (Emberizidae). Der MangrovenDarwinfink ist einer der seltensten Vögel dieser Erde und vom Aussterben
bedroht, da nur noch etwa 100 Exemplare dieser Art auf der GalápagosInsel Isabella zu finden sind. Sein Name leitet sich von dem Habitat ab, in
dem er lebt (Mangroven-Wald). Er ernährt sich von Insekten.
Quelle:
Brumm et al., 2010
Abb. 10 b: Der Galápagos-Pinguin (Spheniscus mendiculus) ist eine von vier Arten
der Gattung der Brillenpinguine (Spheniscus). Er kommt weltweit nur auf
den Galápagos-Inseln vor und ist mit ca. 1200 Individuen (Stand: 2004)
die seltenste Pinguinart. Er ist vom Aussterben bedroht. Da sich die
Galápagos-Inseln auf dem Äquator befinden, sind die GalápagosPinguine der Insel Isabela die einzige Pinguinart, die auch auf der nördlichen Hemisphäre brüten. Galápagos-Pinguine werden zwischen 48 und
53 cm groß und wiegen zwischen 1,5 und 2,5 kg. Die Männchen sind dabei etwas größer und schwerer.
Quelle:
Christopher Dorobek, 2010
Am 20. Oktober 1835 brach die HMS Beagle zur Durchquerung des Pazifischen Ozeans auf. Am Abend des 15. November wurde Tahiti erreicht, wo das Schiff zehn Tage
ankerte. Darwin und FitzRoy trafen in Papeete mit der tahitianischen Königin Pomaré
IV. zusammen. Während der Weiterfahrt nach Neuseeland vervollständigte Darwin
seine Theorie über die Entstehung der Korallenriffe, die er bereits an der Westküste
Südamerikas begonnen hatte. Am 12. Januar 1836 erreichte sie die australische Küste in Sydney. Die letzte Station des zweimonatigen Aufenthaltes der HMS Beagle in
Australien war Albany. Darwin verbrachte die Zeit damit, die Eingeborenen (Aborigines) zu studieren, Skinke und Schlangen zu fangen, Plattwürmer und zahlreiche Insekten zu sammeln, darunter australische Mistkäfer, die er in Kuhfladen fand. Die
weitere Fahrt führte ihn auf die Kokosinseln sowie nach Mauritius und an der Südspitze von Madagaskar vorbei nach Südafrika. Am 31. Mai 1836 warf die HMS Beagle bei
12
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Simons Town in der Simons Bay die Anker. Darwin eilte auf dem Landweg nach
Kapstadt, wo er sich mit dem berühmten britischen Astronom Sir John Herschel traf,
der seinerseits aus astronomischen Gründen eine Expedition unternommen hatte. Er
war mit Frau und Kindern, sowie einem Teleskop, um die halbe Welt gefahren, um
von Kapstadt aus die Sterne zu studieren. Am 29. Juni überquerte die HMS Beagle
den Südlichen Wendekreis. Auf St. Helena untersuchte er die Geologie der Insel und
auf Ascension bestieg er den 859 Meter hohen Vulkan Green Mountain.
Am 17. August 1836 ging die HMS Beagle endgültig auf Heimatkurs. Nochmals wurde
Praia angesteuert und ein Zwischenstopp bei der Azoren-Insel Terceira eingelegt. Am
2. Oktober 1836 erreichte die Beagle wieder englischen Boden in Falmouth. Darwin
machte sich sofort auf den Weg zu seiner Familie in Shrewsbury.
Während der Rückreise hatte Darwin seine Notizen und Sammlungen geordnet. Seine
biologischen Notizen umfassten 368 Seiten, die über Geologie waren mit 1383 Seiten
etwa viermal so umfangreich. Sein Reisetagebuch umfasste 770 Seiten. 1529 in Spiritus konservierte Arten sowie 3907 Häute, Felle, Knochen, Pflanzen etc. waren das
Ergebnis seiner fast fünfjährigen Reise, nicht gerechnet das umfangreiche Material,
dass er im Laufe der Jahre bereits nach England verschifft hatte. In seiner Autobiographie schrieb er: Die Reise mit der Beagle war das bei weitem bedeutendste Ereignis in meinem Leben und hat meinen gesamten Werdegang bestimmt.
Charles Darwin blieb den Rest seines Lebens in England. Der größte Teil von Darwins
umfangreicher Sammlung war bereits in England, er hatte in diversen Häfen Teile
davon nach England vorgeschickt, da auf dem Schiff nicht genug Stauraum zur Verfügung stand. Dasselbe gilt für zahlreiche Notiz- und Tagebücher. Teile seiner ausführlichen Korrespondenz und seiner Reisebeschreibungen waren von Sedgwick und
Henslow bei einigen Gelegenheiten in verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften verlesen worden, sodass ihm sein Ruhm schon vorauseilte. Er heiratete 1839
seine Cousine Emma Wedgwood (1808 – 1896), mit der er im Laufe der Jahre zehn
Kinder hatte. Das Vermögen seines Vaters und seiner Frau ermöglichten ihm ein Leben als Privatier zu führen, er war unter heutigen Begriffen ein Multimillionär. Er zog
sich in das Anwesen Down House zurück und beschäftigte sich nur noch mit der Auswertung der Fahrt und der Entwicklung seiner Theorien.
14.4
Darwins wissenschaftliche Werke
Darwins Reisebericht wurde drei Jahre nach der Rückkehr der Beagle nach England
veröffentlicht. Er wurde zu einem unmittelbaren Erfolg und erlebte noch im Jahr der
Erstveröffentlichung zwei weitere Auflagen. In späteren Auflagen hat Darwin umfangreiche Änderungen eingearbeitet und gab dem Werk den Titel „Die Reise der Beagle“
(The voyage of the Beagle). Der faszinierende Bericht seiner Reiseerlebnisse und
Beobachtungen ist in einem klaren, fesselnden Stil verfasst, der das Werk zu einem
populären Dauerbrenner der Reiseliteratur hat werden lassen.
Er gab das mehrbändige Werk: „The Zoology of the Voyage of H.M.S. Beagle“
(1838 – 1843) heraus, wobei die einzelnen Bände: 1) Fossile Tiere, 2) Säugetiere,
3) Vögel, 4) Fische, 5) Reptilien und Amphibien von seinen Kollegen Richard Owen,
G. R. Waterhouse, J. Gould, L. Jenyns und T. Bell bearbeitet wurden.
Die nächsten Werke, die Darwin veröffentlichte, waren die Geologie der Vulkaninseln
(Geological observations on the volcanic islands visited during the voyage of H.M.S.
Beagle) 1844 und die Geologischen Beobachtungen in Südamerika (Geological
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Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
observations on South America) 1846. Damit waren die meisten direkten biologischen
und geologischen Erkenntnisse seiner Weltreise nach zehn Jahren aufgearbeitet. Eine
Ausnahme war ein seltsames Exemplar der Rankenfußkrebse, welches er damals
gefangen hatte. Aus der Beschreibung dieser Art entwickelte sich eine acht Jahre
dauernde Bearbeitung aller bekannten lebenden und fossilen Arten der gesamten
Ordnung. Diese Arbeit, die er in zwei dicken Bänden über die lebenden und zwei
schmalen Bänden über die fossilen Vertreter publizierte, machte ihn zu einem anerkannten Taxonomen, und er erhielt für sie 1854 die Royal Medal (königliche Medaille).
Cirripedia. –Rankenfußkrebse
Abb. 11: Verschiedene Rankenfußkrebse (Cirripedia). Die meisten der etwa
800 Arten leben festgewachsen an einem Untergrund oder parasitisch an
anderen Tieren. Der in der Mitte des Bildes von der Körperunterseite aus
gesehen abgebildete Taschenkrebs gehört natürlich nicht zu den Cirripedia,
aber die aus seinem Hinterleib ragende Ausstülpung stellt einen im Körper
anderer Krebse lebenden, parasitischen Rankenfußkrebs dar. Auch die so
genannte Entenmuschel gehört zu dieser Gruppe Krebse, die Stiele der
Entenmuschel sind essbar und gelten als Delikatesse.
Quelle:
Ernst Haeckel, „Kunstformen der Natur“
14
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Seltsamerweise ist das epochale Hauptwerk von Darwins legendärer Reise, die Theorie der Evolution, erst über 20 Jahre nach seiner Rückkehr in gedruckter Form erschienen. 1838 hatte Darwin, zufällig und zum Vergnügen, den Aufsatz über Populationen „An essay on the principle of population“ von Thomas Malthus gelesen, in dem
dieser feststellt, dass sowohl Pflanzen- als auch Tierpopulationen einschließlich die
des Menschen, die Tendenz haben, bis zu einem Punkt anzuwachsen, an dem die
Kapazität der Umwelt die Population zu ernähren, völlig erschöpft ist. Darwin hatte
bereits Informationen über die künstliche Zuchtwahl von domestizierten Tieren in der
Obhut des Menschen zusammengetragen.
Nachdem er Malthus Buch gelesen hatte, wurde Darwin bewusst, dass der Vorgang in
der Natur ein Kampf ums Überleben aufgrund der herrschenden Überbevölkerung
eine treibende Kraft bei der Evolution wild lebender Arten sein könnte. Er erlaubte
dieser Idee in seinen Gedanken Gestalt anzunehmen, bis er sie 1844 in einem unveröffentlichten Aufsatz niederlegte. Im Jahr 1856 begann Darwin schließlich seine
unfangreichen Daten in einem umfassenden Werk über den Ursprung von Arten zusammenzufassen.
Er ging von der Erwartung aus, vier Bände zu verfassen, also ein sehr umfangreiches
Werk, das „so perfekt, wie ich es nur machen kann“, werden sollte. Seine Pläne sollten jedoch durch eine unerwartete Wendung in eine andere Bahn gelenkt werden. Im
Jahre 1858 erreichte ihn das bereits erwähnte Ternate-Manuskript von Alfred Russell
Wallace. Die sich anschließenden, überschlagenden Ereignisse wurden bereits im
Zusammenhang mit dessen Person besprochen. Für ein weiters Jahr arbeitete Darwin
unter Hochdruck an der Vorbereitung einer einleitenden Zusammenfassung des geplanten vierbändigen Werkes.
14.5
Der Ursprung der Arten
Ich habe niemals die Existenz Gottes verneint. Ich glaube, dass die Entwicklungstheorie absolut versöhnlich ist mit dem Glauben an Gott. Die Unmöglichkeit des Beweisens und Begreifens, dass das großartige über alle Maßen herrliche Weltall ebenso
wie der Mensch zufällig geworden ist, scheint mir das Hauptargument für die Existenz
Gottes.
Charles Darwin
Im Jahre 1859 erschien Darwins Buch „On the Origin of Species by means of Natural
Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life“ ( „Über die
Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder Die Erhaltung der begünstigten
Rassen im Kampfe ums Dasein“).
Es kann als das erste Werk angesehen werden, das die seiner Zeit bereits vorhandenen Theorien und Hypothesen zur Evolution der Lebewesen zusammenfasste und
durch eine Fülle von Beobachtungen belegte. Im Einzelnen beinhaltete es:
Die Evolutionstheorie: Die Feststellung, dass nicht nur die Erde, sondern auch die
auf ihr lebenden Organismen im Laufe vieler Generationen einem beständigen Wandel unterliegen. Dies bedeutete eine klare Abkehr von der biblischen Schöpfungslehre. Darwin vermied in seinen Werken bewusst den Begriff Evolution.
Dieser Wandel, den Darwin beschrieb, erfolgt allmählich, in kleinen Schritten. Diese
Sichtweise wird als Gradualismus bezeichnet, er steht im Gegensatz zu dem Begriff
15
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
der Transmutation, der von einer spontanen Veränderung von einer Art zur anderen
ausging.
Abstammungstheorie (Deszendenztheorie): Dies bedeutet, die Herkunft aller Arten
kann auf eine ursprünglichere Stammart zurückgeführt werden.
Artenbildung (Speziation): Im Laufe der Zeit gehen aus einer Art neue Arten hervor.
Mit den Begriffen der Abstammungstheorie und der Artenbildung stand Darwin im
Gegensatz zum den Umwandlungsthesen von Lamarck (Transformationstheorie), der
zwar den Wandel der Arten anerkannte, aber postuliert hatte, dieser Wandel führe
nicht zur Vervielfachung der Arten, sondern nur zu ihrer Vervollkommnung.
Die besondere Leistung von Darwin und Alfred Russel Wallace liegt in der Erklärung
des Evolutionsmechanismus durch das heute noch immer gültige Prinzip der wechselseitigen Beziehung zwischen Variation und natürlicher Selektion.
Die Variation bedeutet: Die Individuen von Tier- und Pflanzenarten sind nicht gleich,
sondern weisen kleine Unterschiede in den Bau- und Leistungsmerkmalen auf, die auf
die nächste Generation weiter vererbt werden. Die natürliche Selektion ist wiederum
der entscheidende Mechanismus, der die Evolution vorantreibt, da die Individuen
bessere Überlebensmöglichkeiten besitzen, die optimaler an die Umwelt angepasst
sind. Diejenigen Individuen, die sich in dieser Konkurrenz gegenüber anderen
durchsetzen, haben einen größeren Fortpflanzungserfolg, von Darwin als Survival of
the fittest (Überleben der Tauglichsten) bezeichnet. Darwin folgerte aus den
Beobachtungen seiner langjährigen Züchtungsversuche mit Haustauben, dass die
Formenvielfalt in der Natur ebenfalls durch einen Ausleseprozess entstanden ist, den
er natürliche Zuchtwahl nannte.
Darwins Erklärungsmodell der Evolution durch natürliche Selektion
Beobachtung Nr. 1
Lebewesen besitzen eine hohe
potenzielle Fruchtbarkeit, die
ein exponentielles Anwachsen
von Populationen ermöglicht.
(Quelle: Thomas Malthus)
Beobachtung Nr. 2
Natürliche Populationen
vergrößern sich normalerweise
nicht exponentiell, sondern
behalten eine verhältnismäßig
konstante Größe bei.
(Quelle: Charles Darwin und
viele andere)
Beobachtung Nr. 3
Die natürlichen Ressourcen
sind begrenzt.
(Quelle: Thomas Malthus)
Folgerung Nr. 1
Unter den Lebewesen in einer
Population herrscht ein Kampf
ums Dasein.
(Quelle: Thomas Malthus)
Beobachtung Nr. 4
Innerhalb von Populationen
tritt unter den Arten Variation
auf.
(Quelle: Tierzucht und
Systematik)
Beobachtung Nr. 5
Variationen sind erblich.
(Quelle: Beobachtungen aus
der Tierzucht)
Folgerung Nr. 2
Unterschiedliche Lebewesen zeigen differenzielles Überleben und
Fortpflanzung; die erfolgreichen Merkmalskombinationen werden
„vorteilhaft“ genannt.
(Quelle: Charles Darwin)
Folgerung Nr. 3
Die nartürliche Selektion
Erzeugt über einen Zeitraum von Generationen
neue Anpassungen und
neue Arten.
(Quelle: Charles Darwin)
Abb. 12: Darwins Modell der Selektion als treibende Kraft der Evolution.
Quelle:
Hickman C. P. et al.
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Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Darwin verursachte mit seinen Thesen viel Verwirrung und Aufruhr im viktorianischen
England: Einerseits stand seine Theorie im Konflikt mit der Einzigartigkeit des Menschen, andererseits dehnte sie bei ihrem Erscheinen auch das Zeit- und Geschichtsverständnis in für den Menschen kaum vorstellbare zeitliche Dimensionen aus.
Die 1250 Exemplare der 1. Auflage waren noch am Tage der Veröffentlichung ausverkauft. Darwins Ansichten sollten außergewöhnliche Konsequenzen für das wissenschaftliche Denken und die religiösen Glaubensvorstellungen haben und sich einen
sicheren Platz unter den größten intellektuellen Errungenschaften aller Zeiten erobern.
Die nächsten Jahrzehnte verbrachte er damit, seine Theorie weiter zu untermauern
und verfasste weitere bedeutende Werke dazu.
Abb. 13: Charles Darwin im Alter von 50 Jahren zur Zeit seiner Veröffentlichung von
„Über den Ursprung der Arten“ 1859/1860.
Quelle:
Karl Pearson, The Life, Letters, and Labours of Francis Galton
Abb. 14 a:
Abb. 14 b:
Abb. 14 a: Beispiele sexueller Selektionsmechanismen. Ein Paar Brautenten (Aix
sponsa). Die leuchtende Färbung des Männchens bietet vermutlich keinen
Überlebensvorteil, weil es gut geeignet ist die Aufmerksamkeit von Fressfeinden auf sich zu ziehen. Die auffälligen Farben dienen nur dazu, einen
Paarungspartner anzulocken. Insgesamt überwiegt dies aber die negativen Konsequenzen der auffälligen Färbung für die Überlebenswahrscheinlichkeit.
17
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Abb. 14 b: Skelett eines Riesenhirsches (Megaloceros). Die Tiere lebten in Europa
und Asien. Das Geweih des Riesenhirsches erreichte Spannweiten von
3,6 m. Darwin interpretierte den Riesenwuchs des Geweihs ebenfalls als
sexuellen Selektionsmechanismus, der in diesem Fall aber eher zum
Nachteil der Spezies war. Die Riesenhirsche starben vor etwa 7500 Jahren aus. Ob die (außer in der Paarungszeit) eher unpraktischen, riesigen
Geweihe die Ursache waren, ist aber nicht sicher.
Quelle:
Hickman C. P. et al.
Das Buch „The Variation of Animals and Plants under Domestication (Das Variieren
der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication)“, erschien Ende Januar
1868. Hier legte er all das von ihm in Jahrzehnten gesammelte Material vor, welches
die Variation, die Veränderlichkeit von Tieren und Pflanzen in der Haustier- und Nutzpflanzenzüchtung unter dem Einfluss des Menschen zeigt.
Er legte ebenfalls eine Theorie zu einem Vererbungsmechanismus vor, die Pangenesistheorie. Diese Hypothese stieß selbst bei seinen Freunden auf Ablehnung und sollte sich auch als falsch herausstellen. Im Jahre 1871 erschienen „The Descent of Man,
and Selection in Relation to Sex (Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl)“. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Darwin die Übertragung seiner in der
Tier- und Pflanzenwelt gewonnenen Erkenntnisse auf den Menschen vermieden.
Dennoch wurde die Verwandtschaft des Menschen mit den Affen und die Erkenntnis,
dass sie gemeinsame Vorfahren haben, bereits von Wissenschaftlern wie Ernst Haeckel und Thomas Henry Huxley in seinem Werk „Evidence as to Man's Place in
Nature“ (1863) vertreten.
Darwins Buch löste einen Sturm der Entrüstung aus. Vielen galt es als blasphemisch
und obszön, wurde doch der Mensch in eine Entwicklungsreihe mit den Tieren gestellt. Die öffentliche und wissenschaftliche Diskussion wurde mit großem Eifer geführt. Es gibt viele Karikaturen aus dieser Zeit, welche Darwins Person mit Affendarstellungen zu verunglimpfen versuchen. Wie kontrovers das Thema diskutiert wurde,
zeigt der in die Annalen der Wissenschaftsgeschichte eingegangene, hitzig geführte
wissenschaftliche Disput, der Oxforder Evolutions-Debatte oder auch HuxleyWilberforce-Debatte genannt wird. Er fand im Oxford University Museum am 30. Juni
1860 statt. Aufseiten von Darwins Befürwortern fanden sich Thomas Huxley, ein wortgewaltiger Wegbereiter von Darwins Theorien, der sich selbst als „Darwins Bulldogge“
bezeichnete, und Alfred Russell Wallace.
Die Gegner waren unter anderem Sir Richard Owen und Kapitän Robert FitzRoy. Einer der Wortführer der Evolutionsgegner war Erzbischof Samuel Wilberforce. Dieser
griff Huxley unter anderem mit den Worten an: „Kommt die Affenabstammung bei
Ihnen von der Seite ihrer Großmutter oder eher von ihrem Großvater?“ Worauf Huxley
zuerst zu seinem Banknachbarn murmelte: „Der Herr hat ihn in meine Hand gegeben.“
Dann trug er eine brillant formulierte Verteidigung der Darwin`schen Thesen vor, um
mit den Worten zu schließen: „Ich würde eher bevorzugen ein Abkömmling von Affen
zu sein, als ein Mann, der die Gaben der Kultur und Redegewandtheit im Dienste der
Vorurteile und der Lüge missbraucht und sich fürchtet der Wahrheit ins Gesicht zu
sehen.“
18
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Abb. 15: Darwins Bulldogge, Thomas Henry
Huxley (1825 – 1895) im Jahr 1891.
Huxley war Arzt und Zoologe und
trug durch seine populärwissenschaftlichen Darstellungen von
Darwins Theorien viel zur allgemeinen Diskussion und der langsamen
Anerkennung des Evolutionsgedankens bei. Er war ein begnadeter
Redner und Schriftsteller und gründete 1869 gemeinsam mit anderen
Anhängern der Darwinschen Lehre
die heute als eines der herausragendsten wissenschaftlichen Journale hochgeschätzte Fachzeitschrift
Nature. Thomas Huxley war der
Großvater des Schriftstellers Aldous Huxley (1894 – 1963, dem
Autor von Schöne neue Welt, 1932).
Quelle:
National Portrait Gallery
Darwin blieb weiter unermüdlich wissenschaftlich tätig. Im Jahre 1872 veröffentlichte
er „On the Expression of the Emotions in Man and Animals (Der Ausdruck der
Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren)“, in dem Darwin darlegte,
dass auch die Gefühle und deren Ausdrucksweise bei Menschen und Tieren Ähnlichkeiten aufweisen und wie äußere Merkmale durch Evolution entstanden sind. Unter
anderem studierte er hierzu detailliert und lange seine eigenen Kinder im Babyalter.
Heute würde man dieses Thema der Verhaltensforschung zuordnen.
In den letzten Lebensjahren beschäftigte er sich viel mit botanischen Themen. Er studierte das Wachstums-und Bewegungsverhalten von Pflanzen und beschrieb es in
„The Movements and Habits of Climbing Plants (Über die Bewegungen der Schlingpflanzen)“ von 1867 (erweiterte 2. Auflage 1875) und in dem mit 592 Seiten sehr umfangreichen Buch „The Power of Movement in Plants (Das Bewegungsvermögen der
Pflanzen)“ von 1880. Er postulierte Botenstoffe (Hormone) in Pflanzen, die Jahrzehnte
später auch als solche isoliert und nachgewisen werden konnten. Darwin entdeckte
die Circumnutation, die endogen gesteuerte Kreisbewegung vieler Pflanzen und zeigte in seinem Buch „Insectivorous Plants (Insektenfressende Pflanzen)“ von 1875, dass
es tatsächlich fleischfressende Pflanzen gibt. Er war somit ein Wegbereiter des heute
als Pflanzenphysiologie bezeichneten Zweigs der Botanik.
In verschiedenen Arbeiten beschäftigte er sich mit Blütenbiologie. In „On the various
contrivances by which British and foreign orchids are fertilised by insects, and on the
good effects of intercrossing (Über die Einrichtungen zur Befruchtung Britischer und
ausländischer Orchideen durch Insekten und über die günstigen Erfolge der Wechselbefruchtung)“ (1862) konnte er zeigen, dass der Blütenbau der Pflanzen dazu dient
Selbstbestäubung zu vermeiden und eine möglichst hohe Rate an Fremdbestäubung
zu erzielen. Für die Stern-Orchidee aus Madagaskar (Angraecum sesquipedale), die
einen bis 33 cm langen Nektarsporn besitzt, sagte er die Existenz eines bestäubenden Schmetterlings mit einem ebenso langen Rüssel voraus. Dieser Schmetterling
wurde erst 40 Jahre später entdeckt. Er heißt Xanthopan morganii praedicta
(praedicta = die Vorhergesagte).
Sein letztes Buch behandelte die Verhaltens- und Lebensweisen der Regenwürmer
„The formation of vegetable mould, through the action of worms, with observations on
19
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
their habits (Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer, mit Beobachtungen ihrer Lebensgewohnheiten)“ von 1881. Über 30 Jahre lang hatte Darwin Freilandexperimente durchgeführt, um zu zeigen, wie wichtig die Tiere für einen gesunden
Boden sind. Damals war sogar die Meinung verbreitet, sie seien Schädlinge. Er war
somit ebenfalls ein Wegbereiter der Agrar- und Bodenbiologie.
Darwins letzte Lebensjahrzehnte waren auch
überschattet von Krankheit, wobei bis heute
nicht geklärt ist, woran er litt. Die Symptome
waren Schwächeanfälle, Magenschmerzen,
Übelkeit und Erbrechen, erhöhter Puls und
Atemprobleme. Es könnte sein, dass er sich
auf seiner Reise eine damals nicht bekannte
Tropenkrankheit zugezogen hatte. Charles
Darwins Leben endete am 19. April 1882. Er
wurde in der Westminster Abtei zwischen Sir
Isaac Newton und Sir John Herschel
begraben. Dies war eine erstaunliche Geste,
angesichts der Tatsache, welche liebe Not die
anglikanische Kirche mit seinen Thesen hatte
und bezeugt den pragmatischen britischen
common sense.
Abb. 16: Charles Darwin, Woodburytypie vermutlich aus dem Jahre 1874.
Quelle:
Robert Ashby Collection
Abb. 17: Statue von Charles Darwin
im Treppenaufgangsbereich
des Londoner Natural
History Museums. Die Statue wurde von Sir Joseph
Boehm geschaffen und am
9. Juni 1885 in Gegenwart
des Prinzen of Wales enthüllt. Die Ansprache hielt
Thomas Huxley. Man hatte
Darwin erst dann an diesem
Ort ein Denkmal setzen
können, als Sir Richard
Owen nicht mehr Direktor
des Museums war.
20
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
14.6
Lernheft 14
Kreationismus
Die meisten Menschen in den entwickelten Staaten der Welt kennen die Evolutionstheorie Darwins, weil diese Befunde in der Regel seit Jahrzehnten im Biologieunterricht behandelt werden. Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2009 zeigte, dass 95 %
der Bundesbürger sich darüber bewusst sind, dass es wissenschaftliche Belege dafür
gibt, dass Mensch und Affe gemeinsame Vorfahren haben. Allerdings sind nur etwa
61 % der Deutschen von Darwins Theorie überzeugt. Jeder dritte Katholik gab in der
Umfrage an, dass der Mensch von Gott geschaffen wurde, wie es in der Bibel steht,
von den Protestanten sind 21 % dieser Meinung.
Man bezeichnet diese wörtliche Auslegung der biblischen Schöpfungsgeschichte heute als Kreationismus. In den vereinigten Staaten von Amerika lehnen 40 % der Bevölkerung die Gedanken der Evolutionstheorie ab und bestehen auf der wörtlichen Bibelauslegung. In Europa gibt es keine Volkspartei, welche die Ablehnung der Evolution
als politische Position vertritt. Dies ist in den USA anders. Der konservative Flügel der
Republikaner und die religiöse Rechte propagieren den Kreationismus. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist dies Teil ihres politischen Programms, mit dem sie
auf Wählerfang in den traditionell konservativeren Staaten des Südens und des Mittleren Westens gehen, dem so genannten „Bible belt“ („Bibel-Gürtel“ der amerikanischen
Staaten).
In vielen Schulen dieser Staaten ist es verboten, Darwins Ideen zu unterrichten, stattdessen werden kreationistische Ansichten gelehrt. Fast unnötig zu sagen, dass diese
Staaten die ehemaligen Südstaaten der USA darstellen, die auch die Sklaverei, in der
die farbige Bevölkerung gehalten wurde, für ein gottgegebenes Recht der Weißen
hielten und dies ebenfalls mit scheinbaren Belegen aus der Bibel ableiteten. Die Sklaverei in den USA wurde erst durch den Sezessionskrieg (1861 – 1865) beendet.
14.7
Einige Belege für die Evolutionstheorie
Die Wissenschaft zweifelt heute nicht mehr an der Richtigkeit von Darwins Thesen.
Grundsätzlich belegen alle gemachten Erkenntnisse der modernen Biologie seine
Theorie. Trotzdem gibt es auch heute noch im Detail viele Überraschungen für die
Evolutionsbiologen. Die moderne Molekulargenetik bestätigt heute sogar manchmal
bestimmte Erkenntnisse von Buffon, Lamarck und Haeckel, die eigentlich nicht ganz in
das darwinistische Gedankengebäude passen, seine Theorien aber sinnvoll ergänzen.
14.7.1
Fossilfunde
Mit Fossilien hatten sich auch Cuvier und Owen ausgiebig beschäftigt, sie hatten aber
zum Teil falsche Schlüsse gezogen, weil bestimmte Dinge nicht in ihr Weltbild passen
wollten. Die auf sie folgenden Generationen der Wissenschaftler, wie Charles Darwin,
waren von den moderneren geologischen Vorstellungen eines Charles Lyell geprägt.
Aus der Sicht der Evolutionstheorie konnte man somit viele Fossilfunde eigentlich
ganz anders interpretieren.
21
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
14.7.2
Lernheft 14
Der Archaeopterix
Hermann von Meyer veröffentlichte 1860 eine Notiz über eine im Solnhofener Plattenkalk gefundene Feder, die er einem Urvogel zuschrieb, den er Archaeopteryx nannte.
Später wurden komplette Exemplare dieser Spezies in Solnhofen gefunden. Eines der
Exemplare (das heute so genannte „Londoner Exemplar“) wurde an das British Museum unter Sir Richard Owen verkauft. Von Meyer und Owen sahen es als Beleg für die
biblischen Beschreibungen an, dass die Vögel eben schon immer in dieser Form existiert hätten.
Diese Deutung war aber falsch. Der Archeopterix trägt morphologische Kennzeichen
von Reptilien und Vögeln und er ist ein fossiles, evolutionäres Bindeglied zwischen
diesen beiden Wirbeltiergruppen. Man spricht hier auch von einem Missing Link, dem
fehlenden Bindeglied, da es die Spezies Archeopterix ja heutzutage nicht mehr gibt,
aber ohne die Fossilfunde die beiden Gruppen nicht ohne weiteres voneinander abzuleiten wären.
14.7.3
Der Stammbaum der Pferde
Schon der bereits erwähnte Archäologe O. C. Marsh konstruierte als erster anhand
der Fossilfunde von verschiedenen Pferderassen, die er gemacht hatte, einen
Stammbaum, der impliziert, dass die heutigen Pferdearten sich aus urtümlicheren
kleineren Formen entwickelt hatten, die sich auch noch durch Unterschiede im Gebiss
und Extremitäten von heute lebenden Arten abgrenzten.
22
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Abb. 18: Entwicklung des heutigen Pferdes aus kleineren Vorläuferformen. Links im
Bild: die Unterschiede der Extremitäten und der Backenzähne. Der einzehige Huf entwickelte sich aus einer mehrzehigen Vorläuferextremität. Die
Veränderung der Zähne kann als Anpassung an unterschiedliche Nahrung
gedeutet werden, da mit der zunehmenden Körpergröße vermutlich ein anderes Nahrungsangebot genutzt wurde.
Quelle:
Hickman C. P. et al.
23
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
14.8
Lernheft 14
Morphologie und Embryologie
Mensch
Fledermaus
Schildkröte
Pferd
Frosch
Abb. 19: Die Umwandlung von Gliedmaßen im Verlaufe der Evolution ist natürlich
nicht nur innerhalb von bestimmten Spezies zu beobachten. Gemäß dem
Homologiekonzept von Owen leiten sich die Gliedmaßen der unterschiedlichen Wirbeltiere, auch wenn sie durch Anpassung an verschiedene Aufgaben heute ganz verschieden aussehen, von einem gemeinsamen Vorläufer
ab. Im Fall der Wirbeltiere war der „Archetypus“ die fünfzehige Extremität
eines fischähnlichen Molches. Braun: Oberarmknochen; orange: Elle und
Speiche; lila: Handknochen.
Quelle:
Hickman C. P. et al.
Fisch
Reptil
Vogel
Mensch
Abb. 20: Auch die Embryologie liefert deutliche Hinweise auf die gemeinsame
Abstammung der Wirbeltiere. Zu einem frühen Entwicklungszeitpunkt sind
sich die Embryonen extrem ähnlich. Die lila hervorgehobenen Strukturen
sind nichts anderes als die Kiemenbögen, die sogar der Mensch als Embryo
aufweist. Solche Beobachtungen veranlassten Haeckel sein biogenetisches
Grundgesetz zu formulieren.
24
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Abb. 21: Ein Modell für die Evolution der Darwinfinkenarten auf Galápagos.
1.
2.
3.
Quelle:
Die Finken wanderten von Südamerika aus ein und besiedelten eine
der Inseln.
Von dort aus zerstreute sich die Population auf andere Inseln, wo sie
sich lokalen Bedingungen anpassten und sich genetisch veränderten.
Nach einer Zeit der Isolation kam es wieder zu Kontakten zwischen den
verschiedenen Populationen, die sich jedoch zu eigenständigen Arten
entwickelt hatten und sich nicht mehr miteinander fortpflanzen konnten.
Hickman C. P. et al.
Abb. 22: Die verschiedenen Arten von Darwinfinken und ihre Anpassung an unterschiedliche Umgebung und Nahrung. Das Hervorbringen von verschiedenen
Arten aus einer gemeinsamen Ursprungsart durch ökologische Anpassung
wird adaptive Radiation genannt
(lat: adaptare= anpassen; radiatus= strahlend.
Quelle:
Hickman C. P. et al.
25
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Abb. 23: Adaptive Radiation bei Fischen und konvergente Evolution von Arten. In
Ostafrika gibt es einige große Süßwasserseen (Viktoriaseee, Tanganykasee, Malawisee), die für ihren Artenreichtum an Buntbarschen (Cichliden),
welche dort mit Hunderten Arten vorkommen, bekannt sind. Auf den ersten
Blick würde man denken, dass die jeweils nebeneinander dargestellten
Fische nahe verwandte Arten darstellen. Dies ist völlig falsch. Die in der
linken Bildhälfte untereinander dargestellten Fische stammen alle aus dem
Tanganykasee, sie sind trotz ihrer morphologischen Unterschiede genetisch
fast identisch, extrem nahe verwandt und haben sich aus einer Ursprungsart
entwickelt. Mit den Fischen auf der rechten Bildhälfte sind sie nicht näher
verwandt. Diese wiederum stammen alle aus dem Malawisee, sind untereinander eng verwandt und haben sich dort völlig unabhängig aus einer anderen gemeinsamen Ursprungsart entwickelt. Die morphologischen Veränderungen der Arten zeigen auch hier die Anpassung an verschiedene Ökosysteme innerhalb der Seen. Offensichtlich kommen aber in beiden Seen ähnliche Ökosysteme vor.
26
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
14.9
Lernheft 14
Entwicklung von Arten durch Kreuzungen
Die Definition des Artbegriffes ist nicht so einfach, wie es scheint. Auch Darwin selbst
hat eine klare Definition eigentlich vermieden. Normalerweise werden voneinander
verschiedene Tierarten so definiert, dass es Populationen sind, die sich unter natürlichen Bedingungen nicht miteinander fortpflanzen.
Die Eselsbrücke lautet: Was sich schart und paart gehört zu einer Art. Bei Pflanzen ist
das schon schwieriger, da es innerhalb von vielen Pflanzenfamilien zu natürlicher
Hybridisierung kommt. Bei Tieren in Gefangenschaft hat der Mensch oft Artenkreuzungen vorgenommen. Bekannt sind Maulesel und Maultier als Kreuzung zwischen
Pferd und Esel. Beim Maulesel ist der Vater ein Pferd und die Mutter eine Eselstute,
beim Maultier umgekehrt. Fortpflanzen können sich diese Tiere allerdings nicht, eine
Artbildung ist somit nicht möglich. Außerdem stellt die Haustierzucht auch keine Vermehrung unter „natürlichen Bedingungen“ dar.
Abb. 24: Ein Zorse oder Zebroid. Auch diese Kreuzung zwischen Pferd (engl.: Horse)
und Zebra ist nicht fortpflanzungsfähig.
Quelle:
Kersti Nebelsiek
In zoologischen Gärten kommt es gelegentlich zu Paarungen zwischen Tigern und
Löwen (engl.: Lion). Es entsteht ein Tigon, wenn die Mutter ein Löwe ist. Wenn die
Mutter ein Tiger ist und der Vater ein Löwe, sieht der Nachwuchs gleich ganz anders
aus. Liger sind deutlich größer als ihre Eltern. Sie können bis zu vier Meter lang werden und ein Gewicht von über einer halben Tonne erreichen. Sie sind somit die größten lebenden Raubkatzen. Auch diese Mischlinge können sich normalerweise nicht
fortpflanzen. Solche unnatürlichen Kreuzungen sind ebenfalls bei vielen anderen
Großkatzenarten möglich.
Es gibt aber in der freien Natur durchaus Beispiele, dass sich Arten kreuzen können.
So beobachtet man in Alaska immer wieder Mischlinge aus Eisbären (engl.: polar
27
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
bear) und den auf dem Festland lebenden Grizzlys. Man nennt die Mischlinge Pizzly
oder Grolar.
Auch bei den großen Meressäugern, den Walen und Delphinen (engl.: Dolphin)
kommt es nicht nur in zoologischen Gärten zur Paarung. So bringen etwa der Große
Tümmler und der Kleine Schwertwal sogenannte Wolphine hervor, die durchaus fortpflanzungsfähig sind. Wenn solche Hybriden eigene Populationen bilden würden,
wäre eine neue Artbildung möglich.
(a)
14.10
Abb. 25: Reinerbige und Hybridsalamander. Die Mischlinge
liegen in ihrem Erscheinungsbild zwischen den
Elterntieren. a) Reinerbiger
Weißfleckensalamander
(Plethodon teyahalee);
b) ein Hybride aus einem
Weißfleckensalamander
und einem Rotbeinsalamander (P. shermani);
c) Reinerbiger Rotbeinsalamander.
(b)
(c)
Quelle:
Hickman C. P. et al.
Coevolution
Der Begriff Coevolution bedeutet, dass verschiedene Spezies sich im Laufe der Zeit
aneinander anpassen und gemeinsame Entwicklungsprozesse durchmachen. Beispiele wären die Anpassung von
Beutegreifern und ihren Beutetieren oder -pflanzen (Räuber-Beute-Beziehung) oder
die Anpassung eines Parasiten an seinen Wirt (z. B. Kopflaus und Mensch). Oft ist es
auch eine symbiotische Beziehung, aus der beide einen Vorteil ziehen. Schon Darwin
hatte diese Zusammenhänge in seinen botanischen Arbeiten beschrieben. Die Bestäubung von Blütenpflanzen durch Tiere gilt als Musterbeispiel symbiotischer Wechselbeziehungen. So ist die Evolution der Blütenpflanzen (Angiospermen) eng mit der
Evolution der Insekten verflochten. Die vielfältigen Muster der Blüten, welche Signale
an ihre Bestäuber richten, sind das Ergebnis einer seit Jahrmillionen ablaufenden
Coevolution.
Schon Darwin erkannte, dass bestimmte Orchideen, die man als Täuschblumen bezeichnet, mit ihren Blüten Insekten imitieren um genau die Tiere der Art anzulocken,
deren Körperbau oder Färbung der Blüte ähnelt. Ein bekanntes Beispiel ist die auch in
Deutschland vorkommende Fliegenragwurz (Orphrys insectifera). Was Darwin nicht
wissen konnte ist, dass die Pflanzen sogar die insekteneigenen Sexuallockstoffe
(Pheromone) produzieren, um ihr Blütentrugbild zu perfektionieren.
28
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Abb. 26 a:
Lernheft 14
Abb. 26 b:
Abb. 26 a:
Coevolution von Blütenpflanzen und Tieren.
Links: Kolibris haben sich ebenfalls auf Nektar als Nahrung spezialisiert,
deswegen unter anderem der lange spitze Schnabel. Stark zuckerhaltiger Nektar ist die einzige Energiequelle, mit der sich der sehr energieaufwendige Flugstil der Tiere aufrechterhalten lässt. Dieser Kolibri saugt
an einer Tigerlilie.
Quelle:
Stefan Schorn
Abb. 26 b:
die Fliegenragwurz, die von Insekten bestäubt wird.
Quelle:
Hans Hillewaert
Abb. 27:
Abb. 28:
Abb. 27: Coevolution von Blütenpflanzen und Tieren. Die Königin der Nacht
(Selenicereus grandiflorus) ist eine Kakteenart, die große, wundervolle, nach
Vanille duftende Blüten hervorbringt. Sie blüht nur nachts und auch dies nur
für wenige Stunden. Sie wird nur von Fledermäusen bestäubt, welche natürlich tagsüber schlafen.
Quelle:
Robert John Thornton (1768 – 1837), Temple of Flora
Abb. 28: Coevolution von Blütenpflanzen und Tieren. Die fleischfressende Pflanze
29
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Nepenthes mirabilis aus New Guinea. Auf Borneo wurde kürzlich entdeckt,
dass eine bestimmte Fledermausart sich tagsüber zum Schlafen in den zu
einer Kanne umgewandelten Blättern einer bestimmten fleischfressenden
Pflanzenart aufhält. Diese so genannten Kannenpflanzen sammeln eigentlich mit diesen Gefäßen Insekten, die am schlüpfrigen Rand ausrutschen
und in das teilweise mit Verdauungssekret gefüllte Blattgefäß hineinfallen.
Die fleischfressenden Pflanzen nutzen das tierische Protein als Stickstoffquelle. In diesem speziellen Fall ist der Kot der Fledermäuse, den diese im
Blattgefäß zurücklassen, die Stickstoffquelle für die Pflanzen.
Quelle:
14.11
Alfindra Primaldhi, 2007
Ein kleiner Exkurs in die Vererbungslehre
(Genetik)
Ein Angriffspunkt für Darwins Thesen blieb zu seinen Lebzeiten, da er es selbst nicht
wirklich erklären konnte, wie denn die Veränderungen innerhalb von Arten entstehen
und wie diese veränderten Merkmale auf die nächste Generation weitergegeben werden. Die Wissenschaft der Vererbungslehre (Genetik) existierte damals nicht. Der
Priester und spätere Abt des Klosters Brünn, Gregor Mendel (1822–1884), war der
erste, der systematische Kreuzungsversuche mit Erbsen unternahm, um Gesetzmäßigkeiten der Vererbung aufzustellen.
So kreuzte er weißblühende mit rotblühenden Sorten bzw. solche mit verschiedenfarbigen Samenschalen und ermittelte durch statistische Auswertung des Aussehens der
Pflanzen der Tochtergeneration Gesetzmäßigkeiten der Vererbung. Diese Regeln
werden heute als die Mendel`schen Gesetze bezeichnet und sind inzwischen Bestandteil des Lehrstoffs in der Schule. Zu seinen Lebzeiten fanden seine Befunde kein
Interesse, nach seinem Tod gerieten sie in Vergessenheit. Um das Jahr 1900 unternahmen die Biologen Hugo de Vries, Carl Correns und Erich Tschermak ähnliche
Experimente wie Mendel und entdeckten auch seine Erkenntnisse wieder. Sie wiesen
auch im Zusammenhang mit ihren Publikationen auf Mendels Resultate hin.
Abb. 29: Gregor Mendel,
Quelle:
Oswald Theodore Avery 1937
Rockefeller Archive Center
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Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Aus Mendels Ergebnissen resultierte unter anderem, dass für jedes Merkmal in der
damals noch unbekannten Erbsubstanz zwei Bestimmungsfaktoren, ein mütterlicher
und ein väterlicher, vorhanden sein müssten.
Das Problem war, dass niemand wusste, was die eigentliche Erbsubstanz denn nun
wirklich war. Oswald Theodore Avery (1877 – 1955) war ein kanadischer Mediziner,
der ab 1913 bis 1947 am Rockefeller Institute of Medical Research in New York tätig
war. In bahnbrechenden Experimenten mit Bakterien, sogenannten Pneumokokken
(Streptococcus pneumoniae), den Erregern der Lungenentzündung, konnte er zeigen,
dass DNA (die zelluläre Desoxyribonukleinsäure, engl: DesoxyriboNucleic Acid) der
Träger der Erbinformation ist. Er begründete somit die moderne Molekulargenetik.
Die Erbinformation ist im Zellkern jeder Zelle gespeichert. Beim Menschen ist die DNA
in den Chromosomen verpackt. Wie wir heute wissen, kann sich diese Erbinformation
bei einem Individuum aus vielerlei Gründen verändern. Zum einen durch körpereigene
Vorgänge. Wenn sich Körperzellen teilen, muss die Erbinformation reproduziert und
auf die Tochterzellen verteilt werden. Dafür sind bestimmte Eiweißmoleküle (Enzyme)
zuständig. Gelegentlich machen diese Enzyme beim Kopieren der DNA Fehler. Man
nennt diese Vorgänge, die zu einer Veränderung in der Erbinformation führen, Mutation (lat: mutare = verändern). Mutationen entstehen aber auch auf andere Weise, oft
durch äußere Einflüsse.
Die Sonnenstrahlen enthalten energiereiche UV-Strahlung. Wenn man sich zu starker
Sonnenstrahlung aussetzt, wird die DNA der Körperzellen geschädigt. Radioaktive
Strahlung, eine andere Form energiereicher Strahlung, tut dies auch. Nun sind aber
alle Organismen auf der Erde beständig der Sonnenstrahlung und auch der sogenannten radioaktiven Hintergrundstrahlung ausgesetzt. Granitgestein strahlt etwa ein
höheres Maß an natürlicher Radioaktivität aus als andere Gesteine. Aus dem Erdboden dringt Radon, ein radioaktives Gas, das wir auch permanent in Spuren einatmen.
Die wohlschmeckenden Paranüsse und auch etliche Speisepilzarten reichern bestimmte radioaktive Elemente an. Auch die kosmische Strahlung (Sonnenwind) besteht zum Teil aus radioaktiver Strahlung, schon bei einem Flug mit dem Flugzeug
setzen wir uns somit erhöhten Strahlenwerten aus.
Sehr viele chemische Substanzen sind bekannt dafür, das Erbgut zu schädigen. Wir
nehmen viele davon regelmäßig mit der Nahrung zu uns, etwa das Nitritpökelsalz in
der Wurst. Jeder Organismus auf der Erde erfährt also im Laufe seines Lebens Veränderungen (Mutationen) in seinem Erbgut. Diese Veränderungen sind zufällig. Die
meisten bleiben folgenlos oder werden von körpereigenen Mechanismen wieder repariert. Manche Mutationen lassen Zellen jedoch zu bösartigen Tumoren entarten. Wieder andere verändern die genetische Information, welche in unseren Körpern die Eigenschaft für ein bestimmtes körperliches Merkmal gespeichert hat. Wenn solche
Mutationen vererbt werden, weist die nachfolgende Generation in diesem Merkmal
andere Eigenschaften auf als die Elterngeneration.
Mutationen im menschlichen Erbgut führten z. B. zur Entstehung der Augenfarbe
Blau, dies geschah im Zeitraum vor etwa 6000 bis 10 000 Jahren. Auch die blonden
und rötlichen Haarfarben sind auf Mutationen zurückzuführen, die vor 20 000 bis
40 000 Jahren stattfanden. Ursprünglich besaßen alle Vorfahren des heutigen Menschen dunkles Haar und braune Augen. Einen offensichtlichen Selektionsvorteil bieten
diese Eigenschaften aber nicht. Womöglich war hier ebenfalls die sexuelle Selektion
der Grund, warum sich diese Merkmale bis heute erhalten haben.
31
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
14.12
Lernheft 14
Selbstlernaufgaben
1.
Welche Folgen des Erdbebens Anfang 1835 in Südamerika bestätigten für
Darwin die Thesen, die Lyell in Italien aufgestellt hatte?
2.
Handelt es sich bei der in Abb. 7 dargestellten Echse um ein männliches oder
weibliches Tier?
3.
Wie nennt man Veränderungen in der Erbinformation eines Organismus?
4.
Nennen Sie zwei Beispiele für Artenkreuzungen in der freien Natur und zwei
Beispiele für Artenkreuzungen durch Einwirkung des Menschen.
5.
Welche beiden zentralen Vorgänge sind laut Wallace und Darwin die Erklärung
für die Entstehung neuer Arten?
14.13
Zusammenfassung
Wir haben uns in diesem Heft mit den grundlegenden Aspekten der Evolutionstheorie
Charles Darwins befasst. Auch heute noch werden durch die moderne Biologie
Erkenntnisse gewonnen, welche seine Ansätze bestätigen. Die moderne Vererbungslehre und die Molekularbiologie konnten inzwischen genetischen Gesetzmäßigkeiten
ableiten, die hinter den von Darwin gemachten Beobachtungen stehen.
14.14
Hausaufgabe
1.
Erklären sie die Artaufspaltung nach Darwin anhand des Beispiels der
Darwinfinken.
2.
Wie würde ein Kreationist die Tatsache erklären, dass diese verschiedenen
Finkenarten auf Galápagos vorkommen?
3.
Auf welche Art der Anpassung lassen sich Rückschlüsse aus den verschiedenen
Formen der Panzer der Galápagos-Riesenschildkröte ziehen?
4.
Erklären Sie den Sachverhalt der Coevolution und nennen Sie zwei Beispiele.
32
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Abb. 30 a:
Lernheft 14
Abb. 30 b:
Abb. 30 a: Sie sehen hier zwei verschiedenen Schildkrötenarten abgebildet.
eine Galápagos-Riesenschildkröte.
Quelle:
Catriona MacCallum
Abb. 30 b: eine grüne Meeresschildkröte
(Total internal reflection of Chelonia mydas .jpgChelonia mydas)
Quelle:
Mila Zinkova
Beachten Sie die Extremitäten und den Körperbau der Tiere.
5
a. Wie könnte man die verschiedene Formen der Extremitäten und der Panzer
erklären?
5
b. Haben sich die Landschildkröten aus den Wasserschildkröten entwickelt oder
umgekehrt, oder sind beide gleichzeitig entstanden?
14.15
Lösungen zu den Selbstlernaufgaben
1.
Die Anhebung des Meeresbodens, die Darwin beobachtete, bestätigten die Thesen von Lyell. Dieser hatte festgestellt, dass die Erdoberfläche nicht unveränderlich ist, sondern sich aufgrund solcher vulkanischer Aktivitäten oder Erdbebentätigkeiten die Lage des Festlandes zum Meeresspiegel verschiebt. Lyell hatte dies
für den Ort Pozzuoli (Italien) so beschrieben.
2.
Die rötliche Färbung belegt, dass es sich um ein männliches Tier in der Paarungszeit handeln muss.
3.
Man nennt Veränderungen in der Erbinformation Mutation.
4.
In der freien Natur treten u. a. Kreuzungen zwischen Grizzly und Eisbär und
zwischen Walen und Delphinen auf. Bei Pflanzenfamilien ist dies ebenfalls verbreitet, etwa innerhalb von Baumfamilien wie den Pappeln oder den Weiden.
5.
Die Variation der Eigenschaften verschiedener Individuen innerhalb einer Population und die Selektion bestimmter Individuen und ihrer Eigenschaften, die eine
bessere Anpassung an ihre Umwelt aufweisen und sich deshalb erfolgreicher
fortpflanzen können.
33
Charles Darwin und die Evolutionstheorie
14.16
Lernheft 14
Anhang
Quellen:
Brumm, H., Farrington, H., Petren, K., Fessl, B. (2010):
Evolutionary Dead End in the Galápagos: Divergence of Sexual Signals in the
Rarest of Darwin's Finches. PLoS. Online als PDF:
http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0011191
Charles Darwin Research Station:
http://www.Galapagosonline.com/Galapagos_Natural_History/Darwin_Foundation
/Darwin_Station.html
Darwin, Charles:
seine gesammelten Publikationen, Manuskripte und Illustrationen online:
http://www.darwin-online.org.uk/
Darwin, Charles:
Über die Entstehung der Arten im Thier- und Pflanzen-Reich durch natürliche
Züchtung, oder Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampfe um’s
Daseyn. Nach der zweiten [englischen] Auflage mit einer geschichtlichen Vorrede
und anderen Zusätzen des Verfassers für diese deutsche Ausgabe aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dr. H. G. Bronn. E.
Schweizerbart’sche Verlagshandlung und Druckerei, Stuttgart 1860; digitalisierte
Fassung: http://caliban.mpiz-koeln.mpg.de/darwin/arten2/index.html
Ebersbach, K. (2001):
Zur Biologie und Haltung der Aldabra-Riesenschildkröte (Geochelone gigantea)
und der Galápagos-Riesenschildkröte (Geochelone elephantopus) in menschlicher Obhut unter besonderer Berücksichtigung der Fortpflanzung. Dissertation,
Tierärztliche Hochschule Hannover Online als PDF: http://elib.tihohannover.de/dissertations/ebersbachk_2001.pdf
Eibl-Eibesfeldt, Irenäus; 2001;
Galápagos. Die Arche Noah im Pazifik: Piper, ISBN-10: 3492212328.
Gribbin, John R., Gribbin, Mary:
FitzRoy. The Remarkable Story of Darwin's Captain and the Invention of the
Weather Forecast. Yale University Press, 2004, ISBN 0-300-10361-1
Haeckel, Ernst:
Kunstformen der Natur (1899 – 1904) Tafeln und Texte als HTML-Version:
(Hrsg.: Kurt Stüber, 1999, Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung Köln).
http://caliban.mpiz-koeln.mpg.de/haeckel/kunstformen/liste.html
PDF-Version (272 MB): http://caliban.mpiz-koeln.mpg.de/haeckel/kunstformen
/Haeckel_Kunstformen.pdf
Hickman C. P. et al.:
Zoologie, Pearson Studium (2008) ISBN-10: 3827372658.
Huxley Thomas Henry:
Evidence as to Man's Place in Nature. http://www.gutenberg.org/ebooks/2931
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Charles Darwin und die Evolutionstheorie
Lernheft 14
Nichols, Peter:
Darwins Kapitän. Die tragische Geschichte des Mannes, der an Darwins
Entdeckungen zerbrach. Europa Verlag GmbH, Hamburg 2004. ISBN 3-20380526-X
Kuraku, S., Meyer, A. (2008):
Genomic analysis of cichlid fish “natural mutants” Current Opinion in Genetics &
Development, 18 (6), 551-558 DOI: 10.1016/j.gde.2008.11.002 Online als PDF:
http://www.evolutionsbiologie.uni-onstanz.de/files/resourcesmodule/@ random497d878e3708e/1232963492_KurakuMeyer08_CurrOpinGenDev_CichlidRe
viewFinal.pdf
Wallace, Alfred Russel:
Der Malayische Archipel. Die Heimath des Orang-Utan und des Paradiesvogels.
Reiseerlebnisse und Studien über Land und Leute. Nach der Übers. aus dem
Englischen von Adolf Bernhard Meyer, herausgegeben und mit Anmerkungen
versehen von Michael Uszinski,
Verlag der Pioniere, Berlin 2009, ISBN 9783941924000.
35
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