MUSEUM LESSIANUM – SECTION PHILOSOPHIQUE Joseph MARÉCHAL, S. J. Der Ausgangspunkt der METAPHYSIK Deutsche Übersetzung und Internetbearbeitung von Otto Schärpf S.J.2017 Vorlesungen über die historische und theoretische Entwicklung des Problems der Erkenntnis Heft I Vom Altertum bis zum Ende des Mittelalters: Die Erkenntniskritik im Altertum 2. Auflage 1927 1 De licentia Superiorum Ordinis IMPRIMATUR : Namurci, die 12 Julii 1927 J. Cawet, Vic. gen. i Weitere Texte von Josef Maréchal SJ 1. Überblick 2. Cahier I, premier edition 3. Cahier II 4. Heft II deutsch 5. Cahier III 6. Heft III deutsch 7. Cahier IV 8. Heft IV deutsch 9. Cahier V 10. Heft V deutsch 11. Études sur la psychologie des Mystques, tome second 12. Studien zur Psychologie der Mystiker, Band 2 Skizzen im Text 1. Scotistische Abstraktionslehre 2. Bildung des Conceptus directus bei Thomas 3. Rolle der Vernunft und Analogie ii Inhaltsverzeichnis Einleitung Vorwort der 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenstand und Methode dieser Vorlesung . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 2 Buch I Erwachen des Geists der Kritik K.1 Auf die Krise der Gewissheit zu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K.2 Skeptizismus der Sophisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §1 Charakterisierung der Sophistik. . . . . . . . . . . . . . . . . . §2. - Die direkte Widerlegung der Sophisten durch Aristoteles. . . §3. Die Lehre von der Krankheits-Ursache des Sophismus und von deren Heilung nach Aristoteles2 . . . . . . . . . . . . . . . K.III Nacharistotelische Skeptiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §1. – Die Früchte der Kontroverse gegen die Sophisten. . . . . . . §2. – Das Problem der Ausgeglichenheit und der Pyrrhonismus. . §3. – Der Probabilismus der Neuen Akademie. . . . . . . . . . . . §4. – Der Néo-Pyrrhonismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K.IV Einschätzung des Skeptizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §1. . Kritik der sekundären Modalitäten des alten Skeptizismus . §2. – Radikale Kritik des alten Skeptizismus: die Notwendigkeit der Aussage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 10 12 12 14 16 21 21 23 25 27 27 27 30 Buch II Das Eine und das Viele 35 Kap. 1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Kap.2 Bei den Präsokratikern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 a), Heraklit: Vorherrschaft der Vielfalt. . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Die Eleaten: Vorherrschaft der Einheit. . . . . . . . . . . . . . 41 K.3. Antinomie: Synthetische Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 §1. . Sokrates: Rückkehr zum Gleichgewicht zwischen dem Einen und dem Vielfachen in den Begriffen. . . . . . . . . . . . . 44 §2. . Einführung einer „Ontologie der Erkenntnis“ zur objektiven Lösung der Antinomie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Die Lösung Platos: der Realismus des Verstehens. . . . 45 §3. – Nach Aristoteles. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 iii Inhaltsverzeichnis B.III Antinomie des Einen und Vielen 69 K.1 Partielle Renaissance des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 §1. – „Startguthaben“ der scholastischen Epistemologie. . . . . . . 70 §2. – Allmähliche Wiederentdeckung des gemäßigten Realismus des Aristoteles. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 K.2 Vollständige Lösung der Antinomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 §1. Notwendigkeit einer Kritik des Objektes der Erkenntnis. . . . 76 §2. . Die Kritik des Objekts und der Aufbau einer Metaphysik. . 79 §3. Die synthetische Einheit des Objekts der Sinne und des Objekts des Verstandes in der menschlichen Erkenntnis. . . . 80 a), Die thomistische Lösung des Problems der Universalien (der Allgemeinbegriffe) und die thomistische These der Individuation. . . . . . . . . . . . . . 80 b) Der thomistische gemäßigte Realismus und der nichtthomistische gemäßigte Realismus. . . . . . . . . 85 I.. DAS INDIVIDUUM UND DIE SPEZIES (Art). . . . . 85 II. . DIE ART (SPEZIES) UND DIE GATTUNG (GENUS). 87 §4. . Die analoge Einheit des Objekts der Vernunft und des Objekts des Verstands in der menschlichen Erkenntnis25 . . . . . . 89 K. 3 Über Scotus zu Ockham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 §1. – Zwischenstellung der scotistischen Philosophie . . . . . . . . 93 §2. – Der Begriff Materie in „De Rerum Principio“ . . . . . . . . 98 a) Die Akthaftigkeit der Materie. . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Die Universalität der Materie. . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Die Einheit der Materie. . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 §3. – Die Entität der metaphysischen Grade nach Duns Scotus: die „wirkliche und doch weniger als numerische Einheit“. . 118 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . 129 §4. – Die scotistische Philosophie angesichts der Antinomie vom Einen und vom Vielfachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. – Die Antinomie der materiellen Quantität und des Begriffs. (Antinomie der Sinneswahrnehmung und des Verstandes.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. . Die Antinomie des Verstandes und der transzendenten Vernunft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 §5. . Der Agnostizismus der „Theoremata“ 90 . . . . . . . . . . . . 169 I. – Theorie der Erkenntnis (Theoreme 1-XIII). . . . . . . 169 II. Agnostische Thesen (Theoreme XIV-XVI). . . . . . . . 178 §6. – Schlussfolgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 B.IV Rationalismus und Empirismus 189 K.1 Ende des mittelalt. Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 iv Inhaltsverzeichnis K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams . . . . . . . . . . . . . . . . §1. – Skizzierung der Epistemologie von Ockham107 . . . . . . . . §2. – Destruktive und agnostische Konsequenzen. . . . . . . . . . Kap.3 Antinomie, Erbstück Ockhams . . . . . . . . . . . . . . . . . . §1. . Die Ausbreitung des Nominalismus. . . . . . . . . . . . . . . §2. – Erste Quelle der Antinomien: die Beziehung zwischen Sinneswahrnehmung und Verstand. . . . . . . . . . . . . . . §3 – Zweite Quelle der Antinomien: die Beziehung von Verstand und Vernunft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Schlussfolgerungen I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzbemerkung . . . . . . . . . . . . . INDEX ALPHABÉTICUS. . . . . . . . . CAHIER I. TABLE DES MATIÈRES. . SOMMAIRE DES CAHIERS SUIVANTS . . . . . . . . . : . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 196 209 222 222 224 226 231 231 232 233 234 234 236 237 238 243 245 v Einleitung: 1 Vorwort der zweiten Auflage 2 Die einzigen bemerkenswerten Veränderungen, die zur vorhergehenden Auflage hinzukommen, betreffen die zwei Kapitel, die die Scotistische Philosophie behandeln. Kurz nach der Veröffentlichung dieses Hefts (Cahier) 1922 haben die sehr gut dokumentierten Untersuchungen (Studien) von R. P. E. Longpré (von Quaracchi), welche die vorausgehenden Anmerkungen seiner Confratres, der PP. Minges und Déodat-Marie von Basly bestätigen sollten, die Nichtauthenzität von De Rerum Principio und der Theoremata außer Zweifel gesetzt, die seit Langem und so allgemein Duns Scotus zugeschrieben worden waren. Von da an drängte sich uns die Aufgabe auf, auf einer reduzierten aber absolut sicheren Basis unsere Überprüfung der Philosophie des großen franziskanischen Lehrers (Doktors) wieder aufzugreifen. Die Darstellung, in der wir kürzest möglich die Ergebnisse dieser Forschung zusammendrängen, gehen mehr in die Einzelheiten, als wir gewünscht hatten; diese relative Sorgfalt war geboten durch den aktuellen Stand der scotistischen Studien: dafür dass unsere Behauptungen nicht rein willkürlich erscheinen, mussten wir sie leicht kontrollierbar machen. Nicht dass die anderen Teile dieses Bandes überhaupt keine Umarbeitung erfahren haben, wir haben sie einer aufmerksamen Revision unterzogen - ganz besonders Buch I und Buch II - indem wir einigen Nutzen aus gefälligen Bemerkungen zogen, die uns zugekommen sind. Man erlaube uns, mit Beharrlichkeit nochmal zu wiederholen, was wir schon in der Einleitung dieser Publikation erklärten: Wir wollen nicht die Arbeit eines Historikers machen: Unsere Monographien haben zum Ziel weniger die Lehre, wie sie von dem oder jenem Philosophen formuliert wurde, materiell zu rekonstruieren, als sie in ihren wesentlichen Behauptungen verständlich zu machen durch Verknüpfung mit ihren logischen Voraussetzungen. Indessen streben wir an, unsere Interpretationen auf exakten Einzelheiten zu fundieren. Unter streng historischem Gesichtspunkt könnte man bedauern, in unserer Galerie der Philosophen einigen ebenfalls großartigen Gestalten wie Plotin, St.Augustinus, den arabischen Scholastikern, dem hl.Bonaventura oder später Pascal, selbst Malebranche (dem wir nur eine ziemlich summarische Bemerkung gewidmet haben) überhaupt nicht zu begegnen. Diese Auslassungen waren beabsichtigt: Wir wollten nicht eine Bibliothek verfassen. Außerdem auferlegte 1 Einleitung uns unser Ziel, das hauptsächlich von der Lehre bestimmt ist, eine Auswahl zur Vermeidung von Wiederholungen: Und nachdem man einmal die Notwendigkeit einer Auswahl zugegeben hat, ist es nicht mehr wirklich schwierig, die von uns getroffene Auswahl zu rechtfertigen. Louvain, 13 Mai 1927. Gegenstand und Methode dieser Vorlesungen. 3 I. 4 Der allgemeine Titel unserer Hefte gibt ihren genauen Gegenstand an. Unsere Absicht ist nicht, die Erkenntnistheorie in allen ihren Einzelheiten zu überprüfen, sondern vielmehr uns auf das grundlegende Problem zu konzentrieren, von dem aus die Lösung vorbereitet wird oder sogar die meisten sekundären Fragen, die gewöhnlich in der Epistemologie und in der Logik behandelt werden vorentschieden werden. Dieses Grundproblem können wir provisorisch mit folgenden Worten formulieren: Wenn eine Metaphysik möglich ist, hat sie notwendigerweise als Ausgangspunkt eine objektive, absolute Aussage: Begegnen wir in unserem Bewusstseinsinhalt einer solchen Aussage, zusammen mit all den Garantien, die eine sehr anspruchsvolle Kritik fordert? Außerhalb des scholastischen Milieus hat man überhaupt keine Schwierigkeit zuzugeben, dass eine metaphysische Behauptung kritisch gerechtfertigt werden muss. Aber vielleicht übertreibt man hin und wieder die Rechte der Kritik. Dagegen finden sich bei den scholastischen Philosophen selbst heute noch solche, die das Problem der Erkenntnis in einer solchen radikalen Form gestellt, für völlig unzulässig halten. Kann man dazu sagen, dass sie zugleich Recht und Unrecht haben? Einerseits kommt in der Tat ihr Misstrauen von einem Missverständnis der wahren Natur der geforderten « kritischen Rechtfertigung » . Aber andererseits und insgesamt stützt sich das Motiv ihrer Ablehnung auf ein Prinzip, dessen Berechtigung wir anerkennen müssen. Vorausgesetzt - fälschlicherweise - dass ein kritischer Beweis darin besteht, die Möglichkeit aufzuzeigen, von der zunächst auf den Kreis subjektiver Modifikationen beschränkten Erkenntnis aus zur Erkenntnis des Objekts an sich zu kommen. Das führt - mit Grund dazu zu bemerken, wie gänzlich illusorisch jeder direkte Schluss ist, der von einer rein subjektiven Vorstellung, einem Phänomen aus direkt auf ein « Ding an sich » außerhalb des Subjekts schließt. Denn selbst angenommen, dass wir in uns eine unbezwingliche Tendenz entdecken, unsere immanenten Vorstellungen auf eine Absolutgeltung dieses Gegenstandes zu projizieren, würde immer noch diese Tendenz allein, d.h. nur bezogen auf das Objekt an sich, nichts als eine 2 Gegenstand und Methode dieser Vorlesung 5 subjektive und blinde Evidenz erzeugen. Das ist zu wenig, um eine metaphysische Behauptung darauf zu gründen. Wenn also unsere direkten Erkenntnisse nicht sofort dahin führen, das Objekt an sich zu erreichen, bleiben wir mit recht eingeschlossen im Inneren des Subjekts als solchem, wir sind eingemauert im Relativen, und kein Kunstgriff von Beweisen wird uns eine Brücke zur Außenwelt und dem Absoluten schlagen lassen. Folglich muss uns der Gedanke ganz fern liegen, hier die trügerische „Frage“ nach der in allen Handbüchern der scholastischen Logik ausführlich behandelten „Brücke“ für das Denken neu zu stellen. Sich diese Frage stellen zu lassen, führt zur Resignation, sie lösen zu können. Wenn wir die metaphysische Wahrheit erreichen, wird das in letzter Analyse im Licht einer unmittelbaren objektiven Evidenz sein. Aber vielleicht ist dadurch noch nicht alles gesagt. Auch Descartes und Spinoza und Wolff ließen das Kriterium der objektiven unmittelbaren Evidenz gelten. Wenn ich eine Sache kenne, erklärte Spinoza, kenne ich sie nicht mittels der vorausgehenden Erkenntnis, die ich von der Idee von dieser Sache hatte: Die objektive Erkenntnis ist eine Erkenntnis direkt vom Objekt her. Und dennoch weiß Gott, ob das cartesische Kriterium der Evidenz, das von Spinoza übernommen wurde, sich mit dem Kriterium der Evidenz vermischen lässt, das vom Großteil der Scholastiker vorgeschlagen wird. Die Evidenz der Cartesianer löst sich auf unter der Kritik von Kant. Die Evidenz der Scholastiker kann - wir werden es zeigen - dieser Prüfung standhalten. Wir müssen also wenigstens ausdrücklich definieren, was man unter « objektiver Evidenz » und unter « unmittelbarer Objekt Erfahrung » versteht. Andererseits fehlt es nicht an Philosophen - Relativisten oder Phänomenalisten, mehr oder weniger eingefärbt vom Pragmatismus - die leichthin ihre Trauer äußern über die verlorene « objektive absolute Aussage » oder die es wenigstens aufgeben, wie Kant, ihr im Reich der spekulativen Vernunft, eine andere Funktion als die, die phänomenalen Gegenstände zu ordnen, zuzuschreiben : nämlich Schaffung eines Ideals und nicht, eigentlich gesagt, Offenbarung eines metempirischen Objekts. Wozu würde es uns dienen, ihnen gegenüber das Recht auf Kritik zu bestreiten, indem wir vor ihren Augen wie ein Schreckgespenst ihre eigene Fahne schwenken: die (spekulative) Nutzlosigkeit des metaphysischen Objekts. Aber ja, sie werden völlig agnostisch sein. Sie stimmen darin überein. Unsere Waffe der objektiven Evidenz wird stumpf gegenüber ihrer epistemologischen Enthaltung. Muss man also nachgeben (die Flagge streichen) vor dem phänomenalistischen Relativismus wie vor einem unwiderlegbaren Irrtum im strengen Sinn? Bei diesem Halb-Sieg wird kein scholastischer Philosoph resignieren und alle sind sich einig, dass es nicht genügt, den phänomenalistischen Agnostizismus radikal zu überwinden, ihn in Konflikt zu setzen mit der instinktiven Tendenz, mit der praktischen Notwendigkeit, die uns zwingen würde, absolute Behauptungen 3 Einleitung 6 von uns zu geben. Man überwindet wirklich einen Irrtum nur, indem man darin den Widerspruch deutlich sichtbar werden lässt: mit anderen Worten dass eine metaphysische Affirmation sich nur unter der Forderung ihrer « theoretischen »Notwendigkeit – und nicht nur ihrer moralischen oder praktische Notwendigkeit – siegreich dem Relativismus entgegenstellen kann. Nun führt aber dieses Bemühen, diese Notwendigkeit aufzuzeigen, das heißt zu zeigen, dass angesichts der absoluten Aussage des Objekts die Weigerung oder Enthaltung einen logischen Widerspruch enthält, zu der Frage: Gibt man damit nicht schon überhaupt das Vorhandensein des kritischen Problems in seiner ganzen Schärfe zu? Wir glauben es und wir sehen nicht, wie der scholastische Philosoph selbst – ausgenommen, wenn er sich in dem Elfenbeinturm eines direkten Dogmatismus einschließt – dieser subtilen Aufgabe entkommen konnte. Die zwei folgenden Fragen haben also ein gewisses Interesse für ihn, nicht weniger als für die Philosophen anderer Schulen. 1.Unter der Voraussetzung dass die « absolute Behauptung eines Objekts », das heißt die » metaphysische Aussage », eine natürliche Haltung des menschlichen Geistes ausdrückt, wie kommen die Philosophen dazu eine kritische Rechtfertigung dieser primitiven Aussage einzufordern (reclamer)? Mit anderen Worten: wie konnte das Problem einer Kritik der Erkenntnis entstehen? 2. In welchem Maße ist eine solche Rechtfertigung möglich? Mit anderen Worten, ist das Problem einer Kritik der Erkenntnis einer Lösung zugänglich? Wir werden uns bemühen auf diese doppelte Frage zu antworten. II. Das Thema, das wir hier behandeln, war im Wesentlichen der Stoff einer Vorlesung während des ersten Jahres des ersten Weltkriegs (1914 -1915). Dazu eingeladen, unsere Vorlesung zu veröffentlichen, wollten wir sie nicht ganz von ihrem schulischen Stil befreien. Insbesondere die Methode der Erklärung, deren wir uns bedient haben, erinnert an unser pädagogisches Hauptinteresse, das die Vorgehensweise unseres mündlichen Vortrags inspirierte. Erlauben sie uns, das mit einigen Worten zu erklären – und uns gegebenenfalls dafür zu entschuldigen. Absolut gesprochen: hätten wir es weniger aufwendig gefunden, unmittelbar eine systematische Abhandlung zur Epistemologie zu schreiben. Die hauptsächlichen Teile davon könnte man mühelos aus unseren Bänden zusammenstellen. 4 Gegenstand und Methode dieser Vorlesung 7 Aber wir befürchten, daß ein streng wissenschaftlicher Vortrag, der sofort die Fragen in ihrer ganzen subtilen Härte stellt, gewisse Gruppen von Lesern verwirrt, an die wir uns bevorzugt wenden. So ist es vielleicht doch besser, geduldig die fortschreitende Problem-Geschichte mit ihrer immer vollständigeren theoretischen Lösung zu kombinieren. Wir haben den Vorteil dieser Methode in unserem Unterricht erprobt: beim Durchqueren der großen Etappen der philosophischen Spekulation einer nach der anderen, wird der Geist ohne Erschütterung mittels eines Minimums von Anstrengung hingeführt immer Komplexeres richtig zu erfassen und zwar nicht nur die aufeinander folgenden Momente dieser sich entwickelnden Gedanken, sondern gerade auch die endgültigen Elemente, die sie enthält. Im Übrigen hat jede Vorgehensweise ihre Nachteile: diejenige die wir ausgewählt haben, bringt neben unanfechtbaren Vorteilen den Nachteil unser Vorgehen zu verlangsamen. Wir brauchen nicht zu sagen, dass wir die geschichtlichen Gegebenheiten, von denen wir Gebrauch machen, mit einer gründlichen Genauigkeit auswählen werden. Dennoch würden wir unsere Absicht überschreiten, wenn wir behaupten, alle chronologischen Phasen des Problems der Erkenntnis. in ihrer Verwicklung, nachzuzeichnen. Wir machen nicht die Arbeit eines Historikers. Eine ungekürzte und erschöpfende Geschichte. - selbst vorausgesetzt, dass wir die Kompetenz hätten, sie zu schreiben - würde viel zu viele Umwege gehen müssen, um von Nutzen zu sein als Illustration für unseren theoretischen Beweis: denn die konkrete Entwicklung der Ideen, auch wenn sie in Bezug auf die Gesamtheit dem regulären Fortgang einiger Haupt-Ströme folgt, entzieht sich diesen immer nebenher (à côté) in Umwegen und Neuanfängen. Außerdem werden wir uns im geschichtlichen Fortschritt der philosophischen Ideen nur den essentiellen Phasen widmen, die sich im Werk der hervorragendsten Denker ausdrücken. Sie werden uns, als Folge ihrer Aneinanderreihung gleichzeitig logisch und geschichtlich, eine wirklich typische Serie von Haltungen gegenüber dem Kernproblem der Epistemologie präsentieren. Aus Sorge um Objektivität, um die Überraschungen einer übertriebenen Abkürzung zu vermeiden, werden wir jeder von diesen Haltungs-Typen eine kurze Monographie widmen. Gerade die Aufeinanderfolge der Monographien, summarisch unter einander verbunden, wird allmählich zum Herzen des Problems der Erkenntnis führen und in Folge dessen wird durch Eliminierung der inkonsistenten oder unvollständigen Lösungen sich die einzige mögliche Lösung nahelegen: diejenige, die wir des langen und breiten in den letzten Heften dieses Werkes entwickeln werden. Wir haben uns eine Pflicht daraus gemacht, alle die Werke, die wir angesichts 5 Einleitung 8 dieser Arbeit analysieren, nachzulesen, sodass wir jede partielle Studie unter dem unmittelbaren Eindruck der dort verwendeten Originaltexte schreiben konnten. Und wir haben uns auch bemüht in unseren Vorträgen, ausgenommen bei einigen seltenen Anmerkungen hier und da. die eigentümliche Bedeutung der Entwicklung jedes Systems auf keinen Fall zu vernachlässigen. N. B.. Ein Wort zur Bibliographie unseres Gegenstands. Sie ist unermesslich : in solchem Maße, dass es sinnlos wäre, in einem Werk wie diesem, zu behaupten alle Bücher und Veröffentlichungen zu erwähnen, die unseren Gedanken beeinflusst haben können, vom Anfang unserer philosophischen Studien an, der schon lange zurückliegt. Indem wir im Großen unsere Verpflichtung anerkennen, erlauben wir uns, zurück zu verweisen auf die Liste unserer Gläubiger, auf die sehr bekannten allgemeinen Bibliographien, zum Beispiel auf die umfangreichen (immer noch unvollständigen) Hinweise der letzten Ausgaben der Geschichte der Philosophie von Ueberweg-Heinze, (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Berlin. Ier Band. Das Altertum. 11. Auflage. 1920, 12. Aufl.1925. . IIr Band. Patristische und scholastische Zeit. 10. Aufl.1915. . IIIr Band. Die Neuzeit, bis zum Ende des 18en Jahrh. 11. Aufl..1914. . IVr Band. Das 19. Jarhrhundert und die Gegenwart 11. Aufl.1916). Da es sich nun einmal empfiehlt, ein zusammenhängendes Bibliographiesystem anzunehmen, wollen wir im Prinzip nur aus den originalen Werken der Philosophen zitieren. Und wir werden absichtlich jede andere Referenz weglassen, außer dem Ausnahmefall, wo ein ganz besonderer Grund oder die Sorge um die literarischer Ehrlichkeit uns zwingen, von dieser Regel abzuweichen. Wir müssen dementsprechend verzichten auf das Vergnügen, manche ausgezeichnete Arbeiten zu zitieren, von denen man rechtmäßig erwarten könnte, dass sie in einer Fußnote erscheint; aber wenn wir uns auf diesen Weg begeben hätten, wie könnten wir uns dann ohne Mangel an Logik davon dispensieren, eine Menge anderer Arbeiten zu zitieren, die gleichbedeutende bibliographische Titel haben? Man wird verstehen daß wir vor dieser neuen Überfüllung unserer schon zu dicht gefüllten Bücher zurückgeschreckt sind. Wir wollen hier nur einige allgemeine Werke erwähnen, deren wir uns neben spezielleren Veröffentlichungen bedient haben, um den geschichtlichen Rahmen aufzustellen, von unserer Vorlesungen oder um unsere Text-Lektüre zu steuern. Wir weisen unter anderem auf einige neuere Bücher hin, die wir benutzt haben, diese zweite Auflage auf den neuesten Stand zu bringen. 6 Gegenstand und Methode dieser Vorlesung I. Griechische Philosophie – Ed. Zeller, Die Philosophie der Griechen, 3e Aufl., 5 Bde. Leipzig, 18691882. – C. Prantl, Geschichte der Logik im Abendlande, 2e Aufl., 2 Bde. Leipzig, 1885. – Ueberweg-Heinze, Grundriss der Geschichte der Philosophie. Bd. I. Das Altertum (Prächter) 1 le Aufl., Berlin, 1920. – Th. Gomperz, Les penseurs de la Grèce. Trad. franc. 3 vol. Paris, 19041912. – H. Ritter et L. Preller, Historia philosophiae graecae, 9e Aufl., Gotha, 1913. – H. Bonitz, Index aristotelicus. Berolini, 1870. – H. Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker. 2e Aufl., Berlin, 1906-1907. – J. Burnett, Early Greek Philosophy. 2d ed., London, 1908. – V. Brochard, Les Sceptiques grecs. 2e éd., Paris, 1923. Weitere Litteratur dazu : E. Zeller (Nestle), Grundriss der Geschichte der griechischen Philosophie. 12e Aufl., Leipzig, 1920. – L. Robin, La pensée grecque. Paris, 1923. – H. Mayer, Geschichte der Alten Philosophie. München, 1925. – E. Bréhier. Histoire de la Philosophie. Tome I : L’antiquité et le moyen âge. Paris, 1926-1927. – U. v. Wilamowitz. Platon. I. Leben und Werke. Berlin, 1919. – E. Dupréel, La légende socratique et les sources de Platon. Bruxelles, 1922. – A. E. Taylor, Plato. The man and his work. London, 1926. – A. Diès, Autour de Platon. 2 vol. Paris, 1927. – W. Jaeger, Aristoteles. Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung. Berlin, 1923. – W. D. Ross, Aristotle, London, 1923. – [Le même], Aristotle’s Metaphysics. A revised text with Introduction and Commentary. 2 vol. Oxford, 1924. – R. Arnou, Le désir de Dieu dans la philosophie de Plotin. Paris, 1921. – W. R. Inge, The Philosophy of Plotinus. 2d éd., 2 vol., London, 1923. 9 II. Mittelalterl. Philosophie – Außer den älteren Werken von Hauréau, Stöckl, Willmann, Werner, Baeumker, etc. : – M. De Wulf, Histoire de la Philosophie médiévale. 5e éd., 2 vol., Louvain, 1924-1925. – Ueberweg-Heinze, op cit., Bd. II : Die mittlere oder die patristische und 7 Einleitung – – – – 10 scholastische Zeit (M. Baum-gartner). 10e Aufl. Berlin, 1915. C. Prantl, op. sup. cit. F. Picavet, Esquisse d’une histoire générale et comparée des philosophies médiévales. 2e éd., Paris, 1907. P. Mandonnet, O. P. Siger de Brabant et l’averroïsme latin au XIIIe siècle. I. Louvain, 1911. M. Grabmann, Geschichte der scholastichen Methode. 2 Bde, Freiburg, 1909-1911. Weitere Texte zur mittelaltl.Phil.: – E. Gilson, La philosophie au moyen âge. Paris, 1922. – E. Gilson, Le thomisme. 2e éd. Paris, 1922. – E. Gilson, La philosophie de S. Bonaventure. Paris, 1924. – E. Gilson, Pourquoi saint Thomas a critiqué saint Augustin (Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge. Tome I, 1926-1927). – E. Longpré, O. F. M. La philosophie du Bienheureux Duns Scot. Paris, 1924. – E. Hocedez, S. J. Richard de Middleton. Louvain, 1925. – Cardinal Ehrle. L’Agostinismo e l’Aristotelismo nella Scolastica del secolo XIII (Xenia thomistica, vol. III. Romae, 1925). – M. D. Roland-Gosselin, O. P. Le « De ente et essentia » de saint Thomas d’Aquin. Le Saulchoir, 1926 (renferme deux importantes « études historiques » sur « le principe de l’individualité » et « la distinction réelle entre l’essence et l’être » jusqu’à saint Thomas). – M. Grabmann, Mittelalterliches Geistesleben. München, 1926. 8 Buch I. DAS ERWACHEN DES KRITISCHEN GEISTES IN DER GRIECHISCHEN PHILOSOPHIE: DER ANTIKE SKEPTIZISMUS UND DIE KRITIK DER AFFIRMATION 11 9 Buch I Erwachen des Geists der Kritik Kapitel I. Auf eine erste Krise der Gewissheit zu 12 13 Die ersten « Kosmologien » am Anfang der griechischen Zivilisation gingen hervor aus religiösen Mythen und alten poetischen Kosmogonien. Es ist eine Tatsache, dass die primitive Neugierde des menschlichen Geistes, sowohl im Individuum als auch in der Menschheit, keine Vorsicht noch Kritik kennt; ganz auf das „Objekt“ ausgerichtet, erweisen sie sich sogar in befremdlicher Weise sorglos dem erkennenden Subjekt gegenüber. Das Aufkommen der Spekulation wurde vereinnahmt, bei den Griechen wie woanders, durch einen „einzigen Gegenstand“: die Natur, die allmählich in kleinen Schritten vom bezaubernden Schleier der Mythologien befreite und der rationalen Analyse ausgelieferte Natur. Diese Vorliebe für kosmologische Probleme beruht, bei den Initiatoren der griechischen Philosophie, auf einem realistischen Dogmatismus, um so mehr gesichert, dadurch dass er unbewusst ist. Noch wird nirgends die absolute Geltung der objektiven Aussage angezweifelt. Und die Aussage selbst verbindet sich mit jedem von der Erfahrung gelieferten Gedankeninhalt, einzig unter dem Vorbehalt einer bestimmten Struktur dieses Inhaltes. Die Philosophie folgt so, ohne zuviel Anstrengung, der doppelten natürlichen Neigung des Geistes zu behaupten und zu vereinheitlichen. Ebenso lange, wie die vereinheitlichende Tendenz des Geistes sich episodenhaft auf partielle Einheiten auswirkte, konnten die disparatesten philosophischen Systeme sich entwickeln, ohne die Gelassenheit des antiken Realismus tief zu erschüttern (Ionische Periode). Aber es kam ein Moment, wo sich die ursprüngliche und allgemeine Einheit des Seins von den sekundären Einheiten abkoppelte. Die menschliche Vernunft hatte dann etwas wie ein Flimmern vor den Augen: ohne die Stütze des Realismus fallen zu lassen, schwankte sie sozusagen. Denn repräsentierte nicht das Sein im Erkenntnisobjekt sowohl die wechselnde Vielfalt als auch die unabänderlich Einheit? Der Konflikt von Einheit und Vielfalt tauchte selbst im Herzen der notwendigen Aussage auf. Man glaubte, Ballast abwerfen zu müssen, etwas vom Inhalt der Erkenntnis opfern zu müssen, die einen dies, die anderen das. Heraklit, treu den unmittelbaren Daten der Erfahrung, adoptierte die Vielfalt und die Bewegung und verzichtete so auf die unabänderliche Einheit des Seins. Beinahe in der gleichen Epoche erfasst Parmenides das homogene und unbewegliche „Sein“ und leugnete so im Bereich der reinen Erscheinung alles Veränderliche und alles Vielfache. Und als Gipfelpunkt fühlt sich Zeno von Elea, Schüler von Parmenides, berufen, würde man sagen, die Verwirrung der armen spontanen Vernunft noch zu erhöhen, indem er ihr seine blendenden Paradoxien über die Unwirklichkeit der Veränderung in die Augen wirft. Von allen Seiten war so der 10 K.1 Auf die Krise der Gewissheit zu gesunde Menschenverstand in eine Ausweglosigkeit versetzt, eine Herausforderung der überlegenden Vernunft an die spontane Vernunft. Im Übrigen verschlimmerte sich dieser Skandal der Vernunft noch durch den zerstörerischen Eindruck, der durch die exzessive Vermehrung der kosmologischen Systeme geschaffen wurde, die die Zustimmung von Philosophen und Denkern suchten und zwar in den aller verschiedensten Richtungen. Sicher fehlte ihnen weder Findigkeit noch Kühnheit. Mit gleicher Verachtung von Traditionen und allgemeinen Offensichtlichkeiten zerlegten sie die Welt, um sie mit besserem Rezept wiederaufzubauen. Und bei all dieser Verschiedenheit sowohl der analysierten Materialien wie der synthetischen Gebäude blieb nirgends ein Sein übrig, das einen aus der Fassung bringen konnte. Von Heraklit bis Empedokles, von Empedokles bis Anaxagoras, von Anaxagoras bis Leukipp und bis Demokrit flatterte die Vernunft sozusagen aufs Geratewohl hin und her, ohne sich irgendwo beständig zu Hause zu fühlen. Um diesen Befall des griechischen Denkens – dieses dennoch so realistischen Denkens – durch eine erste Krise der Gewissheit zu verstehen, muss man gleichzeitig aller dieser Umstände Rechnung tragen. Das Terrain war für den Skeptizismus vorbereitet. 11 Buch I Erwachen des Geists der Kritik 14 Kapitel II Die Krise: Der Skeptizismus der Sophisten. §1 Charakterisierung der Sophistik. Die Umstände, an die wir uns gerade erinnerten, hatten in vielen Geistern das Vertrauen auf die philosophische Wahrheit zerstört: dieses Vertrauen, so stark am Anfang, hatte bei denen, die die Liebe zur Wahrheit im Herzen bewahrten, Platz gemacht für die suchende Ratlosigkeit oder entmutigten Zweifel, aber bei anderen einfach für einen leichten und geringschätzigen Skeptizismus, der ohne Bedenken die Nichtigkeit des spekulativen Bemühens proklamierte. Bei diesen letzten rekrutierte sich vor allem die Sophistik, (angefangen mit der 2. Hälfte des 5en Jahrhunderts vor Christus. Die Haltung des Sophisten wurde nicht nur von nicht auf festem Boden stehenden (=mobilen) Intellektuellen und durch epistemologische Bedenken inspiriert. Er [der Sophist] wusste genau, dass neben der Spekulation sich die praktischen Ziele anbieten oder aufdrängen. Sein theoretischer Skeptizismus verstärkte sich durch einen sehr bewussten, sehr kühnen Pragmatismus, der selbst moralische Behinderungen der Wahrheit unbeachtet ließ. Und diese aktive Einstellung traf auf ein ihr außergewöhnlich günstiges Übungsfeld in den politischen und sozialen Umständen. In der Tat im Herzen der im politischen Raum gerade entstehenden Demokratien, und in der allgemeinen Abschwächung der Traditionen, war es doch das Opportunste oder wenigstens das Dringendste. die Geheimnisse einer geschickten Tätigkeit zu lernen, die Kunst die Publikumsgunst zu gewinnen, die Gefühle und die Überzeugungen der Hörerschaften zu beeinflussen, die sich überall für Diskussionen boten? Der Sophist war ganz am Anfang ein Weiser in der griechischen Weise, das heißt ein geschickter Mann, ambulanter Pädagoge und Lehrer der Tugend (( ) Weiser, Lehrer von Bildung und Tugend ) , ein Rhetor, der seine Schüler mittels Aktion und Wort dressierte, was sie fähig machte zum Handeln und Reden . Bald begannen Meister und Schüler, weniger als Feinde der Wahrheit als vielmehr sorglos ihr gegenüber, über sie zu spekulieren, nicht um sie aufscheinen zu lassen, sondern mit der Absicht zu überzeugen oder zu blenden. So verdienen sie die Behandlung, mit der sie der heilige Thomas stigmatisiert, dass Aristoteles zu folge für sie gilt: sìfoc, paideÔsewc 15 kaÈ reth̃c didskaloc deinoÌc 12 prttein kaÈ lègein K.2 Skeptizismus der Sophisten "Der Philosoph und der Sophist richtet sein Leben und Handeln jeweils nach etwas anderem aus. Nämlich der Philosoph will die Wahrheit wissen; der Sophist aber darauf, dass er zu wissen scheint obwohl er nicht weiß ".(S.Thomas Aqu.,In libros XII Metaph., lib. 4, lect. 4). « Denn die Sophitik erweckt nur den Anschein, Weisheit zu sein...zwar wen« det sich die Sophistik und die Dialektik dem gleichen Gegenstand zu wie die Philosophie. aber sie unterscheidet sich davon durch die Gesinnung (das Ziel) ihrer Betätigung d.h. aber durch die Handlungsweise des Lebens. Die Dialektik behandelt vorübergehend das als Übungsstoff, was die Philosophie verste» (Aristote, hen will, die Sophistik jedoch will nur Métaphysique, Édit. Bekker, Γ, 1004 scheinen Philosophie zu sein, ist es aber b, 18). nicht.(Aristoteles Metaphysik, Edit. Bekker, Γ, 1004 b,18). Danach steigt die Sophistik von der utilitaristischen und skeptischen Rhetorik, die sie schon war, noch weiter herab: Sie wird bewusst und bleibt es lange Zeit eine Art dialektischer Sport, eine Übung reiner Virtuosität hoher Schule, eine Schau von Zauberkünstlern ( =Schaustellung), wo mit allen Wassern gewaschene Diskussionsredner nach Belieben das Für und Wieder verteidigen. Von diesen Gaukeleien eines Gedankens ohne Würde und ohne Konsistenz (Grundlage, Festigkeit) kann man von Plato im Euthydem berichtete und durch Aristoteles in den Abhandlungen von den Themen und den Trugschlüssen erzählte Beispiele finden,1 « Ad aliud ordinat vitam suam et actiones philosophus et sophista. Philosophus quidem ad sciendum veritatem; sophista vero ad hoc quod videatur scire quamvis nesciat » (In libros XII Metaph., lib. 4, lect. 4) <H gr sofÐa sofistik, âstÐ...PerÈ fainomènh màn gr mìnon tä aÎtä gènoc strèfetai sofistik kaÈ dialektik th̃c dà t¬ filosofÐø, màn toũ tÄ trìpú bÐou dialektik losofÐa t¬ th̃c peirastik oÞsa d' diafèrei dunmewc, proairèsei. gnwristik fainomènh ll ^Esti perÈ dà th̃c Án dà fi- sofistik oÖ âpideÐxic 1 Wir erlauben uns, die Sophisten unter den Zügen zu präsentieren, die ihnen Plato und Aristoteles zuteilen. Hat das Gemälde, das von diesen Gegnern der Sophisten entworfen wird, vielleicht weniger den dokumentarischen Wert einer Photographie, als der auf der Interpretation von mehrdeutigen Formeln gegründete Wert einer Wiederherstellung und mehr als das erbarmungslose an den Tag bringende von latenten Voreingenommenheiten? Der Sophist interessiert uns hier nicht als eine geschichtliche Wirklichkeit sondern als intellektueller Typ. Offensichtlich ist das, was für uns hier in der Sophistik wichtig ist, nicht sein Nützlichkeitsaspekt noch sein Streit, Wettkampf Aspekt. Es sind nur die seriösen Elemente des Skeptizismus, die er verheimlichte. Es war dennoch gut, an den Zusammenhang zu erinnern, in den diese Dinge sich einfügen, sei es, um auf ihre richtigen Ausmaße aufmerksam zu machen oder um ein erstes Mal das Dementi 13 Buch I Erwachen des Geists der Kritik 16 (die Verleugnung) zu unterstreichen, mit dem jeder theoretische Skeptizismus im Bereich des Wollens und des Handelns verbunden ist: zweifeln wir nicht daran, die Eitelkeit oder das Interesse bewirkte bei diesen Sophistes „wertvolle Urteile“ vollkommen klar, fest und absolut. Als radikaler Skeptizismus begründet die Sophistik, wenigstens im Ausdruck und in der Absicht, die erste Antwort auf das gesamte Problem der Erkenntnis: eine übereilte und oberflächliche Antwort auf ein Problem, das noch nicht reif war für eine Lösung. Sehen wir ein bisschen näher, was genau diese Antwort war. Das, was sie war, dafür ist uns Aristoteles in seiner ausdrücklichen Formel ein kostbarer Zeuge im Buch III ( ) seiner Metaphysik, ab dem Kapitel 3. Der Skeptizismus der Sophisten, wie jeder eigentliche Skeptizismus, besteht genau genommen eigentlich nicht darin, einen Teil des mehr oder weniger ausgedehnten Felds der menschlichen Erkenntnis in Misskredit zu bringen: das ist eine Angelegenheit von mehr oder von weniger und betrifft nur den Inhalt (die Materie) der Erkenntnis, sondern sogar die Rechtmäßigkeit der « Aussage » der Form jeder logischen Wahrheit, in eine unheilbare und radikale Unsicherheit einzuschließen ; mit anderen Worten, er besteht im ausdrücklichen Zweifel am normativen Wert des ersten rationalen Prinzips, des Prinzips der Identität oder des Kontradiktionsprinzips. Der „materiale“ Skeptizismus ist immer nur ein partieller Skeptizismus der „formale“ Skeptizismus könnte nichts anderes sein als nur ein totaler Skeptizismus. Nun war aber der Skeptizismus, der von den Sophisten vorgelegt wurde, gerade dieser formale und totale Skeptizismus, der sich auf das « erste Prinzip » auswirkt. G §2. - Die direkte Widerlegung der Sophisten durch Aristoteles. Wie widerlegt man einen solchen Skeptizismus? Aristoteles bemerkt, eigentlich widerlege man ihn nicht, mangels eines möglichen Ansatzpunktes für einen Gegenbeweis. Man kann nicht alles beweisen, und wenn etwas unbeweisbar bleibt, dann ist das wohl ganz sicher ein erstes Prinzip: Denn es ist ganz und gar unmöglich, dass es für alles einen Beweis gibt: denn ein . solcher Prozess mag wohl ins Unendliche (Métaph., Γ, 1006 a, 8) gehen (Metaph., Γ, 1006 a, 8) Was kann man da machen? Etwa den Skeptiker einfach zu provozieren, sich selbst zu widerlegen, das heißt, in aller Öffentlichkeit zum Ausdruck zu bringen, VOlwc màn pìdeixin badÐzoi 14 gr eÚnai: pntwn eÊc dÔnaton peiron gr n K.2 Skeptizismus der Sophisten dass sein angeblicher totaler Skeptizismus nur ein partieller Skeptizismus ist. Der sophistische Skeptiker, von seiner Natur her und durch seine Ausbildung Diskussionsredner, wird sicherlich in die Falle gehen. Dann seid Ihr ihm darin überlegen, denn er kann sich nicht rühren, noch kann er wagen, ein Wort zu sagen, ohne in einen flagranten Widerspruch mit seiner allgemeinen These zu kommen. Akzeptiert er die Diskussion? Sie kann also einen Sinn haben. Versteht er sich mit euch über die Bedeutung der Wörter? Wenn er von einem Menschen spricht, versteht er darunter weder einen Dreiruderer noch ein Gemäuer? Er gibt also zu, dass die Bedeutung der Wörter gar nicht total willkürlich ist. Er gibt also Anwendungen des ersten Prinzips zu; nach diesem seinem Eingeständnis, 17 ist das erste Prinzip, insofern es ein formales Prinzip ist, aufrechterhalten. Die ganze Diskussion wird sich fortan beschränken auf eine mehr oder weniger große Ausweitung des Bereichs der Gewissheiten. Sie sind ihrem Skeptiker gegenüber im Vorteil. (Metaphysik l. c.) Aber wenn der Skeptiker aufhört, den Sophisten zu spielen, nichts sagt, in keiner Weise seine Meinung äußert, nur passiv das Ja und das Nein hinnimmt, sich enthält... ? Gut; warum dann mit ihm diskutieren? Er widerspricht dir nicht. Versucht man denn einen „Blödling“ zu überzeugen? Es ist lächerlich, nach einem Argument (lìgoc) zu suchen gegen einen, der von nichts ein Argument hat, insofern er (Ibid. 13). nicht einer Natter sondern sogar einer Pflanze ähnlich ist, insofern er so ist ..?, (a.a.O. 13). In Wirklichkeit findet diese Bonmot nie seinen Adressaten, denn niemals lässt sich ein Mensch beschränken auf eine so bewegungslose Passivität. « Warum begibt sich [der Sophist] am frühen Morgen auf den Weg nach Megara, anstatt im Bett liegen zu bleiben, und nur davon zu träumen, dass er dorthin geht? Warum versucht er nicht schon bei der Dämmerung sich in einen Brunnen zu stürzen oder in einen Abgrund? Warum scheint er, im Gegenteil, zu befürchten dort zu fallen, da ja genau so gut zu urteilen ist, dass es auf das gleiche hinauskommt ob dort Unglück wäre oder Glück? » (a.a.O.. 1008 b,14.) Es gibt niemand, schließt Aristoteles, der nicht gewisse Eventualitäten zu befürchten scheint und andere zu akzeptieren bereit wäre. Und er fügt noch hinzu, dass alle einfach und absolut urteilen, wenn nicht über die Gesamtheit der Dinge, so wenigstens über das, was an ihnen vorteilhaft oder unvorteilhaft ist. » (a.a.O. 24). Übersetzen wir diese letzte Bemerkung von Aristoteles in eine allgemeinere Formel: die objektive Aussage (Behauptung) ist unvermeidlich in der Ordnung der Ziele. Es gibt also keinen totalen Skeptizismus. Man kann gut in Worten sich vorbei drücken an der Aussage oder am ersten Prinzip zweifeln: alles lässt sich sagen, aber, glücklicherweise lässt sich nicht alles in ganz gleicher Weise denken; und Geloĩon jenäc gr tä zhteĩn êqonta futÄ å lìgon lìgon, präc ­ m toioũtoc tän êqei mh- ímoioc ­ toioũtoc ¢dh 15 Buch I Erwachen des Geists der Kritik 18 diese Rache des tiefen Denkens an der Lüge des Ausdrucks wird deutlich sichtbar in der ganzen Verhaltensweise des Zweiflers. Kurzum der Skeptiker, wenn er in lehrhaftem Ton spricht, das heißt, wenn er die Wahrheit verneint oder den Zweifel öffentlich bekennt, widerlegt grausam sich selbst. Wenn er sich mit einer passiven Haltung begnügt, lügt er, bewusst oder unbewusst, gegen sein Leben, das ihn unwiderstehlich vorwärts treibt auf dem Weg zur Aussage und zur Handlung: jeder seiner Wünsche oder seiner Handlungen ist ein Dementi seiner theoretischen Haltung – wir werden es im Weiteren besser sagen: seine Haltung selbst zerstört die oberflächliche Bedeutung seiner theoretischen Haltung, die sie auf den ersten Blick auszusagen scheint. Solcher Art ist die allgemeine Widerlegung des Skeptizismus der Sophisten durch Aristoteles. Man könnte das vertiefen, es an andere geschichtliche Umstände anpassen, aber, so glauben wir, nichts Wesentliches dazu hinzufügen. §3. Die Lehre von der Krankheits-Ursache des Sophismus und von deren Heilung nach Aristoteles2 2 Von den zwei Gruppen von Argumenten, die in Kapitel 4 und 5 der Metaphysik enthalten sind, wählen wir frei einige Erwägungen aus, die uns grundlegend erscheinen. Beschränkt sich die Aufgabe des Philosophen darauf, einen Gegner in die Enge zu treiben? Aristoteles denkt das nicht so; nachdem er den Sophisten oder allgemeiner den Skeptiker gezwungen hat, wohl oder übel der Wahrheit eine minimale aber wesentliche Ehre zu geben, beschäftigt er sich stark damit, die sterilisierenden Quellen zu entdecken, die ihrem Zweifel Nahrung geben: das heißt aber (wohl gemerkt vom philosophischen Standpunkt aus) eine Ursachenforschung für das Übel zu machen, um dafür das Heilmittel zu bereiten. Aber, die Quelle des Übels fand sich im abenteuerlichen Dogmatismus der gängigen Metaphysik. Zuerst gilt es, zwei Klassen von Zweiflern zu unterscheiden: die ParadeSkeptiker, die, die in der Diskussion eine unfaire Waffe aus ihrem Skeptizismus machen, die öffentlich den Zweifel am ersten Prinzip bekennen, « solum [causa orationis], id est ex « nur (der Rede wegen), das heißt aus eiquadam protervia, volentes huius- nem gewissen Mutwillen heraus, weil sie modi rationes impossibiles sustinere in sich unmögliche Gründe wegen ihrer propter seipsas, quia contraria earum selbst aufrechterhalten wollen, weil sie ihr demonstrari non possunt » (Saint Gegenteil nicht beweisen können » (St. Thomas. In Met., lib. 4, lect. 10). Thomas. In Met., lib. 4, lect. 10.) Diese eigensinnigen Sophisten müssen zum Schweigen gebracht werden, weniger durch die Überzeugung als durch die Kraft der Dialektik, die sie entlarvt (diese aber (bedürfen) der Gewalt). ( .Met.Γ, 1009 a 18). Aber es gibt auch gutgläubige Skeptiker, deren Zweifel aufrichtig ist: sie zweifeln infolge Missverständnisses, durch Ignoranz; ihre Ignoranz ist heilbar: oÉ dà bÐac (dèontai) 16 K.2 Skeptizismus der Sophisten (das Nichtwissen dieser ist leicht heilbar ) ( a.a. o.). Wenn auch ihr Geist verfälscht ist, ihre Sprache ist nicht verdorben: man kann auf sie einwirken durch Überzeugung, indem man ihnen die tieferen Gründe ihres Irrtums aufdeckt... Es ist interessant, die zwei wichtigsten von Aristoteles aufgezeigten Quellen des „ehrlichen“ Skeptizismus zu unterstreichen. Denn wir werden diese später immer wieder auftauchen sehen: nur eine vollendete Kritik der Erkenntnis würde sie für immer versiegen lassen (indem sie in einer höheren Synthese den eleatischen Ontologismus mit dem heraklitischen Empirismus versöhnt. – Siehe weiter unten im Buch II und III.) toÔtwn 19 eÎÐatoc gnoia Für viele dieser Skeptiker, im Grunde, Freunde der Wahrheit, war der Stolperstein der Begriff der Bewegung, der Veränderung, oder wenn man will des „Werdens“. Das, was wird, so urteilen sie mit Anaxagoras, Démocrite und anderen, das, was wird, insofern es wird, ist nicht. Aber das Nichtsein kann sich nicht zum Sein erheben. Nichts wird also, was nicht seinem eigenen Werden vorausexistiert. Mit anderen Worten, das Werden macht nur das Sein offenbar. Aber das Werden, die Veränderung, führt zu den maximal entgegengesetzten Ausdrücken, und zwar im gleichen Objekt. Dieses Objekt enthält also im Voraus gleichzeitig diese entgegengesetzten Elemente. Muss man nicht sogar diesen Satz ausweiten und mit Anaxagore sagen, dass alles in allem ist? Und siehe da, das ist die Koexistenz der Widersprüche und der Gegenteile, die sich logischerweise unserer Zustimmung auferlegt finden. Was antwortet Aristoteles? Dass man teilweise Recht hat. Das Sein, das wird, muss auf irgendeine Weise präexistieren: unser Verstand weigert sich, das Sein aus dem reinen Nichtsein zu ziehen, der Aussage (Behauptung) der reinen Negation. Aber das „Sein“ als positives Objekt meiner Intelligenz, das Sein gesetzt durch meine Aussage, umfasst außer dem Akt des Seins auch die Fähigkeit zu sein, die „Potentialität“, das heißt eine objektive Beziehung zum Akt oder zum Sein im eigentlichen Sinn. So kommt es, dass das Werden nicht, wie man es vermutete, eine widersprüchliche Mixtur ist, sei es von Nichtsein und von Sein, sei es von gegensätzlichen Akten, die sich logischerweise gegenseitig vernichten, sondern eine ergänzende und progressive Assoziation von Seinsmöglichkeit und Seinsakt, die einander begrenzen.... (siehe den Kommentar des heiligem Thomas. (In Met. lib. 4, lect. 10). Diese Antwort, die eine fertige Metaphysik des Seins und Werdens voraussetzt, unterschlägt Tiefen, deren Aristoteles sich vielleicht nicht bewusst war. Wir werden uns daran erinnern, wenn wir damit fertig sind, das Problem des Einen und Vielen darzulegen, und wir mit dem heiligem Thomas und mit unseren zeitgenössischen Philosophen den fiktiven, illusorischen Charakter der Idee des Nichts3 aufzeigen müssen. 17 Buch I Erwachen des Geists der Kritik 3 Denn wir „denken“ nicht wirklich das „Nichts“ oder vielmehr denken wir es nicht als „Potenz zum Sein“, oder als partikuläres Sein begrenzende „Andersheit“. Siehe, in diesem selben Heft weiter hinten, Buch II oder Heft V,. Aber nehmen wir nichts vorweg. Eine zweite Geistes-Kategorie, im Übrigen aufrichtig, werden durch ihre empiristischen Vorurteile zum Zweifel veranlasst. Dies sind Phenomenalisten schon bevor es diesen Namen gab. Im Grund ihres Denkens, findet man immer eine Verwechslung zwischen Sinneserkenntnis und Verstand. Tatsächlich stellen sie sich nur Objekte der Sinne und mit den Sinnen wahrgenommene Gegenstände vor. Ihre These, von Aristoteles unter das Patronat von Protagoras versetzt, ist, dass es Wahrheit nur bezüglich der Erscheinungen gibt: die Wahrheit (gibt es nur) für die Phänomene ( Met. Γ 1009 a, 38). Aber wie kann es eine „Wahrheit“ von Erscheinungen geben? Nur Veränderliches, oder gar Widersprüchliches, von Thema zu Thema, von Mensch zu Mensch, wie die verschiedenen Arten von Geschmack, die Bewertungen, die Meinungen. Sogar sich selbst ändert man diesbezüglich: die Speise, die süß scheint, wenn man in guter Gesundheit ist, scheint bitter für den kranken Gaumen. Denn eine Menge von äußeren Umständen am Objekt verändert das Urteil, das wir darüber haben: unser Mehr oder Weniger von Wissenschaft und Klugheit, unser Gesundheitszustand, der Wachzustand oder der Traum, die Nähe oder Ferne.... Warum, unter den entgegengesetzten Urteilen über ein gleiches Objekt, die Präferenz eher dem einen als dem anderen zuteilen? In einer so irreparablen Verschiedenheit bleibt nichts, als an der Philosophie zu verzweifeln: denn die Wahrheit zu suchen, das ist, Vögel im Flug fangen zu wollen, (Ebenda). 1009 b,38). Alle Erscheinungen sind wahr mit gleichem Recht: das heißt soviel wie, dass die Wahrheit eine Phantasterei ist. Diesem entmutigten Skeptizismus hält Aristoteles eine Moralpredigt in zwei Punkten. Zuerst bemüht er sich auf dem Boden des Empirismus selbst, eine richtigere Einschätzung der Sinneserscheinungen wieder herzustellen. Wenn man sie aufmerksam betrachtet, muss man sie nicht notwendigerweise in widersprüchlichen Urteilen ausdrücken. Für jede Unvereinbarkeit, die in ein Erfahrungsurteil übersetzt wird, kann man einen objektive Unterschied feststellen oder annehmen, der den Schlüssel für das Verständnis dazu gibt: wirkliche Umwandlung des Objekts, wirkliche Modifizierung des Subjekts, wirkliche Veränderung des Sinnesorgans oder der Umstände der Empfindung, und so weiter. Zugunsten des skeptischen Einwandes kann man ohne Befürchtung eines Dementis behaupten, dass das entscheidende Verfahren darüber nie stattgefunden hat. Dem Skeptizismus fehlt also zum mindesten (wenig gerechnet) die experimentelle Grundlage. Dann stößt der Philosoph auf die Wurzel des Übels: der phänomenalistische Empirismus; als ob er wahrgenommen hätte, wenigstens vage, dass die Recht perÈ t fainìmena l jeia 20 18 K.2 Skeptizismus der Sophisten fertigung unserer empirischen Gewissheiten durch die Kohäsion der Erfahrung allein vollkommen ungenügend, und in jedem Fall unsicher ist. Der empiristische Gesichtspunkt, beobachtet er, verfälscht die ganze natürliche Perspektive unserer Erkenntnis. In der Tat die Aussage setzt in unseren spontanen Urteilen andere Kategorien von Objekten als die Sinnes-Dinge. Weiter, in den Sinnes-Dingen selbst, erreicht sie nicht nur die quantitative oder qualitative Veränderung, sondern die spezifische Dauer: Was macht also der Empirist mit den „praedicata substantialia“? Behauptet er, dass alle Prädikate akzidentell sind? (Wenn alles als Akzidens gelesen wird, dann ist nichts das erste, von dem (etwas ausgesagt wird)...Es ist also nötig, « (Ibid. ins Unendliche zu gehen., (Ebenda) 1007 1007 a, 33). a, 33). Schließlich muss der Objizient logischerweise sich verbieten, der Sinneswahr21 nehmung ein reales Objekt zuzuerkennen: das Urteil erstreckt sich in Wirklichkeit seiner Meinung nach nur auf die Erscheinung, das heißt nur auf die gegenwärtige Empfindung. Aber jeder wird zugeben, dass die Empfindung, weit davon entfernt, spontan zu sein, „passiv“ ist und so also einen Handelnden voraussetzt, der verschieden ist von der Sinneswahrnehmung, einen „movens“ (etwas Bewegendes). Und dieser „movens“ ist von rechts wegen früher als der Sinn, den er affiziert: denn das Bewegende ist von Natur aus früher als das Bewegte, (Ebenda), (Ibid., 1010 b, 37). 1010b,37. Die Sinneswahrnehmung unterdrücken, beseitigt noch nicht ihren äußeren Anreiz, ihr Objekt; und wenn man behauptet, dass der empfangene Anreiz, das sensibile in actu, identisch seiend mit der Empfindung, mit ihr entsteht und vergeht, ist es wenigstens offensichtlich, dass das sensibile in potentia, die Wirklichkeit in sich des Objektes der Sinneswahrnehmung, unabhängig von der gegenwärtigen und subjektiven Empfindung fortbesteht. (Cf. Kommentar des heiligen Thomas, zur selben Stelle.) Man wird bemerkt haben, dass, in dieser Widerlegung des Empirismus, Aristoteles sich sofort, ohne jede rednerische Vorsicht, auf den realistischen Standpunkt stellt. Dass es außerhalb von uns befindliche Objekte gäbe, die mit unserer Intelligenz in Beziehung treten durch die Vermittlung der Sinne, das ist hier eine Voraussetzung, die er nicht als Gegenstand der bestritten werden könnte, einschätzt. In der Tat, die Skeptiker, deren Heilmethode er unternimmt, gingen von der gleichen realistischen Voraussetzung aus: die Beispiele, die sie in ihren Einwänden vorschlagen, postulieren nicht nur die Existenz einer Außenwelt, sondern mehr als das, die Existenz von beständigen Objekten. Sie verneinen die Kohärenz des Gedankens, ohne die Absolutheit der Wirklichkeit in Frage zu stellen. Denn diese ersten Skeptiker waren noch in keinem Sinn Relativisten: Sie >Ei ... pnta katà sumbebhkäc lègetai, oÎjàn êstai prw̃ton >Angkh ra tä kinoũn gr eÚc tä peiron toũ kaj' oÝ... Êènai kinomènou fÔsei prìterìn âsti 19 Buch I Erwachen des Geists der Kritik waren vor allem inkonsequente Realisten. Später werden wir wirklichen Relativisten begegnen: aber diese werden auch nicht mehr so naiv radikale Skeptiker sein wie ihre weit zurückliegenden Vorläufer und sie werden sich wohl hüten jede Kohärenz des Denkens zu verneinen. Statt unbesonnen das erste Prinzip im Ganzen zu verwerfen, werden sie seine Gültigkeit unterscheiden: sie werden in ihm die wesentliche Norm des Denkens als solchem anerkennen, was darauf hinausläuft: als die Norm der entsprechenden Objekte, wenn es solche gibt. Dagegen wird der Kern des Problems der Erkenntnis für sie darin bestehen, zu erkennen ob, ja oder nein, in den Erscheinungen (Phänomenen) oder jenseits der Phänomene, unser Denken ein Absolutes ergreift. Aber, bevor wir diese ausgearbeitetere Fragestellung erreichen, müssen wir noch recht viele Etappen voller vergeblicher Versuche durchlaufen. 20 K.III Nacharistotelische Skeptiker 22 Kapitel III Nacharistotelischer Skeptizismus §1. – Die Früchte der Kontroverse gegen die Sophisten. 23 Die Sophistik, trotz ihrer Widersprüchlichkeiten, war ein Fortschrittsfaktor in der Philosophie. Sie repräsentierte neue Tendenzen und stellte vor Probleme, die sich als absolut grundlegend herausstellten. Auf der anderen Seite, fanden sich unter ihren Gegnern Männer, die dazu fähig waren, die glücklichen Tendenzen zu assimilieren, und die aufgeworfenen Probleme zu meistern: wir haben vor, vor allem von Sokrates, Plato und Aristoteles zu sprechen. Und zuerst war der Durchbruch der sophistischen Schulen nur eine Episode dieser langsamen Entwicklung, die das spekulative Interesse vom Objekt auf das Subjekt verschob: denn der geradlinige Objektivismus könnte gar nicht skeptisch sein. Der Zugang dazu eröffnete sich weit, auf einen einzigen Schlag, nicht nur für die Kritik der Erkenntnis, sondern auch für Psychologie und Moral. Man weiß bis zu welchem Grad Sokrates (gegen 470-400), der die Sophisten auf anderem Wege durch seine Ironie belästigte. diese grundlegende Tendenz, durch die sie getragen worden sind und die sie, gerade sie bedrohten, verstand und zu benützen wusste, sie (diese Tendenz) zu unterdrücken. Das « Erkenne dich selbst » ( ) machte er zu seinem Ausgangspunkt; vom absoluten Gut, vom moralischen Wert, machte er den Schlussstein seines Unterrichtes. Plato, (427-347) und Aristoteles, (384-322) setzen ihn darin fort: der Platz, den die Erkenntnis des Subjekts und die moralische Zweckbestimmtheit einnehmen in ihrer Metaphysik entspricht der epistemologischen Bedeutung dieser Gesichtspunkte. Von da an drängte sich eine „Metaphysik des Subjekts“ neben einer „Metaphysik des „äußeren Objektes“ auf. An zweiter Stelle bestimmte die Sophistik als Gegenschlag eine Verfeinerung und eine größere Genauigkeit der Dialektik im Rahmen des traditionellen Realismus. Es genügt, mit einem Wort zu erinnern an die ersten und entscheidenden Auswirkungen einer Logik, die sich ihrer selbst bewusst wird: der sokratischen Mäeutik (Hebammenkunst), diese genaue Prüfung (Sortiersieb) der Begriffe; Platos Weg der Kunst zu diskutieren ( ), der gleichzeitig eine metaphysische Odyssee ist; die Syllogistik von Aristoteles, eigentlich weit abgelegen, so dass sie nur ein einfaches Kapitel formaler Methodik darstellt, eine Art Logik der Identität oder der Logistik, wie sie gleichartige und spätere Werke geltend machen könnten. Das ganze logische Gebäude der großen sokratischen Triade bewahrt einen sehr engen Kontakt mit der Metaphysik, die dieses Gebäude als ihr Fundament trägt. Gnw̃ji seautìn 23 dialektik poreÐa 21 Buch I Erwachen des Geists der Kritik „Die Kunst des Denkens“ hat in den Augen von Aristoteles nur den Preis, dass sie dafür ein dem Umriss des Seins eng anliegendes Gewand ist: dann nur wird sie das legitime Instrument der (=Wissenschaft), der echten Wissenschaft. Das „erste Prinzip“ der Logik ist auch das „erste Prinzip“ der Metaphysik. Schließlich war Plato und vor allem Aristoteles sich sehr klar bewusst, dass das Problem der Erkenntnis, das von den Sophisten aufgegriffen wurde, keine Teillösungen duldete. Sicher kann man Spitzfindigkeit gegenüber Spitzfindigkeit anführen und so einen Gegner zum Schweigen bringen. Aber dieses StreitVerfahren erreicht nicht die Wurzel des Irrtums: wir haben weiter oben gesehen, wie Aristoteles die Gründe für den Zweifel gesucht hat, und die Heilung des Skeptikers versucht hat, indem er ihn mit dem Finger die falschen metaphysischen Voraussetzungen seiner Einstellung berühren ließ. Diese Voraussetzungen bestehen immer, denn jeder hat seine Metaphysik, so rudimentär sie auch wäre. Und wenn jeder seine Metaphysik hat, muss er nur die gute wählen. Diese Wahl muss möglich sein, denn jede falsche Metaphysik bricht zusammen im Widerspruch. Man muss noch wissen, wie man diesen Widerspruch erkennt, der sich unter Glaubwürdigkeiten verbergen kann, und auf der anderen Seite muss man vermeiden, ihn dort zu sehen, wo er nicht ist. Wie also sich wirksam gegen die betrügerische Sicherheit partieller Lösungen schützen und gegen die voreilige Ablehnung unvollständiger Lösungen? Einzig – und, dies ist hier, so scheint es uns, die wichtigste Originalität von Aristoteles in seiner Widerlegung der Sophisten – indem man die philosophische Systematisierung vorantreibt bis zur totalen Einheit einer „ersten Philosophie“, einer . Dort werden sich zwangsläufig die ursprünglichen Formen des Denkens und die ursprünglichen Beziehungen des Seins vereinigen. Denn das Sein ist das Alpha und das Omega sowohl des Geistes, als auch der Dinge4 âpist mh pr¸th filosofÐa 4 Diese Behauptung wird denen unserer Leser gar keine Schwierigkeit machen, die schon eine direkte Kenntnis der Metaphysik von Aristoteles haben. Wir werden das anderswo (im Buch II.) des Langen und Breiten behandeln. 24 Mit anderen Worten, eine realistische Kritik der Erkenntnis verlangt eine vollständige Lösung der Antinomie des Einen und des Vielen. Wir werden auf diese Forderung in den nächsten Kapiteln zurückkommen. Aristoteles erreicht so mit e i n e m Sprung und wie instinktiv Schlussfolgerungen, die wir viel später wiederfinden werden, am Ende von den langen Umwegen der Kritik. Hat er dadurch die Partie gegen den Skeptizismus und Relativismus jeder Form und jeder Epoche gewonnen? Vielleicht von Rechts wegen und virtuell. Tatsächlich aber nicht; denn angesichts der noch kaum angedeuteten Probleme hatte er gar keine Gelegenheit, den ganzen Reichtum und die ganze gebieterische Kraft seiner Philosophie zu entwickeln, oder auch nur zu ahnen. Entweder, so konnte man ihm noch einwenden, wenn ich zugebe eure Voraussetzungen annehme, bin ich eurer Willkür überlassen. Eure Metaphysik ist 22 K.III Nacharistotelische Skeptiker zusammenhängend und umfassend; aber ihr auferlegt sie dogmatisch; mit der gleichen Unbekümmertheit wie ihr sie zur Aussage auferlegt, bestreite ich: 10 , dass ich öffentlich eine eigentliche Metaphysik bekennen müsste. Die Bestätigung von was auch immer es sei, hängt nach allem ab von meinem Wollen. Ihr interpretiert zu Unrecht meine äußeren Handlungen: in Wirklichkeit will ich nichts, ich enthalte mich, ich unterlasse es zu urteilen.... Es steht euch frei, das zu bewerten, dass ich dadurch herabsteige auf das Niveau „einer Pflanze“ ( ) = wie eine Pflanze.... 0 2 Dass, selbst unter der Voraussetzung, dass ich zwangsläufig behaupte (Affirmatio), und meine Aussage das Sein erreichen muss, nach dem eure (= erste Philosophie) die Frage stellt, oder, mit anderen Worten einen absoluten objektiven Wert annimmt. Ich urteile nur über Relatives und im Relativen.... Wer wird mir sagen, ob das Sein im Denken und das Sein der Sachen sich wirklich vereinigen? Der erste Einwand – der einzige, den wir jetzt prüfen müssen – ist der des alten zu seiner Reife gekommene Skeptizismus, nämlich des Pyrrhonismus und der Neuen Akademie. Der zweite Einwand zeigt sich schon vage im alten Skeptizismus, wo er übrigens in einem all zu kindischen Zusammenhang aufscheint oder zu wenig klar formuliert erscheint, um ihn gültig werden zu lassen. Aber er wird die typische Einstellung des wahren modernen Skeptizismus, – der überhaupt nicht mehr, nicht einmal dem Anspruch nach, ein totaler Skeptizismus ist – wir wollen sagen des Relativismus. Sehen wir kurz, was der griechische Skeptizismus der nach-aristotelischen Periode war. ímoioc futÄ pr¸th filosofÐa 25 §2. – Das Problem der Ausgeglichenheit und der Pyrrhonismus. Die Höhepunkte folgen sich gegenseitig in unangenehmer Weise. Auf den plötzlichen Aufstieg des philosophischen Denkens, ausgehend von einem Plato und einem Aristoteles, folgte eine absteigende Phase, man könnte leichthin sagen eine Erschöpfungskrise. Aufgrund von Umständen, die wir hier nicht zu analysieren haben, waren die Hauptinteressen ausschließlicher individualistisch geworden, mehr verbunden mit psychologischen und moralischen Problemen, von Interesse für das persönliche Glück. Und unglücklicherweise hatte sich in der gleichen Zeit der spekulative Horizont verengt. Die direkten Erben des Aristoteles, authentische Vertreter der peripatetischen Schule, fügten sich darin, das zu verlieren, was den hohen synthetischen Wert der Lehre des Meisters ausmachte: wenn sie seine Dialektik im formalistischen Sinn weiter entwickelten, wenn sie 23 Buch I Erwachen des Geists der Kritik seine Physik ohne große Originalität fortsetzten, verstanden sie immer weniger von dieser (= erste Philosophie), die doch die höchste und notwendige Einheit des ganzen Systems war, die Krönung, die die Stabilität und den Zusammenhalt sicherstellte. Es genügt, um den lebhaften Eindruck einer bevorstehenden Auflösung zu haben, in den philosophischen Fragmenten, die uns von Theophrast, (gestorben gegen 288 a.C.) geblieben sind, obwohl Schüler und Freund von Aristoteles, die gegen wesentliche Punkte der peripatetischen Metaphysik erhobenen Einwände zu lesen. Nun aber hatte in der systematischen Einheit der aristotelischen Philosophie das Problem der Vollkommenheit und des persönlichen Glücks im Voraus seinen gebührend Platz gefunden und seine weitgehend umfassende Lösung, wenn auch nicht vollendet in jeder Hinsicht. Was geschieht nun? „Die peripatetische Metaphysik verfällt der Vergessenheit, die Idee dieses immateriellen Prinzips, an dem sie alles aufgehängt hatte, verschwindet oder löst sich nach und nach wie ein leeres Gespenst auf, das Schicksal des Menschen, seine Vollkommenheit und sein Glück bleiben ganz in der Abhängigkeit von den Meinungen und den Leidenschaften, als Beute der heftigen Bewegung (Aufregung), der Verwirrung, der die Natur ausgeliefert ist. Auch erlebt man bald wie Theophrast das Leben betrachtet als vom Vermögen (Glück) regiert und nicht durch die Weisheit, wie er die Vollkommenheit und das Glück ganz vom Zufall der äußeren Umstände abhängen lässt. Alle Lehrmeinungen, die seine Zeit hervorbrachte, kann man betrachten wie eben so viele Versuche, einem so entmutigenden Abschluss zu entkommen. Alle nehmen sich das höchste Gut, das Heil des Menschen als hauptsächliches Ziel vor: alle geben ihm als Grundlage die Vermeidung von Verwirrung, die Unerschütterlichkeit, die Ataraxie.“ (Ravaisson, Versuch über die Metaphysik von Aristoteles, Band II, p.71.) pr¸th filosofÐa 26 Aber wie kann man dem Menschen dieses passive oder negative Wohlbefinden verschaffen, das einzige das er von nun an erstreben könnte, die „Ataraxie"? An der Lösung dieses praktischen Problems werden sich im Lauf der Jahrhunderte die drei Hauptströmungen des philosophischen Denkens verzweigen. Der Epikuräismus wird die auf den Sinnen beruhende Antwort geben, der Stoizismus die voluntaristische und monistische Antwort. Aber vorher hatte der Skeptizismus des Pyrrhon seine sehr besondere Antwort formuliert. Pyrrhon von Elis, (gestorben mit 90 Jahren, gegen 275), ohne im mindesten ein Sophist oder ein Opportunist zu sein, zeigt sich dennoch als geistiger Erbe des Skeptizismus der alten Sophistik. Offen gestanden ist bei ihm der Moralist im Vordergrund: er sucht vor allem den Weg des Glücks und der Tugend. Lässt er sich, um ihn zu skizzieren, wie man es behauptet, von den negativistischen Mystikern von Indien inspirieren? Dies ist möglich; aber er besaß in den griechischen philosophischen Traditionen alle logischen Voraussetzungen seiner Haltung. Das Glück, dies ist abgemacht, besteht für den Menschen vor allem in der 24 K.III Nacharistotelische Skeptiker Unerschütterlichkeit: (=Apathie). Legen wir also die Verwirrungsquellen trocken. In Wirklichkeit gibt es eine einzige tiefe Quelle von Verwirrung: das absolute Urteil, das wir haben über die Natur der Dinge, über ihr Gut-sein oder ihr Schlecht-sein; von dort entstehen in uns die Wünsche und die Befürchtungen, die uns erregen. Aber was wissen wir tatsächlich von der Natur der Dinge? von „gut“ und von „böse“ an sich? Wir erleiden Erscheinungen, und wir regeln unser Verhalten nach ihnen: dies ist alles. Aber die Erscheinungen sind etwas Gleichgültiges ( = was nicht von Interesse ist) über die ein Weiser sich gar nicht aufzuregen hat. Dass er sich praktisch nach ihnen richtet als diesen Erscheinungen, damit diese in ihm den Gleichmut, den Frieden bewirken, das nennt man mit anderen Worten: die Tugend üben. Aber vor allem dadurch, dass er sich dessen enthält, was der schicksalhafte Grund aller Störung ist, das heißt, nichts zu definieren ( = nichts festsetzen), nichts zu behaupten (Affirmation) ( ), nichts mit einer rationalen Bevorzugung zu bevorzugen, ( = nichts für besser halten). Das Geheimnis des Glückes, da unsere Urteile so gut wie trügerisch sind, ist die Enthaltung von allem Urteilen, das uns auf dem Boden der Dinge festhält und dies ist die . Sagen wir nie: das ist; sondern: das scheint. Wir werden so die Ataraxie (Ausgeglichenheit) erhalten. Solches war, wenn wir Timo seinem Schüler glauben können, der skeptische Moralismus von Pyrrhon. Bemerken wir, dass er bei seiner Darstellung zwei Aspekte vermengt, die man streng genommen trennen könnte: zuerst eine negativistische Askese des Geistes, von der Befürchtung der Störung eingeflößt, die aus dem Urteil folgen würde; zweitens, eine Behauptung unserer Machtlosigkeit, die Wirklichkeit zu erkennen. Alles das übrigens verdoppelt durch eine Art Kunstgriff, die Erscheinungen als sie selbst zu benutzen unter dem Gesichtspunkt der Ataraxie (=Unerschütterlichkeit). Die Schule des Pyrrhon erlosch bald, um wiedergeboren zu werden, gegen Anfang der christlichen Ära, mit Enesidem und den Neupyrrhonisten; in der Zwischenzeit wurde die unmittelbare Nachfolge von den Gründern der Neuen Akademie übernommen. ân t¬ pajeÐø diforon oÎdàn årÐzein fasÐa oÎdàn mãllon [êqein] âpoq 27 §3. – Der Probabilismus der Neuen Akademie. Gegen Anfang des IIIten Jahrhunderts vor J. - C, drückte Arcesilas, (315 241), als Reaktion gegen den von Zeno dem Stoiker übertriebenen Dogmatismus, der Akademie ganz offen eine skeptische Orientierung auf. Die neue Schule, die daraus entstand, kümmerte sich keineswegs um den Moralismus von Pyrrhon, sondern bekannte sich öffentlich zu einem vor allem spekulativem Skeptizismus. Was genau die Lehre des Arcesilas war, weiß man nicht, weder mit voller Gewissheit noch mit viel Einzelheiten. Es scheint sicher, dass er die absolute Enthaltung vom Urteil, die , pries, wobei er, indem er sich verteidigte, dabei dogmatisch âpoq 25 Buch I Erwachen des Geists der Kritik die Notwendigkeit dieser Haltung ausdrückte. Er gab nicht zu, dass, wenn man die rationale Gewissheit opfert, man auch das Handeln opfern musste, denn ihm zufolge kann die Vorstellung der Dinge unseren Willen in Bewegung setzen, ohne fest für etwas Objektives gehalten zu werden. Die Wahrscheinlichkeit oder der Schein der Wahrheit reicht zur Ausrichtung unseres praktischen Lebens. Der große Mann der Neuen Akademie war Carneade (214 -129), unbeugsamer Gegner des stoischen Chrysipp, wie es Arcesilas gewesen war gegen Zenon. Mit seinem Vorgänger fasst er jede wirklich philosophische Haltung zusammen in der . Seine Klagegründe gegen das absolute Urteil haben nichts besonders Originelles: Fehlen eines unterscheidenden Kriteriums der Wahrheit und des Irrtums; Unmöglichkeit eines rationalen Beweises der, unter Androhung, endlos ins Unendliche zu gehen, schicksalhaft eine petitio principii (Zirkelbeweis) impliziere; Nichtigkeit also des Wissens und der Aussage : dies war dort das gewohnte skeptische Gepäckstück, das er nur in bessere Ordnung brachte. Seine Originalität steckt vor allem in seiner Theorie der Wahrscheinlichkeit, eine wahre „Theorie der Praxis“ zum Gebrauch von Zweiflern. Die Idee das Tun nach der Wahrscheinlichkeit zu regeln taucht schon vage bei den Sophisten auf ; sie scheint vor allem bei Arcesilas behauptet worden zu sein. Carneades arbeitet sie aus und systematisiert sie. Das Glück verschmilzt sich nicht mehr mit der Enthaltung von jedem Urteil: denn die Welt der Erscheinungen drängt sich unserem Tun auf und wohl oder übel müssen wir mit damit rechnen; selbst alle Erscheinungen haben nicht eine gleiche Beziehung zum Erreichen unseres persönlichen Wohls: Für das Fehlen gewisser Werte, präsentiert sie uns wenigstens eine Skala von wahrscheinlichen Werten. Der Weg des Glückes wird sein, nach der größten Wahrscheinlichkeit zu suchen, um sich nach ihr zu richten. Es gibt drei hauptsächliche Grade von Wahrscheinlichkeit: die einfache Wahrscheinlichkeit ( = Glauben erzeugende Vorstellung), die nicht-widersprochene Wahrscheinlichkeit, die Kohärenz in der Wahrscheinlichkeit ( = Glauben erzeugende und ungestörte Vorstellung), schließlich die Wahrscheinlichkeit nicht nur zusammenhängend, sondern bewährt von jeder Seite, von der aus man „die Forschungs-Reise gemacht hat“ , ( = Glauben erzeugende und ungestörte Vorstellung, die im Kreis durchlaufen wurde). Eine Skala von wahrscheinlichen Werten zuzugeben, das bedeutete, der logischen Wahrheit eine Ehrenerklärung zu geben und sozusagen das Prinzip des Skeptizismus zu verleugnen. Hat Carneades das wahrgenommen? Auf jeden Fall konnte diese Abweichung, auch dann wenn sie unbemerkt durchgegangen sein müsste, der immanenten Logik der geschichtlichen Ursachen nicht entgehen: von diesem Moment ab orientierte sich die Neue Akademie auf eine eklektische Metaphysik hin. Der Skeptizismus – dies war unausbleiblich – ging daran unter, dass er sich organisieren wollte. âpoq 28 fantasÐa pijan fantasÐa pijan kaÈ perÐspastoc fantasÐa 26 pijan kaÈ perÐspastoc kaÈ periwdeumènh K.IV Einschätzung des Skeptizismus §4. – Der Néo-Pyrrhonismus. Der Skeptizismus erstand später in der Form eines erneuerten Pyrrhonismus. Wir treffen hier auf die Namen von Enesidem, (1. Jahrhundert vor J. - C,) und von Sextus Empiricus (gegen Ende des 2. Jahrhunderts der christlichen Ära). Es genügt uns, ihren originalen Beitrag in zwei Wörtern zu markieren. Im Grund begnügt er sich mit einer erweiterten Kodifizierung von Gründen zu zweifeln. Sie finden sich in den Schriften von Sextus, (vor allem in den = Hypothesen des Pyrrhon) angeordnet unter mehreren Vorstehern, unter Titeln ( = Tropen, Topik, normale Wörter ), von denen es scheint, dass sie im Wesentlichen eine Schultradition darstellen. Anstatt die zehn alten Tropen zu zitieren oder nur die fünf Tropen von Agrippa, die die ganze Substanz der ersten enthalten, beschränken wir uns auf die wesentliche Bemerkung von Sextus: alle diese Tropen sind nur Manifestationen der Relativität der menschlichen Erkenntnis: Relativität der direkten Sinneserkenntnis, die sich nicht getreu am äußeren Objekt modelliert; und gleichzeitig, Unmöglichkeit einer absoluten deduktiven Erkenntnis: denn jede Deduktion, bleibt entweder an willkürlich gesetzten Prämissen stehen, oder geht ins Unabsehbare in der Demonstration der Prämissen, oder postuliert den Abschluss in den Prämissen selbst, und stellt also einen Teufelskreis dar. Aber wenn alle Erkenntnis rein relativ ist, welche andere Haltung kann man einnehmen, außer wie immer, die der (Urteilsenthaltung)? Purr¸neiai <Upotup¸seic trìpoi, tìpoi, lìgoi 29 âpoq Kapitel IV allgemeine Einschätzung des Skeptizismus im Altertum Das Wesentliche des Skeptizismus der Sophistiik des Altertums findet sich wieder unter einer ausgearbeiteteren und besser koordinierten Form, im Skeptizismus der nach-aristotelischen Periode. Wir werden also nur diese zweite Phase des alten Skeptizismus anvisieren. Neben sekundären Modalitäten bietet der Gesichtspunkt der alten Skeptiker einen einzigen wirklich charakteristischen, wesentlichen Zug: versuchen wir diesen letzteren von zufälligen Eigentümlichkeiten zu befreien. §1. . Kritik der sekundären Modalitäten des alten Skeptizismus . Muss man sich beim moralischen Aspekt des Pyrrhonismus aufhalten? 27 Buch I Erwachen des Geists der Kritik Als Moralismus scheiterte der Pyrrhonismus erbärmlich. Das musste so sein: ein Skeptiker, der sich ein Ziel vornimmt, führt schicksalhaft zum Scheitern sei es seines Skeptizismus, sei es seines Ziels. Was auch immer es mit dem Wesen der Dinge und mit der Tragweite unserer Wirklichkeits-Erkenntnis auf sich hat, die (Urteilsenthaltung), weit davon weg jemals ein allgemeines Instrument des Glücks zu werden, ist selbst nur in kleiner Dosis, das heißt reduziert auf eine beruhigende Vereinfachung des Lebens, durch Verringerung der theoretischen Vorurteile und durch Dämpfung der störenden Leidenschaften, erträglich. Aber diese bescheidene ähnelt kaum der des totalen Skeptizismus. Selbst wenn diese möglich wäre, abgesehen davon dass sie noch nicht zur Ataraxie oder Teilnahmslosigkeit (erst recht nicht zum Glück) führt, würde sie sogar sich selbst zerstören, könnte man sagen, weil sie sich auf den kühnsten negativen Dogmatismus stützt, den man sich vorstellen kann: nämlich: man ist sicher, dass nichts existiert, so hält man sich zurück, überhaupt etwas zu behaupten: man behauptet das Nichts! Denn wenn ich zufällig nicht sicher wäre, dass nichts existiert, (und ich kann darüber nicht sicher sein als dadurch dass ich meinen Skeptizismus ablege), wer würde mich von der Belästigung der Möglichkeit des Seins befreien, einer Belästigung, die um so verwirrender ist, da ihr Geheimnis mir noch undurchsichtiger, undurchdringlicher erscheint? Und wenn ich nicht sicher bin, dass es undurchdringlich ist – wie kann ich, andererseits, überhaupt über etwas sicher sein, ohne wie ein einfacher Realist zu dogmatisieren? – wenn ich nicht wage, mich selbst einzuschränken durch diese brutale Formel: „das Sein ist unerkennbar“ könnte ich dann also, ohne innere immer wieder auflebende Verwirrung, ohne einen sehr herben und nie siegreichen Kampf, der dauernd den Drang meines ganzen Ich-Selbst nach dieser Chance der Wahrheit, nach diesem blassen und entfernten Schimmer, der vielleicht nur ein Irrlicht ist, aber der vielleicht auch die Schwelle des wahren Wohnsitzes meiner Intelligenz markiert, zurückdrängt? Lassen wir den pyrrhonischen Moralismus auf sich beruhen: die totale ist nicht das Geheimnis des Glücks, nicht einmal der Ataraxie, dies ist ganz klar. Aber vielleicht rechtfertigt sich der Pyrrhonismus als spekulative Haltung? Unter diesem Gesichtspunkt verschmilzt er mit dem Skeptizismus der folgenden Jahrhunderte. Dort treffen sich von neuem, neben der wesentlichen Charakterisierung, die wir nachher noch definieren müssen, sekundäre Züge. Am interessantesten ist dieser Kompromiss-Versuch, den wir oben angezeigt haben, nämlich des skeptischen Prinzips mit den Forderungen des Lebens und der inneren Erfahrung: wir wollen über den „Probabilismus“ von Carneade sprechen. Dieser hatte wohl gemerkt, dass die totale (Urteilsenthaltung) das Wollen unterdrückt und das menschliche Handeln der kapriziösen und tyrannischen Mobilität des reinen Zufalles ausliefert. Nun scheint es aber offenkundig durch unsere ganzes Verhalten, dass wir im Gegenteil aktiv reagieren auf „Erscheinungen“, dass wir uns führen lassen, nicht einzig durch vage erlittene Impulse, âpoq âpoq âpoq âpoq 30 âpoq âpoq 28 K.IV Einschätzung des Skeptizismus 31 sondern durch die Idee einer „Absicht“, durch bewusste „Ziele“. Man erinnert sich, dass Aristoteles daraus eine Widerlegung des Skeptizismus herleitet. Carneade überlässt dem Feuer, was nicht zu retten ist; und zu diesem Preis glaubt er, seinen theoretischen Skeptizismus versöhnen zu können mit der innerlichen Erfahrung unseres Wollens. Er gibt zu, dass wir mit Recht die jeweilige Wahrscheinlichkeit der Erscheinungen abschätzen, das heißt ihre mehr oder weniger wahrscheinliche Beziehung zu den subjektiven Zielen, die wir verfolgen. Da diese Einschätzungen nur Wahrscheinlichkeitsurteile sind, würden sie das Prinzip der unberührt lassen, so glaubte er. Wir wissen, welches Dementi ihm, in der Tat, die eklektische Metaphysik seiner Nachfolger auferlegte. Sehen wir kurz, ob diese geschichtliche Tatsache der Ausdruck einer logischen Notwendigkeit war. Im Wahrscheinlichkeits-Urteil der Mitglieder der Neuen Akademie kann man das Material-Objekt des Urteils, und die Art und Weise selbst der Wahrscheinlichkeit betrachten. Zuerst das Objekt. Dies sollte wenigstens folgendes sein: die Existenz einer Beziehung zwischen solcher und solcher Abstufung von Erscheinungen und dem Erreichen eines verfolgten Ziels. Aber, diese Beziehung zuzugeben, dies ist so viel wie, eine objektive und allgemeine Entsprechung zu postulieren (wovon das exakte Gesetz uns vielleicht nicht bekannt ist) zwischen den vorausgehenden Erscheinungen und dem Erfolg unseres Handelns. Dies ist so viel wie voraussetzen, dass es hinter den Erscheinungen eine tiefe Bedingung gibt, die sie ausrichtet, und die selbst nicht eine Erscheinung ist. Es gibt also etwas Absolutes, das im Objekt des Urteils über die Wahrscheinlichkeit impliziert ist. Und dann, die Wahrscheinlichkeit selbst? Um diese Modalität des Urteils mehr aus der Nähe zu betrachten, stellt man fest, dass sie stillschweigend immer ein sicheres Urteil einschließt. Wir wollen das mit einem Beispiel erklären. Jeder kennt den berühmten Mythos von Herkules, der aufgefordert wird, zwischen dem Vergnügen und der Tugend zu wählen. Stellen wir uns vor, dass der Held aus der Neuen Akademie kam. Die Erscheinungen hätten sich kristallisiert in seinen Augen um zwei hauptsächliche Zentren: der Sinnen-Genuss und alles das, was dieser voraussetzt – das Erstreben des moralisch Guten und alles, was dieses voraussetzt. Die zweite Systematisierung präsentierte sich mit Charakteristiken der Kohärenz und eines Umfangs, die die erstere nicht im gleichen Grad anbot. Herkules nimmt Stellung für die Hypothese, die ihm gleichzeitig (=angenehm, unverrückbar) und (=umfassende) erscheint,; er wählt die Tugend. Versuchen wir, seine Option in logische Momente zu zerlegen. War es ein einfacher unüberlegter Impuls? Offensichtlich nicht; er vergleicht, er wägt die Wahrscheinlichkeiten ab, er überlegt. Die Option hatte also rationale Voraussetzungen. Sie müssten, in letzter Analyse, auf Folgendes hinauslaufen : âpoq pijan , perÐspastoc periwdeumènh 29 Buch I Erwachen des Geists der Kritik 32 10 ein spekulatives Wahrscheinlichkeitsurteil: „Es ist wahrscheinlich, dass die Tugend einen Wert hat, dass das scheinbare System der Voraussetzungen und der Konsequenzen der Tugend eine gewisse Wirklichkeit hat.“ 20 ein praktisches Urteil: „Es ist für mich gut, mein Handeln an dieser Wahrscheinlichkeit auszurichten. “ Nun aber sind im Fall einer rationalen Option diese beiden Urteile sicher und absolut. Schließen wir daraus, dass Carneade – implizit – nicht nur einen wahrscheinlichen Probabilismus, nicht nur einen wahrscheinlichen Realismus, sondern einen sicheren Realismus offen zugibt. Von dem Moment an, wo er im Menschen anerkannte unleugbar die Anwesenheit des Wollens und Handelns, wurde sein Skeptizismus angefressen: kein skeptischer Probabilismus kann ein totaler Skeptizismus sein. Wir verwerfen also den Skeptizismus der Neuen Akademie in die buntscheckige Klasse der partiellen Skeptizismen. Und es ist auch dort, wo wir die NeuPyrrhonisten einordnen müssen, wenn wir ihrer Systematisierung der Gründe für den Zweifel einen gewissen Kredit einräumen, nämlich diesen in den von Sextus Empiricus. so reichlich entwickelten und illustrierten „Tropen“, Denn es steht niemand wohl an, sich für einen totalen Skeptizismus durch so viele Gründe zu rechtfertigen. Keiner kann logischerweise ausschlaggebend sein; und ihre Anhäufung hat ganz genau den Wert eines Verfahrens der Einschüchterung der spekulativen Vernunft. Fügen wir hinzu, dass man in diesen Tropen einige Vorwegnahmen wirklich kritischer Gesichtspunkte findet, aber dass man dort noch mehr Kindereien und Paralogismes antrifft. Die Gesamtheit des Sammelwerks des Wissens der Skepsis übt keine große Anziehungskraft mehr aus: wenn uns nach einer Zwischenzeit von 18 Jahrhunderten etwas daran verwirrend erscheinen sollte, wäre das einzig das Grund-Prinzip jedes Skeptizismus, der in diesem Plunder schwelt, wie die Glut unter der angehäuften Asche. Purr¸neiai <Upotup¸seic §2. – Radikale Kritik des alten Skeptizismus: die Notwendigkeit der Aussage. Was ist es also, dieses fundamentale Prinzip, die ursprüngliche Schwachstelle jedes unverfälschten Skeptizismus? Wir sind ihr zu wiederholten Malen auf den vorausgehenden Seiten begegnet und Aristoteles hatte sie mit einer perfekten Richtigkeit angemerkt: dies ist der Zweifel am „ersten Prinzip“, mit seiner Folgerung für die Praxis, der Urteilsenthaltung ( ) ; mit anderen Worten ist dies das Verbot der Aussage (Behauptung). Wenn man dem latenten oder formalen Realismus der ganzen antiken Philoâpoq 30 K.IV Einschätzung des Skeptizismus 33 sophie Rechnung trägt: das heißt der praktisch angenommenen Identifizierung, zwischen dem Absoluten der Aussage und dem Absoluten des Objekts, versteht man leicht, warum die Widerlegungen des Skeptizismus im Altertum sich unabänderlich auf die zwei Typen beschränken, die wir schon kennen,: 1. Man versucht, die Antinomien oder die scheinbaren Widersprüche zu lösen, die die Aussage zu zerstören schienen. Dies war die Methode von Sokrates: nachdem er den vorlauten „Sophisten“ öffentlich mit verletzender Ironie gedemütigt hatte, bemüht er sich, im Sophisten den „Skeptiker“ zu heilen, indem er ihm hilft, selbst seine Gattungs- und Art- Begriffe zu verbessern. Denn für gewöhnlich genügt es, um die Widersprüche verschwinden zu lassen, die Vernunft hinzuführen zu einem nüchternen Gebrauch wohldefinierter Begriffe. Dies war vor allem die Methode von Plato, dann von Aristoteles, dessen gesamte Metaphysik, durch die vollständige und zusammenhängende Systematisierung der großen rationalen Gesichtspunkte, die menschliche Intelligenz vor der Versuchung schützen musste, gerade vor den überall aufgetauchten Antinomien zu kapitulieren. Wurde diese Absicht erreicht, tatsächlich oder vielleicht nur zu Recht? Mindestens wurde ein Prinzip der Lösung des kritischen Problems aufgestellt : das vollständige und verkettete Inventar des Formalobjekts unserer Intelligenz. Die Frage wird sich stellen, zu wissen, ob dieses Lösungsprinzip dem Problem angemessen ist. 2. Oder, und, dies war die zweite Form der Widerlegungen, man überraschte den Skeptiker in flagrantem Widerspruch mit sich selbst. Einerseits behauptet er öffentlich die Urteilsenthaltung ( ) und die Aufhebung des Wollens, die diese mit sich bringt. Auf der andere Seite will er und befürchte er unendlich viele Dinge; aber das Wollen und die rationalen Tendenzen sind genauso viele ausdrückliche oder verheimlichte Aussagen. Kurzum, man zeigt dem Skeptiker dass er affirmiert (behauptet), was auch immer er sagt. Was waren diese Beweisführungen wert? Sicher konnten sie in Sonderfällen wirksam sein. Löst alle meine Zweifelsgründe, so kann ich mich von meinem Zweifel befreien, vor allem, wenn ihr mir ein gesamtes und lückenloses System vorschlagt, das mich im voraus gegen den Skandal des Widerspruchs schützt. Aber, selbst wenn die Kohärenz meines Denkens gewährleistet ist, bleibt mir nicht der Zweifel immer noch möglich? Ich habe keinen Grund, zu zweifeln: habe ich einen Grund, zu affirmieren (behaupten)? Kann ich mich nicht in einen negativen Zweifel einschließen? Wir geben das gerne zu, dass der nichtWidersruch allein nicht genügt, diese Anfangs-Trägheit zu überwinden, wie sie ein allgemeiner negativer Zweifel sein würde. Gleichwohl sind wohl da die Grenzpunkte des Problems? Begegnen wir am Ausgangspunkt der Metaphysik wirklich einer rein passiven Intelligenz, die völlig gleichgültig dem ja und dem nein gegenüber ist, nach Art einer reflektierenden Oberfläche, die darauf beschränkt ist, die schöne Ordnung der Bilder, die über sie hinweg gleiten, festzustellen? Diese Grundfrage wird eine vollständige Antwort erst am Zielpunkt unserer kritischen âpoq 31 Buch I Erwachen des Geists der Kritik 34 Untersuchung finden. Bleibe der zweite Weg: Die Aussage (Behauptung) erbarmungslos beim Skeptiker selbst aufzuscheuchen. Denn der Skeptiker „will“ ; und die Aussage ist unvermeidlich im Reich des Wollens, da jedes Mal, wenn man will, man implizit oder explizit ein Ziel und eine Ordnung von Mitteln zu diesem Ziel setzt. Zweifellos, noch ein Mal gesagt, dieses Widerlegungsverfahren kann effizient sein, indem es mir zeigt mit vielfachen Beispielen, die praktische Nutzlosigkeit meines Skeptizismus. Aber was wird man mir antworten, wenn ich Ehrenerklärung mache, und eine nach der anderen alle diese partiellen Willensentscheide zurückziehe, die meiner Gedankenlosigkeit entkommen waren? So lange mein Widerredner mich besonderen Zielen gegenüberstellt, gleite ich ihm zwischen den Fingern durch, indem ich der Reihe nach diese sekundären Ziele opfere, um mich zurückzuziehen auf die Sicherheit der Urteilsenthaltung . Um mich zum Widerruf meines Zweifels zu drängen, müsste man mir zeigen, in meinen Haltungen, ein so allgemeines, so mir selbst innewohnendes Ziel zeigen, dass ich es nicht verleugnen könnte. Aber ich hänge nicht wirklich an irgendeiner Haltung, ich engagiere mich für kein definierbares Ziel: ich enthalte mich. Ihr werdet mich überzeugt haben an dem Tag, wo ihr, ihr, Feind des logischen Widerspruchs, zeigen werdet dass das vermeiden des Wollens, Wollen ist, dass „Nicht Wollen Wollen ist“ Dies ist es wohl. Der Skeptiker in der alten Weise wird völlig widerlegt sein an dem Tag, wo man zeigen kann, dass er will, und also dass er behauptet (affirmiert), nicht obgleich er skeptisch ist, sondern weil er skeptisch ist. Und, in der Tat ist die skeptische Haltung wesentlich affirmativ, man kann das einsichtig machen. Es würde dafür eine einfache Feststellung der inneren Erfahrung genügen, daran zu erinnern : die Enthaltung von allem Urteil und allem Wollen als möglich anzunehmen, würde sicher keine leicht einzunehmende und durchzuhaltende Haltung sein. Sie würde eine fortwährende Zurückdrängung von entstehenden Anwandlungen verlangen, eine Verkrampfung gegen immer wieder auflebende Antriebe. Denn, man kann es sich nicht verbergen, die natürliche Tendenz unseres Geistes ist die Aussage, etwas festzustellen und die spontane Bewegung unseres Willens ist, die Aussage durch die Handlung fortzusetzen. Diesem inneren und dauernden Impuls zu widerstehen, dies ist nicht, sich einer vollständigen Passivität, einer absoluten Untätigkeit hinzugeben, dies ist im Gegenteil, gewalttätig gegen sich selbst zu reagieren, kraft einer genauen und festen Entscheidung, dies ist, fest zu wollen nicht zu handeln, dies ist, den Schwung der Intelligenz zur Bejahung durch eine noch fundamentalere und unversöhnlichere Aussage zu brechen. Man will nichts wollen, und man behauptet für sich selbst, nicht nur dass man nichts will, sondern sogar, schicksalhaft dass es besser ist, nichts zu wollen. « Zu wissen, dass man nichts will, schreibt M. Maurice Blondel a propos des Dilettantismus oder der skeptischen Ästhetik, dies ist nichts zu wollen. Und âpoq 35 32 K.IV Einschätzung des Skeptizismus „ich will nicht wollen“, nolo velle, übersetzt sich unmittelbar in die Sprache der Reflexion, mit diesen zwei (lateinischen) Wörtern: „ich will nicht wollen“, volo nolle. Ausgenommen dass man den Gesetzen des Bewusstseins (nicht des moralischen Gewissens, im Französischen dasselbe Wort), sondern des psychologischen Bewusstseins Gewalt antut, ausgenommen dass man unter einer nur rein verbalen Spitzfindigkeit die Wahrheit der Dinge verschleiert, impliziert allein das Gefühl einer Abwesenheit des Wollens die Idee eines Wollens, das nicht will und das verzichtet. » (Die Handlung p.12. Paris,1893.) Unsere Fähigkeiten sind uns, von der Natur her, zu spontaner Ausübung gegeben, zur Bewegung. Die Urteilsenthaltung stellt die gewalttätige Bremsung dar, die wir uns gegenüber ausüben würden, durch eine reflexive und konzentrierte (geballte) Anstrengung. Diese Anstrengung ist doch zwangsläufig eine willentliche Anstrengung, dies ist also die Verfolgung eines „Ziels“ das wir uns zu eigen machen. Welches? Wenn wir unser Urteil zurückhalten, ist es uns in Sonderfällen immer leicht, ein allgemeineres oder wertvolleres Ziel zu definieren, dem wir sekundäre oder weniger anziehende Ziele opfern; all unser rationales Misstrauen: die Vorsicht in der Aussage, das Bedenken bei einer Schlussfolgerung, selbst die partiellen Skeptizismen lassen nur die Liste der von uns erkannten Ziele kürzen. Die Urteilsenthaltung ( ) des allgemeinen Skeptizismus ist ein ungeheuerlicher Versuch, die Zweckbestimmtheit selbst zu unterdrücken. Aber es braucht für diesen gewollten Versuch einen Stützpunkt; und siehe da hier ist die Revanche (Vergeltung) der Sachen: dieser Stützpunkt ist zwangsläufig ein „Ziel“ noch ein beliebiges Ziel, aufgerichtet nicht nur als letztes Ziel, aber als ausschließliches Ziel. Der Skeptizismus erscheint so, gerade in seinem Anspruch selbst, jeden Dogmatismus zu vermeiden, wie der schockierendste und der engste Dogmatismus, den man sich ausdenken könnte. Der Skeptiker behauptet und will. Und was will er? Herr Blondel hat es gezeigt mit einer einzigartigen Tiefe: der Skeptiker, der das Leben nutzt und sich dem Geschenk seiner Intelligenz und seines Willens verweigert, dieser Skeptiker hat die einzige und subtile Weise entdeckt, total egoistisch zu sein: denn alle eingewilligte Handlung wäre sie die interessierteste, impliziert noch ein Risiko und ein partielles Weggeben seiner selbst. „Wenn der Liebhaber den Stein aller Idole zwischen den Fingern durch gleiten lässt, dann ist es so, dass er einen anderen Kult hat, die Autolatrie (Selbstanbetung); alles, aus der Höhe des Sternes Sirius betrachtet, wird für ihn gering und kleinlich, alles in allen bleibt nichts Großes, außer der Eigenliebe eines Einzelnen allein, ich.... So verbirgt selbst Nichtwollen ein subjektives Ziel. Nicht einmal nichts zu wollen, dies ist, sich jedem Objekt zu verweigern, um sich für sich ganz zu reservieren und sich alle Begabung, alle Hingabe und alle Selbstverleugnung zu ersparen. “ (Die Handlung) p.16). Da wir hier den moralischen Aspekt des Skeptizismus nicht anzuvisieren haben, werden wir uns mit einer weniger weitgehenden Schlussfolgerung begnügen, die wir für überreichlich gerechtfertigt halten: die höchste Anstrengung des menschâpoq 36 33 Buch I Erwachen des Geists der Kritik lichen Geistes, sich der Aussage zu entziehen, ist selbst wieder eine Aussage. Die Aussage ist also unvermeidlich. Und dies reicht zur Widerlegung des alten Skeptizismus, auf dem realistischen Terrain, das er für sich ausgewählt hat. 34 37 Buch II Die Antinomie des Einen und des Vielen in der antiken Philosophie. Scherereien mit der Kritik des Objekts der Affirmation. 35 Buch II Das Eine und das Viele 38 Kapitel 1. Vorbemerkungen Das Prinzip des metaphysischen Realismus in der Antike 39 Unsere Kritik des alten Skeptizismus endete mit der Schlussfolgerung: die Aussage (Affirmatio) ist unvermeidlich. Sie ist unvermeidlich, weil sich in ihr die Natur unserer intellektuellen Tätigkeit selbst ausdrückt bis zu dem Punkt, dass das Sich-Weigern-zu-behaupten (bejahen, bestätigen) immer noch Behaupten (bejahen, bestätigen) ist. Und die Notwendigkeit der Aussage zieht die Notwendigkeit des „ersten Prinzips“ (des Prinzips der Identität) nach sich, da die Aussage ohne das „erste Prinzip“ sich selbst zerstört. Die Identität mit sich ist wohl das Minimum, was man von einem beliebigen Objekt behaupten könnte,. Ohne sich immer sehr klar darüber zu äußern, waren die Alten sich dessen bewusst, dass diese vorläufige Kritik der Aussage ausreichte, um ihren objektiven Realismus zu begründen, das heißt, die absolute Geltung des Inhalts der Erkenntnis zu fundieren. Versuchen wir, das Warum ihrer Unbefangenheit zu entwirren, das, wenn es keine wenigstens latente logische Rechtfertigung gehabt hätte, nicht so stark und dauerhaft gewesen sein könnte. Um den dem „ersten Prinzip“ im ganzen Bewusstseinsinhalt ohne Ausnahme zuerkannten Einfluss zu erwägen, muss man anerkennen, dass diese allgemeine Zuständigkeit eine grundlegende Wahrheit impliziert: jeder Gegenstand, (jede objektive Gegebenheit des Bewusstseins) ist, gehört dem Bereich des „Seins“ an. Denn, um mit sich identisch zu sein, muss es zuvor, auf die eine oder andere Weise, „sein“ „prius est esse quam sic esse“ (das Sein geht dem So-Sein voraus). Anwendung des Prinzips der Identität oder des Widerspruchsprinzips auf ein Objekt, heißt also, über dieses Objekt ein implizites aber absolutes Urteil über das Sein abgeben. Wünscht man darüber noch mehr Evidenz? Behaupten wir in der Tat das Gegenteil, und wir werden sehen, dass dadurch eine logische Ungereimtheit deutlich sichtbar wird: „Ein Gegenstand meines Denkens ist in gar keiner Weise „Sein“, ist total „Nicht-Sein". Damit ein solcher Satz einen Sinn hätte, müsste das totale „Nichtsein“, das „absolute Nichts“ denkbar sein. Aber wir wissen – man wusste es lange vor den scharfen und unwiderleg- 36 Kap. 1 Vorbemerkungen baren Analysen von M. Bergson – dass die Idee des Nichts nur eine pseudo-Idee ist, eine verbale Zusammensetzung, der nicht irgendein homogener (sich gleichartiger) Begriff entspricht (und nicht entsprechen kann). Das behauptete „Nichts“, das wir uns vorstellen, ist immer relativ, immer das Nichtsein von etwas: überhaupt nicht das absolute Nichtsein, sondern nur „das Andere“, das heißt immer noch das wirkliche oder mögliche Sein. Aber wenn das Nichts gar nicht denkbar ist, dann gilt von allem Denkbaren, dass es ist. Und wir finden so in einer unmittelbaren Anwendung des „ersten Prinzips“ die absolute und allgemeine Aussage des Seins, unter Ausschluss des Nichts. Solcher Art ist, so scheint es uns, die mehr oder weniger bewusste Grundlage des metaphysischen Realismus bei den Griechen. Gleichwohl ist für das griechische Denken die Tatsache, dass es sich das wesentliche Prinzip des Realismus als eine ursprüngliche Notwendigkeit auferlegte, nur ein Vorspiel seiner kritischen Arbeit. In der Tat, wenn jeder Inhalt des Denkens der Gegenstand einer absoluten Aussage des Seins ist, müssen – unerlässlicher Weise – unter Androhung von neuem das „erste Prinzip“ zu zerstören und mit ihm die Möglichkeit selbst der Aussage, die aller verschiedensten Inhalte des Denkens sich untereinander in der Einheit des Seins in Einklang bringen, zum Schutz gegen den logischen Widerspruch. Die theoretische und praktische Zusammenhanglosigkeit zu entlarven, wie es Aristoteles gegen die Sophisten machte, und um es klar zu sagen, die Unmöglichkeit des ungekürzten Skeptizismus, das war im Grunde nur in einer ausdrücklicheren und schon kritischen Art und Weise die Wiederaufnahme des noch nur instinktiven Postulats des gesamten antiken Realismus. Aber wenn man daran festhielte, wenn man darauf verzichtet hätte, die Antinomien des Inhalts der Aussage aufzulösen, hätte man, wenn möglich, die intellektuelle Verwirrung verschlimmert, aus der die Sophistik entstand; denn nachdem der Geist ein Mal darin einwilligte, Kenntnis von seiner unheilbar affirmativen Natur zu nehmen, verbot er sich, gegen den überall drohenden Widerspruch, die höchste und trügerische Zuflucht zur Urteilsenthaltung ( ). Der Widerspruch verlangte gebieterisch, überwunden zu werden. Es handelte sich von nun an, – Aristoteles, seine erste Philosophie entwerfend, hatte das sehr richtige Gefühl dafür – es handelte sich darum, sich mit der Notwendigkeit der absoluten Aussage zu schützen, wie mit einer ein für alle Mal gesetzten kritischen Präambel, die Gesamtheit der Objekte dieser absoluten Aussage in ein gebührend ausgeglichenes System zu organisieren; mit anderen Worten, es handelte sich darum, eine streng zusammenhängende und genügend verständliche „Metaphysik“ zu errichten, damit der ganze objektive Inhalt des menschlichen Denkens dort seinen definierten Platz findet. Wir haben gerade das methodologische Prinzip der Erkenntniskritik aufgestellt, wie es die Alten verstanden, das heißt die Antike und das Mittelalter. Wir âpoq 37 Buch II Das Eine und das Viele 40 sagen richtig: „der Kritik der Erkenntnis“; denn es wäre eine Einseitigkeit, die großen Philosophien der Vergangenheit der dogmatischen Naivität zu beschuldigen. Sie waren „Kritiker“ auf ihre Weise; nur, ihre Kritik, wenn man uns diese ungewohnte Wörter-Paarung erlaubt, war eine metaphysische Kritik des Objekts der Erkenntnis. Die metaphysische Kritik des Objektes würde total an dem Tag vollendet werden, wo der ganze Inhalt des Denkens geordnet und koordiniert wäre, reibungslos und widerspruchsfrei: in diesem Fall würde sich in der Tat die notwendige und absolute Aussage des „Seins“ angewandt und abgestuft finden, ohne irgendeine Unbestimmtheit, und also auch ohne mögliche Abweichung. Die Antinomie von der Vielfalt und der Einheit, fundamentales Thema der menschlichen Metaphysik, wäre definitiv überwunden. Aber markiert dieses unveränderliche Ideal nicht, für die menschliche Vernunft, eine Grenze? Wird der menschliche Geist niemals sehen, außer er durchbricht die Fesseln seiner eigenen Natur, dass sich der irrationale Teil, der in ihm ruht oder an dem er sich stößt, total aufhellt? Wir werden quer durch die gewundene Geschichte der Metaphysik nach der Antwort auf diese Frage suchen; und wir werden auf diese Weise zur modernen Position des Problems der Erkenntnis hinführen. Unser Gang wird sich in drei hauptsächlichen Etappen vollziehen. Die erste, sehr kurz, wird die präsokratische Periode des antiken Realismus umfassen; wir werden da die Antinomie des Einen und des Vielfachen sich entfalten sehen. Die Zweite wird nacheinander die zwei parallelen Phasen, die antike und die mittelalterliche, der alten Kritik vorführen: alle beide werden uns auf ihrem Höhepunkt die synthetische Lösung der Antinomie vorlegen. Die dritte Etappe wird den Übergang von der alten Kritik zur modernen Kritik darstellen: wir werden da zeigen, wie die Lockerung der im Mittelalter erarbeiteten metaphysischen Synthese die Antinomie von neuem hervortreten ließ und die Kritik von Kant unvermeidlich machte. 38 Kap.2 Bei den Präsokratikern 41 Kapitel II Das Hin und Her zwischen den Gliedern der Antinomie bei den Vorsokratikern Schon seit seinem Erwachen sieht sich der menschliche, wesentlich auf Vereinheitlichung ausgerichtete Geist im Ringen mit der Vielfalt der Gegebenheiten; er schlägt sich gegen die Antinomie des Einen und des Vielfachen, ohne sich im Übrigen unmittelbar des wirklichen Umfangs des Konflikts bewusst zu werden. In der Tat verraten die ersten kosmologischen Systeme noch nicht das Wozu der instinktiven Einigungsarbeit, zu der die unbeständige und verschiedenartige Natur, den Geist provoziert, der sie betrachtet. Erst später musste man sich Rechenschaft geben, dass die schon skizzenhaft angedeutete kosmologische Spekulation, nur zu einer systematischen Aufgliederung der Etappen eines grundlegenden und, an sich, unabsehbaren Vorganges führte: der Einführung der Einheit in die Vielfalt. Es fanden sich tiefe und unerschrockene Geister, die sich diesen vereinheitlichenden Anspruch des Denkens ausdrücklich zum Bewusstsein brachten, um ihm daraufhin, mit einer jugendlichen Freigebigkeit, die volle Aufmerksamkeit einzuräumen . Solche waren die zwei Denker von Elis: Xénophanes, der Poet und Vortragskünstler, (565 -473), dann vor allem Parmenides, sein Schüler, (geboren gegen 544), auch er Dichter, in den Dialogen von Plato : (der Berühmte) genannt. Alle beide, der Meister und der Schüler, behaupten die absolute Einheit des „Seins“. Aber sofort lehnt sich die Vielfalt der Erfahrung gegen diese gebieterische Stellung der Vernunft auf. Und vielleicht mit gleichem Echo gelingt es, bis ins Groß-Griechenland, ganz entgegengesetzte und nicht weniger scharfe Thesen, am anderen Ende der griechischen Welt unter dem Patronat von Héraklit von Éphesus (wahrscheinlich geboren, gegen 544) zu verbreiten: indem man die Vielfalt in den Vordergrund des Wirklichen schiebt, bildete sie das Gegenteil der These der Eléaten. Schon seit diesem Moment nahm die Antinomie vom Einen und dem Vielfältigen ihre ganze Schärfe im philosophischen Bewusstsein an. Wir wollen die zwei einseitigen und unversöhnlichen Haltungen näher betrachten, die den Konflikt mehr unterstreichen, als ihn zu lösen: die Haltung von Heraklit und die Haltung der Eleaten. å 42 mègac a), Heraklit: Vorherrschaft der Vielfalt. Ganz an den Anfangt seiner Lehrmeinung plaziert der alte und rätselhafte Denker von Ephesus die Erfahrungswirklichkeit der Veränderung: , alles ist pnta reĩ 39 Buch II Das Eine und das Viele „Werden“. Und wenn alles „Werden“ ist, dann ist alles „Vielfalt“: innere Vielfalt der Dinge in Bewegung, die in der Dauer ablaufen,: „man steigt nicht zwei Mal in den gleichen Fluss, da er ständig neue Gewässer führt“, (Cf. Diels. Die Fragmente der Vorsokratiker. 2 Aufl. Bd. I. 1906, p. 69, fragm. 49 a, und p. 75, fragm. 91); Vielfalt in der widersprüchlichen Mannigfaltigkeit sogar der Eigentümlichkeiten einer Sache selbst: „das Meerwasser ist gleichzeitig das Reinste und das Verdreckteste, trinkbar und das Leben erhaltend für die Fische, untrinkbar und tödlich für die Menschen“, (Ebenda. p. 70, fragm. 61). Übrigens hat der Widerspruch nichts, was den Philosophen entmutigen müsste: er ist sogar der Hebel des „ Werdens“, und bildet infolgedessen das Innerste, den Kern der Dinge, in ihrer wesentlichen Veränderlichkeit: (Krieg ist 5 der Vater von allem) . pìlemoc pat r pntwn 5 Dieses berühmte Wort hat als Symbol einer kosmologischen Vorstellung im Fragment des Heraklit, wo man ihm begegnet, eher einen im wörtlichen Sinn soziologischen oder politischen Sinn. Es drückt übrigens vortrefflich die Grundlage der Kosmogonie des alten Denkers aus. Heraklit findet so sehr Gefallen daran, die Veränderlichkeit und den inneren Widerspruch der Gegenstände zu unterstreichen, dass die absolute Aussage nichts mehr wirklich zu finden scheint, woran sie sich halten könnte. Denn es ist überhaupt keine Aussage möglich ohne eine sichere, zusammenhängende und standfeste objektive Einheit. Dennoch stellt er mehr mit einer Art metaphysischem Instinkt als durch eine strenge Beweisführung, wenn auch nur recht oder schlecht, diese notwendige Einheit wieder her: er entdeckt sie gerade in der Form selbst des universellen Werdens und in der Harmonie des universellen Kontrastes: dem wahrhaft göttlichen Logos, der in den Dingen wohnt. Die realistische Parallelität des Denkens und der Dinge bleibt völlig erhalten, aber Dinge und Gedanken, beseelt durch ein gleichartiges aktives Prinzip (das „Feuer“), werden vom gleichen Rhythmus (Ablauf) in die schwindelerregende Bewegung eines unendlichen Werdens mitgerissen. So also zeigt sich in den Augen von Héraklit die objektive Existenz genau in der Vielfalt. (Das Viele): die Einheit dieses Vielfachen ist rein formal und tendenziell. Die Vielfaltsidée, die bald die Skeptiker in die unheilbarste Verwirrung und, Ratlosigkeit bringen musste, – brachte dagegen, sich mit der Idee der Gleichartigkeit (Homogenität) mischend, für die Philosophien der Atomisten eine dem Anschein nach sehr feste Grundlage. Ob sie sich Démokrit oder Anaxagoras nannten, angetrieben durch den Instinkt der Vernunft zur Vereinheitlichung, bemühten sich die Atomisten, auch sie, die unendliche Mannigfaltigkeit der Dinge zu verringern: nur verwechseln sie Einheit und Gleichartigkeit (Homogenität), sie führen die qualitative Verschiedenheit zurück auf räumliche Anordnungen identischer Atome, und die Veränderung auf Umstellungen, die diese Atome erleiden. Die so in die Dinge eingeführte Vereinfachung hat nur eine Einheit in t 43 40 poll Kap.2 Bei den Präsokratikern der Erscheinung: es ist die Einheit der Quantität und der passiven Bewegung mit anderen Worten die reine Vielheit, die materielle Homogenität, die Trägheit. Und für sie vereinnahmt die materielle Quantität die Objekte ebenso wie das Denken. In den Objekten wird der Logos des Heraklit, harmonische Form und Steuerungsprinzip, ersetzt durch die räumliche Anordnung der Atom Gruppen; im Geist gerät die intelligible Einheit der Idee in Verfall, und ist nur noch die Gruppierung elementarer Sinneswahrnehmungen. Die Parallelität zwischen dem Geist und den Dingen bleibt also auch hier wieder bestehen, aber auf Kosten der eigentlichen Einheit. b) Die Eleaten: Vorherrschaft der Einheit. Gegen die universelle Veränderlichkeit von Heraklit halten die Eleaten, Nachfolger von Xénophanes, und an erster Stelle Parmenides, die Rechte der Einheit aufrecht, oder übertreiben sie sogar. Sie halten sich auf dem gemeinsamen Terrain des Realismus auf: der objektive Gedanke ist streng koextensiv mit dem „Sein“: (Denn das selbe ist Denken und Sein) Parménides. Cf. Diels, op. cit. p.117. Parmenides, fragm. 5). Nun aber versichert Parmenides, das „Sein“ stellt sich kontradiktorisch gegen das „Nichtsein“. Also ist allein das „Sein“; es allein kann gedacht werden: das „Nichtsein“ ist nicht und kann nicht gedacht werden, (Ebenda. fragm. 6) : tä gr aÎtì noeĩn âstÐ te kaÈ eÚnai perÈ qr eÚnai tä lègein te noeĩn t' êon êmmenai êsti gr FÔsewc eÚnai mhdàn d' oÎk ... Es ist nötig, es muss das Sagen und das Denken Sein sein, denn nichts sein ist eben nicht sein Berauscht durch diese noch neue Metaphysik, führt der Dichter-Philosoph seine grundlegende These bis zum Endpunkt weiter: er formulirt das scharfe Dilemma: „sein“ (total) oder „nicht sein“, (nicht sein in keinem Grad) (op. cit. p. 119, fragm. 8, um 15 -16) : ... dà krÐsic perÈ toÔtwn ân tÄ d' âstÐn: êstin ¢ oÎk êstin Die Entscheidung über diese besteht aber darin dass es ist: Es ist oder es ist nicht 44 Nichts Mittleres. Keine Spur von Nichtsein kann das Sein kontaminieren. Die Vielfalt, die Teilbarkeit, die Veränderung, die Bewegung implizieren Nicht-Sein. Also weder das Vielfache, noch das Wechselnde sind. Das Sein ist unteilbar, unveränderlich, bewegungslos: es ist Eines. 41 Buch II Das Eine und das Viele Da das Sein eines ist, ist unser objektives Denken, das, was uns Wahrheit des Seins liefert,( ) zwangsläufig monistisch. Aber wie kommt es dann, dass die Vielfalt unseren Geist vereinnahmt und in den Objekten erscheint? Die Vielfalt hat keine objektive Wirklichkeit; sie ist das trügerische Werk unserer Sinn, die die Einheit des „Seins“ zerlegt; sie ist reiner Schein: . Die Quelle alles Pluralismus ruht im sinnenbehafteten Subjekt, das dem Nichtsein unvorsichtigerweise eine erdichtete Objektivität verleiht. Man sieht, wie die Eleaten sich von der Antinomie befreien: sie opfern die Vielfalt im Objekt; ihre Metaphysik ist ein Monismus des „Seins“; im erkennenden Subjekt leugnen sie jeden objektiven Wert der Sinneserkenntnis, der Fähigkeit des Vielfachen: ihre Epistemologie ist ein Realismus der reinen Intelligenz. Oder vielmehr empfiehlt es sich, hier einen Vorbehalt zu machen: die Eleaten besitzen noch gar keinen vollkommen bestimmten Begriff der reinen Intelligenz; wenn die Intelligenz für sie die Fähigkeit des „Seins“ ist, stellt das „Sein“ in ihren Augen die „Fülle“ dar, das heißt eine zwingende Wirklichkeit, den Raum zu füllen. Ihr „Sein“, abstrakte Einheit der außerhalb befindlichen Dinge, bleibt diesen immanent und Gefangener der allgemeinen Bedingungen der Quantität. t präc tn l jeian präc dìxan 42 K.3. Antinomie: Synthetische Lösung 45 46 Kap.III Die synthetischen Lösungen der Antinomie der Erkenntnis und das Aufkommen einer kritischen Metaphysik der Erkenntnis Wir haben im vorhergehenden Buch gesagt wie die Übertreibung der Eleaten und das Zusamentreffen mit den Übertreibungen der Veränderlichkeit dazu beigetragen haben, das griechische Denken in eine erste Krise des Skeptizismus zu stürzen. Man weiß, was die Sophistik war. Obwohl sie in sich rein negativ war, wurde sie dennoch zur Gelegenheit eines ansehnlichen Fortschritts in der Metaphysik und führte gerade dadurch zu einem entscheidenden Schritt auf die Auflösung der Antinomie zu. Bis dahin hatte die metaphysische Systematisierung tatsächlich fast ausschließlich nur das „Objekt“ erfasst im engeren Sinn verstanden, das heißt die außerhalb von uns befindlichen Dinge, die Außenwelt; und wenn sie, zufällig, sich bis zum erkennenden „Subjekt“ erstreckt hatte, hatte sie dieses behandelt, dieses auch, vom Äußeren her, als ein Ding unter anderen Dingen. Weil die Kontroverse mit den Sophisten die Notwendigkeit auferlegte, das jedem Inhalt des Bewusstseins gebührende Maß der Aussage streng zu dosieren, und zwar sowohl bezüglich des Inhalts des direkten Bewusstseins als auch des Inhalts des reflexen Bewusstseins, zwang dies dazu, den Bereich der Metaphysik zu überprüfen und zu erweitern. Man musste nicht nur die Metaphysik des „Objekts“ (im beschränkten Sinn) vervollkommnen und zusammenhängend machen, nicht nur die Metaphysik des menschlichen „Subjekts“ (als solches, als Substanz) entwickeln,; sondern auch im Rahmen der metaphysischen Aussage Platz machen für diejenige Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, die wir wahrnehmen, jedes mal wenn wir das Bewusstsein haben „zu erkennen“ . Mit anderen Worten das Problem der Gültigkeit unserer Erkenntnisse, das sich auf dem allgemeinen Boden des alten Realismus stellte, rief zwangsläufig nach einer „Ontologie der Erkenntnis“, oder, genauer, nach einer „Metaphysik des erkennenden Subjekts insofern es Subjekt ist“. Das uneingeschränkte Problem der Erkenntnis schlich sich so in die alte Philosophie ein, unter der Federführung der Metaphysik, wie eine erforderliche Erweiterung des objektiven Problems vom Einen und dem Vielfachen. Schon seit diesem Moment kann man im eigentlichen Sinn von einer „Kritik“ der Objekte sprechen, da jede ontologische Theorie der Erkenntnis – wir werden das noch mehr im Detail feststellen – eine „Kritik“ mit sich bringt. Von dieser „Metaphysischen Kritik“ der Erkenntnis, waren Plato und Aristoteles unter verschiedenen Titeln die ersten Urheber. Sokrates hatte ihnen den Boden vorbereitet. 43 Buch II Das Eine und das Viele §1. . Sokrates: Rückkehr zum Gleichgewicht zwischen dem Einen und dem Vielfachen in den Begriffen. Sokrates verstand es, ohne den objektivistischen Realismus seiner Vorgänger aufzugeben, die enttäuschende Schwankung zu dämpfen, die sie wechselweise zur intellektuellen Einheit oder zur sinnenhaften Vielfachheit verführte, von Parmenides zu Heraklit, und umgekehrt. Er glaubte, die Sophisten nicht wirksamer bekämpfen zu können als dadurch dass er die Philosophen daran gewöhnte, ihren Geist, ohne Widerspruch, von der Vielfachheit der Sinneswahrnehmungen zu immer allgemeineren begrifflichen Einheiten zu leiten, : er brachte ihnen bei (Dialog nach dem Genus). Denn, in einem „System von Begriffen“, das gebührend geordnet ist: müssen die Beiträge der Sinnes Erkenntnis und der Intelligenz sich beständig ausgleichen (ins Gleichgewicht bringen). Zwischen den absoluten Gesichtspunkten der Einheit und der Vielfalt fing er auf solche Weise an, sich eine Hierarchie von Zwischen-Einheiten aufzustellen, in denen die zwei entgegengesetzten Glieder sich in verschiedenen Verhältnissen verbinden: die a l l g e m e i n e n I d e e n. Diese Stellung von Sokrates war ein Geistesblitz, ein Volltreffer, von dessen ganzer Bedeutung wir uns erst später eine richtige Vorstellung machen werden. Denn, um eine umfassende Metaphysik aufzubauen, genügt es nicht, richtige Überlegungen anzustellen, die aber bruchstückhaft bleiben, man muss auch noch das Perspektiven Zentrum aufdecken, das die Gesamtheit unseres Gesichtsfeldes steuert. Nun kann aber in einer menschlichen Metaphysik das Perspektiven Zentrum wohl nicht weit abgelegen sein von der „a l l g e m e i n e n I d e e“ die die charakteristischste Äußerung unserer unvollkommenen Intelligenz ist. Unglücklicherweise ging Sokrates, vor allem mit Besorgnis erfüllt bezüglich der moralischen Begriffe, nicht soweit, eine allgemeine Metaphysik zu konstruieren noch eine Kosmologie6 dialègein 47 kat gènh 6 Siehe Aristoteles, Metaph. A. 987 b, 1 -4. Der Sokrates, den wir hier präsentieren, ist der der aristotelischen Tradition. Seine unvollständige Philosophie konnte einem Teil seiner Schüler nicht vor den Ansteckungs-Keimen der Skepsis noch vor anderen unerfreulichen Einflüssen schützen. Zum Beispiel die Megariker, denen sich Antisthenes der Zyniker darin anschließt, führten zu einem sehr ausgeprägten Nominalismus; die allgemeinen Ideen scheinen ihnen reine Sammel-Etiketten; die gültigen Urteile reduzieren sich, in ihren Augen, auf tautologische Urteile der Identität; und selbst die aus Erfahrungs-Herkunft abstrahierten Begriffe lösen sich im Widerspruch oder in der Zusammenhangslosigkeit auf, wie es Eubulides zu zeigen versucht mit seinen berühmten Trugschlüsse vom „Glatzkopf“ (mit wie vielen Haaren hat man keine Glatze mehr?) , und vom „Haufen von Weizen“ (Wie viele Körner machen einen Haufen? Kurzum ist dies von neuem, und im Wechselbezug der Zerfall der 44 K.3. Antinomie: Synthetische Lösung verstandesmäßigen Einheit und der objektiven Einheit, der Rückfall in unfruchtbaren Skeptizismus. Aber eine andere Gruppe von Schülern des Sokrates setzt das aufbauende Werk (édificatrice) des Meisters fort. Dieser letztere hatte sich darauf beschränkt, den realistischen Dogmatismus zu retten, indem er in die Denkweise ein Ordnungsprinzip einführte: und darauf die sokratische Erschließung (Induktion) zu verwenden, die es erlaubte, die a l l g e m e i n e n I d e e n richtig zu entwerfen, dem dann Plato, und danach Aristoteles weitere und genauere Sichtweisen über die Natur und die objektive Geltung dieser Ideen hinzufügten. Die Synthese vom Einen und dem Vielfachen, festgelegt im Begriff, wird fortan nach besser bestimmten Kriterien auf die Dinge übertragen. Der Realismus des griechischen Denkens tendiert gegen eine kritische Form. Betrachten wir schnell oder kurz diese neue Phase. §2. . Einführung einer „Ontologie der Erkenntnis“ zur objektiven Lösung der Antinomie. a) Die Lösung Platos: der Realismus des Verstehens. 48 Aristoteles bemerkt im Buch I seiner Metaphysik (A. 987 a, 29–987 b,14), dass die Epistemologie von Plato ein Vermittlungsversuch zwischen der sokratischen Theorie der allgemeinen Begriffe und der Lehre von deren „dauernd im Fluss Sein“ von Heraklit ist. Man hat auch mit Grund gesagt, dass der Platonismus die Gesichtspunkte von Heraklit und Parmenides einander näher bringt. Die zwei Formulierungen unterstreichen in gleicher Weise den „synthetischen“ Charakter der Lösung Platos. Einheit und Pluralität werden schließlich aufeinanderstoßen, ohne sich auszuschließen, innerhalb einer Philosophie, die den ganzen Bereich des „Objekts“ umfasst. Das ganze epistemologische Interesse des Platonismus ist zusammengefasst in der Theorie von den Ideen oder den Formen. Wir dürfen nicht vergessen, dass im Verlauf einer außergewöhnlich langen Laufbahn die Auffassung des Philosophen über diesen Punkt wie über andere, sich einigen Veränderungen unterzogen hat. Die sehr kurze Skizze, die wir hier vortragen, fasst die grundlegenden Prinzipien des Gedankenguts Platos zusammen, wobei einiger der letzten Dialoge Rechnung getragen wird, denen einige genauere Angaben entnommen wurden. In der Sichtweise, die uns beschäftigt, müssen wir im Werk von Plato zwei Aspekte unterscheiden, die überdies unzertrennlich sind7 7 Der der ganzen Philosophie Plato’s zu Grunde liegende Realismus verklebt die verschiedenen Bedeutungen der Wörter ἰδέα, εἶδος. Dass sie angeblich nur begriffliche Typen, eingeordnet in den Rahmen eines logischen Transzendentalismus bezeichnen, das scheint uns ein gewalttätiger Anachronismus. Um diese Übertreibung ganz sicher zu vermeiden, ist es zweifellos vorteilhafter mit mehreren neuen Kritikern „Idee“, (ἰδέα oder εἶδος) durch „Form“ zu übersetzen : die „Theorie der Ideen“ wird zur „Theorie der Formen“ (Burnett), die „Lehre der 45 Buch II Das Eine und das Viele Formen“ (Taylor); die Ideen sind „das Sein, die intelligiblen Wirklichkeiten oder Formen“ (A. Diès); εἶδος, ἰδέα, σχη̃μα, μορφή bezeichnen unterschiedslos das „wirkliche Wesen“ (Taylor). L. Robin teilt auch εἶδος als wichtigsten (objektiven) Sinn die Bedeutung von „Form“ zu. – Andererseits darf man nicht vergessen, dass εἶδος oft gleichbedeutend mit γένος (Genus, Gattung) ist: zum Beispiel im Sophisten, „εἶδή, γένη, können beide Wörter ausgetauscht werden“ (A. E. Taylor, Plato. London, 1926, p.389). Eines der von Aristoteles den Platonikern als von ihnen ungelöst vorgeworfenen Probleme, ist genau das von der jeweiligen Objektivität der Gattung und des spezifischen Wesens, dem γένος (allgemeiner εἶδος) und des ἄτομον εἶδος, (siehe Taylor, op. cit., p. 515 und Stenzel, Zahl und Gestalt bei Plato und Aristoteles. 1924). In der alten scholastischen Terminologie (zum Beispiel beim heiligem Thomas), fallen „Idee“ und „Form“ zusammen, mindestens in dem Sinn, dass die Form um so mehr „Idee“ ist als sie in reinerer Weise Form ist; man hat sich übrigens daran gewöhnt, die Form, die in die Materie heruntergestiegen ist, nicht mehr „Idee“ zu nennen. An sich kann die Form oder die Idee unterschiedslos unter einer der drei Arten eingeordnet werden: logisch, (absolut: absolute Natur, Gattung, Art), psychologisch, (Begriff, Idee im modernen Sinn), oder ontologisch (wirkliches Wesen). Es scheint, dass dem Kontext nach, die „Idee“ Plato’s sich hauptsächlich auf eine dieser drei Arten bezieht, ohne jemals die zwei anderen auszuschließen. Man sollte also im Folgenden unsere summarische Darstellung der Theorie der Ideen im Sinne dieser Anmerkung verstehen. Zuerst ein logischer oder dialektischer Gesichtspunkt. Plato verbessert die Dialektik des Sokrates und erweitert ihren Gültigkeitsbereich. Seine (dialektische Methode) entdeckt für den menschlichen Geist das Mittel, von den Sinnes Erscheinungen zur allgemeinen Idee aufzusteigen, die deren intelligibles Wesen ausdrückt ( ), ihr unmittelbares logisches Substrat ( ) und ihre universelle Einheit ( ) (Eins im Vergleich mit den Vielen, eine Idee durch Vieles hindurch (vermittels Vielem), fern von jedem einzelnen bestimmten einen (Individuum)); dann bringt sie ihm bei, diese intelligiblen Formen untereinander zu vergleichen, um sie in ihren Abgrenzungen ( alle Differenzen) und gegenseitigen Überschneidungen ( Gemeinsamkeit der Gattungen, Mischung von Ideen) zu erfassen„ um sie alle am letzten idealen Substrat anzubinden, das ihre allgemeine Grundlage bildet und kein weiteres Fundament braucht,( = das Unbedingte. [ = Gedanke] = aus dem voraussetzungslosen Anfang als seiner Voraussetzung folgend). Die Dialektik führt also bis zum Gipfel der Ideen oder der Formen durch ein Verfahren, das stark ähnelt einer Abstraktion der Arten und der Gattungen, hochgezüchtet bis zur „höchsten Gattung“ : die Idee findet sich in uns als abstrakter Begriff und das verbale Zeichen der Idee ist in unserer Sprache der „a l l g e m e i n e A u s d r u c k“. Aber dieser dialektische Aspekt entfaltet sich in einen psychologischen und metaphysischen Gesichtspunkt, worin sich das ontologische Fundament der logischen Beziehungen ausdrückt. Eigentlich ist die „Idee“ Plato’s nicht darstellbar durch ein gemeinsames Bild, das die materielle Ähnlichkeit der Dinge in der Sinneswahrnehmung darstellt: dann wäre sie überhaupt gar kein Objekt der „Wissenschaft“; denn die ganze dialektik mèjodoc Êdèa, eÚdoc Ípìjesic pollw̃n 49 , ãn ánäc âkstou keimènou par t poll, mÐa(n) Êdèa(n) qwrÐc aÉ foraÈ pãsai genw̃n, mÐxic dia- koinwnÐa tw̃n eÊdw̃n tä <H nìhsic 46 dià nupìjeton âp rqn nupìjeton âx Ípojèsewc Êoũsa K.3. Antinomie: Synthetische Lösung Arbeit der Zusammenstellung und der Trennung, die wir mit den Sinneswahrnehmungen machen können, bleibt in den Grenzen der Erscheinung, des Dafürhaltens ( = Schein, Ansicht). In der Tat erkannte Plato, mit Heraklit, dass die mit den Sinnen wahrgenommenen Erscheinungen, die Welt der (= des Werdens), gerade die Veränderlichkeit selbst sind. Darüber hinaus hielt er, in Nachahmung von Parmenides, die Veränderung und das „Sein“ für unvereinbar. Die durch das ganze griechische Altertum geforderte Parallelität zwischen dem Sein und dem Denken, konnte sich also nicht etablieren durch die Vermittlung der Sinneserkenntnis. Es blieben die begrifflichen Formen, die „allgemeinen Ideen“ deren Unveränderlichkeit zugleich mit ihrer kohärenten Vielfalt Sokrates gezeigt hatte: Plato machte daraus den rechtmäßigen Inhalt der (= Wissenschaft), der Wissenschaft des wirklichen Seins. Und darin machte er sich frei von Parmenides, der vom Sein und von der Wissenschaft alle Vielfalt absolut ausschloss. Plato lässt eine gewisse Vielfalt des Seins zu, nämlich die klare (wolkenlose) und unveränderliche Vielfalt, die sich ausdrückt in der Notwendigkeit der Ordnung unserer Begriffe. Daraus folgert er und lehrt er öffentlich, dass auf Grund der SinnesWahrnehmung der Objekte, jedes Mal in unserem Geist eine entsprechende „Idee“ erwacht. Diese Idee fügt sich ein unter die Sinnes Darstellungen, die die Stütze für den Verstand und der Ausdruck ihrer Wirklichkeit selbst sind: denn, in allen Dingen ist es die Idee und die Idee allein, die unsere Intelligenz erkennt. Wir finden hier das logische Universale wieder – . (Eines unter den Vielen) – unter der Art einer „intelligiblen Form“: Sie ist geworden (das nach der Idee Gesagte, Benannte). Aber die durch Zufall von den sinnenhaften Begegnungen aufgeweckten Ideen, organisieren sich untereinander in unserem Denken; die abstrakte Dialektik stützend, gibt es eine lebendige Dialektik der „Ideen“, die ein „göttlicher Anführer“ leitet, die Liebe ( ). Das wahre und vollständige Wissen würde bestehen, unter dem anregenden Einfluss der Liebe, – die in uns die Ideen hervorruft und uns antreibt, in aufeinander folgenden Schritten zur höchsten Idee des Guten – selbst im Zentrum unseres Geistes, in einer direkten und fortschreitenden Betrachtung ( = Erkenntnis, Kontemplation), die vollständige Hierarchie der partiellen idealen Einheiten, untergeordnet unter die erste Idée, die sie alle verbindet, indem sie sie überragt, an unserem geistigen Auge vorüber ziehen zu lassen. Der ganze Vorgang der Erweckung und Evolution der Ideen ist teleologisch (=zielgerichtet). Diese Ideen-Betrachtung lässt uns das Sein berühren, da, dem noch unveränderten Prinzip des realistischen Dogmatismus zufolge, das Sein, welches genau das ist, was gedacht ist, mit Ausschluss dessen, was mit den Sinnen aufgenommen ist: das Sein ist das Intelligible. Die tatsächliche Wirklichkeit ist subsistierende Wirklichkeit: man muss sie also wiedererkennen am unveränderlichen Glanz dieser Ideen, deren Intuition wir in uns erwecken, jedes mal, wenn wir das Unidìxa gènesic âpist mh én perÈ t poll tä kat' eÚdoc 50 legìmenon ^Erwc nìhsic 47 Buch II Das Eine und das Viele verselle unter der sinnenhaften Vielfalt entdecken. Ontologisch betrachtet, und nicht mehr psychologisch, sind die Ideen also genauso viele außerhalb unseres Denkens befindliche Subsistenzen: sie sind, nach dem Ausdruck von Aristoteles, „getrennte Wesenheiten“, (=ge8 trennte Wesenheiten). oÎsÐai qwristaÐ 8 Beachten wir es wohl, für Plato entwickelt sich der menschliche Gedanke in einer Aneinanderreihung von universellen Begriffen: das heißt befreit von der sinnenhaften Vielfalt, der konkreten Zahl: auch die subsistierenden Wirklichkeiten, die ihnen entsprechen würden, müssen ebenso universell sein, das heißt, nicht „in der Potenz zur Individualität“, wie sie die mittelalterlichen „Indifferentisten“ sich vorstellten – sondern universell in der Weise von „reinen Formen“, die jede in sich subsistieren, entsprechend einer Individualitätsart, die jeder dem Materiellen eigentümlichen Vielfachheit fremd ist. Es würde uns schwerer sein, zu bestimmen, welches, Plato zufolge, die Funktion der ontologischen Ideen im Vergleich zu den Sinnes-Erscheinungen ist. Wir wissen andererseits nicht genug, ob er die sinnlichen Phänomene als objektive Gruppierungen betrachtete, oder nur wie subjektive Vorstellungen, ob er seiner sichtbaren Gattung , (die Welt der des Werdens), Objekt der Erscheinung , eine gewisse außerhalb von uns befindliche Wirklichkeit zuerkannte. Es könnte scheinen, dass das mit ja zu beantworten ist, und dass, folglich (folgerichtig): die Sinne und die Psyche wirklich draußen die materiellen Bestimmungen aufnehmen bei welcher Gelegenheit die Intelligenz ihre IdeenIntuitionen aufwachen lässt. Es würde zwischen den äußeren Erscheinungen und den subsistierenden Ideen ein schlecht definierter Zusammenhang der Mitwirkung ( = Teilnahme) bestehen, der Hilfe oder Stütze, ( = Anwesenheit, Beistand), die aus den Ideen übergeordnete Urbilder ( = Musterbilder) und die Prinzipien der Einheit der Erscheinungen macht. So vage, wie Plato sich über diesen Punkt äußert, so resultiert daraus wenigstens, dass in seinen Augen, die subsistierenden Ideen, unmittelbare Objekte unserer intellektuellen Erkenntnis, gleichzeitig die Wirklichkeit der Einheit – immanent oder transzendent – der Dinge, die uns „erscheinen“ begründen. Das Dogma des Parallelismus zwischen dem Gedanken und den Objekten findet so eine breite metaphysische Grundlage. Aber dies ist noch gar nicht genug. Plato schuldet uns einige Aufklärung über die Art und Weise, wie die subsistierenden Ideen „Objekte“ unserer Intelligenz werden können. Wenn die platonsche Epistemologie sich auf die Aussage des Parallelismus zwischen unseren allgemeinen Begriffen und den subsistierenden Ideen beschränken würde, ohne irgendeine metaphysische Erklärung dieses Parallelismus zu versuchen, würde sie nicht das Niveau eines leidlich willkürlichen realistischen Dogmatismus überschreiten. Tatsächlich legt die Metaphysik von Plato sogar einen Platz frei für die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, und sie stellt so eine Art Zusammenfassung einer metaphysischen Theorie der Erkenntnis dar. åratän gènoc gènesic dìxa yuq 51 mèjexic parousÐa paradeÐgmata 48 K.3. Antinomie: Synthetische Lösung 52 Hier sind die endgültigen Nuancen der platonschen Lehre noch schwierig festzustellen. Sie entwickelt sich offensichtlich in eine intuitionistische Richtung. Aber wenn man uns sagt, dass wir direkt die subsistierenden Ideen „betrachten“, versteht man es wie wenn man von einer total äußerlichen Betrachtung spricht, in welcher die unmittelbare Erkenntnis keine andere Verbindung zwischen dem Objekt und dem Subjekt erfordern würde, als ihre Gegenwärtigsetzung? Dieser undifferenzierte Ontologismus würde unverständlich sein, er lässt an den Fehler von jemandem denken der, die dazwischen liegenden Kausalitäten ignorierend, die beim körperlichen Sehen im Spiel sind, sich die sinnliche Fähigkeit vorstellen würde wie ein für die außerhalb befindlichen Objekte geöffnete Dachluke. Auf jeden Fall würde eine rein extrinsezistische Theorie der Erkenntnis diese jeder Möglichkeit einer metaphysischen Erklärung entziehen und würde also sich nur durch den offenkundigsten Dogmatismus aufrecht halten können. Es gibt noch anderes in der platonschen Theorie der Ideen. Sobald man darauf verzichtet und den Gesichtspunkt einer totalen Abwesenheit einer ontologischen Gemeinsamkeit zwischen dem Objekt und dem Subjekt annimmt – was von der Kritik her unhaltbar ist – , führt man die Beziehung des Erkennens selbst in den Rahmen der metaphysischen Relationen ein; und man zwingt sich von da an dazu, reale Ursachen des Vorgangs beim Erkennen (mentale Ursachen?) zu entdecken, die notwendig und hinreichend sind. Nun war aber eine der ersten metaphysischen Forderungen, die die Aufmerksamkeit der Theoretiker der Erkenntnis erregte – und zuerst von Plato – die Notwendigkeit, im Subjekt selbst im Voraus zu jeder immanenten Ausübung seiner Tätigkeit die Gesamtheit der Virtualitäten (innewohnenden Kräfte), die sie entfaltet, vorzufinden. In der Tat, wie könnte ich ein Objekt erkennen, wenn ich es in mir auf keine Weise besitze? Eine gewisse Anwesenheit des Objektes in mir ist die notwendige Bedingung der Vorstellung (Repräsentation), die ich mir davon bilde. Aber welche Anwesenheit? Absolut gesprochen, kann sich ein Objekt in mir von außen eindrücken: ich empfange davon passiv den Abdruck und nur in dieser Passivität kenne ich es; wir werden später zeigen, dass darin die besondere Art der Sinneswahrnehmung besteht. Oder auch das Objekt war von jetzt an anwesend innerhalb meiner erkennenden Fakultäten , entweder durch die Ähnlichkeit seiner Form, oder durch seine eigene Wirklichkeit: ich erkenne es dadurch, dass ich es mir aktiv ausdrücke. Plato neigt zu dieser zweiten Weise. Wenn man seine Theorie von der Anamnese wörtlich (dem Buchstaben nach) nimmt müsste man sagen, dass, nach ihm, die allgemeinen Ideen, latent in uns und aus Anlass der sinnlichen Wahrnehmung aufgeweckt, uns angeboren sind: sie bilden in uns den Rückstand (das Überbleibsel) der unmittelbaren Intuition, die wir von den in uns subsistierenden Ideen in einer vorherigen Existenz gehabt hatten, wo unsere Seele, noch nicht von der Materie beschwert, selbst ein Leben der Ideen lebte. Später im Neuplatonismus, wird diese Theorie des Angeborenseins und der 49 Buch II Das Eine und das Viele Wiedererinnerung tiefere Einsichten hervorbringen. Unsere Seele, selbst verfallen und vereint mit dem Körper, bleibt, wird man sagen, in lebenswichtigem Zusammenhang mit der Ebene der subsistierenden Ideen, ihrem ursprünglichen Heimatland. Um die Ideen zu erkennen, würde es für sie reichen sich selbst wieder zu finden unter dem sinnenhaften Ganggestein, das sie gefangen hält. Außerdem besteht das wahre Mittel der Betrachtung der Ideen für uns in der reinigenden Askese des Geistes, in dieser Reinigung ( ), die in der Seele fortschreitend schrittweise die einfache Klarheit ihrer Ideen-Substanz wiederherstellt. Man kennt nur, erklärt Plotin, das, von dem man in sich die Form besitzt: Denn nicht sah wohl jemals ein Auge Sonne, nicht sonnenhaft geworden für sich, noch auch sah wohl Seele das Schö. (Ennéades, I. 6. 9. Édit. Didot, p. ne nicht selbst schön geworden seiend. (Ennéades I. 6. 9. Edit. Didot, p.37). 37). Bis in die höchste Kontemplation der intelligiblen Schönheit betrachtet die Seele nach dem Maß selbst, wo sie geworden ist – oder wieder geworden ist – das, was sie betrachtet : Nicht nur Betrachtung (Kontemplation) ;... beginnt damit zu werden ... sondern es ;... hat das scharf Sehende in ihm das Ge. (Ennéades, V. 8. 10. sehene(Ennéades, V.8. 10. Edit. Didot, Édit. Didot, p. 358) p.358), kjarsic OÎ gr n p¸pote eÚden æfjalmìc ¡lion, lioeidh̃c m gegenhmènoc: kalän n Òdoi yuq m kal oÎde tä genomènh OÎ jeataĩc mìnon Íp'ärqei genèsjai ll' tä êqei tä æxèwc årw̃n ân aÍtÄ år¸menon So kommt es also, sobald man versucht, die platonische Metaphysik der Erkenntnis systematisch zu entwickeln, wird man beinahe zwangsläufig dazu geführt, mit den Neuplatonikern die ontologische Immanenz der Ideen in den Geist zu verlegen, sei es in den universellen sei es in den menschlichen , dem Ausfluss (der Emanation) aus ersterem. Vom Rest, selbst unabhängig von jeder Angeborenheits-Hypothese, immanentistisch oder emanantistisch, fände die Einheit von Subjekt und Objekt bei Plato noch einen gewissen metaphysischen Ausdruck. In der Tat hat der teleologische (zielgerichtete) Vorgang der Erkenntnis dort als letztes Ziel dasselbe wie die Liebe : den Besitz des absoluten Guten. Dort mindestens, ganz am Höhepunkt, vereinigt sich die Intelligenz physisch mit ihrem Objekt wieder, und der Parallelismus der unteren Etappen wird tatsächliche Identität – und das setzt eben zwischen den parallelen Serien, die zur Identität hin tendieren, ein immanentes oder transzendentes Prinzip der Korrelation, der Harmonisierung voraus. (Mit dem Okkasionalismus von Malebranche zu vergleichen, und mit der prästabilierten Harmonie von Leibnitz, die sich am gleichen Problem stoßen (kollidieren).) Der teleologische Gesichtspunkt bei Plato ruft also schon nach und stellt zu einem Teil eine tatsächliche Metaphysik der Erkenntnis dar. In Wahrheit werden wir später zeigen, dass jede Metaphysik der Erkenntnis, noũc 53 50 noũc K.3. Antinomie: Synthetische Lösung 54 die auf die Art und Weise Platos konzipiert wird, Antinomien in sich trägt, und so unfähig bleibt das kritische Problem zu lösen. Man ahnt schon jetzt, wo sich darin Schwachpunkte finden können. Zum Beispiel die Frage: schwächt sie nicht im Übermaß die Rolle der Sinneswahrnehmung in der Erkenntnis des Wirklichen ab? Und andererseits indem und dadurch dass sie unsere abstrakten Begriffe wie einen angemessenen Ausdruck von reinen Intelligiblen betrachtet, riskiert sie damit nicht, in die Intelligenz als solcher gewisse Bedingungen der Sinneswahrnehmung einzuführen, die dann haften bleiben an den Ergebnissen der Abstraktion? Wir werden sehen, wie diese Schwierigkeit auf den Anfängen der modernen Philosophie lasten wird. Achtung! Darin liegt übrigens ein sehr wichtiger Gesichtspunkt und darauf die Aufmerksamkeit jetzt schon auszurichten, halten wir nicht für verfrüht. Platos Betrachtung der Finalität in der Erkenntnis fügte zum Gesichtspunkt des Parmenides eine Ergänzung hinzu, die dazu berufen war, in der späteren Geschichte der Philosophie, eine sehr große theoretische Wichtigkeit zu bekommen. Die höchste Einheit der Erkenntnis konnte seitdem nicht mehr einzig definiert werden als repräsentative Form: (Form zur Darstellung) sie musste zugleich (mit dem gleichen Schlag) dem Charakter eines letzten Zieles entsprechen. Diese Forderung zu stellen, dies war – wir werden es später zeigen – damit anzufangen, das Prinzip zu benutzen,– sozusagen das Prinzip einzuweihen – aus dem sich zwangsläufig die These der metaphysischen Analogie ergibt, oder, wenn man das vorzieht, der Transzendenz des Seins. Nun ließ aber Plato, wenn er nicht klar diese Konsequenz erblickte, davon nichts ahnen: genug um ein bisschen Bedenken gegen seinen Gedanken zu hegen. In der Tat der letzte Gipfel der Erkenntnis, insofern sie Representation (Vorstellung) ist, übersteigt nicht die universelle Idee des Seins9 9 M. A. Diès übersetzt den Ausdruck des Sophisten: τὸ παντελω̃ς ὄν durch „das universelle Sein“ , (Autour de Platon, Paris 1927, Band II, p.557), eher als durch „das vollkommene Sein“. Dieses universelle Sein, identisch mit παντελὲς ζῷν von Timaeus, ist Gott, begriffen als die „die Summe des Seins“ , op. cit., p.559, Summe „intensiv“ verstanden, sicherlich. Das Platonische Sein ist so viel wert wie diese Summe gültig ist. ; der Gipfel der Erkenntnis, insofern er aktive Finalität ist, ist der Besitz des Guten an sich. Ist also der Besitz des Guten an sich identisch mit der Intuition des Seins? Nein, antwortet Plato, und noch ausdrücklicher seine alexandrinischen Nachfolger: das Gute ist dem Sein überlegen, denn das Gute toleriere im Unterschied zum Sein nicht die Gegenüberstellung eines Nichtseins. Erscheint also das letzte Ziel der dynamischen Intelligenz umfassender als der intelligible Bereich des Seins? Zweifellos; und hier ist der Schlüssel dieses Paradoxons: Plato macht sich vom Sein eine Konzeption analog zu der des Parmenides; die höchste Idee des Seins verschmilzt für ihn mit unserem Begriff des Seins, mit der „vorstell- 51 Buch II Das Eine und das Viele baren Form“ des Seins kommensurabel mit unserem Verstand; und sie bewahrt also trotz alledem, einen gewissen Bezug zur Zahl. Ein Scholastiker würde sagen, dass das Sein Platos im Grunde die Hypostase (Personifizierung) des „prädikamentalen Seins“ ist (prädikamental im Gegensatz zu transzendental = die Kategorien, Prädikamente übersteigend) oder des abstrakten Seins (des notionellen, kategorialen Seins), das, unter einem gereinigteren Symbolismus, nicht so sehr verschieden ist von der „Fülle“ der Eleaten. So kommt es, dass im Platonismus das Gute das Sein transzendieren kann. Wir werden sehen, wie bei Aristoteles die kritische Unterscheidung anfangen wird aufzusprießen, und wie das erlauben wird, das Sein höher zu erheben, über die untere Region des (kategorialen) „Begriffes“, bis auf die gleiche Ebene wie das absolute Gut. Wagen wir es, nach all dem, die platonische Epistemologie zu definieren: sie ist ein Realismus der Erkenntnis, unvollkommen korrigiert durch die teleologische Perspektive des absoluten Gutes? 55 b) Die aristotelische Lösung: Gemäßigter Realismus des Verstandes Aristoteles I Unter vielen Rücksichten führt Aristoteles Plato weiter. Das geht natürlich nicht immer, ohne dass er ontologistische Kühnheiten seines Vorgängers zurücknimmt. Wie jener adoptiert er die Gleichung zwischen dem (menschlichen) „Intelligiblen“ und dem „Universellen“ , zwischen (dem Gedachten) und (dem Universellen): der Begriff, der uns das Intelligible ausdrückt, ist ursprünglich universell. Aber das ist es, wo sich der Unterschied ankündigt: der allgemeine Begriff bei Aristoteles folgt nicht mehr aus einer ontologischen Intuition der subsistierenden Ideen, der (=getrennten Wesenheiten); er bezieht seine Herkunft aus den sinnlichen Dingen: in diesen Wirklichkeiten entdecken wir das Intelligible: (= in den wahrgenommenen Erscheinungen sind die geistig Wahrnehmbaren) ( ı̀ , 8, 432 a, 4). Die Sinneswahrnehmung nimmt also die konstitutive Rolle in der begrifflichen Erkenntnis wieder auf, die ihr Plato, Parmenides folgend, abgesprochen hatte. Wie ist diese gegenseitige Durchdringung des Sinnenhaften und des Intelligiblen begreifbar, fassbar? Schließt nicht das Sinnenhafte das Intelligible aus? Schon Plato selbst sah sich gezwungen, eine gewisse objektive Teilhabe der sinnlichen Formen an den Ideen anzuerkennen. Aristoteles lässt die Ideen von ihrem Sockel heruntersteigen und stößt sie entschlossen in die materielle Wirklichkeit hinein: er macht sie zu etwas den Dingen Immanentem: von jedem sinnlich wahrgenommenen Ding kann man in einem wahren Sinn sagen, dass es t noht t kajìlou oÎsÐai qwristaÐ ân toĩc eÒdesi toĩc aÊsjhtoĩc t noht êstin Per 52 yuqh̃c G K.3. Antinomie: Synthetische Lösung Universelles (Allgemeines), Idee, enthält. In der Tat, der aristotelischen Physik zufolge sind alle Objekte, die unsere Sinneswahrnehmung affizieren, zusammengesetzt aus einem materiellen Prinzip, dem Darunterliegenden, der ersten Materie ( ) und einer spezifizierenden Form ( Form, Form und Bild ), die eine veritable tatsächliche Idee ist, immanent in den Individuen. Und diese immanente Idee stellt für unser Denken den Charakter von einem Universellen dar: denn von sich aus übersteigt sie die Individuen, in denen sie sich vervielfacht (multipliziert); an sich, wenn man absieht von der Materie, die sie einschränkt und verstreut, ist sie die unbegrenzte Idee der ganzen Spezies (Art): „Die Form ist in sich, in ihrer Spezies (=Art) unbegrenzt“ werden die Scholastiker später sagen. Vor eine so außerhalb des Subjekts konstituierte (befindliche) Wirklichkeit plazieren wir das menschliche Subjekt, gleichzeitig mit Sinneswahrnehmung und Intelligenz (Verstand) ausgestattet. Er wird in seinen Sinnes-Fakultäten die qualitative Zeichnung der außerhalb befindlichen Dinge empfangen. Aber gleichzeitig wird er durch seine immaterielle Intelligenz reagieren auf das konkrete Bild, das ihm präsentiert wird, in der Weise dass er davon nur das formale Element assimiliert, ohne die Materie. Aber, Aristoteles zufolge, ist die Form insofern sie „entmaterialisiert“ ist, durch diese Tatsache selbst, „entindividualisiert“ : sie repräsentiert, in der abstraktiven Intelligenz den allgemeinen Typus der Art (Spezies) – (das Universelle) – befreit von der materiellen Konkretisierung, die sie im Inneren der vervielfachten Individuen einsperrte. Man sieht unmittelbar, dass die peripatetische Konzeption des Verstehens eine Metaphysik des materiellen Individuums voraussetzt, und auf der anderen Seite, als Konsequenz, eine kritische Epistemologie nach sich zieht, die eine starke Milderung des Realismus des Verstehens beinhaltet. Die metaphysische Voraussetzung ist diese berühmte These von der Individuation, die so offensichtlich ins Innerste des quantitativen Seins eintaucht, dass sie heute noch der Stein des Anstoßes scharfsinnigster Diskussionen unter Philosophen bleibt. Aristoteles formuliert sie beinahe auch so selbst verständlich, wie es später die Thomisten tun werden : jede numerische Vielfalt innerhalb der Spezies (Art) ist, sagt er, eine Tatsache der Materie10 , tä ÍpokeÐmenon, pr¸th Õlh morf 56 kaÈ morf , eÚdoc tä kajìlou 10 Es ist möglich, dass das Wort ὕλη (= Wald, Holz, Stoff, Materie), in den Texten, die wir anvisieren, zuerst bedeutet „die zweite Materie“. Ihre metaphysische Tragweite, Bedeutung scheint uns auf jeden Fall ausreichend festgelegt durch die Unmöglichkeit, ohne die „Materia prima“ (die ersten Materie), den Grund der Beziehung zwischen der intraspezifischen Zahl und ihrer Materialität zu konzipieren. Für die geschichtliche Einschätzung der Texte von Aristoteles zu diesem Gegenstand, siehe W. D. Ross, Aristotle’s Metaphysics. Oxford, 1924, Bd. I, Introd. pp. CXV-CXIX. dem Prinzip der reinen Vielfachheit. Außerdem hängt die Individualität der materiellen Seienden von der Beziehung ihres Wesens zur konkreten Materie ab. 53 Buch II Das Eine und das Viele Das Wesen ist an sich und zuerst, eines, wie es immateriell ist; durch die Materie macht es sich zählbar (macht es Zahl): (Alles was zählbar, viel ist hat Materie: denn der Vernunftbegriff (Logos) ist einer und derselbe bei vielen, insofern er Mensch ist, Sokrates aber ist einer) (Metaph. Λ, 1074 a ,33. Cf. Z, 1034 a, 5-8, 1035 b, 27-31; De Caelo 278 a, 7-278 b, 3). Die epistemologische Konsequenz ist also die wohl ganz neue Feststellung, dass der Begriff, gerade dadurch, dass er die wirklichen Objekte darstellt, nicht rein und einfach das Double der Wirklichkeit ist. In der Tat würde das Universelle, das (=Allgemeine eigentlich undeklinierbares Adverb), nicht subsistieren können (= nicht wissen eine zu sein), es ist nur in der Potenz zu subsistieren (fortzubestehen): (Denn es hat sich ergeben (es scheint) unmöglich zu sein, dass etwas Substanz ist, solange es allgemein genannt wird ) Métaph. Z, 1038 b,8,; und die wirklich weiterbestehende materielle ist von ihrer Seite her nur in Potenz zur Universalität und Intelligibilität. Das kommt darauf hinaus, zu sagen, dass das Wesen in den Dingen nicht mit dem Modus der Universalität subsistiert, womit es sich im Akt des abstraktiven Verstehens ankleidet. Von da an muss die notwendige Aussage des Objekts unserer Begriffe „kritisch“ sein, sie muss in jedem Begriff unterscheiden – wie das später die Scholastiker ausdrücken werden – „das, was wirklich bezeichnet wird“, (quod significatur) und die abstrakte Art und Weise „der Darstellung“ (modum repraesentandi), mit anderen Worten die Rolle des Objekts und die Rolle des Subjekts im objektiven Begriff. Diese Unterscheidung, hier zum ersten Mal klar formuliert, ist von einer entscheidenden Wichtigkeit. Sie schlägt einen Keil in den realistischen Dogmatismus des primitiven griechischen Denkens, und sie markiert so den Ansatzpunkt – sagen wir gleich: die vorweggenommene Rechtfertigung – jeder Kritik der Erkenntnis. Denn es handelt sich nicht mehr nur um kohärente = zusammenhängende (widerspruchsfreie) Aufteilung des Inhalts der Aussage, oder wenn man will, um die „metaphysische Kritik der Objekte“; es handelt sich um eine wahrhaftige „Kritik des Objekts als solchem“ das heißt um eine Kritik die sich erstreckt auf die Bedingungen der Realgültigkeit unseres Verstehens als primärer objektiver Operation. Doch „Kritik der Objekte“ oder „Kritik des Objekts“ , bleiben bei Aristoteles noch in den Grenzen der „metaphysischen Kritik“, die wir gerade oben definiert haben. Wir müssen das noch mehr im Detail zeigen. VOsa eÙc gr lìgoc kaÈ å aÎtäc pollw̃n, kajìlou oÑon njr¸pou, kaj' rijmÄ poll, Swkrthc de Õlhn êqei: eÙc. ílou oÎsÐa ^Eoike gr dÔnaton eÚnai, oÎsÐan eÚnai åtioũn tw̃n kajìlou legomènwn oÎsÐa 57 Aristoteles II Wir wollen jetzt weiter zeigen, wie die „Kritik des Objekts“, die Aristoteles durch seine Theorie des Begriffes auferlegt wird, sich einfügt in den allgemeinen Rahmen der „metaphysischen Kritik“, wie sie im Altertum aufgefasst wurde. 54 K.3. Antinomie: Synthetische Lösung 1. Erinnern wir zuerst daran, dass die Charta, das Grundgesetz dieser metaphysischen Kritik zwei Artikel enthält. die ausdrücklich von Aristoteles gelehrt werden: Zuerst: die Notwendigkeit einer absoluten Aussage jedes Objekts, das heißt die absolute Wahrheit des ersten Prinzips (Prinzip der Identität) in seiner Anwendung auf jeden Inhalt des Bewusstseins. Die absolute Geltung des ersten Prinzips wird nicht bewiesen: Sie wird festgestellt. Sie wird nicht bewiesen, denn das erste Prinzip jeder Beweisführung könnte nicht bewiesen werden: (Der Anfang einer Beweisführung hat keinen Beweis) (Métaph. .., 1011 a, 13). Aber sie steht fest als eine ursprüngliche Notwendigkeit der Natur, weil gerade die, die sich den Schein geben, von der absoluten Wahrheit des ersten Prinzips nicht überzeugt zu sein, dennoch in ihren Handlungen diese Überzeugung verraten: (obgleich (sie sagen) dass sie wirklich nicht überzeugt sind, sind sie offensichtlich in ihren Taten)(Ebenda., 10)11 podeÐxewc gr rq oÎk pìdeixÐc âstin âpeÈ íti ge oÎ pepeismènoi eÊsÐ, faneroÐ eÊsÈn ân taĩc prxesin 11 Wir haben an diesen Beweis des Aristoteles erinnert, als wir weiter oben über den antiken Skeptizismus gesprochen haben. Vergl.. Seite 6, Seite 7. 58 Nun aber schließt die absolute Wahrheit des ersten Prinzips eine absolute Aussage (Bejahung) des Seins ein oder, was aufs Gleiche hinauskommt, die absolute Setzung des Objektes, (siehe weiter oben Seite 38 ); und andererseits würde das Opfer des ersten Prinzips die totale Relativität des Seins zur Folge haben: in der Tat, wenn man das erste Prinzip weglässt, in einem absoluten Sinn verstanden, bleibt nur die unstabile Aussage der Erscheinung, einer wesentlich relativen Erscheinung ( = relativ) : (so wie einer der sagt, dass alles Erscheinende wahr ist, er alles zu Seiendem im Verhältnis zu etwas macht ) (Ebenda)., 19)12 . präc tÐ ¹ste å lègwn panta t fainìmena eÚnai lhjh̃ panta poieĩ t înta präc ti 12 Wir werden diese Demonstration wiederfinden, und zwar weiter entwickelt beim hl. Thomas, siehe unser Heft V.. Die absolute Wirklichkeit des Seins scheint also von der absoluten Wahrheit des ersten Prinzips untrennbar: Setzung des einen ist damit Setzung des anderen. Zweitens: die Notwendigkeit einer Sortierung, Auswahl des metaphysischen Objektes, oder des Seins, unter der Norm (Berücksichtigung) des ersten Prinzips. Mit anderen Worten die verschiedene Behandlung der ontologischen Aussage (Bejahung) je nach den logischen Beziehungen ihres Inhaltes. Dieser zweite Artikel, im Denken der Alten, setzt den ersten voraus: der normative Gebrauch des ersten Prinzips lässt sich nicht von seinem absoluten Gebrauch trennen. Wenn einmal die Zugehörigkeit jedes Inhalts des Bewusstseins zur absoluten Einheit des Seins anerkannt ist, muss man also noch die mehrfachen Arten dieser Zugehörigkeit in ein System reduzieren, ohne Schaden für 55 Buch II Das Eine und das Viele das grundlegende Gesetz der Identität oder des Widerspruchs. In der Tat ist die Einheit des Seins für uns nur leicht zu verstehen, zu durchschauen durch eine Mannigfaltigkeit, die sie aufteilt: (das einfach Seiende wird verwendet in vielfacher Weise) (Metaph. K, 1064 b,15). Unter Androhung das erste Prinzip zu zerstören, müssen die verschiedenen Sinne des Seins sich untereinander harmonisieren in der vollkommensten logischen Kohärenz (Widerspruchsfreiheit). tä plw̃c în kat pleÐouc lègetai tropouc 2. Wie wird Aristoteles diese Sortierung des Seins praktizieren, die wirklich verschmilzt mit dem Aufbau der Metaphysik? Offensichtlich kann er nicht, wie vorher Heraklit, die Gesamtheit des Seins ins Werden zerfließen lassen. Denn die Anwendung des ersten Prinzips verlangt (alles ist im Fluss), die reine Veränderim Sein einen Fixpunkt: das lichkeit ist mit der Wahrheit des ersten Prinzips unverträglich; Heraklit zeugt schicksalhaft Protagoras. (siehe Metaph. K, 1062 a – 1064 a.). Überdies genau genommen fühlt sich Aristoteles näher bei Parmenides, als bei Heraklit. Parmenides bejaht wenigstens die Rechte der Einheit; noch besser, er sucht nach ihr, wo sie wirklich ist (wohnt), das heißt im intelligiblen Wesen, (= in der Nähe des Redens, im Begriff), und nicht, wie Melissus, im unbestimmten Materiellen, (in der Materie), Metaph. A, 986 b,18). Unglücklicherweise hat die Schule der Eleaten die notwendige Einheit des Seins übertrieben. Ihrer Meinung nach reduziert sich alle Vielfalt und als Folge davon alle Bewegung auf eine trügerische und unintelligible Erscheinung (Ebenda), da die Vielfalt, wenn sie real wäre, das Sein zerstören würde, dadurch dass sie darin das Nichtsein einführt. War der Weg, den die Eleaten einschlugen, unvermeidlich? Zieht die allgemeine Affirmation (Bejahung) des Seins, die latent bei den Anwendungen des ersten Prinzips vorhanden ist, logischerweise den absoluten Monismus des homogenen (gleichförmigen) Seins nach sich? Keineswegs. Zwischen den extremen Begriffen des reinen Seins und des reinen Nichtseins, schaltet sich ein synthetischer Begriff ein, über dessen Sinn sich Parmenides irrt, weil man, um sie richtig zu begreifen, sich eine dynamische Haltung zu eigen machen müsste: beim Abstieg vom Sein zum Nichtsein stößt man zusammen mit dem „Abbau“, der „Einschränkung“, also mit einer Synthese von Sein und Nichtsein; umgekehrt, beim Wiederaufstieg vom Nichts zum Sein stößt man auf das positive Werden, auf den Ruf nach dem Sein, also auf die Synthese von Nichtsein und Sein. Von einem statischen Gesichtspunkt aus, wie dem der Eleaten, ist die Begrenzung (Einschränkung) des Seins, die Kombination von Sein und Nichtsein sicher unverständlich. Aber es gilt auch, mit welchem Recht ist unser objektives Denken in einer statischen Unbeweglichkeit einzuschließen? Zeigt sich uns nicht pnta 59 reĩ kat ton lógon kätà 56 th̃n Õlhn K.3. Antinomie: Synthetische Lösung unser Denken gerade selbst als die Form unserer Aktivität? und ist nicht das „Objekt“ unseres Denkens uns immer gegeben „in Bewegung“? Aristoteles verstand die Notwendigkeit, auf den dynamischen Gesichtspunkt zu rekurrieren, um den Antinomien zu entkommen, die der Monismus des Seins vor der Vernunft errichtete. Einen anderen Ausweg, der erlaubte, den Widerspruch zu vermeiden, fand er dafür nicht : dies war also noch einmal die Anwendung des „ersten Prinzips“, nämlich dass man den einzigen logischerweise offenen Weg betritt. Auf der einen Seite drängten sich in der Tat das „Werden“ und sein formales Korrelat die „Begrenzung“ gerade in der Vielfalt der objektiven Gegebenheiten auf; andererseits drängte sich die universelle Affirmation (Bejahung) des Seins nicht weniger gebieterisch auf als Bedingung der Gültigkeit des ersten Prinzips. In der Hypothese der bewegungslosen Homogenität des Seins war keine Versöhnung zwischen dieser doppelten Notwendigkeit möglich: man musste entweder die Vielfachheits-Erfahrung (die Daten) opfern, oder das erste Prinzip. Man war also gezwungen, auf den ontologischen Immobilismus zu verzichten und infolgedessen das Sein auf mehreren Ebenen stufenförmig aufbauen, abstufen, terrassieren, was darauf hinauslief einen Kompromiss zwischen Heraklit und Parmenides zu finden. Wenn man den Eleatismus und den Aristotelismus vergleicht, könnte man versucht sein, sich vorzustellen, dass der Stagirit sich nur durch die Kraft seines abstrakten Denkens gegen die Antinomie des Seins und Nichtseins wehrt und so die hegelsche Synthese des „Werdens“ vorwegnimmt. Tatsächlich scheint die aristotelische Lösung durch die Erfahrung unmittelbarer nahegelegt gewesen zu sein. Man darf nicht vergessen, dass Aristoteles ein Physiker (im antiken Sinn) nicht weniger als ein Metaphysiker war: es kommt sogar von seiner Physik, ( Métaph. A, 986 b, 30) dass er uns verweist auf die entscheidende Kritik am eleatischen Immobilismus. Die Aufdeckung des Werdens als die umfassende Synthese des Seins und des Nichtseins, fand er in der lebhaften Wahrnehmung der Bewegung13 ân toĩc perÈ fÔsewc 13 Den genauen Sinn der Begriffe Bewegung, Form und Materie, effizienter und finaler Ursache in der Physik, findet man bei A. Mansion, Introduction à la Physique aristotélicienne Louvain,1913. dem universellen Gesetz der physikalischen Welt ( (= Bewegung, Veränderung).) . Jeder Inhalt des Denkens ist uns zuerst unter der Form der (=Bewegung, Veränderung) gegeben: die Sinneswahrnehmung liefert in der Tat die notwendige Materie unserer Begriffe; nun ist aber das Objekt der Sinneswahrnehmung wesentlich in Bewegung zufolge der vier Veränderungsarten (was, wie beschaffen, wie groß, wo): (= das wahrgenommene Seinede ist veränderlich kÐnhsic, metabol kÐnhsic d' aÊsjht oÎsÐa metablht , ... « katà tò tÐ, « katà tò poĩon, « pìson, « poũ 57 Buch II Das Eine und das Viele 60 ... entweder nach dem was oder dem wie beschaffen oder dem wieviel oder dem Wo) Metaph. Λ, 1069 b, 3 und 9). Ein Mal in Besitz des zentralen Bewegungsbegriffs unterwirft ihn Aristoteles der strengsten rationalen Analyse. Er entdeckt dort die Elemente seiner allgemeinen Theorie der vier Ursachen: 10 das Wesen oder die Form, ( ); 20 die Materie oder das Subjekt ( ); 30 das Prinzip, ( ; 40 das Ziel, ( (Cf passim) v. g. Métaph. A. 983 a, 24 sqq.). Dann, nämlich gerade an der Wurzel der Erfahrungsdualität von Form und Materie, erkennt er die zwei großen metaphysischen Prinzipien, die für uns der Schlüssel des Systems des Seins sind, weil sie erlauben die ontologische Einheit innerhalb der Vielfalt wiederherzustellen: nämlich das, was man als den Akt und die Potenz ( ) bezeichnet. Die (= Bewegung), unmittelbare Gegebenheit des Bewusstseins, aber Stein des Anstoßes für die eleatische Philosophie, bringt selbst das Heilmittel gegen die Antinomie, die sie hervorgerufen hat. Dieses Heilmittel besteht nun nicht darin, das Nichtsein in den intelligiblen Bereich des Seins zu übernehmen: das reine Nichtsein bleibt eine verbale Fiktion, etwas, was kein Objekt der Intelligenz werden kann. Wenn die Veränderung das reine Nichtsein beinhalten würde, wie es fälschlicher Weise Parmenides und Zenon annahm, dann wäre Veränderung unmöglich. Aber es geht damit auch ganz gut anders. Neben dem Akt manifestiert uns die Veränderung nicht das reine Nichtsein sondern den Nicht-Akt, das ist die Potenz. Und die Unterscheidung, die wir hier zwischen dem Nicht-Akt und dem Nicht-Sein machen, entspricht nicht einer verbalen Ausflucht, denn der Nicht-Akt, die Potenz, weit davon entfernt sich ins absolute Nichts aufzulösen, impliziert ein positives Verhältnis zum Akt, eine Anlage zum erfüllteren Sein. Diese Proportion, diese Anlage, ruft nicht nur nach einem Akt, der sie realisieren würde, sondern resultiert selbst, in letzter Analyse, aus einem vorherigen Akt, der sie unterstützt. Die „passive Potenz“ – die, nach der hier gefragt ist – ist nichts anderes als der „objektive“ Ausdruck einer „aktiven Potenz“, einer vorausgehenden positiven Dynamik. Das reine Nichts, dagegen, hätte keine Proportion zum Sein anzubieten, noch zum Akt und übrigens auch nicht mehr als zum Denken. Er ist kaum nötig, zu zeigen, dass der peripatetische Begriff des Werdens, die dialektische Lösung der Antinomie vom Einen und dem Vielfachen, zum Schlüssel der aristotelischen Metaphysik des Seinss wird. Da tatsächlich das erste Objekt unserer ontologischen Erkenntnis der Welt der Sinneswahrnehmung entnommen ist – „ nihil in intellectu quod non prius fuerit in sensu“ (im Verstand ist nichts, was nicht zuvor in den Sinnen war ) – und da die Welt der Sinne wesentlich der Veränderung unterworfen ist – (das Wahrgenommene ist Veränderung), loc. sup. cit.) – ergibt sich, dass das Sein sich unserer Intelligenz zuerst präsentiert als ein Werden, das heißt als komplementär (sich ergänzend) verteilt auf Akt und morf , tä eÆdoc tä íjen üq th̃c kin sewc Õlh, tä oÔ tä oÎsÐa. ÍpokeÐmenon éneka ânergeĩa, dÔnamic kÐnhsic 61 d' 58 aÊsjht oÎsÐa metablht K.3. Antinomie: Synthetische Lösung Potenz. „Actus et potentia dividunt ens commune“ (Akt und Potenz teilen unter sich das gemeinsame Seiende) wird der hl. Thomas später sagen, in Nachahmung von Aristoteles. Vermittelst dieses Werdens, dieses Bündnisses von Akt und Potenz, muss sich also unseren Augen die Gesamtheit des Seins enthüllen. Denn das was nicht sichtbar würde im eigentlichen und ersten Objekt unserer Intelligenz, würde uns für immer unzugänglich bleiben. Nun rühre aber alles Werden – sagt Aristoteles – von einem Akt her, der da= bewegend), und tendiert hin auf einen von das bewegende Prinzip ist ( Akt worin es sich vollendet ( = Ziel). Wenn das Prinzip und das Ziel eines besonderen Werdens noch Potenz enthält neben dem Akt, sind diese selbst „Werden“ und fordern ihrerseits einen Akt, der ihr Prinzip wäre und einen Akt der ihr Ziel wäre. Die Gesamtheit des Werdens oder das Werden als solches, entwickelt sich also zwangsläufig zwischen einem universellen Prinzip, einem « ersten Beweger » der reiner Akt ist und einem absolut letzten Ziel, das ebenso reiner Akt ist. Das Werden kommt zum reinen Akt hinzu, wie ein Epizyclus sich einem geschlossenen Kreis überlagert; und der Zünder des Werdens ist die „Potenz“, die Potenz in allen Graden und Stufen bis zu dieser untersten Grenze, deren isolierte Verwirklichung einen Widerspruch implizieren würde: die reine Potenz, die Materia prima ( = die erste Materie). Eine Analyse der Veränderung oder des Werdens deckt so den umfassenden Gliederbau des Seins auf: zwischen einer ersten Ursache und einem letzten Ziel, die objektiv identisch sind, weil sie alle beide die Fülle des Seins realisieren in die Reinheit des Akts, die endlichen Seienden verteilen sich der relativen Proportion von Akt und Potenz, die sie konstituieren, zufolge – der Akt ( ) dort, einen positiver und erobernden Dynamismus entrollend, die Potenz ( ) jetzt dort eine Art von Dynamismus rückwärts, eine negative Arbeit, eine Leere, die nach dem Akt ruft. So findet sich unter dem dialektischen Gesichtspunkt wie unter metaphysischem Gesichtspunkt die Antinomie vom Einen und dem Vielfachen gelöst: die umfassenden Rahmenbedingungen des Seins sind fortan festgelegt in Übereinstimmung mit dem ersten Prinzip. kinoũn tèloc 62 pr¸th Õlh ânergeÐa dÔnamic 3. Sagen wir jetzt ausdrücklicher, wie diese metaphysische Ordnung , durch die Tatsache, dass sie die Gesamtheit des Seins umfasst, teilweise zu einer wahrhaftigen eigentlichen – objektiven – Kritik der Erkenntnis wird. Wir haben also verstanden, dass jedes Objekt unserer Erkenntnis, sei es direkt, oder sei es reflex, irgendeinem Seinsgrad zugeordnet ist, da das die Anwendung des ersten Prinzips verlangt. Und wenn kein Bewusstseinsinhalt dem Attribut des Seins entkommen kann, kann sich auch keines, zumindest zu Recht, der unerlässlichen Auswahl der Arten des Seins entziehen. 59 Buch II Das Eine und das Viele Die aristotelische Metaphysik ordnet in ein zusammenhängendes System ein: 10 das ganze Objekt der direkten Erkenntnis, angefangen mit der reinen Potenz, der „Materia prima“, bis zum „ersten bewegungslosen Beweger“,( . Metuph. ?, 1072 a, 25, der reiner Akt ist und folglich auch reine Idee, ( . Metaph. Λ, 1074 b,34). Es bleibt wohl bei Aristoteles einige Dunkelheit bezüglich der Herkunft der Materia prima, dem Prinzip der Vervielfachung, bezüglich der Natur der schöpferischen Bewegung, bezüglich der perfekten Transzendenz Gottes und bezüglich der endgültigen Bestimmung des Menschen. Die Scholastker werden, dank der christlichen Idee der Übernatürlichkeit über diese Punkte sauberere Thesen haben. Aber wie dem auch sei, in der peripatetischen Metaphysik haben die großen Linien einer Metaphysik des Objektes ihren endgültigen Verlauf: sie gehen wie ein Strahl aus genau von dem Punkt, wo sich der Kontakt vollzieht zwischen unseren Erkenntnisfähigkeiten und der ontologischen Wirklichkeit, wir wollen sagen, ausgehend vom Werden oder von der Veränderung im weiten Sinne verstanden. tä prw̃ton kinoũn,... oÎ kinoÔmenon kineĩ nìhsic no sewc nìhssic 63 20 das ganze Objekt der reflexen Erkenntnis. Dabei verstehen wir unter der Reflexion den direkten Akt der Erkenntnis, die darin die immanente Gegenüberstellung des aktiven Subjekts und des repräsentierten Objekts, mit anderen Worten des Ich und des nicht-Ich, wahrnimmt. Aber alle intellektuelle Erkenntnis ist ontologisch. Durch die Reflexion, die das sich selbst außeinanderlegt und erklärt, findet sich das erkennende Subjekt also auf seine Weise bezogen auf die absolute Ebene des Objektes, oder des Seins: der (Verstand) wird ein (Verstandenes). Hinsichtlich des Objektes der direkten Erkenntnis erscheint er unter der Reflexion gleichzeitig als eine immanente Darstellung für das Subjekt und wie eine dem Subjekt gegenübergestellte Wirklichkeit. noũc nohtìn 30 Die Erkenntnis in sich selbst betrachtet als Beziehung von Objekt und Subjekt. In der Tat, wenn man die Daten der direkten Erkenntnis kombiniert mit denen der reflexen Erkenntnis, kann man sehen, dass der Inhalt des Bewusstseins oder die Erkenntnis objektiv betrachtet, gleichzeitig vom Ich und vom nicht-Ich abhängt. Sie setzt eine gewisse Identitätsbeziehung zwischen einem wirklichen Subjekt und einem wirklichen Objekt voraus. Dies ist es, was S. Thomas später ausdrücken wird, mit der wohl bekannten Formel „intelligibile in actu est intelligens in actu“; einfache metaphysische Übersetzung des aristotelischen Prinzips: (Dasselbe ist das Wissen im Akt und der Vollzug) De anima, G, 7, 431 a, l). Aber wenn das so ist, wenn die Erkenntnis sich vollzieht exakt in dem Maße (zufolge) in dem das Objekt dem Subjekt immanent wird, wird eine Metaphytä d' aÎtì âstin kat' ânèrgeian âpist mh tÄ 60 prgmati K.3. Antinomie: Synthetische Lösung 64 sik der Erkenntnis aufspritzen gerade aus der Annäherung einer Metaphysik des Subjekts und einer Metaphysik des Objektes. Sie wird in der Analyse der möglichen Grade einer objectivo-subjektiven Synthese innerhalb des Subjekts selbst bestehen. Die Probleme, die eine Metaphysik der rationalen Erkenntnis stellt, sind sehr kompliziert. Man könnte auf eine umfassende Weise sie zurückführen auf die drei folgenden: Bestimmung der ontologischen Bedingungen der rationalen Erkenntnis a) betrachtet als Assimilation des Objekts durch das Subjekt; b) betrachtet als immanente Gegenüberstellung des Objektes zum Subjekt; c) betrachtet als absolute Aussage des Objektes durch das Subjekt. In seiner Theorie der Erkenntnis behandelt Aristoteles kaum ausdrücklich etwas anderes als das erste dieser Probleme: wie die Sache sich verhält drängt sich, wegen der realistischen Vorraussetzung seiner Philosophie, das zweite und das dritte Problem seiner Aufmerksamkeit nicht auf. Wir werden später sehen, dass die Hauptinteressen der modernen Kritik, die sich als Ansatzpunkt nicht mehr einen universellen, summarisch gerechtfertigten Realismus vorgeben, zwangsläufig die peripatetische Psychologie überschreiten. Man muss dennoch anerkennen, dass Aristoteles in seiner Metaphysik und in seinem des langen und breiten extrem kostbare fundamentale Prinzipien aufgestellt hat, deren Tragweite vielleicht nicht eingeschränkt ist suf die Anwendung, die sie bei den alten Realisten empfingen. Wir sagten weiter oben, dass die aristotelischen Philosophen die objektive Erkenntnis am Grad der Immanenz des Objektes im Subjekt messen. In ihren Augen begreift unsere begriffliche Erkenntnis also wesentlich eine Synthese von objektiven Bedingungen und von subjektiven Bedingungen.- Aber eine Schwierigkeit taucht hier auf, da das primäre, unmittelbare Objekt unserer Intelligenz die materiellen und ausgedehnten Dinge sind: wie können diese eintreten in eine Synthese mit dem Geist, der wesentlich immateriell und unausgedehnt ist, mit dem , der fähig ist der totalen Reflexion auf sich selbst? Zweifellos wirken die materiellen Objekte zuerst physisch auf unsere Sinne: das (=Phantasma, das Bild), das aus dieser Aktion folgt, dehnt die Form des materiellen Objektes in uns hinein aus, indem es die „konkrete Subjektivität“ abstreift, auf die es sich als von außerhalb auf uns wirkend stützte. Aber die Form, die in uns eingegangen ist, bleibt beschwert von der Materie: denn das ist selbst der Akt einer organischen Fähigkeit. Die Form hat die Materie des außerhalb befindlichen Objekts ausgetauscht gegen die Materie des erkennenden Subjekts: dies ist ein Beginn der Immanenz der Form im Subjekt, es ist noch nicht die streng geistige Immanenz, die enge Verbindung mit dem . Andererseits ist in uns, die wir nicht unvermischt oder rein intuitiv sind, der Geist nie von sich allein aus in Besitz seiner letzten Aktualität: er erkennt nur perÐ yuqh̃c noũc fntasma fntasma noũc 61 Buch II Das Eine und das Viele dadurch dass er sich aneignet, indem er jedes Mal von der Potenz zum Akt übergeht. Es liegt also Veranlassung vor, in unserer Intelligenz einen passiven Intellekt, einen zu unterscheiden, De anima, Γ, 5, 430 a, das heißt eine „Potenz“ zum aktuellen Verstehen. Aber welcher „Akt“ kann diese intelligible Potenz in Bewegung setzen und sie mit den verschiedenen Formen der Erkenntnis ausstatten? Das Phantasma? Zwischen einer materiellen Tätigkeit und einer geistigen Potenz besteht jedoch ein Missverhältnis. Notgedrungen wird die Aktuierung also von einem immateriellen Agenten von der gleichen Ordnung wie die passive Intelligenz, geliefert durch einen (= einem unterschiedenen, nicht passiven und unvermischten Verstand ), De anima,Γ,5, 430 a,17, dessen Rolle es ist, objektiv die Gesamtheit der Realität der noch unbestimmten Kapazität des passiven Intellektes einzuprägen: noũc 65 pajhtikìc noũc qwristäc kaÈ pajc kaÈ mig c êstin å màn toioũtoc noũc (= pajhtikìc) tÄ pnta gÐnesjai, å dà (= noũc qwristìc) (etc.), (= es ist nämlich dem so beschaffenen Verstand (=passiv) eigen, alles zu werden. dieser aber (= dem aktiven Verstand) alles zu machen) l. c,14. Um diesen intelligiblen Agenten zu bezeichnen leihen wir (stellen zur Verfügung) dem Kommentator Alexander von Aphrodisia den klassisch gewordenen Ausdruck: (aktiver, tätiger Intellekt.) Man sieht bei Aristoteles nicht sehr gut, ob der (=tätige Intellekt) eine Fakultät jeder individuellen Intelligenz ist, oder ob er über den Individuen schwebt. Die erste Interpretation, die die der orthodoxen Scholastik war, entspricht wahrscheinlich dem Gedanken des Philosophen14 tÄ pnta poieĩn noũc poihtikìc noũc poihtikìc 14 Alexander identifizierte den aktiven Intellekt mit Gott. Das Buch Λ der Metaphysik begünstigt kaum diese Interpretation. Der neuste Kommentator dieser Abhandlung, Herr W. - D. Ross (Oxford), hält es für praktisch sicher, dass nach dem Urteil des Philosophen, „die Gegenüberstellung zwischen aktivem Intellekt und passivem Intellekt innerhalb der Seele bleibt“, Arisiotle. London, 1923, p.149). Man muss hinzufügen, dass die ursprünglichen Ausdrücke: νου̃ς παθητικός, νου̃ς χωριστός oder ποιητικός, obwohl sie die Initialzündung für die scholastischen Theorien des Verstehens sind, nicht genau den technische Sinn der entsprechenden mittelalterlichen Ausdrücke: „intellectus possibilis“ und „intellectus agens“ haben. Die Differenz, das ist wahr, erstreckt sich weniger auf die psychologische Funktion als auf die ontologische Natur dieses doppelten Intellekts. Geben wir das zu, dann können wir den genauen Punkt markieren, wo sich, im menschlichen Subjekt, die kognitive Synthese vollzieht. Wenn wir mit dieser Hypothese die Gegebenheiten des Problems wieder aufgreifen und fortsetzen, finden wir einerseits das außerhalb befindliche Objekt sich hinsichtlich seiner Form, im fortsetzend und andererseits den menschlichen Geist, der insofern er passiv ist, bereit ist, alle Formen des Seins aufzunehmen, insofern er aktiv ist, ist er bereit, sie in sich zu verwirklichen. Nun aber fehlt der reinen Tätigkeit unseres (nicht-intuitiven) Geistes, wenn er sich selbst überlassen wird, ein (von ihm selbst?) verschiedener Inhalt auf den er sich ausüben kann. fntasma 62 K.3. Antinomie: Synthetische Lösung Dieser verschiedene Inhalt, wo wird er den antreffen, wenn nicht im ? Und unter welcher Bedingung wird er ihn da finden, wenn nicht unter der Bedingung, dass er eine Operation auf das ausüben kann, die sich darin der „Form“ bemächtigt und diese sozusagen daraus unter Ausschluss der Materie herauszieht. Diese Operation wird „abstractio“ ( ) genannt und wird beschrieben in , (Γ, 7-8, 431 a und b, 432 a): Sie besteht in der spontanen Tätigkeit, durch die der , in Anwesenheit des , seine Aktion an den formalen Charakteristiken desselben im Modell darstellt, um sie im passiven Intellekt zu reproduzieren, wo sie die nächsten Bestimmungen des Verstehens (der intellection) werden. Die universelle Form, die vom aktiven Intellekt aus dem Phantasma abstrahiert wurde, kommt so dazu, einer fortlaufenden Verkettung von ontologischen Kausalitäten folgend, die konkrete Form des außerhalb befindlichen Objekts zu repräsentieren oder genauer gesagt zu verlängern, bis ins Innerste der passiven Intelligenz hinein. Also verwirklicht sich so die Maßregel der Immanenz des Objekts die für das Verstehen gefordert wurde: die Sinnes Form, „entmaterialisiert“ durch den aktiven Intellekt ist ein geworden, ein „Intelligibile im Akt“ innewohnend im . fntasma fntasma faÐresic perÈ yuqh̃c noũc 66 poihtikìc nohtìn fntasma noũc Wir werden diese synthetische Theorie des begrifflichen Wissens präzieser und weiterentwickelt beim hl. Thomas wiederfinden, – wo es sich ziemen wird die Analyse weiter voranzutreiben – ( Cf unser Heft V). Sie bringt ansehnliche epistemologische Konsequenzen mit sich, auf deren Wichtigste, (die Unterscheidung des Modus des Subjekts und des Modus des Objektes innerhalb des objektiven Begriffes) Aristoteles selbst ausdrücklich hingewiesen hat, was wir schon am Anfang dieses Kapitels erwähnt haben. Aristoteles III Wenn man die schon sehr summarische Skizze auf zwei oder drei typische Züge beschränken müsste, die im folgenden dargestellt werden sollen, würden wir die ganze aristotelische Kritik der Erkenntnis um die folgenden Punkte gruppieren: 10 Ein beliebiger Bewußtseinsinhalt ist durch die Tatsache, dass er der Gerichtsbarkeit des ersten Prinzip unterworfen ist, auf die Absolutheit des Seins bezogen: die pure Relativität der Bewusstseinsinhalte würde dem ersten Prinzip widersprechen. Hinsichtlich des ersten Prinzips selbst gilt: es kann an sich objektiv nicht bewiesen werden; aber man beweist perfekt seine Notwendigkeit für jedes erkennende Subjekt, was auch immer die Einstellung dieses Subjekts gegenüber diesem in Frage stehenden Prinzip wäre: Zustimmung, Negation oder Zweifel): (=über die so beschaffenen), (das heißt : bezüglich der Verkörperung des ersten Prinzips) perÈ tw̃n toioÔtwn plw̃c màn oÎk êstin pìdeixic, präc tìnde d' êstin 63 Buch II Das Eine und das Viele (=einfach, absolut gibt es zwar nicht einen Beweis, gegen den aber ist es), (, das heißt: (= gegen einen der solche Dinge behauptet (ad hominem Beweis, wie englische Übersetzung bei Perseus? siehe Bemerkung unten!). Metaph., K, 1062 a, 2 und 30). Wenn wir uns nicht jede Vorwegnahme späterer Phasen bei jeder Etappe der philosophischen Entwicklung verboten hätten, würden wir diese Bemerkung von Aristoteles übersetzen in die moderne Sprechweise: „Das erste Prinzip, in seinem absoluten Sinn, ist nicht für eine analytische Demonstration empfänglich, aber wohl für einen transzendentalen Beweis.“ Denn dies ist wirklich der Versuch eines „transzendentalen Beweises“ der absoluten Aussage (Bejahung), die der Philosoph entwirft, in den Textpassagen, die wir zitieren, (siehe auch Heft V).(im englischen Text bei Perseus nur als argumentum ad hominem interpretiert) präc 67 tän taũta tijèmenon 20 , Wenn jeder Inhalt des Bewusstseins im absoluten Sinn, im Maße seiner Identität mit sich selbst, ist (= existiert), das heißt im exakten Maße seines Wesens mit allen Relationen (Beziehungen), die dieses Wesen beinhaltet, verschmilzt die Wissenschaft von der Existenz mit der Wissenschaft vom Wesen; mit anderen Worten die logische oder Ideen Ordnung drückt die ontologische Ordnung aus: dies ist es, warum, (der selben Denkordnung ist das, was etwas ist offenbar zu machen und wenn es ist) es gehört zur gleichen Wissenschaft, (der Wissenschaft des Seins), das Wesen von einer Sache und seine Existenz zu beweisen. Metaph., E, 1025 b,17). Aber man muss dies richtig verstehen. In der Tat: th̃c tÐ âsti dh̃lon poieĩn kaÈ eÊ aÎth̃c [êsti] dianoÐac, tä te êstin. 30 die Wesen, das heißt die objektiven Gedankeninhalte, die wir alle auf die absolute Ordnung des Seins beziehen, und die wir mit dem gemeinsamen Namen des Seienden (entia, ) benennen, sind vielfach und verschieden, nicht nur in ihren repräsentativen Noten, sondern in ihren Beziehungen zur konkreten Existenz; sie existieren wirklich jede nur zufolge der ihr jeweils eigentümlichen Bedingungen: wenn alle auf die eine oder andere Weise zu einer „Subsistenz = Erhaltungsstelle“ gehören, dann sind alle nicht durch sich selbst und ihren repräsentativen Noten zufolge „Subsistenzen (Erhaltungsstellen)“, . Ihr mehr oder weniger an Nähe zur Existenz an sich, zur „Subsistenz, Substanz, Erhaltungsstelle“, liest sich ab an der besonderen Art gerade ihres Wesens, so wie sie anwesend ist in unserem Gedanken: zum Beispiel wird ein solches Objekt unseres Gedankens die Wirklichkeit einer Substanz annehmen, ein solches anderes die eines Akzidens, ein solch anderes die einer Potenz, ein solch anderes die eines Akts, ein solch anderes die einer Relation, ein solch anderes die eines Werdens; dann erlaubt uns unsere Fähigkeit zu abstrahieren, aus diesen Objekten verschiedene Aspekte auszuschneiden, wobei jeder Einzelaînta oÎsÐai 64 K.3. Antinomie: Synthetische Lösung spekt wirklich am Sein gerade in der Proportion teilnehmen wird, mit der er in der Gesamtheit teilgenommen hatte, aus der wir ihn isoliert haben: ein solcher Aspekt wird die Wirklichkeit einer objektiven Abstraktion haben, einer „natura absoluta“, eine solche andere die rein relative Wirklichkeit, die einem „intentionalen Modus“ zukommt, eine solche andere die Wirklichkeit die einer subjektiven Tätigkeit eigentümlich ist, und so weiter. Die umfassende Bestimmung dieser Beziehung des Wesens zur Absolutheit des Seins ist die der Logik, wenn man so will, aber, dies ist vor allem, und eigentlich gesagt, im aristotelischen Konzept die Metaphysik der , das heißt die Seinsordnung der Modi des Seins unter der Norm des ersten Prinzips. Pr¸th filosofÐa Will man bei Aristoteles unmittelbare Anwendungen der „metaphysischen Seinsordnung“ auf das Problem der Existenz sehen? Nehmen wir ein einfaches und total im Akt seiendes Wesen an: wenn es als solches in meinem Denken präsent ist, könnte ich mich nicht darüber irren, ich bejahe zwangsläufig seine Subsistenz; denn es gibt für es nur eine einzige Art, gedacht zu werden und auf 68 die Realität bezogen zu werden: (Métaph., , 1051 b, 30). (wie groß endlich es ist, was welches gerade ist und in welchem Akt, darüber « täuscht man sich nicht, sondern entweder erkennt man oder nicht) » , Metaph., , » 1051 b,30). Hingegen, eine Wesenheit, die unter einem beliebigen Titel Unbestimmtheit, „Potenz“, enthält, wird nur affirmiert (bejaht), entsprechend der Natur dieser Potenz; und wenn diese „Potenz“ gerade eine Unbestimmtheit im Blick der Subsistenz ist, ist es offensichtlich, dass das in Frage stehende Wesen das Attribut einer aktuellen Subsistenz nicht empfangen kann: solches ist der Fall beim universellen Abstrakten und bei den ; solches ist insbesondere der Fall bei der abstrahierten Einheit, beim abstrahierten Sein oder bei der Entität ( ) und bei allem, was reine Funktion des Elements oder Prinzips in den Dingen macht,( ) : (das als-Element-Sein oder als Prinzip): J VOsa d âstin íper eÚnaÐ ti, kaÈ âner- geÐø. perÈ taũta oÎk êstin pathjh̃nai, J ll' « noeĩn « m oÎsÐai deÔterai tä în tä stoiqeÐú eÚnai ¢ rq¬ « fanerän íti oÖte tä én, oÖte tä (Es ist offensichtlich, dass es weder für das Eine noch für das Seiende möglich ist Substanz von Tätigkeiten zu sein wie » auch nicht für das Element- oder PrinzipSein) Metaph., Z, 1040 b,18). în ândèqetai oÎsÐan eÚnai tw̃n pragmtwn, ¹sper oÎdà tä stoiqeÐú eÚnai « rq¬ (Métaph., Z, 1040 b, 18). Kurzum ist ganz allgemein und in umfassendem Sinn die Wirklichkeit das Erbteil jeder Wesenheit, aber zu sehr verschiedenen Titeln und unter sehr verschiedenen Moden, und nicht zwangsläufig unter dem Titel der eigenen Subsistenz; denn das Sein, Formalobjekt unserer affirmativen Vernunft, hat mehrfache Bedeutungen: 65 Buch II Das Eine und das Viele tä ïn tä pollaqw̃c, plw̃c ºn sumbèbhkoc, legìmenon én màn éteron dà ªn tä lègetai tä ±c kat, lhjèc, kaÈ tä m ïn ±c tä yeũdoc, par taũta d' âstÈ oÙon tä posìn, ti êti t màn tä llo de tÐ, tä poũ, shmaÐnei par ânergeÐø sq mata taũta th̃c de tä de tän pnta, kathgorÐac, poiìn, potè, trìpon tä tä kaÈ de , eÚ toũton: dunmei kaÈ . (Metaph., E, 1026 a, 33) « Das Sein als solches bietet mehr als einen Sinn: bald bezeichnet es das Akzidens; bald bedeutet er das Wahre durch Gegenüberstellung zum Nichtsein, das das Falsche wäre; bald wird es ihr zugeschrieben nach der Einteilung der Kategorien, das heißt dem Wesen zufolge, die Qualität, die Menge, der Ort, die Zeit, und so weiter; schließlich außer all dem umfasst das Sein Potenz und Akt. » (Metaph., E, 1026 a, 33). Das Problem der objektiven Erkenntnis besteht also bei Aristoteles gar nicht darin, ich weiß nicht welchen Übergang durchzuführen von der logischen oder idealen Ordnung zur ontologischen Ordnung: die ganze logische Ordnung ist ontologisch. Das Problem war vielmehr die intelligible Beziehung jedes besonderen Wesens zur aktuellen Subsistenz zu finden, subjektiv oder objektiv, vermittelt oder unmittelbar die sie postuliert. Dieses Problem gehört zur Kritik der Erkenntnis, aber zu einer Kritik die auf den ersten Anhieb (sofort) in metaphysischen Ausdrücken formuliert ist.15 15 Es würde ein bisschen lang sein, im Detail zu zeigen, wie das Problem der Existenz sich auflöst im Rahmen dieser metaphysischen Kritik: offensichtlich müsste die Beziehung der existentiellen Urteile zur sinnlichen Erfahrung vollkommen durchleuchtet werden. Man wird einige Hinweise zu diesem Thema in der Folge in unserer Arbeit finden. Dass es uns hier genügt, zu bemerken, dass man auf zwei Weisen verstehen kann, wie man die Unbestimmtheit der intelligiblen Form in ihrer Beziehung zur Subsistenz beseitigen kann: 1. durch die vollkommene innere Bestimmung der Form als sie selbst, was in uns die intellektuelle Intuition eines Objektes voraussetzen würde, die durch sich selbst „intelligibel im Akt“ wäre, oder 2. durch die transzendentale Beziehung der intelligiblen Form zur konkreten Quantität, die in uns einfällt durch unsere Sinneswahrnehmung. Auf diese zweite Weise verläuft, direkt oder indirekt, alle menschliche Erkenntnis der Existenz der Objekte. §3. – Nach Aristoteles. Nach Aristoteles und bis in die platonische Renaissance von Alexandria ausschließlich16 , 16 Was wir oben vom alexandrinischen Neuplatonismus gesagt haben, reicht aus für unsere gegenwärtige Absicht. Wir behalten uns eine ausführlichere Studie der Philosophie von Plotin und Proclus für Arbeiten über „Metaphysik und Mystik“ vor, die unserer Absicht nach das gegenwärtige Werk fortsetzen sollen [Anmerkung des Übersetzers: Material zu diesem nicht mehr ganz durchgeführten Vorhaben ist zu finden in den „Studien zur Psychologie der Mystiker“, Band 2 in unserer Sammlung der Übersetzungen der Werke von J. Maréchals] geht der Sinn für die große Metaphysik verloren. Die Logik und die Dialektik werden um ihrer selbst willen gepflegt, treten dabei aber als rein formale Wissenschaften auf, die sich, ohne Ergebnisse zu bringen, komplizieren. Die Begriffe 66 K.3. Antinomie: Synthetische Lösung und die Wirklichkeit haben nichts mehr miteinander zu tun: die Begriffe werden mehr und mehr als Symbole behandelt, Logik und Dialektik wie ein Spiel mit Symbolen, die man miteinander kombiniert nach den ihnen eigenen Gesetzen, das heißt vor allem nach den Gesetzen ihres logischen Umfangs, ihrer logischen Ausdehnung. Denn die logische Ausdehnung neigt seitdem in der Logik dazu, das Begreifen, den Begriffsinhalt in den Hintergrund zu drängen. Zu dieser Abweichung musste es kommen in dem Maße, wie das Merkmal der natürlichen Universalität der Form verloren ging und der Begriff immer ausschließlicher die Funktion eines subjektiven Etiketts zur Bezeichnung einer Ansammlung von Individuen übernahm. Aus verschiedenen Gründen, die sich alle auf die metaphysische Unzulänglichkeit zurückführen lassen, verteilen sich Neu-Aristoteliker17 , 17 Cf. Alexander von Aphrodisia: Commentaria in Aristotelem graeca, vol. II. Alexandri in Aristotelis Anal, prior. lib. I commentarium. Berolini 1883. Dieser Band enthält Hinweise auf Theophrast und Eudeme. Die Bände I, II, III, der großen berlinischen Serie der griechischen Kommentare sind dem Werk von Alexander von Aphrodisia gewidmet. Stoiker18 , 18 Man wundert sich, dass die Stoiker, die öffen einen finalistischen Monismus lehrten, sich so ganz mit dem Bruch zwischen Logik und Metaphysik abgefunden haben. Zweifellos haben sie sich der allgemeinen Versuchung ergeben. Um im Übrigen dahin zu kommen, dass die Logik und die Metaphysik wieder dahin kommen, sich zu verbinden, muss jede Vollgas geben unter der Herrschaft einer Ansicht, die die systematische Einheit ganz unerbittlich anstrebt. Nun ist aber die stoische Metaphysik, zwar eine umfassende Maschine, die interessante Teile zu präsentieren hat, aber dennoch nur eine Metaphysik zweiter Ordnung. 69 70 Epikuräer, Eklektiker, so gut wie Skeptiker, gleichmäßig auf verschiedene Zeitpunkte auf dem Weg, der zum Nominalismus führt. Zweifellos war dies noch nicht der extreme Nominalismus unserer modernen Empiristen, für welche die Antinomie der abstrakten Einheit und der konkreten Pluralität sich auflöst, dadurch dass sie den ersten Term (die abstrakte Einheit) aus der wirklichen Welt und selbst – wenn man ihnen glauben darf – aus der Welt der Begriffe verbannt, bis in den künstlichen Rahmen einer verbalen Semantik (=Wortbedeutungslehre). Es war vielmehr eine Art von schlecht definiertem Konzeptualismus, der sich gleichzeitig die Antinomie und den Realismus des Verstehens vom Halse schaffte, die allgemeine Einheit in die Intelligenz und die individuelle Vielfalt in die Außenwelt verbannend, selbst auf die Gefahr hin, zwischen die entgegengesetzten Terme das oberflächliche Band eines angeborenen oder erworbenen Symbolismus setzen zu müssen. Wir wollen hier nicht auf dieser Lösung insistieren. die im Grunde und ohne es zuzugeben, von neuem die Einheit zu Gunsten der Vielfachheit verdrängt, denn wir werden sehen, wie die griechische Geistesgeschichte sich im Wesentlichen im Mittelalter wiederholt und dort auch schließlich zu einem tatsächlichen Nominalismus führt, dem von Ockham. 67 Buch III. Die Antinomie des Einen und des Vielen in der Philosophie des Mittelalters 71 69 B.III Antinomie des Einen und Vielen 72 KAPITEL I Partielle Renaissance des Problems vom Einen und dem Vielfachen im Mittelalter. Die Universalien (Allgemeinbegriffe). §1. – „Startguthaben“ der scholastischen Epistemologie. Der Zerfall der römischen Welt unter dem wiederholten Zusammenstoß barbarischer Überfälle war für die Philosophie tödlich (verhängnisvoll). Nicht nur aller Fortschritt wurde unmöglich, sondern die Überlieferungen und die geschriebenen Quellen gingen zum größeren Teil verloren. Insofern war die mittelalterliche Scholastik wirklich ein Wiederbeginn, eine lange Anstrengung, um den Faden des menschlichen Denkens wieder zu ergreifen. Was auch immer man von seinem Ergebnis denkt, wird diese Anstrengung sicherlich nicht tadelnswert erscheinen, wenn man sich an die Beschränktheit der Mittel der ersten Schule der scholastischen Philosophen erinnert. Von Aristoteles gab es zunächst nur Übersetzungen von und von den ; erst gegen die Mitte des XIIen Jahrhunderts fängt der Rest des Organon an, zu erscheinen: von den zwei wichtigsten logischen Abhandlungen, fehlen noch die teilweise, die , sehr viel aufschlussreicher vom realistischen und metaphysischen Gesichtspunkt der aristotelischen Logik her, fehlen total. Das Organon wurde erst in der zweiten Hälfte des XIIen Jahrhunderts vollständig wiederhergestellt. Erst unter diesen Umständen kamen dann die anderen Werke von Aristoteles in den allgemeinen Umlauf: die Metaphysik, die Physik, das (Psychologie), vor allem dank der Übersetzungen, die aus dem Arabischen gemacht wurden, dann aus dem Griechischen. Der wiedergefundene Aristotelismus wurde so die Nahrung für das Denken des XIII-ten Jahrhunderts. Von Plato besaß man, abgesehen von einem Fragment aus Timaeus, vor der Mitte des XII-ten Jahrhunderts nicht viel. Wenn man einige platonische Theorien kannte, war das vor allem durch die wenig verlässliche Vermittlung eines NeuPlatonismus aus zweiter Hand. Bei diesem Mangel an Meisterwerken waren die seltenen, aus dem Schiffbruch geretteten alten Kommentatoren eine kostbare Ergänzung des Fehlenden. Unglücklicherweise konnte der Gebrauch, den man davon machte, nur unendlich wenig kritisch sein. Und dann erstreckten sich diese Kommentare beinahe ausschließlich auf die formale Logik. Wir erinnern allein an solche Namen wie Porphyrius, dem Neuplatoniker – den das Mittelalter als einen Schüler von Aristoteles behandelte – und an Boethius, diesen berühmten „Manlius Konsul“ (480 -525), dessen Übersetzungen und enzyklopädische Abhandlungen lange Zeit für perÈ <ErmhneÐac kathgorÐai >AnalÔtika prìtera >AnalÔtika PerÈ 73 70 yuqh̃c Õstera K.1 Partielle Renaissance des Problems die Scholastiker das hauptsächliche, ja beinahe das einzige Repertoire der antiken Philosophie blieben. Wenn man zu dieser Liste noch philosophische Fragmente aus den Kirchenvätern hinzufügt, (vor allem aus der Gruppe der augustinischen und pseudo-dionysischen Schriften); oder noch von profanen Autoren, wie Cicero, der in hohem Maße gefragt war; und schließlich eine kleine Zahl von obskureren Werken, so wird man eine gewisse Vorstellung der philosophischen Bibliothek haben, die ein Mittelalterlicher für sich verfügbar finden konnte in dem Moment, wo sich von Neuem, in ausdrücklicher Weise das unvermeidliche Problem vom Einen und dem Vielfachen stellte. §2. – Allmähliche Wiederentdeckung des gemäßigten Realismus des Aristoteles. Unglücklicherweise stellte sich das Problem zunächst unter der Form einer zu engen Alternative, deren es mehrerer Jahrhunderte bedurfte, um sich davon zu befreien. Die Historiker der Philosophie pflegen – vielleicht ein bisschen summarisch – die anfänglichen Daten dieses wiederauflebenden Problems zu charakterisieren durch die Ausdrücke einer Frage, die Porphyrius in seiner Isagoge in categorias Aristotelis stellt, ohne sie zu beantworten. Hier ist der Text – übersetzt von Boethius – den die Mittelalterlichen vor Augen hatten: „Sodann was Gattungen und Arten « Mox de generibus et speciebus, illud quidem, sive subsistant, betrifft, weigere ich mich etwas zu sasive in solis nudisque intellec- gen und zwar darüber, ob sie subsistibus posita sint, sive subsisten- tieren, ob sie nur in den nackten tia corporalia sint an incorporalia, et Verstand zu verlegen sind, ob sie körutrum separata a sensibilibus an in perliche Substanzen sind oder unkörperlisensibilibus posita et circa ea con- che, und ob sie von den Sinneswahrnehstantia, dicere recusabo : altissimum mungen getrennt oder in die Sinneswahrenim negotium est hujusmodi et ma- nehmungen zu verlegen sind und in Bezug auf sie Beständigkeit haben: darüber joris egens inquisitionis » 19 etwas zu sagen ist die tiefstgehende Beschäftigung und braucht einer weitergehende Untersuchung“ 19 19 Porphyrii Introductio in Aristotelis Categorias a Boethio translata. In „Commentaria in Aristotelem graeca“ . Band IV. Berolini, 1887, p. 25, Zeile 10 sqq. Hier ist der Originaltext von Porphyrius : ᾿Αυτίκα περὶ τω̃ν γενω̃ν τε καὶ εἰδω̃ν τὸ μὲν εἴτε ὑφέστηκεν εἴτε καὶ ἐν μόναις ψιλαι̃ς ἐπινοίαις κει̃ται εἴτε καὶ ὑφεστηκότα σώματά ἐστιν ἤ ἀσώματα καὶ πότερον χωριστὰ ἢ ἐν τοι̃ς ἀισθητοι̃ς καὶ περὶ ταυ̃τα ὑφεστω̃τα, παραιτήσομαι λέγειν.. (Op. cit. Πορφυρίου ᾿Εισαγωγή p. 1, Zeile. 9 sqq.). 74 Von den drei gestellten Fragen setzen die zwei letzten die Lösung der ersten voraus: diese zog zuerst die Aufmerksamkeit auf sich. Marius Victorinus übersetzt sie eleganter als Boethius: 71 B.III Antinomie des Einen und Vielen « Prima est quaestio utrum genera ipsa et species vera sint, an in solis intellectibus nuda inaniaque fingantur .» 75 „Die erste Frage ist, ob die Gattungen selbst und die Arten wahr sind, oder ob sie nur im jeweiligen Verstand einfach und inhaltslos ersonnen werden.“ Dies ist wohl die Alternative, die zwischen dem Realismus Platos, oder der Neuplatoniker – wofür man Porphyrius hielt – und dem leeren Konzeptualismus der anderen nach-aristotelischen Schulen bestand. Wir haben dazu am Ende des vorhergehenden Buches einiges gesagt. Die ersten mittelalterlichen Philosophen ließen sich zwischen die Zweige eines Dilemmas einzwängen, die sie zwangen, so glaubten sie, sich zu entscheiden für oder gegen die Realgültigkeit des abstrahierten Denkens. Das war ein undifferenzierter und provisorischer Gesichtspunkt, dem die mittelalterliche Logik sich schließlich untadelig entziehen wird, am Beginn des XIIIen Jahrhunderts, nach den Schocks, die sie abwechselnd zu zwei extremen Thesen verleiten werden. Eigentlich handelt es sich während dieser ganzen Periode erster Versuche, die vom IX-ten bis zum Ende des XII-ten Jahrhunderts dauern, nicht im eigentlichen Sinn um Realismus, Konzeptualismus oder um wohl definierten Nominalismus: es geht vielmehr um eine Phase eines oszillierenden Fortschritts auf ein einziges letztes Gleichgewicht zu, das eines erneuerten aristotelischen Realismus. Der wahre Nominalismus, seiner selbst bewusst, wird erst viel später auftauchen am Ende des Mittelalters. Es gab wohl einen gewissen Nachteil dieser Schwingung um eine mittlere noch nicht erkannte Position. Und der hauptsächlichste war vielleicht der, dass es die Ankunft – oder vielmehr die Rückkehr – einer vollkommen ausgeglichenen metaphysischen Synthese, wie sie die von Aristoteles gewesen war, verzögerte. Die Klippe des extremen Realismus war immer der Pantheismus: in der griechischen Philosophie führte der Platonismus zum emanatistischen Neu-Platonismus; am Anfang des Mittelalters (IXes Jahrhundert) verwickelte der Realismus des Johannes Scotus Eriugena diesen in eine verdächtige Metaphysik, dem alexandrinischen Emanantismus nahestehend; später im XII-ten Jahrhundert kommt der platonisierende Realismus der Schule von Chartres dem Pantheismus nahe und trägt auf jeden Fall dazu bei, die Anhänger von Bernard von Tours und von Amaury von Bènes auf dieses verbotene Terrain zu drängen. Aber der Antirealismus trifft ebenfalls auf Klippen: die Schlimmste ist seine Tendenz, die Gültigkeit der rationalen Erkenntnis, der „Wissenschaft“ in Gefahr zu bringen, und, auf dem psychologischen Terrain, die Einheit des Zusammenwirkens der Sinneswahrnehmung und des Verstandes aufzulösen. Darüber hinaus hatten die Realisten das instinktive Gefühl für sich, das für praktisch jeden Menschen die Gültigkeit seiner Begriffe gewährleistet; und sie stützten sich gerne auf die in ihrem zeitlichen Abstand ein bisschen neblige Schirmherrschaft des platonischen Ontologismus. Die Anti-Realisten, weniger 72 K.1 Partielle Renaissance des Problems selbstsichere Metaphysiker und manchmal weniger tief, wurden von den Missbräuchen des Realismus hervorgebracht, und schöpften ihre Kraft, weniger aus der Tradition als aus einer scharfsinnigeren und psychologischeren Kritik. Wenn es auf beiden Seiten Maßlosigkeiten von Sprache und Gedanken gab, so haben dennoch die meisten mittelalterlichen Philosophen bis ans Ende des XIIen Jahrhunderts mit Erfolg zwischen Charybdis und Scylla navigiert ... mit dem Preis, das ist zuzugeben, von schwer vermeidbaren Dunkelheiten oder Inkonsequenzen. Nur ganz allmählich in kleinen Schritten erkannte man den sicheren Weg. Beschäftigen wir uns also nicht mit ihren unvollkommenen, einfach nur approximativen Formeln, als eben so vielen bestimmten Gesichtspunkten, sondern stoßen unmittelbar bis zur weiter ausgearbeiteten Lösung vor, die, wenn sie früher vorgeschlagen worden wäre, zweifellos die Stimmen für die Sache gewonnen hätte: wir wollen vom gemäßigten Realismus sprechen. Von dieser Lösung, die schon die von Abelard war, findet sich eine vollkommene und ausführliche Darstellung im Metalogicus (1159) von Jean von Salisbury20 20 Ioannis Saresberiensis, Metalogicus, lib. II, cap. 20, Migne, P. L. Vol. 199, col. 877878 : « Porro hic [Aristoteles] genera et species non esse, sed intelligi tantum asseruit » (877, B).... « Et quidem rebus existendi unus est modus, quem scilicet natura contulit, sed easdem intelligendi aut significandi non unus est modus. Licet enim esse nequeat homo, qui non sit iste, vel alius homo, intelligi tamen potest et significari : ita quod nec intelligatur nec significetur iste, vel alius. » (878, A) .... « Ratio autem ea [genera et species] deprehendit, substantialem similitudinem rerum differentium pertractans apud se, desinitque [= definitque?], sicut Boëtius ait, generale[m] conceptum suum, quod de hominum conformitate perpendit, sic : « animal rationale mortale » . Quod utique, nisi in singularibus esse non potest. » (878, B). Col. 888, B-C : « Unde, licet Plato coetum philosophorum grandem, et tam Augustinum quam alios plures nostrorum, in statuendis ideis habeat assertores, ipsius tamen dogma in scrutinio universalium nequaquam sequimur : eo quod hic Peripateticorum principem Aristotelem, dogmatis huius principem profitemur. » . 20 Ioannis Saresberiensis, Metalogicus, lib. II, Kap. 20, Migne, P. L.. vol. 199, col.. 877-878 : „Fernerhin behauptet dieser [Aristoteles] dass die Gattungen und Arten nicht „sind“, sondern nur verstanden werden“ , (877, B).... „und zwar haben die Dinge einen Modus des Existierens, den ihnen nämlich die Natur gibt, aber eben dieselben zu erkennen oder zu bezeichnen, gibt es nicht einen Modus. Wenn es nämlich auch keinen Menschen geben kann, wenn er nicht dieser oder ein anderer Mensch ist, kann er dennoch verstanden und bezeichnet werden: sodass weder verstanden wird noch bezeichnet wird dieser oder ein anderer.“ (878, A) .... „Die Vernunft aber findet sie [die Gattungen und Arten], wenn sie die substantielle Ähnlichkeit der verschiedenen Dinge bei sich untersucht, und definiert, wie Boetius sagt, so seinen allgemeinen Begriff, mit dem, was er von der Gleichartigkeit der Menschen erwägt, und findet so: „vernünftiges sterbliches Lebewesen“. Was wiederum nur in einzelnen Individuen existieren (sein) kann. “ , (878, B). Col. 888, B-C: „Deshalb, auch wenn mit Plato eine große Versammlung von Philosophen und sowohl Augustinus als auch viele andere von uns, die an der Existenz von Ideen festhalten, so halten wir jedoch an seinem Dogma bei der Untersuchung der Universalien (der Allgemeinbegriffe) durchaus nicht fest und folgen ihm nicht: Sodass wir hier Aristoteles den Anführer der Peripatetiker, als Anführer dieses Lehrsatzes öffentlich erklären.“. Dies war die aristotelische Lösung, die von den dialektischen Streitereien des XIen und XIIen Jahrhunderts vorbereitet, präzisiert und bestätigt wurden durch das direkte Studium der Schriften des Stagiriten. Mit seinem Namen wird der Realismus von Guillaume von Champeaux, so wie jeder platonisierende Realismus von der philosophischen Bühne verbannt: 73 B.III Antinomie des Einen und Vielen « Qui ... ea (universalia) esse (subsistere) statuit, Aristoteli adversatur » (Metalogicus, II, 20. M., P. L. vol. 199, col. 877, C). „Wer behauptet... diese (die Universalien, Allgemeinbegriffe) seien (subsistieren), widersetzt sich dem Aristoteles“, (Metalogicus, II,20. M, P.L. vol. 199, col. 877 C). Hier findet eine Ersetzung statt durch eine positive, gemäßigte Theorie, die sich gründet auf der Analyse der Abstraktion, der Mutter des Begriffes: dies ist reiner Aristotelismus. 74 K.2 Vollständige Lösung der Antinomie 76 Kapitel II Der gemäßigte Realismus des hl. Thomas Vollständige Lösung der Antinomie des Einen und des Vielen Setzen wir ein für alle Mal die Hauptlinien der Theorie des gemäßigten Realismus fest, der Gemeingut der gesamten Scholastik wurde. Statt diese an Hand des Metalogicus zu untersuchen, halten wir es für vorteilhafter, sie unmittelbar in ihrem ungekürzten philosophischen Zusammenhang zu erwägen, und zwar im Höhepunkt der mittelalterlichen Philosophie, beim heiligen Thomas von Aquin, (1225 oder 1227 -1274)21 21 Da wir keine Philosophiegeschichte schreiben, werden wir es unterlassen, hier die Entwicklung des alten „mittelalterlichen Augustinismus“ darzustellen. Im Weiteren werden wir einige überlebende Elemente davon im Scotismus wiederfinden. 77 Wir wollen darauf hinweisen, dass wir hier noch nicht die ins Einzelne gehende Untersuchung der thomistischen Erkenntnistheorie in Angriff nehmen; diese Studie lässt sich später besser durchführen in unseren Heften V und VI, durch Vergleich mit der modernen Erkenntniskritik. Für den jetzigen Zeitpunkt erinnern wir uns daran, dass die mittelalterliche Philosophie sich ganz und gar im Rahmen des antiken Realismus entwickelt, und wir behaupten nur beim heiligen Thomas die Wiedergeburt und den Abschluss zu finden für die einst durch Aristoteles für das Problem vom Einen und dem Vielfachen angeführte, gleichzeitig dialektische und metaphysische Lösung. Und unsere Aufmerksamkeit muss sich, wie schon zuvor, auf zwei Aspekte des Problems richten, die sich gegenseitig fordern: die allgemeine umfassende Einheit der Metaphysik, und dann, im Inneren dieser Einheit selbst, die besondere Beziehung des Objektes zu dem erkennenden Subjekt, das heißt die Natur des Begriffes. „Nun war es aber so, – im Mittelalter mehr als in der griechischen Antike – dass die Theorie des Begriffes, durch die Frage nach den Universalien (den Allgemeinbegriffen) in den Vordergrund geschoben war, und damit die Hauptrolle spielte in der Unterscheidung der jeweiligen großen Systeme. Es wird also natürlich sein, hier die thomistische Synthese vom Einen und dem Vielfachen vor allem unter dem psychologischen und dem logischen Blickwinkel ins Auge zu fassen, und dann die gewissen kurz zusammenfassenden Andeutungen, die für uns unentbehrlich sind, um vorläufig die charakteristischen Gesichtszüge des Zusammenspiels der Metaphysik des heiligen Thomas zu skizzieren, mit diesem beherrschenden Gesichtspunkt in Zusammenhang zu bringen. 75 B.III Antinomie des Einen und Vielen §1. Notwendigkeit einer Kritik des Objektes der Erkenntnis. Die Sinneswahrnehmung oder direkter das aus der Sinneswahrnehmung abgeleitete Bild der Sinneswahrnehmung [das Phantasma] ist eine partielle aber notwendige Ursache unserer intellektuellen Erkenntnis, (Summa theologica, I, 84, art. 6): partielle Ursache weil das Verstehen mehr enthält als die Sinneswahrnehmung oder als das Bild; notwendige Ursache weil, als Folge der Passivität, die in uns resultiert aus der substantiellen Einheit der Seele und des Körpers, unsere Intelligenz sich nur in Bewegung setzen lässt durch eine Geltendmachung sensitiver Bestimmungen (S. th., I, 84, art. 6), und selbst die erworbenen Prinzipien der Erkenntnis (Spezies) nur anwendet, indem sie sie auf die Sinneswahrnehmung oder auf das Bild bezieht: „indem sie sich dem Phantasma zuwendet“ , (l. c, art. 7 [ « convertendo se ad phantasma » ]). Der hl. Thomas erklärt sogar ausdrücklich (l. c, art. 6), dass er sich auf die Seite von Aristoteles stellt, um gegen Demokrit und gegen Plato die Notwendigkeit eines innigen Zusammenwirkens der Sinne und des Verstandes in jeder intellektuellen Erkenntnis zu behaupten. Aber der Beitrag der Sinne ist die Vielfalt der individuellen und wechselnden Dinge. Durch den Verstand ergriffen, schließt sich diese Vielfalt zusammen zu einem und macht sich unveränderlich, legt sich fest. Meine Augen sahen Seite an Seite Sokrates und Callias und Antisthenes und so viele andere: meine Intelligenz schweißt sie sozusagen in einen einzigen Begriff zusammen, der sie alle und jeden einzelnen darstellt: „der Mensch“ .... Heraklit sagte: „Die Hand berührt nicht zwei Mal das Wasser eines Flusses der sich ergießt“; die Sinneswahrnehmung, die ein sich wesentlich veränderndes Objekt ausdrückt, würde nicht wissen, wie es sich identisch wiederholen kann ; und trotzdem, meine Intelligenz betrachtet bewegungslos vom Ufer aus unter dem unaufhörlichen materiellen Abfluss, unter dem Fluss der Zeit, die flieht, das „Wasser“, immer das Gleiche. (S. th., I, 84, art. 1). Was ist das also? Aus der Veränderlichkeit macht die Intelligenz eine Dauer: die Substanz. Aus der Vielfalt der Individuen macht sie eine Einheit: die Art. Muss ich wie Heraklit diese widersprüchliche Abänderung als Illusion bezeichnen? Oder muss ich nach Plato, wie er um die Wahrheit und die Gewissheit meiner Erkenntnisse besorgt „damit er die Tatsache retten könnte, « ut posset salvare certam cognitiodass der Verstand eine sichere Erkenntnem veritatis ... per intellectum hanis der Wahrheit... haben kann“ S. th., I, beri » S. th., I, 84, art. 1, in corp.) 84, art. 1, in corp. 78 über den sinnlichen Dingen die Existenz von idealen subsistierenden Seienden, außerhalb des Raumes und der Bewegung subsistierend, dekretieren, von ewigen „Paradigmen“ meiner abstrahierten Begriffe? 76 K.2 Vollständige Lösung der Antinomie Nein fährt der heilige Thomas weiter, Heraklit hat Unrecht, unstreitig: ich brauche also nicht die Geltung meiner Verstandeserkenntnis opfern. Aber Plato löst das Problem nicht, die Wissenschaft die er erklären will, ist die von den sinnlichen und sich verändernden Dingen abstrahierte Wissenschaft: über diese und nicht über ich weiß nicht welche Welt von subsistierenden und getrennten Ideen, erstrecken sich die Aussagen, – die widersprüchlich scheinen, – denen ich mich nicht entziehen kann. Plato ist darin das Opfer einer Illusion: Hier ist das, was ihn abhält, richtig zu sehen,: indem er sich alle Erkenntnis nach dem Typ der Ähnlichkeit vorstellt, glaubte er, dass die Form des erkannten Objektes, notwendigerweise das erkennende Subjekt affektieren muss sogar entsprechend der Art und Weise selbst, die sie im erkannten Objekt annimmt. Nun aber, sagte er sich, findet sich die Form, die durch die Intelligenz aufgefasst wird, dort allgemein, immateriell, unabänderlich, wie er aus dem Akt des Verstehens selbst entnimmt, der sich vollzieht in der Art und Weise der Universalität und der Notwendigkeit.... Und er glaubte, daraus schließen zu müssen, dass die Sachen, Objekte dieses Verstehensvorgangs in gleicher Weise eine immaterielle und unabänderliche Subsistenz hätten. Aber diese Konsequenz ist keineswegs erforderlich.... ", (Ebenda).). Denn die Voraussetzung auf die sie sich stützt: die totale Parallelität der Erkenntnis und der Dinge, ist unhaltbar: sie verifiziert sich selbst nicht in der rein sinnlichen Erkenntnis. (Ebenda).). Sogar im Gegenteil überall und immer gilt: „Das Erkannte ist im Erkennenden nach dem Modus des Erkennenden“ « receptum est in recipiente per [Das Aufgenomene ist im Aufnehmenden modum recipientis » (Ibid.). in der Weise des Aufnehmenden] , (Ebenda).). Man erkennt hier, klar formuliert, die fundamentale These des kritischen Realismus, die wir weiter oben gesehen haben, wie sie aus der Philosophie von Aristoteles in den Vordergrund tritt. Unter dem erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt hatte das Mittelalter schließlich den vollen Kontakt mit der griechischen Philosophie der großen Epoche wiederaufgenommen. Der Realismus muss kritisch sein. Keine unbedachte Aussage von jedem Inhalt des Geistes ohne Unterschied. Die Aussage muss, um legitim zu sein und nicht früher oder später auf einen inneren Widerspruch zu stoßen, ihr Objekt aus dem subjektiven Modus, von dem es eingehüllt wird, herausholen: denn der Modus des Verstandes ist nicht notmodus intellectus non est newendigerweise der Modus der Sacessario modus rei. che. Eine „Kritik des gedachten Objekts“, das ist es, was der Realismus des heiligem Thomas so gut wie der Realismus des Aristoteles fordert. Aber, macht sich der heilige Thomas den Einwand, einen rein subjektiven 77 B.III Antinomie des Einen und Vielen 79 Modus im Begriff zu unterscheiden, und einen objektiven Inhalt, ist das nicht ein sich auf den Weg des Skeptizismus begeben? „Wie beschaffen auch immer der Ver« Quicumque enim intellectus intellistand eine Sache anders erkennt, als git rem aliter quam sit, est falsus sie ist, ist Irrtum.... Wenn wir also ma.... Si ergo intelligamus res materiales terielle Dinge erkennen durch Abstraktiper abstractionem specierum a phanon der Arten von den Fantasmata, kommt tasmatibus, erit falsitas in intellectu Irrtum in unseren Verstand (S. th., I, 85, nostro (S. th., I, 85, art. 1, 10 ). art. 1, 10 ). Ja, antwortet er; der Einwand würde tragen, wenn die logische Wahrheit die Eigentümlichkeit des Begriffs wäre und nicht allein des Urteils22 22 Vrgl. Heft V.. Es gibt wirklich ein Missverhältnis zwischen dem Begriff und den Dingen, die er vor Augen stellt, ebenso wie es ein Missverhältnis zwischen der sinnlichen Qualität als sinnlich wahrgenommener und als im Objekt innewohnender gibt. Aber dort ist nicht die Frage: „ist es ohne Irrtum, dass die Art und « est absque falsitate ut alius sit moWeise des Verstehenden beim Verstehen dus intelligentis in intelligendo quam eine andere ist als die Art und Weise des modus rei in essendo » (l. c, ad 1). Dings im Sein“ (l. c, ad 1) Der Begriff ist durch sich selbst weder wahr noch falsch: als einfach „subjektiver Zustand“, kann er materiell ähnlich sein oder unähnlich im Vergleich zu irgendeinem außerhalb befindlichen Objekt: dies ist alles. Die Wahrheit oder der Irrtum tauchen nur in dem Moment auf, wo das erkennende Subjekt, „sich beschäftigt“ mit der Bedeutung des Begriffes, ihn setzt „nach Art einer Zusammensetzung oder « per modum compositionis aut divieiner Trennung (Unterscheidung)“ in eisionis » in einer beurteilenden Affirner beurteilenden Aussage. „Wenn also mation. « Cum ergo dicitur quod ingesagt wird, dass der Verstand im Irrtellectus est falsus, qui intelligit rem tum ist, der ein Ding anders erkennt als aliter quam sit, verum est si l’y aliter es ist, sagt die Wahrheit, wenn sie dort referatur ad rem intellectam : tunc anders auf die verstandene Sache bezogen enim intellectus est falsus, quando inwird: Dann nämlich ist der Verstand im telligit rem esse aliter quam sit » Irrtum, wenn er versteht dass die Sache (l. c, ad 1). anders ist als sie ist“ , (l. c, ad 1). Man kann nicht klarer sagen, dass der legitime Gebrauch der Affirmation (das heißt des Urteils), eine „Kritik des gedachten Objekts“ voraussetzt, und dass das Ziel dieser Kritik darin besteht, im rohen Inhalt des Geistes, die Art und Weise (Modalitäten), die zur Konstitution des erkennenden Subjekts selbst gehört, und die wirkliche Bedeutung, die allein objektiv affirmierbar ist, zu trennen. 78 K.2 Vollständige Lösung der Antinomie §2. . Die Kritik des Objekts und der Aufbau einer Metaphysik. 80 Wir werden später sehen, welche Transposition der ganze Text dieses der Erkenntniskritik durch die Häupter des alten Realismus auferlegten Grundgesetzes in den modernen Philosophien erleidet. Dann werden wir auch besser feststellen die Reichweite und die Richtigkeit mit der der heilige Thomas selbst diese „Kritik des Objekts“ einführt, deren Notwendigkeit er proklamiert: sie war für ihn nicht einfach eine dialektische Ausflucht vor den Schwierigkeiten der Universalien, sondern das unerlässlichste Instrument bei der Errichtung einer Metaphysik. Wir können zum Beispiel seine Unterscheidung ablesen und verstehen von unmittelbar zufolge der ihnen eigentümlichen Form erkannten Objekten, und von Objekten, die nur erkannt werden, als ein „Darüber-Hinaus“ anderer Objekte (Analogie); seine Sorge zu definieren und abzustufen die Realgeltung des „Elements der Vorstellung“, in den transzendentalen Begriffen und in den prädikamentalen Begriffen (symbolische Geltung und spezifizierende Geltung); seine eingehend erörternde Analyse des „dem menschlichen Verstand eigentümlichen Modus“ [ « modus proprius intellectus humani » ,], das heißt der Charakteristika der quantitativen Relativität, der strukturalen Dualität und der Zeitlichkeit, mit denen unser Verstand so oder so belastet bleibt; schließlich neben diesen Zeichen unserer Passivität, die von Seiten der Eigentätigkeit her sehr klare und sehr scharfsinnige Bezeichnung – der „Apriorität“ so darf man wohl wagen zu sagen – die unsere Intelligenz bei der Bildung von jedem Begriff und jedem Urteil in Anspruch nimmt (braucht, anwendet). Nur beim heiligen Thomas wie bei Aristoteles, geht „die Kritik des Objekts“ parallel mit dem Aufbau einer Metaphysik voran: die Bruchsteine zu sortieren, dies bedeutet gleichzeitig sie einfügen ins Gebäude; die Auswahl selbst ist gerade der Versuch, sie anzuwenden. Ebenso verschmilzt wohl die Untersuchung der „Art und Weise des Vorgangs des Verstehens“ [= « modus intellectus » ] mit der Ontologie des erkennenden Subjekts, (metaphysische Psychologie); die Untersuchung der „Art und Weise der Rolle des Dings“ [= « modus rei » ] verschmilzt mit der Ontologie des erkannten Objekts (Theodizee und Kosmologie). Die Erkenntnistheorie folgt aus der Metaphysik ganz ebenso, wie die Metaphysik sich auf die Erkenntnistheorie stützt Man wird sehen, wie der heilige Thomas sich unterschiedslos beruft auf allgemeine Prinzipien der Finalität und auf die Metaphysik des menschlichen Gebildes, um die formellen Besonderheiten des Verstehens zu begründen, oder, im Gegenteil, die Zweckbestimmtheit abzuleiten, oder die substantielle Zusammensetzung des Menschen, aus Anzeichen, die durch innere Analyse der Erkenntnis geliefert werden. Es ist offenkundig, dass seine ganze philosophische Haltung sich von einer doppelten Voraussetzung inspirieren lässt: 79 B.III Antinomie des Einen und Vielen 81 10 da ich zwangsläufig meine Inhalte des Bewusstseins „unter der Rücksicht des Seins“ [ « sub ratione entis » ] aussage (affirmiere), verschaffe ich mir zwangsläufig ein rationales Bild der Wirklichkeit. 0 2 Es gibt keine zwei rationalen Bilder der Welt: die Wahrheit ist eine einzige. Darum erstelle ich a priori das Baugerüst eines Systems der Welt, indem ich durch die Analyse die allgemeinen Bedingungen einlöse, denen jede rationale Konzeption verpflichtet ist; und auf der anderen Seite, ein System der Welt erbauend, erstelle ich ein rationales Baugerüst, sodass es mir genügt, dieses reflex zu betrachten, um dort die allgemeinen Gesetze meiner Vernunft zu erkennen. Ist diese Einstellung angreifbar? Wir werden sie später gegebenenfalls kritisieren. Aber man muss auch erkennen, dass sie auch ihre Vorteile hat, denn sie verurteilt erbarmungslos alle partiellen Erkenntnistheorien und jede bruchstückhafte Metaphysik: der Wert der Teile hängt ab von der Vollendung des Gebäudes. Nur die sehr großen philosophischen Systeme können sich anbieten zu einem so weitgehend konzipierten Ausscheidungskampf: denn sie erstreckt sich auf alle Ebenen der physischen (körperlichen), psychologischen, moralischen und religiösen Wirklichkeit. Dies ist genau einer von den bemerkenswertesten Charakteristiken der „thomistischen Synthese“, diese streng verkettete Universalität erreicht zu haben. Im wahren Thomismus könnte es keine Thesen „ad libitum“ geben, auswechselbar außer denen die erdichtete, oder schlecht gestellte Probleme implizieren, oder solche, die ungenügend reif sind. . §3. Die synthetische Einheit des Objekts der Sinne und des Objekts des Verstandes in der menschlichen Erkenntnis. a), Die thomistische Lösung des Problems der Universalien (der Allgemeinbegriffe) und die thomistische These der Individuation. Die Theorie der Universalien (der Allgemeinbegriffe), wie sie vom heiligen Thomas verstanden wurde, treibt also Verzweigungen in alle Teile der Metaphysik hinein; und sie trägt in ihrem Schoß eine echte Kritik der Erkenntnis. Lassen wir vorläufig diese viel weitergehende Erwägung, die unser unmittelbares Ziel überschreitet, und betrachten wir einen eingeschränkten Gesichtspunkt des Problems des Einen und des Vielfachen, nämlich den Gesichtspunkt der Frage der Universalien (der Allgemeinbegriffe), wo die Originalität der thomistischen Lösung im Gegensatz zu anderen scholastischen Lösungen hervortritt. Man wird sehen, dass das „direkte Univerale“ der Thomisten, synthetisches Produkt der Sinneswahrnehmung und des Verstandes in der Ordnung der Objekte die synthetische Einheit der intelligiblen Form und der reinen Materie voraussetzt und 80 K.2 Vollständige Lösung der Antinomie 82 uns folglich nicht nur eine Mannigfaltigkeit von intelligiblen niedrigeren Einheiten, von Entitäten zugänglich macht, sondern indirekt die reine „infra-intelligible = unter-verständliche“ Verschiedenheit , die „Materia prima“. Wenn man zeigen könnte, auf der anderen Seite, dass der allgemeine Begriff, nach der thomistischen Weise verstanden, ebenso die reine Einheit, den „hyper-intelligiblen = über-verständlichen“ Actus purus (= reinen Akt, Gott) zugänglich macht, hätte man das Perspektivitätszentrum entdeckt, von dem aus sich jede menschliche Synthese des Seins und der Seienden vollzieht; man hätte, so viel es menschlich möglich ist, die große Antinomie der Einheit und der Vielfalt gelöst. Wir werden nacheinander die Gesichtspunkte aufgreifen, die wir gerade aufgezeigt haben. Und zuerst werden wir aufzeigen, wie die thomistische Lösung des Problems der Universalien (der Allgemeinbegriffe) uns bis an die untere Grenze des Wirklichen führt, die „Materia prima“ Wie wir gesehen haben, verdrängte der kritische Realismus des heiligem Thomas die vorherigen Lösungen, so wohl die nominalistischen, wie die ultrarealistischen, indem er ihnen durch die Unterscheidung vom „modus mentis“ (=Art und Weise im Verstand ) und vom „modus rei“ (=Art und Weise im Ding) jede vernünftige Grundlage entzog. Der „modus rei“ war das individuelle Wesen, die konkrete numerische Einheit, zum Beispiel Peter, Paul, Jakob.... Der „modus mentis“ war die universelle Einheit, streng eine, im Geist hervorgerufen durch Abstraktion (Weglassen) dessen, was die individuelle Vielfachheit der Dinge ausmacht: zum Beispiel kommt man so zum Begriff Mensch.... Aber in unseren Urteilen teilen wir einen gleichartigen abstrahierten Begriff einer Vielfalt von Individuen zu: Peter ist Mensch, Paul ist Mensch, etc.... Der alleinige mögliche Sinn dieser Zuordnungen ist der folgende: Peter, Paul.... besitzen wirklich und distributiv alles das, was der Begriff des „Menschseins“ ausdrückt, außer der universellen Einheit, die direkt unverträglich ist mit ihrer individuellen Einheit. Ich teile den Inhalt des Universellen zu („das was“ begriffen wird; „die absolute Natur“ [( « id quod » concipitur; « naturam absolutam » ),] ), ich hüte mich davor, die Art und Weise selbst der Universalität zuzuteilen („modum universalitatis quo“ concipitur objectum. = die Art und Weise der Universalität in der das Objekt begriffen wird) Sind meine Urteile wahr, wenn ich diesen Preis bezahle? Ja, wenn Peter, Paul, Jakob... wirklich, wenn auch auf individuelle Art, das Menschsein, das ich ihnen zuschreibe, besitzen. Zur Unterscheidung von „id quod“ und vom „modus quo“ muss also, damit die Theorie der Universalien (der Allgemeinbegriffe) deutlich realistisch bleibt, ein neuer Zug hinzugefügt werden: eine Beschaffenheit der Dinge einerseits und des Verstehens andererseits, sodass das „id quod“ im Geist vom begrifflichen „Modus der Universalität“ isoliert, streng identisch sein soll mit dem „id quod“, das in den Dingen von der konkreten individuellen Art befreit wird. Das kommt darauf 81 B.III Antinomie des Einen und Vielen 83 zurück, eine doppelte Bedingung des gemäßigten Realismus auszudrücken: 10 eine psychologische Bedingung: dass der Geist, durch die Tatsache selbst, auf immaterielle Weise ein sinnenhaftes Objekt zu ergreifen, von diesem Objekt das wegnimmt, was seine Individualität begründet, nicht mehr und nicht weniger. 20 eine ontologische Bedingung der Objekte: sie müssen so beschaffen sein dass, (unbeschadet rein akzidenteller Änderungen) ihre einzige Differenz in Bezug auf einen gegebenen spezifischen Begriff in ihrer Individualität bestehe; sie müssen also in ihrer inneren und physischen Zusammensetzung nach einem gleichen objektiven Gesetz reagieren, der Art nach homogen sein oder gleichartig. Aber diese zwei Bedingungen sind gleichzeitig nur realisierbar, wenn die Individualität des sinnenhaften Objektes wirklich mit ihrer Materialität verbunden ist, auf solche Weise dass die „Entmaterialisierung“ des Objekts seine „Entindividualisierung“ nach sich ziehen muss. Nun äußert sich aber die „Entmaterialisierung“ in der Aufgabe des quantitativen Modus. Wenn „Entquantifizierung“ so viel bedeutet wie „Entindividualisierung“, muss es also wohl so sein, dass die Quantität oder die quantifizierte Materie ein notwendiges Prinzip der Individuation der sinnenhaften Objekte ist. Die thomistische These der Individuation, die von Anfang an der Blickfang so vieler Angriffe war, nahm also, wegen des Fehlens anderer unmittelbarerer Stützen, die Geltung eines Postulats des gemäßigten Realismus an. Wenn man von dieser angeführten Beweisführung nicht überzeugt wurde, würde ein Thomist dazu einladen, die Gegenprobe zu versuchen. Nehmen wir an, dass die quantifizierte Materie, die konkrete Quantität, nicht die notwendige Bedingung der Individualität der sinnenhaften Objekte wäre; was würde aus dem Realismus der begrifflichen Erkenntnis? Er schwächt sich ab und hört auf, definierbar zu sein. Sehen wir das mehr aus der Nähe an. Wir versetzen uns also in die Hypothese, wo die „Entmaterialisierung“ des Objekts nicht seine „Entindividualisierung“ nach sich zieht. In diesem Fall könnte die Intelligenz auf nicht materielle Weise das sinnenhafte Objekt ergreifen, ohne es seiner individuellen Bestimmung zu berauben. Man erkennt hier eine These, die bei den augustinischen und franziskanischen scholastischen Schulen hochgeschätzt ist: die primitive intellektuelle Erkenntnis vollzieht sich durch „Einzel-Begriffe“ und nicht durch „Allgemein-Begriffe“. Wenn der Allgemein-Begriff gar nicht unmittelbar noch primitiv ist, wie bildet er sich also? Wenn es wahr ist, dass ich beim Sehen von Peter, Paul und Jakob davon zuerst drei individuelle Begriffe erwerbe, wie komme ich dazu, diese Einzel-Begriffe auf einen einzigen spezifischen Begriff zu reduzieren, den vom „Menschen“? In Wahrheit habe ich nicht die Wahl zwischen verschiedenen Verfahren, es bleibt nur eines: die reflexe Analyse. Ich werde jeden der drei Einzel-Begriffe auf zwei Gruppen von „Prädikaten“ reduzierrn: eine erste Gruppe – homogen – die das ausdrückt, was ihnen gemeinsam ist, „das Menschsein“ zum Beispiel; eine 82 K.2 Vollständige Lösung der Antinomie 84 zweite Gruppe – differentiell – die in diesen Begriffen den besonderen Charakter, der Peter oder Paul oder Jakob bezeichnet, ausdrückt. Das Verfahren scheint sehr klar. Unter dieser schematischen Klarheit verbirgt sich ein Aequivok. Versuchen wir, es zu demaskieren. Was kann wohl die differentielle analytische Gruppe, von der wir sprechen, darstellen? Drei Interpretationen sind möglich: die erste wird von niemand gehalten; die zweite ist dem Thomismus eigen; die dritte den nicht thomistischen Philosophien. 1. In der Tat wird niemand daran festhalten, dass die „individualisierenden Prädikate“ der Ausdruck „reiner Akzidenzen“ sind, die mannigfaltig gruppiert sind; die Individualität durchtränkt das Sein im Allerinnersten, sie affiziert das ganze Wesen. Es ist wahr, Peter unterscheidet sich von Paul durch die Größe, die Hautfarbe, die Stimme, den psychologischen Charakter, und so weiter; aber bringen wir alle diese „Akzidenzen“ zur Gleichheit, haben wir noch nicht erreicht, dass Peter Paul wäre: er wird ihm ähnlich geworden sein, das ist alles. Peter und Paul unterscheiden sich durch ein tieferes Attribut. 2. Die Thomisten, haben wir gesagt, schlugen eine andere Antwort vor. Jede Form des materiellen Objekts wird von einer „transzendentalen Beziehung zur konkreten Quantität“ bestimmt, zu etwas also das nicht mehr der intelligiblen Ordnung angehört sondern der Ordnung der sinnlichen Anschauung (Intuition). Das heißt, mit anderen Worten, dass jede Form eines materiellem Objekts von Natur aus gezwungen ist, sich „quantitativ“ zu verwirklichen. Nun aber begründet der Bezug zur Quantität gerade das Prinzip der Zahl (der Einheit, die sich identisch wiederholt), das Prinzip der totalen Heraussetzung aus sich selbst im Bezug auf sich, mit anderen Worten das Prinzip der „räumlichen Verfasstheit“. Dass eine Form, die sich verwirklicht, dadurch dass sie einen Teil des Raumes einnimmt, neben sich etwas ihm ganz Gleiches finden könnte, um sich so unbegrenzt zu wiederholen, ohne andere essentielle Variation seiner konkreten Beziehung zum Raum, dem Ort seiner homogene Vielfachheit, das lässt sich konzipieren begreifen, verstehen. Ein Thomist kann also, mit Hilfe der Logik, die Einheit der Spezies (Art) durch die absolute Identität der intelligiblen Noten definieren, die die Form oder die rationale Konfiguration der Objekte ausdrücken, zum Beispiel die spezifische Einheit von Peter Paul und Jakob,... durch die intelligible Identität ihres „Menschseins“ definieren, ohne daraus gleichzeitig eine notwendige Koinzidenz von Individuum und Spezies folgern zu müssen, zum Beispiel dass Peter, Paul, Jakob... ein einziger „Mensch“ wären. Denn er anerkennt außerhalb der intelligiblen Noten ein Prinzip der numerischen Zuordnung der Individuen. Er wird nicht bestreiten, dass eine intelligible Form, die als solche außerhalb der Quantität subsistiert, einzigartig und einmalig bleiben und allein ihre ganze Art konstituieren müsste: so verhält es sich nach dem heiligen Thomas für die Engel, 83 B.III Antinomie des Einen und Vielen 85 „pure Intelligenzen oder reine Formen“; denn wohl auch, um eine immaterielle Wesenheit zu multiplizieren, sollte man in ihr ein Prinzip einer Teilung oder Trennung von ihr selbst entdecken, etwas, was man nur dadurch erreichen könnte, dass man ihre intelligiblen Noten verändert, das heißt aber, dass man ihre Art (Spezies) ändert. Aber, wenn es sich um eine Form handelt, die von ihrer Natur aus dazu bestimmt ist, Form einer Materie zu werden (=eine Materie zu informieren), also einen Teil des Raumes zu besetzen, dann werden die Identität der intelligiblen Noten und die spezifische Einheit auch innerhalb der Logik vereinbar mit der numerischen Multiplikation der Form. Man sieht, dass für den, der die intraspezifische Vervielfachung der Objekte an die Quantität selbst anbindet, die Art (Spezies) und das Individuum einer sehr genauen theoretischen Definition zugänglich sind: die Art drückt die absolute Identität der intelligiblen Noten aus; die Individualität drückt ihre vervielfachte Subsistenz in der (räumlichen oder zeitlichen oder beiden) Quantität aus. 3. Wenn man die thomistische Lösung ablehnt, was bleibt? Es bleibt nur, dass die unterscheidenden Noten der Individuen in der Spezies (Art), streng „intelligible Noten“ seien, in der selben Weise wie die anderen essentiellen Attribute. In diesem Fall werden die direkten Begriffe alle zu Einzelbegriffen und unter einander verschieden sein; und man wird die letzte innere Differenz dieser Begriffe „Individualität“ nennen. Was die Art betrifft, wird man diese durch eine reflexe Abstraktion erhalten, die sich auf eine mehr oder weniger große Zahl von Einzel-Begriffen erstreckt: man wird sich bemühen, beim Eliminieren der individuellen Differenzen dort einen spezifischen Rückstand zu definieren, der die mögliche weiteste Gemeinschaft von intelligiblen Noten umfasst. In diesen gemeinsamen Noten wird das gleiche Analysen-Verfahren noch zwei Gruppen zeigen: eine neue unterschiedliche, eigentümlich dieses Mal zu der definierten (bestimmten) Spezies und eine allgemeinere mehreren Arten gemeinsame Gruppe; die Differenzierung im zweiten Grad wird „spezifische Differenz“ heißen, die allgemeinere Gruppierung wird „Gattung“ heißen. Und die gleiche Operation, analytisch und verallgemeinernd kann sich wiederholen bis sie sich vereinigt mit der Allgemeinheit des prädikamentalen Seins selbst, oder vielleicht ganz kurz des ens (=Seienden). Solcherart ist zwangsläufig der Gesichtspunkt der Scholastiker, die sich von der thomistischen These entfernen; das konnte von Aristoteles zu Plato zurückführen; Tatsächlich führte es zu Ockham. 86 Wir wollen uns in der Tat fragen, in welchem Maß ist dieser Gesichtspunkt verträglich mit einem gemäßigten Realismus. . 84 K.2 Vollständige Lösung der Antinomie b) Der thomistische gemäßigte Realismus und der nicht-thomistische gemäßigte Realismus. Wir müssen wohl bemerken, dass der Gesichtspunkt, von dem wir zuletzt sprachen, die Gattung und die Art auf die exakt gleiche Ebene der Objektivität versetzt. Die Abstraktion, die den spezifischen Begriff aus den individuellen Begriffen isoliert, ist von der gleichen Natur wie die Abstraktion, die die Gattung aus der Art isoliert. Die Art ist nur eine letztmögliche Gattung, wie das Individuum nur eine letztmögliche Art ist. Dementsprechend muss die Objektivität der Art von der gleichen Ordnung wie die Objektivität der Gattung sein. Um die Tragweite dieser Bemerkung einzuschätzen, empfiehlt es sich, zu untersuchen, worauf sich die Objektivität sowohl der Gattung als auch der Art, in der nicht-thomisischen Hypothese reduziert. Betrachten wir den Abstraktionsvorgang, der den einen und den anderen liefert. Es handelt sich hier nicht mehr um natürliche und primitive Abstraktion, die unmittelbar ausgeführt wird am Sinnesobjekt durch die einzige Tatsache der Immaterialität des aktiven Verstandes (intellektuellen Agenten) ; dies ist nicht mehr eine (=Wegnahme, Abstraktion); dies ist, schon von Anfang an und ausschließlich, eine überlegte [reflektierte] Abstraktion, die an EinzelBegriffen ausgeführt wird: dies ist eine Induktion (Erschließung) im eigentlichen Sinn, eine (=Herbeischaffen). Und, dies ist also eine Operation, die, weit davon entfernt selbst aus der Begegnung der jeweiligen ontologischen Bedingungen des Subjekts und des Objekts zu entspringen, sondern im Gegenteil hervorgeht aus einer subjektiven Initiative, immer ungenügend kontrolliert durch den Vergleich der einzelnen Wahrnehmungen. Von daher beginnt das Problem der objektiven Gültigkeit der intellektuellen Abstraktionen ganz und gar abzuhängen vom Problem der objektiven Gültigkeit der unvollständigen Induktion. Wir werden dies erklären, indem wir die zwei schweren Einwände darlegen, die ein Realist machen muss gegen diese rein reflexe Erarbeitung der Allgemeinbegriffe. faÐresic âpagwg I.. DAS INDIVIDUUM UND DIE SPEZIES (Art). Er würde zuerst feststellen, dass eine generische oder spezifische Induktion immer unvollständig ist, und dass darum, weil sie sich nicht durch eine direkte Abstraktion eines natürlichen Urbilds (Typs) begründet, sie nie eine sichere metaphysische Grenze zwischen dem Individuum und der Spezies bestimmen wird; denn sie behält, so weit vorangetrieben, wie man es für möglich hältt, einen unvermeidlichen Anteil von Willkür. Nehmen wir in der Tat die individuellen Begriffe a, b, c, d.... Ich abstrahiere davon das allgemeine Element, man könnte beinahe sagen „den größten gemein- 85 B.III Antinomie des Einen und Vielen 87 88 samen Teiler“, m. Was stellt m dar? Eine subjektive Einstellung, die a, b, c, d zu einer Gruppe zusammenfasst? Zweifellos. Eine objektive Einheit des Seins, ein Bündel von unveränderlich verknüpften Eigenschaften? Was weiß ich davon? und welche Garantie kann ich haben, dass das kollektive Zeichen m sich über die Individuen a, b, c, d hinaus erstreckt oder sich erstrecken könnte? Vielleicht ist das einzige Band dieser Gruppierung eine individuelle Eigentümlichkeit, die sich zufällig in a, b, c, d zusammengefunden hat. Wenn sich hier in der Tat ein neues Individuum, f, einstellt, das nicht alle gemeinsamen Charakterisierungen der Gruppierung m realisiert. Muss man dieses Individuum einer anderen Spezies zuordnen? Muss ich im Gegenteil meine erste Gruppierung dafür erweitern und einen neuen „umfassenderen gemeinsamen Teiler“ m’.. bilden? Dann erzwingt ein Individuum g noch eine Retusche; ich setze dafür m"... und so weiter. Der Vorgang kann sich bis ins Unabsehbare ausweiten, denn nirgends, auf dem Weg der rein reflexen Induktion, treffe ich auf eine Begrenzung zwischen dem Individuum und der Art – sei es empirisch, sei es metaphysisch – die zwingend wäre. Theoretisch und streng genommen hat mein allgemeiner Ausdruck, weit davon weg je eine gesicherte Spezies zu sein, allerhöchstens den Wert eines kollektiven Etiketts, das nützlich zusammenfasst, zufolge einer Hierarchie von Ähnlichkeiten, die Summe meiner individuellen Erfahrungen. Entspricht dieser Hierarchie ein gleichbedeutender Gliederbau der Wirklichkeiten? ein objektives System notwendiger Beziehungen? Könnte ich sie vielleicht erkennen – und selbst dann erst – wenn meine Induktion jemals vollständig würde, das heißt, wenn ich die Summe der möglichen Erfahrungen ausgeschöpft hätte. Bis zu diesem trügerischen Endpunkt würden meine Verallgemeinerungen der Spezies und also auch die Ableitungen, die ich auf ihre Spezifizität als solcher aufbauen würde, einer intelligiblen Grundlage entbehren. Man ahnt, dass das Verfahren, das wir gerade beschrieben haben, geradewegs zu einer Erkenntnistheorie führt, die das Allgemeine „im Ding“ (das Universale in re) verkennt, und der die wirklich objektive Erkenntnis auf die Erkenntnis der Individuen beschränkt. Wir werden weiter unten die weitreichenden Konsequenzen dieser antirealistischen Auffassung aufzeigen. Müsste die thomistische Theorie der Individuation nicht überhaupt als sie allein genügen, das schwierige Problem der wissenschaftlichen Induktion umfassend zu lösen, bietet sie doch den nicht thomistischen Theorien gegenüber den unvergleichlichen Vorteil, in jedem Fall eine für das abstrakte Denken sichergestellte ontologische Grundlage zu liefern: unabhängig von der Vielfachheit der Erfahrung ist es für den Thomisten sicher, dass jedes intelligible Element in den materiellen Objekten über das Individuum hinausgeht und sich als eine wesentliche Notwendigkeit oder als eine akzidentelle Möglichkeit festmacht an der spezifischen Form desselben, das heißt an einer unbestimmten Reihe von einander ähnlichen Individuen. So finden sich gleichzeitig eine grundlegende theoretische 86 K.2 Vollständige Lösung der Antinomie Begrenzung des Individuums durch den Gegensatz zur Spezies und eine erste objektive Verallgemeinerung. Eigentlich: um eine Metaphysik der Erfahrung zu vollenden, würde noch übrigbleiben die abschließende Erkenntnis jeder gegebenen Spezies in den Einzelheiten anzugeben und die Arten untereinander zu unterscheiden: diese Aufgabe, soweit sie möglich ist, obliegt der empirischen Induktion und erleidet übrigens von daher alle die unangenehmen Überraschungen. . II. . DIE ART (SPEZIES) UND DIE GATTUNG (GENUS). Zu seinem ersten Einwand würde der Realist unverzüglich einen zweiten hinzufügen. Die rein reflexe Verarbeitung der Universalien, die ganz und gar auf der Ähnlichkeit der individuellen Begriffe gegründet ist, würde nicht nur die theoretische Unterscheidung zwischen Spezies und Individuen ungewiss machen, sondern würde positiv die Wirklichkeit des Objektes verändern. Wenn man es in der Tat ablehnt, zuzugeben dass die individuelle Vielfachheit „innerhalb der Spezies“ eine Beziehung zur konkreten Quantität impliziert, heißt das, wie wir gezeigt haben, sich zu zwingen, die individuelle Differenz wie eine „intelligible Note“ zu betrachten, die eingeht in die Definition der Form des Objektes. Die Individualität ist dann nicht mehr die wiederholte Subsistenz einer identischen Form, sondern selbst eine wahrhaftige unterscheidende Form. Peter, Paul, Jakob... sind nicht mehr nur wesentlich unterschieden (distinkt) – was nicht eine vollständige Übereinstimmung ihres Wesensmerkmale verhindern würde – sie sind wesentlich verschieden (= in den Wesensmekrmalen)23 23 In der streng thomistischen Theorie würde man vielmehr sagen, dass „die Individuen in der Spezies wesentlich distinkt (unterschieden) und „akzidentell verschieden“ sind .. 89 Denn sie unterscheiden sich durch ein intelligibles Element ihrer Definition; die Elemente einer Definition sind untereinander eng solidarisch (sie drücken zusammen eine Einheit des Seins aus), die Modifizierung von einem einzigen dieser Elemente hat einen Widerhall in allen anderen Elementen, verändert das Wesen ganz. Sobald ich von den individuellen Begriffen Peter, Paul..., durch Überlegung, den gemeinsamen Begriff: Mensch wegnehme, lasse ich fallen und vernachlässige ich die intelligiblen Noten, die in der nicht-thomistischen Hypothese die besondere Art und Weise ausdrücken, mit der Peter oder Paul das Menschsein in sich realisieren. Der Rest-Begriff: „Mensch“, zurückbezogen auf die Individuen, ist nur näherungsweise exakt; und wenn ich die folgenden Urteile ausspreche: Peter ist ein Mensch, Paul ist ein Mensch etc. ist das Attribut „Mensch“ nicht eindeutig, es bedeutet etwas anderes in Peter als in Paul – oder aber ich erkläre es als eindeutig (univok), ich gebe ihm wirklich die gleiche Bedeutung, aber dies ist nur um den Preis eines akzeptierten Fehlers möglich, das 87 B.III Antinomie des Einen und Vielen heißt, indem ich die kleinen objektiven Differenzen des Seins gleich Null setze (als unwesentlich betrachte). Diese notwendige Entscheidung zwischen dem Analogismus in der Bedeutung des angeblich spezifischen Prädikats, oder der objektiven Ungenauigkeit der spezifischen Attribution, die als univok vorausgesetzt wird, scheint schwer vereinbarer mit dem Realismus; denn sie führt auf doppeltem Wege zu einem gleichartigen Schluss: das Fehlen einer tatsächlichen spezifischen Homogenität in den Objekten. Der Thomist entkommt dieser Schwierigkeit hinsichtlich der Spezies leicht: die vollständige Homogenität der „Form“ verhindert nicht die individuelle Multiplikation derselben in der Quantität. Die Spezies ist in seinen Augen die feste, abgeschlossene, objektive Einheit genau so wie sie die natürliche intelligible Einheit ist. Und die „Gattung“, so wie sie mehr oder weniger verschwommen durch die direkte Erkenntnis gegeben ist, ist nur als Spezies Wirklichkeit, die in ihren deskriptiven Noten noch unvollkommen erkannte Spezies, wenn auch immer klar unterschieden vom Individuum. Auch zwischen Individuen der gleichen Spezies gehört die vollständige Univozität zur Gattung ebenso wie zur Spezies selbst; in den Sätzen: Peter ist Lebewesen, Paul ist Lebewesen, kommt dem Attribut „Lebewesen“ genau die gleiche Bedeutung zu. Für den Thomisten selbst, verhält sich übrigens die Zuordnung von einem generischen Prädikat zu verschiedenen Spezies oder zu Individuen von verschiedenen Arten anders – reflex, dieses Mal –: diese Zuordnung hört entweder auf, vollkommen homogen zu sein, (analogia secundum intentionem), oder ist nicht mehr objektiv exakt, (analogia secundum esse). Die Angorakatze, die am Kamin schnurrt, ist sicher nicht „Lebewesen“ im gleichen Titel noch in der gleichen Art und Weise wie ihr Meister: wenn das Attribut „Lebewesen“ hier univok ist, nimmt seine Univozität keine objektive Identität der Form oder der Art und Weise des Seins ein. Es gibt in diesem Fall, würde der heilige Thomas sagen, mehr oder weniger an „analogia secundum esse“ 24 24 Aristoteles bemerkte schon, dass die Gattung, im Gegensatz zum spezifischen Wesen, überhaupt nicht eine οὐσία (= Substanz) ist, oder auch dass sie nicht zahlenmäßig vervielfacht in den Spezies wie das spezifische Wesen Vielzahl in den Individuen macht; dass die Differenzen der Gattung „Gegensätzliches“ sind, nicht die der Spezies, etc. Cf. z. B. Métaph. A, 990 b, 21 sqq. ; I, 1057-1058; Z, 1037 b, 8-1038 a,35.. 90 Aber den Vorbehalt, den die Thomisten gegen die Objektivität der Gattung machen, müssen die nicht-thomistischen Partisanen des gemäßigten Realismus logischerweise auf die Objektivität jedes abstrakten Begriffs ausweiten. Außerhalb der thomistischen Individuation bleibt also kein anderer Weg, als auf alle Univozität von Begriffen zu verzichten, oder wohl ein radikales Missverhältnis zwischen dem Universellen Modus und der Wirklichkeit zuzugeben. Allgemein beschränken sich die Handbücher der scholastischen Logik darauf, den gemäßigten Realismus durch folgende zwei Sätze zu charakterisieren: 88 K.2 Vollständige Lösung der Antinomie 1. Der Modus der Universalität gehört der Intelligenz an. Die Objekte sind individuell. 2. Die individuellen Objekte liefern durch ihre Ähnlichkeiten eine reelle Grundlage für den Modus der Universalität. Dies ist wahr, aber der Realismus des heiligen Thomas, wie der des Aristoteles sagt mehr als das, oder, wenn man das bevorzugt, sagt gerade das, mit unendlich größerer Präzision (Genauigkeit). Nun aber brachte das Vergessen dieser Genauigkeit bei den Scholastikern ärgerliche und tiefe Missverständnisse mit sich. . §4. . Die analoge Einheit des Objekts der Vernunft und des Objekts des Verstands in der menschlichen Erkenntnis25 25 Wir verwenden hier das Wort „Vernunft“ im seit Kant üblich gewordenen Sinn einer Fähigkeit für die Transzendenz oder das Absolute. Für die Scholastiker war die „ratio“ die Intelligenz gerade betrachtet in ihrer Fähigkeit zur analytischen Deduktion, die Intelligenz insofern sie diskursiv ist: Die beiden Bedeutungen sind nicht deckungsgleich.. Die vorhergehenden Seiten haben gezeigt, wie der heilige Thomas die Einheit der Sinne und des Verstandes im Begriff konzipierte. Er hob auf diese Art und Weise einen wichtigen Aspekt der großen Antinomie ganz im Geist der peripatetischen Philosophie auf. (siehe zum Folgenden auch Buch IV Kap.3 §2 und 3 (Vergleich Thomas und Ockham) Wir haben auf die Gründlichkeit dieser Lösung hingewiesen. Sie ist nicht nur deutlich verbunden mit dem zentralsten Merkmal des Problems der Erkenntnis: das charakteristische (eigentümliche) und direkte Objekt unserer Intelligenz, die „quidditas abstracta rerum materialium = die abstrakte Washeit der materiellen Dinge“, sondern von da ausgehend verfolgt sie die Vielfachheit bis an ihre Wurzel: die reine Materie. Anstatt sich damit aufzuhalten partikuläre Vielfachheiten mit partiellen Einheiten in Übereinstimmung zu bringen, fasst sie den Gegensatz der reinen Vielfalt und der Einheit in der begrifflichen Synthese ins Auge. Während in den mehr oder weniger platonisierenden Philosophien die reine Materie dem begrifflichen Zugriff total entkommt26 , 26 91 Wir werden davon weiter unten in den franziskanischen Philosophien ein Beispiel sehen. verschafft sie sich beim heiligem Thomas dagegen Anerkennung, wenigstens auf Umwegen, als eine Möglichkeits-Bedingung des abstrakten Allgemeinbegriffs. Der niedrigere Term der alten Antinomie wirkt so wirklich auf den höheren Term ein, dem er die Markierung der Vielfachheit aufdrückt. Und umgekehrt, im gleichen Maße verringert sich die Vielfalt von unten unter der Beschlagnahme 89 B.III Antinomie des Einen und Vielen 92 durch die Einheit, welche Einheit durch die Vervielfachung verändert wird. Von welcher Einheit? Wir haben eine erste Vereinheitlichung der materiellen Vielfalt festgestellt innerhalb der abstrahierten Begriffe: Um die volle Lösung der Antinomie des Einen und des Vielfachen zu erreichen, müssten wir noch eine zweite Etappe hinter uns bringen, nämlich zu erkennen unter – oder genauer, in – den abstrakten Einheiten, die immer noch vielfach sind, den beherrschenden Einfluss der absoluten Einheit. Denn, nach der Einheit der Sinne und des Verstandes, lehrt der thomistische Realismus öffentlich die Einheit des Verstandes und der höheren Vernunft. Die folgende Formel drückt genau den stetigen Zusammenhang der transzendenten Vernunft, der Fähigkeit der absoluten Einheit, mit dem Verstand, der Fähigkeit der abstrahierten Einheiten, aus: Es ist genau durch die absolute Einheit der Vernunft, dass sich im Begriff die abstrakte Synthese der sinnenhaften Vielfalt vollzieht. Man könnte sagen: Im durch eine Sinneswahrnehmung vermittelten Ringen mit der reinen Materie ist der Verstand identisch mit der höheren Vernunft,. Im Heft V werden wir mit mehr Einzelheiten zeigen, dass das Denken des heiligem Thomas wirklich so ist, und wir werden das kritische Fundament dieser wagemutigen Schlichter-Einstellung aufweisen. Bis dahin soll es genügen, zwei unzweifelhaft thomistische Thesen zu unterstreichen, die diesen Gesichtspunkt vollkommen charakterisieren. Die erste These, mehr von psychologischer Ordnung, stellt den Einfluss der absoluten Einheit auf die Entstehung des Begriffes fest: wir wollen von der These des Intellektus agens sprechen. Sobald eine sinnenhafte Vielfalt „gegeben“ ist, kommt die spontane Tätigkeit (Aktivität) der Intelligenz ins Spiel und stattet die durch die konkrete Darstellung angebotene Mannigfaltigkeit mit seiner immateriellen Einheit aus. Der abstrakte Allgemeinbegriff mit seiner Potenz zur numerischen Vervielfachung durch Zuteilung entsteht aus der Begegnung dieser immateriellen Einheit mit der quantitativen Vielfalt, die der sinnenhaften Darstellung eigentümlich ist: denn die „Zahl“, Fähigkeit zur homogenen (= gleichförmigen) Vervielfachung der Form, ist das unmittelbare Produkt vom Intelligiblen und der konkreten Quantität. Nun aber, was stellt objektiv die immaterielle oder intelligible Einheit dar, die wir so am Ursprung jedes abstrakten Begriffes finden? Oder besser, in thomistischen Ausdrücken, welche Gültigkeit hat, im Begriffs-Umfang und in Begriffs-Inhalt, diese synthetische Form des Intellektus agens? Ist der Intellektus agens eine Form begrenzt durch einen solchen oder solchen Grad (Intensität) des Seins? Keineswegs; Er ist eine Form von der kein endliches Gegebenes die konstruktive Kapazität ausschöpft („intellectus agens... quo est omnia facere“ der intellectus agens, dessen Fähigkeit es ist alles zu machen) und der also nur ausgedrückt werden kann durch die Unbegrenztheit des Seins als solchem. (siehe Skizze mit Erklärung im Text S.198) Aber eine Tätigkeit, deren leitende Form das Sein als solches ist, bewirkt, 90 K.2 Vollständige Lösung der Antinomie 93 vollzieht notwendigerweise seine Synthesen als Funktion der absoluten Einheit des Seins, ganz so wie ein Wille, dessen Formalobjket das Gute als solches ist, unter der Bewegung durch ein letztes objektives Ziel wirkt (=sich vollzieht), das das absolute Gut ist. Solcher Art ist andererseits auch der Schluss, den eine zweite These in ontologischen Ausdrücken entwickelt, die genauso wesentlich ist für den thomistischen Realismus wie die psychologische These vom Intellektus agens: das Wissen um die These von der allgemeinen Analogie des Seins. Diese These drückt den objektiven Aspekt der subjektiven Bedingungen der Einheit aus, die die Ausübung des Intellektus agens leitet. In der Tat ist in unserem Denken kein Objekt möglich, das nicht auf die gesamte Einheit des Seins bezogen ist. Auf der anderen Seite ist es ganz offensichtlich, dass kein endliches Gegebenes die Rolle der absoluten Einheit des Seins als die unmittelbare Form der Einheit versehen kann: Ausgehend davon wird die besondere einigende Form dieser Gegebenheit nur in einer endlichen Beziehung zur absoluten Einheit bestehen, was sogar die Grundlage der Analogie des Seins ist.(siehe Skizze mit Erklärung im Text S.201) Im Innersten jedes unserer Begriffe („im Vollzug“ einer jeden intellektuellen Erfassung), trifft sich also, nach dem heiligem Thomas, über diese unbegrenzt multiplizierbare Beziehung zur konkreten Menge hinaus, die die Last der Materie erkennen lässt, eine höhere Beziehung zu einem tranzendenten Absoluten. In dieser letzten Relation, die die tatsächliche intelligible Einheit des Begriffes begründet (konstituiert), bleiben die zwei dicht beieinander liegenden Terme, weit davon entfernt jemals verschmelzen zu können zu einer Art univoker Entität oder höchsten Abstraktion, gleichzeitig vereint und entgegengesetzt, wie ein nicht zurückführbares Paar: das Paar des absoluten Seins und der schwachen Teilnahme am absoluten Sein, das Paar des „esse imparticipatum“ und des „esse participatum“ (nicht mitgeteiltes, nicht mitteilbares Sein und mitgeteiltes, mitteilbares Sein). Dann also wenn die „innere Proportion zum absoluten Sein“ gerade das Wesen und die tatsächliche intelligible Einheit der begrifflichen Objekte ausmacht, (universelle Wesenheiten), haben wir das Recht, zu behaupten, dass die synthetische Operation des Verstehens von der absoluten Einheit der Vernunft Gebrauch macht. Und da auf der anderen Seite diese gleiche synthetische Operation ebenso Gebrauch macht von der konkreten Materie als Term einer transzendentalen Beziehung der wahrgenommenen Form, ahnt man schon jetzt, dass der abstrakte Allgemeinbegriff, eigentliches Objekt unseres Verstandes, den Thomisten zufolge, die äußersten Grenzen der Wirklichkeit umfasst und verbindet: die reine Vielfalt („Materia prima“) und die reine Einheit („das absolute Sein“, den „Actus purus“ = reinen Akt, Gott). Zum ersten Mal findet sich die Antinomie vom Einen und dem Vielfachen klar und vollständig gelöst. Weit davon weg, die Einheit zu opfern, wie Heraklit; oder 91 B.III Antinomie des Einen und Vielen die Vielfalt, wie Parmenides; weit davon weg, einen Graben auszuheben wie Plato zwischen den Sinnendingen und dem Intelligiblen; selbst weit davon weg, wie Aristoteles, die Transzendenz der absoluten Einheit noch mit Unsicherheit verhüllt sein zu lassen, bringt der heilige Thomas mit sicherer Hand diese verschiedenen Elemente, die er in jedem Akt der objektiven Erkenntnis entdeckt, ins Gleichgewicht, nämlich einerseits das menschliche Perspektivitätszentrum und anderseits die lebende Synthese. Wir werden im Verlauf langer Kapitel zeigen müssen, dass das philosophische Denken, sobald es diese zentrale und privilegierte Einstellung aufgibt, in Antinomien zurückfällt und den Versuch einer neuen Kritik der Erkenntnis unvermeidlich macht. 92 K. 3 Über Scotus zu Ockham 94 Kapitel III Von Thomas zu Ockham über Duns Scotus Abschwächung der metaphysischen Synthese und Wiedererscheinen der Antinomie §1. – Zwischenstellung der scotistischen Philosophie 95 Es ist vielleicht nicht überflüssig, den Leser daran zu erinnern, dass die in diesem Heft skizzierten Wege von System zu System vor allem logische Wege sind. Wenn sie die zeitliche Reihenfolge der Lehrgebäude berücksichtigen, bringt das nicht notwendig literarische Abhängigkeiten zum Ausdruck. Der Abstand zwischen dem heiligen Thomas bis zu Ockham konnte nicht in einer einzigen Etappe durchschritten werden. Der heilige Thomas verteidigt einen sehr ernsthaft verstandenen und vollkommenen kohärenten gemäßigten Realismus. Ockham zersetzt den Realismus tief greifend und bahnt so den Weg zu Einstellungen, die der ganzen alten Philosophie fremd waren. Zwischen diesen zwei Auffassungen gibt es keinen Berührungspunkt: die erste bietet keinen unmittelbaren Anlass für die zweite. Ebenso hatte der Ockhamismus mit seiner gründlichen Verkennung der abstraktiven Intelligenz keine Chance, zu entstehen und zu blühen, es sei denn von einem philosophischen Niveau aus, das sei es diesseits oder jenseits der stabilen Gleichgewichts Stellung, die der Thomismus einnahm. Diesseits: wollen wir sagen ausgehend von ersten Versuchen des alten Nominalismus, der weniger ein System war als ein Zögern der Vernunft vor dem Problem seiner objektiven Einheit. Jenseits: das heißt ausgehend von einem dogmatischen Realismus unter platonisierender Inspiration, dargelegt mit einer übertriebenen Leichtgläubigkeit bezüglich der objektiven Gültigkeit des Begriffs, sodass er skeptische Reaktionen provozierte. Wir ignorieren, in welchem Maße Ockham den räumlich nahen Einfluss nominalistischer Tendenzen erfuhr, der mehr oder weniger offen während des ganzen Mittelalters andauerte; dagegen ist es sicher, dass sein agnostischer Terminismus (=Lehre, dass alles Denken nur in Begriffen [Termini] vorsich geht, die ihrerseits nur Zeichen der wirklichen Dinge sind) den Charakter einer kritischen, ganz bewussten Reaktion gegen den platonisierenden Dogmatismus trägt und insbesondere gegen den realistischen Formalismus von Duns Scotus. Man wird weiter unten besser sehen, in welchem Sinn die Lehren, die wir um den Namen des Doctor subtilis (= des scharfsinnigen Lehrers) gruppieren, eine Entwicklungsstufe auf dem Weg zum Ockhamismus kennzeichnen. Wenn es wahr wäre, dass sie Ockham im gleichen Maße vorbereiten, wie sie sich vom heiligen Thomas entfernen, würden sie uns das logische Zwischenglied liefern, das wir suchten. 93 B.III Antinomie des Einen und Vielen Wenn wir von einer logischen Abirrung dieser Lehren im Bezug auf die thomistische Synthese sprechen, denken wir offensichtlich nicht im Traum daran, in Abrede zu stellen, dass sie eine verehrungswürdige Tradition fortführen, die älter ist als der Thomismus, nämlich die Tradition des „alten mittelalterlichen Augustinismus“ 27 . 27 Wir legen hier keinen besonderen Nachdruck auf diese oft kritisierte und vielleicht tatsächlich kritisierbare Bezeichnung (Etikett) 96 Unser Ziel erfordert nicht, dass wir auf die ursprünglichen Formulierungen der augustinischen Thesen zurückgehen, auch nicht auf die klassische Form, wie sie sich so gemäßigt und so fesselnd beim heiligen Bonaventura verkleiden. Wir werden ein bisschen mehr darüber lernen, wenn wir sie in einer etwas spät entwickelten Phase betrachten, wo ihre Entwicklung einige ihrer Schwachpunkte viel besser verrät. In diesem Moment realisieren sie unstreitig in der spekulativen Hierarchie der Systeme einen Grad der Einheit unterhalb dessen, den die Philosophie des heiligem Thomas erreicht hatte: wir drücken diese Tatsache durch die gekürzte Formel aus: Abschwächung der thomistischen Synthese. Wenn wir versuchen, etwas in die intellektuelle Atmosphäre von Duns Scotus einzudringen, ist unsere Absicht nicht, komplizierte Fragen aus der Geschichte und aus der mittelalterlichen Auslegung aufzuwerfen. Beim franziskanischen Magister werden wir weniger die formulierten Thesen, als die Richtung gebenden Bestrebungen ins Auge fassen: sein Name versinnbildlicht in unseren Augen eine Ausrichtung (Orientierung) des Denkens, die vielleicht dem heiligen Thomas näher steht, als die von Ockham, die aber in Zahlung nimmt und mit seinem Kredit einen schon alten Fehler deckt, der früher oder später zu einem offensichtlichen Nominalismus führen musste. Wir wollen nicht bestreiten, dass die Philosophie von Duns Scotus im Ganzen aristotelisch und realistisch ist. Vielleicht verdient sie sogar den Vorwurf, den man im Allgemeinen an sie richtet, dass sie im Übermaß realistisch sei. Diesem wohlbegründeten Ruf gegenüber versteht man, dass ein Leser, der damit beginnt, wie wir es hier machen, die „Quaestiones in Metaphysicam“, oder das „Opus Oxoniense“ und die „Reportata Parisiensia“, nach einer langen Beschäftigung mit den griechischen Philosophen und mit dem heiligem Thomas, ratlos bleibt, wenn er an der Basis des Werks von Scotus genau die zwei Thesen erkennt, die er gewöhnt ist, als eine entscheidende Ausrichtung zum Antiréalismus hin zu betrachten: 10 eine metaphysische These: dass die Individuation der Sinnes-Objekte ausschließlich auf die letzte förmale Differenz, auf die „Haecceitas“ gründet; 0 2 die entsprechende psychologische These: die intellektuelle, unmittelbare und primitive Wahrnehmung der materiellen Individuen, ergibt sich aus einer verschwommenen Intuition des „Einzeldings“ durch die Intelligenz. 94 K. 3 Über Scotus zu Ockham 97 Diese zwei Thesen sollten, so scheint es, entweder zu einem unverbesserlichen Analogismus der Begriffe, die man als spezifisch bezeichnet, oder zu einer bemerkenswerten Abschwächung der objektiven Gültigkeit unseres Denkens führen. (Cf. weiter vorne Buch III, Kap. II, §3, b,2). Nun aber, was lehrt Duns Scotus öffentlich? Das Gegenteil von dem, was wir erwarteten: die Univozität der allgemeinen Begriffe, einschließlich sogar des Seins, und einen Realismus, der viel mehr, als es der heilige Thomas machte, den „modus intellectus“ und den „modus rei“ (die Eigenschaft als gedachte [wie sie im Verstand ist] und die Eigenschaft wie sie im Ding ist) geistig verarbeitet. Wie konnte die „formale“ Individuation (= die Individuation als letzte Differenz der intelligiblen Form) mit der Univozität der spezifischen Begriffe in Einklang gebracht werden? die direkte intellektuelle Erkenntnis des materiellen Einzeldings mit dem Realismus des Universellen? Ist dieser Einklang, diese Vermittlung überhaupt möglich? Wenn man sich auf das vorhergehende Kapitel beziehen will, (Kap. II, §3, a, p.82 ff.), wird man bemerken, dass das Aufgeben der thomistischen Lehren über die Individuation und über das primäre Objekt unserer Intelligenz mit dem strengsten Realismus nur vereinbar wird, unter der Bedingung, dass man eine viel weniger enge innerliche Einheit der individuellen Substanzen in der wirklichen Ordnung zulässt. In der Tat die thomistische Lehre verlangte die strenge metaphysische Einheit der Substanz (= nur eine substantielle Form, Menschsein, enthält alle Funktionen wie Leben, Sinne, Vernunft). Duns Scotus versucht nicht, einer Konsequenz auszuweichen, die zu der Katastrophe führt, ihn vom Thomismus zu entfernen: er will vor allem Realist bleiben und macht diese Konsequenz entschlossen zu seiner. Es existiert, ihm zufolge, in den individuellen Wesenheiten, selbst im Innersten ihrer Einheit, vor aller Zerlegung, die durch unser abstraktes Denken bewirkt wird, eine Abstufung der metaphysischen Grade entsprechend der Überlagerung der allgemeinen Attribute in der Definition. Unabhängig von jeder Verschiedenheit der Gesichtspunkte, die durch eine abstrakte Intelligenz eingeführt wird, dieser Peter da, in seiner konkreten Wirklichkeit, besteht (subsistiert) durch ein Ineinandergreifen von wirklichen Bestimmungen fort – oder von „Formen“ – generischen (Substantialität, Körperlichkeit, Vitalität Sensitivität) und von individuellen (Haeczeitas (=das dieses Einzelding-Sein) oder Petreität). Solcher Art und Weise ist, summarisch ausgedrückt, die berühmte FormenUnterscheidung „distinctio formalis ex natura rei (= Formen-Unterscheidung aus der Natur des Dings)“ die Duns Scotus einschiebt, als ein drittes Glied zwischen die zwei Unterscheidungen, deren kontradiktorische Gegenüberstellung von den anderen Scholastikern zugegeben wird: die „Unterscheidung im Ding selbst“ (distinctio realis) rein und einfach, und die „Unterscheidung im Denken“ (distinctio rationis). Es wäre falsch, wenn man darin nur eine Spitzfindigkeit eines Polemikers sehen würde, den verrückten Versuch eines von sich selbst berauschten 95 B.III Antinomie des Einen und Vielen Dialektikers bis zu dem Punkt, dass er behauptet, sich wie einen Keil zwischen dem Sein und dem Nichtsein einzurammen. Nein, diese Unterscheidung fasst eine ganze Metaphysik zusammen und strahlt eine ganze Epistemologie zurück. Aber welche Metaphysik und welche Epistemologie? Die Werke, die wir für unsere Darlegung verwenden, finden sich vereinigt in der großen Ausgabe von Duns Scotus durch Wadding28 . 28 Ioannis Duns Scoti opera omnia. Lugduni, 1639. Alle unsere Referenzen werden dieser Ausgabe entnommen sein, deren Titel wir nicht wiederholen werden. Wir werden wie folgt zitieren: 10 Titel und Teil des besonderen Werkes, auf das man verweist. 20 Band, Seite und, wenn es vorkommt, Kolumne der Ausgabe von Wadding. (Zum Beispiel: Quaest. in Metaph., lib. 5, qu. 4, no 5. Vol. IV 605 b). Dies sind, außer den sicherlich authentischen Hauptwerken des scharfsinnigen Doktors, zwei Traktate, deren Urheberschaft man ihm seit neuestem bestreitet: das Vom Ursprung der Dinge, das sicherlich nicht von ihm ist und die Theoremata, für die es keinen Grund mehr gibt, sie ihm zuzuschreiben29 , 29 In der ersten Ausgabe dieses Heftes (1922) haben wir überall im ganzen Buch nicht nur die zwei Kommentare von Duns Scotus zu den Sentenzen (Opus Oxoniense und die Reportata parisiensia), die Quaestiones in metaphysicam, die Quaestiones quodlibetales und das kostbare kleine Werk De primo principio zitiert, sondern auch die Quaestiones de anima, das De rerum principio und die Theoremata. Diese drei letzten Werke, die bisher in der Ausgabe von Wadding, Lyon 1639, als sicherlich authentisch angenommen wurden, fuhren bis in diese letzten Jahre fort, beinahe mit Einstimmigkeit der Autoren, Franziskanern und anderen für authentisch gehalten zu werden. Dennoch hat gegen 1908 P. Minges, O. F. M. ernste Zweifel über die scotistische Herkunft von De Rerum Principio geäußert, ohne übrigens die Echtheit der Theoremata zu bestreiten. Diese wurde 1918 kategorisch bestritten in einer stichhaltigen Denkschrift vom P. Déodat-Marie von Basly O. F. M.. Unsere erste Ausgabe signalisiert diese zwei damals ganz neuen Angriffe auf eine mehrere Jahrhunderte alte Tradition; wir sagten gleichzeitig warum und in welchem Maße sie uns noch nicht ausschlaggebend schienen; aber wir erklärten uns dazu bereit, die traditionelle Meinung aufzugeben, wenn die Schlussfolgerungen der franziskanischen Kritik den Zuwachs eines Beweises empfingen, den sie uns noch zu entbehren schienen. Diese neue Bestätigung empfingen sie beinahe sofort, in den so reichlich dokumentierten Studien, die P. Ephrem Longpré, O. F. M. der „Philosophie des seligen Duns Scotus“ (Paris 1924) gewidmet hat. Auch wenn wir nicht alle angeführten Argumente für überzeugend halten, erkennen wir gerne an, dass ihre beeindruckende Masse die letzten Wahrscheinlichkeiten abdrängt, auf die man sich berufen könnte zugunsten der Echtheit der zwei verdächtigen Traktate. Der eine von ihnen, nämlich De Rerum Principio, hat übrigens jetzt einen offiziellen Personenstand gefunden: er stammt aus der Feder des Franziskaners Vital du Four (de Furnis) und datiert ungefähr zehn Jahre vor dem Anfang der Abhandlungen von Duns Scotus. Siehe bei E. Longpré O. F. M. Pour la Défense de Duns Scot, (Rivista di Filosofia neo-scolastica, XVIII. 1. 1926, Seite 35). Im gleichen Artikel zeigt P. Longpré summarisch (p. 36 -39) dass auch die Quaestiones de anima nicht von Duns Scotus sein könnten. Ohne noch die genaueren Gründe dieser Verfemung zu kennen, die uns nicht übermäßig erstaunt, werden wir vermeiden, die Echtheit der genannten Quaestiones anzunehmen. Die neuen Elemente der Bewertung, die von den franziskanischen Gelehrten von Quaracchi zu Tage gebracht wurden, laden uns dazu ein, die Beschreibung des geschichtlichen Scotismus, wie er in unserer ersten Ausgabe dargestellt wurde, umzuarbeiten. Man wird sehen, dass unsere allgemeine These von diesen Retuschen überhaupt nicht berührt wird.. 98 Zwischen diesen drei Arten von Werken dürfen die unanfechtbaren Unterschiede die sehr lehrreichen Verwandtschaften in der Lehre nicht verkennen lassen. 96 K. 3 Über Scotus zu Ockham Wenn sie nicht von der gleichen Hand sind, gehören sie mindestens zu einem gleichartigen philosophischen Horizont; und sie zeugen von einer fortschreitenden Unabhängigkeit gegenüber der alten franziskanischen Schule, die durch den heiligen Bonaventura berühmt gemacht wird, An diese schließt sich De Rerum Principio noch sehr eng an. Es präsentiert, unter einem stärker hervortretenden Relief, und in einem offensichtlicher platonisierenden erläuternden Kontext, mehrere der fundamentalen augustinischen, selbst in den großen Werken von Duns Scotus erhaltenen Thesen. Bevor wir die Darstellung von Duns Scotus abschließen, wollen wir unsere Aufmerksamkeit weiterhin auf ein einziges (aber wirklich sehr bezeichnendes) Beispiel konzentrieren: den Begriff der „Materie“. Der Text von De Rerum Principio, den wir ausdrücklicher verwenden, wird uns als Vergrößerungsglas dienen, um im Voraus die logische Tragweite gewisser Aspekte des Scotismus zu bemerken. Was Duns Scotus persönlich betrifft, nimmt er noch unter vielen Rücksichten den bonaventurischen Augustinismus wieder auf, aber einen stark vom Rationalismus des Aristoteles abgeänderten Augustinismus. In seinen authentischen Werken verlässt er die Theorie der „Keimformen aller Dinge (= , rationes seminales bei Augustinus)“ und vermeidet es, sich auf die klassische franziskanische Doktrin von der „Erleuchtung“ zu berufen. Von der Erkenntnis durch Begriffe, schlägt er eine rein rationale Erklärung vor, unabhängig von theologischen Voraussetzungen. In ihm schließt eine Entwicklung ab, die angefangen wurde, lange vorher bei den franziskanischen Gelehrten, besorgt darum den augustinischen Platonismus mit dem Aristotelismus zu versöhnen. Duns Scotus ändert hier die Richtung, indem er sich mehr im Sinn des Stagiriten entscheidet30 . lìgoi spermati- koÐ 99 30 Ohne Zweifel verdankt er darin viel seinen unmittelbaren Meistern, vor allem dem aristotelischen Guillaume von Ware. Jedoch vollzieht sich diese Orientierung noch alles in allem genommen im Rahmen des alten Augustinismus unter der ein bisschen engen Federführung von einigen Thesen, autorisiert durch eine lange Tradition, aber unverträglich mit dem Grund-Prinzip des Aristotelismus. Um diese feindseligen Elemente in ein zusammenhängendes System einzubringen, brauchte es nichts weniger als die dialektische Virtuosität des scharfsinnigen Meisters. Und die Resultate, so bewundernswert sein Genie war, konnten nicht ganz befriedigend sein. Wir werden uns bemühen zu zeigen, worin die scotistische Metaphysik und Epistemologie scheitern mussten, eine voll verständige Lösung der Antinomie des Einen und des Vielfachen zu liefern und machen so das Feld frei für die Tendenzen, die die ersten Entwicklungen der modernen Philosophie erzwingen werden. Die Theoremata, wahrscheinlich später als Duns Scotus, bewahren vieles von seinem Geist und seiner Art und Weise. Trotz einiger agnostischer Thesen ist ihre Inspiration überhaupt nicht ockhamistisch31 . 97 B.III Antinomie des Einen und Vielen 31 Die literarische Abhängigkeit der Theoreme XIV, XV, XVI, bezogen auf Ockham, ist möglich, aber nicht bewiesen. Hingegen sind die ersten Theoreme klar anti-nominalistisch; andere sind mehr oder weniger schwer vereinbar mit dem Ockhamismus. Siehe Kap. IV, letzter Paragraph. Ihr unbekannter Autor macht dem Nominalismus überhaupt keine Zugeständnisse, ganz im Gegenteil; aber darin unterscheidet er sich sehr stark, dass er, nachdem er Kenntnis genommen hat von den Grenzen des begrifflichen Realismus, zu dem er sich klar bekennt, einige eher entmutigende Konsequenzen daraus zieht hinsichtlich der Möglichkeit, die Natur der transzendenten Wirklichkeiten in aller wissenschaftlichen Strenge zu zeigen. Dieser Anonyme, trotz der unvollkommenen Zusammensetzung seines kleinen Werkes, beweist einen bemerkenswert kritischen Geist, der nach unserer Meinung den Ruhm von Duns Scotus selbst nicht verunstaltet hätte32 , 32 Das war offensichtlich das Gefühl der alten Verleger und Kommentatoren, die nicht an der scotistischen Echtheit der Theoremata zweifelten; der franziskanische Cavell geht so weit, dass er über dieses Werk sagt: „Lies es, Leser, und du wirst erfahren, dass es « Perlege, Lector, et experieris verum esse wahr ist, was ich sage, und du wirst zugeben. quod affirmo, asseresque Scoti ingenium, et- dass das Genie des Scotus, auch wenn es an si de suo subtilissimum, ista tamen minime sich betrachtet noch so scharfsinnig ist, dass es praestare potuisse, nisi divinae sapientiae lu- doch diese Dinge trotzdem nicht hätte leisten. mine illustratum, et peculiari adjutorio ele- können, wenn es nicht vom Licht der göttlichen vatum. » (Theoremata, Praefatio ad lec- Weisheit erleuchtet und durch eine besondere Hilfe gestärkt worden wäre.“ (Theoremata, torem. Vol. III, 262). Praefatio ad lectorem. vol. III,262) 100 So lange man die Theoreme diesem letzten zuteilen konnte, schien es ganz pikant (prickelnd, geistreich), ihn dabei zu beobachten, wie er gründlich seine eigene Metaphysik genau prüft ; aber wir schätzen es als beinahe ebenso lehrreich, das gleiche Sieb von anderen Händen gehandhabt zu sehen, die auch sachverständig, wenn auch weniger hochberühmt sind. §2. – Der Begriff Materie in „De Rerum Principio“ Die Begriffe „Materie“ und „vollkommenes Sein“ nehmen die zwei entgegengesetzten Seiten der ganzen menschlichen Metaphysik ein. Im einen wie im anderen dieser Begriffe muss sich das besondere Wesen des Systems verraten, das sich ihrer bemächtigt. Schlägt man De Rerum Principio bei der Frage VII auf, die die Überschrift hat: „Ob die in sich subsistierende geistige Substanz ... sich auf das Fundament der Materie stützt?“ [ « Utrum substantia spiritualis per se subsistens ... innitatur fundamento materiae? » ] so entwickelt dort der Artikel I lang und breit das Thema: „Was ist die Materia prima? “ [ « Quid sit materia prima? » ] (Edit. cit., vol. III, 37 b, und sqq.). 98 K. 3 Über Scotus zu Ockham a) Die Akthaftigkeit der Materie. Schon mit den ersten Wörtern werden wir in eine anti-thomistische Atmosphäre eingetaucht. Man weiß, dass nach dem heiligen Thomas, die körperlichen Substanzen und jene allein in ihrem Wesen selbst zusammengesetzt sind aus einem passiven rein „potentiellen“ Prinzip, der Materie, und einem bestimmenden Prinzip, der Form; zwingend sich einander ergänzenden Prinzipien; ohne die Form ist die Materie Nichts, ist sie undenkbar: sie empfängt das Sein nur durch die Form, sie wird nur in Verbindung mit der Form Objekt der Intelligenz. Das, was ist, „zuerst und in sich“, [ « primo et per se » ,] ist das substantiell aus Materie und Form Zusammengesetzte. Im Gegensatz dazu fängt die Darlegung von De Rerum Principio mit diesen Ausdrücken an : „zum ersten, ist zuerst die falsche Vor« Circa primum, primo est falsa imastellung auszuräumen, die sagt, dass die ginatio tollenda, quae dicit quod maMaterie eine Potenz ist, die keine akteria est potentia nullam habens entuelle Entität (Seinshaftigkeit) hat (nur titatem actualem » (De Rerum PrinPotenz ohne jeden Akt ist)“, De Rerum cipio, qu. VII, art. 1, n. 1. Vol. III, Principio, qu. VII, art. 1, n. 1. Vol. III, p. 37 b). p. 37 b. 101 Es ist falsch, dass die Materie keine aktartige Seinshaftigkeit hat, „dass sie nur Akt haben könne durch die Form und dass sie in sich nicht Wirkung einer Ursache gneannt werden könne"(Ebenda.). Dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nach ist die Materie, das ist wahr, nie ohne die Form geschaffen: das verhindert nicht, dass die Materie ihre eigene Aktualität hat: „diese Akthaftigkeit ist eine andere als « haec actualitas est alia ab illa quam die, welche die Form hat“, (loc. cit., n. habet forma » (loc. cit., n. 2, p. 38 2, p. 38 a). „die Materie, auch wenn a). « Materia, licet non sit a Deo es sie von Gott her nur in einer Form nisi sub forma, et ut sic semper si- gibt und sie als solche immer zeitlich zumul tempore fuerit materia et simul gleich Materie und zugleich Form geweforma, ordine tamen naturae prius est sen ist, ist dennoch der Naturordnung esse et creatio materiae, et per conse- nach das Sein und die Erschaffung der quens sua actualitas, quam forma vel Materie früher und folglich ihre Akthaftigkeit, als die Form oder deren Schöpejus creatio. » (Ibid.) fung. “ (Ebenda.) Unter den Argumenten, die De Rerum Principio anführt, um zu zeigen, dass die Materie eine „positive Entität“ besitzt, scheinen uns die Folgenden ganz besonders Aufschluss gebend. Zuerst, wenn man das allgemein angenommene Prinzip aufstellt 99 B.III Antinomie des Einen und Vielen « quod omnis res actu existens habet „dass jedes wirklich existierende Ding das Sein durch etwas Formartiges hat“, esse per aliquod formale » , muss man anerkennen, dass diese „Formal-Ursache“, die das Sein der Materie mitteilt, nicht verwechselt werden darf mit der Form des substantiellen Zusammensetzung: denn, „das aktartige Sein (esse actuale), das « esse actuale quod habet [materia] a [die materia] von der Schöpfung her hat creatione potest esse, vel saltem intel- kann sein oder wenigstens verstanden ligi, amota forma ab ea re vel intellec- werden, auch wenn die Form im Ding oder im Gedachten weggenommen wird “, tu » (Ibid.). (Ebenda).). Die Seinshaftigkeit (Entität) der Materie bleibt ohne die Form fassbar. Man unterscheidet mühelos die Voraussetzung, die diesem Grund seine Beweiskraft verleihen muss; Sie haust in gleicher Weise in den scotistischen Beweisen und Descartes würde sie sicher nicht verleugnen; wir wollen sagen: dass die Unterscheidung von zwei Begriffen eine Dualität von wirklichen Entitäten anzeigt; oder, noch allgemeiner, dass jeder klare und unterschiedene Begriff eine objektive Einheit des Seins, eine Entität darstellt. Später nach Descartes, wird dieses Prinzip der zwingenden Parallelität zwischen dem begrifflichen Denken und der Wirklichkeit bis zum Spinozismus führen. Einst haben mit dem gleichen Prinzip nur auf die abstrakten Begriffe angewandt die Platonismen aller Nuancen ihr Glück gemacht. In einem anderen Argument urteilt man wie folgt: „zwischen dem aktuell Seienden und « inter ens actu et nihil, non est médem Nichts gibt es kein Mittleres; also dium; ergo, si materia praeter forwenn die Materie außer der Form keinen mam non habet aliquem actum essenSeinsakt hätte, wäre sie nichts; also würdi, erit nihil; ergo, agens creatum agede das geschaffene Handelnde aus nichts ret de nihilo, cum agat de materia » handeln, wenn es aus der Materie han(loc. cit., n. 3, p. 38 b). delt“, (loc. cit., n. 3, p. 38 b.) Diese kurze Beweisführung verrät beim Autor des Traktats offensichtlich das Fehlen eines wahren aristotelischen (und thomistischen) Begriffs einer reziproken Kausalität, das heißt einer streng sich ergänzenden Verschiedenheit im Inneren des Seins selbst. Für den heiliges Thomas ist das, was ist, nicht die Materie noch die Form, sondern die Einheit des einen und des anderen; für unseren Autor, nimmt die Materie und die Form zuerst am Sein teil, jedes auf seine eigene Rechnung. Außerdem, wie die akthafte Entität der Materie und die akthafte Entität der Form jeweils auf ihre Weise die Passivität der ersteren und die bestimmende Aktivität der zweiten gundlegen, nimmt man nicht mehr wahr einen radikalen Unterschied zwischen der sogenannten materialen und formalen reziptoken Kausalität und einer aktiven und passiven effizienten Kausalität Die Form wird zu einem „Tätigen“, der auf die Materie einwirkt; diese ihrerseits zu 100 K. 3 Über Scotus zu Ockham einem „Erleidenden“, der die Aktion der Form über sich ergehen lässt; die Zu102 sammensetzung ist eine Art von Resultante. Vielleicht legen wir ein bisschen zu viel Nachdruck darauf; aber diese Vorstellung (kartesianisch schon bevor es diesen Namen gab) scheint uns unbestreitbar keimhaft vorhanden in den Texten, die wir analysieren. In Nummer 4 bis 8 des gleichen Artikels wird die Akthaftigkeit der Materie näher geprüft und verglichen mit der Akthaftigkeit der Form. Wenn die Materie „im Akt“ ist und die Form „im Akt“ ist, welcher wesentliche Unterschied unterscheidet sie dann noch? Im Grunde nichts als ein Unterschied im Grad. „Die Materie unterscheidet sich [von « Differt materia [a forma] ut est in actu, vel ut ambo habent esse in ac- der Form] wenn sie im Akt ist oder wenn tu; (quia ille actus quem habet mate- beide Sein im Akt haben; (weil jener Akt, ria est distinctus, utpote ambo tam- den die Materie hat unterschieden ist, quam realia principia sunt creata); il- weil nämlich beide als reale Prinzipien le, inquam, actus materiae est mino- geschaffen sind); Nämlich jener Akt der ris perfectionis quam actualitas cui- Materie ist von kleinerer Vollkommenuscumque formae » (loc. cit., n. 6, p. heit als die Akthaftigkeit jeder möglichen Form“, loc. cit., n. 6, p. 39 a. 39 a). Am unteren Ende der Skala des Akt-Seins haust die Materie, von der man sagen muss: „sie ist Seins Akt..., aber sie ist Akt von « est ens actu ..., sed nullius est acnichts und niemand “ loc. cit., n. 4, p. 38 tus » loc. cit., n. 4, p. 38 b); b,; darüber: überlagern sich Formen, von denen man sagen muss: « forma est in actu et est alterius ac- „sie ist Form im Akt und ist Akt von was anderem“ , (Ebenda). tus » (Ibid. Die Akthaftigkeit der Materie ist so schwach, dass sie nichts Ärmeres trifft, dem sie sich mitteilen könnte; hingegen muss die Serie der Formen durch eine letzte Form abschließen, von der der erhabene Grad der Akthatigkeit eine weitere Aktuierung unmöglich macht. Zwischen den zwei verteilen sich Entitäten, die die Funktion einer Materie ausüben, im Blick auf das, was sie überschreitet und einer Form im Blick auf das, wo sie höher ist. (loc. cit., n. 8, p. 39 a. Es erscheint also, noch einmal, dass die Begriffe von Materie und Form aufhören, in Strenge auf die Begriffe von innerwesentlicher Potenz und Akt zu antworten, um nur den hierarchischen Bezug von „Entitäten“ zu bezeichnen, wobei jede ihre eigene Akthaftigkeit hat. b) Die Universalität der Materie. Im Artikel II der gleichen Quästio, wird der Begriffsumfang der Idee der Materie untersucht. Die Schlussfolgerung, Folge aus den in Artikel I aufgestellten Prinzipien, bestätigt das Vorhandensein eines „schwachen, unbestimmten und bestimmbaren Aktes“ ([ « actus debilis, indeterminatus et determinabilis » ] op. 101 B.III Antinomie des Einen und Vielen cit., qu. VII, art. 2, n. 9. vol. III, p. 39 a), das heißt einer zu Grunde liegenden fundamentalen Materie („materia primo prima“), im Inneren jedes geschaffenen Seins, sei es körperlich sei es geistig. Diese These wird aufgestellt gegen den heiligen Thomas und seine Schule. Trotz der Spitzfindigkeit der langen Beweisführung, die sich vom n0 14 bis n0 26 entfaltet, werden wir die wichtigsten Etappen davon deutlich machen. 103 Zurückgebracht auf seinen einfachsten Ausdruck, nimmt der Beweis die folgende Gestalt an: Alles endliche Sein zeigt, insofern es Substanz ist („in genere substantiae“), einen Anteil von passiver Potenz oder von Unbestimmtheit auf. Aber die Unbestimmtheit oder die Passivität „in genere substantiae“ ist genau das, was man die „Materie“ nennt. Wie auch immer man darüber denkt, der ganze Wert dieses Enthymems ( = Beherzigung, Erwägung) hängt vom genauen Sinn und von der Wahrheit des Vordersatzes ab. Hier ist in großen Zügen der Beweis dieses letzteren. ânjÔmhma 1. “Zuerst zeige ich, dass jedes geschaffene Seiende eine beigemischte Potenz enthält“ ([ « Primum ostendo quod omne ens creatum habeat potentiam admistam » ] loc. cit., n. 15, p. 40 b). Alles geschaffene Sein enthält einen Anteil von Potentialität. Dieser erste Satz ist für einen Thomisten ebenso gut zulässig wie für einen Scotisten. Es ist also doppelt wichtig, die Bedeutung zu definieren, die man damit verbunden findet. Zweifellos versteht der Autor unter dieser allgemeinen Potentialität nur die grundlegende Kontingenz des geschaffenen Seins im Blick auf das absolute Sein. In der Tat, dass das geschaffene Sein wohl « in suis intimis potentiam passivam „in seinem Innersten mit einer passiven adiunctam » , Potenz verbunden ist“ hat als evidenten Grund „dass es aus dem Nichts hervorgebracht ist“ und „dass es annihiliert werden kann“ (loc. cit. n. 15, p. 40 b) Weiter unten (n0 16, p. 41 a) findet man die Behauptung: dass « talis potentia est in omni ente » ; „eine solche Potenz in jedem Seienden ist“; dass diese Potenz nichts anderes ist als das Sein insofern es Ergebnis der Schöpfung ist: 102 K. 3 Über Scotus zu Ockham « potentia passiva nihil reale addit supra ipsum ens quod est terminus creationis » . Même déclaration au n0 17 (p. 41, b) : « In ratione entis participat illud quod sequitur omne ens in quantum creatum; sed potentia passiva consequitur substantiam entis creati; ergo inest omni enti. » Et le n˚19 (p. 41, b) est peut-être plus formel encore : « Omnia, citra primum ens, habent actum potentiae admistum, quia cadunt ab actu primo per admistionem potentiae. » . „die passive Potenz fügt keine Wirklichkeit über das Seiende selbst hinaus hinzu, insofern es Ergebnis der Schöpfung ist“. Die gleiche Erklärung steht bei n0 17 (p. 41, b): „Unter der Rücksicht des Seins nimmt es Teil an jenem, was aus jedem Seienden folgt, insofern es geschaffen ist; nun aber folgt die passive Potenz aus der Substanz des geschaffenen Seienden; also ist sie in jedem Seienden.“ Und die n0 19 (p. 41, b) ist vielleicht noch formaler: „alles außer dem ersten Seienden hat Aktualität vermischt mit Potentialität, weil es vom ersten Akt herkommt durch Beimischung von Potenz.“. Es handelt sich also wohl um diese „Kontingenz“, die das geschaffene Sein definiert, das „Sein durch Teilnahme = esse participatum“, wie ein „Nicht-Absolutes“, das total abhängig ist vom absoluten Sein33 33 Diese „Potenz“ die mit dem endlichen Sein als endlichem Sein verbunden ist, scheint identisch mit einem „Prinzip als reiner Möglichkeit“ [ « principium pure possibile » ] von Richard von Middleton. Siehe E. Hocedez, S. J., Richard de Middleton, Louvain, 1925 siehe vor allem p. 191 ff.. 2. Jedes geschaffene Sein ist also, – insofern es geschaffenes Sein ist und nicht nur insofern es ein so beschaffenes geschaffenes Sein ist – zusammengesetzt aus Potenz und Akt. Der Beweis geht dann über zu einem zweiten Schritt: diese grundlegende Zusammensetzung, sagt man, erscheint als sie selbst, in ihrer globalen Einheit, von Unbestimmtheit in Mitleidenschaft gezogen: « Haec compositio, quae sequitur om- „Diese Zusammensetzung, die sich für jene ens in quantum ens, non in quan- des Seiende ergibt insofern es seiend ist, tum tale est, est indeterminata » (loc. und nicht insofern es so beschaffen ist, ist unbestimmt“ (loc. cit. n. 20, p. 42 a). cit., n. 20, p. 42 a). 104 Warum? Geben wir genau acht auf den angeführten Grund, denn wir werden sich die Schweißnaht vollziehen sehen, oder, genauer, die (verwirrende) Verwechslung oder Vermischung der physischen Potentialität und der abstrakten Potentialität. 103 B.III Antinomie des Einen und Vielen « Proprietas consequens aliquid est eiusdem latitudinis cum eo quod consequitur. Sed compositio actus et potentiae consequitur omne ens, in quantum est ens creatum; tale autem est maximae indeterminationis. Ergo haec compositio. » (Ibid.) „Die Eigenschaft, aus der etwas folgt, ist von derselben Ausdehnung (Reichweite) wie das, was daraus folgt. Nun aber folgt die Zusammensetzung aus Akt und Potenz für jedes Seiende, insofern es geschaffenes Seiendes ist; Ein solches aber ist von maximaler Unbestimmtheit. Also auch diese Zsammensetzung.“ (Ebenda). Die Zusammensetzung aus Akt und Potenz, resultiert für jedes geschaffene Sein aus seiner ontologischen Abhängigkeit gegenüber dem ungeschaffenen Sein, und ist offensichtlich hier wie eine reale Zusammensetzung verstanden, die ein wirkliches Wesen bestimmt. Aber, argumentiert der Autor des Traktates, die nächste Grundlage dieser physischen Eigenschaft findet sich weder in der Spezies (Art), noch in der Individualität des geschaffenen Seins, sondern nur in seiner Qualität als Geschöpf: „in der Rücksicht des geschaffenen Seins als eines solchen“[ « in ratione entis creati, prout huiusmodi » ]; nun ist aber das geschaffene Sein, das als solches betrachtet wird, im Voraus zu jeder Gattungs- Spezies- und Individuums- Unterscheidung wohl das Unbestimmteste, was es auf der Welt gibt; die Eigenschaft die sich auf diesem Unbestimmten gründet, teilt mit ihm also die Unbestimmtheit. Auf welchem Terrain bewegt man sich jetzt, auf dem des abstrahierten Wesens oder auf dem des physischen Wesens? Die Unbestimmtheit der „ratio entis creati qua talis“ (= der Rücksicht des geschaffenen Seins als solchem) , und infolgedessen die Unbestimmtheit, die sich von dort für die „Zusammensetzung aus Akt und Potenz“ [ « compositio actus et potentiae » ,] ableiten lässt, beruht sie nicht ganz und gar auf dem abstrakten Charakter des „geschaffenen Seins als solchem?“ [ « ens creatum qua tale » ] Was den Rest betrifft, identifiziert der Text selbst ausdrücklich das Unbestimmte, nach dem hier gefragt wird, auf das, was „das erste insofern es erstes“ ist ... und das „Unbestimmteste ... in jedem Genus [ « primum in quantum primum » ... et « maxime indeterminatum ... in quolibet genere » ] “, (Ebenda)., das heißt auf das erste Universale, das die gemeinsame Grundlage der „Gattungen“ bildet. Aber, wird man dann sagen, dann führt die ganze angefangene Beweisführung zum Paralogismus? Präsentiert sie nicht heimlich und verstohlen eine „logische Potentialität (Möglichkeit)“ als eine „Unbestimmtheit oder physische Potenz“? Sicher bewerkstelligt unser Autor diese Ersetzung; aber dies ist von seiner Seite her weder Böswilligkeit noch Gedankenlosigkeit: tatsächlich teilt er jeder Ebene der Universalität einen unterschiedlichen objektiven Wert zu, eine „Akthaftigkeit“, eine Unterscheidungs-„Entität“, die sich auf die Definition der endlichen Seienden stützen. Dass er die logische Unbestimmtheit des „geschaffenen Seienden, das aus Akt und Potenz zusammengesetzt ist“ [ « ens creatum, 104 K. 3 Über Scotus zu Ockham 105 compositum ex potentia et actu » ] gezeigt hat, kommt für ihn darauf hinaus, dessen physische Unbestimmtheit zu zeigen. Seine Beweisführung entkommt also dem Paralogismus, aber, dies geht nur zugunsten einer kühnen und Folgen schweren Voraussetzung: dass die Art und Weise des Seins geformt wäre nach der dem menschlichen Denken eigentümlichen Art und Weise, das heißt nach der abstrakten Hierarchie der Begriffe des Verstandes. Wenn man eine perfekte Parallelität zwischen dem begrifflichen Denken und der Wirklichkeit voraussetzt, kann man also die weiter oben erwähnte Schlussfolgerung in einem gänzlich objektiven Sinn für bewiesen halten: „Also ist diese Zsammensetzung [des geschaffenen Seins als solchem] maximal unbestimmt“, ([ « Ergo haec compositio [entis creati, ut sic] est maxime indeterminata » ]loc. cit., n. 20, p. 42 a.) Jede geschaffene Wesenheit würde also unbestimmt sein, nicht nur, wie es auch die Thomisten zugeben, im Bezug auf die Existenz, sondern auch in sich selbst, insofern sie Wesenheit sind. 3. Das, was objektiv unbestimmt ist, ruft objektiv nach ergänzenden Bestimmungen, wenigstens zufolge dem natürlichen Verlauf der Dinge. Es muss also, in den geschaffenen Seienden, die „unbestimmte primitive Zusammensetzung“ im ganzen die Rolle eines potentiellen Elementes annehmen, zu denen sich dann noch weitere Bestimmungen hinzufügen. „In jener unbestimmten Zusammen« In ista compositione indeterminata, setzung mit einem bestimmten noch Hincum aliquo determinato superaddito, zugefügten geschieht in allen Seienden eifit in omnibus entibus compositio » ne Zusammensetzung“ (loc. cit., n. 21, p. (loc. cit., n. 21, p. 42 a). 42 a) Diese These ergibt sich aus den Vorhergehenden. Darüber hinaus erhält sie einen Beweis a posteriori, mit dem man es erreicht, dass er dessen Tragweite aufleuchten lässt. Wenn die innerliche Zusammensetzung „des geschaffenen Seienden als solchen“ [ « ens creatum, qua tale » ] gesetzt ist, kann man wie folgt argumentieren: 105 B.III Antinomie des Einen und Vielen « Omnia entia habent aliquam concordiam et unitatem substantiae secundum magis et minus, ut omnia entia in entitate, homo et equus in sensualitate ; habent etiam inter se distinctionem. Ergo oportet ut illius communis concordiae et unitatis sit aliquod fundamentum in ratione entis compositi, et illius distinctionis aliquod additamentum, secundum quod omnia entia differunt variis modis. Ergo omnia entia sunt composita ex aliquo indeterminato et composito in quo conveniunt, et sic est ratio entis creati, et ex aliquo determinato in quo vel per quod differunt » (loc. cit. n. 21, p. 42 b). 106 „Alle Seienden haben irgenwie ein Mehr oder Weniger an Harmonie und Einheit der Substanz, z.B. alle Seienden in der Entität, der Mensch und das Pferd in der Sinneserkenntnis; sie haben auch eine Unterschiedenheit voneinander. Also ziemt es sich dass es iregendein Fundament für diese gemeinsame Harmonie und Einheit gibt unter der Rücksicht des zusammengesetzten Seienden und für jene Unterschiedenheit irgendein Zusatz, je nachdem wie alle Seienden sich durch die verschiedenen Modi unterscheiden. Also sind alle Seienden zusammengesetzt aus einem Unbestimmten und Zusammengestzten in dem sie übereinstimmen (das sie gemeinsam haben) und das ist die Rücksicht des geschaffenen Seienden, und aus einem Bestimmten in dem oder durch das sie sich unterscheiden“ (loc. cit. n. 21, p. 42 b). 4. Wenn die wirkliche Zusammensetzung jeder geschaffenen Wesenheit aus einer potentiellen Entität, (der ursprünglichen „unbestimmten Zusammensetzung“ [ « compositio indeterminata » ]) und aus einer hinzugefügten Bestimmung einmal bewiesen ist, schließt die Beweisführung bequem und leicht ab; denn diese Zusammensetzung bestimmt die Substanz als solche: nun aber ist jede Zusammensetzung aus Akt und Potenz in „genere substantiae“ (=im Bereich der Substanz) definitionsgemäß eine Zusammensetzung aus Form und Materie. Man schließt also auf das Vorhandensein einer „Materie“ in jedem geschaffenen Sein (loc. cit., n. 22 bis 25, p. 42 b-43 b). Wir werden nicht weiter auf dieser langen Demonstration bestehen, die uns nur interessierte wegen der epistemologischen Voraussetzungen, die sie aufdeckt. Dass man uns dennoch erlaubt, daraus, in der Art eines Korollars, die Tafel der allgemeinen Einteilung des Seins nach De Rerum Principio zu entnehmen; indem wir sie vergleichen mit der thomistischen Einteilung des Seins, kann man über die Verschiedenheit der Ansichten urteilen, die sich manchmal unter beinahe identischen Ausdrücken verbirgt. Diesem unserem Traktat zufolge, produziert Gott, das absolute Sein, „erster Akt“, wie einen ersten Abglanz der Schöpfung, (mit Naturpriorität wenn nicht sogar mit zeitlicher Priorität) das „geschaffene Seiende als solches“ [ « ens creatum, prout huiusmodi » ] das heißt die Wirklichkeit, so wenig bestimmt wie 106 K. 3 Über Scotus zu Ockham möglich, die so dem genauen Begriff des geschaffenen Seins entspricht. Diese unbestimmte Wirklichkeit stellt schon als solche eine innere Zusammensetzung aus Akt und Potenz dar: sie ist eine „unbestimmte Zusammensetzung ( « compositum indeterminatum » )“. So wie sie ist, in ihrer inneren Unbestimmtheit, verlangt sie nach formalen Bestimmungen und erstellt mit diesen ein neues Zusammengesetztes, die Substanz oder das „so beschaffene Seiende“ [ « ens tale » ]: im neuen Zusammengesetzten übernimmt das ursprüngliche unbestimmte Zusammengesetzte die Funktion einer Materie, (materia primo prima). Entsprechend der mehr oder weniger engen Einheit dieser Materie und der substantiellen Formen (op. cit., qu. VII, art. II, n. 27, p. 44 a) wird die resultierende Substanz körperlich oder geistig genannt. In den körperlichen Substanzen muss die ursprüngliche Materie („primo prima“), bevor sie die substantiellen Formen erhält, „zusammengezogen“ [ « kontrahiert » ] werden durch Bestimmungen, die ihr den Charakter der Quantität aufdrücken. Für den heiliges Thomas ist im Gegensatz dazu, der unmittelbare Term der Schöpfung das individuelle Sein, das völlig bestimmt ist, da es ja existiert („substantia prima“ = erste Substanz); in diesem vollendeten Term, der allein ist, kann der Geist eine Dualität von Elementen erkennen, die streng sich ergänzend sind: den Akt des Seins, Emanation des ersten Seins und das Wesen, endliche Kapazität, diesen Akt zu empfangen, oder wenn man will, intensiver Grad des mitgeteilten Seins. Die existierende Substanz, so zusammengesetzt aus Sein und Wesen, wird körperlich oder geistig genannt je nachdem ihr Wesen selbst eine innerliche Unbestimmtheit manifestiert oder nicht, eine Zusammensetzung aus Akt und Potenz. Der Akt und die Potenz sind intra essentiell und heißen Form und Materie und der Form-Effekt der intraessentiellen Potenz oder der Materie ist die Quantität. Man sieht unverzüglich die tiefe Differenz dieser zwei Konzepte und die Gefahr, der man verfällt, wenn man sich zu sehr stützt auf die Ähnlichkeit gewisser Formeln34 34 Zum Beispiel, die Realdistinktion vom Sein und Wesen. De Rerum Principio behauptet, das ist wahr, die Realdistinktion von Akt und Potenz, von Sein und Wesen, im „unbestimmten Zusammengesetzten“ [ « compositum indeterminatum » ] nämlich dem „geschaffenen Seienden als solchem (ens creatum prout huiusmodi)“ . Der heilige Thomas seinerseits führte eine Realdistinktion von Akt und Potenz zwischen Sein und Wesen von jedem endlichen Sein ein; aber es handelte sich um das vollständige individuelle Wesen. In den zwei Konzepten wird man leicht neben einem gemeinsamen Element ebenso bemerkenswerte Divergenzen bemerken. Duns Scotus seinerseits verwirft im Opus oxoniense, geradeheraus jede Realdistinktion zwischen dem Wesen („außerhalb seiner Ursachen gesetzt“ [ « posita extra suas causas » ] oben dagegen als „ens creatum prout huiusmodi“) und der Existenz; aber diese Unterscheidung die er zurückweist, versteht er als eine Unterscheidung des Seins vom Sein: was nicht der Sinn ist, wie es der heilige Thomas verstand. 107 Was den Rest betrifft, so gilt: das Prinzip dieser Abweichung ist eindeutig und wir sind ihm schon mehr als ein Mal begegnet: es ergibt sich aus der Zuteilung 107 B.III Antinomie des Einen und Vielen einer eigenen objektiven „Entität“, die von De Rerum Principio jedem begrifflich unterschiedenen Element zugeteilt wird; für den heiligen Thomas dagegen, wie für Aristoteles, stellt allein der total bestimmte Begriff eine Seins-Einheit dar. Dank seines Prinzips kann der franziskanische Autor in einer unterschiedenen Entität das „prädikamentale Sein“ als solches aufrichten, das heißt das von Kategorien noch unbestimmte Objekt, und dort die logische Unbestimmtheit in eine physische Eigenschaft tranformieren: das „Materie“-, „Material-Ursache“Sein. Die n0s 28 bis 30 dieses gleichen Artikels II entwickeln eine ganz unerwartete Erklärung. Man hat gerade bewiesen, dass jedes endliche Sein, selbst das geistige, zusammengesetzt ist aus „Materie“. Nun aber wenn man jetzt die These etwas weiter liest, steht da: „Ich will nicht leugnen, dass Gott eine « Non intendo negare quod Deus facere potest aliquam substantiam spi- geistige Substanz ohne Materie machen ritualem sine materia, sed dico quod kann, aber ich sage, dass eine solche in talis nullo modo esset passibilis, nec keiner Weise leidensfähig wäre noch in secundum aliquem modum alterabi- irgendeiner Weise veränderlich“ (loc. cit. n. 28, p. 44 a). lis » (loc. cit. n. 28, p. 44 a). 108 Dass diese hypothetische Substanz „nicht leidensfähig [ « impassibilis » ]“ und „unveränderlich [ « inalterabilis » ]“ sein musste, begreift man, da die „Materie“ (deren sie entzogen wäre), genau die erforderliche Grundlage von passiven akzidentellen Veränderungen begründet. Aber etwas anderes ist die Möglichkeit selbst einer derartigen Substanz: die weiter oben angeführten Argumente, zugunsten einer „universellen Materie“ schienen sich apriori auf jedes wie auch immer beschaffene Sein zu beziehen. Welchen Platz könnte wohl diese total immaterielle Substanz in der Tafel der Einteilung des Seins einnehmen? Unserem Autor selbst zufolge, insofern sie kontingent ist, wäre sie zusammengesetzt aus Akt und Potenz und als solche, würde sie noch „unbestimmt“ bleiben „in genere substantiae = als Substanz “. Aber ist das nicht gerade diese banale Unbestimmtheit „in genere substantiae = als Substanz “ die die primitive Materie „Materie“ (primo prima) definierte, mit welcher alle geschaffenen Substanzen kommunizieren? Demnach kann die Hypothese von einer Sache, oder von einer „Substanz“ im weiteren Sinne, geschaffen außerhalb aller Materie, hier nur einen einzigen legitimen Sinn haben: dieses Ding würde existieren, (isoliert, als formartige „Entität“) ohne zu subsistieren (wie eine „komplette Substanz“)! Man zögert, einem scholastischen Philosophen einen so verwirrenden Schluss zuzuschreiben: trotzdem, solcher Art scheint wohl sein Denken zu sein, denn er vergleicht die Art und Weise des Seins seiner hypothetischen „immateriellen geistigen Substanz“ mit der Fortdauer der eucharistischen Akzidenzen nach der Konsekration. Im Grund wundert man sich zu Unrecht: dieser Schluss ist vollkommen logisch, 108 K. 3 Über Scotus zu Ockham vom Moment an, wo man die ultrarealistische Voraussetzung zulässt, die wir weiter oben aufgedeckt haben. In der Metaphysik von De Rerum Principio, wie später in der Metaphysik von Duns Scotus35 35 Duns Scotus gibt selbst die „Separabilität“ von der materiellen Form zu, indem er dabei völlig negiert, dass sie gerade dadurch intellektuell wird. Siehe Oxon. II, D. 12, q. 2, n. 10. vol. VI, p.698. 109 sind die Materie und die Form „Entitäten“, die jede auf ihre Rechnung ein esse primum = erstes Sein besitzt – dieses „esse primum“, das die gemeinsame Terminologie der nicht-augustinischen Philosophen der Substanz vorbehält; und wenn eine „Entität“ die Mitwirkung anderer „Entitäten“ verlangt, um mit ihnen eine Substanz zu bilden, besteht darin nicht eine für diese Entität reine und einfache Bedingung des Seins, sondern nur eine weitere Notwendigkeit, die von der Natur auferlegt ist: eine Bedingung dieser Art kann die göttliche Macht immer wunderbar aufwiegen. Die Substanz bildet dann – ermüden wir nicht, es ins Gedächtnis zurückzurufen – einen natürlichen Komplex von Entitäten: in der thomistischen Sprache sollte das qualifiziert werden mit „unum per accidens = akzidentelle Einheit“ und nicht mit „unum per se = Einheit in sich“. Das Ende des Artikels, den wir durchgehen, (Nummer 35 -37) stößt uns auf einen Einwand, der von den Thomisten entgegnet wird: wenn die Menschenseele selbst zusammengesetzt ist aus Materie und Form, wie kann sie Form des Körpers sein? Die Antwort ist die, die auch Duns Scotus geben wird: nichts hält eine gleichartige Form ab, mehrere Materien zu informieren, da auch eine gleichartige Materie eben so gut mehrere gestaffelte Formen haben kann, zum Beispiel beim Menschen, wo die Materie sich gleichzeitig ankleidet mit einer „Form der Körperlichkeit“ und einer „geistigen Form“. Anspielung auf die wohl bekannte These von der Überlagerung der Formen innerhalb des menschlichen Kompositums. Es ist kaum Bedarf, beobachten zu lassen, dass diese Pluralität von Formen oder unterschiedenen Materien keinen Sinn hat, es sei denn wenn jede von ihnen, für ihre Rechnung, betrachtet wird als im Besitz einer gewissen Aktualität des Seins. Unsere Sondierung berührt unweigerlich das gleiche ultrarealistische Prinzip, das sich auch als ein Prinzip des unheilbarem Zerfalls der Wirklichkeit findet. c) Die Einheit der Materie. Die Quaestio VIII bestätigt in allen Punkten die Analysen, die wir soeben gemacht haben; aber sie interessiert uns vor allem wegen des Problems, das sie hauptsächlich behandelt: 109 B.III Antinomie des Einen und Vielen « Utrum, supposito quod in omnibus substantiis, tam spiritualibus quam corporalibus, sit materia, an sit in omnibus eadem, secundum rationem univocam? » (loc. cit. Titulus, Vol. III, p. 46 a). „ob unter der Voraussetzung, dass in allen Substanzen, den geistigen sowohl wie den körperlichen Materie ist, ob sie in allen dieselbe ist im univoken Sinn?“ (loc. cit. Titulus, Vol. III, p. 46 a.) In den Artikeln 1 bis 3, die allgemeine Eigenschaften der Materie behandeln„ kommen einige Ideen, denen wir schon begegnet sind, etwas weiter entwickelt, wieder vor. Zum Beispiel, die „Entität der Materie“ [ « entitas materiae » ] wird unter verschiedenen Gesichtspunkten definiert (Artikel 1). „In der Materie können wir ein dreifaches Sein betrachten“ ([ « In materia, possumus considerare triplex esse » ] loc. cit. n. 3, p. 46 b): 10 „Sein schlechthin oder akthaft hat die Materie insofern sie eine Wirkung Gottes ist“ ([10 « Esse simpliciter seu actualiter habet materia in quantum est effectus Dei » ] Ebenda). Dieses Sein schlechthin ist univok in seiner Zuordnung zu allen geschaffenen Seienden; es bezieht sich auf Gott wie auf eine Wirkursache (causa efficiens). 0 2 „[Die Materie] hat auch Sein als dieses Sein oder Sein als so beschaffenes und dabei unterscheidet man zwei Weisen“ ([20 « Habet etiam [materia] esse hoc vel esse tale, et hoc sub duplici differentia » ] loc. cit. n. 5, p. 47 a): a) „insofern sie eine gewisse Fähigkeit zu allen Formen“ ist ([ a) « In quantum est omnium formarum quaedam capacitas » ] Ebenda).). Es handelt sich hier um das eigentümliche Wesen der Materie, nicht mehr betrachtet insofern sie Sein ist sondern insofern sie Materie ist. Dieses „So-beschaffen-Sein (esse tale)“ bezieht sich auf Gott als auf eine „Exemplar-Ursache“. b) „Ein drittes Sein hat die Materie aber durch das Sein, das sie durch die Form erhält“ ([ b) « Esse autem tertium habet materia per illud quod recipit per formam » ] loc. cit. p. 47 b): dieses dritte „Sein“ wird der Materie durch die Form mitgeteilt. Was ist die Beziehung dieser drei „Entitäten“ zueinander? 110 K. 3 Über Scotus zu Ockham « Uterque actus praedictus materiae est in potentia respectu istius tertii actus, quem habet a forma sicut a suo formali. Esse autem actuale non habet ab ipsa [forma] formaliter; nec enim materia formaliter per formam est actu, sed per formam est talis, puta lignea vel ferrea » (Ibid.). „Beide angeführten Akte der Materie sind in Potenz mit Rücksicht auf jenen dritten Akt, den sie von der Form hat wie von seiner Formal(ursache) (=sicut a suo formali). Das akthafte Sein aber hat sie nicht von dieser [Form] im formalen Sinn; denn die Materie ist auch nicht formal akthaft durch die Form, sondern durch die Form ist sie so beschaffen nämlich hölzern oder aus Eisen“ (Ebenda).). Immer die Zerstückelung des akthaften Seins in Entitäten zwischen der Materie und ihren Formen. Übertragen wir eine letzte, sehr ausdrucksvolle Formulierung dieser Konzeption, die so weit entfernt ist vom Thomismus: „Die Materie und ihre Potenz... sind « Materia et sua potentia... sunt om- ganz und gar dasselbe der Sache nach, nino idem re, differentia solum ratio- der Unterschied ist nur im Denken. Mane. Materia enim de ratione sua no- terie – wie sie verstanden wird = de raminat substantiam quamdam ac- tione sua – bezeichnet nämlich eine getu in composito existentem, cui- wisse Substanz, die akthaft in einem us actualitas est imperfecta et Kompositum esistiert, dessen Aktactualitati omnis formae oppo- haftigkeit unvollkommen und der sita .... Potentia vero ... etc. » (Op. Akthaftigkeit jeder Form entgegengesetzt ist.... Potenz aber... etc.“ (Op. et qu. cit., art. 2, n. 6, p. 47 b). und qu. cit., Art. 2, n. 6, p. 47 b). 110 Es ist also sehr klar, dass De Rerum Principio das Sein innerhalb der individuellen Wirklichkeiten multipliziert und zerstückelt und dass es so an der strengen Einheit der Substanz Abstriche macht. Aber das, was es von der individuellen Einheit opfert, ist das nicht eigentlich zum Vorteil einer kosmischen „intersubstantiellen = Substanzen verbindenden, Zwischen-Substantiellen“ Einheit, wenn man sich so ausdrücken darf? Vor wenigen Jahren noch, als die Echtheit von De Rerum Principio noch allgemein angenommen wurde, entfachte diese Frage einer realen Identität von Substanz zu Substanz entsprechend der gemeinsamen Materie oder sogar entsprechend der höheren Wesens-Grade, einen Streit zwischen einigen der besten Interpreten von Duns Scotus und beinahe der Gesamtheit der Philosophiegeschichtler. Auf der einen Seite schrieben die Historiker – selbst die scholastischen – allgemein Duns Scotus einen Realismus zu, der nicht Halt macht an der Staffelung von Entitäten („Formalitäten“), die innerhalb jedes Individuums weniger und weniger bestimmt sind, aber die so weit geht, die Einheit oder die wirkliche 111 B.III Antinomie des Einen und Vielen Identität von jeder dieser Ebenen des Seins zu proklamieren entsprechend ihres ganzen logischen Begriffsumfangs, das heißt, die wirkliche Einheit der Spezies (Art), von Individuum zu Individuum; die wirkliche Einheit der Gattung, von Spezies zu Spezies; schließlich die wirkliche Einheit der „Materia primo prima (= der allerersten Materie)“ oder des unbestimmten Seins, von Gattung zu Gattung. Auf der anderen Seite fehlte es nicht an Handbüchern der Scholastik, die dem scotistischen Realismus eine harmlosere Interpretation gaben, in dem Sinn wenigstens, dass sie es unterließen, die Konsequenzen genau anzusehen, die die „distinctio formalis a parte rei (=Formenunterscheidung von Seiten des Dings her)“ außerhalb des Individuums mit sich bringen kann. Vor ganz kurzem hat P. Minges36 36 Minges, O. F. M. Der angebliche exzessive Realismus des Duns Scotus. Beiträge Gesch. Philos. des Mittelalters. Bd. VII, 1, 1908, p. 1 -108. 111 durch entscheidende Texte gezeigt, dass Duns Scotus nichts von einem Realisten nach der Art von Guillaume von Champeaux hatte und sich wohl davor hütete, „die numerische Einheit“ der metaphysischen Grade unterhalb des Individuums zu lehren. Wir werden uns weiter unten mit dem Denken von Duns Scotus befassen. Davor möchten wir hinsichtlich der Einheit der materia primo prima (=der allerersten Materie) die sehr gewagt realistischen Erklärungen des Autors von De Rerum Principio beschreiben. Er fragt sich also „ob in allen Dingen nur die eine und selbe Materie ist“ ([ « utrum in omnibus rebus sit una materia » ] Op. und qu. cit.,Art. 4, n. 22, p. 51 b). Er sagt: „Ich mache mir die Meinung von Avicembron (Ibn Gebirol) im Buch von der Quelle des Lebens zu eigen“: „Ich kehre jedoch zurück zur Stellungnah« Ego autem ad positionem Avicemme Avicembrons; und dem ersten Teil broni redeo; et primam partem [hui[dieser Stellungnahme], nämlich dass in us positionis], scilicet quod in omallen subsistierenden Geschöpfen, den nibus creatis subsistentibus tam corkörperlichen und den geistigen, Materie poralibus quam spiritualibus sit maist, halte ich, wie ich in der vorausgehenteria teneo, sicut ostendi in praeceden Quaestio gezeigt habe ; bezüglich des denti quaestione; circa secundam parzweiten Teils der Stellungnahme, dass es tem positionis, scilicet quod sit unica nämlich nur eine einzige Materie gibt, materia, sic procedo » (loc. cit., n. fahre ich so fort“ (loc. cit., n. 24, p. 52 24, p. 52 a et b). a und b.) Er zeigt danach die Einheit der Materie durch Argumente, von denen – mit Recht – die einen nur auf die „Univozität“ des Begriffs der Materie schließen, aber die anderen auf eine tatsächliche physische Einheit. (Man vergesse nicht, dass es 112 K. 3 Über Scotus zu Ockham sich um die „Materia primo prima“ (= die allerste Materia prima) handelt, wie sie oben definiert wird). Zum Beispiel : « Quod talis materia, ut dicit ens minimum, prope nihil, receptivum formarum, sit unum solum in se – non dico aliquod unum in omnibus materialibus – ostendo. Certum est, cum illa materia minimum habeat de entitate, est medium inter ens et nihil. Impossibile autem est inter duo extrema dare duo media per aequalem distantiam; ergo si sint duae materiae, unum plus habebit de entitate quam aliud » (loc. cit. p. 52). Zum Beispiel: Ïch beweise,‘dass die so beschaffene Materie, insofern sie Seiendes im minimalsten Sinn ist, d.h. als beinahe nichts, als aufnahmefähig für Formen, nur eine in sich ist – ich sage nicht irgendein Eines in allen materiellen Dingen –. Es ist sicher dass, da jene Materie nur ein Minimum an Entität hat, sie ein Mittleres zwischen dem Seienden und dem Nichts ist. Es ist aber unmöglich, dass es zwischen zwei Extremen zwei Mittlere gibt mit dem gleichen Abstand; also wenn es zwei Materien gäbe, hätte die eine mehr Entität als die andere“ (loc. cit. p.52). Für jemand, der der Materie eine eigene „Akthaftigkeit“ zugeschrieben hätte, würde dieses Argument nicht nur eine begriffliche Univozität sondern eine physische Einheit der Materie beweisen. Im Weiteren, zum Beispiel bei n0 26, (p. 52 b, 53 a), würde es genügen, um dem Argument statt zu geben, eine völlige Ähnlichkeit zwischen den Materien anzuerkennen die den verschiedenen Gruppen von Seienden zugeteilt sind. Aber danach, ab der n0 27, argumentiert der Autor mit der physischen Einheit der Welt, die ihm zufolge, ein gemeinsames begründendes Prinzip fordert, die Materie. Schon von den ersten Paragraphen an ist es schwer, die Schlussfolgerung im Sinn einer rein idealen Einheit der Materie zu verstehen: je mehr man dann weiterfährt, desto mehr scheint uns diese Interpretation ein gewagtes Unterfangen zu werden. Der Autor beschäftigt sich in der Tat mit Erwägungen wie der folgenden: Die innere Ordnung der Dinge muss, da sie durch Gott geschaffen sind, sehr vollkommen sein. Aber welches ist die konstante Ordnung der Natur und der Kunst in ihren auserlesensten Produktionen? Sie besteht darin, vom Unvollkommenen zum Vollkommenen fortzuschreiten. vom Unbestimmten zum Bestimmten, von der materiellen Einheit zur Mannigfaltigkeit der Formen. Solcher Art ist die Entwicklung der Pflanze ausgehend von einem Samen. Dementsprechend 113 B.III Antinomie des Einen und Vielen « Videtur quod Deus, in constitutione mundi hunc ordinem servaverit, ut de uno indeterminato, quod est materia, ... omnem multitudinem rerum fecerit, et quod, saltem ordine naturae, procedat de imperfecto ad perfectum » (loc. cit., n. 28, p. 53 b). 112 „scheint es, dass Gott bei der Grundlegung der Welt diese Ordnung eingehalten hat, dass er aus einem Unbestimmten, wie es die Materie ist, ... die ganze Vielfalt der Dinge gemacht hat und dass er, wenigstens der Naturordnung nach, vom Unvollkommenen zum Vollkommenen fortschreitet“ (loc. cit., n. 28, p. 53 b). Der Vorgang, den man hier betrachtet, ist unstreitig ein dynamischer Vorgang, der von der physischen Einheit zur physischen Mannigfaltigkeit geht: der in den Worten „wenigstens der Naturordnung nach“ vorgebrachte Vorbehalt schiebt nur die Notwendigkeit einer „zeitlichen“ Priorität des „Unvollkommenen“ in der Entwicklung der Dinge auf die Seite und lässt den physischen Charakter dieses „Unvollkommenen“ nämlich der „Materia primo prima“ (= die allererste Materie), unberührt . Diese Bemerkung legt den Sinn und die Tragweite von zwei großen – klassisch gewordenen – Vergleichen fest, auf die man an diesem Ort stößt: der Vergleich mit dem Körper und der berühmte Vergleich mit dem Baum: « Ex his apparet, quod, quemadmodum membra unius corporis et articuli procedunt ab uno indeterminato per virtutem naturae dirigentis, et propter illud unum, a quo procedunt, uniuntur et ligantur, ita, suo modo, in toto mundo, ex materia una homogenea, communis omnis multitudo rerum procedit, cum non possit esse nisi unum primum indeterminatum cuius natura salvatur in omnibus posterioribus, sicut substantia et quantitas seminis in omnibus membris, quamvis contracta per actus superadditos » (loc. cit., n. 29, p. 53 b). Et un peu plus bas : 114 "Daraus wird offensichtlich, dass auf welche Weise auch immer die Glieder und Gelenks eines einzelnen Körpers hervorgehen aus einem unbestimmten durch die Kraft einer leitenden Natur und wegen dieses einen, aus dem sie hervorgehen, einswerden und verbunden werden, so geht auf seine Weise in der ganzen Welt aus einer einzigen homogenen gemeinsamen Materie die gesamte Vielheit der Dinge hervor, da es nur ein einziges erstes Unbestimmtes geben kann, dessen Natur erhalten bleibt in allen davon Abkünftigen, wie die Substanz und Menge des Samens in allen Gliedern, auch wenn sie durch hinzugefügte Akte verkleinert und zusammengezogen sind “ (loc. cit., n. 29, p. 53 b). Und ein bisschen weiter unten : K. 3 Über Scotus zu Ockham « Ex his apparet, quod mundus est arbor quaedam pulcherrima, cuius radix et seminarium est materia prima; folia fluentia sunt accidentia; frondes et rami sunt creata corruptibilia; flos, rationalis anima; fructus naturae consimilis et perfectionis natura angelica. Unicus autem, hoc seminarium dirigens et formans a principio, est manus Dei, aut immédiate, ... aut mediantibus agentibus creatis .... De isto igitur totius universalis naturae fundamento, materia scilicet primo prima, verum est quod in fundamento naturae nihil est distinctum. Dividitur radix ista immédiate in duos ramos, in corporalem et spiritualem ... etc. (Ibid. n. 30, pp. 53 b, 54 a). „Daraus wird klar, dass die Welt ein gewisser sehr schöner Baum ist, dessen Wurzel und Keim die Materia prima ist; die schlaff herabfallenden Blätter sind die Akzidenzen, das Laubwerk und die Zweige sind die geschaffenen Vergänglichen, die Blüte die vernünftige Seele, die Frucht die der Natur und Vollkommenheit nach ähnliche engelhafte Natur. Der Einzige aber, der diese Keime leitet und bildet von Anfang an, ist die Hand Gottes, entweder unmittelbar, ... oder vermittelt durch geschaffene Ausführende ... Von diesem also als dem Fundament der gesamten Natur, nämlich der Materia primo prima (= der allerersten Materie) ist es wahr, dass im Fundament der Natur nichts unterschiedenes ist. Diese Wurzel teilt sich unmittelbar in zwei Zweige, einen körperlichen und einen geistigen ... usw. (Ebenda. n. 30, pp. 53 b, 54 a) Da die Individualität oder die „numerische Einheit“ die letzte Form ist, die letztmögliche Perfektion, die für die geschaffenen Seienden erforderlich ist, ist es evident, dass die physische Einheit, die hier der Materie zugeteilt wird, nicht die „numerische Einheit“ sein kann. Dies ist, im Übrigen, ausdrücklich im Text gesagt: „Auch darf man nicht sagen, dass alles « Nec oportet dicere quod omnia sint idem numero, sicut membra unius dasselbe ist der Zahl nach wie die Glieder corporis; quia illa materia non ha- eines einzigen Körpers; weil jene Materie bet unitatem numeralem, sal- nicht eine zahlenmäßige Einheit hat tem actu signatam, sicut semen est wenigstens nicht akthaft zugeordnet, unum numero. » (loc, cit. n. 29, p. wie der Samen der Zahl nach einer ist. “ (loc cit. n. 29, p. 53 b.) 53 b). 113 Aber folgert er daraus, dass diese universelle „Materie“ nur eine ideale Einheit hat? Haben die Historiker, auf die wir weiter oben hingewiesen haben, Unrecht wenn sie sehen in den Texten von De Rerum Principio den Ausdruck einer physischen Einheit? Nicht zwangsläufig, denn ein und derselbe Wortschatz kann dazu dienen in zwei verschiedenen Ausdrucksweisen [Sprachen] zu sprechen. Für die scotistischen Kommentatoren definiert sich die Individualität – oder in den vervielfachbaren Objekten die numerische Einheit – als letzte formartige 115 B.III Antinomie des Einen und Vielen 114 Bestimmung und deshalb war es begrifflich nicht fassbar (inconcevable) dass die Materie als solche, trotz ihrer entitativen Akthaftigkeit sich dort behaupten konnte. Aber nach ihrem Gesichtspunkt ist der Ausschluss der numerischen Einheit oder der Individualität noch gar nicht der Ausschluss jeder akthaften und physischen Einheit. Im Gegensatz dazu waren die Historiker und die Kritiker, die von der nicht scotistischen Voraussetzung ausgehen und dabei klar die akthafte Entität und die physische Einheit der Materie finden, geneigt, diese Aussage in die gewöhnliche Sprache (Ausdrucksweise) einer Metaphysik zu übertragen, die die Individualität mit der aktuellen Existenz unauflöslich verbindet, das heißt mit jeder Teilhabe mit dem „Akte des Seins“, so schwach sie auch sei. Wenn die Materia primo prima mit eigener Entität versehen ist im Voraus zu ihrer generischen, spezifischen oder individuellen Verschiedenheit (Diversifizierung) verwirklicht sie schon durch sich allein alle Bedingungen der numerischen Einheit oder der Individualität. Man sieht es, die Frage, die im Innersten der Divergenzen und der Missverständnisse ruht, erweist sich noch ein Mal als das folgende: Welches ist das nächste Subjekt der Zuteilung des Seins? Sind das die differentiellen und strukturellen Elemente die als unterschiedene Elemente durch den Begriff vor Augen gestellt werden? Ist es die objektive und natürliche Einheit dieser Elemente? Wenn die potentiellen und aktuellen Elemente, deren Vereinigung den objektiven Begriff begründet, isoliert eine Gültigkeit als intelligibles Objekt besitzen, und also genauso viele wirkliche Entitäten repräsentieren, kann die „primitive Materie“ nur wirklich und physisch einzig sein zufolge ihrer ihr eigenen „Aktualität“. Ob man diese physische Einheit eine numerische Einheit nennt oder nicht, das wird abhängen vor allem von der Weise, wie man das Individuum in seinem Bezug zum Sein definiert hat. Um zu vermeiden, dass man uns vorwirft, unsere Darlegung zu scharfkantig zu bearbeiten, werden wir noch den Artikel VI dieser gleichen Quaestio VIII erwähnen. Die schon skizzierte Lehre bekommt dort in einer hypothetischen Anwendung ein packenderes Relief. Der Autor erinnert dort daran, und verteidigt dort gegen eine Serie von Einwänden, die Meinung von „denen, die die Subsistenz der Materie ohne jede Form“ für möglich halten, . Warum wäre diese getrennte Subsistenz unmöglich? Von den drei Arten von „Sein“, die man in der Materie unterscheidet, (siehe oben Seite 109), sind die zwei ersten von der Form unabhängig: in der Tat das „Sein [esse]“ das der Materie ihr Wesen als „Materie“ gibt, bezieht sich unmittelbar auf Gott als seiner Exemplar-Ursache; das „aktuelle Sein [esse actuale]“ das macht, dass die Materie ist, rührt von Gott als seiner einzigen effizienten Ursache her. Nur das „Sein“ des substantiellen Zusammengestzten affiziert die Materie vermittels der Form. Die zwei ersten Arten von „Sein“ genügen, um die getrennte Existenz der Materie zu erlauben (loc. cit., n. 43, p. 57 a und 116 K. 3 Über Scotus zu Ockham b). Im übrigen besteht die Rolle der Form gegenüber dem aktuellen Sein der Materie keineswegs darin, das Sein zu verleihen, sondern nur es „entsprechend den natürlichen und normalen“ Bedingungen zu bewahren: “die Form ist nur erhaltend dem « forma nihil facit nisi conservative, Lauf der Natur entsprechend “ secundum cursum naturae » (Ibid.). (Ebenda). Aber, diese Rolle der „Erhaltung“, die der Form obliegt, kann immer von Gott übernommen werden: „Zu jedem aktuellen Sein der Materie, in« Ad omne esse actuale materiae, ut sofern sie das Ergebnis der Schöpfung bedicit terminum creationis, se habet zeichnet, gibt es eine Form in der Rückforma in ratione conservantis. Sed sicht auf den Erhaltenden. Aber Gott Deus potest per se conservare quidkann von sich aus erhalten was auch imquid conservat per creaturam » (loc. mer er erhält durch Schöpfung“ , loc. cit., cit., n. 44, p. 57 b). n. 44, p. 57 b. Wenn die Materie von der Form isoliert fortbestände, würde dies also wohl kraft der gleichen aktuellen Entität sein, die sie präsentiert unter der Form: die wunderbare Stütze, die sie von Gott empfangen würde, würde in einer äußerlichen Hilfe, nicht in einer neuen Zuteilung von Sein bestehen37 . 37 Siehe bei Duns Scotus, Oxon. II, D. 12, q. 2, und die parallelen Passagen von den Reportata Paris. Die gleiche Lehre ist dort so klar veröffentlicht, wie möglich. Zum Beispiel Oxon. L. C. n9 3: « Non est contradictio materiam esse sine „Es ist kein Widerspruch, dass es Materie ohne forma quacumque substantiali et acciden- irgendeine substantielle oder akzidentelle Form tali » ; denn « materia est ens absolutum gibt“; denn „Materie ist absolutes und unterdistinctum et prius forma quacumque ..., schiedenes Seiendes und eher als irgendwelche igitur potest esse sine alio absoluto, sive si- Form..., also kann sie sein ohne ein anderes ne forma substantiali vel accidentali abso- Absolutes nämlich ohne substantielle oder akziluta » . (Scoti Opera, éd. cit., Vol. VI, p. dentelle absolute Form“.(Scoti Opera, éd. cit., Vol. VI, p. 682) . 682).. Man wird jedenfalls bemerken, dass es sich bei Duns Scotus direkt nur um die sinnenhafte Materie handelt, nicht um die universelle materia primo prima . 117 B.III Antinomie des Einen und Vielen §3. – Die Entität der metaphysischen Grade nach Duns Scotus: die „wirkliche und doch weniger als numerische Einheit“. 115 Die Frage nach der eigenen Entität der „materia primo prima",’ wie sie in De Rerum Principio entwickelt wird, ist eng verbunden mit dem logischen Problem der Allgemeinbegriffe (Univeralien-Problem). Schon die folgende einfache Feststellung bringt zum Nachdenken. Die „materia primo prima“ wurde definiert als vom gleichen wesentlichen Unbestimmtheitsgrad wie das geschaffene Seiende als solches. Aber wenn es ein Universelles gibt, dann ist dies wohl dieses vollständig unbestimmte Sein, das sich in den Gattungen verteilt wie das erste, das Unterste der metaphysischen Attribute. Auf der anderen Seite, versicherte man uns, dass die „materia primo prima“ die ihr entspricht, eine wirkliche „Entität“ ist, gegenwärtig in den Individuen entsprechend der ihr eigenen Aktualität, und sogar fähig ist, mittels der göttlichen Mitwirkung, isoliert fortzubestehen, trotz seiner extremen Unbestimmtheit. Wenn die „materia primo prima“ eine wirkliche Entität ist, dann ist es das geschaffene Seiende als solches (= ens creatum qua tale) im gleichen Maße. Und warum geht er anders vor bei den weniger abstrakten, weniger allgemeinen metaphysischen Attributen – den Gattungen und Arten? So lange De rerum principio von Duns Scotus zu sein schien, konnte man sich rechtmäßig auf die logischen Eigenschaften der „materia primo prima“ berufen, um den Sinn und die Tragweite der berühmten „Form-Unterscheidung der Wesens-Grade von Seiten der Sache [distinctio formalis a parte rei]“, dem scotistischen Schlüssel für das Problem des Universale in re, festzulegen. Unglücklicherweise ging uns dieses leichte Mittel, einen der delikatesten und ungreifbarsten Punkte zu klären, verloren: der scharfsinnige Magister ist nicht nur nicht der Autor noch der Inspirator von De Rerum Principio, sondern er ist wahrscheinlich geteilter Meinung bei einigen dieser Lehren über die Natur der Materie. Seine authentischen Werke behandeln ausdrücklich die „Materie“, die eingeht in die Zusammensetzung der Objekte der Sinne: wie seine franziskanischen Vorgänger sagt er von dieser Materie die Entität, die Akthaftigkeit, die Intelligibilität und selbst die Abtrennbarkeit aus; aber wir glauben nicht, dass er den Materiebegriff ausdehnt über die Grenzen des körperlichen Seins hinaus. Nirgends in der Tat bekennt er öffentlich die außerhalb der thomistischen Schule so allgemeine These vom Hylemorphismus der geistigen Geschöpfe (Engelwesen und menschliche Seele)38 ; 38 Die Existenz einer geistigen Materie, die in die Zusammensetzung der intellectiven Seele eingeht, ist sicherlich in den Quaestiones de anima gelehrt (q.15). Aber P. Longpré bestreitet die Echtheit dieser Kommentare. – Die andere traditionell angerufene Stelle, (Quodlib., q. 15, n0 12, Vol. XIII, p.230), wo von der intellectiven Seele gesagt wird, dass sie „Materie, 118 K. 3 Über Scotus zu Ockham wenigstens körperliche, nicht einschließe, etc.“ [ « non includens materiam, saltem corporalem, etc. » ,], zeigt nur, dass Duns Scotus an dieser Stelle vermeidet, sich über eine Meinung zu äußern, der von anderer Seite stark widersprochen wird. sein Schweigen in einem Text-Zusammenhängen, wo eine Erklärung39 39 Siehe z.B., die in der vorhergehenden Fußnote zitierte Stelle, oder auch Oxon., II, d. 14, q. 1. Vol. VI, p. 724,4. 116 natürlich gewesen wäre, könnte als Andeutung aufgefasst werden, dass er, in diesem Punkt, von der bonaventurischen Tradition abrückt. Aber die Theorie der geistigen Materie verlassen das wäre so viel wie die Einheit einer Materia primo prima opfern, des universellen Prinzips innerhalb des Wesens für die Unbestimmtheit der Geschöpfe. Es bleibt dennoch, dass die einheitliche Konzeption der „materia primo prima“, wie sie in De Rerum Principio entwickelt wurde, auf denselben epistemologischen Prinzipien beruht, auf denen in gleicher Weise die von Duns Scotus anerkannte Lehre von der Entität oder der Akthaftigkeit der „körperlichen“ Materie beruht. Diese Prinzipien, – erinnern wir uns daran, – lassen sich schließlich zurückführen auf das platonische Axiom der „formartigen“ Identität zwischen unseren im Objekt unterschiedenen Begriffen und der Realität40 . 40 Dieses Prinzip inspiriert den neuplatonischen Aristotelismus von Avicenna, der so sehr in Gunst war in der franziskanischen Schule und insbesondere bei Duns Scotus. Warum hält sich der scharfsinnige Doktor zurück, das gleiche Axiom auf die gleichen Daten anwendend, seine Schlussfolgerungen genau so weit wie seine Vorgänger voranzutreiben? Vielleicht wegen der engen Verbundenheit zwischen der Theorie der „materia primo prima“ und der von der Realdistinktion (wirklichen Unterscheidung) von Wesen und Sein, einer Unterscheidung, die er klar zurückweist in seinen Kommentaren zu den Sentenzen41 . 41 Siehe Oxon., IV, d. 13, q. 1, nos 34 und 38. Vol. IX; II, d. 16, q. 1, nos 4 und 10. Vol. VI, pp. 761, 763. Wie dem auch sei, er wird beim logischen Problem der Universalien nicht zögern, vom ultrarealistischen Axiom einen Gebrauch zu machen, der kaum verschieden ist von dem, den De Rerum Principio in der Frage nach der Einheit der Materie davon gemacht hatte. Dies ist der Moment, die scotistischen Thesen von der Objektivität der Allgemeinbegriffe (Universalien) näher zu prüfen. Die Texte von Duns Scotus, die sich auf die Allgemeinbegriffe beziehen, machen, nebeneinander gestellt, die folgenden Aussagen geltend, die uns als schwer miteinander vereinbar erscheinen können: 1. Das Allgemeine, insofern es allgemein ist, ist ein Produkt des Geistes und ist nur im Geist „akthaft“. 119 B.III Antinomie des Einen und Vielen 2. Die „spezifische Natur“ – und man könnte dasselbe von der Gattung sagen – ist von sich aus nicht numerisch eine, von Individuum zu Individuum. 3. Die „spezifische Natur“ in den geschaffenen Dingen multipliziert sich mit der gleichem Zahl wie die Individuen. 4. Dem Allgemeinen entspricht in den Objekten eine „wirkliche Einheit“ („unitas realis“) ein Zwischenglied zwischen der „Einheit der Vernunft“ und der „numerischen Einheit“. Diese „unitas realis, minor numerali“ (wirkliche Einheit aber weniger als numerische Einheit) ist formal kein „Universale“, aber dennoch etwas, was den Objekten „gemeinsam“ ist unabhängig selbst von jedem abstrakten Gedanken, der sie gleichzeitig ins Auge fasst (vergleiche unter anderem die Stellen, Oxon. II, d. 3, q. 1. vol. VI, pp. 334 sqq.). Also auf der einen Seite würde es scheinen, dass der Allgemeinbegriff eine gewisse physische Einheit in den konkreten Objekten bewahrte, die ihn realisieren. Auf der anderen Seite würde es scheinen, dass die Einheit des Allgemeinbegriffs rein ideal wäre und dass das physische Wesen, in all seinen Graden, sich mit den Individuen vermehrte. Kann man diese zwei entgegengesetzten Ausdrücke ausgleichen, ohne den einen 117 oder den anderen abzuschwächen? Wir machen darauf aufmerksam, dass den scotistischen Texten, die von der körperlichen „Materie“ handeln, eine identische Schwierigkeit anhaftet. Die Materie besitzt eine ihr eigene Akthaftigkeit und im Maße dieser Akthaftigkeit eine ihr eigentümliche Einheit, die das Individuum und die Spezies überschreitet. Aber was lesen wir an anderen Stellen? Dies, zum Beispiel: „Die Materie hat in allen Allegemeinen « Materia in omnibus generabilibus et und Vergänglichen eine einzige Bedeucorruptibilibus est unius rationis, non tung (est unius rationis), dennoch folgt tamen sequitur quod omnis forma, nicht, dass jede Form, die einer Materie quae ponitur in una materia, ponatur gegeben wird, auch einer anderen gegein alia; ... quia cuiuslibet individui ben wird .... weil jedem Individuum est alia et alia materia, licet sint jeweils eine andere Materie angehört, eiusdem rationis, quia alia tua, alia wenn diese auch von derselben Bedeumea materia est. » (Report. Paris., tung (ratio) sind, weil eine andere deine IV, d. 11, q. 3, n˚ 15. Vol. XI, p. und eine andere meine Materie ist.“ ( Reportata Paris., IV, d. 11, q. 3, n˚15. Vol. 670 b). XI, p. 670 b). Wenn die Materie im Voraus zu jeder Differenzierung eine eigene Akthaftigkeit besitzt, folgt dann doch wohl notwendigerweise, dass sie entsprechend dieser Akthaftigkeit physisch eine wäre: wie kann man unter diesen Bedingungen von einer vervielfachten Materie sprechen, insofern sie Materie ist? Ohne uns in Diskussionen über Texte einzulassen, die uns zu weit ablenken 120 K. 3 Über Scotus zu Ockham würden, werden wir in wenigen Worten sagen, was, nach unserer Meinung, die einzige widerspruchsfreie Interpretation des Denkens des großen franziskanischen Doktors ist. Das, was dem Allgemeinen seine letzte Form gibt, das, was daraus ein „universale in actu“ macht, das ist offensichtlich, Duns Scotus zufolge, eine abstraktive intellektuelle Operation (Vollzug), die eine reflexe Operation (Vollzug) ist. Auch definiert er das „Universale“, durch Gegenüberstellung zum „Gemeinsamen [=Commune]“, als ein „Aussagbares“ (Praedicabile), ungefähr in der Weise, wie die Handbücher der scholastischen Logik das „Universale in praedicando = den Allgmeinbegriff im Vollzug der Aussage“ definieren: „Das Gemeinsame ist nicht das Univer« Commune non est universale in sale in actu, weil ihm jenes Unterscheiactu, quia deficit ei illa differentia, dungsmerkmal fehlt, das macht, dass secundum quam completive uni- das Universale in vervollständigenversale est universale, secundum der Weise das Universale ist, das alquam scilicet ipsum idem aliqua iden- so macht, dass es selbst ebenso mit igendtitate est praedicabile de quolibet in- einer Identität aussagbar ist von jedem dividuo, ita quod quodlibet sit ip- Individuum, sodass jedes dieses selbst sum. » (Oxon. II, d. 3, q. 1, n. 9. ist.“ (Oxon. II, d. 3, q. 1, n. 9. vol. Vol. VI, p. 36142 a ). VI, p. 361)42a . a42 Voici le commencement de ce texte : « Universale in actu est illud quod habet unitatem indifferentem, secundum quam ipsum idem est in potentia proxima ut dicatur de quolibet supposito .... Est [autem] in re commune, quod non est de se hoc, et per consequens ei de se non répugnât esse non hoc; sed tale commune non est universale in actu, etc. ...» 118 a42 Hier ist der Beginn dieses Textes: „Das Universale in actu ist das, was eine indifferente Einheit hat, nach der es selbst dasselbe ist in potentia proxima (unmittelbare Möglichkeit oder Potenz) dass man es aussagt von jedem suppositum (= Daruntergesetzten griechisch Hypostase, Darunterstehendem).... Es ist [aber] Gemeinsames im Ding, was von sich aus nicht dieses ist und folglich widerspricht es ihm von sich aus nicht, nicht dieses zu sein; aber ein so beschaffenes Gemeinsames ist nicht ein Universale in actu, etc...." Unter diesen Bedingungen ist es ganz offensichtlich, dass das eigentliche so genannte Universale als solches in den Dingen nicht subsistieren könnte (= nicht wissen würde, wie man in den Dingen subsistiert): das strenge Zusammenfallen der Einheit mit der Vielfalt auf der gleichen Ebene des Seins ist nicht möglich, außer im objektiven Gedanken, mittels Abstraktion. Diese Bemerkung präzisiert den Sinn einer gewissen Anzahl von Texten, die antirealistisch scheinen und denen man in den Werken von Duns Scotus begegnen kann. Die ganze Frage von der aktuellen Wirklichkeit der Allgemeinbegriffe findet sich also eingeschränkt darauf, die Seins-Art der „Gemeinsamkeit [ « communitas » ]“ oder der „unitas realis, minor numerali = der wirklichen aber weniger als numerischen Einheit“ zu definieren, die, ohne eigentlich allgemein zu sein, in den realen Dingen der Universalität entspricht. Diese Frage hängt innerlichst zusammen mit dem schwierigen Problem der Individualität oder der „Singularität“. – Duns Scotus selbst weist hin auf diesen engen Zusammenhang 121 B.III Antinomie des Einen und Vielen (Oxon. II, d. 3, q. 1, n. 9. Vol. VI, p.361) – Für die Philosophen, die sich aktuelles Sein, das nicht individuell ist, nicht vorstellen können, weil sie die Aktualität dem Sein nach und die Unbestimmtheit dem physischen Wesen nach als unverträglich beurteilen, ist jedes konstitutive Element einer subsistierenden Wirklichkeit gleichzeitig aktualisiert und individualisiert mit dem Ganzen, von dem es Teil ist: für sie besteht das „wirkliche Fundament“ der Allgemeinbegriffe die „physische Gemeinsamkeit“, die den allgemeinen Begriffen entsprechend sind, nur in der objektiven Ähnlichkeit von total von einander verschiedenen Wirklichkeiten; außerdem haben wir weiter oben bemerkt (S.89), dass diese objektive Ähnlichkeit, auch wenn sie für die Art vollständig ist, für die Gattungen unvollkommen wird. Der heilige Thomas übrigens treibt das Problem weiter voran und sucht, die innere Bedingung zu definieren, die bei der Individualisierung des Wesens die allererste Verleihung der Existenz möglich macht: in den reinen Formen [=rein geistigen Wesen] ist dies die Vollkommenheit gerade der Form; in den körperlichen mit der Materie verknüpften und numerisch multiplizierbaren Formen ist dies ihre Beziehung zur konkreten Quantität; aber in jeder Hypothese ergreift dieses Individuationsprinzip, die nächste Bedingung der wirklichen Aktuierung, direkt das ganze Wesen, in allen seinen Graden. Ein gleiches Verständnis ist für den Ultrarealismus vom Prinzip her ausgeschlossen. Bei Duns Scotus scheint das Problem schwieriger zu lösen zu sein. Vom Moment an, wo man eine objektive Gültigkeit einer Entität jeder der aufeinander folgenden „Kontraktionen, Schrumpfungen Zusammenziehungen“ zuteilt, die die universelle Einheit erleidet, um schließlich individuell zu werden – « cuilibet universali correspondet in „jedem Universellen entspricht im Ding ein gewisser Grad von Entität“ re aliquis gradus entitatis » , wird später der Autor der Theoremata sagen, darin ein Echo von Duns Scotus, (Theorema IV. Vol. III, p.269) – man muss gut die Individualität als eine letzte Form-Bestimmung berücksichtigen, die zu anderen voraufgehenden Bestimmungen hinzukommt und das „esse individuale (Individuell-Sein)“ als dem „esse commune (Gemeinsam-Sein)“ der niedrigeren Stufen noch darüber hinaus hinzugefügtes. (siehe Oxon. II, d. 3, q. 2 ff., oder spezieller q. 6, n. 9 ff. Vol. 119 VI, p.407). Aber unter diesen Umständen besitzen also alle diese wirklichen Grade unterhalb der Individualität im Voraus zu ihrer individuellen Einheit, eine eigene Einheit, die ihrer eigenen Entität entspricht. „Jedem realen Grad der Entität ent« Cuicumque gradui reali entitatis spricht eine reale Einheit“ (Quaest. in correspondet realis unitas » (Quaest. Metaph., lib. 7, qu. 13, n. 19. Vol. IV, in Metaph., lib. 7, qu. 13, n. 19. Vol. p. 706 a)44 IV, p. 706 a) 122 K. 3 Über Scotus zu Ockham 44 siehe zum Beispiel Oxon. II, d. 3, q. 6, n. 9 bis 14. Vol. VI, p. 406 ff. und Report. Paris. II, d. 12, q. 5, n. 11 bis 14. Vol. XI, pp. 328-329. NB. Man hat sich dieser Texte bedient, um zu zeigen, dass Duns Scotus zufolge, die „unitas minor“ an sich gar nicht numerisch eine und dieselbe von Individuum zu Individuum ist. Dies ist wahr und dies ist auch eine indirekte Konsequenz von der Demonstration des franziskanischen Doktors; aber das, was er hauptsächlich vor Augen hatte, scheint uns gewesen zu sein, zu beweisen, dass eine „unitas minor numeralis“ fortdauert unter der darüber hinaus hinzugefügten individuellen Bestimmung. Diese Texte sollten die Verdächtigung des „Platonismus“ (in einem vielleicht ungenauen Sinn, wie man ihn allgemein verstand) ganz von Duns Scotus fernhalten. Sie haben ihn aber mehr vom Thomismus entfernt als sie ihn ihm nicht annäherten.. So geht es auch mit der Einheit der Gattung, in dem Maße wie sie entitativ verschieden ist von der Spezies: « Dicunt quidam quod [ad distinctionem generis et differentiae] sufficit differentia intentionis quae nullam differentiam nec compositionem actu ponit in re, sed tantum potentialem, sic quod ipsa [res] nata est facere diversos conceptus in intellectu de se .... Sed quod nec differentia ista intentionis sufficit, arguitur sic : quia concipiendo genus, aut concipitur aliquid rei in specie, aut nihil; similiter de differentia. Si nihil, isti conceptus videntur fictitii, non reales, nec dicentur in quid de specie; si aliquid, aut aliquid idem, et tune erit idem conceptus; aut aliquid aliud, et tunc erit in re aliqua differentia prior differentia conceptuum. » „Gewisse Leute sagen, dass [zur Unterscheidung der Gattung und der Differenz] eine intentionale Differenz genügt (die Differenz der Intention), die keine Differenz noch Zusammensetzung in der Sache actu (wirklich) setzt, sondern nur eine potentielle, so dass sie [die Sache] von Natur aus dazu bestimmt ist, verschiedene Begriffe von sich im Verstand hervorzubringen .... Aber dass auch diese intentionale Differenz nicht genügt, wird so bewiesen: weil wenn man eine Gattung konzipiert, konzipiert man entweder etwas am Ding, das zu einer Spezies gehört oder nichts; ähnliches gilt von der Differenz. Wenn nichts dann scheinen diese Begriffe fiktiv, nicht real, noch wird von der Spezies von ihnen das Wozu gesagt; Wenn etwas, dann entweder etwas gleiches und dann wird es der gleiche Begriff sein, oder etwas anderes und dann wird in der Sache eine Differenz sein die früher ist als die Differenz der Begriffe.“ Nachdem er die vorausgehende Beweisführung gegen einen Einwand untermauert hat, fährt Duns Scotus weiter: 123 B.III Antinomie des Einen und Vielen « Quicquid sit de istis, videtur quod prima ratio stet : nam species formando duos conceptus generis et differentiae, non tantum causat duos actus in intellectu distinctos numero, sed causat duas notitias actuales vel habituales, habentes objecta propria distincta; et hoc ita distincta, sicut si illa duo objecta essent duae res extra „Was auch immer damit ist, so scheint es, dass der erste Grund feststeht: denn wenn und dadurch dass die Spezies zwei Begriffe der Gattung und der Differenz bildet, verursacht sie nicht nur zwei der Nummer nach verschiedene Akte im Verstand, sondern sie verursacht zwei aktuelle oder habituelle Vorstellungen, die eigene unterschiedene Objekte haben; und zwar so verschiedene, wie wenn jene zwei Objekte zwei Dinge außerhalb wären 45 45 (Hervorhebung ist von uns) Quaest. in Metaph., lib. 7, q. 19, n˚5. Vol. IV, p. 727 b. Zu bemerken, dass, in den Quaest. in Metaph. die Lehre von der formalen Unterscheidung von der Sache her (distinctio formalis a parte rei) weniger entschieden vorgelegt wird als in den Kommentaren zu den Sentenzen.. „Aber wenn im physischen Wesen die Entität der Gattung von der Entität der Differenz real verschieden ist (d.h. eine andere Entität ist), konstituiert also die Gattung in den Dingen eine wirkliche Einheit, die die der Spezies überschreitet. 120 Ebenso besitzt die spezifische Natur im Maße ihrer eigenen Aktualität, eine wirkliche Einheit, verschieden von der Einheit der Individuen: « Natura, secundum quod natura est, „Die Natur, insofern sie Natur ist, ist ein est ens reale; ergo est unum aliqua reales Seiendes; also ist sie reell eines mit unitate realiter; non unitate indivi- irgendeiner Einheit; nicht mit einer induali, quia tunc omnis unitas realis dividuellen Einheit, weil dann jede reale Einheit numerisch wäre“ 46 esset numeralis » 46 Op. cit., lib. 7, q. 13, n0 10, p. 701 b.. Überdies ist « in Socrate, non solum secundum considerationem intellectus, sed secundum ordinem naturalem perfectionum unitive contentarum, prius est animal quam homo, et homo quam hic homo » 47 „in Sokrates, nicht nur zufolge einer Überlegung des Verstandes sondern zufolge der natürlichen Ordnung der einheitsstiftend enthaltenen Vollkommenheiten früher Lebewesen als Mensch und vorher Mensch als dieser Mensch47 “ Op. cit., lib. 7, q. 13, n0 19, p. 705 b.. Kurzum, da « unumquodque se habet ad cognos- „ein jedes sich zur Erkennbarkeit so vercibilitatem, sicut se habet ad entita- hält, wie es sich zur Entität verhält“ 48 tem » 124 K. 3 Über Scotus zu Ockham 48 Quodlib. XIII, n˚ 12. Vol. XII, p.312., das heißt, da der Unterscheidung der objektiven Begriffe eine entitative Unterscheidung der Dinge entspricht, muss man die folgende Schlussfolgerung akzeptieren, so scharfsinnig und so verwirrend sie auch erscheinen mag: „In den Geschöpfen ist etwas Gemein« In creaturis est aliquod commune, sames, das Eins ist unitate reali miunum unitate reali minori unita- nori unitate numerali: und dieses Gete numerali : et illud quidem com- meinsame ist nicht so gemeinsam, dass mune non est ita commune quod sit es aussagbar ist von vielen, wenn es auch praedicabile de multis, licet sit ita so gemeinsam ist, dass es kein Widercommune quod non repugnet sibi esse spruch ist in einem anderen zu sein als in alio quam in eo in quo est » a . in dem, in welchem es ist“ a . a Oxon. II, d. 3, q. 1, no 9. Vol. VI, p. 361. – C’est nous qui soulignons. Lychet, le commentateur classique de l’Opus oxoniense, appuie davantage encore le trait : « Dico ultra quod non habeo pro inconvenienti, quod natura in esse reali et actuali considerata, ut etiam prior natura singularitate, habeat primo existentiam actualem, et sic natura, ut actu existens, erit prior singularitate. Si enim singularitas perficit naturam, ut actu existens, non videtur ipsam posse perficere, nisi ut actu existentem ; sicut nec forma actu perficit materiam, nisi actu existentem » (In Oxon. II, d. 3, q. 1. Vol. VI, p. 364 a, n0 9). 121 a Oxon. II, d. 3, q. 1, n˚ 9. Vol. VI, p.361. – Die Unterstreichung ist von uns. Lychet, der klassische Kommentator vom Opus oxoniense stützt den Gedanken noch mehr ab: „Weiter sage ich, dass ich es nicht für unziemlich halte, dass die Natur im realen und aktuellen Sein betrachtet, dass sie auch von Natur aus im Voraus zum Einzelsein zuerst die aktuelle Existenz hat und so die Natur, als actu existierende, früher sein wird als das Einzelsein. Wenn nämlich das Einzelnsein die Natur vervollkommnet als actu existierend, kann man nicht einsehen, dass man sie vervollkommnen kann, es sei denn als actu existierende; wie auch die Form nicht actu die Materie vervollkommnet, es sei denn sie existiere“ , In Oxon. II, d. 3, q. 1. Vol. VI, p. 364 a, n˚ 9). Die verringerte Einheit, um die es sich hier handelt, ist ähnlich der, von der wir gesehen haben, dass sie der Materie als solcher zukommt: es ist die Einheit einer aktuellen Entität, unvollkommen in ihrer Aktualität; wirkliche Einheit dennoch, denn wohl weit davon entfernt durch den Verstand in dem ihr eigentümlichen abstractiven Grad begründet zu sein, ist es sie, die objektiv den Grad der Abstraktion des Verstandes bestimmt; der Verstand ist im Grunde nicht „abstractiv“ er ist intuitiv: die Staffelung der abstrakten Grade ruht in den Dingen selbst; andernfalls, versichert Duns Scotus, wenn alle „Einheit der Gemeinsamkeit (unitas communis)“ von einer durch den Geist bewirkten Zerlegung herkäme, warum wäre dann Sokrates in der Ordnung der Wirklichkeiten näher bei Plato als bei einem Stein? So vorsichtig das auch ist, dieses epistemologische Glaubensbekenntnis macht zweifellos den Eindruck von Ultrarealismus. Duns Scotus hatte hier im Übrigen das Bewusstsein, sich der Verdächtigung der Untreue gegenüber Aristoteles auszusetzen: denn er verteidigt sich dagegen. Das was der Stagirite verurteilte im Platonismus, sagt er, und das, was in der Tat Widerspruch impliziert, ist einzig dies, dass „dasselbe der Zahl nach die Washeit vieler verschiedener ist“ ([ « idem numero sit quidditas multorum diversorum » ] 125 B.III Antinomie des Einen und Vielen Quaest. in Metaph. lib. 7, qu. 18, n. 3. Vol. IV, p. 722 a). Aber die wirkliche entitative Einheit der Gattung oder der Spezies in ihnen selbst, ist die einer „absoluten Entität“, nicht von einer numerischen Einheit. Ob man es zugibt oder nicht, diese Verteidigung des scotistischen Formalismus, die Parallelität zwischen dem Fall der Materie und dem Fall der essentiellen Grade bleibt beunruhigend. Dennoch um dem franziskanischen Doktor gegenüber ganz gerecht zu sein, ziemt es sich, noch einige genauere Angaben anzuführen. Sie heben sich heraus an den Stellen, wo klar die Möglichkeit geleugnet wird – zum wenigsten die „natürliche“ Möglichkeit – der Subsistenz des Wesens als solchen, ohne individualisierende Bestimmungen. Zum Beispiel (Quaest. in Metaph. lib. 7, qu. 13, n. 20. Vol. IV, p. 706 a) : „Das Gemeinsame... wird niemals abgetrennt von einer anderen Vollkommen« Commune ... nunquam separatur heit die Einheitsstiftend mit ihr verbunab alia perfectione unitive secum con- den ist, oder von jenem Seins-Grad in tenta, vel ab illo gradu in quo accipi- dem das die Individualität bewirkende tur differentia individualis. » Unterscheidungsmerkmal (differentia individualis) übernommen wird. “ Stellen von dieser Art dürfen nicht mit denen durcheinander gebracht werden, die die Hypothese von einem Allgemeinem „a parte rei“ (von dem Ding her) ausschließen : die reale Subsistenz eines Universellen, insofern es universell ist, impliziert einen flagranten Widerspruch und ihr Sein ist also absolut unmöglich (Siehe oben p. 117). Auf der anderen Seite wissen wir, dass Duns Scotus die mögliche Subsistenz der „Materie“ ohne Form zugibt (siehe oben p. 114). Der Fall des metaphysischen Wesens (generisch oder spezifisch) oder, wenn man es bevorzugt, der „unitas realis, minor numerali“ (der wirklichen aber weniger als numerischen Einheit) würde also zwischen dem des Allgemeinen und dem der Materie dazwischenliegend sein. 126 K. 3 Über Scotus zu Ockham « Quaedam, naturae in se non repugnant, et tamen repugnant naturae positae in esse, vel factae, sicut non esse, non factum. Similiter naturae in se non repugnat forte separari ab omnibus gradibus individualibus, quia intelligendo naturam sine illis non includitur contradictio ; tamen in esse repugnat sibi quod separetur ab omnibus .... Non ergo potest fieri nisi sub aliquo gradu individuali; quare iste non potest differre re .... Et ita stat inseparabilitas propter continentiam unitivam. » (Quaest. in Metaph., Ioc. sup. cit.). 122 „Einige (Vorstellungen dieser Art?) widersprechen der Natue in sich nicht und doch widersprechen sie derins Sein versetzten oder gemachten Natur wie das Nicht-Sein, das Nicht-Gemachte. In ähnlicher Weise widerspricht der Natur an sich vielleicht nicht, von allen individuellen Graden abgetrennt zu werden, weil das Erkennen der Natur ohne diese keinen Widerspruch einschließt; jedoch im Sein widerspricht es sich dass es von allen getrennt wird ... Es kann also nicht entstehen, wenn nicht in irgendeinem individuellen Grade. Darum kann jener nicht der Sache nach unterschieden werden ... und so besteht eine Untrennbarkeit wegen des Einheitsstiftenden Zusammenhangs. "(Quaest. in Metaph., loc. sup. cit.). Das will sagen, dass, im Fall der „realen Einheit der Gemeinsamkeit“ (unitas realis communis) der Widerspruch sich beim Isoliert-zu-Existieren aus dem Wesen dieser „Einheit aus der Gemeinsamkeit“ nicht ergibt, wie im Fall des Universale, aber sehr wohl aus dem „einheitsstiftenden Zusammenhang“ (continentia unitiva), von dem unauflösbaren Zusammenhalt der, in der Ordnung der Existenz, alle Grade der spezifischen Natur mit der Individualität vermengt. Die Unabtrennbarkeit des gemeinsamen Wesens ist zum mindesten ein physisches Gesetz. Könnte Gott –.durch ein Wunder – die Wirkungen davon aufheben, wie im Fall der Materie? Die Lehre von Duns Scotus über diesem Punkt scheint uns wirr; seine Antworten auf die Schwierigkeiten sind entweder mehr verbal als real, oder sie drücken sogar die These des Thomismus aus (distinctio rationis fundata in re gedankliche Unterscheidung, die in der Sache ein Fundament hat), einer These, die er doch zurückweist. Lychet hat in seinem Kommentar des Opus oxoniense (In II, d. 3, qu. 1. Vol. VI, p. 364, n.10 -14, a) sehr wohl die Einwände gesehen, die die Stellung des Meisters hervorruft; aber seine langen und durchdringenden Erklärungen lösen den Grund der Schwierigkeit nach unserer Meinung nicht auf. Wäre gezeigt worden, dass Duns Scotus öffentlich die absolute Unmöglichkeit bekennt, das Wesen außerhalb aller individuellen Bestimmungen subsistieren zu lassen, bliebe immer noch, dass das gemeinsame Wesen, seiner Meinung nach – selbst wenn es unlösbar verknüpft ist mit den Individuen – von einer Staffelung von reellen „Entitäten“ oder von „Formalitäten“ konstituiert wird, wobei jede 127 B.III Antinomie des Einen und Vielen solche Entität oder Formalität jede auf ihre Rechnung und ihrer Natur zufolge teilhat am Akt des Seins. Die eigene Akthaftigkeit jeder „Formalität“ geht im Denken (in ratione) der unerwarteten Ankunft aller weiteren Bestimmungen voraus, so notwendig sie auch sein könnten, einschließlich der individuellen Bestimmung, dem Gipfel des Gebäudes. Wenn man also das akthafte Sein, das jeder „Formalität“ eigentümlich ist, vermittels einer wirklichen Entität verstehen könnte, müsste man sagen, da dieses in sich kein Prinzip der Diversifikation noch der numerischen Multiplikation besitzt, dass sein Sein obwohl es akthaft ist, ein unbestimmtes, undifferenziertes Sein ist und folglich allgemein in dem Maße, wie es dem Grad der in Frage stehenden Formalität zukommt. Wie kann eine aktuelle „Entität“ gleichzeitig im Inneren der einzelnen Substanzen und im Voraus zu jeder Intervention eines abstraktiven Verstandes, allgemein und individuell, eine und mehrfach, homogen in sich durch das Darin und diversifiziert in sich durch äußere „Kontraktion“ sein? Dies ist das Geheimnis der „distinctio formalis a parte rei“ (Formaldistinktion von der Sache her); dies ist übrigens das Geheimnis jeder Philosophie, die sich zur Notwendigkeit gedrängt sehen würde, die metaphysische Wirklichkeit zu betrachten als eine Durchpause, ein Pausbild auf die exzessive Zerstückelung des Intelligiblen, die das Verfahren unseres unvollkommenen Verstandes ist. Verbirgt nicht die Undurchsichtigkeit dieses Geheimnisses einen tatsächlichen logischen Widerspruch?... 128 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 123 Kapitel IV Von Thomas zu Ockham über Duns Scotus (Fortsetzung) §4. – Die scotistische Philosophie angesichts der Antinomie vom Einen und vom Vielfachen. Wie kann man sich eine richtige Vorstellung machen von der Einstellung der scotistischen Philosophie angesichts der Antinomie vom Einen und dem Vielfachen? Man wird schon geahnt haben, dass der Scotismus, dadurch dass er den Begriff der „reinen Potenz“ (der Materia prima der Thomisten) geopfert hat und das Sein innerhalb der Substanz zerstückelt hat, die enge synthetische Einheit zwischen dem Intelligiblen und der Materie abgeschwächt hat, die vom heiligen Thomas in dem der menschlichen Erkenntnis eigentümlichen Objekt erkannt worden ist. Die Antinomie fängt wieder an, zu sprießen. Wir wollen dies ausdrücklicher betrachten. Wir haben weiter oben die Antinomie vom Einen und dem Vielfachen (vor dem wir durch die Umwege der Erkenntnis stehen), aufgeteilt auf zwei abgestufte Gruppen: Antinomie . des Objekts der Sinne (quantitative Vielfalt) und des Objekts des Verstandes (intelligible Einheiten); Antinomie . des Objekts des Verstandes (intelligible Einheiten) und des Objekts der Vernunft (absolute Einheit). Er ist für uns im Folgenden bequemer, die gekürzten Formeln zu benutzen: • Antinomie der Sinneswahrnehmung und des Verstandes; • Antinomie des Verstandes und der Vernunft. I. – Die Antinomie der materiellen Quantität und des Begriffs. (Antinomie der Sinneswahrnehmung und des Verstandes.) 124 a) DIE ERKENNTNIS DES INDIVIDUELLEN. Und zuerst fragen wir: findet die erste dieser Antinomien bei Duns Scotus eine befriedigende Lösung? Wir erinnern uns, dass das Sinnes-Objekt in diese erste Antinomie eintritt, nicht durch die qualitative Verschiedenheit seiner Form (diese Vielfachheit wird im Verstand nicht verringert),sondern durch die quantitativen Bedingungen, die sie im Raum vervielfachen und sie empfindungsfähig machen für „Veränderung“ in der Zeit. 129 B.III Antinomie des Einen und Vielen Zwischen der radikalen Vielfalt der quantifizierten Materie und der immateriellen Einheit des Begriffs, hat der heilige Thomas die Vermittlung durch die abstrakte und synthetische Einheit der „Zahl“ herbeigeführt. Und diese Lösung war, wir haben es gesehen, in enger Abhängigkeit von den thomistischen Thesen von der Individuation und dem Intellektus agens. (Cf. pp. SS.84-85 und 91). Duns Scotus verwirft das thomistische Prinzip der Individuation. In seinen Augen konnte die Individualität – oder das Diesda-Sein („haecceitas“) – die zusätzlich hinzukommt wie eine letzte Perfektion in die Hierarchie der noch unbestimmten Entitäten, die die spezifische Natur bilden, nur sie selbst sein, wenn sie von der Ordnung der form-artigen Bestimmungen ist: eine „Entität“ die andere, „Entitäten“ bestimmt49 49 Siehe, zum Beispiel Oxon. II, d. 3, q. 6. Vol. VI, p. 403 ff., und Paralllen. « Sicut unitas in communi, per se consequitur entitatem in communi, ita quaecumque unitas per se consequitur aliquam entitafem : ergo unitas simpliciter, qualis est unitas individui, ... consequitur per se aliquam entitatem : non autem consequitur per se entitatem naturae, quia illius est unitas propria, et per se realis ...; igitur consequitur aliquam entitatem aliam determinatam [determinantem?] istam : et illa faciet unum per se cum entitate naturae, quia totum, cujus est unitas, perfectum est de se » (Op. et loc. cit., n0 9, p. 406-407).. 49 Siehe zum Beispiel Oxon. II, d. 3, q. 6. Vol. VI, p. 403 ff., und Parallelen. „Wie die Einheit im Gemeinsamen (unitas in communi) aus der gemeinsamen Entität (entitatem in communi) folgt, so folgt jedwede Art von Einheit per se aus irgendeiner Entität: also folgt die Einheit schlechthin, von welcher Art die Einheit des Individuums ist ... per se aus irgendeiner Entität: sie folgt aber nicht per se aus der Entität der Natur, weil diese eine ihr eigentümliche und per se reale Einheit hat...; also folgt sie aus irgendeiner anderen bestimmten diese [bestimmenden?] Entität: und jene bildet ein Eines an sich mit der Entität der Natur, weil das ganze, um dessen Einheit es geht, ein Vollkommenes von sich aus ist“ (Op. und loc. cit., n˚ 9,p. 406-407).. Wer sagt „bestimmende Form“ sagt Prinzip der Einheit; es ist sogar so, beobachtet Duns Scotus, dass die Individualität dem Wesen die engst mögliche Einheit verleiht; nun aber ist jedes Prinzip der Einheit durch sich selbst intelligibel (dem Verstand zugängich). Die Individualität in den materiellen Objekten ist also intelligibel durch sie selbst, im Gegensatz zu dem, was die Thomisten behaupten: „wenn das Einzelne etwas ist, was Eines ist, ist es per se intelligibel “ (= durch sich dem Verstand zugänglich) ([ « si singulare est unum quid, est per se intelligibile » ]Quaest. in Metaph., lib. 7, q. 13, n˚ 23, Vol. IV, p. 707 b). Wir verstehen das so, dass das materielle Individuum seiner Individualität zufolge nicht nur intelligibel in sich ist, sondern „per se zu allererst intelligibel für uns“ ([ « per se primo intelligibile a nobis » ] Op. cit., lib. 7, q. 15, n˚ 3-4, p. 712-713). Dennoch bleibt unsere intellektuelle Wahrnehmung der Einzeldinge, im Unterschied zu unserer Erfassung der Gattung und der Art, konfus und ungenau50 : 50 « Confuse dicitur aliquid concipi, 50 „Man sagt, etwas ist konfus begriffen, wenn es quando concipitur sicut exprimitur per no- begriffen wird, wie es durch eine Benennung ausmen. Distincte vero, quando concipi- gedrückt wird. Genau bestimmt aber, wenn es tur sicut exprimitur per definitionem. » begriffen wird, wie es durch eine Definition ausge(Oxon. I, d. 3, q. 2, n0 21. Vol. V, p. drückt wird.“ (Oxon. I, d. 3, q. 2, n˚ 21. Vol. V, 409). p.409). – Über den Modus selbst dieser primitiven konfusen Erkenntnis des materiellen Einzeldings – direkter Modus oder reflektierter Modus (zirkulär, „sphärisch“) – ist es weniger leicht, den 130 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung Gedanken von Duns Scot zu rekonstruieren. De rerum principio ist sehr klar, aber nicht authentisch und De anima ist verdächtig, so sollte man wenigstens Quaest in Metaph. lib. 7, q. 15, n˚ 8, p. 715, mit dem Opus oxoniense ausgleichen, das sich mehr von der bonaventurischen Tradition zu entfernen scheint, die dem „reflektierten Modus“ zuneigt (Siehe E. Hocedez, S. J. Richard von Middleton, Louvain, 1925, p.148). . Hier ist die Schlussfolgerung des Kommentators Maurice du Port zu diesem Thema. Um sie zu verstehen, muss man sich erinnern, dass die abstraktive Kenntnis bei Duns Scotus eine Abstraktion der aktuellen Existenz macht, aber nicht notwendigerweise der Individualität. „Hier will der Doktor – kurz gesagt – dass das Ein« Vult breviter Doctor hic, quod singulare zelding per se dem Verstand zugänglich (=intelligiest per se intelligible, et primo, et abstrac- bel) ist und das zuallererst, abstraktiv und intuitiv tive, et intuitive, sed non a nobis pro statu aber nicht für uns in diesem Stand, unter seiner isto, sub propria ratione et unitate, nisi in ihm eigentümlichen Rücksicht (ratio) und Einheit conceptu quodam vago, seu confuso, aut sondern nur in einem gewissen vagen oder konfucerte aggregato, et hoc maxime cognitione sen oder als sicher beigeordneten Begriff und das am abstractiva : sed de intuitiva dubium vide- allermeisten durch abstraktive Erkenntnis: über die tur ...» (Opera Scoti, vol. IV, p. 716 a. Cf. intuitive Erkenntnis aber scheint es Zweifel zu gepost Quaest. Metaph. VII, qu. 15). ben....“ (Opera Scoti, Vol. IV, p. 716 a. Cf. post Quaest. Metaph. VII, qu. 15). Das, was sicher ist, ist dies, dass dort, wo Duns Scotus übereinstimmend mit der bonaventurischen Tradition zugibt oder zuzugeben scheint eine gewisse „Reflexion (Überlegung)“ bei der Erkenntnis der Einzeldinge ist dies überhaupt nicht in dem Sinn wie die Thomisten (die er bekämpft), diese Reflexion verstanden. Ohne mehr in diese Frage der Auslegung einzutreten, werden wir uns damit begnügen, die Thesen anzuwenden, die ausdrücklich öffentlich im Opus oxoniense bekannt werden: sie genügen, um die Richtungs-Tendenzen der scotistischen Epistemologie herauszustellen. 125 wir wissen das, was wir sagen wollen, dadurch dass wir die Natur des Einzeldings der spezifischen Natur gegenüber stellen, aber sobald wir die Abstraktion dieser letzteren machen, werden wir unfähig, das Unterscheidungs-Merkmal (die sich ergebende Differenz) durch eine intelligible Note auszudrücken, die als Rückstand übrigbleibt; die Individualität der Sinnes-Objekte ist also gar nicht „definierbar“ durch unsere unvollkommene Intelligenz (Op. cit., lib. 7, q. 15, n˚5 sqq., p. 714 a); wir können davon keine „washeitliche [=quidditative]“ Erkenntnis erwerben („entsprechend dem, was etwas ist“ ([ « secundum quod quid est » ] Cf. Oxon. II, d. 3, q. 6, n˚17. Vol. VI, p.414). Im Gegensatz dazu erreicht die Intelligenz der Engel ihre Objekte, ohne, wie wir, durch die Vermittlung der Sinne durchgehen zu müssen und nimmt die Einzeldinge mit einem Blick gleichzeitig auf, unvermittelt und genau unterschieden51 51 « Omnis entitas actualis cujuscumque rationis, est ratio agendi in intellectum actione intelligibilitatis, quia sic actus et intelligibile convertuntur .... Ex hoc sequitur quod intellectus immédiate receptivus actionis objecti [ut intelligibilis], potest moveri a singularitate : non autem qui est receptivus mediante actione naturali sicut est noster intellectus » ( Quaest. in Metaph. lib. 7, q. 15, no 6. Vol. IV, p. 714 b).. 51 „Jede aktuelle Entität unter jeder Rücksicht ist Grund eines Einwirkens auf den Intellekt durch eine Wirkung der Verstehbarkeit, weil so der Akt des Einwirkens und das Verstehbare vertauschbar sind ...Daraus folgt, dass der unmittelbar ein Handeln des Objekts [als intelligibles] aufnehmende Verstand von der Einzelheit bewegt werden kann: nicht aber einer der rezeptiv ist vermittelt durch eine natürliche Tätigkeit, wie es unser Verstand ist.“ (Quaest. in Metaph. lib. 7, q. 15, n! 6. Vol. IV, p. 714 b) . Es ist also einzig die besondere Schwäche unserer Intelligenz, die mit dem Körper verkettet ist, die uns alles genaue Begreifen der materiellen Individualität verbietet. 131 B.III Antinomie des Einen und Vielen 126 Zum Ersatz dafür bildet unsere Erkenntnis der Einzeldinge, so konfus sie auch ist, in der Ordnung der Erlangung, die erste unserer intellektuellen Erkenntnisse: „Diesbezüglich [das heißt, bezüglich „der « Quoad hoc [id est, quoad « ordinem Reihenfolge des Ursprungs der aktuellen originis in cognitione eorum actua- Erkenntnis dessen, was konfus begriffen li quae concipiuntur confuse » ], di- wird“], sage ich, dass das erste aktuco quod primum actualiter cognitum ell konfus Erkannte die ganz besondeconfuse est species specialissima52 re Spezies (species specialissima) ist 52 a , a , cujus singulare efficacius et fortius dessen Einzelnsein wirksamer und stärprimo movet sensum, sive sit audibi- ker zuerst auf die Sinne wirkt, sei es hörle, sive visibile, sive tangibile, et hoc bar sei es sichtbar sei es berührbar, und supposito quod singulare non possit wenn man das voraussetzt, dass das Einintelligi sub propria ratione, de quo zelne nicht erkennbar ist unter seinem alias .... Sed totus ordo confuse conci- ihm eigenen Begriff, worüber bei andepiendi prior est [ordine distincte con- rer Gelegenheit (zu reden ist).... aber die cipiendi], et ideo primum in illo ordi- gesamte Ordnung des konfus Verstehens ne est simpliciter primum » (Oxon. I, ist früher [als die Ordnung des klar und d. 3, q. 2, n. 22 et 25. Vol. V, p. deutlich Verstehens] und deshalb ist das 409 et 411 53b ). erste in jener Ordnung schlechthin das a52 L’expression « species specialissima » dési- erste“ (Oxon. I, d. 3, q. 2, n. 22 und gne, parmi les déterminations intelligibles d’un ob- 25. Vol. V, p. 409 und 411)53b . jet, la plus particulière. A la « species specialissima » s’attache, chez Duns Scot, le mode individuel, perçu d’emblée confusément. b53 Inversement, dans l’ordre de la connaissance distincte, permettant la définition, la priorité reviendrait aux concepts les plus généraux : « De cognitione actuali distincte conceptorum, ... dico quod e converso, quia primum sic conceptum est communissimum » (Ibid. n˚ 24, p. 410). a52 Der Ausdruck „species specialissima“ bezeichnet unter den intelligiblen Bestimmungen eines Objektes die am meisten eigenartige. Mit der „species specialissima“ ist bei Duns Scotus der individuelle Modus fest verknüpft, der auf Anhieb konfus wahrgenommen wird. b53 Umgekehrt kommt in der Ordnung der klaren und deutlichen Erkenntnis, die es ermöglicht zu definieren, die Priorität den allgemeinsten Begriffen zu: „Über die aktuelle Erkenntnis des klar und deutlich Begriffenen ... sage ich das Gegenteil, weil das erste so verstandene das Allgemeinste ist“. (Ebenda. n˚o 24, p.410). Ist diese scotistische Lehrmeinung vereinbar mit einer radikalen Lösung der Antinomie vom Einen und dem Vielfachen? Wir glauben das nicht. Zunächst würde die unmittelbare Intelligibilität der materiellen Individuen unserem Verstand den einzigen Zugangsweg verschließen, den er zur „reinen Vielfalt“, zur „reinen Potenz“ haben könnte . Diesen Weg suchte der heilige Thomas, sich von Aristoteles inspirieren lassend, gerade in der Irrationalität oder der für uns Nicht-Intelligibilität der Individuen: die numerische Multiplikation dieser, da sie die Univozität ihres spezifischen Wesens respektieren muss, und nicht jedesmal nur hinauslaufen darf auf eine akzidentelle Differenz, ist logisch nicht zu erklären durch irgendeine formartige Verschiedenheit und verlangt also eine transzendentale Relation der spezifischen Na- 132 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 127 tur zu einem nicht formartigen Prinzip der Multiplikation, das infra-intelligibel und homogen ist das heißt zu einer Materia prima, die reine Vielfachheit ist. Wenn, im Gegenteil, wie es Duns Scotus will, darin Echo der nichtthomistischen Tradition, die Individualität der Sinnes-Objekte uns unmittelbar intelligibel ist: muss ihre Vielfalt eine formartige Verschiedenheit sein und ihr Bedürfnis einer Beziehung zur reinen Vielfalt verschwindet: der so wichtige Begriff der „reinen Potentialität“ entzieht sich total der objektiven Beweisführung. Ärgerliche Ohnmacht , die auf jeden Fall die Lösung der Antinomie vom Einen und dem Vielfachen weniger weit reichend und weniger ausschlaggebend macht Die Originalität und der Preis der thomistischen Lösung bestehen in der Tat darin, im für die Individuation durch einfache numerische Multiplikation empfänglichen Allgemeinbegriff, nicht nur irgendeine Synthese der Sinne und des Verstandes zu zeigen, sondern genauer noch die natürliche Synthese der reinen Vielfalt mit dem Intelligiblen. Die scotistische Lösung geht nicht mehr bis zu dieser Art von absoluter Beraubtheit herunter, die definitionsgemäß das reine Vielfache ist. Sie hält schicksalhaft an an einer solchen oder solchen gegebenen Vielfalt; sie behält einen relativen und provisorischen Charakter, wobei nichts uns gewährleistet, dass sie alle Vielfalt umfasst, die wirklich möglich ist. Aber es gibt noch mehr zu sagen. Ein Philosoph wird sich vergeblich bemühen, wegen einer Schul-Tradition oder auch um die Kohärenz seines Systems sicher zu stellen, zu beschließen, dass die Individualität der materiellen Dinge uns direkt intelligibel ist; trotz alledem, wenn diese Individualität gar nicht wirklich etwas „Intelligibles“ ist, dann wird es dem Philosophen höchstens gelungen sein, in seine Definition des „Intellibiblen“ einen verborgenen Widerspruch einzuführen, der sich früher oder später offenbaren wird. Nehmen wir an, dass die Individuation in der materiellen Ordnung allerdings, wie es die Thomisten annehmen, eine Beziehung der Form zu der konkreten Quantität verlangt, so würde sich ergeben, dass Duns Scotus, wenn er das Individuum unter dem Titel des Intelligiblen sich zu eigen macht, ohne sein Wissen die Quantität in die Intelligenz eingeführt haben würde; genauer: die Begriffe selbst, die von ihm als reine Intelligible behandelt werden, würden eine notwendige Beziehung zur Quantität verschleiern. Wir machen immer noch nur eine Hypothese, die geprüft werden sollte durch 133 B.III Antinomie des Einen und Vielen ihre Konsequenzen. Und wir vergessen nicht, dass eine Hypothese nie ganz nachweisbar ist durch dieses Verfahren: Nach Setzung des Vordersatzes folgt der Folgesatz aber nicht umgekehrt [posito antecedente, ponitur consequens, sed non e converso]. Fügen wir hinzu, dass selbst in diesen Grenzen die beeindruckendste Überprüfung unserer Annahme uns hier nicht zugänglich ist: sie wird nur geliefert durch die logische Evolution des vorkantschen Rationalismus, dessen Ansatzpunkte denen der scotistischen Philosophie so stark gleichen, und deren Ankunftspunkte so unstreitig eine partielle Konfusion vom Quantitativen und dem Intelligiblen verraten (siehe Heft II). Diese Konfusion, beeilen wir uns, es hinzuzufügen, wenn sie schon bei Duns Scotus besteht, bleibt bei ihm latent; sie wird dort sogar harmlos gemacht durch den allgemeinen Kontext des franziskanischen Denkens. Unter diesen ausdrücklichen Vorbehalten werden wir uns genehmigen in den Schriften des scharfsinnigen Lehrers (doctor subtilis) einige Anzeichen einer heimtückischen Invasion allgemeiner Moden der Sinneswahrnehmung selbst im Innersten der intelligiblen Ordnung herauszustellen. 128 Viele Philosophen halten es für unmöglich, eine „numerische“ Vielfalt zu konzipieren (wir sagen nicht: eine beliebige „Mannigfaltigkeit“) außerhalb jeder Beziehung zur konkreten Quantität. So erscheint in der thomistischen Philosophie die „intelligible“ Form – Begriff oder Wirklichkeit – nur „multiplizierbar“ durch ihren Bezug zur quantifizierten Materie. Von sich aus schwebt „das reine Intelligibile“ über der „Zahl“. (Siehe unser Heft V). Wenn Duns Scotus sich verleiten ließ, in die intelligible Ordnung, wie er sie versteht, etwas von der materiellen Quantität einzuführen, die eigentlich dem Bereich der Sinneswahrnehmung eigentümlich ist, muss diese Erschleichung sich zeigen durch die Zuteilung einer numerischen Vielfalt zu den intelligiblen Objekten als solchen. In der Tat unterwirft Duns Scotus, wie beinahe alle nicht-thomistischen Scholastiker, der „Zahl“ die „subsistierenden Intelligiblen“ die niedriger sind als Gott, zum Beispiel die Engel. Die numerische Einheit, sagt er, obwohl mehr manifest für uns in den sinnlichen Objekten, ist dennoch von gleicher Ordnung in den materiellen Dingen wie in den immateriellen Dingen54 134 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 54 54 « Unde manifestior est nobis unitas [numerica] in materialibus, quam in immaterialibus : non tamen excludit quod sit in immaterialibus » (Quaest. in Metaph. lib. 5, q. 4, n0 5. Vol. IV, p. 605 b). Cf. Oxon. II, d. 3, q. 7. Vol. VI, p. 422 suiv., où la question : « Utrum plures angeli possint esse in eadem specie » , est résolue contre saint Thomas. Remarquer les deux formules suivantes : « Omnis quidditas, quantum est de se, communicabilis est, etiam quidditas divina : nulla autem est communicabilis in identitate numerali, nisi sit infinita : ergo quaelibet alia est communicabilis, et hoc cum distinctione numerali » (n0 3) – « Quaelibet quidditas creaturae potest intelligi sub ratione universalis absque contradictione » (no 4).. „Daher ist für uns die [numerische] Einheit in den materiellen Dingen offensichtlicher als in den Immateriellen. Das schließt aber nicht aus, dass sie in den Immateriellen auch ist.“ (Quaest. in Metaph. lib. 5, q. 4, n˚ 5. Vol. IV, p. 605 b). Vergleiche Oxon. II, d. 3, q. 7. Vol. VI, p. 422 f., wo die Frage: „Ob mehrere Engel in derselben Spezies sein können“ gegen den heiligen Thomas gelöst ist. Die zwei nächsten Formeln sind noch zu bemerken: „Jede Washeit insofern sie von sich aus ist, ist mitteilbar, auch eine göttliche Washeit: keine aber ist mitteilbar in zahhlenmäßiger Identität, wenn sie nicht unendlich ist: also ist jede andere mitteilbar und zwar mit zahlenmäßiger Verschiedenheit“ (n˚ 3) – „Jede Washeit eines Geschöpfs kann verstanden werden unter der Rücksicht des Allgemeinbegriffs ohne Widerspruch“ (n˚ 4).. Weiten wir das Problem ein bisschen aus: Vermischt sich die transzendentale Einheit („Die Einheit, die mit dem Seienden vertauscht werden kann“ [ « unitas convertibilis cum ente » ]) in allen endlichen Dingen, welche sie auch immer wären, mit der Einheit als Prinzip der Zahl („unum principium numeri“) oder nicht? Ja, antwortet der franziskanische Lehrer, sich anschließend, wie er es gerne macht, an die Meinung von Avicenna: „In jedem Geschaffenen unterscheidet « In omni creato, unitas convertibisich die Einheit, die mit dem Seienden lis cum ente non differt ab unitate vertauschbar ist, nicht von der Einheit in de genere quantitatis, licet semper, ut der Ordnung der Quantität, wenn auch dictum est, conceptus unius transcenimmer, wie schon gesagt, der Begriff der dentis sit generalior transzendenten Einheit allgemeiner ist [denn die transzendentale Einheit lässt sich auch anwenden auf das unbegrenzte Sein und hört dann damit auf, zusammenzufallen mit dem eingeschränkteren Begriff der quantitativen Einheit] “ (Quaest. in Metaph. lib. 4, q. 2, n˚18. Vol. IV, p. 585 a.) Dass alles endliche Sein der Zahl unterworfen ist, war die These Platos, und dies wird nach Duns Scotus noch die These des Cardinals von Cues sein, gefolgt von mehr als einem modernen Philosophen. Hingegen sagte schon Aristoteles und der heilige Thomas wiederholt es mit mehr Genauigkeit: (Metaphysik Λ, 8, 1074 a,33),: alles, was der Zahl nach vieles ist, schließt Materialität ein; es gibt keine numerische Vielfalt ohne transzendentale Beziehung zur Materie. Die platonisierenden Philosophen, nicht mehr als Duns Scotus (siehe z.B. op. cit. lib. 5, q. 4, n˚ 5. Vol. IV, p. 605 b) geben, es ist wahr, dieses unauflösliche Band zwischen der Zahl und der Materie nicht zu; aber wenn zufällig Aristoteles Recht hätte, müsste man dann nicht zugeben, dass die durch sie der Idee des „Zählbaren“ gegebene Erweiterung (sich vereinigend mit dem des „Endlichen“) in gefährlicher Weise dem Gipfel des Seins „die Beziehung zur Materia prima“ nähert? Die Tragweite dieser Erwägung wird immer klarer erscheinen in der Folge unserer Hefte. VOsa rijmw̃| poll Õlhn 129 êqei 135 B.III Antinomie des Einen und Vielen Einstweilen beschränken wir uns darauf, noch dies zu bemerken: das in der Zahl implizierte irrationale Element zu verkennen, dies heißt, bewusst oder nicht, sich der gleichen Schwierigkeit auszusetzen, die das Kreuz des Cartesianismus sein wird, wir wollen sagen, der Schwierigkeit eine klare Begrenzung zwischen dem primären Objekt des Verstandes und dem Objekt der Sinne zu ziehen. Man kann, bis zu einem gewissen Punkt, diese Bedrängnis schon in den scotistischen Schriften feststellen. Die quantitative Seinsweise ist die einer aufnehmenden Fähigkeit eigentümliche Weise, das heißt von einer Fähigkeit, die die ganz besondere Form ihres Objektes nicht von Natur aus besitzt, noch durch „angeborene Bilder“. Sie muss von außen, sogar unter der Einwirkung von physischen Handelnden die Einwirkung dieser Form als eingeprägte erleiden: die Aufnahmefähigkeit von außen setzt in der Tat die Gemeinsamkeit der Materie zwischen dem Handelnden und dem Erleidenden voraus und diese gemeinsame Materialität äußert sich auf beiden Seiten durch die Seinsweise der Quantität. So vermeidet der heilige Thomas absolut unbedingt die Intelligenz wie eine im eigentümlichen Sinn „aufnehmende“ Fähigkeit zu behandeln, passiv gegenüber außerhalb befindlichen Objekten55 55 « Proprie accipiendo passionem, impossi- „Wenn man das Erleiden im eigentlichen Sinn bile est incorporeum pati » (De Veritate, versteht, ist es unmöglich, dass ein Unkörperliches XXVI, 2, corp.). leidet.“ (De Veritate XXVI, 2, corp.). Es handelt sich hier, offensichtlich, um eine physische Passivität, nicht um eine transzendentale Passivität gegenüber der ersten Ursache, noch um eine objektiv verstandene Passivität in einem rein logischen Sinn. Im Übrigen wäre Gott, wenn er sich direkt der endlichen Intelligenz zeigte, für sie nicht eine „außerhalb befindliche“ Ursache, sie beeindruckend „von der Außenwelt“ her. Der heilige Thomas vermeidet so sorgfältig, der Intelligenz als solcher eine Passivität „von außen“ zuzuteilen, dass er sich zwingt, nach der Erklärung des ganzen engelhaften Wissens in ganz und nur immanenten Prinzipien wie Wesen und angeborene Bilder zu suchen: In der „nicht leidensfähigen“ (impassiblen) Ordnung der reinen Intelligenzen herrscht ein gestrenger Monadismus. 130 beim Menschen, aufnehmend durch seine Sinnes-Fähigkeiten, verlangt die thomistische Psychologie, um die Spontaneität des immateriellen Verstandes in der Bildung des Begriffs zu erhalten, einen Intellektus agens, der immer „in Tätigkeit“ ist; unsere Intelligenz, mit einer Sinneswahrnehmung verbunden, empfängt von dieser Sinneswahrnehmung nicht eigentlich gesprochen ein Intelligibles; sie bildet sich selbst ihre Intelligiblen auf Grund der Vorlage der „Phantasmata“, die Intelligible sind aber nur „in Potenz“ . Der scotistische Gesichtspunkt ist sehr verschieden: der Verstand, dem man, gerade dadurch dass man ihn als aktiv erklärt, ebenso die volle Intuitivität, die die synthetische Aktivität darstellt, abspricht, um für sie nichts zu erhalten 136 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung als eine Art analytische Aktivität, empfängt im ganzen (in Bausch und Bogen) sein ihm eigentümliches Objekt, umsomehr da er es nicht apriori besitzt oder es nicht konstruiert. Eigentlich empfängt er es nicht, wie die Sinne vermöge eines unmittelbaren physichen Kontakts mit dem äußeren Ding sondern durch die Vermittlung der Sinneswahrnehmung. Dieser Umstand verändert trotzdem nichts Wesentliches an der Seinsweise der Rezeptivität. Der Autor von De rerum principio, dessen Lehre über den uns beschäftigenden Punkt von Duns Scotus geteilt zu werden scheint, unterscheidet im Akt des Verstehens drei Phasen: eine erste Phase ist eng parallel zur Sinneswahrnehmung; sie besteht in der direkten Ergreifung eines Sinnes-Dings in Übereinstimmung mit seiner aktuellen Existenz; der Sinn auf der einen Seite und die Intelligenz auf der anderen ergreifen gemeinsam, jeder auf seine Weise, die einzelne Existenz des Objektes; es folgt eine zweite reflektierte Phase, während der die Intelligenz ihre direkte Ergreifung erkennt und präzisiert; dann eine dritte „vergleichende“ Phase, eine Vereinigung , in dem das einzelne Objekt formal auf einen Allgemeinbegriff bezogen wird56 56 De rerum principio, qu. 13, Art. 3, n˚46. Vol. III, p. 118 a. Die ganze Frage 13 legt in Detail den Mechanismus der Erkenntnis der Einzeldinge dar. Die „Vereinigung = collatio“ ist hier kein Vergleich der Einzelnen untereinander, sondern von jedem Einzelnen mit dem „Allgemeinen“, virtuell gegenwärtig in der species impressa und so als Allgemeines bewusst werdend.. 131 Lassen wir vorläufig die zwei letzten Phasen – die analytische und vergleichende – von denen wir weiter unten das exakte Äquivalent bei Duns Scotus zeigen werden. Hinsichtlich der ersten Phase, der direkte Akt des Verstehens kann nur eine Operation des Typs äußerlich „rezeptiv“ sein: mittels einer sensorischen Assimilation des Objekts, die individuelle objektive Entität, intelligibel an sich, drückt sich unmittelbar der Intelligenz ein. Diese seltsame Ähnlichkeit zwischen der Sinneswahrnehmung und dem ergreifenden Intellekt ist dem mittelalterlichen Autor nicht entkommen: er lässt es verstehen, denn er nimmt als Grundlage für die Unterscheidung von Sinneswahrnehmung und Intelligenz: nicht die Anfangsphase des intellektuellen Aktes, sondern die Phasen „reflexiv“ und „ vergleichend“. Diese wenigstens sind der Sinneswahrnehmung nicht zugehörig. Und er hat sogar direktere Anspielungen: *‘Durch diese Art und Weise [durch die „Per istum modum [quo intellectus der Intellekt das aktuelle und einzelne cognoscit esse actuale et singulare] Sein erkennt] unterscheidet sie sich non differt a modo quo sensus nicht von der Art und Weise mit der cognoscit » (Op. et loc. cit., n0 36, der Sinn erkennt“ (Op. und loc. cit., p. 115 b). n˚ 36, p. 115 b). Wir sagten, dass das Denken von Duns Scotus nicht grundsätzlich anders ist: man wird sich davon überzeugen, wenn man die Voraussetzung der zwei folgenden Stellen bloßlegen will: 137 B.III Antinomie des Einen und Vielen « ... Magis ponitur a philosophis, quod intellectus est potentia distincta a potentia sensitiva, propter intellectionem universalis, et propter compositionem et divisionem, quam propter cognitionem singularis, si posset intelligere singulare » (Oxon. I, d. 3, q. 6, n0 5. Vol. V, p. 517). Oder andere Stelle : « Debet intelligi distinctio intellectus a sensu, sicut potentiae superioris cognitivae ab aliqua cognitiva subordinata sibi, et per consequens, quod potentia superior potest cognoscere aliquod objectum, vel sub aliqua ratione, quod objectum, vel sub qua ratione potentia inferior non potest cognoscere, quin superior possit etiam perfectiori modo objectum illud cognoscere et sub eadem ratione cognoscibilitatis ex parte objecti » (Quodlib., qu. 13, n0 9. Vol. XII, p. 310). „... Es wird von den Philosophen behauptet, dass der Intellekt eine von der Sinnesfähigkeit verschiedene Fähigkeit ist mehr wegen des Verstehens des Allgemeinen und wegen der Zusammensetzung und Teilung, als wegen der Erkenntnis des Einzelnen, wenn er überhaupt Einzelnes erkennen könnte“ (Oxon. I, d. 3, q. 6, n˚5. Vol. V, p.517). Und die andere Stelle: „Man muss die Unterscheidung zwischen Intellekt und Sinneswahrnehmung verstehen wie die einer höheren Erkenntnisfähigkeit von einer ihr untergeordneten, und dass folglich die höhere Fähigkeit irgendein Objekt oder unter irgendeiner Rücksicht erkennen kann, welches Objekt oder unter welcher Rücksicht die niedrigere Fähigkeit nicht erkennen kann, ja sogar die höhere auch auf vollkommenere Weise jenes Objekt erkennen kann und das unter derselben Erkenntnis-Rücksicht von seiten des Objekts.“ (Quodlib. qu. 13, n˚ 9. Vol. XII, p.310). Die der Sinneserkenntnis eigentümliche Art und Weise, von der deren andere Eigenschaften logisch abhängen, besteht gerade in dieser Aufnahmefähigkeit von außen. Und diese ist also auch, nach Duns Scotus, die Art und Weise des Anfangs der intellektuellen Erkenntnis57 57 Dieser rezeptive Modus wird tatsächlich von Duns Scotus selbst auf die Engel, die reinen Intelligenzen ausgeweitet: außer den Prinzipien der objektiven Erkenntnis, die ihnen angeboren sind, müssen sie noch, um besondere Objekte zu erkennen, verschiedene Begriffe der existierenden Dinge empfangen: den der Individualität dieser Dinge, den der aktuellen Existenz und der Akzidenzien, selbst die allgemeinen Begriffe, insofern sie sie nicht schon apriori besitzen. Siehe Oxon. II, d. 3, q. 11, n˚11 sqq. Zu bemerken ist, dass Duns Scotus seine These gegen den heiliges Thomas aufstellt (cf. loc. cit. p. 487 sqq.). . Dadurch dass er die materielle Individualität in die Intelligibilität hinein bringt, könnte es also möglich sein, dass man so einen Teil der „Sinneswahrnehmung“ in den Verstand eingeführt hat. b) DAS ERFASSEN DES ALLGEMEINBEGRIFFS. 138 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 132 Die so stark ausgeprägte Passivität, womit Duns Scotus die Intelligenz in der konfusen Wahrnehmung der Einzel-Existenzen einschränkt, dehnt sich selbst über diesen anfänglichen Moment hinaus aus, bis zur ersten Phase der Bildung des Allgemeinbegriffs. Hier wie woanders kann das scotistische Vokabular („Intellektus agens“ „Tätigkeit des Intellekts“ usw.) den nicht-erfahrenen Lesern Sand in die Augen streuen. Achten wir darauf ein bisschen näher und versuchen wir, den großen Etappen einer nach der anderen zu folgen, die der Begriff bei seiner Entstehung durchschreitet, dem scharfsinnigen Doktor Scotus zufolge. Den Verlauf vom letzten Produkt der Sinneswahrnehmung, dem „Fantasma“, intelligibel nur der „Potenz“ nach, bis zum fertigen Begriff, als „aktuell (=wirklich) verstandenem“ (intellectum actu), zerlegt der franziskanische Philosoph in zwei Abschnitte: 10 Vom Intelligibile in Potenz = dem der Möglichkeit nach dem Verstand zugänglichen (Fantasma, sinnliches Bild) zum Intelligibile actu = dem schon akthaft, wirklich vom Verstand E r g r e i f b a r e n (intelligible Bestimmung, oder Spezies), die im Intellectus possibilis (= Verstand nur als Fähigkeit, noch nicht akthaft) produziert wird; species impressa. 0 2 Vom Intelligibile actu oder der species impressa, zum Intellectum actu = akthaft verwirklicht Verstandenes (EndProdukt des Verstehens). (Bemerkungen des Übersetzers: 1. wir behalten die durch Unterstreichung markierten lateinischen Namen bei der Übersetzung im Folgenden bei 2. Für die folgende Skizze muss der Übersetzer die Verantwortung übernehmen, sie befindet sich nicht im Original. ) . 139 B.III Antinomie des Einen und Vielen .................................... ....... ..... ..... ..... .... ... ... ... . ... .... ... ... ... .... ... ... .. ... . . ... . . . ... ... .... ..... ..... ..... ....... .................................... ... . .......... .... .......... ........... ................... . . . . . . ....... . .. ............................. ...... ........ ............ ........ ..... ......... ..... . . . . ........ ...... ..... ..... .... . ........ ..... ..... . ... . ..... ..... ..... . . . ... ..... . . . . ..... ... ... ... ..... ..... .. ..... . . . . . . ... ... . ..... ..... ......... . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ...... ... ...... ..... ... ......... . ............ . . . . ... . . . . . . .... ... ... . .. ................ ...... ... ...... .. ... .. ... .. ... .... ..... ... .. .. ... ... ... ... .... .. ... . ................................................................ ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... ... ... . ... .................................. ... . ... . . . . . ... ... . ... ... ... . . . . . ... . ..... ... ... ... .. .. . . . . . . . . . . ... . . . . ... ................ ... ... . ..................... . . . .. ............... . . . ... . . . . . .......... .. ...... ... .. . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . ............... ... .............. .. ... .... ... ... ..... .... ... ... ... ..... ..... ..... ... .... ... .......... ...... ........ ... ..... ....... .......... .... ..... . . . . . . . . . . . ........ ..... ..... ............................................ ...... ...... ....... ....... ........... ................................ Zur Entstehung des Begriffs nach Duns Scotus Erster Zweiter Abschnitt Abschnitt Objekt außerhalb Fantasma intelligibile in potentia Sinneswahrnehmung intelligibile in potentia =intellectum in potentia remota species impressa intelligibile actu ............................ ...... ........ ..... ..... ..... ... ... ... . ... .. . ... .... ... ........ ... . ...... ... .. ... .. ... .. . . ... . . . ... ..... ... .... ..... ....... ..... ................................. intellectus possibilis actu intellectum intelligibile actu =intellectum in potentia proxima Der zweite Abschnitt dieser Zerlegung betrifft unser Thema nicht direkt genug, dass wir uns hier damit aufhalten müssen. Duns Scotus58 58 Siehe insbesondere Quodlib. q. 15, n. 1 -20. Vol. XII, p. 410-431, und Oxon, I. d. 3, q. 7. Vol. V, p.572. betont dort, gegen Godefroid de Fontaine, eine eigentliche Aktivität der Fähigkeit und nicht nur eine Tätigkeit des Objekts oder der Spezies im endgültigen Akt des Verstehens; auf der anderen Seite hält er gegen Heinrich de Gand aufrecht, dass die Tätigkeit, die während der letzten Phase des Verstehens ausgeübt wird, nicht nur eine Tätigkeit der Intelligenz, sondern gleichzeitig eine Tätigkeit der species ist. Und dieser Tätigkeit der Intelligenz, insofern sie sich unterscheidet von der Tätigkeit der species, kann, so sagt er, konzipiert werden entweder wie eine Tätigkeit des Intellektus possibilis, oder vielmehr wie eine Verlängerung der Aktivität des Intellektus agens59 . 59 Ein Thomist wird sofort merken, dass die Wörter hier nicht genau den Sinn haben, den er ihnen gewohnheitsmäßig gibt. Aber wir legen keinen Nachdruck darauf und betrachten unverzüglich den ersten Abschnitt des gesamten Vorgangs des Verstehens: vom Fantasma zur species impressa. Von einem konkreten Objekt, das von der Einbildungskraft präsentiert wird, erwirbt die Intelligenz, sagt man uns, zwei Arten von Erkenntnissen: 1. Eine „intuitive“ Erkenntnis von der partikulären Existenz dieses Objektes60 60 Siehe Quaest. in Metaph. lib. 2, q. 3, n˚ 23. Vol. IV, p. 559 b; Quodlib. q. 7, n˚ 8. Vol. XII, p. 173; etc. 140 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 133 . 2. Eine „abstrakte“ Erkenntnis vom Wesen dieses Objektes. Man muss sich erinnern, dass die scotistische Abstraktion an erster Stelle und unmittelbar die aktuelle Existenz opfert und erst an zweiter Stelle die Individualität. Je nach dem Grad der Abstraktion bleibt das abstrakte Wesen einzeln oder wird universell: im ersten Fall bezieht sie wenigstens konfus die letzte formartige Bestimmung ein, die „species specialissima“ oder „haecceitas“ heißt. Obwohl sie mehr als ein Problem aufwirft, wird uns die intellektuelle intuitive Wahrnehmung der konkreten Existenz nicht besonders beschäftigen. Hinsichtlich der universellen Erkenntnis will Duns Scotus sie ganz und gar durch die aristotelische Theorie vom Intellektus agens erklären, freizügig interpretiert, das ist wahr. Nach seiner Meinung verläuft der Abstraktionsprozess folgendermaßen61 61 Es wäre bequemer gewesen, hier unsere Erklärung auf die Quaestiones de anima abzustützen. Aber da ihre Echtheit in Zweifel gezogen wird, wollen wir vermeiden, auf diesen Traktat zurückzugreifen, trotz des Kredits, dessen er sich bis in die Gegenwart erfreute.. Die physische Einwirkung der Objekte auf unsere Sinnesorgane lässt in uns das Fantasma oder das Bild entstehen. Das Fantasma macht die Vermittlung zwischen den äußeren Dingen und der Intelligenz: obwohl es für die Einbildungskraft der Form nach nur sinnliche Qualitäten zur Darstellung bringt, enthält es virtuell auf intentionale Weise (als geistiges Tun, in dem der Mensch sich auf etwas bezieht) diejenigen intelligiblen Elemente, die das äußere Objekt von seiner Seite her unter der Seinsweise der Existenz verbirgt. Das Fantasma bietet also dem Verstand die ganze Hierarchie der intelligiblen Seinsstufen (Grade), die Duns Scotus im Wesen als einzelnem unterscheidet : formartige Entitäten, gemeinsame Einheiten („unitates reales, minores unitate numerali“ = wirkliche aber weniger als numerische Einheiten), ineinander eingepasst und gekrönt durch die Haecceitas. Die Rolle des Intellektus agens besteht darin, die „Einheiten der Gemeinsamkeit“ – Wesen und Wesensstufen – zur eigentlichen Universalität emporzuheben, wobei das Fantasma sozusagen ihn dazu bringt, das in Angriff zu nehmen. Der Intellektus agens, so sagt man noch, bewirkt, dass das durch das Fantasma präsentierte potentielle intelligible „zum Akt übergeht“: „Der Intellektus agens hat zur Aufgabe, « Intellectus agentis est facere de non aus dem Nicht-Allgemeinen den Allgeuniversali universale, vel de intellec- meinbegriff zu machen, oder aus dem der to in potentia intellectum in actu » Möglichkeit nach Erkannten (intellectum (Oxon. I, d. 3, q. 6, n0 8. Vol. V, p. in potentia) das eirklich Erkannte (intellectum in actu)“ (Oxon. I, d. 3, q. 6, n˚ 521). 8. Vol. V, p.521). 141 B.III Antinomie des Einen und Vielen Bei diesem letzten Text könnte man glauben, die thomistischee Formel zu hören. Seien wir jedoch vorsichtig. Duns Scotus beruft sich auf Aristoteles, stellt jedoch seine eigene These der These des heiligen Thomas entgegen; er fasst sogar in einer einzigen massa damnata Thomisten und Nominalisten62 62 Quaest. in Metaph. lib. 7, q. 18, n˚ 5. Vol. IV, p. 722 b; Siehe die Anmerkung von Maurice du Port. 134 zusammen. Man muss also erwarten, dass man unter ähnlich erscheinenden Ausdrücken, einen ganz verschiedenen Sinn entdeckt. Darüber hinaus lässt sich der äußerliche, mehr scheinbare als wirkliche Paralellismus zwischen den beiden Lehrmeinungen – der Scotistischen und der Thomistischen – weit darüber hinaus verfolgen: zum Beispiel man verneint auf beiden Seiten, dass die Aktivität des Intellektus agens eine physische Wirkung hervorruft, sei es im Fantasma, das er nicht modifiziert, sei es im Intellectus agens selbst, der definitionsgemäß eine „rein aktive Potenz (potentia mere activa)“ ist (Oxon. loc. cit.). Die Wirksamkeit des Intellektus agens wirkt sich ausschließlich auf den Intellectus possibilis aus, wo er eine formartige Bestimmung, eine „species“ einbringt, die den logischen Charakter eines „Universale im Akt“ oder eines „Intelligibile im Akt“ hat, und so weiter. Um in den besonderen – keineswegs thomistischen – Sinn einzudringen, den Duns Scotus mit den klassischen oben in Erinnerung gerufenen Ausdrücken verbindet, genügt es, den Ausganspunkt und den Zielpunkt des Vorgangs, den er dem Intellektus agens zuweist, genau zu definieren Zuerst den Zielpunkt (terminus ad quem), das heißt den „Allgemeinbegriff (das Universale)“ oder das „Intelligibile in actu“ im Intellectus possibilis aufgenommen. Der Allgemeinbegriff wird von Duns Scotus (siehe oben S. 117) definiert in Ausdrücken die sehr genau zum „Allgemeinen im Aussagen = universale in praedicando“ der Thomisten passen würden. Er ist, so sagt man, „actu aussagbar von vielen“ ([ « actu dicibile de multis » ]Report. Paris., II, D. 12, q. 5, n0 12. Vol. XI, p. 328 b, und woanders), „actu unbestimmt , so dass ein Intelligibile, das der Zahl nach eines ist, von jedem Suppositum aussagbar ist“ ([ « actu indeterminatum, ita quod unum intelligibile numero, sit dicibile de omni supposito » ] Quaest. in Metaph. lib. 7, q. 18, n˚ 6. Vol. IV, p. 723 b)63 63 Cf. die in Oxon II, D. 3, q. 1, n˚ 8. Vol. VI, p. 360 entwickelte Definition.: „Das Universale in actu ist jenes, welches eine indifferente Einheit hat, nach der es selbst dasselbe ist in potentia proxima dass es von jedem Suppositum ausgesagt werden kann... durch eine Aussage, die sagt das ist das“ « Universale in actu est illud quod habet unitatem indifferentem, secundum quam ipsum idem est in potentia proxima ut dicatur de quolibet supposito ... praedicatione dicente hoc est hoc. » . 142 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung Dadurch unterscheidet es sich vom „Gemeinsamen“ [dem Commune], das eine wirkliche Entität ist, unvollständiges Universale „dem es absolut gesehen [auch vor jeder geistigen Abstraktion], nicht widerspricht, unter einer anderen Individual-Differenz (=Haecceitas?) zu sein, wenn sie auch actu unter dieser partikulären Differenz ist [ « cui absolute spectato [etiam ante omnem abstractionem mentis], non repugnat esse sub alia differentia individuali, licet actu sit sub hac particulari differentia » ]“ 64 ; 64 Cf. Oxon. loc. sup. cit. und auf der anderen Seite unterscheidet es sich auch vom Universale in „zweiter Intention“ oder vom „logischen Allgemeinbegriff“, das heißt vom Allgemeinen in dem die Beziehung der mehrfachen Aussagbarkeit ausdrücklich in ihr selbst erkannt wird: das Bewusstsein dieser Beziehung ist „der Natur nach später als der vollständige Begriff [der Universalität] ; [ denn eine gleichsam entgegengesetzte Unbestimmtheit, mit der der Mensch ein so Unbestimmtes ist, dass es durch einen einzigen Verstehensakt begriffen, quidditativ in jedem enthalten ist, geht natürlicherweise jener zweiten Intention, die die logische Universalität ist oder ein Verhalten von vielen ist, voraus“ (Quaest. in Metaph. loc. cit). [= Das Bewusstsein dieser Beziehung ist « posterior naturaliter ratione [uni- 135 versalitatis] completa; nam indeterminatio quasi contraria, qua homo est sic indeterminatum ut unica intellectione conceptum quidditative insit omni, praecedit naturaliter illam intentionem secundam, quae est universalitas Logica, sive habitudo de multis » (Quaest. in Metaph. loc. cit.). So wäre also der eigentliche Allgemeinbegriff, Zielpunkt der Operation des Intellectus agens, etwas Dazwischenliegendes zwischen der rohen Darstellung der „gemeinsamen Entitäten“, die schon formartig verschieden sind im außerhalb befindlich Objekt, und dem vollständig reflektierten Zustand des Allgemeinbegriffs, der sich im Bewusstsein zeigt, als „praedicabile de multis = von vielen Aussagbares“ („logisches Universale“ [universale logicum] oder „reflexes Universale“ [universale reflexum] bei den meisten Scholastikern.) Von welchem Terminus a quo muss der Intellectus agens ausgehen, um den Terminus ad quem zu errichten und zu fundieren, den wir gerade beschrieben haben? Dieser Terminus a quo besteht, nach Duns Scotus selbst, in einem intellectum in potentia = Verstehbaren (dem Fantasma), das entsprechend seiner entitativen Wirklichkeit und seiner formartigen Unterschiedenheit die Wesensgrade des Objektes durchscheinen lässt. Im Objekt besitzt in der Tat jeder dieser Grade seine ihm eigentümliche intelligible Entität und bleibt vereinbar mit anderen Differenzen (generischen, spezifischen oder individuellen) als denen, von denen er augenblicklich ergriffen ist65 143 B.III Antinomie des Einen und Vielen 65 65 Siehe zum Beispiel, Reportata Paris., II, d. 12, q. 5, n0 12. Vol. XI, p. 328 b : « Dico quod universale in actu non est nisi in intellectu, quia non est actu universale, nisi sit unum in multis et de multis, ita quod de multis est aptitudo proxima universalitatis in actu; quia non potest haberi in actu universale, quo ipsum est dicibile de alio sic, hoc est hoc, nisi per intellectum. Tamen ista unitas realis media inter numeralem et rationis, non est indifferentia universalitatis, quia hoc est actu dicibile de multis, sed solum est indifferentia, secundum quam non repugnet sibi esse hoc, et hoc simul. Tamen non potest, secundum istam realem unitatem minorem, esse simul hoc, et hoc, nisi in conceptu in intellectu, quod non est ex parte sui .... Unde non potest simul esse in hoc, et in isto, ideo ista communitas non est universalis complete. » Siehe zum Beispiel, Reportata Paris., II, d. 12, q. 5, n˚ 12. Vol. XI, p. 328 b: „Ich sage, dass das universale in actu nur im Intellekt ist, weil es nicht actu universell ist, wenn es nicht eines in vielen ist und von vielen. so dass die nächste Geeignetheit der Universalität in actu eine Eigenschaft von vielen ist, weil es in actu ein Universale, wodurch es aussagbar ist von einem anderen so, wie das ist das, nur geben kann durch den Verstand. Dennoch ist jene wirkliche mittlere Einheit zwischen der numerischen und der. der Vernunft keine Gleichheit der Universalität, weil dies actu aussagbar ist von Vielen, sondern es gibt nur eine Gleichheit, nach der es sich nicht widerspricht, das und das zugleich zu sein. Dennoch kann es nach dieser wirklichen geringeren Einheit nicht zugleich das und das sein, es sei denn im Begriff im Verstand, was von seiner Seite aus nicht ist ... Weshalb es nicht zugleich in diesem und in jenem sein kann, und deshalb ist jene Gemeinsamkeit nicht vollständig universell.“ Das Wesen im Bezug auf die Heacceitas und jeder Wesensgrad im Bezug zu dem Grad, der ihn zusammenzieht [kontrahiert], tragen also, vor jeder Intervention des Intellectus agens einen Koeffizienten der Unbestimmtheit, der sie fähig macht sich gegenseitig ausschließend in einer Menge von Untergeordneteren zu subsistieren („divisim“). Das heißt, dass das Objekt, das im Fantasma der intellektuellen Tätigkeit vorgestellt wird, schon Universelles enthält, wenn auch nur Universelles, das in der scotistischen Sprache das „Gemeinsame“ [=Commune] oder das „negative“ Universelle66 genannt wird. 66 Duns Scotus benennt diesen ersten Grad der Universalität „negative Universalität [universalitas negativa]“ oder „privative Unbestimmtheit“ [indeterminatio privativa], im Gegensatz zum fertigen Universale zu dem die „positive Universalität“ oder „konträre Universalität“ [ « universalitas positiva » , oder « contraria » ] gehört und die „vollständige Unbestimmtheit“ [ « indeterminatio completa » ] (Quaest. in Metaph. lib. 7, q. 18, n˚ 9. Vol. IV, p. 724 a.) . „dem es nicht widerspricht, unter ei« cui non repugnat esse sub alia ner anderen Differenz zu sein“, obwohl es differentia » , quamvis nondum sit noch nicht „actu aussagbar ist von Vie« actu dicibile de multis » . len“. 136 Demzufolge muss die primäre Tätigkeit des Intellektus agens einzig, so scheint es, wirklich aussagbar machen („actu aussagbar machen von vielen“) den unvollkommenen Allgemeinbegriff, von dem man annimmt, dass er von seiten der Sache her [=a parte rei] bestehe. Aber diesem unvollständigen Allgemeinen fehlt, um „aussagbar“ zu werden, wirklich nicht mehr als aufgenommen zu werden in einer Fähigkeit, die fähig ist durch Überlegung darin „die gemeinsame Einheit“ und „den nicht-Widerspruch zu anderen Differenzen“ zu erkennen . Die durch den Intellectus agens verliehene strenge Universalität läuft also nur auf die der Verwirklichung nahe Erkennbarkeit [cognoscibilitas proxima] 144 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung einer objektiven Möglichkeit hinaus, die Duns Scotus selbst qualifiziert als „negative Universalität“ oder als „privative Unbestimmtheit“. Wenn diese Unbestimmtheit im Objekt vor dem Auftritt des Intellectus agens besteht, wird dieser, im Unterschied zum Intellectus agens der Thomisten, also dem Begriff nicht die aktuelle Weise der Universalität bringen: allerhöchstens wird er eine vorherbestehende Universalität erheben bis auf die höhere intentionale Ebene, wo sie sich in einem reflexen Bewusstsein zeigen kann, in einer Fähigkeit zum Urteil67 . 67 67 « Quae est causa illius indeterminationis, qua objectum, cum habet esse primum in intellectu, est complete universale ? Respondeo quod non sola res .... Nec etiam intellectus possibilis .... Intellectus igitur agens, concurrens cum natura aliquomodo indeterminata ex se, est causa integra effectiva objecti in intellectu possibili secundum esse primum, et hoc secundum completam indeterminationem universalis.... Est ergo natura [absolute spectata] in potentia remota ad determinationem singularitatis, et ad determinationem universalis : et, sicut a producente conjungitur singularitati, ita a re agente, et simul ab intellectu agente, conjungitur universalitati. » (Quaest. in Metaph. lib. 7, q. 18, n0 8. Vol. IV, p. 724 a). – « Universalius nunquam apprehenditur quantum ad suam indifferentiam totam, quando apprehenditur in suo inferiori; tota enim indifferentia universalioris est, secundum quod ipsum ut conceptum est idem cuilibet inferiori : nunquam autem communius, ut conceptum tantum in inferiori aliquo, est idem cuilibet inferiori suo, sed praecise illi, in quo concipitur : ergo quodeumque universale conceptum in singulari, vel communius in minus communi, non concipitur secundum totam suam indifferentiam. Potest autem intellectus concipere illud secundum totam suam indifferentiam : ergo non concipitur praecise communius in minus communi, vel universale in singulari : et ita non praecise concipitur universale in phantasmate; phantasma enim non est proprie nisi ipsius singularis .... » (Oxon. I, d. 3, q. 6, n0 9. Vol. V, p. 524).. „Welches ist die Ursache jener Unbestimmtheit, durch die das Objekt, obwohl es gerade anfängt Sein im Intellekt zu haben, vollständig universal ist? Ich antworte , dass nicht die Sache allein ... auch nicht der intellectus possibilis ... sondern der Intellectus agens in Konkurrenz mit einer aus sich irgendwie unbestimmten Natur, die unangefochtene bewirkende Ursache des Objekts im Intellectus possibilis ist, dem Anfangs- Sein nach und zwar entsprechend der vollständigen Unbestimmtheit des Universale. .... Es ist also die Natur [absolut betrachtet] in potentia remota zur Bestimmung der Singularität, und zur Bestimmung des Universale: und wie sie vom Erzeugenden (producente) verbunden wird mit der Singularität, so wird sie von der handelnden Sache und zugleich vom Intellectus agens mit der Unniversalität verbunden.“ (Quaest. in Metaph. lib. 7, q. 18, n˚ 8. Vol. IV, p. 724 a) „etwas Allgemeineres wird niemals erkannt in Bezug auf seine ganze Gleichheit, wenn es begriffen wird in einem ihm Untergeordneten: die ganze Unbestimmtheit nämlich des Universelleren ist das, wonach es selbst als Begriffenes gleich ist jedem Untergeordneten. Niemals aber ist das Gemeinsamere, als nur in irgendeinem Untergeordneten begriffen jedem ihm Untergeordneten gleich, sondern genau demjenigen, in dem es begriffen wird: also jedwedes Universale, das in einem Singulären begriffen wird, oder Gemeinsamere im weniger Gemeinsamen, wird nicht begriffen entsprechend seiner ganzen Gleichheit. Der Intellekt kann aber jenes seiner ganzen Gleichheit nach begreifen: also wird nicht schlechthin das Gemeinsamere im weniger Gemeinsamen oder das Universale im Singulären begriffen: und so wird das Universale nicht schlechthin begriffen im Fantasma; das Fantasma ist nämlich nur dem Singulären selbst eigentümlich..... “ (Oxon. I, d. 3, q. 6, n˚ 9. Vol. V, p.524).. Die primäre Tätigkeit des scotistischen Intellectus agens scheint nichts anderes zu sein als die Aufnahme einer „natura absoluta“, oder eines „Universale im Ding“ [=universale in re], in die immaterielle Seinsart der Intelligenz. 145 B.III Antinomie des Einen und Vielen 137 Obwohl mit Aristotelismus gewürzt bleibt diese ganze scotistische Theorie der Abstraktion in ihrer Gesamtheit in der Linie des Platonismus, aber eines um die „Anamnese = Erinnerung an die Ideenerkenntnis im Vorleben“ und um den zugehörigen Inneismus (=Lehre von angeborenen Ideen) erleichterten Platonismus. Gibt es dabei aber nicht noch zu viel Platonismus oder schon zu viel Aristotelismus? Dass unsere Intelligenz tatsächlich die konfuse Erkenntnis des Einzelwesens oder die klare Erkenntnis der universellen Grade des Wesens erlangen würde, dies geschieht dem Gutdünken des Scotismus nach immer, nicht durch einen spontanen Synthesevorgang, der sich die konkrete Sinneswahrnehmung unterordnet, sondern unter der Berührung des schon im Objekt ausgebildeten und klaren Intelligiblen. Aber dann, mangels einer tatsächlichen intellektuellen Intuition sei es durch angeborene Ideen oder durch transzendente Erleuchtung, muss unsere Intelligenz vor dem sinnenhaften Objekt, als Aufnahmebehälter von klaren Intelligiblen „physisch“ und nicht nur „logisch“ passiv sein. Das aber hätte weder Plato noch Aristoteles zugegeben. Man kann sich fragen, ob eine niedrigere Passivität, ein rein äußerlicher Empfang von formartigen Bestimmungen, was auch immer sie wären,68 68 Siehe weiter oben S. 129, Note 55. in einer immateriellen Fähigkeit begreifbar ist und ob Duns Scotus nicht die erste Phase der intellektuellen Abstraktion auf das Niveau einer höheren Sensibilität vermindert. Mehr oder weniger macht er auf diesem Niveau die Trennlinie zwischen den Sinnen und dem Verstand ungewiss. Woanders schon machte er es uns unmöglich, die „reine Materie“ anzunehmen, und hier hält er uns davon ab, das Immaterielle mit einem klaren Gedankengang zu definieren; hier lässt er selbst den intellektuellen Bereich und die rezeptive Art der Sensibilität sich überschneiden. Um diese der Intelligenz gegenüber zu stellen, behält er im Vorbehalt zweifellos die Unverträglichkeit zwischen der konkreten Ausgedehntheit, die für einen Modus der Fähigkeit der Sinne gehalten wird, und die Einfachheit (oder Unausgedehntheit), die die intellektuelle Reflexion in einem späteren Stadium des Verstehens verlangt. Jedoch das Problem des Immateriellen und des Materiellen, so klar gelöst im Thomismus dank des Begriffs der reinen Passivität, verliert hier vieles von seinem Umfang und seinen tiefen metaphysischen Anknüpfungspunkten. Als Lösung, die für die Antinomie der Sinne und des Verstandes vorgebracht wird, erscheint uns die psychologische Theorie des Begriffes weniger einsichtig und weniger stark verknüpft bei Duns Scotus als beim heiligem Thomas. Würde dieser Nachteil wohl auf dem rein logischen Gebiet ausgeglichen werden? Würde die scotistische Lehre von den Allgemeinbegriffen besser sicherstellen, wie man es manchmal behauptet, ihre notwendige Gültigkeit für die Wirklichkeit? Bald wird Ockham, mit weniger Vorbehalt als Duns Scotus, ebenfalls unsere 146 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 138 intellektuelle Erkenntnis anfangen lassen mit der direkten Wahrnehmung der materiellen Einzeldinge. Und er wird ungefähr wie folgt argumentieren: Wenn die individuellen Wesenheiten das erste Erkannte sind, ist die Bildung der Allgemeinbegriffe in unserem Denken nicht mehr als eine sekundäre, reflexe Operation, vollzogen an unseren ursprünglichen Nachbildern der Individuen: eine Klassifizierung oder eine Auswahl, kaum was anderes. Selbst von der Ähnlichkeit der sinnlichen Erscheinungen geführt, wird sie uns von Rechts wegen nie mehr liefern, als subjektive Gesichtspunkte, allgemeine Symbole, die die Individuen in gleichförmige Reihen gruppieren, die an unserer Erfahrung vorbeiziehen. Aber nichts gewährleistet, dass diese Symbole, die durch uns gebildet oder zugeschnitten werden, genauso viele essentielle Notwendigkeiten im Objekt ausdrücken. Zu dieser Bemerkung von Ockham könnte man hinzufügen, dass eine reflektierte Abstraktion, die, ausgehend von Einzel-Wesenheiten, einzig begründet ist auf sukzessiven Verallgemeinerungen, unvermeidlich das Wirkliche deformieren muss: die so begründeten Gattungen und Arten greifen im individuellen Wesen nirgends genau ineinander69 ; 69 Vergl. weiter oben SS. 86-89. die Antinomie zwischen dem Einen und dem Vielfachen kündigt sich da an. Die scotistische Theorie der Universalien fällt, trotz der Priorität, die auch sie den Einzel-Begriffen zuteilt, nicht unmittelbar unter diese Kritik. Denn sie schreibt die erste Bildung des Allgemeinbegriffs nicht einer überlegten und vergleichenden Tätigkeit zu70 . 70 Von dieser reflexen Tätigkeit hängt bei Duns Scotus nur die nächste Erkennbarkeit des Allgemeinen ab, das schon als „unitas communis = Einheit der Gemeinsamkeit“, in den Dingen selbst anwesend ist. Der Autor von De rerum principio stützte sich mehr auf das reflexe Moment der verallgemeinernden Abstraktion: « Prius cognoscit intellectus singulare quam „Der Intellekt erkennt früher das Einzelne als das universale. Impossibile est enim quod ra- Universelle. Es ist nämlich unmöglich, dass er den tionem universalis ab aliquo abstrahat, nisi Begriff der Universalität von irgendetwas abstraid, videlicet a quo abstrahit, praecognoscat » hiert, wenn er es, nämlich das, von dem er abstra(De rerum principio, q. 13, n0 44. Vol. III, hiert, nicht vorher erkennt“ (De rerum principio, q. 13, n˚ 44. Vol. III, p. 117 b.) p. 117 b). Dennoch bleibt diese Abstraktion analytisch und der Gesichtspunkt ist nicht durch und durch von dem von Duns Scotus verschieden. Sie führt auch nicht irgendein positives Missverhältnis zwischen der Darstellung der generischen oder spezifischen Grade und ihrer Verwirklichung im Individuum ein. Aber zu welchem Preis vermeidet Duns Scotus diese Nachteile und rettet den strengsten Realismus? Zum Preis – wir wissen es – eines willkürlichen Dogmatismus, der nicht ohne Gefahr ist, und zwar weil er die strenge Einheit der individuellen Substanz im Objekt selbst opfert. Wenn man darin einwilligt, das Sein der Substanz in genauso viele Entitäten zu zerstückeln, wie sie unserem 147 B.III Antinomie des Einen und Vielen 139 Geist an gestaffelten potentiellen und formartigen Graden präsentiert – mit anderen Worten, wenn man die „distinctio formalis a parte rei“ von Duns Scotus, d.h. die Überlagerung der abstrahierten Begriffe in der Definition eines Objektes, annimmt, entsteht wieder ein treues Bild der Wirklichkeit. Aber im Übrigen erscheint sofort die Antinomie wieder. Welche „Wirklichkeit“ erwirbt man sich in der Tat auf diese Weise? Eine als sie selbst widersprüchliche Wirklichkeit, die durch eine Zusammensetzung von Einheiten und Vielfachen definiert wird, die dem innerlichen Widerspruch nicht entkommen zu können scheint: Widerspruch zwischen der substantiellen Einheit des Individuums und der entitativen Vielfalt der „Form-Entitäten“; Widerspruch zwischen der entitativen Einheit jedes metaphysischen Grades und der entitativen Vielfalt der weniger universellen metaphysischen Grade, die sie von innen her bestimmen und sie zerlegen. Es würde sicher ein Mittel geben, diesen unmittelbaren Widerspruch zu vermeiden: das würde sein, noch vollständiger auf die substantielle Einheit des Individuums zu verzichten, oder auf die eigentlich intelligible Einheit des objektiven Begriffs, um von beiden einfache akzidentelle Gruppierungen zu machen, die jeweils ein „unum per accidens = akzidentell Eines“ wären: man würde dann öffentlich bekennen, dass die wahre Substanz sich in jedem Element des aktuellen Seienden zu finden ist; das wahre Intelligible in jedem Element der Intelligibilität. Aber man würde nur einer Antinomie entkommen, um in eine andere zu fallen: das würde schließlich zu dieser empiristischen Pulverisierung des Seins führen, die uns später als fernes aber logisches Ergebnis des Ockhamismus erscheinen wird. II. . Die Antinomie des Verstandes und der transzendenten Vernunft. 140 Trotz des genialen Scharfsinn seiner Analysen ist es Duns Scotus also gar nicht gelungen den Konflikt der Sinneswahrnehmung und des Verstandes aus dem Weg zu räumen: in dieser Beziehung ist seine Philosophie ein Abfallen gegenüber dem Thomismus. Wird sie mehr Glück haben bei der zweiten Antinomie, der vom Verstand und der Vernunft? Hier würde es noch auf den ersten Blick scheinen, dass die Antinomie glänzend überwunden ist: zwischen den Erfahrungsobjekten und dem transzendenten Objekt, schlägt der Scotismus als eine Brücke die Univozität des Seins. Ist nicht überhaupt auf jeden Fall die Einheit eines univoken (= eindeutigen) Begriffes, d.h. eines gemeinsamen Intelligiblen, eine sehr viel engere Einheit als die der „Analogie“ der Thomisten? Wir werden feststellen, bis zu welchem Grad dieser Schein eine Täuschung ist. a) Die Univozität des Seins. Der heilige Thomas hatte sich in der lebenswahren Einheit des objektiven Begriffs ein Perspektivitätszentrum gegeben, wo 148 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung sich durch Synthese, die entgegengesetzten Prinzipien der Einheit und der Vielfalt wie zufällig ausglichen: die „Washeit der materiellen Dinge = quidditas rerum materialium“, das der menschlichen Intelligenz eigentümliche Objekt, stellte eine Zusammenfassung der Gesamtheit des Seins dar. Diese „Washeit = quidditas“ war wie etwas zwischen zwei transzendentalen Beziehungen Schwebendes, der einen zum Unbestimmten (Indefinitum) der reinen Materie, der anderen zur Unendlichkeit (Indinitum) des absoluten Seins, dem reinen Akt (actus purus). In der Philosophie von Duns Scotus ist dieses Perspektivitätszentrum, das die Extreme des Universums innerhalb einer notwendigen objektiven Einheit gleichzeitig ins Auge fasst, verschwunden. In der Tat sieht man im Scotismus nicht mehr, warum die „Washeit“ der materiellen Dinge und nicht ganz kurz die „Washeit“ das ursprüngliche Objekt der menschlichen Intelligenz sein soll: denn Duns Scotus erkennt nicht, wie der heilige Thomas bei der Bildung des Einzel-Begriffs und in der Potenz zur objektiven Vervielfachung des abstrakten Begriffes eine notwendige Beziehung zur konkreten Quantität; da die körperliche Individualität in seinen Augen unmittelbar intelligibel ist, spielt sich der ganze Vorgang des Verstehens in seinen wesentlichen Bedingungen ohne Rücksicht auf die reine Materie ab. Wenn das anfängliche Zusammenwirken der Sinnw und des Verstandes tatsächlich unvermeidlich erscheint, so ist das allerhöchstens nach Art einer Voroder begleitenden Bedingung für den Vorgang des Verstehens: die Sinne vergegenwärtigen dem Subjekt das individuelle Objekt, dessen itelligible Elemente dann die intellektuelle Fähigkeit unmittelbar beeindrucken können. Weniger als das: die Kooperation von Sinn und Verstand ist im Grund nur akzidentell: ärgerliches Bedürfnis unserer „gefallenen“ Natur, oder göttliche Verordnung, die man feststellt, ohne sie zu erklären, aber nicht, wie der heilige Thomas es versteht, wesentliche Unvollkommenheit der diskursiven Intelligenz. Im Opus oxoniense lesen wir: 149 B.III Antinomie des Einen und Vielen 141 « Objectum primum potentiae assignatur illud, quod adaequatur potentiae in ratione potentiae; non autem, quod adaequatur potentiae ut in aliquo statu .... Nunc autem, ... nihil potest adaequari intellectui nostro ex natura potentiae in ratione primi objecti, nisi communissimum : tamen, pro statu isto, ei adaequatur, in ratione motivi, quidditas rei sensibilis .... Si quaeritur Quae est ratio istius status? Respondeo, status non videtur esse nisi stabilis permanentia legibus divinae sapentiae firmata. Stabilitum est autem illis legibus sapientiae quod intellectus noster non intelligat, pro statu isto, nisi illa quorum species relucent in phantasmate, et hoc sive propter paenam originalis peccati, sive propter naturalem concordiam potentiarum animae in operando .... Ista tamen concordia quae est de facto pro statu isto, non est ex natura nostri intellectus, unde intellectus est, nec etiam unde in corpore est. » (Oxon. I, d. 3, q. 3, n0 24. Vol. V, p. 46671 „Als erstes Objekt wird der Potenz das zugeschrieben, was der Potenz unter der Rücksicht der Potenz gleicht; nicht aber was der Potenz gleicht insofern sie in einem Zustand ist.... Nun aber... kann aus der Natur der Potenz heraus unserem Intellekt unter der Rücksicht des ersten Objekts nur das Gemeinsamste gleichen. Dennoch gleicht unter der Rücksicht des Motivs für diesen Stand nur die Washeit des sinnlichen Dings ...Wenn man fragt, welches ist der Begriff dieses Standes? antwworte ich: Der Stand scheint nichts anderes zu sein als eine stabile Dauer durch Gesetze der göttlichen Weisheit festgesetzt. Es ist aber festgesetzt durch jene Gesetze der Weisheit, dass unser Verstand im gegenwärtigen Stand nur jenes versteht, dessen Bilder im Fantasma aufleuchten und das, sei es wegen der Strafe für die Ursünde, sei es wegen der natürlichen Harmonie der Potenzen unserer Seele im Vollzug... Jene Harmonie jedoch, die tatsächlich in diesem Stand da ist, ist nicht aus der Natur unseres Verstandes da, weshalb er Intellekt ist, noch auch weshalb er im Körper ist.“ (Oxon. I, d. 3, q. 3, n˚ 24. Vol. V, p. 46671 71 Um zu erklären, dass unsere Seele die beständige Intuition von sich selbst nicht hat, rekurriert Duns Scotus auch auf diesen kontingeten Umstand, den man den Fall der Ureltern nennt: « Forte propter peccatum ...» (Oxon. II, „drastisch wegen der Sünde...“ (Oxon. II, D. d. 3, q. 8, n0 13. Vol. VI, p. 443). Ver3, q. 8, n˚ 13. Vol. VI, p.443). Vergleiche die geliche die Qaaest. de anima (q. 19, no 5. Qaaest de anima, (q. 19, n˚ 5. Vol. II, p. 558 Vol. II, p. 558 a) : «... prius apprehendia): „... zuerst begreifen wir die Washeiten der mus quidditates sensibilium, quia pro statu Sinnesdinge, weil wir im Stand der gefallenen naturae lapsae, nihil intelligimus nisi cum Natur nur mit Hilfe der Sinne erkennen können.“ ministerio sensuum. » so also sollte unsere Intelligenz in der Unversehrtheit ihrer Natur, selbst vereint mit dem Körper, normalerweise die Intelligiblen unmittelbar wahrnehmen. Wenn das eigentümliche und primäre Objekt der menschlichen Intelligenz nicht die „Washeit der materiellen Objekte“ ist und auch gar nicht – wie Duns Scotus 150 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung zeigt – weder Gott selbst noch die Substanz als solche noch die transzendentalen Attribute des Seins (Wahrheit, Gutheit), bleibe nur, dass dieses Objekt mit dem zusammenfällt, was es Allgemeineres im Sein gibt, das heißt das Seiende = ens als solches oder die Entität: „Das erste natürliche Objekt unseres Verstandes ist das Seiende insofern es Seiend ist“ ([ « Primum objectum intellectus nostri naturale, est ens in quantum ens » ] Oxon. Prolog, q. 1, n˚ 1. Vol. V, p.3). S. Thomas, der ebenso die Kapazität unserer Intelligenz sich so weit wie der Begriff des Seienden erstrecken ließ, veranschlagte dafür nur, dass das Seiende als solches in seiner absoluten Universalität das unmittelbare und proportionierte Formalobjekt dieser Intelligenz wäre. Es gibt da, wenn man die zwei großen Lehrer gegenüberstellt, mehr als eine einfache Nuance. Um alles in einem Wort zu sagen: die thomistische Formel impliziert die Analogie des Begriffs des Seienden; die scotistische Formel dagegen setzt die Univozität des Seienden von oben bis unten auf der Stufenfolge des Seins voraus. Worin besteht genau diese Univozität? Zwischen der intuitiven intellektuellen Erkenntnis des transzendenten Objekts – einer Intuition, die Duns Scotus uns nicht mehr als S. Thomas zuteilt, – und der rein analogen Erkenntnis, – findet der scharfsinnige Lehrer Platz für eine eigentümliche und „washeitliche“ Erkenntnis: 151 B.III Antinomie des Einen und Vielen 142 « Non tantum haberi potest conceptus naturaliter, in quo quasi per accidens concipitur Deus : puta in aliquo attributo, sed etiam aliquis conceptus in quo per se et quidditative concipiatur Deus » (Oxon. I, d. 3, q. 2, n0 5. Vol. V, p. 391). La connaissance quidditative (secundum quod quid est) dont on parle ici, est constituée par groupement de concepts empruntés aux objets créés 72 . 72 « Creaturae, quae imprimunt proprias species in intellectu, possunt etiam imprimere species transcendentium, quae communiter conveniunt eis et Deo. Et tunc intellectus propria virtute potest uti multis speciebus simul ad concipiendum illa simul, quorum sunt istae species, puta specie boni, specie summi, specie actus, ad concipiendum summum bonum, et actualissimum, quod apparet sic per locum a minori. Imaginative enim potest uti speciebus diversorum sensibilium, ad imaginandum compositum ex his diversis, sicut apparet imaginando montem aureum » (Oxon. I, d. 2, q. 2, n0 18. Vol. V, p. 403). „Man kann nicht nur natürlicherweise einen Begriff haben, in dem gleichsam akzidentell Gott begriffen wird, zum Beispiel in irgendeinem Attribut, sondern auch wenigstens ein Begriff, in dem Gott an sich und washeitlich begriffen wird.“ (Oxon. I, d. 3, q. 2, n˚ 5. Vol. V, p.391). Die washeitliche Erkenntnis (entsprechend dem, was einer ist), von der hier die Rede ist, besteht aus einer Gruppierung von von den geschaffenen72 Objekten entlehnter Begriffe. 72 „Die Geschöpfe, die ihre eigenen Bilder (species) dem Intellekt einprägen, können auch Bilder (species) der Tranzendenten einprägen, die ihnen und Gott gemeinsam zukommen. Und dann kann der Intellekt aus eigener Kraft vielerlei Bilder zugleich verwenden um jene zugleich zu begreifen, von denen diese Bilder sind, zum Beispiel das Bild des Guten, das Bild des Höchsten, das Bild des Aktes um das höchste und akthafteste Gut in Begriffe zu fassen, was so erscheint vom kleineren her der Reihenfolge nach. Vorstellungsmäßig kann man nämlich Bilder verschiedener Sinneswahrnehmungen verwenden, um sich ein Zusammengesetztes aus diesen Verschiedenen vorzustellen, wie man sieht bei der Vorstellung eines Gebirges aus Gold.“ (Oxon. I, d. 2, q. 2, n˚ 18. Vol. V, p.403). Obgleich unter einer unvollkommenen Form, stellt diese Gruppierung die transzendente Wirklichkeit nicht nur in ganzer Eigentümlichkeit dar (eigentlich [=proprie] im Gegensatz zu metaphorisch) sondern direkt. Darin unterscheidet sich die scotistische washeitliche Erkenntnis radikal von der thomistischen analogen Erkenntnis, die immer die direkte „Darstellung“ eines endlichen Objekts bleibt und das transzendente Objekt nur indirekt als Ziel einer Relation „ausdrückt“ 73 152 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 73 Voir, chez S. Thomas (S. th., 1, 13, 2, 30 ), la distinction tracée entre la « signification » et la « représentation » dans les concepts analogiques. La possibilité d’étendre la signification d’un concept au delà de ce qu’il représente directement, repose sur la possibilité de découvrir, dans l’objet directement représenté, une « relation » , une « proportion » essentielle, le rapportant à une autre chose, qui ne serait d’ailleurs accessible que par cette relation même. Dans la connaissance de Dieu à partir des créatures, cette relation révélatrice est la dépendance causale; elle implique, certes, une similitude formelle entre la cause et l’effet, mais elle ne nous fournit pas le moyen d’apprécier cette similitude en la rapportant à une commune mesure : au point de vue formel ( « per viam similitudinis » ), notre connaissance de Dieu est positive, mais reste analogique. Selon Duns Scot, au contraire, la connaissance de Dieu comme cause ne pourrait être en même temps une connaissance « formelle » , que moyennant des concepts « communs » univoques et nettement contourés. « Considerando Deum sub ratione causae ex creaturis, bene cognoscitur proportionaliter : sed hoc modo non cognoscitur aliqua perfectio de Deo formaliter, sed causaliter, scilicet quod Deus sit causa talis perfectionis : attributa autem sunt perfectiones simpliciter dictae de Deo formaliter : ergo talia cognoscuntur de Deo, non solum per viam proportionis, sed etiam per viam similitudinis, ita quod oportet ponere aliquem conceptum communem in talibus Deo et creaturae » (Oxon. I, d. 8, q. 3, n0 10. Vol. V, p. 722). 143 73 Siehe bei S. Thomas, S. th., 1, 13, 2, 30 , die Unterscheidung, die zwischen der „Bedeutung“ und der „Darstellung“ bei den analogen Begriffen gezogen wird. Die Möglichkeit, die Bedeutung eines Begriffes zu erweitern, jenseits dessen, was er direkt darstellt, beruht auf der Möglichkeit, zu entdecken im unmittelbar dargestellten Objekt, eine „Beziehung“, eine wesentliche „Proportion“, die sie auf etwas anderes beziehen, die von woanders aus nicht zugänglich wäre als gerade durch diese Relation. In der Erkenntnis Gottes ausgehend von den Geschöpfen ist diese offenbarende Relation die kausale Abhängigkeit; sie impliziert sicherlich eine Ähnlichkeit der Form nach zwischen Ursache und Wirkung, aber sie liefert uns nicht das Mittel, uns eine richtige Vorstellung zu machen von dieser Ähnlichkeit, indem man sie auf einen gemeinsamen Maßstab bezieht: im formalen Gesichtspunkt (auf dem Weg der Ähnlichkeit) ist unsere Erkenntnis Gottes positiv, bleibt aber analog. Nach Duns Scotus dagegen könnte die Erkenntnis Gottes als Ursache nicht gleichzeitig eine „formale“ Erkenntnis sein, es sei denn vermittels „gemeinsamer“ univoker und klar umrissener Begriffe. „Wenn man Gott betrachtet unter der Rücksicht der Ursache von den Geschöpfen her, wird er gut erkannt dem Verhältnis nach (proportionaliter): aber auf diese Weise wird nicht irgendeine Vollkommenheit von Gott der Form nach erkannt (formaliter) sondern kausal nämlich dass Gott die Ursache dieser Vollkommenheit ist: Attribute aber sind schlechthin von Gott der Form nach (formaliter) ausgesagte Vollkommenheiten: also werden solche von Gott erkannt nicht nur auf dem Wege des Verhältnisses (per viam proportionis) sondern auch auf dem Wege der Ähnlichkeit, so dass es sich ziemt irgendeinen Begriff festzusetzen, der darin Gott und der Kreatur gemeinsam ist“ (Oxon. I, d. 8, q. 3, n˚ 10. Vol. V, p.722).. Man sieht leicht unter welcher Bedingung, die voll von Duns Scotus anerkannt wird, eine „washeitliche (=quidditative)“ metempirische Erkenntnis möglich und berechtigt wird: das ist der Fall, wenn die begrifflichen Elemente, die in den Erfahrungsobjekten zusammengelesen werden, in ihrer Anwendung auf transzendente Objekte univok, identisch im intelligiblen Inhalt bleiben. Auch der erste dieser Begriffe, das Sein (Seiende), das bei Duns Scotus das der menschlichen Intelligenz eigentümliche Objekt definiert, kann nicht etwas andere bezeichnen als ein univokes Seiendes im eigentlichen Sinn, intelligibles Element, das Gott und dem Geschöpf als gemeinsam vorausgesetzt wird74 . 74 Cf. Oxon. I, d. 3, q. 2 und 3. Vol. V, vor allem p. 392 sqq. und 444 sqq. Vergleiche De Anima, q. 21, n˚ 7-15. Vol. II, p. 566 -568. Die Univozität des Seins, gemeinsames Attribut von Gott und dem Geschöpf, ist also wohl diese strenge Univozität, die Duns Scotus „univocatio entis in quid 153 B.III Antinomie des Einen und Vielen = Eindeutigkeit im Was“ nennt. Aber wir vergessen nicht, dass der gleiche Lehrer jede „quidditative = washeitliche“ Beschreibung des univoken Begriffs des Seienden abwälzt auf die „letzten Differenzen“ der Dinge so wie auf die transzendentalen Eigenschaften des Seins, (auf die „passiones entis = Affekte des Seienden“). Die Aussage des Seienden geschieht also garnicht überall in einer gleichförmigen Weise: und, wenn man will, ist darin schon ein gewisses Korrektiv angebracht an der scotistischen Univozität. Um zu vermeiden, uns mit unendlichen Einzelheiten beschäftigen zu lassen, lassen wir diesen Aspekt der Frage, der unser Thema weniger unmittelbar betrifft, beiseite. Wir werden unsere Ermittlung auf den Bereich der Univozität im Was [in quid] beschränken. Dabei spricht Duns Scotus zu unserer Überraschung auch schon von Analogie, als ob die Analogie sich mit der Univozität vereinigen könnte. Zwischen ihm und gewissen zeitgenössischen Magistri, die am analogen Seienden festhalten, gäbe es darin, so glaubt er, nur eine Verschiedenheit der Terminologie: „Die Magistri beachten, wenn sie das « Hoc [hic?] etiam Magistri tractan- [darin] von Gott handeln, ... die Univozites de Deo... observant univocatio- tät des Seienden in ihrer Art und Weise nem entis in modo dicendi, licet voce zu reden, wenn sie es auch mit Worten hoc negent » (Reportata Paris., I, d. leugnen.“ (Reportata Paris., I, d. 3, q. 1, 3, q. 1, n0 7. Vol. XI, p. 43 b). n˚ 7. Vol. XI, p. 43 b). Und er gibt dann vom Univoken eine minimale Charakteristik, die, nimmt man sie wörtlich, sich auch anwenden ließe auf die Analogie der Thomisten75 : 75 Bei diesen letzteren ist das analoge Seiende, auch wenn es keine homogene Einheit ist, doch nicht jeder Einheit beraubt: es bewahrt die subjektive Einheit einer konfusen Darstellung und die objektive Einheit einer transzendentalen Beziehung („habitudo = Gestalt, Gewohnheit“); das genügt, damit es mit einem stabilen logischen Wert auftreten kann in Gegenüberstellungen zum Aufzeigen eines Widerspruchs. Wenn Duns Scotus die thomistische Analogie bekämpft, behandelt er sie wie eine reine Äquivozität: das zeigt aber mindestens, dass er nicht sehr genau die Stellung seiner Gegner kannte. Ist er dann wohl ein besserer Exeget, wenn er glaubt das univoke Seiende im analogen Seienden der Magistri zu finden, wie er es in den Reportata erwähnt?: « Et ne fiat contentio de nomine univocationis, conceptum univocum dico, qui ita est unus, quod ejus unitas sufficit ad contradictionem, affirmando et negando ipsum de eodem » (Oxon. I, d. 3, q. 2, n0 5. Vol. V, p. 392). 144 „Und damit es keinen Wortstreit über den Namen der Univozität gibt, nenne ich einen univoken Begriff einen, der so eine Einheit hat, dass seine Einheit für einen Widerspruch genügt, wenn man dasselbe vom selben bejaht und verneint“ (Oxon. I, d. 3, q. 2, n˚5. Vol. V, p.392). Lassen wir uns nicht durch die Wörter täuschen. Es ist offenkundig, dass Duns Scotus die logische Einheit anders versteht als der heilige Thomas, ich meine die logische Einheit, auf die er Bezug nimmt in seiner minimalen Definition76 , 154 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 76 Um darüber an Hand eines interessanten Texts zu urteilen, (den R. P. Longpré zitiert, op. cit., p. 97 in der Fußnote), so war schon am Anfang des XIVen Jahrhunderts die Meinung des Thomisten Thomas de Sutton, O. P. folgendermaßen: „ Was [Scotus] über die Univozität des Seins sagt wenn er unter Univozität nicht mehr verstehen würde (als) was er sagt, dass er verstehen will, wäre seine Aussage tolerabel, auch wenn die Philosophen nicht jedes solche univok nennen, was für einen Widerspruch genügt oder für die Einheit eines Mittelbegriffs im Syllogismus; aber dennoch erweitert er es selbst, weil er will, dass das Seiende ganz und gar nur univok ist: « Quod dicit [Scotus] de univocatione entis, si per univocationem non plus intelligeret (quam) quod dicit se velle intelligere, tolerabile esset dictum suum, quamvis philosophi non omne tale univocum vocent quod sufficit ad contradictionem vel ad unitatem medii in syllogismo; sed tamen ipse extendit, volens quod ens sit omnino univocum. » Die logische Einheit des univoken Seienden repräsentiert in seinen Augen die Einheit eines wahrhaften objektiven Begriffs = ratio objektiva, die als Rest übrig bleibt nach Abstraktion aller beliebigen Differenzen, wohingegen die logische Einheit des analogen Seienden für die Thomisten nicht fähig wäre, eine positive Abstraktion der ersten Differentiationen des Seins zu machen: immer hüllt sie sie ein in ihre objektive Bedeutung, entweder konfus (woher der Anschein der Univozität kommt) oder genau (distinkt) (wenn die grundlegende Analogie des Begriffs sich offenbart). Die von Duns Scotus angewandte Vorgehensweise, um den univoken washeitlichen Begriff des Seienden zu erhalten – man würde dazu das gleiche sagen von den univoken Begriffen der einfachen Vollkommenheiten – ist ausschließlich ein Verfahren der formalen Abtrennung, der begrifflichem (= Reinigung), ein „Weg der Wegnahme“, der ganz in der platonischen77 Linie bleibt kjarsic 77 Siehe zum Beispiel den folgenden oder andere ähnliche Texte: „Jede metaphysiche Untersuchung über Gott geht so vor sich nämlich durch Erwägung einer formartigen Rücksicht von irgendetwas und Wegnehmen aus jener formalen Rücksicht alles was darin Unvollkommenheit in den Geschöpfen ist und durch Erhaltung dieser formalen Rücksicht und indem man ihr zuschreibt die ganz und gar höchste Vollkommenheit und so jenes Gott zuschreibt. Beispiel die formale Rücksicht der Weisheit oder des Verstandes oder des Willens: sie wird nämlich zuerst in sich und entsprechend ihrer selbst betrachtet und daraus, dass der Begriff von diesen formal nicht irgendeine Unvollkommenheit noch Begrenzung einschließt, werden von ihr die Unvollkommenheiten, die sie in den Geschöpfen begleiten weggenommen und unter Erhaltung gerade der Rücksicht der Weisheit und des Willens werden diese Gott auf vollkommenste Weise zugeschrieben; 155 B.III Antinomie des Einen und Vielen Also setzt jede Untersuchung von Gott voraus, dass der Verstand denselben univoken Begriff hat, den er aus den Geschöpfen empfängt (accipit)“ (Oxon. I, d. 3, q. 2, n˚ 10. Vol. V, p.394). « Omnis inquisitio Metaphysica de Deo procedit sic, scilicet considerando formalem rationem alicujus, et auferendo ab illa ratione formali imperfectionem quam habet in creaturis, et reservando illam rationem formalem, et attribuendo sibi omnino summam perfectionem, et sic attribuendo illud Deo. Exemplum de formali ratione sapientiae vel intellectus, vel voluntatis : consideratur enim primo in se et secundum se, et ex hoc quod ratio istorum non includit formaliter imperfectionem aliquam, nec limitationem, removentur ab ipsa imperfectiones quae comitantur eam in creaturis, et reservata eadem ratione sapientiae et voluntatis, attribuuntur ista Deo perfectissime ; ergo omnis inquisitio de Deo supponit intellectum habere conceptum eumdem univocum quem accipit ex creaturis » (Oxon. I, d. 3, q. 2, n0 10. Vol. V, p. 394). 145 Das Vorgehen der Thomisten, um ihren Begriff des analogen Seienden zu klären kann nicht vollständig zurück geführt werden auf eine Reinigung, , die aus unseren unmittelbaren Begriffen die formartigen Differenzen eliminieren würde; es bleibt nicht beim univoken Sein als universellem Rest unserer „Vorstellungen“ der Objekte stehen; es besteht vor allem darin, zu entdecken, gerade unter dem univoken Sein – sagen wir genauer: in den Objekten die der Begriff des univoken Seienden vereinigt – eine transzendentale Beziehung zu begreifen, die ihre ganze ontologische Vielfalt zusammenlaufen lässt in einen höheren überlegenen und absoluten Grenzpunkt, der nur darstellbar ist durch diese Beziehung; aber das beinhaltet eine formartige Analogie, schließt aber die Univozität oder den gemeinsamen Maßstab aus. Was auch immer der jeweilige Wert dieser zwei Konzepte des Seins wäre, wir müssen wohl feststellen, dass sie sich ohne mögliche Vermittlung widersprechen78 . kjarsic 78 Der Leser nimmt zweifellos das enge Band wahr, das die These von der Univozität des Seins mit anderen grundlegenden Punkten der scotistischen Lehre verbindet zum Beispiel mit der Lehre von den Formen, ausgespannt bis zu den Attributen Gottes (Oxon. I, d. 8, q. 4, n˚ 17 sq.), oder auch zur Theorie der transzendentalen Zahl, von der wir weiter oben gesprochen haben„ (S.128).. Ein so ernsthaft univoker (eindeutiger) Begriff, der selbst dem Denken Duns Scotus zufolge, dass nämlich der washeitliche Begriff des Seienden, so scheint es, da er positiv ist und da er total Abstraktion macht von seinen Differenzen, die Gültigkeit einer „Gattung“ besitzen muss: die höchst Gattung, von wo durch Kontraktion die anderen Gattungen hervorgehen. Man sollte dann mit einigen seltenen Autoren sagen, dass „Gott zu einer Gattung gehört“ [Deaus est in genere] 156 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung das heißt, dass Gott im Begriffsumfang einer „Gattung“ eingeschlossen ist. Aber Duns Scotus verwirft diese Konsequenz der Univozität: „Mit der Einfachheit Gottes ist es ver« Cum simplicitate Dei stat quod aliträglich, dass es einen gemeinsamen Bequis sit conceptus communis sibi et griff zwischen ihm und der Kreatur gibt, creaturae, non tamen communis nicht aber so gemeinsam wie bei eiut generis .... Ergo Deus non est ner Gattung .... Also gehört Gott in genere » (Oxon. I, d. 8, q. 3, n0 nicht zu einer Gattung“ (Oxon. I, d. 16. Vol. V, p. 728). 8, q. 3, n˚ 16. Vol. V, p.728). Also von neuem etwas, was uns ratlos macht. Prüfen wir die Gründe, die der franziskanische Lehrer vorbringt. Sie sind nicht mehr, wie die, die auf die Univozität schließen ließen, direkt entlehnt von der Art und Weise der Aussage des Seienden: sie sind nur indirekt aus der Natur der Objekte erschlossen, auf die diese univoke Aussage angwandt wird. In der Tat ist Gott, der mit den geschaffenen Dingen unser Attribut des Seins teilt, unendlich; nun aber, so bemerkt Duns Scotus, bleibt jede Gattung als solche in gleicher Potenz zu ihren Differenzen. Aber keine Gattung kann sich gleich verhalten zum Endlichen und zum Unendlichen“ ([ « nullum genus potest esse indifferens ad finitum et infinitum » ] Oxon. I, a. 8, q. 3, n˚ 16. Vol. V, p.728). Das univoke Seiende ist also keine Gattung79 . 79 Ein Thomist würde offensichtlich entgegnen: das Sein ist keine Gattung, also ist es nicht univok. 146 Und man würde es gleichfalls beweisen aus der Notwendigkeit des göttlichen Seins („ex ratione necesse esse“). Ebenda. n˚ 17, p.729,: wie kann man eine Tauglichkeit konzipieren, die indifferent ist der notwendigen Existenz gegenüber und der kontingenten Existenz gegenüber? Es muss also trotzdem die Univozität des Seienden sich mit dem die Gattungen transzendierenden Seienden versöhnen: auf der einen Seite müssen Gott und das Geschöpf durch einen gemeinsamen objektiven Begriff darstellbar sein; und auf der anderen Seite kann es zwischen ihnen objectiv nur Analogie geben, keinen gemeinsamen Maßstab: „Es gibt keine... größere Analogie, als « Nulla ... major est analogia, quam die der Kreatur zu Gott unter der Rücksit creaturae ad Deum in ratione es- sicht des Seins. Und doch kommt so das sendi; et tamen sic esse primo et prin- Sein zuallererst und hauptsächlich Gott cipaliter convenit Deo, quod tamen zu, was dennoch real und univok dem Gerealiter et univoce convenit creaturae. schöpf zukommt. Ähnlich verhält es sich Simile est de bonitate, et sapientia, et mit dem Gutsein und mit der Weisheit hujusmodi » (Oxon. II, d. 12, q. 2, und derartigen.“ (Oxon. II, d. 12, q. 2, no 8. Vol. VI, p. 697). n˚ 8. Vol. VI, p.697). Selbst wenn wir annehmen, dass der Versuch, die Univozität und die Analogie auf der Ebene des objektiven Begriffs so zu verbinden, dass es nicht trügerisch 157 B.III Antinomie des Einen und Vielen wäre, dann würde immer noch übrig bleiben, dass sie sich in der Tat auf eine Erkenntnis stützt, die wir schon von unermesslich großen Objekten in ihrem wirklichen Sein haben, das heißt schließlich auf eine vorausgehende Erkennbarkeit „für uns“, von streng transzendenten Attributen Gottes, wie der intensiven Unendlichkeit: wenn sie nicht in der Vernunft beweisbar wäre (außerhalb jedes Rekurses auf die Analogie) wie könnten wir mit rationaler Sicherheit wissen, dass das univoke Seiende über das logische Niveau der Gattungen erhoben werden muss? Im Übrigen weicht Duns Scotus da nicht aus. Er ahnt die schweren Nachteile, die sich daraus in der Theodizee für eine nicht durch die Analogie korrigierte Univozität80 , 80 Es würde daraus die Unmöglichkeit folgen, die absolute Transzendenz Gottes mit der Vernunft festzustellen. ergeben. Trotzdem hält er fest an der Univozität des Seienden, wie an der einzigen Brücke, die zwischen unserer Intelligenz und dem göttlichen Sein geschlagen ist: „Gott ist von uns natürlicherweise « Deus non est a nobis cognoscibi- nicht erkennbar, wenn das Seiende nicht lis naturaliter, nisi ens sit univocum univok ist für Geschaffenes und Ungecreato et increato » (Oxon. I, d. 3, q. schaffenes“ (Oxon. I, d. 3, q. 3, n˚ 9. 3, n0 9. Vol. V, p. 444. Cf. ibid., q. Vol. V, p.444. Cf. ebenda., q. 2, n˚ 8, 2, no 8, p. 393). p.393). Univozität des Seins oder Agnostizismus: der franziskanische Meister würde dieses Dilemma nicht so unmissverständlich aufstellen, wenn er sich nicht sicher glaubte, selbst vom univoken Seienden ausgehend, die strenge Transzendenz Gottes „in der Rücksicht des Seins = in ratione essendi“ das heißt trotz der Univozität die ontologische Analogie zwischen Gott und dem Geschöpf entscheidend zu zeigen Um den schlagenden Beweis dieser Transzendenz zu erbringen, würde es auch nicht genügen: bemerken wir es, zu zeigen, dass „Gott über der Gattung“ ist In der Tat zwischen den eigentlichen Gattungen, wo das Gesetz der Zahl herrscht, und dem transzendenten Absoluten können sich viele intensive Grade verteilen, vage begreifbar und negativ möglich: zum Beispiel sogar die Unendlichkeit der Zahl81 , 81 Wenn wir von der unendlichen Zahl sprechen, verstehen wir darunter nicht eine Summe, die von Einheiten erreicht wird, eine mengenmäßig bestimmte Gesamtheit, sondern die unbestimmte und gleichzeitige – wenigstens in Gedanken zugleich ausgeführte – Addition von gleichartigen Ausdrücken. Wenn man die Zahl durch die Endlichkeit der Summe selbst definiert, ist es klar dass die unendliche Zahl widersprüchlich sein würde. 147 eine Art von Gesamtsummenbildung der Gattung, oder irgendeine virtuelle Größe gleichbedeutend (äquivalent) einer unendlichen Vielheit, ein intelligibles Wesen solcher Art, das, durch Immanenz, die wenigstens potentielle Unendlichkeit 158 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung von praedicamentalen Objekten stützen würde. Dies sind dort noch relative Unendlichkeiten. Aber Gott muss, um wirklich transzendierend zu sein und „analoge“ Attribute zu verlangen, so sehr oberhalb der Gattungen plaziert werden, dass er mit aller Notwendigkeit als das intensiv unendliche Sein erschiene. Duns Scotus versteht es ganz so; und er weicht nicht zurück vor einer schwierigen Beweisführung, die zwangsläufig der Schlussstein wird für seine Theodizee. b) Der Beweis der Unendlichkeit Gottes. Der scotistischee Beweis der intensiven Unendlichkeit Gottes, an den sich sogar auch noch der Beweis von der Existenz Gottes anschließt, nimmt in De primo principio und im Opus oxoniense, einen ungewohnten Umfang ein entsprechend seiner theoretischen Wichtigkeit. Folgen wir, nach dem Text der Sentenzen (dem Letzten dem Datum nach), die Etappen der langen und vorsichtigen Beweisführung und die für die anspruchsvollste Vernunft und ohne zurückzugreifen auf die metaphysische Analogie die Existenz eines unendlich vollkommenen82 Seins beweisen muss. 82 Siehe Oxon. I, d. 2, q. 2. Vol. V, pp. 234-287, einschließlich des Kommentares von Lychet. . N. B. In den folgenden Zeilen werden wir diesen allgemeinen Verweis nicht wiederholen und werden nur die Nummer und die Seite erwähnen. Zuerst sagt man uns: Die These: „Es existiert ein aktuell unendliches Seiendes“ [ « Existit ens actu infinitum » ] kann nicht mit einem Beweis „Weswegen von uns her“ [ « propter quid, quantum ad nos » ,] bewiesen werden, sondern nur mit einem Beweis „weil, von den Geschöpfen her“ [ « quia, ex creaturis » ] , n. 10, p.245). Dieser Beweis a posteriori vollzieht sich in zwei großen Etappen. Überfliegen wir kurz, ohne uns lange dabei aufzuhalten, die erste, die uns zu den drei folgenden Schlussfolgerungen führt: 1. Es muss ein erstes Sein geben, sowohl in der kausalen Ordnung als auch in der Ordnung der Ziele und in der formartigen Ordnung der Vollkommenheiten: „Irgendetwas ist... unter den Sei« Aliquid est... inter entia, quod est enden, das schlechthin das erste ist simpliciter primum secundum effider Wirksamkeit nach; und irgendetcientiam; et aliquid [simpliciter priwas [schlechthin das erste] unter der mum] secundum rationem finis; et Rücksicht des Ziels; und irgendetwas aliquid [simpliciter primum] secund[schlechthin das erste] dem Hervorraum eminentiam » (n. 11, p. 246). gen nach“ , n. 11, p.246). 2. Der Vorrang in einem der drei aufgezählten Gesichtspunkte, erstreckt sich notwendigerweise auf die zwei anderen Gesichtspunkte: « illud quod est primum secundum „das was nach einer Rücksicht Vorrang unam rationem primitatis, est prihat, ist auch erstes nach den anderen mum secundum alias primitates » (n. Vorzügen“ (148, n. 11, p.246) 148 11, p. 246). 159 B.III Antinomie des Einen und Vielen 3. Dieser dreifache Vorrang gehört zu einem einzigen und gleichen Sein: « ista triplex primitas uni soli natu- „dieser dreifache Vorzug kommt nur einer Natur allein zu“ , n. 11, p.247). rae convenit » (n. 11, p. 247). Wir werden diese drei ersten Sätze nur registrieren, ohne sie zu diskutieren. Sie wurden aufgestellt mit Hilfe des metaphysischen Kausalitätsprinzips. Die zweite Etappe des Beweises interessiert uns mehr, weil sie, dank der tadellosen Dialektik des scharfsinnigen Lehrers, sehr viel klarer den schwachen Punkt seiner Epistemologie aufdeckt. Ist das absolut erste und eine Sein, das man gerade bewiesen hat, unendlich? Die stufenweise Veranlagung dieser wichtigsten Feststellung wird mit einer Vorsicht und einem wirklich bewundernswerten Scharfblick: geführt: wir können nichts Besseres machen, als Punkt für Punkt dieser Entwicklung zu folgen. Anstatt der Erarbeitung einer Annäherung hier zuerst vier wichtige Präambeln: Erste einleitende Behauptung (1.Vorbemerkung): Das erste Sein, dessen Existenz man gezeigt hat, ist Intelligenz und Wille: „Das erste Handelnde ist verstehend und wollend... “ [ « Primum agens est intelligens et volens ... » ] (n. 21, p.265). was Duns Scotus beweist mittels dreier Teil-Beweise, von denen wir hier nur die wesentlichen Themen anführen: a) „Das erste Handelnde ist aus sich handelnd.... Aber jedes aus sich Handelna) « Primum agens est per se de handelt auf ein Ziel hin.... Also... “ , agens .... Sed omne agens per se agit n. 20, p.262). propter finem .... Ergo ... » (n. 20, b) „Das erste Bewirkende ... lenkt entp. 262). – b) « Primum efficiens ... weder von Natur aus [den Effekt auf sein vel naturaliter dirigit [effectum su- Ziel hin], oder dadurch dass es jenes Ziel um ad finem], vel cognoscendo et erkennt und liebt. [Nun aber] tut es das amando illum finem. [Sed] non na- nicht von seiner Natur aus.... Also [daturaliter .... Ergo [cognoscendo et durch dass es erkennt und liebt]“ (Ebenamando] » (Ibid.). – c) « Aliquid da).). . causatur contingenter : ergo prima c) „Irgendetwas (anderes) wird nur causa contingenter causat : ergo vo- kontingent verursacht: also verursacht lens causat » (Ibid.). Cette derniè- es die erste Ursache auf kontingente Weire preuve est expressément opposée à se: also verursacht sie durch Wollen“ , Aristote (n. 21, p. 265). (Ebenda).). Dieser letzte Beweis ist ausdrücklich Aristoteles entgegen gesetzt, n. 21, p.265). Zweite einleitende Behauptung (2.Vorbemerkung): Das Verstehen und Wollen des ersten Seins, durch es selbst, sind mit seinem Wesen identisch: 160 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung « [De primo agente] probo secundo quod ejus intellectio, et volitio [sui ipsius ut objecti] non est aliud ab essentia ejus » (n. 22, p. 266). „[Vom ersten Handelnden] beweise ich zweitens, dass sein Verstehen und Wollen [seiner selbst als Objekt] nichts anderes ist als sein Wesen“ (n. 22, p.266). Dritte einleitende Behauptung (3.Vorbemerkung): Das Verstehen und Wollen des ersten Seins der von ihm verschiedenen Objekte, sind in ihm nicht nur Akzidenzien sondern sein Wesen selbst: „Ich zeige ... dass all sein Verstehen und « Ostendo ... de omni intelligere et Wollen, das sich auf andere bezieht, ebenvelle ipsius respectu aliorum, quod so vom Wesen des ersten sind “ (n. 23, sint essentiae primi idem » (n. 23, p. p.269)83 . 269)82 83 149 Man wird bemerken, dass hier und in der vorhergehenden Vorbemerkung, Duns Scotus nicht, wie die Thomisten, die Möglichkeit hat, schon im Voraus zum Beweis der Unendlichkeit Gottes sich auf die reine Aktualität des ersten Seins zu berufen. Auch ihre Argumente sind nicht allen Schwierigkeiten enthoben. Vierte einleitende Behauptung (4.Vorbemerkung): Die erste Intelligenz erkennt mit einer beständigen, unterscheidenden und notwendigen Erkenntnis jedes intelligible Objekt, was auch immer es wäre, sogar im Voraus zur Existenz dieses Objekts: „Der erste Intellekt ist immer so« Intellectus primus intelligit semper, wohl im bestimmten als auch notwendiet distincto actu, et necessario, quod- gen Akt des Verstehens bezüglich jedes cumque intelligibile, prius naturaliter Intelligiblen auch immer und zwar von quam illud sit in se » (n. 24, p. 271). Natur aus schon bevor jenes in sich ist“ (n. 24, p.271). Die Tragweite dieser vierten Vorbemerkung ist leicht zu erfassen: sie verlegt die aktuelle Erkenntnis der Vielheit der „Possibilien“, der „von Gott produzierbaren Dinge“ in Gott. Da im ersten Sein Verstehen und Wollen identisch sind mit dem Wesen (Vorbemerkung 2 und 3) wird dessen Vollkommenheit nicht geringer sein als die Vollkommenheit des bewegungslosen Aktes, durch den Gott gleichzeitig die Gesamtheit der Possibilien umfasst. Wir behalten fortan, so scheint es, ein Mittel, indirekt durch Einschätzung vom Geschaffenen, oder genauer, vom „Schaffbaren“, die ontologische Vollkommenheit der ersten Ursache zu messen. Das Problem der Unendlichkeit hört auf unserer Aufmerksamkeit (Reichweite) zu entkommen. Duns Scotus benützt unmittelbar diesen Vorteil, um seinen vierfachen Beweis der intensiven Unendlichkeit des ersten Seins zu gestalten 161 B.III Antinomie des Einen und Vielen Erster Beweis: « per viam efErster Beweis: „durch den Weg der ficientiae, ... quia ipsum est priWirksamkeit... weil es selbst das erste mum efficiens omnium » (n. 25, Bewirkende von allem ist“ (n. 25, p.272). p. 272). Endgültig ist das einzige Argument, an dem Duns Scotus hier als gültig festhält, hergenommen von der Unendlichkeit der möglichen Wirkungen (Possibilien) der schöpferischen Potenz: „Aus der Unendlichkeit der Wirkungen « Ex infinitate effectuum in quos sifür die zugleich das erste (Sein) selbst mul potest ipsum primum, quantum die Fähigkeit hat, insofern es aus sich ist, est ex se, concluditur infinitas virtutis wird die Unendlichkeit der Kraft nach er... etc. » (n. 28, Additio). schlossen ... etc.“ (n. 28 (Additio).) 150 Weisen wir unverzüglich eine Gefahr der Zweideutigkeit zurück. Die Unendlichkeit der „Possibilien“, der „Verwirklichbaren“, oder der „Erschaffbaren“, was sagt das? Eine Wirkung, die die erste Ursache nicht produzieren könnte, würde sicherlich „nicht-bewirkbar“ sein, „nicht-erschaffbar“ und sogar „unmöglich“, wegen Fehlens eines proportionierten Handelnden. Also in einem Sinn beherrscht die erste Ursache die Gesamtheit der „Possibilien“. Aber ergibt sich daraus, dass die wahren „Possibilien“ – die „Erschaffbaren“ oder „Verwirklichbaren“ – sich darüber hinaus erstrecken über alle denkbaren Grenzen hinaus, wie es dieser erste Beweis der intensiven Grenzenlosigkeit (Unendlichkeit) verlangen würde, um wirksam zu sein? In Wirklichkeit entfaltet sich der Beweis unter dem Vorteil einer latenten Vorraussetzung, die Duns Scotus formell erst weiter unten anführen wird. Der Kommentar von Lychet lenkt bereits jetzt die Aufmerksamkeit darauf: „Beim Bestehen ... jener Voraussetzung, « Stante ... illo praesupposito, quod dass die Unendlichkeit in den Seiinfinitas non repugnet in entienden kein Widerspruch ist, wird diebus, probatur ipsa infinitas » (Op. se Unendlichkeit bewiesen“ (Op. cit. n˚ cit. n0 29. Comment., 1, a, p. 275). 29. Comment. 1 a p.275). Wenn man das nicht annimmt, dass die intensive Unendlichkeit wirklich – das heißt positiv, und nicht nur negativ – zusammensetzbar, vereinbar ist mit dem Sein (es handelt sich um das univoke Sein), wird man niemals die Unendlichkeit der wahrhaft, tatsächlich „Bewirkbaren“ auf einer intensiven Skala der Vollkommenheit zeigen. Wir werden sogleich auf diese Voraussetzung zurückkommen, dem Schlüssel von allen scotistischen Beweisführungen; aber wir ahnen, dass es vielleicht nicht weniger schwierig sein würde, die Unendlichkeit der Possibilien (vermittelnder Term des ersten Beweises) zu beweisen als direkt die intensive Unendlichkeit Gottes zu beweisen, der Schlussfolgerung aus diesem Beweis. 162 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung Zweiter Beweis: durch die Erkenntnis, die Gott von der Gesamtheit der möglichen Endpunkte seiner Tätigkeit hat, das heißt von allem was absolut möglich ist: „weil er in der Weise bewirkend ist, dass « quia est sic efficiens, puta distincte er dabei nämlich genau unterschieden alcognoscens omnia factibilia » (n. 25, les Machbare erkennt“ (n. 25, p.272. Cf. p. 272. Cf. n. 30, p. 278). n. 30, p.278). Die Struktur des Beweises ist sehr einfach: „die Erkennbaren sind unendlich (viele?), « Intelligibilia sunt infinita, et hoc acund zwar actuell unendlich, im alles ertu, in intellectu omnia intelligente : kennenden Intellekt. Also ist der Verergo intelIectus illa simul actu intellistand, der jene zugleich erkennt, unendgens est infinitus » (n. 30, p. 278). lich“ (n. 30, p.278). Aber mit welchem Recht behauptet man den Vordersatz dieses Enthymems? ( = Beherzigung, Erwägung) Indem man sich auf die Analyse der geschaffenen Intelligenz stützt: „die Erkennbaren sind unendlich (vie« Intelligibilia sunt infinita in potenle?) in Potentia bezogen auf den geschaftia respectu intellectus creati, satis fenen Verstand, das ist genügend klar; patet; et in intellectu increato sunt und im ungeschaffenen Verstand sind zusimul omnia intellecta actu, quae a gleich alle aktuell verstanden, die vom creato sunt successive intelligibilia » geschaffenen sukzessiv verstehbar sind.“ , (Ibid.). (Ebenda).). ânjÔmhma Ist es dermaßen evident, dass unsere Intelligenz in Potenz ist zu einer Unendlichkeit von Verstehbaren, wenigstens in der Linie der Intensität? Beim Verneinen der letzteren Einschränkung der Intelligiblen, sind wir da sicher, dass wir nicht blind Worte verbinden, die eine tiefliegende Kontradiktion verdecken? Um zu zeigen, dass die wahren Intelligiblen – nicht unsere beliebigen begrifflichen Fiktionen – „der Potenz nach unendlich“ sind unter der Rücksicht der intensiven Vollkommenheit, die sie ausdrücken, müssten wir zuerst wissen, ob die intensive Unendlichkeit, objektiv, von der Ordnung der Possibilien ist, das heißt, nach dem Ausdruck der durch Duns Scotus selbst verwendet wird, ob – ja oder nein – die “Unendlichkeit dem Seienden nicht widerspricht“ [ « infinitas non repugnat enti » ]. Der zweite Beweis lässt uns vor dem gleichen Problem stehen wie der erste. Dritter Beweis: genommen von Umfang der Ziele des Wollens: « tertio ostenditur infinitas per viam „drittens wird die Unendlichkeit bewiesen auf dem Weg des Ziels“, (n. 25, p.272). finis » (n. 25, p. 272). Unsere Wünsche, sagt Duns Scotus, können sich über jedes endliche Objekt hinaus erstrecken: 163 B.III Antinomie des Einen und Vielen 151 « Voluntas nostra omni finito aliquid majus potest appetere, et amare ..., et quod plus est, videtur inclinatio naturalis ad summe amandum bonum infinitum » (n. 31, p. 281). Daraus schlie0t man, dass « infinitas non repugnat bono » ; denn « videtur..., si infinitum84 repugnaret bono, quod nullo modo voluntas quietaretur in bono sub ratione infiniti, nec in illud faciliter tenderet » (Ibid.). „Unser Wille kann etwas größeres anstreben und lieben als jedes endliche ... und was noch mehr ist, es scheint eine natürliche Neigung da zu sein, das unendliche Gut im höchsten Grad zu lieben.“ (n. 31, p.281). Man schließt daraus, dass „Unendlichkeit dem Guten nicht widerspricht“; denn „es scheint..., wenn das Unendliche 84 dem Guten widerspräche, dass dann der Wille in keiner Weise im Guten unter der Rücksicht des Unendlichen zur Ruhe käme, noch nach jenem leicht streben würde“ (Ebenda).). 84 Der Text der Ausgabe Wadding lautet: „si in infinitum... “, was offensichtlich ein Fehler des Abschreibers ist oder ein Druckfehler. Die Anhäufung des „es scheint“ – vier mal in einem Argument von 9 Zeilen – zeigt einen gewissen Vorbehalt dem logischen Wert des Argumentes gegenüber. In der Tat, es macht zwei delikate Punkte geltend. Zuerst ist die Frage: Beweist man in aller Strenge, dass unser Wille bewegt wird durch eine natürliche, (angeborene) Neigung zum intensiv unendlichen Gut? Und dann, im bejahenden Fall, zeigt man in aller Strenge der Vernunft, dass diese natürliche Neigung gar nicht orientiert wäre auf ein rein ideales vielleicht in sich unmögliches Unendliches? Wir glauben übrigens, dass diese zwei Schwierigkeiten durchaus nicht unüberwindlich sind; der dritte Beweis von Duns Scotus würde selbst eine strenge Demonstration der göttlichen Unendlichkeit erbringen, wenn man feststellen könnte, dass die Tätigkeit des Willens und die spekulative Tätigkeit vom gleichen inneren Gesetz der Finalität bestimmt werden (siehe unser Cahier V). Unverändert indessen wäre der dritte Beweis in einzigartiger Weise verstärkt, derartig verstärkt, dass er überflüssig würde, wenn man zuerst gezeigt hätte, dass das Seiende (vom selben Begriffsumfang wie das Gute) objektiv verträglich ist mit der intensiven Unendlichkeit. Wenigstens wüsste man dann, dass der Wille nicht einem Hirngespinst nachgeht. Wir werden also wieder, einmal mehr, zurückgebracht auf den zentralen Knotenpunkt des ganzen Problems: ist die Behauptung: „die Unendlichkeit widerspricht nicht dem Seienden“ [ « infinitas non repugnat enti » ] für uns „durch sich selbst klar oder nicht“ [ « per se nota quantum ad nos » ]? Vierter Beweis: gestützt auf die alles übertreffende Vollkommenheit des ersten Seins: „viertens, auf dem Weg des Hervorragend« quarto, per viam eminentiae » (n. seins (per viam eminentiae)“ (n. 25, 25, p. 272). p.272). Hier ist die Grundlage dieses Arguments: Die erhabenste Vollkommenheit 164 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung schließt die Möglichkeit einer höheren Vollkommenheit aus. Aber keine endliche Vollkommenheit schließt die Möglichkeit einer ihr überlegenen Vollkommenheit aus. Also ist die erhabenste Vollkommenheit unendlich, (n. 31, p.282). Ganz richtig ist Duns Scotus der Ansicht, dass der Untersatz (die Minor) dieses Syllogismus einen Beweis verlangt. In der Tat, auch wenn es evident wäre, dass die Vollkommenheit des vollendetsten Seins die oberste Grenze jeder real möglichen Vollkommenheit markiert, ist es doch noch nicht in gleicher Weise evident, dass die intensive Summe jeder real möglichen Vollkommenheit die unendliche logische Kapazität eines Begriffs des Seins sättigt, so dass sie nur durch das reine Nichtsein 152 begrenzt ist. Es würde also möglich sein, absolut sprechend, dass ein erstes Sein, Gipfel aller wirklich möglichen Vollkommenheit, noch nicht reicht für die absolute Unbegrenztheit, die eingeschlossen ist im logischen Begriffsumfang unseres abstrakten Begriffs des Seins. Wissen wir, ob diese Unbegrenztheit nicht in ihr selbst eine Unmöglichkeit ist? Wenn wir unseren Begriff des Seins über alle Objekte, die noch durch ein Wesen, das heißt durch eine positive Einschränkung des Seins, definierbar sind, hinaus ausdehnen, hätten wir dann nicht diesen Begriff von aller objektiven Bedeutung geleert? Ein so geübter Logiker, wie der scharfsinnige Lehrer (doctor subtilis) müsste die Schwierigkeit wahrnehmen. So sieht er sich verpflichtet, die anfechtbare Minor zu beweisen. Er sagt: „derUntersatz ist bewiesen, weil die Un« Probatur minor, quia infinitas endlichkeit dem Seienden nicht winon repugnat enti » (n. 31, p. derspricht“ (n. 31, p.282)85a . 282)85a . a85 a85 Duns Scot propose une autre forme du même argument : « Aliter arguitur, et est idem : Cui non repugnat infinitas intensive, illud non est summe perfectum nisi sit infinitum. Enti autem non repugnat infinitas ; ergo perfectissimum ens est infinitum » (n. 31). Duns Scotus schlägt eine andere Form des gleichen Argumentes vor: „Anders wird argumentiert, aber es ist dasselbe: Wem die intensive Unendlichkeit nicht widerspricht, das ist nicht von höchster Vollkommenheit, wenn es nicht unendlich ist. Dem Seienden aber widersspricht die Unendlichkeit nicht; also ist das vollkommenste Seiende unendlich“ (n.31). Der Kommentator Lychet warnte uns gerade noch davor: wir stehen immer wieder vor dem gleichen Hindernis. Aber dieses Mal gibt es nichts mehr zu zögern: man muss das Hindernis überwinden oder muss auf eine strenge Demonstration der Unendlichkeit Gottes verzichten. Duns Scotus legt seine Gründe dar, an der Behauptung fest zu halten „Unendlichkeit widerspricht nicht dem Sein“ [ « infinitas non repugnat enti » ] als einem Axiom von unmittelbarer Evidenz. 165 B.III Antinomie des Einen und Vielen Diese Behauptung, bemerkt er zuerst, kann nicht im eigentlichen Sinn „beweisbar“ sein: « non videtur a priori posse probari, vel ostendi : quia sicut contradictoria ex rationibus propriis contradicunt, nec potest per aliquid manifestius hoc probari, ita nonrepugnantia ex rationibus propriis non repugnant : nec videtur posse ostendi, nisi explicando rationes ipsorum : ens autem per nihil notius explicatur » (n. 31, p. 282). 153 „sie scheint nicht a priori bewiesen oder aufgewiesen werden zu können: weil sie, wie Widersprüchliches aus eigenen inneren Gründen widersprechend ist und man nicht durch etwas anderes Offenbareres das beweisen kann, so gilt für die Nichtwidersprüchlichkeit, dass sie aus eigenen Gründen nicht widersprechen: und es scheint nicht aufgezeigt werden zu können es sei denn durch Erklärung der Gründe von ihm selbst her. Das Seiende wird aber durch nichts erklärt, was noch bekannter ist“ (n. 31, p.282). Ebenso wie man nicht zeigt, aber wie man die widersprüchliche Gegenüberstellung zwischen Begriffen sieht, so sieht man, ohne es beweisen zu müssen oder zu können, die logische Kohärenz von einfachen Begriffen. Gestützt auf diese Erklärung, bringt der Text dennoch einige Gründe, die geneigt machen können, es zu akzeptieren: « Sic tamen propositum suadetur : sicut quodlibet ponendum est possibile, cujus non apparet impossibilitas, ita et compossibile, cujus non apparet incompossibilitas, quia de ratione entis non est finitas, nec apparet ex ratione entis quod [finitas] sit passio86 convertibilis cum ente ... » (Ibid. „So wird man dennoch von der Behauptung überzeugt: wie jedes beliebige zu Setzende möglich ist, dessen Unmöglichkeit nicht klar ist, so auch das Zusammensetzbare, dessen Unvereinbarkeit nicht aufscheint, weil im Seinsbegriff keine Endlichkeit enthalten ist, noch erscheint aus dem Seinsbegriff, dass die [Endlichkeit] eine Passio86 a ist, die mit dem Sein vertauschbar ist... “ , (Ebenda). a86 Anmerkung des Übersetzers: Kategorie der Passio, des Erleidens. der Passivität im Gegensatz zur Aktio Hiermit hören wir aus dem Mund des franziskanischen Lehrers selbst das verborgene Prinzip seiner ganzen Epistemologie: 166 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung « Non repugnantia, ex rationibus propriis [a nobis perceptibilibus] non repugnant » – « Quodlibet possibile ponendum est, cujus non apparet impossibilitas » – « [Quodlibet] compossibile [ponendum est], cujus non apparet incompossibilitas » . „Nicht-Widersprüchliche sind nicht widersprüchlich aus Gründen, die demselben selbst eigentümlich sind [die von uns wahrnehmbar aind]“. „Ein beliebiges Possibile ist verwirklichbar, dessen Unmöglichkeit nicht aufscheint oder klar ist“. „[Ein beliebiges] Zusammensetzbares [ist zu setzen], dessen Nicht Zusammensetzbarkeit nicht offensichtlich ist“. Ein Cartesianer-Wolffianer würde darüber vor Wohlbehagen erschauern. Und man kann analoge Formulierungen bei Spinoza lesen. Was sagt das in der Tat anderes als dass die „idea clara et distincta“, die keinen inneren Widerspruch verrät, in Wirklichkeit auch keinen enthält, und so wenigstens ein mögliches Wirkliches darstellt? Was sagt das anderes als dass jede Zusammenstellung von Prädikaten, die untereinander in unserem Denken verträglich sind, eine objektive Möglichkeit ausdrückt? Die Metaphysik ist dann die „Wissenschaft von den Possibilien“. Unsere Intelligenz wäre also fähig, durch Synthesis a priori von intelligiblen Attributen aine Metaphysik aufzustellen. Worin sich das von Grund auf unterscheiden würde vom cartesianischen Realismus der (logischen) „Wesenheiten“, klarer ausgedrückt im Sinn des ontologischen Mathematismus von Leibniz oder Wolff: wir gestehen, dass wir das nicht sehen.87 87 Wir sehen noch weniger, worin dieser Vergleich den Ruhm des illustren mittelalterlichen Lehrers vermindert. Duns Scotus wie Leibniz blieben im Grunde Platoniker trotz ihrer zahlreichen Anleihen beim Aristotelismus. Das ist vielleicht ein Irrtum gewesen, aber es ist gar kein Verderben Übrigens muss die wiederholte Feststellung, die wir machen mussten über die so evidente cartesianische Verwandtschaft, um so weniger überraschen, als sie sich schon im allgemein bekannten Versuch verrät, wo Duns Scotus versuchte, um das ontologische anselmianische Argument wieder flott zu machen: „Durch jenes, so schreibt er am gleichen Ort, den wir analysieren, kann jener Begründung für das höchste Denkbare von Anselm Kolorit gegeben werden ([ « Per illud potest colorari illa ratio Anselmi de summo cogitabili, » ]Prosl. 1, n.2, p.282). Der Beitrag von Duns Scotus zum Argument des heiligem Anselm bestehe darin, ausdrücklich zu erklären, dass das „höchste Denkbare“ [ « summum cogitabile » ,], da es das Bedürfnis unseres Denkens als Begriff befriedigt, (als „klare und distinkte Idee“), deshalb auch als Wirklichkeit möglich sein muss, das heißt, „ohne Widerspruch als Ding sein“ zu können ([ « sine contradictione esse in re » ] n. 32, p.283); von da an hat sich der Schluss des heiligen Anselme aufgedrängt, denn das „höchste Denkbare“ dessen Definition gerade die ist, aus dem Wesen heraus zu existieren, würde nicht wirklich möglich sein, wenn es nicht existierte. In der Letzten der „empfehlenden Gründe = rationes suadentes“ die er anführt zugunsten der Behauptung „Unendlichkeit widerspricht dem Seienden nicht“ [ « 167 B.III Antinomie des Einen und Vielen infinitas non repugnat enti » ,] offenbart uns der scharfsinnige Lehrer, an der Wurzel selbst seiner Metaphysik vom Transzendenten, die bedeutendste Gegen154 sätzlichkeit, die ihn, trotz aller Annäherungen in Formulierungen, vom aristotelischen Thomismus trennt: „Warum findet der Intellekt, dessen Ob« Quare intellectus, cujus objectum jekt das Seiende ist, keinen Widerest ens, nullam invenit repugnantiam spruch, wenn er etwas Unendliches erintelligendo aliquid infinitum? immo kennt? Ja es scheint sogar [das Un[infinitum] videtur perfectissimum in- endliche] das vollkommenste Erkennbatelligibile. Mirum est autem si nul- re zu sein. Das ist zu verwundern li intellectui talis contradictio88 pa- wenn keinem Intellekt ein so beschaffener tens fiat circa ejus primum objec- Widerspruch88 offenbar wird bezügtum » (n. 32, p. 282). lich seines ersten Objektes“ (n. 32, p.282). 88 Das heißt der Widerspruch, den es objektiv gäbe, zwischen dem Seienden [ens] und dem (intensiven) Unendlichen [infinitum (intensive)]. Zweifellos; wenn der „Begriff des Seienden = ratio entis“ in ihm selbst genommen, in seiner ganzen Unbegrenztheit, das unmittelbare und proportionierte Formalobjekt unserer Intelligenz ist, dann versteht sich das „es ist verwunderlich = mirum est“, das man gerade gelesen hat; aber es verhält sich ganz anders, wenn das nächste Formalobjekt unserer Intelligenz nur das aus den Sinnesobjekten abstrahierte Seinende ist, die „Washeit der materiellen Dinge = quidditas rerum materialium“, wie es der heilige Thomas will. In dieser zweiten Hypothese ist das transzendentale und analoge Seiende nur ein sekundärer Begriff; und die Möglichkeit der intensiven Unendlichkeit, weit davon entfernt durch sie selbst evident zu erscheinen, erweist sich nur in einer rationalen Schlussfolgerung, die über die Notwendigkeit des unendlichen Seins gehen muss, um dafür die Möglichkeit zu erreichen: vom Sein zum Können = ab esse ad posse. Der umgekehrte Weg, indem man in der Ordnung unserer Erkenntnisse, die logische Möglichkeit des transzendenten Unendlichen vor seine Existenz platziert, wird später einer der Charakteristiken des Leibnizianismus und des Wolffianismus werden. Dieser Primat des „Möglichen“ ist, um die Wahrheit zu sagen, nichts als ein Aspekt des cartesischen Dogmatismus der „klaren und distinkten Ideen“. Zwischen dem Geist der scotistischen Noetik [=Lehre vom Wissen und Denken] und dem der ersten modernen Metaphysiken war die Verwandschaft zu auffallend, als dass wir es hätten unterlassen können, sie noch einmal mehr zu unterstreichen89 89 Wir behaupten nicht, dass Duns Scotus ein Cartesianer war, schon bevor es diesen Namen gab: das wäre inexakt. Wir wollen vielmehr sagen, dass es sehr viel Scotismus bei Descartes gibt. Und dann dürfen wir nicht vergessen, dass die Cartesianer, im Unterschied zum franziskanischen Magister vom Nominalismus ergriffen waren. 168 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 155 Um von da auf die allgemeine Beweisführung der Unendlichkeit zurückzukommen, so sehr wir glauben, dass Duns Scotus überzeugt war vom hohen überzeugenden Wert und der weitgehend ausreichenden Gewissheit seines Beweises, ebensosehr zögern wir, zuzugeben, dass er diesen für unter jeder Rücksicht streng gehalten hätte, das heißt als den strengsten Anforderungen einer wissenschaftlichen Beweisführung entsprechend. Darin denken wir nicht anders als der scharfsinnige Kommentator Lychet – dessen Meinung allerdings beeinflußt war von der Verpflichtung, derentwegen er glaubte, Rücksicht nehmen zu müssen auf die Theoremata, die in seinen Augen offensichtlich authentisch waren. Aber was auch immer darüber Duns Scotus selbst gedacht hat, sein Beweis der Unendlichkeit, so weitläufig aufgebaut, könnte nicht überzeugend sein, da er endgültig auf der vermuteten Möglichkeit der intensiven Unendlichkeit beruht. Aber nur dieser Beweis des Unendlichen konnte das Zusammenfallen der prädikativen Univozität und der objektiven Analogie des Seins rechtfertigen, das oben behauptet wurde. Das scheinbare Paradoxon von univok-analog, das das Gleichgewicht der Metaphysik gegen die drohende Antinomie von Verstand und Vernunft absichern sollte, bleibt also selbst ohne entscheidende rationale Stütze. Schließlich gelingt es unserer Intelligenz nicht, beschränkt auf das univoke Sein, weder es dennoch aufzulösen, noch dem zu entfliehen. Diese Unfähigkeit ist die gleiche, die ohne Verteidigung den anonymen Autor der Theoremata dem fideistischen Halb-Agnostizismus ausliefern wird. . §5. . Der Agnostizismus der „Theoremata“ 90 90 In der Ausgabe von Wadding, Vol. III. Man kann die Gesamtheit der Theoreme in drei Hauptgruppen einteilen. Die erste, (Theorem 1 bis 13) entwickelt eine Art allgemeiner Epistemologie. Die zweite (Theoreme 14, 15, 16) ist ein Katalog von Glaubwürdigem, (Sätze des Glaubens), die keiner strengen rationalen Beweisführung zugänglich sind. Die dritte (vom Theorem 17 bis zum 23 und letzten Theorem) behandelt die Aktion (= Tätigkeit, Tun) im allgemeinen, danach die Ursachen und andere damit zusammenhängende Themen. Wir werden uns mit der dritten Gruppe nicht beschäftigen, da sie hier kein besonderes Interesse bietet. I. – Theorie der Erkenntnis (Theoreme 1-XIII). Die Aneinanderreihung der Ideen in den dreizehn ersten Theoremen, läuft auf die folgenden wesentlichen Gruppierungen hinaus: I. Bezogen auf eine Intelligenz von gleicher Art besitzt das Erkennbare (=Intelligible) eine Priorität der Natur gegenüber dem Verstehensakt91 : 169 B.III Antinomie des Einen und Vielen 91 „Das Intelligile geht von Natur aus dem Erkennen voraus“ ([ « Intellectionem intelligibile natura praecedit » ] theor. I). „Dass das erste Intelligible durch den Erkenntnisakt geschaffen wird, [ist] unmöglich“ ([ « Primum intelligibile intellectione creari, impossibile [est] » ] theor. II). Diese Sätze, in ihrem Wortlaut und Sinn so allgemein, sagen schon voraus die völlig gleichen ontologistischen Thesen von Leibnitz und Wolff: absolute Priorität des Wesens vor dem Sein. 156 das Intelligible kann also nicht ursprünglich eine Wirkung des Verstehensaktes sein; und infolgedessen setz der wahrhaft urtümliche Verstehensakt eines Intelligiblen notwendigerweise ein wirkliches Objekt voraus, das dem Intelligiblen entspricht (théor. I, II). II. Welche sind in uns die ursprünglichen, einfachen Intelligiblen? Wie auch immer dem auch sei bezüglich des eigentümlichen Intelligiblen der Einzel-Objekte, wir erreichen in eben diesen selbst die universelle Washeit, das quod quid est = das Was etwas ist, nicht durch eine vergleichende und sekundäre Erkenntnis sondern durch eine unmittelbare, nicht-abgeleitete, „ursprüngliche“ Erkenntnis (théor. III). Die washeitlichen direkt erkannten Allgemeinbegriffe, da sind also unsere wahren „Intelligiblen“ von objektiver Herkunft (von Herkunft aus objektiv?). Auch können wir schon schließen, dass jedem direkten Universale in der Wirklichkeit ein entsprechender „Bewertungsgrad“ entspricht92 ; die Universalien sind keine Fiktionen des Verstandes (théor. IV). 92 „Jedem beliebigen Allgemeinbegriff entspricht im Ding irgendein Grad der Entität“ ([ « Cuilibet universali correspondet in re aliquis gradus entitatis » ] theor. IV) Man muss dies interpretieren im Sinn des scotistischen Formalismus. III. Die materielle Mannigfaltigkeit dieser ursprünglichen Universalien oder diese objektiven Washeiten bei Seite lassend, versuchen wir, ihre allgemeinen logischen Eigenschaften zu analysieren. Die adoptierte Methode wird rein apriori sein. In der „washeitlichen“ Aussageweise (in quid = im Was), sagt der Autor der Theoreme: kann man nicht ins Unabsehbare gehen durch fortschreitende Verallgemeinerung der Attribute (théor. V; théor. IX,1): Zwangsläufig muss man, die Reihe der washeitlichen Grade hinaufgehend, anhalten bei einem oder mehreren absolut universellen Attributen (théor. VI). Aber dass von mehreren ersten Attributen jedes die absolute Universalität präsentiere, das ist unmöglich, (theor. VII). Es würde also scheinen, dass die Auflösung der universellen Begriffe in einem einzigen absolut ersten Begriff abschließen muss. Dennoch drängen sich hier Unterscheidungen auf. Man beobachtet, dass keine Washeitliche Einheit die Rolle eines absolut allgemeinen Attributes spielen kann (theor. IX, 2: „kein Beriff vom Einen im Was wird ausgesagt von allen übrigen“ [ « nullum conceptum unum in quid de caeteris omnibus praedicatur » ]). Dieser Vorbehalt bedeutet – ganz und gar dem Geist des authentischen Scotismus entsprechend – , dass der allgemeinste Washeitliche Begriff, der des univoken Seienden in seinem Umfang nicht die unzurückführbaren Differenzen einschließt, 170 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 157 158 die man wohl zulassen muss zwischen den Seienden (les êtres), wenn man nicht jeden Unterschied leugnen will: Denn jede Unterscheidung wird zurückgeführt auf von Anfang an verschiedene Unterscheidungen“ ([ « Omnis enim distinctio reducitur ad distinguentia primo diversa » ] Ebenda.) ; „in der Tat wenn jeder unterschiedliche Rückstand, so weit wie auch immer die Aufsplitterung vorangetrieben wird, noch immer (univokes) Sein wäre, würde sich daraus ergeben entweder die unabsehbare (bis ins Unendliche) Reduzierbarkeit der Differenzen (Vorgang in infinitum [processus in infinitum]) oder die endgültige Absorption der Differenzen in der reinen und einfachen Identität (Monismus). Unsere Begriffe enthalten also notwendigerweise neben den washeitlichen Attributen, auch rein qualitative Attribute, die primitive Differenzen ausdrücken. Die Auflösung der Begriffe wird anhalten, nicht an einem einzigen ersten Begriff, sondern an mehreren : „Die Auflösung der Begriffe wird anhalten bei einigen ersten“ ([ « conceptuum stabit resolutio ad aliquos primos »] theor. IX,3). Wir dürfen also in der rückläufigen Analyse unserer direkten Allgemeinbegriffe (die Wirkliches ausdrücken und infolgedessen auch ihre notwendigen analytischen Elemente zur reellen Ordnung zurückbringen), nicht unterlassen, eine washeitliche Linie (Wesens-Grade) und eine qualitative Linie (Differenzen) zu unterscheiden. Erforschen wir zuerst diese letzte Linie. Welche sind die primitiven und nicht zurückführbaren „Unterscheidungen“ in den Begriffen? Die Allgemeinste wird markiert in der relativen Gegenüberstellung von „bestimmend“ und von „bestimmbar“ ([ « determinans » und « determinabile » ] theor. IX,4): man würde darauf leicht die anderen am gleichen Ort aufgezählten Differenzen-Paare zurückbringen: „Gattung und artbestimmender Unterschied = genus und differentia“; „Materie und Form “; „höhere Unterschiede und niedere Unterschiede = differentia superior und differentia inferior“, sich abstufend bis zur „species specia1issima = die allerbesonderste Art“, formartige Bezeichnung des Individuums93 93 Wenn der Autor der Theoreme hier nicht den Ausdrück „species specialissima“ selbst benutzt, macht er davon Gebrauch in einer parallelen Bemerkung, die am Ende des theor. V formuliert wird. Muss man, wie der Text es zu verlangen scheint, zu den vorhergehenden Begriffspaaren hinzuzufügen das von „geschaffen und ungeschaffen“? „Dem Geschaffenen und Ungeschaffenen, so lesen wir, ist kein gleicher Begriff per se gemeinsam“ ([ « Creato et increato, lisons-nous, nullus idem conceptus per se communis est » ] theor. IX,5). Dieser Satz hat die Kommentatoren etwas in Verlegenheit gebracht, die die Theoreme Duns Scotus zuschrieben, denn sie scheint mit der Univozität des Seins unverträglich. Wie dem auch mit Duns Scotus sei, die Interprétationsschwierigkeit besteht übrigens fort, auch wenn man sich nur an den Text der Theoreme hält, die, ein bisschen weiter unten eine zweifellose Bestätigung der Univozität des Seienden, im scotistischen Sinn verstanden, enthält. Der zweideutige Satz muss also auf jeden Fall auf eine Weise erklärt werden, die die Univozität respektiert; die klassische Interpretation von Maurice du Port und Cavell kommt darauf zurück, den Autor sagen zu lassen "´dass gar kein Begriff unmittelbar als univokes Attribut auf jedes beliebige logische Subjekt (Thema), das entweder Geschaffenes oder Ungeschaffenes bezeichnet, passt“: der Satz 5 des theor. IX wäre also nur eine Art von Schlussfolgerung, die unter einer anderen Form den Satz 3 wiederholt: „Die Auflösung der Begriffe bleibt bei einigen ersten stehen“ [ « conceptuum resolutio stabit ad aliquos primos » ]. Diese Erklärung scheint im ersten Zugang ein bisschen gezwungen; Tatsächlich ist sie ernsthaft im logischen Kontext begründet und nicht ohne 171 B.III Antinomie des Einen und Vielen Wahrscheinlichkeit. Vielleicht würde man auch gleich gut die Schwierigkeit umgehen, wenn man dem strengen Sinn der Wörter „conceptus“ und „communis“ beim Autor der Theoreme Rechnung trägt, wenn man wenigstens annimmt dass dieser, wie wir es zugeben können, die nuancierte Meinung von Duns Scotus über die Univozität teilt. Aber insistieren wir nicht: beim Fehlen eines sicheren kritisch festgestellten Textes der Theoreme würde es unnütz sein, vielleicht leere Mutmaßungen zu akkumulieren. Wir wollten vor allem darauf aufmerksam machen, dass die begriffliche Irreduktibilität vom Geschaffenen und dem Ungeschaffenen, die anscheinend im theor. IX, prop. 5, behauptet wird, möglicherweise doch der Univozität des Seins nicht widerspricht, da sie sicherlich im theor. XIII, prop. 7. behauptet wird Nachdem das Theorem XIII in einer besser geordneten Form die Grundlage des Theoremes IX von neuem aufgenommen hat, unterrichtet es uns über die Ordnung der Priorität der Begriffe in der washeitlichen Linie und über den Gesamtzusammenhang der washeitlichen Begriffe mit den qualitativen Begriffen. Unter dem washeitlichen Gesichtspunkt kommt die Analyse der Begriffe zum Abschluss in einem ersten und einzigen Begriff, dem Seienden: „Durch washeitliche Auflösung wird bei einem erste Begriff stehen geblieben“ ([ « Quiditative resolvendo, ad unum primum conceptum status erit » ] theor. XIII,7).“Es ist aber jener Begriff der gemeinsamste ..., und er ist der des Seienden“ ([ « Est autem iste conceptus communissimus ..., et est entis » ] Ebenda). Dass es sich wohl um das „univoke“ Seiende handelt, zeigt der Beweis, auf den sich dieser Teil des theor. XIII stützt, ganz evident. Nun aber kann der gemeinsame Begriff des Seienden in der Definition des Wesens den individuellen Grad (und die objektive Wirklichkeit) nur zusammenbringen durch die Vermittlung von untergeordneten Begriffen. Was wissen wir apriori von diesen letzteren? In Strenge nur eine Sache: dass sie „mehrere“ sein müssen: „Unter dem ersten Washeitlichen sind unmittelbar einige washeitliche Begriffe enthalten“ (theor. XIII,9). Diese Begriffe, die unmittelbar und sozusagen gleichberechtigt, das univoke Sein aufteilen, werden in der traditionellen Liste der aristotelischen Kategorien aufgezählt. Der Autor versucht eigentlich nicht eine Herleitung der Kategorien, aber, in einigen knappen Worten, macht er darauf aufmerksam, dass sie entsprechen, und allein entsprechen der Forderung, die er apriori formuliert hatte. – diese Begriffe, Kategorien oder Aussageweisen (Prädicamente), sind „deshalb erst-unmittelbare [unter der ge« ideo [sunt] immediati primo [sub ra- meinsamen Rücksicht des Seienden], weil tione communi entis], quia in quoli- in jedem auch immer anderen washeitlibet alio quiditativo conceptu aliquis chen Begriff irgendwas von jenen eingeistorum includitur : et nullus istorum schlossen ist und keiner von ihnen in eiin alio : nec alius quiditativus in nem anderen: und nicht ein anderer waseorum aliquo, nisi prius haec genera- heitlicher in einem von ihnen, wenn von lissima genera seu prima genera di- ihnen nicht vorher diese allgemeinsten Gattungen oder ersten Gattungen ausgecuntur » (theor. XIII, 9). sagt werden.“ (theor. XIII,9). 172 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung Die allgemeinen Beziehungen der washeitlichen Reihe zu der qualitativen Reihe finden sich kurz angedeutet in den Sätzen 10 und 11 des Theoremes XIII: „Es gibt irgendeinen qualitativen Begriff, der jeden beliebigen washeitlichen benennt“ ([ « Est aliquis conceptus qualitativus, denominans quemlibet quiditativum » ] prop. 10) das heißt, dass irgendein qualitativer Begriff existiert anwendbar, wenigstens durch Benennung94 . 94 Die qualitativen Begriffe werden vom Autor aufgeteilt in bestimmende Begriffe, die eintreten wie eine innere Bestimmung in die Zusammensetzung des washeitlichen Begriffes, und in benennende (denominative) Begriffe, die, obwohl notwendig verknüpft mit dem washeitlichen Begriff, nicht in die eigentliche Zusammensetzung selbst von diesem eingehen („an sich werden sie nicht eingeschlossen“ [ « per se non includuntur » ]). 159 auf jeden beliebigen washeitlichen Begriff; mit anderen Worten: dass es „benennende“ erste Begriffe gibt, erste in ihrer Ordnung und absolut universelle („denominativi communissimi = benennende gemeinsamste“): zum Beispiel die Begriffe unum, verum, bonum, (eins, wahr, gut) die das Seiende als solches „benennend“, jedes Seiende mit dem selben Titel bezeichnen. Diese qualitativen „Benennungen = denomminationes“ sind wahrhaft erste und originale, denn trotz des unauflöslichen Bandes, das sie am Sein festbindet, enthalten sie nicht in ihrem ihnen eigenen Begriff weder den Begriff des ens, (washeitlich und univok), noch durch Folgerung irgendein Untergeordnetes des Seienden. „Kein benennender gemeinsamster Begriff schließt das erste Washeitliche per se ein“ ([ « Nullus conceptus denominativus communissimus primum quiditativum per se includit » ] prop. 11). IV. Die obenstehende Analyse ruft vom epistemologischen Gesichtspunkt her nach einigen Verdeutlichungen. Die unmittelbare wenigstens konfuse Erkenntnis der Einzeldinge, ist nicht wirklich in Frage gestellt durch den Autor der Theoreme. Hinsichtlich der allgemeinen Begriffe bezeichnet nach Theorem IV jeder einen wirklichen Grad von Entität in den Objekten, auf die sie sich anwenden: „Jedem Allgemeinbegriff entspricht in der Sache irgendein Grad von Entität, in dem die Inhalte übereinstimmen unter dem Universalbegriff selbst.“ ([ « Cuilibet universali correspondet in re aliquis gradus entitatis, in quo conveniunt contenta sub ipso universali » ] loc. cit.). Dieser Satz würde ausreichen, um zu zeigen, wieweit der Autor der Theoreme von jedem Nominalismus entfernt bleibt. Der gleiche Hinweis trat schon hervor beim vorhergehendes Theorem („den Universalbegriff erkennen wir als erstes“ [ « Universale primo intelligimus » ]) wo ausdrücklich eine Doktrin über die Universalbegriffe verworfen wird, die mit der von Ockham identisch ist. Im Übrigen hat die grundlegende Inspiration der dreizehn ersten Theoreme, um noch nicht vom Theorem XVII und den folgenden zu sprechen, nichts gemeinsam mit dem Terminismus (=Nominalismus). Wenn die Theoreme XIV, XV und XVI, über die wir später sprechen wollen, agnostische Thesen formulieren, die materiell mit 173 B.III Antinomie des Einen und Vielen denen von Ockham zusammenfallen, berechtigt uns das nicht, unseren Autor in die Reihe dieser letzteren einzuordnen. Wir müssen im Gegenteil, uns anstrengen, zu verstehen, dass ein gewisser Agnostizismus die Frucht eines übertriebenen Realismus sein könnte. 1. Trotz einer oder zwei offensichtlicher95 95 Wir denken an Theorem III, das sich übrigens leicht im scotistischen Sinn zu interpretieren scheint, und an die oben angedeutete angebliche Negation der Univozität des Seins (theor. IX,5).). Dissonanzen, unterscheidet sich der Realismus der Theoreme nicht deutlich von dem von Duns Scotus. Auf beiden Seiten gibt man zu, dass das „Einzelnsein irgendeine Entität ist“ [ « singularitas est entitas aliqua » ]96 ; 96 Theorem III, 2, gegen das Ende. Der Autor der Theoreme schließt sich dieser Hypothese an durch Ausschluß von zwei anderen Hypothesen, die im gleichen Paragraphen erwähnt werden, (siehe den Beginn der n˚ 3) 160 auf beiden Seiten unterstützt man, gegen die Thomisten, einen sehr ausgeprägten Realismus der Allgemeinbegriffe (théor. IV): ein Realismus beschrieben in Ausdrücken, die die Theorie des Formalismus implizieren, und von der „wirklichen Einheit, die weniger ist als numerische Einheit = unitas realis minor numerali“ („nach der Ordnung der Universalbegriffe gibt es eine Ordnung der Grade der Entitäten im Individuum“: [ « secundum ordinem universalium est ordo graduum entitatis in individuo » ] theor. IV, am Ende); auf beiden Seiten wird auch die Univocität des Seins, die so eng verknüpft ist mit dem ganzen Problem der Erkenntnis, auf gleiche Art konzipiert (théor. XIII,7); man muss dasselbe sagen von der Beziehung des Seins zu seinen transzendentalen Attributen und zu den letzten Differenzen (theor. IX, 2, 3, 4; XIII, 10,11). Lassen wir andere kleinere Konkordanzen bei Seite, da auch schon die, die ausschlaggebend sind, schon so gut eine enge Parallelität zwischen der Epistemologie der Theoreme und der von Duns Scotus, selbst Erbe von franziskanischen Vorgängern, feststellen lassen. 2. Ein anderer Aspekt der im Wesentlichen scotistischen Epistemologie der Theoremata muss angezeigt werden, bezüglich der seltsamen Ähnlichkeit, die sie mit der Denkweise und dem Ausdruck hat, die später innerhalb der kartesischen Schule vorwiegen werden: wir wollen von einer Art von Theorie der „einfachen, klaren und distinkten Ideen“ sprechen – einer Theorie, die noch verknüpft ist mit dem Realismus der Universalbegriffe, was sie bis zu einem gewissen Punkt vom Cartesianismus unterscheidet. Sie wird skizziert in den ersten Theoremen, vor allem in den Theoremen V, VIII, IX. Zum Beispiel stellt das Theorem V im Prinzip die Notwendigkeit auf, unsere objektiven Begriffe in erste und einfach Intelligible aufzulösen. Zum wenigsten ist diese Analyse für eine „vollendete“ (ganz distinkte) objektive Erkenntnis erfordert, die sonst eine unvollkommene und „konfuse“ Erkenntnis bleibt. 174 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung Das Theorem VIII stützt sich auf zwei noch bezeichnendere Postulate („petitiones“): „etwas zuerst und vollkommen begreifen“ [ « aliquid primo et perfecte concipi » ] und “dass einige Begriffe klar unterschieden (=distinkt) sind“ [ « conceptus aliquos esse distinctos » ] (loc. cit.). Um die logische Tragweite dieser Postulate zu verstehen, müssen wir sorgfältig die Definition der Ausdrücke beachten, die dort erscheinen: 10 [„Begriffe = Conceptus“]. Der Begriff wird von seiner Unmittelbarkeit zum Objekt her definiert: dies ist das Objekt selbst insofern es „den Akt des Verstehens terminiert“ (théor. VIII,1), oder, wie es die Auslegung von Maurice du Port sagt, „objectum sub concipi = Objekt im Vorgang des Konzipierens“ (Ebenda).). Der gleiche Sinn absichtlich objectivistisch wird wiederaufgenommen im Theorem IX, 6: „Begriff nenne ich das Objekt actu verstanden, wie es nämlich im Intellekt nicht als Form sondern als actu erkanntes ist“ [ « Conceptum dico objectum actu intellectum, prout scilicet est in intellectu, non ut forma, sed ut actu cognitum » ]97 97 Dieser rigorose Objektivismus ergibt sich endgültig aus Theorem I, das das absolute Voraussein des Intelligiblen vor dem Verstehen behauptet: „das intelligible geht dem Verstehensakt von Natur aus voraus“ [ « intellectionem intelligibile natura praecedit » .] 161 20 [ „Als Erstes begreifen“ und damit zusammenhängende Ausdrücke], a) „Als Erstes begreifen heißt, was dem Intellekt adaequat ist. Unter Adaequatio versteht man so, dass es das ganze Objekt ist, nicht nur ein Teil des Objekts“ ([ « Primo concipi dicitur, quod intellectui adaequatur. Adaequatio intelligitur sic quod sit totum objectum, non pars objecti » ] theor. VIII, 2 und X,1). Das heißt, dass die Begriffe primitiv oder adaequat heißen, wenn sie das objektive Wesen umfassen seiner Gesamtheit nach, nicht nach solchem oder solchen seiner Teile. Mit anderen Worten das primitive Stadium der Ideen ist das, was allem analytischen Zerlegen vorangeht. b) „Per se [nicht als Erstes] wird verstanden, was auch immer im als Erstem Begriffenen wesentlich eingeschlossen ist. Wie die Gattung per se begriffen wird wenn die Spezies als Erstes begriffen wird “ ([ « Per se [non primo] concipitur, quidquid in primo concepto essentialiter includitur. Sicut genus per se concipitur, quando species primo concipitur. » ] theor. VIII, 3 und X,2). In der Ordnung der Vernunft ist der Begriff der metaphysischen Teile eines Wesens, ganz unmittelbar bleibend (per se nicht per aliud) sekundär in Bezug auf den gesamten („adaequaten“) Begriff dieses Wesens. c) „Vollkommen wird etwas erkannt, von Seiten des Objekts her, wenn nichts vom Objekt verborgen bleibt“ ([ « Perfecte cognoscitur, ex parte objecti, quando nihil objecti latet » ] theor. X,3). Nach dem Theorem V würde „vollkommen“ sein, die Erkenntnis, die die ersten und nicht reduzierbaren Attribute erreichen würde, die das Wesen des Objekts ausdrücken. 175 B.III Antinomie des Einen und Vielen 162 Zwei praktische Folgerungen [Corollarien] ergeben sich unmittelbar: „Deshalb wird das Einfache, wenn es begriffen wird, vollkommen begriffen“ ([ « Simplex itaque, si concipitur, perfecte concipitur » ] Ebenda).). Der „einfache“ Begriff das heißt der, der in einer beliebigen Ordnung nicht weiter analysierbar ist, würde in dieser Hinsicht tiefer verborgene Attribute nicht enthalten können, und wäre nicht zugänglich für irgendeine Ursache des Irrtums. Hingegen kann es „dem Auflösbarrn passieren, unvollkommen begriffen zu werden“ ([ « resolubile contingit imperfecte concipi » ] Ebenda): so lange ein Objekt noch empfänglich ist für Analyse, kann sein Begriff unvollkommen bleiben (das heißt er bleibt in der Tat unvollkommen so lange er nicht an einfache Begriffe angebunden ist); denn die „vollkommene“ „vollendete“ Erkenntnis, steigt auf bis ans Ende der Reihe der wesentlichen Attribute (cf. theor. V). 30 [ „Distinkt = genau“, „Konfus“]. „Genau wird erkannt, was nach dem erkannt wird, nach dem es sich von anderen unterscheidet“ ([ « Distincte concipitur, quod secundum hoc concipitur, secundum quod ab aliis distinguitur » ] theor. X,4). „Konfus wird erkannt, was ungenau erkannt wird“ ([ « Confuse cognoscitur quod indistincte » ] theor. X,5). Der Autor des kleinen Werkes erinnert mit dieser Äußerung daran, dass ein „nicht-primitiver“ Begriff, zum Beispiel der Begriff einer Gattung, in seiner Ordnung sehr gut „vollkommen“ und „distinkt“ sein kann. Kommen wir jetzt auf die zwei weiter oben angegebenen Postulate zurück. „Irgendetwas als erstes und vollkommen begreifen“ [ « Aliquid primo et perfecte concipi » ]: ist es wahr, dass wir die Wirklichkeit erreichen können durch die primitiven (adaequaten = angemessenen) und vollkommenen (vollständig in einfache Attribute auflösbaren) Begriffe? Der Autor der Theoreme zweifelt nicht daran, denn die direkten Universalbegriffe, durch die sich jede Serie unserer objektiven Erkenntnisse einleitet, (théor. III),: – 10 haben als intelligible Ursache die extramentale Wirklichkeit und sind also „primitiv“ (théor. I, II (IV); – 20 repräsentieren „Naturen“ oder „Washeiten“ ihrer objektiven Gesamtheit zufolge, und nicht einer subjektiven und künstlichen Aufsplitterung zufolge, was die Definition des Begriffes „adaequat = angemessen“ ist (theor. III); – 30 sind von Rechts wegen und de facto zerlegbar in letzte und einfache Attribute, sowohl washeitliche als auch differentielle, was die Bedingung ist für „vollkommen begreifen“ (theor.V, IX, XI, XII (XIII). Das zweite Postulat: „dass einige Begriffe klar (distinkt) sind“ [ « conceptus aliquos esse distinctos » ,] findet seine evidente Verifizierung in der Unzurückführbarkeit des Qualitativen (Wie-Seins) auf Washeitliches (Was-Sein) und der Differenzen unter sich (oben zitierte Theoreme). Bevor wir die logische Schlussfolgerung aus diesen Definitionen und diesen Postulaten ziehen, fügen wir ein letztes Merkmal hinzu, welches das Theorem IX Satz 8 liefert: „Jeder Begriff verglichen mit was für einem auch immer, der nicht ganz gleich ist – ist entweder von Anfang an diversus = verschieden von jenem, 176 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 163 wenn er mit jenem in keinem Begriff übereinstimmt – oder unterschieden ( = differens), wenn er in irgendeetwas übereinstimmt und zugleich in irgendetwas sich unterscheidet – oder geordnet, nämlich wenn der eine den anderen ganz einschließt und umgekehrt nicht.“ [ « Omnis conceptus, ad quemcumque non omnino eumdem comparatus, aut est primo diversus ab illo, si cum illo in nullo conceptu conveniat, – aut differens, si in aliquo conveniat et in aliquo differat, – aut ordinatus, puta si unus totum alium includat et non e converso. » ] Man sollte diese letzte Bemerkung beachten: die Ordnung (wesentliche, analytische) der objektiven Begriffe; denn sie gehört auch zur Terminologie von Duns Scotus und spielt eine wichtige Rolle in den Theoremen XIV und den Folgenden, wo wir sie wiederfinden werden. Die fragliche Ordnung ist offensichtlich eine Beziehung der logischen Einschließung. Beim Gruppieren aller Elemente, an die wir uns gerade erinnert haben, ist es möglich, sich eine Idee der Epistemologie zu machen, die der Autor der Theoreme öffentlich bekannte. Der unmittelbare Kontakt unserer abstractiven Intelligenz mit dem Wirklichen etabliert sich durch die primitiven allgemeinen Begriffe, die direkt das intelligible Wesen der existierenden Dinge ausdrücken. In den primitiven Begriffen und teilnehmend an ihrem objektiven Wert, sind uns virtuell alle unsere anderen Begriffe gegeben. Diese anderen Begriffe können Wirkliches nur ausdrücken im exakten Maße ihrer Beziehung zu den ersteren, [den primitiven Begriffen]. Um uns zu metaphysischen Schlussfolgerungen zu führen, muss die Analyse der primitiven Begriffe jeder subjektiven Willkür entkommen, und befohlen werden durch die strengste logische Notwendigkeit. Mit anderen Worten die sekundären Begriffe, Resultat dieser Analyse, müssen einen Punkt von Unzerlegbarkeit erreichen, wo ihre Einfachheit sie sogar jeder Ursache eines Irrtums entzieht. Solange, in der Tat, wie diese Begriffe unvollständig analysiert bleiben, ermöglicht der Grad der Konfusion, der sich damit noch verbindet, die Möglichkeit von Verwechslungen. Nun aber wissen wir apriori, dass die Analyse der Begriffe, was auch immer die dazwischenliegenden Etappen wären, mit einer unbeugsamen Notwendigkeit bis zu letzten Punkten führen, die die logischen Garantien von Inerranz bieten, die wir gerade gefordert haben. Das sind : 10 in der Linie der Aussageweise „in quid = im Was“, der absolut letzte und universelle Ausdruck, das univoke Seiende (theor. XIII, 7-8). 20 in dieser gleichen Linie, zwischen dem Seienden (ens) auf der einen Seite und der partikulären Washeit auf der anderen Seite, die „obersten Gattungen“, washeitliche Begriffe, vollkommen „distinkt = unterschieden“ voneinander, die den zehn Kategorien entsprechen, (theor. XIII,9). 30 in der Linie der differentiellen Aussageweisen, „in quale = im wie beschaffen“, alle letzten Differenzen, das heißt das nicht zerlegbare unterschiedliche Element, verborgen (=latent) unter jeder der wahrgenommenen Unterschiede, théor. X, 2, 3, 4, 5; XIII, 2, 3, 4, 10,11). 177 B.III Antinomie des Einen und Vielen 40 unter diesen letzten Unterschieden, ganz besonders die Allgemeinsten, die „benennen“, (eher und nicht so sehr „bestimmen“) das Seiende als solches (theor. XIII, 10,11). Man erkennt die klassischen „Transzendentalien“ : das Eine, Wahre Gute = unum, verum, bonum, die vom Autor auch „Differenzen des Seins“ genannt werden (cf. theor. XIV,1). 50 schließlich die Einheit, die jedem Zusammengesetztem eigentümlich ist, was auch immer es wäre. Das, in sofern es vereinheitlichender Akt ist, nicht auflösbar in die Verschiedenheit, die sie vereinigt, ist eines dieser ursprünglichen und einfachen Elemente, wo zwangsläufig die Analyse anhält (theor. XII :„Es gibt für jedes beliebige Zusammengesetzte irgeneinen ihm eigentümlichen einziger und einfacher Akt“). [ « uniuscujusque compositi est aliquis proprius actus unicus et simplex » .] 164 Diese gerade angeführte Aufzählung zeigt die verschiedenen Klassen von einfachen Begriffen – klar und verschieden (ideae clarae et distinctae) – die eine strenge rationale Notwendigkeit mit den allgemeinen und primitiven Begriffen verkettet mit denen sie den Wirklichkeitswert mit Recht teilen. So finden sich klar markiert, ausgehend von unseren unmittelbaren Wahrnehmungen der Objekte, die einzigen Richtungen, in denen sich die metaphysische Demonstration bewegen könnte: sie wird alles in allem der logischen Gliederung dieser wesentlichen Ordnung der Begriffe [ ordo essentialis conceptuum] folgen, von dem im Theorem IX prop. 8 die Frage ist. Außerhalb davon, das heißt außerhalb der primitiven Wahrnehmungen und ihrer analytischen Auflösung in klare und distinkte begriffliche Elemente, kann man zweifellos überzeugende Argumente aufbauen, praktisch sichere, nicht aber streng wissenschaftliche Beweise, deutlich bezeichnet mit dem Siegel der Endgültigkeit. Sehen wir unverzüglich die Anwendung dieser Regel der Kritik. II. Agnostische Thesen (Theoreme XIV-XVI). In den Theoremen XIV, XV, XVI, begleitet die agnostische Formel: „es kann nicht bewiesen werden, dass ... probari non potest quod... “ wie ein Refrain, von dem man nicht genau weiß, ob er melancholisch oder triumphierend ist, eine lange Serie von Sätzen, die entweder ausschließlich zur offenbarten Theologie gehören, oder auch zur natürlichen Theologie und zur Metaphysik der Seele. Man hatte beinahe einstimmig geglaubt, seit Wadding, sich dort in Gegenwart eines Vortrags über die „credibilia = Glaubwürdiges“ zu befinden, von Duns Scotus angekündigt gegen Ende des De primo principio, wie eine Einleitung zu einer Fortsetzung dieses letzten Traktats: 178 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung « In hoc quippe tractatu, disait le Docteur en s’adressant à Dieu, tentavi quomodo Physica, de te dicta, ratione naturali aliqualiter concluderentur. In sequenti98 ... ponentur credibilia, quibus, vel ad quorum assensum ratio captivatur99 : quae tamen eo sunt Catholicis certiora, quo non intellectui nostro caecutienti et in pluribus vacillanti, sed tuae solidissimae veritati firmiter innituntur » (De primo principio, cap. IV, n0 37. Vol. III, p. 252 a). „In diesem Traktat nämlich, sagte der Lehrer, indem er sich an Gott wendet, habe ich versucht wie die über dich ausgesagten Physica mit natürlicher Vernunft irgendwie erschlossen werden können. Im Folgenden 98 ... werden die credibilia (= Glaubwürdiges) aufgestellt, mit denen oder zu deren Zustimmung die Vernunft gefesselt wird 99 : die jedoch für Catholiken um so sicherer sind, je mehr sie nicht auf unseren blind machenden und in vielem schwankenden Intellekt sondern auf deine solideste Wahrheit fest sich stützen.“ (De primo principio, Kap. IV, n˚ 37. Vol. III, p. 252 a). 98 Hier wird die Auslegung im Text von Wadding eingeschaltet: „nämlich in den Theoremata“; nicht vorhanden in zwei alten Manuskripten, die noch existieren, sie scheint also nicht von Duns Scotus selbst zu sein. Siehe E. Longpré op. cit., p.289. 99 Das heißt: wo die Vernunft die Gefangene des Glaubens ist. 165 Aus diesem Text kann man entschieden nichts folgern zugunsten der scotistischen Authentizität der Theoreme. Vielleicht jedoch ist es erlaubt, dort bei Duns Scotus das Anzeichen von einem gewissen Vorbehalt zu sehen, der sich, nicht auf die Gültigkeit der Gewissheit, sondern auf den streng wissenschaftlichen Charakter der „physikalischen“ (kosmologischen) Beweise von der Existenz Gottes und der göttlichen Natur erstreckt. In diesem Fall hätte der Autor der Theoreme XIV-XVI nur eine Art von latentem Semi-Fideismus, schon im Denken des Doktor subtilis expliziert, betont. Im entgegengesetzten Fall, der uns der wahrscheinlichste scheint, bilden die Theoreme XIV-XVI gar keine Art von Verlängerung des Denkens von Duns Scotus, sondern stellen unter der Rücksicht jeder transzendenten Metaphysik – sowohl der scotistischen wie der nicht scotistischen – eine sehr lebendige kritische Reaktion dar, aber dennoch weniger radikal als der Nominalismus von Ockham. Denn sie fundiert noch auf einer realistischen Epistemologie, mit naher Verwandschaft zur Epistemologie von Duns Scotus. Historisch gesehen ist ein gewisser Einfluss der ockhamistischen Thesen auf die Theoreme XIV-XVI möglich. Logisch betrachtet bleiben sie unabhängig vom Ockhamismus als solchem. Und es ist hauptsächlich unter diesem logischen Gesichtswinkel, dass sie uns hier interessieren. « Die exakte Bedeutung der Formel „es kann nicht bewiesen werden, dass“ [ « probari non potest quod » ,], der wir so oft begegnen werden, kommt zur Geltung in den Texten, wo sie benutzt wird. Zum Beispiel im Theorem XV (dessen natürlicher Platz, so scheint es, vor dem Theorem XIV sein würde) kündigt man 179 B.III Antinomie des Einen und Vielen Schlussfolgerungen an „die scheinen nicht mit Notwendigkeit mittels der rein natürlichen Vernunft“ bewiesen werden zu können [ « quae videntur non posse probari necessario ratione mere naturali » ]; und, weiter unten besteht man auf der Art und Weise, wie man „probari = beweisen“ verstehen muss: „Man versteht bewiesen werden als notwendig folgend mit natürlicher Vernunft“ ([ « Accipiatur probari ratione naturali necessaria » ] op. und loc. cit. p. 292 b). Das will nicht sagen, dass diese „unbeweisbaren“ Thesen ganz und gar außer der Reichweite der reinen Philosophie wären: „die Philosophen haben viel von Gott gesagt, wozu sie durch die natürliche notwendige Vernunft nicht gelangen konnten, wie es aus 11 und den sechs folgenden klar ist und den Büchern über die Physik“ ([ « Philosophi multa dixerunt de Deo, ad quae per rationem naturalem necessariam pertingere non potuerunt, ut patet ex 11 et sex sequentibus, et libris Physic. » ] theor. XVI, prop. 19). Die Beweise deren Möglichkeit man bestreite, sind also streng (severement) analytische Beweise, streng (strictement) rational, hergenommen von der Wesens- „Ordnung“ (logisches Ineinandergreifen) der Begriffe. Jedesmal wenn man, zu einem Punkt der Lehre den Anteil des philosophischen Agnostizismus bestimmt: ist dies summarisch, weil in diesem Punkt die analytische Ordnung100 100 Die „Ordnung“ [ordo] von der die Rede ist, scheint nicht verschieden von dieser wesentlichen Ordnung ... der Kausalität, der Eminenz und des Ziels [ordo essentialis...causalitatis, eminentiae et finis], auf die sich Duns Scotus beruft schon seit dem Anfang von De primo principio als dem Fundament seiner Beweise über die Natur und die Attribute Gottes. Die Demonstration „Durch die wesentliche Ordnung“ [=per ordinem essentialem] ist eine Demonstration a posteriori, rein analytisch, des transzendenten metaphysischen Objekts. der Begriffe nicht ausschlaggebend ist: „weil die Ordnung das nicht schließen lässt“ ([ « quia ordo hoc non concludit « ] theor. XIV, prop. 1). Wenden wir jetzt das epistemologische Kriterium, von dem wir oben die entwickelte Formel gegeben haben (S.163), auf die Probleme der Existenz und der Natur Gottes an. Im theor. XV, zeigt der anonyme Autor, ausgehend von zwei Postulaten auf die wir unverzüglich zurückkommen werden, die drei folgenden Sätze, die eine Theodizee in die Wege leiten: 1. « In genere causae efficientis est 1. „Die Gattung der Wirkursache muss dare unicum primum efficiens, quod ein erstes einziges Bewirkendes liefern, nunc est in rerum natura. » – 2. das in der Natur der Dinge ist.“ – 2. „Je« Omne efficiens perfectius [est] ef- des Bewirkende ist vollkommener als das fectu, vel aeque perfectum. » – 3. Bewirkte oder gleich vollkommen.“ – 3. « Deus est perfectius omni effectu » „Gott ist vollkommener als jeder Effekt“ (theor. XV, p. 291b-293a). (theor. XV p. 291b-293a). Der existierende Gott offenbart sich als eine Ursache, deren inneres Wirkungsvermögen oder Vollkommenheit höher ist als jede partikuläre Wirkung und mindestens gleich der Summe der Vollkommenheit, die in allen Effekten zusammen- 180 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 166 genommen verwirklicht ist. Diese höchste Vollkommenheit, in dem Maße in dem sie beweisbar ist, bleibt also bezogem auf die niedrigere Ordnung der geschaffenen Vollkommenheiten: um den Begriff Gottes zu erhöhen bis zur wahrhaftigen Transzendenz, bräuchte es andere Quellen der Beweise: wir sind an der Grenze von dem, was die Vernunft garantiert: „Hier, so warnt uns der Autor, muss man die Grenze des von Gott durch die natürliche notwendige Vernunft Erkennbaren setzen und zwar unter der Voraussetzung jener beiden Forderungen [über die oben geredet wurde]“ ([ « Hic, warnt uns der Autor, pone terminum cognoscibilium de Deo per rationem naturalem necessariam, et hoc suppositis illis petitionibus duabus [de quibus supra] » ] loc. cit., p. 292 b). Aber was gelten die zwei Postulate, auf denen die ganze durchgeführte Beweisführung aufruht? Hier sind sie angeführt: 1. „In den wesentlich geordneten ist die 1. « In essentialiter ordinatis est dare erste Stelle dem zu geben, was einzig ist primum, quod sit unicum, et coaeund gleich aevum jener Zuordnung [das vum illi coordinationi [c’est-à-dire unheißt einzig und koexistierend der ganzen ique et coexistant à toute la série] » . Serie]“. – 2. „In jeder Gattung der Ur– 2. « In omni genere causae est orsache ist eine wesentliche Ordnung“ (loc. do essentialis » (loc. cit. p. 291 b). cit. p. 291 b). Nun aber gilt von den zwei Or, des deux propositions postulées, postulierten Sätzen, dass „ jeder, auch « utraque, licet sit probabilis, tamen wenn er wahrscheinlich ist, es dennoch difficile esset, vel forte nobis imposschwierig oder vielleicht für uns unmögsibile, eam simpliciter, necessaria ralich wäre, ihn einfach mit notwendigem tione et mere naturali, probare » (loc. und rein natürlichem Vernunft-Grund zu cit.). beweisen“ (loc. cit.). Und der Autor der Theoreme zeigt sehr klar warum. Er leitet auf diese Weise eine lange Serie von Zerstörungen ein. Selbst noch bevor man den Umfang davon abschätzt, sollte man wohl die allgemeine Form der zersetzenden Beweisführung, die das bewirkt, betrachten. Diese Beweisführung, deren ausführliche Darstellung hier zu lang sein würde, kommt unvermeidlich darauf zurück festzustellen: entweder direkt dass eine gegebene Behauptung nicht mit absolut logischer Notwendigkeit verknüpft ist mit der Evidenz der primitiven Begriffe oder mit der analytischen „Ordnung“, die auf ihnen gründet; – oder indirekt dass eine gegebene Beheuptung nur bewiesen werden kann kraft einer anderen Behauptung, die seinerseits unbeweisbar ist. Im ersten Fall, zu dem der zweite zwangsläufig zurückbringt, handelt es sich um einige privilegierte Behauptungen, die sozusagen Gruppen-Anführer sind. So die zwei Postulate, von denen wir oben sprachen. So mehrere Thesen die sich auf die göttliche Natur beziehen: wir werden davon zwei oder drei zitieren, mit den bezeichnendsten Passagen ihrer jeweiligen Beweise. Die Behauptung 1 des Theoremes XIV, zum Beispiel: 181 B.III Antinomie des Einen und Vielen 167 « Non potest probari Deum esse vivum. Tum quia ordo hoc non concludit : Sol non vivit, bos vivit. Tum quia haec non est differentia aliqua entis, nec communis omnibus entibus, vel ejus oppositum, sed tantum sunt differentiae corporis corruptibilis. Tum quia primum [ens aut efficiens] habet perfectionem nobiliorem vita; sicut et Sol habet, non tamen vivit » (loc. cit., p. 284 b). Ou encore : « Non potest probari quod Deus careat magnitudine. Tum, quia nullum non quantum est nobis necessaria ratione cognoscibile, quia nec sensibile. Tum quia ordo hoc non concludit... Tum quia quantitas primo advenit substantiae101 » (theor. XVI, prop. 14, p. 295 a). A la proposition 14, que nous venons de citer, se rattache la proposition 16 : « Non potest probari Deum carere partibus essentialibus. Tum ex decima quarta aliqualiter... Tum quia ordo hoc non concludit; nec potest probari aliquid tale posse per se esse. » (loc. cit., p. 295 b). „Es kann nicht bewiesen werden, dass Gott lebendig ist. Sowohl weil die Ordnung nicht zu dieser Schlussfolgerung führt: Die Sonne lebt nicht, der Ochse lebt. Als auch weil das nicht eine Differenz des Seienden ist, noch gemeinsam allen Seienden oder das Gegenteil davon, sondern es sind nur Differenzen eines vergänglichen Körpers. Noch weil das erste [Seiende oder Bewirkende] eine edlere Vollkommenheit hat als das Leben wie es auch die Sonne hat und doch nicht lebt“ (loc. cit., p. 284 b) Oder weiter: „Es kann nicht bewiesen werden dass Gott der Größe entbehrt. Sowohl weil kein nicht Quantitatives uns erkennbar ist mit notwendiger ratio, weil es auch nicht sinnenhaft ist. Als auch weil die Ordnung das nicht erschließen lässt. Als auch weil Quantität zuerst der Substanz zukommt 101 “ (theor. XVI, prop. 14, p. 295 a). Dem Satz 14, den wir gerade zitiert haben, schließt sich der Satz 16 an: „Es kann nicht bewiesen werden, dass Gott keine wesentlichen Teile hat. Sowohl aus der vierzehnten irgendwie. Als auch weil die Ordnung das nicht erschließen lässt: Noch kann bewiesen werden dass so etwas per se sein kann“ (loc. cit., p. 295 b). 101 Der Sinn dieser elliptischen Bemerkung ist, glauben wir, der folgende: in der Ordnung unserer unmittelbaren Begriffe, die hervorgegangen sind aus der sinnlichen Erfahrung, ist die Quantität die erste akzidentelle Bestimmung die von der Substanz gefordert wird: daraus resultiert mehr oder weniger, dass wir nicht wissen, ob der Substanzbegriff nie ganz vom Quantitätsbegriff losgebunden werden kann. Eine neue Nuance erscheint im letzten Glied der zitierten Phrase: „Es kann nicht bewiesen werden, dass etwas so Beschaffenes per se sein kann.“ [ « non potest probari aliquid tale posse per se esse » ]; gewisse Demonstrationen fordern in der Tat die vorherige Erkenntnis der Möglichkeit des Objekts, dessen aktuelle Wirklichkeit man beweisen will. So haben wir jedenfalls Duns Scotus 182 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung verstanden bei der Frage nach der Unendlichkeit Gottes, dass er den ausschlaggebenden Wert seiner Argumente von der wirklichen Zusammensetzbarkeit des Begriffs der intensiven Unendlichkeit und des univoken Seins abhängig macht: in letzter Analyse war sein ganzer Beweis aufgehängt an der unbeweisbaren Behauptung: „Unendlichkeit widerspricht dem Seienden nicht“ [ « infinitas non repugnat enti » .]. Es scheint uns, dass eine derartige kritische Voreingenommenheit, die die Möglichkeit des streng Transzendenten berührt (die im Voraus bekannt sein müsste), den logischen Hintergrund konstituiert von mehreren Behauptungen des Theorems XVI, vor allem der Sätze 17, 18 und 19, die die Unendlichkeit der Vollkommenheit in Gott betreffen ( « Non potest probari quod Deus sit infinitus intensive. » – « Non potest probari quod Deus sit quo nil melius cogitari possit sine contradictione. » – « Non potest probari quod omnis gradus perfectionis est in universo, qui posset intelligi esse sine implicatione contradictionis. Nec quod potest esse... » ). („Es kann nicht bewiesen werden dass Gott intensiv unendlich ist“ – „Es kann nicht bewiesen werden, dass Gott das sei, als was nichts besseres gedacht werden kann ohne Widerspruch“ – „Es kann nicht bewiesen werden, dass jeder Vollkommenheitsgrad im Universum existiert, von dem erkannt werden könnte, dass er keinen Widerspruch impliziert. noch dass er sein kann ...“ ) Zusammenfassend kann man sagen, in der Frage der Unendlichkeit Gottes adoptiert der Autor der Theoremata die Haltung eines Scotisten, der, treu der Univozität des Seins, den – von Duns Scotus aufrechterhaltenen – Anspruch völlig aufgeben würde, die rationale Synthese der Wesenheiten (im cartesianischwolffschen Sinn) zu machen, das heißt, apriori die wirkliche Verträglichkeit der verschiedenen positiven Noten zu behaupten. Der Verzicht auf diesen ontologistischen Anspruch entthront die scotistische Metaphysik, denn er hat als unmittelbare Folge die Unfähigkeit, durch Begriffe den Bereich transzendenter Wirklichkeiten zwingend zu erreichen. Es bleibt uns noch, einen schnellen Blick auf die Gesamtheit der Sätze zu werfen, die als „unbeweisbar mit natürlicher und notwendiger Vernunft“ beurteilt werden. Schon die Unmöglichkeit, die metaphysische Notwendigkeit der zwei Postulate für die Gottesbeweise zu erstellen, gefährdete eine erste Schlussfolgerung, deren Tragweite extrem ist: zu wissen, dass die erste Ursache eine einzige sein muss und weiterbestehen muss gleichzeitig mit der ganzen Serie ihrer Wirkungen (theor. XV und theor. XVI, prop. I bis 4). Mit gleichem Titel muss man es dann zugeben: – 183 B.III Antinomie des Einen und Vielen « non potest probari Deum esse necessarium ad conservationem naturae creatae in esse; per consequens, nec in operari » (theor. XVI, prop. 5); – « non potest probari Deum coagere omni causae secundae aliqua actione propria sibi » (prop. 6), «... Deum esse ubique secundum essentiam » (prop. 7), «... Deum posse aliquid immediate producere nisi tantum unum effectum primum » (prop. 8). „Es kann nicht bewiesen werden dass Gott notwendig ist zur Erhaltung der geschaffenen Natur im Sein, folglich auch nicht im Wirken“ (theor. XVI, prop. 5); – „Es kann nicht bewiesen werden dass Gott mit jeder Zweitursache mitwirkt mit einem ihm selbst eigentümlichen Tun“ (prop. 6), „... dass Gott seinem Wesen nach überall sei“ (prop. 7), „... dass Gott außer einem ersten Effekt etwas unmittelbar hervorbringen kann“ (prop. 8). Diese agnostischen Behauptungen, die sich streng einander fordern, haben ihr Gegenstück bei Ockham, wo dennoch der Ton der angeführten Beweise ganz verschieden ist. Die Serie geht weiter: „Es kann nicht La série se poursuit : « Non pobewiesen werden, dass Gott etwas kann test probari quod Deus aliquid posaußerhalb dieser Ordnng der Ursachen“ sit extra istum ordinem causarum » (prop. 9), „... dass Gott machen kann, (prop. 9), «... quod Deus possit fawas auch immer von seiner Seite her gecere quidquid potest fieri ex parte sui schehen kann: wegen eines Fehlens beim : licet, propter defectum agentis, non Handelnden, obwohl es keinen Widerincludat contradictionem » (prop. 10 spruch einschließt“ (prop. 10: man wird : on remarquera la disjonction entre die Disjunktion bemerken zwischen „bele « concevable » , ou le « possible logreifbar“, oder dem „logisch Möglichen“, gique » , et le « possible réel » ). und dem „wirklich Möglichen“ ). Nach der göttlichen Tätigkeit nach außen, fragt er nach dem göttlichen Wesen selbst: « Non potest probari quod Deus est „Es kann nicht bewiesen werden, dass immutabilis, nec immobilis » (prop. Gott unveränderlich ist noch unbeweg13), « ... quod Deus careat magni- lich“ (prop. 13), „... dass Gott der Größe tudine » (prop. 14), aut « omni ac- entbehrt“ (prop. 14), oder „ jedes Akzicidente » (prop. 15), aut « partibus dens entbehrt“(prop. 15), oder „keine Weessentialibus » (prop. 16) : cette der- sensteile hat“ (prop. 16): diese letzte Benière assertion est suivie d’un corol- hauptung ist gefolgt von einem eigenartilaire curieux : « Non probatur quod gen Corrollarium (Folge): „Es wird nicht [Deus] est omnino simplex; nec per bewiesen, dass [Gott] ganz einfach ist und folglich auch nicht actus purus.“ consequens actus purus. » Man wundert sich danach weniger über die drei Behauptungen (17, 18,19) die wir oben angeführt haben und die jeden rationalen Zugang zur Unendlichkeit, das heißt zur strengen Transzendenz Gottes, verschließen. 184 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung 169 Das Theorem XIV prüft genau, nicht nur die Behauptungen, die zur geoffenbarten Theologie gehören, sondern einige metaphysische Thesen, die göttliche Attribute behaupten: „Es kann nicht bewiesen werden, dass « Non potest probari Deum esse vi- Gott lebendig ist“ (prop. 1) ; daraus vum » (prop. 1); d’où suit que « non folgt, dass „es nicht bewiesen werden potest probari Deum esse sapientem kann, dass Gott weise und verstehend ist“ vel intelligentem » (prop. 2), «... es- (prop. 2), „... wollend ist“ (prop. 3), se volentem » (prop. 3), « ... habe- "... irgendeine in ihm bleibende Tätigkeit re aliquam operationem manentem in hat“ (prop. 4,; und selbst, „zugestanden se » (prop. 4); et même, « conces- die vier vorausgehenden Schlussfolgerunsis quatuor conclusionibus proximis gen [das heißt, dass er lebendig, weise, [id est, esse vivum, sapientem, volen- wollend, immanent wirkend ist102 ], wenn tem, immanenter operantem102 ], li- auch sie nicht bewiesen sind, kann nicht cet non probatis, non potest probari bewiesen werden, dass Gott etwas andeDeum aliquod aliud a se intelligere et res als sich selbst versteht und will“ (prop. velle » (prop. 5). 5). 102 Diese Interpretation, nahegelegt durch die logische Aneinanderreihung der Ideen und gerade durch das Argument von prop. 5, scheint uns wahrscheinlicher als die von Maurice du Port und Cavell, die unter diesen direkten Schussfolgerungen (conclusiones proximae), die negativen Behauptungen („Es kann nicht bewiesen werden... “) des Autors verstehen und nicht die Thesen, die durch ihn gerade bestritten werden. Die Interpretation der beiden Kommentatoren würde zwingen, zu meinen, dass ein Philosoph, dessen Knappheit geradezu penetrant ist, sich die Mühe gemacht hat, eine Konsequenz so kindisch wie das: „wenn es nicht bewiesen wird, dass Gott Intelligenz ist und Wille, dann ist es auch nicht mehr bewiesen, dass er etwas anderes als sich versteht und will“, zur Schau zu stellen und zu zeigen Schließlich. aus dem gleichen wesentlichen Grund, das heißt aus Mangel an Kraft sich durch Analyse über die Washeit der sinnlichen Ordnung zu erheben – erstreckt sich der Agnostizismus der Theoreme auf die Natur und die Bestimmung der vernünftigen Seele: Es kann nicht bewiesen werden, dass die « Non potest probari animam ra- vernünftige Seele unsterblich ist“ (theor. tionalem esse immortalem » (theor. XIV, prop. 18)103 . – „Es kann nicht beXIV, prop. 18)103 . – « Non potest wiesen werden, dass der Mensch hingeprobari hominem esse ordinatum ad ordnet ist auf irgendeine Seligkeit, die in aliquam beatitudinem in hac vita non diesem Leben nicht erreichbar ist“ (prop. attingibilem » (prop. 19). 19). 103 Das ist auch die Meinung von Duns Scotus und einiger anderer Scholastiker. Cf. Oxon. IV, d. 43, q. 1, n˚ 23. Verlassen wir hier die Theoreme. Sie sind nicht vom scharfsinnigen Doktor, dies ist abgemacht; und sie waren vielleicht sogar absichtlich gerichtet gegen diese 185 B.III Antinomie des Einen und Vielen oder jene seiner metaphysichen Stellungnahmen. Sie können jedoch nichtsdestoweniger durch die erstaunlichen Schlussfolgerungen zu denen sie führen, einige wunde Punkte einer Epistemologie klar machen, offenlegen, die sich anschließt an die von Duns Scotus. §6. – Schlussfolgerungen. 170 Bei einer sorgfältigen Prüfung der Philosophie von Duns Scotus, bemerkt man, dass, trotz seiner Anleihen beim Aristotelismus, sie vor allem die wesentlichen Gesichtspunkte des antiken mittelalterlichen Augustinismus fortsetzt: ein sich schlecht von der „Entität“ unterscheidendes „Sein“; die, wenigstens konfus, direkte Intelligibilität des körperlichen Individuums; die Individuation ohne notwendigen Bezug auf die Materie; die Tendenz zu einem intellektuellen Empirismus entweder intuitiv oder rezeptiv; und alle damit zusammenhängenden Thesen. Die Originalität von Duns Scotus besteht nicht nur darin, dass er diese Gesamtheit der mehr oder weniger traditionellen Gesichtspunkte zurückgeführt hat hat auf ein bewundernswert angeordnetes System, sondern vielleicht noch mehr darin, in dem unmöglichen Unterfangen durchgehalten zu haben, einen gemäßigten Realismus aufzubauen, in der Mitte zwischen dem Platonismus und dem Aristotelismus, mittels Elementen, die von ihrer Natur her, entweder nach einem intuitionistischen Ontologismus, oder nach einem scharfen Nominalismus riefen. Die fortwährenden Umsetzungen (Transpositionen), die dieser dogmatische Realismus erforderte, machen für uns die Schwierigkeit der scotistischen Thesen. Die Versöhnung der Unversöhnlichen verfährt hier, so scheint es, wörtlich durch Dekret, durch waghalsige Definition, indem sie die Antinomie präsentiert, sie selbst, als einen Modus des Seins und als ein innerliches Gesetz des Begriffes: denken wir, zum Beispiel, an die „distinctio formalis a parte rei“ und an die „unitas realis minor numerali“, oder an die Versöhnung der Univozität mit der Analogie des Seins: genauso viele kühne Projektionen der „Art und Weise eigentümlich“ unserem unvollkommenen Verstand in der Wirklichkeit. Wenn man Duns Scotus dieses Amalgam von Einheit und Vielfalt zugesteht, muss man ihm bis ans Ende folgen, denn seine Dialektik täuscht sich nicht. Aber dann gleich, trotz manchmal glänzenderer Erscheinungen, wird man von ihm keine so umfassende Metaphysik erhalten wie die vom heiligem Thomas, auch nicht, nach unserer Meinung, eine so anziehende, wie die vom heiligen Bonanentura. Zu nahe bei Aristoteles, um einfach ein Schüler des engelhaften Doktors zu sein, aber noch zu wenig durchdrungen vom peripatetischen Geist, um mit dem Thomismus wieder zusammen zu kommen, besetzt der scharfsinnige Doktor auf halbem Wege eine Stellung, deren Schwäche allein sein Genie verbergen konnte. Er der aufrichtige Aristoteliker, nach dem er scheinbar die Palme Platon streitig gemacht hatte in dem Punkt, dass er ihn dem Vorwurf des Ontologismus aussetzte, wird sich, alles in Rechnung gesetzt, von Ockham nur durch eine zerbrechliche Schranke 186 K.4 Über Scotus zu Ockham, Fortsetzung einer realistischen Aussage getrennt finden, die schlecht gerechtfertigt ist. Denn Ockham, kann man sagen, ist Duns Scotus vermindert um den dogmatischen Realismus der Universalien104 . 104 Diese kurze Monographie schließend, liegt uns daran, zu wiederholen, dass sie nur einen Aspekt umfasst – einen wichtigen, das ist wahr – der Philosophie von Duns Scotus. Um sie an ihren vollen Tag zu bringen, sollte man auch die Metaphysik des Willens bei dem großen franziskanischen Doktor studieren und sollte markieren die Ergänzung, die sie einigen Schwächen der reinen Spekulation bringt.. Nach Duns Scotus, wird in der Folgezeit die antike Antinomie vom Einen und dem Vielfachen, fortan wieder eröffnet, sich auf neue Wege einlassen und immer mehr die Erscheinungen eines Konfliktes zwischen der ontologistischen Tendenz oder der rationalistischen und der empiristischen Tendenz annehmen. Bis zur Ankunft der kantschen Kritik, wird die moderne Philosophie – die wir auf Ockham zurückdatieren werden – nur ein Kommen und Gehen zwischen den zwei Tendenzen sein. Und diese Entwicklung, teilweise doppelt, wird hintereinander an den Tag bringen eine Anzahl von Voraussetzungen, die schon latent in den nicht-thomistischen mittelalterlichen Philosophien sind. 187 171 BUCH IV. Auf dem Weg zum modernen Konflikt zwischen Rationalismus und Empirismus 189 B.IV Rationalismus und Empirismus KAPITEL I. DER BRUCH MIT DEM MITTELALTERLICHEN REALISMUS 172 173 Die von den Eleaten so weit ausholend entworfene Antinomie der intelligiblen Einheit, die sich der Vielfalt der Erfahrung entgegenstellt, war den ersten mittelalterlichen Philosophen übermittelt worden in der eingeschränkten Form der porphyrischen Altenative, einer beschränkten Alternative, die nur die Wahl ließ zwischen zwei Grenzpunkten, die gleich unannehmbar waren: einerseits die Subsistenz der abstrahierten, generischen und spezifischen Einheiten: dies führte zum Widerspruch in den Dingen selbst; auf der anderen Seite, die Annahme: Wirklichkeit haben nur die vielfachen Individuen: dies war der Zusammenbruch des abstrakten Denkens. In diesem Dilemma, das den Streit über die Universalien einleitete: war die antike objektive Einheit der Intelligenz, die Parmenides geltend machte, zerstückelt in sekundäre Einheiten, die Begriffe, und es handelte sich darum, diese der Vielfachheit in den konkreten Daten vergleichend gegenüberzustellen. Ausgehend von Jean von Salisbury, wenn nicht schon früher, herrschte eine schematische Lösung vor, die erlaubte, zwischen den Spannbacken des Dilemmas des Porphyrius hindurch zu gleiten: die begrifflichen abstrakten Einheiten bezeichnen nicht, so sagte man, „subsistierende universelle Einheiten“, sondern nur die „objektiven Ähnlichkeiten“ der Individuen. Die allgemeine (Begriffs-)Idee bewahrt so eine Realitäts-Gültigkeit, obwohl die ihnen eigentümliche Art und Weise sich von der konkreten Seinsweise der Objekte selbst entfernt. Diese dialektische Ausflucht, ein so kostbarer Fund sie auch war, stellte von ihr allein aus keine positive und metaphysische Lösung der Alternative des Porphyrius dar, und noch weniger eine vollständige Lösung der antiken Antinomie vom Einen und dem Vielfachen. Sankt Thomas fand als erster die Lösung dieser Antinomie in ihrem ganzen Umfang wieder und bestimmte die Ausdrücke dafür sehr viel besser als selbst Aristoteles. Ohne sich darauf zu beschränken, abstrahierte Begriffe und konkrete Individuen dialektisch zu versöhnen, isolierte er, um sie total zu meistern, das letzte Prinzip ihres Widerspruchs: in den Begriffen: die transzendentale und analoge Einheit des Seins; in den Individuen, die reine Vielfachheit der Materie. Die ganze thomistische Psychologie und die ganze thomistische Metaphysik entwickeln die Lösung dieser fundamentalen Antinomie, deren Gesamt-Gemälde wir erst auf den letzten Seiten dieses Werkes haben werden. Dennoch zeigt das, was wir bis jetzt davon wahrgenommen haben, schon, auf welcher Gesamtheit von eng verbundenen Thesen das Gleichgewicht der thomistischen Lösung aufruht. Eine dieser Thesen auszulassen oder zu verändern, heißt, den gemäßigten Realismus, den umfassendsten Sieg über die alte Kritik, aufs Spiel zu setzen und 190 K.1 Ende des mittelalt. Realismus 174 den Konflikt vom Einen und dem Vielfachen wieder zu entfachen. Muss man daran erinnern, welche diese sich gegenseitig verpflichteten Thesen waren? Wir haben sie abgeleitet aus einem psychologischen Theoreme, das dem thomistischen Aristotelismus eigentümlich ist: die Universalität des direkten Begriffes; das bedeutet, dass das primäre Objekt unserer Intelligenz die „abstrakte Washeit der materiellen Dinge“ [ « quidditas abstracta rerum materialium » ,] ist, wahrhafte Synthese von Materie und Intelligiblem; alles drum herum ordnet sich an wie Corollarien davon: die Thesen, die die materielle Quantität als radikales Prinzip der Individuation aufrichten, und das analoge Sein als oberstes Prinzip der Einheit des begrifflichen Objekts. Das ganze bildet einen Block. Wenn eine Philosophie die Universalität des direkten Begriffs verneint, das heißt, „die Intelligibitlität an sich“ des materiellen Individuums behauptet, wird sie sich gerade durch diese Tatsache vom rechten Weg der damit verbundenen thomistischen Thesen entfernen, ausgenommen sie ist inkonsequent: Individuation, Intellektus agens (synthetische Tätigkeit des Intellektus agens), Analogie (Unterscheidung von Sein und Wesen in den geschaffenen Dingen). Und der Gegenschlag dieser Verdrehung der Thesen wird sich unverzüglich bemerkbar machen: in der Metaphysik, durch die Unsicherheit über die Rolle der Quantität und über die Tragweite der Transzendenz; in der Logik, durch die Aufgabe des gemäßigten Realismus, sei es, dass man ihn ersetzt durch einen exzessiven, dogmatischen Realismus, der früher oder später widersprüchlich wird, sei es dass man offen den Realismus aufgibt zugunsten des empiristischen Nominalismus. So ist also der Zusammenhang einer kleinen Gruppe von metaphysischen und psychologischen Thesen mit dem gemäßigten Realismus so eng, dass ihre Preisgabe, so oder so, es sei denn man ist unlogisch, ein Darunter-Bleiben oder ein Darüber-Hinausgehn bezogen auf diese mittlere Stellung mit sich bringt. Duns Scotus war ein hochberühmtes Beispiel des Rückfalls, den die Annahme eines fehlerhaften Ansatzpunktes nach sich zieht. Er konzipierte das unserem Denken eigentümliche Objekt anders als der heilige Thomas. Wie viele seiner Zeitgenossen, und mit der ganzen alten augustinisch genannten Schule, widersprach er der thomistischen Theorie der Individuation und der indirekten Erkenntnis des materiellen „Einzelnen“. Auf der anderen Seite sympathisierte er noch weniger mit dem präthomistischen Nominalismus. Auch als unfehlbarer Logiker wurde er zu diesem formalistischen Realismus veranlasst, der aufs ontologisch Absolute sogar die Modalitäten unserer unvollkommenen und bruchstückhaften Intelligenz projiziert. Die Reaktion gegen dieses Übermaß an Realismus ließ nicht lange auf sich warten. Unglücklicherweise, anstatt das anfängliche Prinzip des Bruches des Gleichgewichts zu untersuchen und zu verbessern, nahm man genau die gleichen antithomistischen Ansatzpunkte; aber dieses Mal, um zu vermeiden, dass die Schwingung nach rechts anhält, wie bei Duns Scotus, hielt man sie links an. 191 B.IV Rationalismus und Empirismus Nach der Abweichung durch Übermaß an Realismus war dies die Abweichung durch Mangel. So paradox wie dieser Satz auf den ersten Blick scheint, kann man sagen, dass der mittelalterliche Nominalismus eine neue Beliebtheit unter der Federführung gerade der metaphysischen und psychologischen Konzeptionen erhielt, die den sehr realistischen Duns Scotus inspirierten. Wir haben oben beobachtet, dass der Ockhamismus kaum mehr war als der Scotismus vermindert um den dogmatischen Realismus. Man müsste schon dasselbe von der Philosophie der wichtigsten Vorläufer von Ockham sagen: Überläufer vom Thomismus wie Durand de Saint-Pourçain oder auch Schüler von Scotus, wie Pierre Auriol. Ockham überschreitet sie kaum, höchstens durch eine schneidendere Kritik und erbarmungslosere Folgerichtigkeit sich selbst gegenüber. Man kennt die Verflechtungen des Dominikaners Durand († 1332) mit dem Nominalismus. Sie wären verwirrend, wenn er andererseits den großen charakteristischen Thesen der thomistischen Metaphysik treu geblieben wäre. Aber sein Kommentar der Sentenzen zeigt ihn uns als entschiedenen Anhänger der direkten intellektuellen Erkenntnis der Einzel-Objekte, der form-artigen Individuation ohne Bezug zur Materie, der eigenen Entität der Materie usw., und dagegen, sehr logischerweise, Gegner der Theorien der „intelligiblen Spezies = species intelligibilis“ und des Intellektus agens, das heißt der thomistischen Theorie des Begriffes. „Dass... man sagt, schreibt er, dass die « Quod... dicitur, écrit-il, quod Individuen derselben Spezies sich nicht individua eiusdem speciei non differ- in der Washeit oder der gemeinsamen unt in quidditate vel natura commu- Natur unterscheiden, ist wahr, wie man ni, verum est, ut accipitur secundum nach dem absoluten Denk-Grund dafür absolutam eius rationem.... Quae ta- annimmt ... Jedoch diese Übereinstimmen convenientia est solum secund- mung ist nur im Denken, wie auch die um rationem, sicut et unitas na- Einheit der Natur der Spezies nach turae secundum speciem est so- nur eine Einheit im Denken ist. Aber lum unitas rationis. Sed in natura in der Natur und Washeit der realen et quidditate accepta secundum rea- Existenz nach verstanden unterscheiden lem existentiam differunt, et in princi- sie sich und ebenso in den Prinzipien piis naturae consimiliter acceptis. Et der Natur, die mit-ähnlich angenommen haec sunt haec materia, et haec for- sind. Und diese sind diese Materie und ma. Et quod subditur, quod for- diese Form. Und was unterschoben wird, ma non est haec nisi quia recipi- dass die Form nur diese ist, weil tur in materia signata105 , mate- sie in die materia signata105 aufgeria autem non signatur nisi per nommen wird, die Materie aber nur quantitatem, falsum est. durch die Quantität signiert wird, ist falsch. 192 K.1 Ende des mittelalt. Realismus 105 (mit einem Kennzeichen versehene Materie, eine Art Teil-Form, actus signatus = vollzogener Akt mit Reflexion darauf im Gegensatz zu actus exercitus = nur vollzogener Akt ohne Reflexion darauf) siehe Cahier V, p.129 175 Nam forma per seipsam intrinsece est haec. Signatio autem materiae, qua dicitur haec, non est per quantitatem, sed competit ei per aliquid sui generis, sicut quod sit ens et unum. » (Durandi a SanctoPortiano, Super Sententias. Parisiis, 1539. 2, dist. 3, qu. 2, fol. 104. 3. G). « ... Advertendum est quod primum cognitum ab intellectu non est universale sed singulare. Quod patet primo, quia primum obiectum et omnis per se conditio obiecti praecedit actum potentiae. Potentia enim per suum actum non facit suum obiectum sed supponit .... Sed universale vel conditio universalis non praecedit actum intelligendi, imo fit per actum intelligendi, eo modo quo potest sibi competere fieri : esse enim universale non est aliud quam esse intellectum absque conditionibus singularitatis vel individuationis; ita quod esse universale est denominatio obiecti ab actu sic intelligendi, sicut dictum fuit in libro I, distinct. 19. Ergo universale non est primum obiectum intellectus, nec universalitas est eius conditio per se; et ita primum intellectum non est universale » (Op. cit., 2, dist. 3, qu. 7, fol. 107. 1. Q). Denn die Form ist durch sich selbst innerlich diese. die Signatio der Materie aber, wodurch sie diese genannt wird, geschieht nicht durch die Quantität, sondern kommt ihr zu durch etwas von seiner Art (sui generis) wie dass es Seiend und Eines ist“ (Durandi a Sancto-Portiano Super Sententias. Parisiis,1539. 2, dist. 3, qu. 2, fol. 175 104. 3.G)‘. „... Die Aufmerksamkeit ist darauf zu richten, dass das vom Intellekt als erstes Erkannte nicht das Universale ist sondern das Einzelne. Das ist zuerst klar, weil das erste Objekt und jede Bedingung per se des Objekts der Aktualisierung der Potenz vorausgeht. Die Potenz nämlich macht durch ihren Akt nicht ihr Objekt sondern setzt es voraus... Aber das Universale oder die Bedingung des Universalen geht dem Akt des Verstehens nicht voraus, ja kommt sogar durch den Akt des Verstehens zustande, auf die Weise auf die er anstreben kann, zustande zu kommen: Universell-Sein ist nämlich nichts anderes als Verstanden-Sein ohne Bedingungen des Einzelnseins oder der Individuation. So dass das Universell-Sein eine Benennung des Objekts vom Akt des So-Verstehens her ist, wie es gesagt wurde im Buch I, distinktio 19. Also ist das Universale nicht das erste Objekt des Intellekts, noch ist die Universalität dessen Bedingung per se, und so ist das ErstErkannte nicht das Universale“. (Op. cit., 2, dist. 3, qu. 7, fol. 107. 1. Q.) 193 B.IV Rationalismus und Empirismus « Si dicatur quod esse universale, praecedit omnem intellectionem : quia ... intellectus agens facit universalitatem in rebus et eius actio praecedit intellectionem, saltem ordine naturae : non valet, quia, ut visum fuit lib. I [dist. 3, qu. 5] fictitium est intellectum agentem ponere, etc » . (Ibid. R). « Et si dicatur quod intellectus agens non facit universale nisi quia cum phantasmate causat speciem in intellectu quae repraesentat rem in universali, non valet, quia probatum est supra quod nulla species est in intellectu quae repraesentat ei suum obiectum. » (Ibid ). 176 „Wenn man sagt, dass das universelle Sein jedem Verstehen vorausgeht: weil ... der Intellektus agens die Universalität in den Dingen macht und seine Aktivität dem Verstehensakt (intellectionem) vorausgeht, wenigstens der Ordnung der Natur nach: so gilt das nicht, weil, wie man gesehen hat in lib.I [dist.3, qu.5] es eine Fiktion ist, dass der Intellektus agens setzt, usw. “. (Ebenda. R). „Und wenn gesagt würde, dass der Intellektus agens das Universale nur macht, weil er mit dem Fantasma die Spezies im Intellekt verursacht, die das Ding in universaler Weise darstellt, so gilt das nicht, weil oben bewiesen ist. dass im Intellekt keine Spezies ist, die ihm sein Objekt darstellt.“ (Ebenda). Diese zwei oder drei Stellen fassen genau genug den Gesichtspunkt von Durand zusammen: Man sieht, dass er gewisse augustinische Thesen neu herausgibt, die auch Thesen von Duns Scotus sind, (eigene Entität der Materie und der Form, Individuation unabhängig von der Materie, direkte intellektuelle Erkenntnis (Intellection) des Einzeldings); was ihn nicht hindert, in anderen Punkten sich sehr viel weiter zu wagen, weiter im Sinn, wohin Duns Scotus mitgerissen worden wäre ohne das Gegengewicht seiner vorgefassten Meinung für den Realismus (Nutzlosigkeit des Intellektus agens, der „Spezies“. Nominalismus) Wenn Durand de Saint-Pourçain Nominalist wurde durch Untreue zum Thomismus, scheint Pierre Auriol († 1331) es durch Untreue zum Scotismus geworden zu sein. Aus dem Orden der Franziskaner und wahrscheinlich Hörer von Duns Scotus in Paris, ließ ihn seine Geistesunabhängigkeit den Realismus des großen Lehrers seines Ordens aufgeben, ohne dennoch bei dieser Verwandlung – oder diesem Abfall – bis zur Annahme von eigentümlichen thomistischen Meinungen vorzustoßen. Er konnte von daher nur zum Nominalismus kommen. Eigentlich, bezüglich der intellektuellen Erkenntnis der Individuen kehrt er weder zurück zur Lehre von Scotus noch zu der vom heiligem Thomas. (Comment. in Sent. auctore Petro Aureolo, Romae 1696. I, dist. 35, 4a Teil art. 1, p. 805813 und art. 3, p. 818-819). Dennoch verwirft er wie Durand die thomistische These von der Individuation durch die Materie: „Jedes Ding ist selbst einzeln“ [ « Omnis res est seipsa singularis » ]. Das Problem der Individuation hat keinen Sinn mehr, ihm zufolge, von dem Moment an, wo es sicher feststeht, dass die Universalität in keiner Art und Weise zu den wirklichen Dingen gehört: denn 194 K.1 Ende des mittelalt. Realismus dann ist ihre Individualität ursprünglich, sie verschmilzt mit ihrer Subsistenz und fordert keine besondere Erklärung. Auch, so fährt er fort, besteht die wahre Erkenntnis nicht in dieser abstrahierten washeitlichen Erkenntnis, durch die wir nur die Form unseres objektiven Denkens („spiegelartige Form = forma specularis“) betrachten, sondern im späteren Bezugnehmen dieser abstrahierten Form, oder dieser Washeit auf die existierenden Individuen. Man wird nicht erstaunt sein, dass der Nominalismus von Auriol ihn mitreist zu einem Empirismus, der in vielem den von Aristoteles übersteigt; wir finden dazu das gelegentliche Geständnis schon von den ersten Seiten der Sentenzen an: siehe was er bei Gelegenheit eines besonderen Beweises sagt über den „Weg der Erfahrung“ [ « via experientiae » ]: „Der erste nämlich (Weg dieses Bewei« Prima quidem (via huius demonsses) ist der Weg der Erfahrung, dem trationis) via experientiae, cui mehr zuzustimmen ist als irgendwelchen adhaerendum est potius quam quilogischen Gründen, denn von der Erfahbuscumque Logicis rationibus, cum rung her haben die Wissenschaft und die ab experientia habeat ortum sciengemeinsamen Konzeptionen der Denktia, et communes animi conceptiokraft ihren Ursprung. Sie sind die Urnes, quae sunt principia artis, unde sprünge der Kunst, woher [weshalb] sie [inde?] sumantur secundum Philosonach dem Philosophen genommen werphum. Unde signum est sermoden. Weshalb das Zeichen wahrer Renum verorum convenientia cum den die Übereinstimmung mit den rebus sensatis » (Op. cit. Prolowahrgenommenen Dingen ist“ (Op. gus, p. 25, aF, bA). cit. Prologus, p. 25, aF bA). Dieses Übergewicht, das in theoretischen Dingen dem Kriterium der Verifizierung durch die Sinneswahrnehmung zugestanden wird, kündigt von ferne die von da an unvermeidliche Entstehung des reinsten Empirismus auf dem nominalistischen Terrain an. Aber halten wir uns nicht auf mit der Gesellschaft dieser Vorläufer. Der Nominalismus (genauer: der Terminismus) in seiner systematischen strengen Form war das Werk des „Venerabilis Inceptor“, des englischen Franziskaners Wilhelm von Ockham (vor 1300) † gegen 1349) Schüler, so beteuert man, von Duns Scotus in Paris106 106 Dieser Umstand, der allgemein von den Historikern zugegeben wird, wurde neuestens bestritten. Was auch immer damit ist, die Werke von Ockham offenbaren bei ihm eine direkte Kenntnis des Scotismus.. Obwohl der Ockhamismus in vielen Rücksichten ein Übergangssystem bleibt, ist seine Wichtigkeit in der Geschichte der Epistemologie extrem, denn er eröffnete eine Gedankenbewegung, aus der nach vier Jahrhunderten die moderne Formel der Kritik der Erkenntnis hervorging, 195 B.IV Rationalismus und Empirismus 177 KAPITEL II. Der fideistische Agnostizismus von Ockham. Die Thesen des alten mittelalterlichen Augustinismus, übernommen und systematisiert von Duns Scotus, hätten diesen anfällig machen können für eine nominalistische Philosophie, wären nicht die absolut festen realistischen Überzeugungen gewesen, die er außerdem öffentlich bekannte. In die praktische Notwendigkeit versetzt, beides miteinander in Einklang zu bringen, führte er ihre Vereinigung herbei unter dem Deckmantel des widersprüchlichen (antinomischen) Prinzips, das seine seltsame und verwirrende „distinctio formalis ex natura rei“ inspiriert. Ockham, den kein realistisches Vorurteil zurückhielt, überließ sich vollständiger der inneren Logik der augustinischen Ansatzpunkte: da er sich viel weniger darum kümmerte, sie zu vervollständigen oder sie durch irgendwelche dogmatischen Postulate zu verbessern, musste das schicksalhaft zu einem offensichtlichen Nominalismus führen. Da ist das, was wir zuerst betrachten wollen, wenn wir jetzt die ockhamistische Epistemologie skizzieren. Wie gut man auch immer davon denkt, eine nominalistische Epistemologie war nicht von der Natur, den Agnostizismus zurückzudrängen, der schon einen so breiten Eingang in die realistische Philosophie der Theoremata gefunden hatte: man erahnt bei Ockham einen verstärkten Agnostizismus. Wir werden im zweiten Teil dieses Kapitels dessen zersetzenden Einfluss auf die ockhamistische Metaphysik herausheben. §1. – Skizzierung der Epistemologie von Ockham107. 107 Unsere Zitationen beziehen sich auf die folgenden Werke und Editionen von Ockham: Summa totius logice Magistri Guielmi Occham Anglici, logicorum argutissimi, nuper correcta. Venetiis 1508. 20 Magistri Ouilhelmi de Ockam, super quattuor libros sententiarum. Lugduni 1495. 30 Quotlibeta septem... Venerabilis inceptoris fratris Guilhelmi de Ockam anglici. Argentine 1491. N. B. Die zwei letzten haben keine Seitenzahlen. Unsere Zitate schreiben die Abkürzungen ausführlich, respektieren aber die Orthographie des Textes von Ockham. 0 1 Ockham unterscheidet drei Arten von Erkenntnissen beim Menschen: 1 die intuitive Sinneserkenntnis; 20 die intuitive intellektuelle Erkenntnis; 30 die abstractive Erkenntnis. Welches ist die Natur, und welche sind die Beziehungen dieser drei Erkenntnisordnungen? Die erste, die Intuition der Sinneserkenntnis, bleibt für Ockham ungefähr die, die sie für seine scholastischen Vorgänger war: eine unmittelbare Aneignung, quantitativ und damit relativ, materieller Formen durch unsere Fähigkeiten der 0 178 196 K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams organischen Sinneswahrnehmung. Die Sinne sind im Übrigen dazu unfähig, uns entweder das Wesen darzustellen, oder die Existenz des „Objekts an sich“: davon liefert sie uns nur das phänomenale „Zeichen“. Die intellektuelle intuitive Erkenntnis erfordert eine genaue Definition. Sie hat als Objekt das „Existentielle“, das heißt, die Tatsache der Kontingenz, entweder äußerlich und sinnlich oder rein innerlich und geistig. Lesen wir den Text von Ockham selbst. Die objektive Erkenntnis einer Wahrheit erhält man durch ein Urteil. Nun aber, sagt er, « nullus actus partis sensitive est causa immediata et prima, nec partialis nec totalis, alicuius actus judicativi ipsius intellectus » . (Sent. Prolog, qu. 1, lit. U). Außerdem, « ad noticiam alicuius veritatis contigentis, non sufficit noticia intuitiva sensitiva, sed oportet ponere preter illam etiam noticiam intuitivam intellectivam » . (Ibid. lit. Y). „ist kein Akt des sinnlichen Teils unmittelbare und erste Ursache, weder teilweise noch totale, irgendeines Urteils-Aktes des Verstandes selbst“ (Sent. Prolog, qu. 1, lit. U) Außerdem „Zur Kenntnis einer kontingenten Wahrheit genügt nicht die intuitive Sinneserkenntnis sondern man muss außer ihr auch die intellektive intuitive Erkenntnis einsetzen“. (Ebenda. lit.Y). Unsere Intelligenz enthält übrigens zwei Arten von Erkenntnissen, die niedriger sind als das Urteil, die eine rein apprehensiv (aufnehmend), die andere intuitiv: « Certum est quod intellectus potest habere noticiam incomplexam tam de Socrate quam de albedine, cuius virtute non potest evidenter cognoscere an sit albus vel non, sicut per experientiam patet; et preter illam potest habere noticiam intuitivam virtute cuius potest evidenter cognoscere quod Socrates sit albus (si sit albus). » (Ibid. lit. X). „Es ist sicher, dass der Verstand eine unkomplexe Kenntnis sowohl von Sokrates als auch vom Weißsein haben kann, mit dessen Kraft er nicht evident erkennen kann ob er weiß ist oder nicht, wie es klar ist aus der Erfahrung; und außer jener kann er eine intuitive Erkenntnis haben, kraft deren er evident erkennen kann, dass Sokrates weiß ist (wenn er weiß ist)“ (Ebenda lit. X). Aber wird die Sinneserkenntnis dann nicht überflüssig? 197 B.IV Rationalismus und Empirismus 179 « Patet ... quod tales veritates contingentes [de singulari materiali dato in tempore] non possunt sciri de istis sensibilibus nisi quum sunt sub sensu : quia noticia intuitiva intellectiva corporum sensibilium, pro statu isto non potest haberi sine noticia intuitiva sensitiva ipsorum : et ideo sensitiva non superfluit, quamvis sola noticia intuitiva intellecta sufficeret, si esset possibile eam naturaliter esse, pro statu isto, sine noticia intuitiva sensitiva : sic est in angelis et anima separata, ubi ad noticiam evidentem talium veritatum non requiritur alia noticia intuitiva sensitiva. » (Ibid.). „Es ist offensichtlich... dass so beschaffene kontingente Wahrheiten [des materiellen, in der Zeit gegebenen Einzeldings] von jenen Sinnesbegabten Wesen nur gewusst werden können, wenn sie wirklich in den Sinnen sind: weil man intuitive intellektuelle Erkenntnis sinnlicher Körper in diesem Stand nur haben kann unter Voraussetzung ihrer sinnenhafte intuitiven Erkenntnis: und deshalb ist die sinnenhafte Intuition nicht überflüssig, auch wenn die intuitive intellectuelle Erkenntnis ausreichen würde, wenn man sie von Natur aus in diesem Stand ohne sinnenhafte intuitive Erkenntnis haben könnte: So ist es bei den Engeln und bei der vom Leib getrennten Seele, wo zur evidenten Erkenntnis solcher Wahrheiten keine andere intuitive sinnenhafte Kenntnis erforderlich ist.“ (Ebenda).). Welches ist genau das Objekt dieser urtümlichen Intuition unserer Intelligenz? « Noticia intuitiva rei est talis noticia virtute cuius potest sciri utrum res sit vel non; si sit quod sit res, statim iudicat intellectus rem esse, et evidenter concludit eam esse, nisi forte impediatur propter imperfectionem illius noticie .... 198 „Die intuitive Kenntnis eines Dings ist eine so beschaffene Kenntnis kraft deren man wissen kann, ob ein Ding existiert oder nicht; wenn das Ding ist was es ist, urteilt der Intellekt sofort, dass das Ding ist und er schließt evident dass es ist, wenn er daran nicht vielleicht gehindert wird wegen der Unvollkommenheit jener Erkenntnis ... K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams Similiter noticia intuitiva est talis, quod quum aliqua cognoscuntur quorum unum inheret alteri, vel unum distat ab altero loco, vel alio modo se habet ad alterum, statim, virtute illius noticie incomplexe illarum rerum, sciret si res inhereret vel non inhereret, si distet vel non distet, et sic de aliis veritatibus contingentibus .... Sicut si Socrates in rei veritate est albus, illa noticia Socratis et albedinis virtute cuius potest evidenter cognosci quod Socrates sit albus, dicitur noticia intuitiva. Et universaliter, omnis noticia incomplexa termini vel terminorum, seu rei vel rerum, virtute cuius potest evidenter cognosci aliqua veritas contingens, maxime de presenti, est noticia intuitiva » (Ibid. lit. Z. Cf. Quodl. I, qu. 15). Ähnlich ist die intuitive Erkenntnis so beschaffen, dass, wenn irgendwelche Dinge erkannt werden, von denen eines dem anderen anhaftet oder das eine dem Ort nach von anderen entfernt ist oder auf irgendeine andere Weise sich zum anderen verhält, kraft jener unkomplexen Kenntnis jener Dinge, man sofort wüsste, ob das Ding anhaftet oder nicht anhaftet, ob es entfernt ist davon oder nicht entfernt ist, und so von anderen kontingenten Wahrheiten ...Wie auch Sokrates in der Wahrheit der Sache weiß ist, nennt man jene Kenntnis des Sokrates und des Weißseins, kraft deren evident erkannt werden kann, dass Sokrates weiß ist, intuitive Kenntnis. Und allgemein gilt: jede unkomplexe Kenntnis eines Terminus oder von Termini oder eines Dings oder von Dingen, kraft deren evident irgendeine kontingente Wahrheit erkannt werden kann, vor allem von etwas Anwesendem, ist eine intuitive Kenntnis.“ (Ebenda. lit. Z. Cf. Quodl. I, qu. 15). Diese intuitive Erkenntnis vollzieht sich auch an inneren kontingenten und übersinnlichen Tatsachen: „Es ist auch offensichtlich, dass unser In« Patet etiam quod intellectus noster, tellekt in diesem Stand nicht nur Sinnlipro statu isto, non tantum cognoscit ches erkennt, sondern auch bis ins Einsensibilia, sed etiam in particulari et zelne (in particulari) und intuitiv einige intuitive cognoscit aliqua intelligi- Intelligibilia erkennt, die in keiner Weibilia, que nullo modo cadunt sub sen- se unter die Sinne fallen. Solcher Art su, cuiusmodi sunt intellectiones, ac- sind die Akte des Verstehens, die Akte tus voluntatis, delectatio, tristitia et des Wollens, Lust, Traurigkeit und derarhuiusmodi, que potest homo experiri tiges, die der Mensch erfahren kann, dass inesse sibi, que tamen non sunt sensi- sie in ihm sind, die aber dennoch für uns bilia nobis, nec sub aliquo sensu cad- nicht Sinnesdinge sind noch unter irgend unt.» (Sent. Prol. qu. 1, lit. HH. Cf. eine Sinneswahrnehmung fallen.“ (Sent. Prol. qu. 1, lit. HH. Cf. Quodl. I. qu. Quodl. I. qu. 14). 14). Die intellektuelle intuitive Erkenntnis ist eine eigentümliche Erkenntnis von 199 B.IV Rationalismus und Empirismus „Einzelnem“: „Ich sage, dass die intuitive eine eigen« Dico quod intuitiva est propria co- tümliche Erkenntnis vom Einzelnen ist“ gnitio singularis » (Quodl. I, qu. 13). (Quodl. I, qu. 13). Denn die erste intellektuelle Erkenntnis muss einzeln sein: „Ich sage... dass in der vorgenannten « Dico ... quod singulare, predicto Weise das Einzelne in der eigentümlimodo accipiendo pro cognitione pro- chen einzelnen und einfachen Erkenntpria, singulari, et simplici, est primo nis entgegenzunehmen, das Ersterkanncognitum. » (Ibid.) « Universale est te ist.“ (Ebenda). „Das Universelle objectum primum primitate adequa- ist das erste Objekt in der Ersttionis, non primitate generationis. » heit der Gleichheit (primitate ade(Ibid.)108 quationis), nicht in der Erstheit der Hervorbringung (primitate generationis).“ (Ebenda)108 . 108 Die quest. I des Prologs der Sentenzen enthält eine lange Diskussion über die Natur der intuitiven intellektuellen Erkenntnis und über deren Gegensatz zur abstraktiven Erkenntnis im eigentlichen Sinne. Dort muss man eine detaillierte Erklärung der Lehre von Ockham über die Universalien suchen. Um Platz zu sparen zitieren wir bevorzugt, wenn das möglich ist, die kurzgefasste Zusammenfassung, die die Logik anbietet. 180 Diese Beschreibung von Ockham ist für uns kostbar, um zu verstehen, was wohl in den Augen der Scholastiker am Ende des Mittelalters die „intuitive intellektuelle Erkenntnis des Individuums“ darstellen kann. Sie besteht nicht in einem durchdringenden Durchblick, der die Individualität an ihrer Wurzel selbst erreicht, in der intimen Abhängigkeit des individuellen Seins bezogen auf seine ontologischen Ursachen: Gott kennt so das Individuum, weil er adäquat das Sein kennt. Die menschliche Intuition der Individuen ist bescheidener109 . 109 Die „haecceitas“ ist für Duns Scotus selbst, obgleich intelligibel, total undefinierbar. Sie ergreift die Baumrinde der Individualität, das heißt die Zustände oder die konkreten Ereignisse, die diese der Erfahrung manifestieren: Existenz oder aktuelle Nichtexistenz, Inhärenz oder nicht-Inhärenz gewürdigt direkt in der Veränderung oder der Situation, Zugehörigkeit oder nicht-Zugehörigkeit von sinnlichen Qualitäten, subjektiven Akten oder Zuständen .... Das Objekt der individuellen Intuition ist also nicht die metaphysische Individualität. Es sind die individuellen Tatsachen innerliche oder äußerliche; es ist, in einem Wort, die konkrete Erfahrung. Und da Ockham nicht so weit geht, dass er annimmt, dass die kontingente Verschiedenheit dieser Erfahrung im Geist als vorgeformte da ist, gehört seine Intuition des Individuums, klarer noch als die scotistische direkte Intellection, dem rezeptiven Typ an. Und, was auch immer man sagt, ist sie selbst zum größeren Teil nur eine Umsetzung der sinnlichen und materiellen Erfahrung in die Intelligenz. 200 K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams Aber die intuitive intellektuelle Erkenntnis wird durch eine abstractive Erkenntnis verdoppelt (überholt, ersetzt?). Diese (abstrakte) setzt die erstere voraus: „Die abstrakte Kenntnis wird zuerst mit« Noticia abstractiva primo formatur tels der intuitiven gebildet“ (Quodl. I, qu. mediante intuitiva » (Quodl. I, qu. 13) 13). . Neutral gegenüber der Existenz oder der Nichtexistenz, folgt sie immer mehr oder weniger direkt aus einer Verarbeitung der individuellen Wahrnehmungen, die ihren Ähnlichkeiten zufolge unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt gruppiert werden, der sie alle und jeden einzelnen bezeichnen könnte110 110 Ockham erklärt mit verschiedenen Ansätzen den Mechanismus der Abstraktion. Zum Beispiel im Buch II der Sentenzen, qu. 25, lit. O : „Die Universalien und zweiten Intentionen (Bezogenen) « Universalia et intentiones secunde causantur na- werden natürlicherweise ohne jede Aktivität des Verstanturaliter sine omni activitate intellectus et volunta- des und Willens tis [das heißt ohne spontane Aktivität, vergleichbar zu der des Intellectus agens der Thomisten, wie auch ohne willentliche Intervention] verursacht von unkomplexen Kenntnissen der Glieder (Terme) auf folgendem Weg: weil ich zuerst irgendwelche Einzeldinge erkenne in Einzelheiten (in partikulari), intuitiv oder abstrakt [das heißt indem ich von der Existenz oder Nichtexistenz abstrahiere] a noticiis incomplexis terminorum per istam viam : quia primo cognosco aliqua singularia in particulari intuitive vel abstractive et hoc causatur ab obiecto vel habitu derelicto ex primo actu; et habita noticia statim ad eius presentiam, si non sit impedimentum, sequitur naturaliter alius actus distinctus a primo, terminatus ad aliquod tale esse obiectivum und das verursacht wird vom Objekt oder einer Gewohnheit, die vom ersten Akt übriggelassen wurde; und nachdem man die Kenntnis hat folgt sofort auf ihre Anwesenheit, wenn es kein Hindernis gibt, ein anderer vom ersten verschiedener Akt der als Zielpunkt irgendetwas solches objektives Sein hat [das heißt der abzielt auf ein « objektiviertes » Sein in der Intelligenz] quale prius vidit in esse subiectivo wie er es vorher gesehen hat im subjektiven Sein [„im subjektiven Sein“, das heißt in einem äußeren Subjekt, in einem „subjektiven“ Sein außerhalb des Denkens]. Et ille actus secundus producit universalia et intentiones secundas et non presupponit eas. Exemplum : aliquis videns albedinem intuitive vel duas albedines, abstrahlt ab eis albedinem in communi ut est species; et non est aliud nisi quod ille due noticie incomplexe terminate ad albedinem in singulari, sive intuitive sive abstractive, causant naturaliter, sicut ignis calorem, unam tertiam noticiam ...». 181 Und jener zweite Akt erzeugt Universalien und zweite Intentionen (Bezogene) und setzt sie nicht voraus. Beispiel: irgenjemand, der intuitiv Weißsein sieht oder zwei WeißSeiende, abstrahiert davon das Weißsein als Gemeinsames, wie es die Spezies ist; und das ist nichts anderes als dass jene zwei Kenntnisse unkomplex abzielend auf das Weißsein im Einzelnen, sei es intuitiv sei es abstrakt natürlich verursachen, wie das Feuer die Wärme eine dritte Kenntnis...“. Dieser gemeinsame Gesichtspunkt der von den Dingen genommen wird, ist das, was die einen nennen „intentio animae“, andere „Begriff“, andere „passio animae“, andere „similitudo rei.“ ( Log. I, Kap. 12, fol. 6, col.1). Der Begriff oder die „intentio animae“, spielt in der Intelligenz die gleiche Rolle, wie das Wort in der Sprache: er ist vor allem ein „Zeichen“: 201 B.IV Rationalismus und Empirismus « Est igitur primo sciendum quod intentio anime vocatur quoddam ens in anima natum significare aliquid. » (Log. I, cap. 12, fol. 5, col. 4). « Illud autem existens in anima, quod est signum rei, ex quo propositio mentalis componitur, ad modum quo propositio vocalis componitur ex vocibus, aliquando vocatur intentio ... » (Ibid. fol. 6, col. 1). « Unde quum aliquis profert propositionem vocalem, prius format interius propositionem unam mentalem que nullius idyomatis est.... Partes talium propositionum mentalium vocantur conceptus, intentiones, similitudines, intellectus. » (Ibid.). „Man muss also zuerst wissen, dass die intentio animae irgendein Seiendes im Geist genannt wird, das dazu geboren ist, etwas zu bezeichnen.“ (Log. I, Kap. 12, fol. 5, col.4). „Jenes aber, was im Geist existiert, das ein Zeichen des Dings ist, womit im Geist der Satz zusammengesetzt wird in der Art und Weise wie der gesprochene Satz aus Wörtern zusammengesetzt wird, wird irgendwann (bisweilen?) intentio genannt ...“ (Ebenda fol. 6, col. 1) „Weshalb wenn einer einen gesprochenen Satz hervorbringt, bildet er vorher innerlich einen mentalen Satz, der zu keiner Sprache gehört.... Die Teile solcher mentalen Sätze werden Begriffe genannt, intentiones, similitudines, intellectus. “ (Ebenda). Der Begriff ist also vom Wort verschieden, welches dessen außerhalb befindliche Zeichen ist; der Begriff hat die Funktion des Ausdrucks im mentalen (geistigen) Satz und bezeichnet dort die individuellen Dinge. Wir müssen die „Bedeutung“, die der Begriff im mentalen Satz annimmt, vertiefen . Zuerst kann der Begriff von erstem Bezug (Intention) oder vom zweiten Bezug sein, je nachdem das bezeichnete Ding, was auch immer es wäre, dort direkt in ihm selbst als Objekt bezeichnet wird, oder, wenn diese Sache ein Begriff ist, der reflex anvisiert wird, als andere Objekte bezeichnend. „Streng heißen aber erster Bezug (in« Stricte autem vocant [vocatur] in- tentio prima) ein Nomen mentale ertentio prima nomen mentale natum zeugt, um an Stelle seines Bezeichneten pro suo significato supponere » (Ibid. stellvertretend einzutreten = supponere“ col. 1), « qualis est intentio ani- (Ebenda. col. 1) „wie die intentio anime predicabilis de omnibus homini- mae, die aussagbar ist von allen Menbus, similiter intentio predicabilis de schen, ist in gleicher Weise mit der Intenomnibus albedinibus, et sic de aliis » tio, die aussagbar ist von allem was weiß (Ibid. paulo superius)111 . ist und so von anderen.“ (Ebenda etwas weiter oben)111 . 111 da). 202 Zum Beispiel: der Ausdruck „Mensch“ im Satz: Jener Mensch ist ein Mensch (Eben- K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams 182 « Intentio autem secunda est illa que est signum talium intentionum primarum, cuiusmodi sunt tales intentiones : genus, species et huiusmodi » (Ibid. col. 1)112 „Zweiter Bezug (Intention) aber ist jener, der das Zeichen der so beschaffenen ersten Intentionen ist, von welcher Art die folgenden Intentionen sind: Gattung, Spezies und solches“, (Ebenda col.1)112 . 112 Zum Beispiel: der Ausdruck „Lebewesen“ im Satz: Lebewesen ist eine Gattung (Ebenda).). N. B.. Es ist falsch, wenn die Historiker in der Terminologie von Ockham „allgemeiner Begriff“ und „intentio secunda“ als identisch betrachtet haben. Die „intentio prima“ ist schon von sich her ein allgemeines Zeichen, und es ist gerade dieses, worauf sich das ganze Interesse der Diskussion zwischen Ockham und den Realisten bezieht. Die „intentio secunda“ bezeichnet das Universale, das reflex erkannt ist, als Universale.. Also ist auf eine allgemeine Weise die „intentio secunda“ so gut wie die „intentio prima“ « est quoddam in anima, quod est signum naturaliter significans aliquid pro quo potest supponere, vel quod est vel potest esse pars propositionis mentalis » . (ibid.). im Geist gewissermaßen das, was ein von Natur aus bezeichnendes Zeichen ist für etwas, wofür es die Stelle einnehmen kann oder was es als Teil eines mentalen Satzes ist oder sein kann.“ (ebenda). Der Begriff, sowohl der von erstem Bezug (intentio prima) wie der vom zweiten Bezug (intentio secunda), ist kein beliebiges Zeichen, sondern ein natürliches Zeichen der Dinge [ « naturaliter significans » .]. Man hat gerade verstanden, wie Ockham erklärt, was „von Natur aus bezeichnend“ bedeutet. Darin unterscheidet sich der Begriff vom Wort, einem willkürliches Zeichen. Aber, abgesehen von diesem Unterschied könnte man die Universalität des Wortes mit der des Begriffes vergleichen: 203 B.IV Rationalismus und Empirismus « Quoddam est universale naturale, quod est signum naturale predicabile de pluribus; ad modum quo fumus naturaliter significat ignem, et gemitus infirmi dolorem, et risus interiorem letitiam; et tale universale non est nisi intentio anime, ita quod nulla substantia extra animam est tale universale. Aliud est universale per voluntariam institutionem, et sic vox prolata, que est vere qualitas una numero, est universalis, quia est signum voluntarie institutionis ad significandum plura. Unde sicut vox dicitur communis, ita potest dici universalis. » (Log. I, cap. 14, fol. 6, col 4). „Etwas ist von Natur aus universell, das ein natürliches Zeichen ist, das aussagbar ist von vielen. In der Art wie Rauch von Natur aus Feuer bezeichnet und das Stöhnen des Kranken den Schmerz und Lachen die innere Freude. Und ein so beschaffenes Universale ist nur ein Bezug der Seele (intentio animae), sodass keine Substanz außerhalb der Seele ein so beschaffenes Universale ist. Etwas anderes ist ein Universale durch freiwillige Festsetzung, und so ist der hervorgebrachte Laut der wirklich zahlenmäßig eine Qualität ist, universell, weil er ein Zeichen einer freiwilligen Festsetzung ist, um vieles zu bezeichnen. Wie daher dieser Wortlaut gemeinsam genannt wird, so kann er universell genannt werden.“ (Log. I, Kap. 14, fol. 6, col. 4). Die zitierten Texte enthalten schon die Antwort von Ockham auf diese Frage: welches ist die Realgültigkeit des Allgemeinbegriffs? Diese ist mindestens, um im Satz die wirklichen Individuen zu bezeichnen: über dieses Minimum sind sich die Scholastiker einig: „Begriffe nehmen die Stelle der Dinge ein, die Individuen sind “ [ « conceptus supponunt pro rebus, quae sunt individuae » ]. Aber ist es nur das? 183 Was wäre das? antwortet Ockham. Und gerade die Art und Weise, in der er seinen Beweis führt, ist bezeichnend: sie geht durch Ausschluss der zwei einzigen Hypothesen, die er für denkbar hält: der Subsistenz des Universellen als solcher in den Dingen (Log. I, Kap. 15, fol. 6, col. 4) und zweitens, des Formalismus von Scotus (Log. I, Kap. 16, fol. 7, col. 2). Es macht ihm keine Mühe zu zeigen, dass die erstere widersprüchlich ist und im Übrigen zur absoluten, pantheistischen Identität des Seins führen würde. Hinsichtlich der zweiten ist zu sagen, dass sie auf einem trügerischen Prinzip beruht: der objektiven Existenz einer Unterscheidung, die sich formal nennt, außerhalb des Denkens, die indessen doch keine reale Unterscheidung wäre: was darauf zurück kommt, ein drittes Glied zwischen dem Sein und dem Nicht-Sein unbemerkt einführen zu wollen113 204 K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams 113 « Videtur tamen aliquibus quod universale aliquo modo est extra animam et in individuis, non quidem distinctum ab iis realiter, sed tantum formaliter. Unde dicunt quod in Socrate est natura humana, que contrahitur ad Socratem per unam differentiam individualem que ab illa natura non distinguitur realiter sed formaliter. Unde non sunt due res : una tamen non est formaliter alia. Sed haec opinio videtur esse irrationabilis : quia in creaturis non potest esse aliqua distinctio qualitercumque extra animam, nisi ubi sunt res distincte ; si ergo inter illam naturam et illam differentiam sit qualiscumque distinctio, oportet quod sint res realiter distincte. » (Log: I, cap. 16. fol. 7, col. 2). 113 „Dennoch scheint es einigen so, dass das Universale in irgendeiner Weise außerhalb der Seele und in den Individuen ist, zwar nicht von ihnen real unterschieden sondern nur formal. Deshalb sagen sie, dass die menschliche Natur in Sokrates ist, die auf Sokrates durch eine individualisierende Differenz kontrahiert wird, die von jener Natur nicht real sondern formal unterschieden ist. Deshalb sind es nicht zwei Dinge. Dennoch ist das eine nicht formal das andere. Aber diese Meinung scheint irrational zu sein: weil es in den Kreaturen nicht irgend eine Unterscheidung geben kann, die wie auch immer außerhalb der Seele ist, wenn da nicht irgendwo verschiedene Dinge da sind. Wenn es also zwischen jener Natur und jener Differenz eine wie auch immer beschaffene Unterscheidung gibt, müssen es real verschiedene Dinge sein.“ (Log: I, Kap. 16. fol. 7, col. 2).. Und die Demonstration schließt mit dieser doppelten Widerlegung ab. Ockham fasst in diesen Ausdrücken, die man im strengen und ausschließlichen Sinn nehmen muss, seine Theorie der Universalien zusammen: « Recapitulando ergo de universalibus dicendum est, quod quodlibet universale est quedam intentio anime significans plura pro quibus potest supponere. Et ideo una intentio, distincta ab alia, predicatur de alia, non quidem per se, sed pro re quam significat. Et ideo per tales propositiones non denotatur quod una intentio sit alia. Sed denotatur frequenter quod illud quod significatur per unam intentionem sit illud quod importatur per aliam. Huiusmodi autem universalia non sunt res extra animam : propter quod non sunt de essentia rerum nec partes rerum ad extra ; sed sunt quedam entia in anima, distincta inter se et a rebus extra animam : „Zusammenfassend ist also über die Universalien zu sagen, dass jedes beliebige Universale ein gewisser Bezug der Seele (intentio animae, Begriff ) ist, der mehrere bezeichnet, an deren Stelle er treten kann. Und deshalb kann eine Intentio (ein Begriff ) der von einem anderen verschieden ist, auch von anderen ausgesagt werden, zwar nicht an sich, aber an Stelle der Sache, die er bezeichnet. Und deshalb wird durch solche Sätze nicht gesagt, dass ein Begriff ein anderer ist. Sondern es wird häufig zum Ausdruck gebracht, dass das, was bezeichnet wird durch einen Begriff, jenes ist, was durch den anderen eingeführt wird. Universalien dieser Art aber sind nicht Dinge außerhalb der Seele. Deshalb sind sie nicht das Wesen der Dinge noch Teile der Dinge außerhalb. Sondern es sind gewisse Seiende in der Seele, voneinander unterschieden und von den Dingen außerhalb der Seele unterschieden. 205 B.IV Rationalismus und Empirismus quorum aliqua sunt signa rerum ad extra, alia sunt signa illorum [signorum], sicut hoc nomen universale est signum omnium universalium. » (Log. I, cap. 25, fol. 10, col. 4 et fol. 11, col. 1). Von diesen sind einige Zeichen der Dinge außerhalb, andere sind Zeichen jener [Zeichen], wie dieser universelle Name ein Zeichen ist für alle Universalien.“ (Log. I, Kap. 25, fol. 10, col. 4 und fol. 11, col. 1). Die allgemeinen Begriffe, gebildet entweder ausgehend von Einzel-Intuitionen, oder ausgehend von schon allgemeinen Begriffen, stellen nicht mehr und nicht weniger als eine unermessliche natürliche Semantik dar, welche die individuellen Objekte auf verschiedene Arten gruppiert, sie in gebührend etikettierten Klassen verteilt. Wenn ich sage: „Peter ist ein Mensch“ [ « Petrus est homo » ,], bedeutet das: « Individuum illud pro quo sup- „Jenes Individuum, für welches der ponit (= quod significat, oder : cui- Begriff des Petrus eintritt (= ihn beus locum in propositione tenet) con- zeichnet, oder: dessen Platz es im Satz ceptus Petri, unum est ex indi- einnimmt) ist einer aus den Individuviduis pro quibus supponit con- en, die der Begriff Mensch bezeichceptus hominis » . net.“ Wenn ich sage: „Der Mensch ist ein vernünftiges Lebewesen“ sage ich, dass die Gesamtheit der Individuen, die mit dem begrifflichen Symbol „Mensch“ bezeichnet werden, zugleich enthalten sind in der Klasse der Individuen, die unter dem Symbol „vernünftig“ gruppiert sind. – die Schnittmenge der zwei Klassen, würden unsere modernen Logistiker sagen. Die Wahrheit von dergleichen Urteilen 184 würde nur eine einzige Regel haben: die Treue zum natürlichen Symbolismus, der solche Individuen mit solchem Begriff verbindet; und diese Wahrheit würde keine andere Tragweite haben als nur diese: der abgekürzte Ausdruck zu sein und die Zuordnung einer Summe von individuellen Erfahrungen. Die direkte Erfahrung des Individuellen bleibt der einzige Kontaktpunkt zwischen der Logik und der Metaphysik: „Nichts kann von Natur aus in sich « Nihil potest naturaliter cognosci in erkannt werden, wenn es nicht inse nisi cognoscatur intuitive » . (I tuitiv erkannt wird.“ (I Sent, dist. 3, Sent, dist. 3, qu. 2, lit. F). qu. 2, lit. F.) Man sieht, die ockhamistische Logik löst sich vollständig auf in eine Logik der Identität, in eine Algebra der Logik: sie macht nichts anderes als „Supposita“ zu gruppieren unter kollektiven Symbolen, gleichbedeutende Einheiten zu transponieren, Summationen durchzuführen, Etiketten umzustellen. Dies ist also eine Dialektik, begründet allein auf dem Umfang der Begriffe, auf diesem Prinzip von Enthalten-Sein und von Inhalt, der bald bei den Nachfolgern von Ockham sich der ganzen Logik bemächtigen wird. Der Inhalt des Begriffes, das heißt die Assoziation intelligibler Kennzeichen, die ihn darstellen, repräsentieren nicht 206 K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams mehr als die Form, die Farbe und die Nummer der Ordnung eines Etiketts. Nun ist aber eine Logik wie diese kraft ihrer sie bildenden Prinzipien von radikaler Unfähigkeit betroffen, die konkrete und vielfache Erfahrung zu überschreiten: sie gibt nur das zurück, was sie empfangen hat. Da ist im Wesentlichen der Standpunkt des Nominalismus – sagen wir genauer des terministischen Konzeptualismus – von Ockham. Aber man wird vielleicht beobachten, dass die Beweisführung durch Ausschluss, die Ockham dahin führte, nicht schlüssig ist: zwischen der Theorie vom Formalismus von Scotus und der Theorie des Begriffes, der wie ein rein „suppositives = stellvertretendes“ Zeichen definiert wird, gab es Platz für die Hypothese eines gemäßigten Realismus, der erlauben würde, die wirklich objektiven Ähnlichkeiten der Dinge mit abstrakten Begriffen auszudrücken. Dies ist richtig; aber trotz des Risikos, durch unsere Wiederholungen Überdruss zu erzeugen, wollen wir noch die Auffassung erwägen – die einzige Auffassung – nach der diese dritte Hypothese die Beweisführung Ockhams erschüttern würde. 185 Die „Ähnlichkeit der Dinge“ ist ein zweideutiger Ausdruck. Will man dadurch die einfache Möglichkeit ausdrücken, dass individuelle Objekte gruppiert werden können unter einen universellen Begriff, ihre reine „Tauglichkeit“ für dieses Zusammenrücken? Ockham bestreitet das nicht: „vom Sein zum Können gilt die direkte Folgerung“: die Dinge sind also unter unseren Begriffen gruppiert, sie stellen sich also dem Sein zur Verfügung. Und diese Tauglichkeit ist noch nicht einmal beliebig: da der Symbolismus des Begriffes, „natürlich“ ist, ist das Band zwischen einem gewissem Zustand der Dinge und dem universellen Begriff, in dem sich ihre Ähnlichkeit vollendet, nicht willkürlich. Würde Ockham, wenn er das zugäbe, seinen eigenen Terminismus verleugnen? Wäre er im Grunde nur ein verkannter Realist? Zu jeder Zeit fanden sich in den Schulen der Logik, Schüler, die sich nicht ohne Verwunderung die Frage stellten und sich vergeblich bemühten eine unanfechtbare Divergenz zwischen dem Nominalismus von Ockham und dem gemäßigten Realismus zu entdecken. Ihre Entschuldigung ist es, dass der Schlüssel des Geheimnisses auf der Metaphysik beruht und dass es nicht so leicht ist, klar die metaphysischen Anschlusspunkte der Logik deutlich zu sehen. Etwas noch Verwirrenderes ist das, dass Meister der modernen Scholastik, Autoren von schätzenswerten Abhandlungen, sich, nach Suarez, die gleiche Frage gestellt haben. Man wird uns erlauben, nebenbei diese exegetische Überlegung des großen spanischen Theologen anzumerken: 207 B.IV Rationalismus und Empirismus « Merito reprehendendi sunt (Nominales) quoad aliquos loquendi modos, nam in re fortasse non dissident a vera sententia : nam eorum rationes huc solum tendunt, ut probent universalitatem non esse in rebus, sed convenire illis prout sunt objective in intellectu, seu per denominationem ab aliquo opere intellectus, quod verum est » (Metaph. Disp. VI, sect. 2, n. 1; sect. 5, n. 3. Venetiis, 1619. Tom. I, p. 131, a). „Mit Recht sind die (Nominalisten) zu tadeln bezüglich einiger Weisen zu reden, denn in der Sache weichen sie vielleicht von der wahren Meinung nicht ab: denn ihre Beweise zielen nur darauf ab, dass sie beweisen, dass die Universalität nicht in den Dingen ist sondern ihnen nur zukommt, insofern sie objektiv im Verstand sind oder durch Bezeichnung von einer Tätigkeit des Intellekts her, was wahr ist.“ (Metaph. Disp. VI, sect. 2, n. 1 ; sect. 5, n. 3. Venetiis, 1619. Tom. I, p. 131, a). Wir werden gleich darüber urteilen, ob die zugegebenen Konsequenzen und die wirklichen Rückwirkungen des Ockhamismus diese optimistische Auslegung von Seiten eines Realisten rechtfertigen, die im Übrigen nichts von einer Zustimmung zur Lehre ausdrückt. Alles erklärt sich, wenn man sich wohl daran erinnern will, dass Suarez – unbestritten ein hervorragender Geist, – wie seine Zeitgenossen in einer durch den Nominalismus geschaffenen Umgebung lebte und dass, trotz seiner ausdrücklich realistischen Reaktion in der Logik, es ihm nicht geglückt ist, sich in der Metaphysik ganz von Einflüssen zu befreien, die im Voraus die Tragweite eines verdienstvollen Bemühens verringerten, – einige sagen: die sie verfälschten – . Suarez stellt in der Tat, wie Duns Scotus, wie Ockham die These auf von der direkten intellektuellen Erkenntnis des materiellen Einzeldings, von der Individuation der Sinnesdinge unabhängig von ihrer Materie, von der realen Identität von Wesen und Existenz in den Geschaffenen, von der Entität der Materie und der Form in ihnen selbst betrachtet usw.: Man erkennt wieder das Bündel der Thesen, die augustinische genannt werden. Kommen wir zu Ockham zurück. Er hätte für die Universalität des Begriffes nach einer sicheren Grundlage in der „anlagemäßigen Ähnlichkeit“ der individuellen Dinge suchen können, ohne dafür zulassen zu müssen, Terminist114 114 186 Nominalismus setzt nicht einmal das voraus! deshalb die Bezeichnung Terminist zu werden und sich mit einer vollendeten logischen Strenge auf den Weg zu machen auf Konsequenzen zu, die kein gemäßigter Realist zugeben konnte. Denn über dies hinaus setzt der gemäßigte Realismus etwas anderes als eine beliebige „Ähnlichkeit in der Anlage“ der Dinge voraus: er setzt eine wahrhaft objektive Ähnlichkeit voraus, die sich vollständig in Ausdrücken der Wirklichkeit definieren könnte; denn das ist doch nichts anderes als die Ähnlichkeit einer „Form“, die sich vollständig gleichartig zu sich selbst in der Quantität vervielfacht. Diese 208 K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams unterscheidende These des thomistischen Realismus ist auch der einzige angemessene Ausdruck des gemäßigten Realismus. (Siehe oben Buch III, Kap. 2, §3 b). §2. – Destruktive und agnostische Konsequenzen. Ockham, der sich darauf verstand zu beweisen, wird uns andererseits selbst zeigen, wohin seine terministische Epistemologie führt. Man kann den Baum nach seinen Früchten beurteilen. Der Ockhamismus ist eine bewusste Anhäufung von Zerstörung. a) In der Logik. Wir haben schon gesehen, dass in der Logik das Band, das bei Aristoteles und bei den realistischen Scholastikern den Allgemeinbegriff mit der Form der materiellen Dinge in Zusammenhang brachte, endgültig zerrissen ist; zerrissen ist auch, in der Entstehung des Allgemeinbegriffs unter der Wirkung des Intellektus agens die Beziehung, die sich nach dem heiligen Thomas zwischen der relativen Einheit des endlichen Objekts und der absoluten Einheit des Seins – ganz kurz – anknüpft: die Analogie des Seins ist dem Ockhamismus fremd. Die Logik hört also auf, eine metaphysische Tragweite zu haben. Sie wird ein unfruchtbares Spiel mit Symbolen, die die Erben von Ockham immer mehr komplizieren und ihres Inhalts entleeren, bis zu dem Punkt, sie auf das Niveau einer Grammatik zurückzubringen. b) In der Psychologie. In der Psychologie war zu erwarten, dass die strenge Einheit des menschlichen Zusammengesetzten sich zerstückelt: zwischen den rein körperlichen Vollzügen, den Vollzügen der Sinnesfähigkeiten und schließlich den Vollzügen des Verstandes, besteht wohl eine gewisse äußere Koordination fort, aber nicht mehr diese innerliche Zusammenarbeit, diese gegenseitige Durchdringung in einem gleichen objektiven Akt des Erkennens, der die formartige Einheit des menschlichen Individuums in den Augen eines Thomisten offenbarte. Ockham überlagert im Menschen, real unterschieden115 , eine Seele [forma] der Körperlichkeit (das ist auch die These von Duns Scotus), eine Sinnes-Seele und eine intellektive Seele. 209 B.IV Rationalismus und Empirismus 115 187 Siehe zum Beispiel Quodl. II, qu. 10: « Utrum anima sensitiva et intellectiva in homine distinguantur realiter... Dico ad istam questionem quod sic, sed difficile est hoc probare... Probo tamen quod distinguuntur realiter... » « Ad principale dico, quod hominis est tantum unum esse totale, sed plura esse partialia » . Ibid. qu. 11 : « Utrum anima sensitiva et forma corporeitatis distinguantur realiter tam in brutis quam in hominibus » : er antwortet bejahend wie zur Frage 10. „Ob im Menschen eine Sinnes-Seele und eine intellektive Seele real unterscheidbar sind ... Ich antworte auf diese Frage mit ja, aber es ist schwer, das zu beweisen ... Ich beweise jedoch, dass sie real unterschieden werden ... “ „Hauptsächlich sage ich, dass der Mensch nur ein gesamtes Sein, aber mehrere partielle hat“ (Ebenda. qu. 11): „Ob die Sinnes-Seele und die Form der Körperlichkeit real unterschieden werden sowohl in den Tieren als auch in den Menschen“:. Den Intellektus agens hakt er ab, oder mit Müh und Not fingiert er einen116 116 Mindestens anerkennt Ockham nicht irgendeinen evidenten rationalen Beweis zu Gunsten eines Intellektus agens: wenn er die Existenz davon zulässt, so ist es aufgrund des Glaubens an „Autoritäten“. Außerdem handelt es sich um einen verminderten Intellektus agens, der sich vermischt mit der intellektuellen Aktivität im Allgemeinen, wie das Duns Scotus verstand und nicht um den Intellektus agens, dessen Funktion im Thomismus vollkommen definiert war. Cf. II Sent. qu. 25. Ockham schließt die an diesem Ort entwickelte Diskussion wie folgt ab: „Das Gesagte gibt uns die Gelegenheit, auf alle Argu« Per predicta potest haberi occasio respondendi ad mente zu antworten, die eine Aktivität des Intellekts omnia argumenta que probant activitatem intel- beweisen. Trotzdem halte ich am Gegenteil fest wegen lectus : tamen teneo oppositum, propter sanc- der Autorität der Heiligen und der Philosophen, torum autoritates et philosophorum, que non die nicht gerettet werden kann ohne Aktivität des Intelpossunt salvari sine activitate intellectus... Ad hoc lekts.... Dafür gibt es auch wahrscheinliche Begründunetiam sunt rationes probabiles, licet non necessario gen, wenn sie auch nicht notwendig schlüssig sind“.. concludant » .. Die „species“ das heißt „erkenntnismäßigen Determinanten“, Produkte des Intellektus agens und Vermittler zwischen der Sinneserkenntnis und dem Akt des Verstehens (intellection), hakt er noch mehr ab. Ockham kümmert sich nicht um diese überflüssigen Dinge des Realismus; und er selbst sorgt sich nicht in metaphysischen Ausdrücken die Zuordnung zu definieren, die er zwischen den drei Form-Ebenen des menschlichen Individuums feststellt. Hier ist eine schlimmere Konsequenz. Zwischen der Sensibilität und der Intelligenz bemerkt man zweifellos in der direkten Erfahrung einen gewissen Unterschied. Aber weiter zu gehen und zu beweisen, dass die inneren Zustände der Intelligenz, einfache Zeichen der Gruppierung der materiellen Individuen, die intuitiv erkannt sind, zu beweisen also dass diese Zustände notwendigerweise solche „immateriellen Formen“ sind, oder noch mehr, streng „geistig“ sind, wie würde ein Terminist das können? Ockham hält die Immaterialität und die Geistigkeit der menschlichen Seele nicht für philosophisch nachweisbar117 117 « Dico quod, intelligendo per animam intellectivam formam immaterialem, incorruptibilem, que tota est in toto et tota in qualibet parte, non potest sciri evidenter per rationem vel experientiam quod talis forma sit in nobis, nec quod intelligere talis substantie sit in nobis, nec quod talis anima sit forma corporis ... Sed ista tria solum fide tenemus. » (Quodl. I, qu. 10).. 210 „Ich sage, dass, wenn ich unter intellektiver Seele eine immaterielle, inkorruptible, die als Ganze im Ganzen ist und als Ganze in jedem Teil ist, verstehe, es nicht evident gewusst werden kann durch die Vernunft oder die Erfahrung, dass eine solche Form in uns ist, noch dass das Erkennen einer solchen Substanz in uns ist, noch dass eine solche Seele die Forma des Körpers ist ...Sondern an diesen dreien halten wir nur im Glauben fest.“ (Quodl. I, qu. 10). K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams Als Philosoph ist er nicht so sicher, auch nicht, dass die intellective Seele „Form des menschlichen Leibes“ wäre118 118 vergleiche den in der vorhergehenden Note zitierten Text und den ersten Artikel der gleichen Quaestio. 188 Sie [diese Formen] könnten, streng genommen, getrennt fortbestehen, nach der Art einer motorischen Ursache. Und in dieser zweiten Hypothese wird die averroïstische Lehre, die nur eine und einzige aktive Intelligenz der Gesamtheit der Menschheit zuteilt, mit der Vernunft unwiderlegbar. (Quodl. I, qu. 11 gegen Ende). Die unheilbarste Unsicherheit bemächtigt sich also der traditionellen Psychologie. Muss man hinzufügen, dass der Grund dieser Verwirrung kaum schwierig zu entdecken ist: Ockham hat den einzige Gesichtspunkt verloren, von wo her alle Perspektiven über die Metaphysik sich gegenseitig harmonierten; von der Sinneserkenntnis zum Verstand sieht er nicht mehr: weder eine klar gezogene Begrenzung noch eine notwendige Beziehung; auf der einen Seite erscheint die Intelligenz ihm weniger aktiv, als rezeptiv119 ; 119 Siehe weiter oben, S. 151. Unter anderem zum Beispiel: Passivität des menschlichen Verstandes gegenüber der Kausalität der individuellen Objekte, Quodl. I, qu. 13; Passivität der engelhaften Intelligenz gegenüber der Kausalität des Objektes, selbst materiell, II Sent. qu. 16, lit. G sqq. Vergleiche mit der Lehre von Duns Scotus, oben. S. 129, S. 131 anderseits, zersplittert sich in seiner Philosophie die Einheit des Seins und neigt dazu, mit der des kontingenten Individuellen zu verschmelzen. Wenn das natürliche Gleichgewicht des objektiven Denkens einmal aufgebrochen ist, musste die ganze Metaphysik erschüttert werden. Verfolgen wir unsere Untersuchung weiter. Der Mensch ist nicht nur Intelligenz, er ist Wille. Beim hl. Thomas folgt der freie Vollzug des menschlichen Willens einer absoluten Zweckbestimmtheit, die ihm der Intellekt vorlegt; und das letzte Ziel des Willens ist auch das letzte Ziel der Intelligenz. Für Ockham ist ein gleicher Finalismus viel weniger begreifbar als für Duns Scotus, aber auch dieser ist noch im Gegensatz zur thomistischen Konzeption: ein System von begrifflichen Zeichen würde nicht wissen, wie es den Ausdruck eines letzten Ziels enthalten soll. Der Wille, im Blick auf die Intelligenz, bleibt also autonom, und seine Freiheit wird in einem irrationalen Indeterminismus bestehen: sie geht nach Art von Staatsstreiche vor. Die Autoren nennen dies Voluntarismus; bei Ockham ist dies wohl vielmehr die Unfähigkeit, eine rationale Rechtfertigung der freien Handlung zu finden. Nun hindert aber genau die Abwesenheit einer rationalen Rechtfertigung der freien Handlung Ockham daran, die menschliche Freiheit zu „beweisen“ : während S. Thomas diese apriori aus der absoluten Finalität des Willens ableitet, muss sich Ockham mit einem Erfahrungsbeweis begnügen, was auf jeden Fall weniger ausschlaggebend ist (Quodl. I, qu. 16). 211 B.IV Rationalismus und Empirismus c) In der Kosmologie. Die gleiche Unfähigkeit der terministischen Philosophie enthüllt sich in der Kosmologie. Eine rationale Wissenschaft von der Welt verlangt ein System von Naturgesetzen, das heißt von allgemeinen und notwendigen Beziehungen, befreit von der direkten Erfahrung durch die Induktion (Erschließung). Ockham bewahrt den Namen der Induktion (Erschließung) und die Methoden, (siehe Log. III, Kap. 31 sqq., fol. 89 sqq.), aber er verfügt über kein Prinzip, um ihren objektiven Wert zu begründen. 189 Da er jedoch einen natürlichen Symbolismus der Begriffe zugibt, setzt er nicht sogar gerade durch diese Tatsache eine stabile Beziehung zwischen dem System der begrifflichen Zeichen und dem realen Zustand der Objekte voraus? Würde dieses Objektivitätsminimum nicht für die Gültigkeit der Wissenschaft ausreichen? Vielleicht; aber dieses gleiche Minimum ist hier nichts weniger als gesichert, denn ein „natürliches Zeichen“ in der Terminologie von Ockham ist einfach ein Zeichen, das sich von außerhalb mit ganz freier Wahl aufdrängt: „natürlich“ wird jedes Zeichen sein, das nicht ganz „willkürlich“ oder „konventionell“ ist. Das begriffliche Zeichen, geben wir es zu, ist mir auferlegt von einer subjektiven Notwendigkeit; aber ich ignoriere absolut, ob es der wirklichen Anlage der Dinge entspricht; ich weiß, dass es meine vergangenen Erfahrungen zusammenfasst, ich werde dazu gebracht, darauf mich zu stützen, es für meine zukünftigen Erfahrungen vorauszusehen und zu führen; aber über ihre Gültigkeit für die Voraussage, mit anderen Worten von ihrer symbolischen vorwegnehmende Gültigkeit habe ich, offen gestanden, keine rationale Garantie. Wo würde ich sie suchen? Von der Welt kenne ich nur ein Ding, die Individuen, die meine Erfahrung durchqueren und sich in meiner Erinnerung gruppieren. d) In der allgemeinen Metaphysik. Die Individuen? dies ist noch zu viel zu sagen, denn ich kenne davon das innere Einheitsprinzip nicht, was sie wirklich zu Individuen macht. Die Individuen, die meine Intelligenz aufnimmt, beschränken sich auf die unterschiedliche Verkleidung der Seienden; dies sind einzig die „Tatsachen“, konkret, in ihrer flüchtigen Existenz, in ihren Verbindungen und ihren Trennungen, in ihren räumlichen und zeitlichen Gruppierungen. Meine Philosophie ist also nicht einmal eine Metaphysik des Individuums. Und auf welche andere Grundlage würde sich eine allgemeine terministische Metaphysik stützen? Ihr Ansatzpunkt ist zwangsläufig das „Individuelle“. Legen wir die Dinge zum Besseren aus: die Individuation hätte für Ockham nur noch einen möglichen Sinn, zu wissen: in subjektiven Ausdrücken, die Anwesenheit in einer empirischen Intuition ; in objektiven Ausdrücken, die konkrete Existenz: 212 K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams « Quelibet res, eo ipso quod est, est hec res » , « Quelibet res singularis seipsa est singularis ... quia singularitas immediate convenit illi cuius est » (I Sent. dist. 2, qu. 6, lit. P). „Jedes beliebige Ding ist eben gerade dadurch, dass es ist, dieses Ding“, „Jedes beliebige Einzelding ist als es selbst einzeln. .. weil das Einzelnsein unmittelbar jenem zukommt, dem es gehört.“ (I Sent. dist. 2, qu. 6, lit. P.) Nun aber liefert die empirische Tatsache der Existenz, äußerlich oder innerlich, nichts als es selbst: und die Metaphysik würde sich also, höchstens, auf ein Inventar von Individuen beschränken. 190 In Wahrheit, ich, Terminist, ich spreche wie jeder von Substanzen, von Ursachen und Zielen. Dass man sich darüber nicht irrt. In der Substanz erkenne ich nicht eine strenge Einheit des Seins. Hinsichtlich des kausalen Bandes, erreichte meine Intelligenz sie nur in der empirischen Kausalität und insofern sie verschmilzt mit der Aufeinanderfolge und der Veränderung: die Produktivität und die metaphysische Abhängigkeit, da sie nicht intuitiv wahrnehmbar sind, sind Abstraktionen, also „Symbole“, konkrete Beziehungen, nichts anderes. Ockham scheint sich an diese Konsequenz seines Nominalismus zu erinnern, da er, wo er den Begriff der ersten Ursache kritisiert, schreibt: « Non potest probari naturali ratione quod Deus sit causa efficiens alicuius effectus; quia non potest probari sufficienter quod sint aliqua effectibilia preter generabilia et corruptibilia, quorum cause sufficientes sunt corpora naturalia inferiora et celestia corpora; quia non potest probari sufficienter quod substantia separata quecumque, nec aliquod corpus celeste, causatur ab aliquo efficiente. » (Quodl. II, qu. 1). „Es kann nicht bewiesen werden mit der natürlichen Vernunft, dass Gott die Wirkursache irgendeiner Wirkung ist, weil nicht hinreichend bewiesen werden kann, dass es irgendwelche bewirkbare Dinge gibt außer den Erzeugbaren und Vergänglichen, deren hinreichende Ursachen die natürlichen Körper, irdische und Himmelskörper sind; weil nicht hinreichend bewiesen werden kann, dass jede beliebige getrennte (separata) Substanz noch irgendein Himmelskörper von irgendeinem Bewirkenden verursacht wird.“ (Quodl. II, qu. 1). Auch das aristotelische Argument vom Ersten Beweger fordert alle Vorbehalte heraus. (Ebenda.) Die Zweckbestimmtheit (Finalität) der Dinge, insofern sie sich unterscheidet von der Stetigkeit einer blinden Wirksamkeit, bietet nicht mehr an rationaler Garantie; von wo würde ich sie herleiten, in der Tat, diese objektive Finalität? 213 B.IV Rationalismus und Empirismus « Non potest demonstrari quod omnia propter que agunt cause naturales cognoscuntur vel diriguntur ab aliquo; quia hoc solum verum est in his que possunt diversimode moveri ad unum vel ad aliud, et non determinantur ex natura sua ad aliquem effectum certum» quod fines eorum cognoscuntur et diriguntur; quia aliter non moverentur plus ad unum quam ad aliud .... Sed causa mere naturalis, que ex natura sua determinat sibi certum effectum et non alium, non requirit precognoscentem nec ductorem. Saltem ratio naturalis non concludit quod requirat. Verbi gratia, Ignis approximatus ligno calefacit eum, sive hoc intendatur a cognoscente sive non. Et si queras quare tunc plus calefacit quam frigefacit, dico quod natura sua talis est. » (Quodl. II. qu. 2.) « Ideo non potest probari quod tale agens agat propter finem. » (Quodl. IV. qu. 6.) 191 „Es kann nicht bewiesen werden, dass alles, weswegen die natürlichen Ursachen handeln, erkannt wird oder von einem geleitet wird. Weil das, dass die Ziele derer erkannt werden und sie geleitet werden, nur wahr ist bei denen, die auf verschiedene Weisen bewegt werden können zum einen oder zum anderen und nicht von ihrer Natur her zu einer Wirkung bestimmt werden. Weil sie anders nicht mehr zum einen als zum anderen bewegt würden.... Aber eine rein natürliche Ursache, die aus ihrer Natur heraus sich einen gewissen Effekt und nicht einen anderen bestimmt, braucht keinen Vorauserkennenden noch einen Führer. Wenigstens die natürliche Vernunft schließt nicht, dass sie das verlangt. Zum Beispiel Feuer das dem Holz genähert wird erwärmt dieses, ob das beabsichtigt ist von einem Erkennenden oder nicht. Und wenn du fragst, warum es dann mehr heizt als kühlt, sage ich, weil seine Natur so beschaffen ist.“ (Quodl. II. qu. 2.) „Deshalb kann nicht bewiesen werden dass ein so beschaffenes Seiendes wegen eines Zieles handelt.“ (Quodl. IV. qu. 6.) e) In der Theodize. Dies ist nicht alles. Ockham schuldet uns belastendere Geständnisse. Da die allgemeinen Ideen keine andere Gültigkeit haben als individuelle Objekte aus der Erfahrung zusammenfassend zu bezeichnen, was kann dann wohl der Sinn der logischen Deduktion sein, die sich auf den „Inhalt“ der Begriffe stützt, das heißt die intelligiblen Bezeichnungen anwendet, die ihren innere Aufbau definieren. Diese Deduktion würde rein ideal bleiben: einfache subjektive Analyse, einfache Anwendung der Gesetze der Identität auf die innere Phänomenologie meines Denkens. Objektive Bedeutung – keine! Wider Willen, aber gezwungen durch die Logik seines Gesichtspunkts schneidet der Nominalismus also das einzige arme Paar von Flügeln ab, die der menschlichen Intelligenz erlaubt hätte, sich über die sinnliche Erfahrung zur Welt der transzendenten Wirklichkeiten zu erheben. Die Transzendenz Gottes, schon durch die Prinzipien, die Ockham gemeinsam mit Duns Scotus beibehält, dem Zugriff durch unsere natürliche Vernunft 214 K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams entzogen, wird doppelt unzugänglich, wenn diese Prinzipien sich durch eine nominalistische Epistemologie verschärfen. Auf welchen Wegen kommen wir in der Tat zur Erkenntnis Gottes? Durch den Weg der Kausalität, durch den Weg der Zweckbestimmtheit, durch den Weg des alles Übertreffens (via eminentiae). Nun aber gerät unsere Vernunft überall ins Wanken, bevor sie eine feste und volle Schlussfolgerung erreicht hat. „Es kann nicht evident gewusst werden, dass Gott ist“ (Quodl. I, qu. 1) « Non potest sciri evidenter quod erklärt Ockham. Würde man Gott defiDeus est » (Quodl. I, qu. 1), erklärt nieren als „Etwas Edleres... und... BesseOckham. Würde man Gott definie- res als alles von ihm Verschiedenen“, wird ren als « aliquid nobilius et... melius man nie seine Existenz zeigen: „Dieser omni alio a se » , würde man nie sei- Satz: Gott ist, ist nicht per se bekannt, ne Existenz beweisen: « hec proposi- weil viele daran zweifeln. Es kann auch tio : Deus est, non est per se nota, nicht bewiesen werden aus von sich her quia multi dubitant de ea; nec potest Bekanntem, weil in jeder solchen Begrünprobari ex per se notis, quia in om- dung irgendetwas Ungewisses oder Geni ratione tali accipietur aliquid dubi- glaubtes angenommen würde; und es ist um vel creditum; nec etiam nota est auch nicht bekannt aus der Erfahrung, per experientiam, ut manifestum est. wie es offensichtlich ist.“ (Ebenda). Den» (Ibid.) Dennoch, wenn man damit noch wenn man damit zufrieden wäre, zufrieden wäre, Gott zu definieren als: Gott zu definieren: als „das, im Vergleich « id quo nihil est melius, prius vel per- zu dem es nichts Besseres, Früheres oder fectius » , könnte man davon die Exis- Vollkommeneres gibt“, könnte man datenz zeigen, denn in jeden Fall exis- von die Existenz zeigen, denn in jedem tiert ein Sein, das an Vollkommenheit Fall existiert ein Sein das an Vollkomnicht überschritten wird: « quia ali- menheit nicht überschritten wird: „denn ter esset processus in infinitum, nisi sonst hätte man ein Fortschreiten bis ins esset aliquid in entibus quo nihil es- Endlose (processus in infinitum), wenn es set prius aut perfectius. » (Ibid.) nicht etwas unter den Seienden gäbe, im Vergleich zu dem es nichts Früheres und nichts Vollkommeneres gäbe.“ (Ebenda). Aber dieser Schluss führt uns nicht sehr weit; denn eine solche Priorität und eine solche Vollkommenheit sind alle relativ; und im Übrigen würde man nicht wissen, wie man zeigt, dass ihr Besitzer ein Einziger wäre: « Ex hoc non sequitur quod possit „Daraus folgt nicht, dass bewiesen werden demonstrari quod tantum unum est kann, dass es nur ein einziges so Beschaftale; sed hoc fide tantum tenemus » fenes gibt, sondern das halten wir nur im Glauben fest. (Ebenda). (Ibid.). Aber das klassische Argument, das Gott als erste und universelle Ursache zeigt? 215 B.IV Rationalismus und Empirismus Ockham drückt klar und deutlich Quodlibetum II: « Utrum possit probari naturali ratione quod Deus sit prima causa efficiens omnium » . die Kritik daran aus bei der Frage 1 von „Ob man mit der natürlichen Vernunft beweisen kann, dass Gott die erste WirkUrsache von allem ist.“. Nein, antwortet er, denn man kann nicht beweisen dass Gott unmittelbare Ursache von allen Dingen ist, noch nicht einmal, dass er wenigstens ihre mittelbare Ursache ist. Zuerst, « non potest probari ... Zuerst „es kann nicht bewiesen werquod Deus sit causa immediata effi- den... dass Gott die unmittelbare Wirciens omnium » . Tatsächlich, « non kursache von allem ist“. In der Tat potest sufficienter probari quin alie „kann nicht hinreichend bewiesen werden, cause, puta corpora celestia, sint suf- dass nicht andere Ursachen, zum Beispiel ficientes respectu multorum effectu- Himmelskörper hinreichend sind in Bezug um; et per consequens frustra pone- auf viele Effekte und folglich würde eine retur causa efficiens immediata illo- unmittelbare Wirkursache jener vergebrum » (loc. cit.); lich behauptet.“ (loc. cit.) ; das heißt, dass die unmittelbare göttliche Kausalität überflüssig wird, sobald man eine Zweitursache zugibt. Aber nehmen wir die unmittelbare Kausalität Gottes als bewiesen an, dann 192 ist es die Zweitursache, die überflüssig wird und die natürliche Vernunft würde dazu noch den Occasionalismus verlangen: „Wenn mit der natürlichen Vernunft be« Si posset probari naturali ratione wiesen werden könnte, dass Gott die Wirquod Deus sit causa efficiens omnium, kursache von allem ist, könnte nicht mit non posset naturali ratione probari natürlicher Vernunft bewiesen werden, quod esset causa partialis necessaria dass eine Teilursache notwendig oder unvel insufficiens omnium; eque faciliter zureichend wäre für alles. Gleich leicht posset probari naturali ratione quod könnte bewiesen werden mit der natüresset causa sufficiens omnium : et ita lichen Vernunft, dass er eine hinreichenfrustra ponerentur alie cause efficien- de Ursache von allem sei: und so würden vergeblich andere Wirkursachen gesetzt.“ tes. » (ibid.) (ebenda). Dennoch um die Existenz Gottes zu beweisen, würde es genügen, die Notwendigkeit einer mittelbaren Erstursache des Weltalls zu zeigen auf die Gefahr hin, sich mit einer Art von neuplatonischem Demiurg zwischen Gott und den Dingen abzufinden. Diese Ausflucht wird von Ockham klar unterbunden; in einem Text, von dem wir schon einige Linien zitiert haben, bringt er eine Kritik jeder transzendenten Kausalität zum Ausdruck: 216 K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams « Secundo dico quod non potest probari naturali ratione quod Deus sit causa efficiens alicuius effectus; quia non potest probari sufficienter quod sint aliqua effectibilia preter generabilia et corruptibilia, quorum cause sufficientes sunt corpora naturalia inferiora et celestia corpora : quia non potest probari sufficienter quod substantia separata quecumque, nec aliquod corpus celeste, causatur a quocumque efficiente. Nec etiam de anima intellectiva (que est tota in toto et tota in qualibet parte) demonstrative potest probari quod ab aliquo efficiente causatur, quia non potest demonstrari quod talis anima sit in nobis, sicut dictum est in primo quotlibet. Et ex istis sequitur demonstrative quod non potest probari quod Deus sit causa mediata alicuius effectus; quia si posset probari quod Deus esset causa mediata respectu unius effectus, posset probari quod esset causa immediata respectu alterius in genere cause efficientis. Sed secundum non potest probari. Ergo nec primum. » (Ibid.)120 a a120 Cf. Quodl. III, qu. 3 : « Deus est causa mediata vel immediata omnium et licet hoc non posset demonstrari, tamen persuadeo auctoritate et ratione » . „Zweitens sage ich, dass nicht mit natürlicher Vernunft bewiesen werden kann, dass Gott die Wirkursache irgendeines Effektes ist, weil nicht hinreichend bewiesen werden kann, dass es irgendwelche bewirkbaren Dinge gibt außer den Erzeugbaren und Verderblichen, deren hinreichende Ursachen die natürlichen irdischen und himmlischen Körper sind: weil nicht hinreichend bewiesen werden kann, dass irgendwelche separate Substanz noch irgendein Himmelskörper von irgendeinem Bewirkenden verursacht wird. Selbst auch nicht von der intellektuellen Seele (die ganz im Ganzen und ganz in jedem Teil ist) kann demonstrativ bewiesen werden, dass sie von jemand Bewirkendem verursacht wird, weil nicht bewiesen werden kann, dass eine solche Seele in uns ist, wie es gesagt wurde im ersten Quotlibet. Und daraus folgt demonstrativ, dass nicht bewiesen werden kann, dass Gott mittelbare Ursache einer Wirkung ist. Weil wenn bewiesen werden könnte, dass Gott mittelbare Ursache wäre bezogen auf irgendeinen Effekt, dann könnte bewiesen werden, dass er unmittelbare Ursache ist bezogen auf ein anderes in der Gattung der Wirkursachen. Aber das zweite kann nicht bewiesen werden, Also auch nicht das erste.“ (Ebenda)120 .a a120 Vergleiche. Quodl. III, qu. 3: „Gott ist mittelbare oder unmittelbare Ursache von allem und wenn das auch nicht bewiesen werden könnte, bin ich dennoch davon überzeugt durch Autorität und Vernunft.“. Würden wir mehr Glück haben, wenn wir versuchten, Gott als letztes universelles Ziel zu beweisen? Die Texte, die wir weiter oben angeführt haben, über die Finalität, nehmen uns diese Hoffnung. Im Übrigen erklärt Ockham das ausdrücklich: „Es kann nicht bewiesen werden, dass [Gott] das letzte Ziel von allem ist“ ([ « Non potest demonstrari quod [Deus] sit finis omnium » ] Quodl. III, qu. 1. „Viertens sage ich... “ [ « Quarto dico ... » ]). 217 B.IV Rationalismus und Empirismus Und wir ahnen wohl, dass auch der „Weg des Übersteigens“ [ « via eminentiae » ] nicht gangbarer sein wird: „Es kann nicht bewiesen werden, dass Gott der alles Überragendste ist“. ([ « Non potest demonstrari quod [Deus] sit eminentissimus inter omnia » ] Ebenda. „Fünftens sage ich.,... “ [ « Quinto dico.,... » ...]). Aber selbst unter der Annahme, dass die Existent Gottes bewiesen sei, was wissen wir über seine Natur? Kann unsere Vernunft sich erheben bis zur Erkenntnis der absoluten göttlichen Transzendenz? Um die Wahrheit zu sagen: alle Wege sind vor uns versperrt und von jetzt an sehen wir uns zum Agnostizismus verurteilt. Ockham lässt uns nicht einmal selbst Zuflucht zu nehmen zu einem „ontologischen“ Argument nach der Weise des heiligen Anselm oder von Duns Scotus. Er verwirft nicht nur diese Argumentationsweise121 121 zum Beispiel bezüglich der Unendlichkeit Gottes, Quodl. III, qu. 1, „Gegen das Fünfte... “, und cf. Quodl. II, qu. 2., sondern er gibt die Wahrheit oder wenigstens die philosophische Möglichkeit von Thesen zu„ die jeden Beweis einer wahren Transzendenz ausschließen; nämlich: der Univozität des Seins: „Ich sage dass Gott und dem Geschöpf etwas univok gemeinsam ist“ ([ « Dico quod Deo et creature est aliquid commune univocum » ] I Sent. dist. 2, qu. 9, lit. I); die Identität des Wesens und der Existenz in den geschaffenen Seienden: „Ich sage, dass die Existenz des Engels nicht etwas anderes ist als sein Wesen“ ([ « Dico quod existentia angeli non est aliud ab essentia sua » ] Quodl. II. qu. 7); schließlich eine gewisse Unabhängigkeit des Geschöpfs sogar im Bereich des Seins: zum Beispiel: auf die Frage „Ob ein Geschöpf Schöpfer sein kann“ [ « utrum creatura possit creare » ,] gibt Ockham eine negative Antwort, aber indem er aufmerksam macht, dass es da eine wohl sehr schwierig mit der Vernunft zu beweisende Sache gibt: „Ich sage jedoch, dass es nicht so ist (= quod non) , weil die Erfahrung, wie sie uns möglich ist, nur die ist, dass wir niemals gesehen haben, dass ein Geschöpf etwas erschafft.“ ([ « Dico ego tamen quod non, quia experientia, qualis est nobis possibilis, est solum hec, quod nunquam vidimus creaturam creare » ] Quodl. II, qu. 9). Jeder sieht, dass die Erfahrung ohne jede Kompetenz ist in dieser rein metaphysischen Frage; die Unsicherheit von Ockham kommt einzig aus dem, dass er, noch mehr als der Autor der Theoreme, den Begriff des Absoluten zerstört und eingeebnet hat. Im Übrigen ist der Prüfstein der wahren Transzendenz die intensive Unendlichkeit. Vor einer derartigen These ist der Ockhamismus zu einer vollständigen Unfähigkeit gezwungen: 218 K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams « utrum possit probari ratione naturali sufficienter quod Deus sit infinite virtutis in vigore » . « Dico ad istam questionem quod non; quia infinitas Dei non potest probari nisi per effectum; sed per effectum non potest probari sufficienter. » (Quodl. II, qu. 2; cf. Quodl. III, qu. 1; Quodl. VII, qu. 17 ad 24). 194 „Ob mit natürlicher Vernunft hinreichend bewiesen werden kann, dass Gott von unendlicher Tatkraft in der Lebenskraft ist“. „Zu dieser Frage sage ich, dass es nicht so ist. Weil die Unendlichkeit Gottes nicht bewiesen werden kann, wenn nicht durch eine Wirkung; aber durch einen Effekt kann sie nicht hinreichend bewiesen werden.“ (Quodl. II, qu. 2; cf. Quodl. III, qu. 1; Quodl. VII, qu. 17 bis 24). Für einen Thomisten dagegen ist die intensive Unendlichkeit Gottes eine absolut offensichtliche (evidente) und notwendige These: ohne sie hat die thomistische Metaphysik keinen Sinn. Wir halten es für überflüssig, auf sekundären agnostischen Thesen zu bestehen, denen man in den Werken von Ockham begegnet, zum Beispiel: die Unmöglichkeit mit der Vernunft die Einzigkeit Gottes zu beweisen, (Quodl. I, qu. 1); zu beweisen, dass er die Erkenntnis seiner Geschöpfe hat (Quodl. II, qu. 2); zu beweisen das Wollen, das er über sie ausübt (Quodl. II, qu. 2). In Strenge also, könnte das Wort „Gott“ nur das unbewusste Prinzip bezeichnen – oder die unbewussten Prinzipien – der endlichen und veränderlichen Dinge. Das ist wenig; und es gibt kaum moderne Agnostiker, die dieses Minimum verwerfen. Im übrigen schützt allein der Agnostizismus noch Ockham gegen die berühmte averroïstische These von den „zwei Wahrheiten“ die darin besteht, die mögliche Koexistenz von zwei widersprüchlichen Wahrheiten zuzugeben, der einen des Glaubens, der anderen der Vernunft. In Einzel-Punkten könnte es scheinen, dass er sich dort in der Tatsache, wenn auch nicht in der Theorie, anschließt: A, wahr Aristoteles zufolge, würde der Theologie zufolge falsch sein, (siehe zum Beispiel Log. III. Kap. 31, fol. 89, col. 3,4). Beeilen wir uns, den englischen Philosophen zu verteidigen gegen jedes Zugeständnis gegenüber dem Averroïsmus: er ist viel zu sehr Agnostiker, um als averroïstischer Rationalist zu erscheinen. Nie hat er je behauptet A und nicht-A konnten gleichzeitig wahr sein. A, abgeleitet von rein abstrakten Symbolen, hat im Grunde überhaupt keine absolute Geltung. es ist nur eine scheinbare philosophische Wahrheit. Nicht-A, garantiert durch Offenbarung verdient allein eine Zustimmung ohne Vorbehalt. Weit entfernt davon, die Vernunft dem Glauben entgegenzusetzen, hätte Ockham das berühmte Wort Kants vorwegnehmen können: „Ich habe den Bereich der Vernunft untergraben, um Platz zu machen für den Glauben“. Denn, wirklich, der Agnostizismus von Ockham, einem etwas seltsamen aber aufrichtig gläubigen Mönch, macht ihn überhaupt nicht den transzendenten Wirklichkeiten gegenüber skeptisch. Die Lücken der rationalen Erkenntnis findet er im Voraus durch den geoffenbarten Glauben über-erfüllt, dem er seine freie Zustimmung 219 B.IV Rationalismus und Empirismus gibt. Der theologische Fideismus korrigiert bei ihm den Agnostizismus122 . 122 Sehr viele Sätze werden so ausdrücklich in den Bereich des offenbarten Glaubens zurückverwiesen: zum Beispiel die Unendlichkeit Gottes: „Sichere Schlussfolgerung aus dem Glauben“ ([ « conclusio certa per fidem » ] Quodl. VII, qu. 24) Einzigkeit Gottes (Quodl. I, qu. 1), Geistigkeit der Seele (Quodl. I, qu. 10) etc.. 195 f) In der Moral. Schließlich, wenn wir von der Theodize zur Moral übergehen, werden wir von neuem mit den Trümmern des traditionellen Systems in Widerstreit geraten. Wo ist die absolute Norm der Sittlichkeit zu entdecken, nachdem der Nominalismus von Ockham den objektiven Wert der Deduktion der Begriffe zerstört hat? In den natürlichen Beziehungen der Dinge? Wir erfassen nur die allgemeinen Beziehungen von subjektiven Symbolen. Wenn Ockham im XIX-ten Jahrhundert gelebt hätte, hätte er vielleicht versucht, die einzige Moral, die seine Epistemologie erlaubte, zu begründen: eine empirische Moral, eine positive Wissenschaft der Sitten123 123 Das wäre alles das gewesen, was logischerweise möglich blieb, nachdem er die rationale Finalität des Wollens geopfert hatte: „Es kann nicht bewiesen werden, dass der Wille « Non potest demonstrari quod voluntas posein größeres Gut als irgendein endliches Gut wolsit velle maius bonum quolibet bono finito, len könnte, weil nicht bewiesen werden kann, dass quia non potest probari aliquod bonum inirgendein Gut unendlich sei. Ähnlicherweise kann finitum esse. Similiter non potest probari nicht bewiesen werden, dass der Wille geneigt sein quod voluntas inclinetur ad volendum bokann ein Gut zu wollen, das unendlich ist, nicht num quod est infinitum, non plus quam quod mehr als dass er nicht geneigt sein kann, etwas non inclinetur ad volendum impossibile, quia Unmögliches zu wollen, weil das ein Ungläubiger hoc diceret infidelis. » (Quodl. III, qu. 1). sagen würde.“ (Quodl. III, qu. 1). Aber, Nacheiferer von Scotus, überbietet er seinen berühmten Mitbruder und findet einen Ausweg – in Harmonie mit den franziskanischen Ideen seiner Zeit – im absoluten Voluntarismus. Es gibt nicht weder gut noch schlecht an sich – nicht mehr übrigens als es nicht Wahrheit an sich gibt. Ist „gut“ das, was der Erste Wille, Gott, frei gewollt hat, wie auch „wahr“ ist, was er frei geschaffen hat. Er hätte ein moralisches Gesetz grundlegen gekonnt, das Recht und Unrecht, das Gute und das Übel anders verteilt,124 124 Die Theorie der Sünde und der Bußfertigkeit sind bei Ockham von dieser Idee der souveränen und willkürliches Zuständigkeit Gottes über die moralische Ordnung durchtränkt. Zum Beispiel (IV Sent. qu. 9, lit. E): „Daraus ist es offenbar, dass Gott nicht sündigt, « Ex istis patet quod Deus non peccaret was auch immer er für einen jeden Akt macht, quantumcumque faceret omnem actum, sicut als die Totalursache den er nun macht mit dem causa totalis, quem nunc facit cum peccatoSünder wie eine Teilursache... Gott kann zu keire, sicut causa partialis. ... Deus ad nullum nem Akt verpflichtet werden, und deshalb ist es actum potest obligari; et ideo, eo ipso quod so, dass gerade dadurch, dass Gott es will, wird Deus vult, hoc est iustum fieri. ... Unde das gerecht ... Weshalb wenn Gott den Hass von si Deus causaret odium sui in voluntate alisich verursachen würde im Willen eines anderen, cuius, sicut causa totalis,... nunquam talis wie eine totale Ursache ... würde weder ein solcher peccaret nec Deus. » noch Gott jemals sündigen.“ 220 K.2 Fideistischer Agnostizismus Ockhams Wie also wird der Mensch dann das moralische Gesetz erkennen? Indem er das freie Wollen Gottes erkennt. Vielleicht ist das freie göttliche Wollen eingeprägt in das Wesen der Dinge, aber selbst in diesem Falle bliebe unsere Vernunft unfähig, sie zu unterscheiden, da sie das Geheimnis des Wesens nicht erzwingt. Um das moralische Gesetz mit Gewissheit zu erkennen, muss der Mensch also auf die positive Offenbarung zurückgreifen, die Gott von seinem Wollen gemacht hat. Ein Mal mehr verdrängt der Fideismus die Wissenschaft. 221 B.IV Rationalismus und Empirismus 196 KAPITEL III. DIE DOPPELTE QUELLE DER ANTINOMIEN ERBSTÜCK DES OCKHAMISMUS AN DIE MODERNE PHILOSOPHIE. §1. . Die Ausbreitung des Nominalismus. 197 Es wäre eine Geringschätzung der modernen Philosophie, wenn man sie als ganze nur durch logische Deduktion hervorgehen lassen wollte aus dem Nominalismus von Ockham. Wir wollen nicht einmal behaupten, dass die Epistemologie der vorkantischen Periode, nichts anderes als die Epistemologie, in Wirklichkeit ausschließlich diese Abstammung gehabt hätte. Viele andere Faktoren kamen ins Spiel: Mehr oder weniger exakte Restauration antiker Philosophien, persönliche Neuerungen unerschrockener Denker; und, über dem Ganzen vielleicht der Einfluss der beständig fortschreitenden Methodik der mathematischen und der induktiven Wissenschaften. Jedoch so weit auch immer man die Rolle dieser verschiedenen Einflüsse sein lässt, muss man anerkennen, dass die moderne Philosophie, die sich entwickelt auf einem Boden, der gründlich durchgearbeitet ist durch den Nominalismus, durch diesen Anfang einen sehr ausgeprägten und sehr gleichförmigen epistemologischen Anstrich erhielt, sodass sie unter der Buntscheckigkeit der Schulen eine tiefe genetische Einheit erkennen lässt. Das Glück des ockhamistischen Terminismus war ein Schnelles und oft Dauerhaftes. Hier oder dort, das ist wahr – in Paris zum Beispiel – beendete eine thomistische Reaktion oder eine thomistische und scotistische Reaktion eine triumphale Periode. Aber der Terminismus, verbannt von den offiziellen Lehrstühlen, wurde deshalb noch gar nicht aus den Geistern verbannt: um so weniger als er gleichsam durch einen Racheakt, dessen Tragweite in dieser Epoche noch nicht abgeschätzt werden konnte, einen heimtückischen Keim des Nominalismus sogar bei dessen Gegenern selbst ausgestreut hat. Oft kam es vor, dass viele terministische Thesen öffentlich vorgetragen wurden ohne eine Anerkennung, sei es die eines bescheidenen Hinweises zum Andenken an den „Venerabilis Inceptor = Verehrungswürdigen, der es begonnen hat “, von dem sie ihren Ursprung nahmen. Nach drei Jahrhunderten, 1637, beklagt sich ein Verleger von Ockham noch über diesen dreisten Raub. Das außergewöhnliche Verdienst der Philosophie von Ockham wird alle die in Erstaunen versetzen, versichert er, die geruhen, sich einer aufmerksame Studie seines Werks zu widmen. Andererseits 222 Kap.3 Antinomie, Erbstück Ockhams « agnoscunt melius ii (et nostra quidem tempestate) qui huius sapientiae fructibus adlibatis germina in propria viridaria transferre gestiunt, videlicet, sese novae sententiae, ac opinionis Choriphaeos existimantes, et praedicantes, quas vetustissimas, ut est videre, ab hoc uno Guilielmo penitus mutuarunt. » (Philosophia naturalis Guilielmi Occham, Angli Min. Con. a M. P. Bonaventura Theulo, O. S. Fr. Min. Conv. Romae 1637. – Ad lectorem). „erkennen das diejenigen besser (und zwar zu unserer Zeit), die von den Früchten dieser Weisheit gekostet haben und sehnsüchtig wünschen, Keimlinge in den eigenen Lustgarten zu übertragen, nämlich sich als Koryphäen einer neuen Sentenz und Überzeugung einschätzen zu lassen und Dinge zu verkünden, die sie schon als sehr alte, wie zu sehen ist, von diesem einen Wilhelm Ockham gänzlich entlehnt haben“ (Philosophia naturalis Guilielmi Occham, Angli Min. Con. a M. P. Bonaventura Theulo, O. S. Fr Min. Conv. Romae 1637. – An den Leser. Öfter noch geschieht es, dass, ohne irgendein Plagiat des Ockhamismus, durch einfaches Abfärben einer philosophischen Mentalität, die allzu weit verbreitet ist, als dass man sich darum sorgt, sie mit einem genauen Ursprung zu verbinden, lies man die vitalen Probleme der Philosophie sich in den engen Rahmen stellen, der schon durch den scholastischen Nominalismus geschaffen war. Man schloss also im Voraus gewisse Lösungen aus. Unbewusst – oder kaum bewusst – schloss man das Denken ein in eine kleine Anzahl von fundamentalen Alternativen, ohne darauf zu achten, ob vielleicht diese Alternativen gekünstelt waren und dahinschwinden mussten angesichts der einfachen Möglichkeit eines mittleren Terms. Der Geist nahm seine Gefangenschaft nicht wahr; denn wenn einige Ausgänge zur Metaphysik versperrt waren, blieben davon, so glaubte man, noch eine ausreichende Zahl, um auch die Furchtsamsten zu beruhigen; und dann hinderte nichts daran, sich neue Wege zu bahnen. Es geht nicht so weit, dass man sich als Liebhaber der alten Tradition zur Schau stellen muss, um seinen Schrecken beruhigen zu können und guten Glaubens sein könnte, dass man sich auf den Wegen der Vorfahren bewegt: denn die „Quaestiones = Fragen“, die „Kommentare“, die ganzen „Abhandlungen“ fuhren fort, die üblichen Aneinanderreihungen der früheren Formeln anzubieten. So kommt es, dass durch die Wirkung eines langen und unempfindlichen Abrutschens, gewisse Vorkämpfer der scholastischen Erneuerung des XVI-ten und XVII-ten Jahrhunderts mit der Illusion liebäugelten, sich als für dem heiligem Thomas treu zu betrachten, obwohl sie genau die Thesen aufgaben, die die charakteristische Einheit des Thomismus ausmachen. Sicher lebte der wahre Thomismus inzwischen weiter, aber mit einem an die dominikanischen Schulen verbannten Leben und in einigen schulischen Umgebungen, wie es Köln lange Zeit war. Sein Geist, wenn auch nicht alle seine Thesen, hatte bei den deutschen und niederländischen Mystikern ein langes Überleben. 223 B.IV Rationalismus und Empirismus 198 Manchmal übte der Thomismus sogar einigen Einfluss seitwärts aus und war selbst daran beteiligt, in anderen Schulen mit dem nominalistischen Prinzip zu interferieren: es folgten daraus Philosophien, die schwierig einzustufen sind, weil sie einer strengen Einheit der Inspiration entbehrten. Aber im Ganzen, abgesehen davon dass der Thomismus der Thomisten selbst oft im Begriff war, sich zu ändern, muss man wohl anerkennen, dass das Ansehen dieser Philosophie während der vorkantschen Periode verhältnismäßig begrenzt war und nicht genügte, den nominalistischen Einfluss zu neutralisieren. Wiederholen wir es, tatsächlich wird die ganze moderne Philosophie sich entwickeln auf der Basis des Nominalismus; sie wird ein doppeltes Antinomieprinzip in ihrem Schoße tragen, was wichtig ist, schon gleich hier klar zu definieren, um später in der Geschichte der Systeme die gestaffelten Konsequenzen davon zu unterscheiden. (Siehe zum Folgenden auch Buch III, Kapitel 2 §4) . §2. – Erste Quelle der Antinomien: die Beziehung zwischen Sinneswahrnehmung und Verstand. Man wird sich erinnern, dass die Philosophie des heiligem Thomas im Begriff eine synthetische Einheit anerkennt, die sich aus der Einschließung des „Fantasma“ ergibt – Ausdruck einer sinnlichen und quantitativen Ausarbeitung – durch die formartige objektive Einheit der Intelligenz, oder das, was aufs Gleiche zurückkommt, durch die intelligible Einheit des „Seins“. Die Intelligenz als solche hat keinen unmittelbaren Kontakt mit ihrem außerhalb befindlichen Objekt; sie betrachtet auch nicht das Fantasma in der Weise eines Objektes; aber durch Notwendigkeit der Natur schreibt sie ihre eigene innere Einheit der qualitativen Verschiedenheit des Fantasmas zu („wendet sich von Natur aus dem Fantasma zu“ [ « convertit naturaliter se ad phantasma » ]). Diese aktive Formübernahme der Intelligenz aus dem Fantasma ist übrigens nur begreifbar durch die ontologische Identität der Ebene der Sensibilität mit der intellektuellen Ebene in der Seele, oder wenn man will, durch die „substantielle Einheit des menschlichen Kompositums“. Ein Begriff verlangt also zwangsläufig: 1. In der Sensibilität, eine quantitative Darstellung, ein „Fantasma“, worauf er bezogen werden könnte. 2. In der Intelligenz eine nicht quantitative Einheit, die sich partikularisiert (zu einer besonderen, einer teilhaften wird), sich „spezifiziert“, gerade durch ihre Beziehung zum qualitativen Inhalt des Fantasmas. Das „direkte Universale“, primäres Objekt unserer Intelligenz, realisiert, den Thomisten zufolge, die Synthese dieser doppelten Bedingung. . 224 Kap.3 Antinomie, Erbstück Ockhams ........................................... ....... ......... ...... ....... ..... ...... . . . . ..... .... . .... . . ... .. . . ... ... ... . .. ... . ... .... ... ... ... ... ... ... . ... ... ... ... ... .. . ... . . . ... ... ... ... ... ... ... .... .. . . . ..... . ..... ..... .. ...... ..... ........ ..... ....... ... ....... ......... ... ............................................ ... .. ....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... .. .. . ... ........................................... . .... ......... ....... ...... .............. ....... ............. ..... ...... . . . . . . ..... ... .. .... .... ........... ..... ... ... ... ... ... .. ... . ... .... ... ... ... ... ... ........... . ... . . ... .... ... .. .................... ... .. .. .. .... ... . . . . .. ... ... . . . . . ............ ... ... ... ... ... ... ... .... .. . . . ..... ..... ..... ..... ...... ...... ....... ....... ......... ............................................ Ebene des Intellekts ........... ..... .... ........... ............ ..... .... ..................... . .... . ..... ............... Objekt außerhalb Ebene der Sinne innere nicht quantitative Einheit Entstehung des direkten Universale nach Thomas se convertit ad phantasma = teilt nicht quantitative Einheit (Sein) mit Fantasma mit quantitativer Seiendes durch Teilhabe (Kreis) Verschiedenheit Washeiten (Qualitäten) und Einheit substantielle Einheit des menschlichen Kompositums 199 Wenn es also damit so ist, stattet sich die Sinnes-Darstellung, trotz ihrer essentiellen Relativität, außer mit ihrer praktischen oder motorischen Funktion, mit einer eigentlich objektiven Funktion aus: das Fantasma in seiner materiellen Wirklichkeit ist unerlässlich für die innerliche und spezifische Diversifikation (Verschieden-Machung der Spezies nach) des Begriffes. Die Einheit der Sensibilität und des Verstandes erscheint also extrem eng, denn sie allein macht die ursprüngliche intellektuelle Tätigkeit des Menschen möglich. Bei Ockham, macht im Gegenteil, durch die logische Entwicklung der von Duns Scotus und der ganzen antithomistischen scholastischen Tradition geborgten Prinzipien, die synthetische Einheit der Sinne und des Verstandes im direkten Begriff Platz für eine einfache äußerliche Koordination der Sinneswahrnehmung und des Begriffs: die Sinne drücken die kontingenten Ereignisse auf ihre Art aus; die Intelligenz ihrerseits, nimmt sie intuitiv wahr, auf ihre eigene Art125 . 125 Muss man daran erinnern, dass diese Trennung der Sinne und des Verstands – mit ihrem Korrolar (Folge), der Intellektualisierung der Materie – gar nicht ginge ohne eine ärgerliche Verkennung der strengen Einheit des menschlichen Kompositums? Man bahnte den Weg zum kartesischen Dualismus; oder sogar, allgemeiner noch, stellte man der ganzen modernen Philosophie, in einer unlösbaren Form, das Problem von der Beziehung von Leib und Seele. Anstelle eines Verstandes und einer Sinneswahrnehmung, gleichzeitig vereinigt und unterschieden in ihrer engen Zusammenarbeit zur synthetischen Einheit des Begriffes, wobei die eine dort die Form beibringt, die andere die Materie, stellt Ockham in uns zwei Fakultäten nebeneinander, die im Grunde das gleiche Formalobjekt zu haben scheinen. Man versichert wohl, dass die Sensibilität materiell ist, der Verstand immateriell; wenn man darauf aus der Nähe schaut, verwischt sich die Differenz. Die eine der zwei Fakultäten wird also überflüssig: welche ist zu opfern? 225 B.IV Rationalismus und Empirismus 200 Es brauchte Jahrhunderte, um sich diesem Opfer zu fügen; man kam dennoch dort hin. Der Empirismus, den weder ontologistische Vorurteile noch spiritualistische Skrupel zurückhielt, endet damit, die immaterielle Einsicht zu streichen, die sich reduziert fand auf die Funktion eines „inneren Sinns“. Woanders in der kartesischen Schule, entschied man sich für den immateriellen Verstand. Darauf kam man sehr in Verlegenheit durch die geopferte Sinneswahrnehmung: man glaubte, sie im Verstand wieder aufleben lassen und daraus einen konfusen Verstand machen zu müssen. Aber dann musste man darauf verzichten, durch eine materielle Passivität der Sinne die Herkunft der verschiedenen Inhalte unserer Begriffe zu erklären: der Inneismus (Descartes, Leibnitz) und der ontologistische Intuitionismus (Malebranche) blieben die einzigen nichtversperrten Auswege für die kartesische Ideogenese (Ideenentstehung). Und dann musste man zu allem Unglück eines Tages auch noch bemerken, dass man in den durch Zuteilungen der (Tätigkeit der) Sinne so angeschwollenen Verstand etwas von der körperlichen Quantität eingeschlossen hatte. Diese Woge der Materialität, verborgen in die Intelligenz selbst zurückfließend, machte den Monismus von Spinoza möglich, an dessen Formulierung das Ausgedehntsein sich am höchsten Intelligiblen, am absoluten Sein festmacht wie ein konstitutives „Attribut“. Aber diese Feststellung bringt uns schon, durch die Alternative der Sinne und des Verstandes bis an die Schwelle der transzendenten Vernunft. §3 – Zweite Quelle der Antinomien: die Beziehung von Verstand und Vernunft. Die zweite Alternative, in die sich die moderne Philosophie vor Kant einsperrte, war die Alternative von Verstand und Vernunft. (Wir benutzen das Wort „Vernunft“ im modernen Sinn von „Fähigkeit für das transzendente Sein“). Auch hier muss man sich an die Art der Einheit erinnern, die der heilige Thomas, gerade auf Grund seiner These über das eigentümliche Objekt des menschlichen Verstandes erkennen musste zwischen diesen zwei Formen der intellektuellen Aktivität. Ausgehend von der sinnen-haften Erfahrung stattet die Intelligenz im direkten Begriff das quantitative Fantasma mit ihrer eigenen nicht-quantitativen Einheit aus. Nun aber wissen wir, dass diese dem Intellekt eigentümliche Einheit, nachdem sie die objektive Einheit des Begriffes geworden ist, eine von sich aus unbegrenzte Einheit ist, die sich nur mit einem Wort gut ausdrücken lässt: das Sein (ens). Der Akt selbst, der die Intelligenz in Relation setzt mit dem Fantasma, bringt den qualitativen Inhalt von diesem mit der unbegrenzten Einheit des Seins zusammen, das heißt, bezieht ihn auf die absolute Einheit. (Siehe oben, p. 91 sqq.). Für die partikuläre (besondere, partizipierte) Einheit, die so den qualitativen Inhalt des Fantasmas in den Begriff aufnimmt, gilt also Folgendes: Sie ist nicht 226 Kap.3 Antinomie, Erbstück Ockhams die absolute Einheit des Seins – die überschreitet das Fantasma, wie sie jeden endlichen Inhalt überschreitet – sondern eine „Beziehung“, eine „Teilnahme“ an dieser absoluten Einheit. Im Übrigen, die absolute Einheit des Seins, die auf die Gesamtkapazität der Intelligenz antworten würde, wird objektiv und an sich durch unsere menschliche, ihren eigenen Kräften ausgelieferte Intelligenz nie erreicht. Sie wird nur in jedem Erkenntnisakt „gesetzt“, als das absolute Prinzip der partiellen, begrifflichen Einheiten, und als ihr unendliches „Darüber Hinaus“. Wenn unsere Vernunft nicht direkt ihr transzendentes Objekt erreicht, so sagt sie es mindestens implizit aus gerade in der Ausübung des Verstandes: in der reflexen Analyse um diese „Implizitheit“ herauszustellen. . Absolute Einheit und Vernunft, Analogie partikuläre Einheit und Verstand, Intell. agens Absolute Einheit würde antworten auf Gesamtkapazität des Intellekts De facto nur virtuell = von menschl. Intelligenz mit eigener Kraft objektiv nie erreicht = nie direkt mit Vernunft erreicht, nur implizit (bzw. durch Analyse) = aber immer implizit ausgesagt in jedem Erkenntnisnisakt gesetzt Analogie transzendentales ppppp pp absolute ppppp Sein Einheit pppp p pppp p pp ppp ppppp pp ppp ppppp pp ppp ppppp ppppppp p als absolutes Prinzip begrifflicher Einheit als ihr unendliches Darüberhinaus nur virtuell Vernunft ..... ........................................................... ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ...................................................................................... .............. ........ ......... ..... ......... ....... ....... ....... ....... ...... ...... ...... . ...... . . . . ..... . . . . . . . . ..... ..... ... ... . . . . . . . . . . . ..... ..... ... .... . . . .... . . . . . . .... . ... ... . . . . . . ... ... . .. . . . . . ... . ... . . ... ... . . . ... . ... .. . . . . ... ... . .. . . . ... ... . .. . . . . ... ... . . . ... .... ... ... ... ... .... ... ... ... ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .... . . . . . . . . .......... ....... ... . ..... ........ . . .. . . . . . . . ... . . . . . . . . ..... ..... ... .. .. . . .... . . . . . . ... . . . . . . . . ... ... ... . .. ... .. ... . . ... . . . . . . ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... .. ... ... ... ... ... ... ... ..... .. ... . ..... ... ... . ... ... ... .. .. . ... ... .... . . . ... . ... . ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ..... .... ..... .. ... ... ..... ..... ..... ...... ..... ..... ..... ..... . . . ..... . . . ...... . . . . . . . . . . . . . . . . ........................... ..... ..... ........... ............ ..... ..... ...... ...... ......... ...... ..... ...... ...... ........ ....... ...... ....... ....... .......... ........ ......... ........ .................................................... . . .............. . . . . . . . . . ....................................... ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... ............. ... .............. pppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppppp Bildung des Uni-pppppp nur insofern partiVernunft p Verstand p versale directum ppp transzendenkuläre Erfahrung pppppppppppppp Metaphysik aus Fantasma pp pp p tale Fähigkt. ppppppppppp p pppppp Einheit ppppppppp pp p p pppppppp ppppppppp p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p kontin- ppp pppppp Widerspruch ppp gentes partikuläres Sein Sein nur virtuell Tätigkeit unmöglich Intellekt weil erstes Funktion des zweiten vorgegebene analoge Gegenüberstellung 201 Also für einen Thomisten umfasst die Tätigkeit des Verstandes schon virtuell das ganze Feld der Vernunft; mit anderen Worten, objektiver ausgedrückt, die analoge Gegenüberstellung des kontingenten partizipierten Seins, und des transzendenten Seins, ist uns vage und dunkel „vorgegeben“, in jedem Erfahrungsobjekt; mit nochmal anderen Ausdrücken ist die Intelligenz nur dadurch eine verallgemeinernde Fakultät des sinnenhaft Gegebenen, da und insofern sie 227 B.IV Rationalismus und Empirismus 202 eine transzendentale Fakultät des Seins ist. Diese verschiedenen Ausdrücke sind gleichbedeutend (äquivalent). Zwischen dem Verstand und der Vernunft – oder, wenn man es bevorzugt, zwischen der Erfahrung und der Metaphysik – wird ein Widerspruch unmöglich, denn die erste definiert sich nur als Funktion der Zweiten. Geht das in gleicher Weise in den nominalistischen (terministischen) Philosophien? Erinnern wir uns zuerst daran, dass vor allem der Nominalismus hier die Last der Verantwortung trägt – verschlimmert, übrigens – durch einige antithomistische Prinzipien der vorausgehenden Epoche. Die These von Ockham ist sehr einfach: da die rationale Operation nur eine analytische Operation mit Symbolen ist, ist sie ohne objektive Gültigkeit. In der Alternative „Verstand oder Vernunft“, kann die Vernunft, Quintessenz des Verstandes, nur höhere Abstraktion, nicht wissen, wie sie mehr Ansehen als die niedrigeren Abstraktionen behauptet, die noch nahe an der Erfahrung und in gewissem Maße nachprüfbar sind. Der Agnostizismus von Ockham ist perfekt logisch und rührt von seinem Nominalismus her. Man könnte ihm nur entkommen, indem man außer dem Verstand und der analytischen Vernunft, eine überlegene Vernunft annimmt, die unmittelbar die Geheimnisse des Seins durchdringt: dies würde intuitionistischer Ontologismus sein Malebranche oder, begabt mit angeborenen Prinzipien der metempirischen Erkenntnis : würde dies der inneistische Ontologismus sein (Descartes, Leibnitz). Nun aber muss schicksalhaft der Konflikt zwischen einer so konzipierten höheren Vernunft und dem Verstand auftauchen: von neuem wird der eine oder der andere Ausdruck virtuell geopfert. Lassen wir in der Tat die Vollzüge dieser zwei Fakultäten sich getrennt entwickeln; was stellen wir fest? Die Ergebnisse ihrer jeweiligen Tätigkeiten sind nicht wieder einzurenkend entgegengesetzt durch logischen Widerspruch. Dieser Widerspruch, wir werden bald mit Nicolaus von Cusa darauf zurückkommen, tritt nicht nur zwischen der höheren Vernunft und dem Verstand auf, sondern sogar innerhalb des diskursiven Verstandes; und wir werden ihn später wiederfinden formuliert und kodifiziert in den Antinomien Kants. Vor die im Übrigen widersprüchliche (antinomische) Alternative von der Vernunft und dem Verstand gestellt, werden die einen durch einen unentschlossenen halb-Empirismus (Locke) schließlich bis zu dem radikalsten agnostischen Phänomenalismus gehen (Hume). – sie werden mit der Vernunft, der Fakultät der Transzendenz selbst, auch den Verstand opfern. Andere werden den Verstand erhöhen, das heißt die rein analytische Vernunft zur Fähigkeit des Absoluten erhöhen, was die Eigentümlichkeit des Rationalismus ist: jene, wenn sie bis ans Ende folgerichtig sein werden, werden sie, je nachdem sie an einem monistischen Rationalismus festhalten werden oder an einem pluralistischen Rationalismus, Spinoza oder Wolff heißen. Andere schließlich werden den Verstand der höheren Vernunft opfern und werden nur einen Zufluchtsort im Mystizismus finden 228 Kap.3 Antinomie, Erbstück Ockhams wie Nicolaus von Cusa, oder im intuitionistischen Ontologismus, wie Malebranche. Zur Alternative der Sinneswahrnehmung und des Verstands, ebenso wie zur Alternative des Verstandes und der Vernunft gab es dennoch ein mittleres Glied – nur eines: wir wollen die synthetische Einheit dieser drei großen Bereiche der Erkenntnis, Einheit ausgedrückt im eigentümlichen Objekt unseres menschlichen Denkens: das „direkte Universale“ nennen, die „abstrakte Washeit der materiellen Dinge“ [ « quidditas abstracta rerum materialium » ]. Aber das allgemein gewordene Festhalten an einigen anti-thomistischen Thesen bewirkt, dass diese Lösung in den Schatten zurückgewiesen wird – sehr logischerweise, wenn nicht sogar sehr glücklicherweise – . Mit schlechtem Anfang macht sich die moderne Philosophie auf den Weg, glänzend übrigens, in die tiefste Sackgasse. 229 Allgemeine Schlussfolgerungen aus Heft I Die in diesem ersten Heft reproduzierten Vorlesungen bilden erst nur eine entfernte Einführung in das moderne Problem der metaphysischen Erkenntnis. Sie machen indessen eine Reihe von Gesichtspunkten evident, die man geortet haben muss, um die neuesten kritischen Philosophien in ihrer exakten Perspektive einzuordnen. I. Zum Beispiel war es notwendig, zuerst den Sinn und die epistemologische Tragweite des antiken Realismus zu definieren. Man hat ihn zu schnell taxiert als „Dogmatismus“ im kantschen Sinn des Wortes; sich an diese summarische Qualifikation zu halten würde wahrhaft zu einfach sein. Der Realismus der Alten beruhte auf einer rationalen Grundlage, von der man sehr früh – von Parmenides an schon – ein gewisses Bewusstsein hatte. In der peripatetischen Philosophie wird diese Grundlage schon weitgehend trianguliert. Können wir behaupten, dass Kant Unrecht hatte, und dass wir mit ihm Unrecht haben würden, die Metaphysiken seiner Zeit „dogmatisch“ zu nennen – die einzigen, die er gut kannte – das heißt praktisch die leibnitz-wolffsche Metaphysik? Nicht unbedingt; Er hatte nur Unrecht, jede Metaphysik des „transzendenten Seins“ gleichzusetzen mit den Metaphysiken kartesischer Inspiration. In diesen letzteren ist das, was durch und durch „dogmatisch“ war, nicht das fundamentale realistische Prinzip, es war der willkürliche Anspruch, rein und einfach den Realismus in den Rahmen des Verstandes einzuschließen. Eine Kritik des Verstandes, nicht nur in seiner empirischen Verwendung sondern vor allem in seiner transzendenten Verwendung, ist sicherlich indispensabel für jede menschliche Metaphysik. Kant scheint die Existenz von Philosophien ignoriert zu haben, wo diese Kritik im wesentlichen gemacht war. Wir werden im Übrigen in den folgenden Heften das Fortbestehen des realistischen Prinzips bei Kant selbst und bis in die dem Anschein nach übertriebensten Formen des modernen Relativismus z.B. im methodischen Transzendentalismus der Neukantianer von Marburg zeigen. 231 Allgemeine Schlussfolgerungen II. 204 Es musste auch, um die Epistemologie der Alten gut zu verstehen und um dort die Vorbereitung der modernen Theorien der Erkenntnis zu erkennen, die kritische Funktion, die die Metaphysik selbst übernehmen kann, unterstrichen werden. Wir haben festgestellt, dass die Lehre, latent oder ausformuliert, die wir „antike Kritik der Erkenntnis“ nennen möchten, im wesentlichen zwei Aspekte umfasst: 10 eine allgemeine Kritik der Affirmation als absolute Setzung des „Seins“. 20 eine ontologische Kritik des Inhalts der absoluten Affirmation. Der erste dieser zwei Aspekte entspricht im wesentlichen sehr gut dem, was man in kantschen Ausdrücken einen „transzendentalen Beweis“ der absoluten Aussage nennen würde. Er überschreitet den kantschen „transzendentalen Beweis“ nur darin, dass er sich bis zum Absoluten des „Objekts“ erstreckt. Man könnte diesen ersten Aspekt der alten Kritik zusammenfassen in einigen Sätzen, deren Grundlage man ebenso gut bei Aristoteles wie beim hl.Thomas wiederfände: Die Notwendigkeit zur Handlung erzwingt sich apriori, da die Handlung verweigern, heißt sie zu setzen. Nun aber fordert die Notwendigkeit der Handlung logischerweise die Notwendigkeit der objektiven Affirmation (des Urteils). Die Notwendigkeit der objektiven Affirmation (des Urteils) bringt mit sich eine entsprechende Notwendigkeit im affirmierten Objekt, insofern es affirmiertes Objekt ist. Die Notwendigkeit des affirmierten Objektes, insofern es affirmiert ist, heißt mindestens, dass es identisch ist mit sich selbst („erstes Prinzip“): die reine Veränderlichkeit ist nicht Objekt der Affirmation. Aber die Notwendigkeit, identisch mit sich zu sein, hat nur Sinn, bezogen auf die absolute Notwendigkeit des „Seins“. Die absolute Notwendigkeit des Seins ist also impliziert in der menschlichen Handlung als die letzte Bedingung der Möglichkeit von ihr, diese absolute Notwendigkeit des Seins zu bestreiten, das würde bdeuten, sich durch eine Handlung zu zwingen, die Handlung zu leugnen. Infolgedessen zwingt mich das unter Androhung des logischen Widerspruchs zu der absoluten Affirmation: das Sein ist, wie sich mir auch, kraft der gleichen Notwendigkeit gleichzeitig theoretisch und praktisch, der folgende Satz aufdrängt: „Jedes Objekt einer Affirmation, durch die Tatsache dass es affirmierbar ist, schließt sich an an die Absolutheit des Seins, und „ist“ also auf die eine oder andere Weise [in irgendeiner Weise]. Wenn jedes affirmierbare Objekt, das heißt jedes gedachte Objekt, Sein ist in einem wirklichen und absoluten Sinn, ist die Metaphysik grundgelegt; es bleibt nur, sie zu organisieren, das heißt, die möglichen Bedeutungen der unvermeidlichen Zuordnung des Seins zu unterscheiden und in Klassen einzuordnen: denn die Zuordnung des Seins, die absolut wahr ist für jeden Inhalt des Bewusstseins, kann dennoch nicht ohne Widerspruch in einer einzigen Bedeutung davon wahr 232 III. sein. 205 Hier ist es, wo das so weit umfassende Problem vom Einen und dem Vielfachen die antiken Metaphysiker bedrohte. Sie mussten nach einem privilegierten Gesichtspunkt suchen, von dem aus die Aufteilung des gedachten Objektes als Funktion des „Seins“, gleichzeitig notwendig und zusammenhängend (widerspruchsfrei) erschien. Mit anderen Worten sie mussten versuchen die Vielfalt der partikulären Affirmationen zu verringern, (in dem Maße wenigstens wo diese das Merkmal der Notwendigkeit trugen) auf die Einheit eines rationalen Systems. Schon unter diesem Titel verdiente die metaphysische Konstruktion, eine „Kritik“ der Erkenntnis genannt zu werden, da sie unter notwendigen Regeln die anerkannten Bedeutungen von absoluten Aussageweisen des „Seins“ regelt. III. Aber der Aufbau einer Metaphysik wird eine „Kritik der Erkenntnis“ unter einem noch besondereren Titel, sobald sie in ihre objektive Auswahl des Seins den Inhalt der reflektierten Erkenntnis einschließt, das heißt die Gegenüberstellung und das Verhältnis des erkennenden Subjekts und des erkannten Objekts. Diese Beziehung der Erkenntnis, die sich unserer Reflexion ebenfalls als „Objekt“ des Bewusstseins aufdrängt, muss ihren Platz finden im System des Seins. Die Alten gaben im Prinzip diese Forderung zu: das Objekt Sein geht nicht ohne das Subjekt-Sein, noch umgekehrt: „Omne ens est verum; omne verum est ens“ = Jedes Seiende ist wahr und jedes Wahre ist Seiend. Es bedarf also einer Metaphysik der Erkenntnis. Aber eine „Metaphysik der Erkenntnis“, welche die notwendigen oder möglichen ontologischen Beziehungen eines Subjekts und eines Objekts definiert, bestimmt gerade dadurch die Rolle des Subjekts und die Rolle des Objekts in ihrer psychologischen Beziehung, was darauf hinausläuft, zu sagen: sie bestimmt die Grenzen und die Tragweite der Erkenntnis selbst. In diesem Punkt der metaphysischen Kritik kann man nicht mehr nur von der Verschiedenheit der „objektiven Kategorien“ des Seins sprechen, sondern von der Unterscheidung von einem „modus mentis“ (Seinsweise im Denken, im Geist), und von einem „modus rei“ (Seinsweise im Ding) im Herzen jedes objektiven Attributs. Wir müssen uns, später, auf diese Erwägungen stützen, um den Schlüssel zu entdecken, der die gerechtfertigte Umsetzung in den Theorien der Erkenntnis aus der metaphysischen „Tonart“ in die „Tonart“ der Kritik, und umgekehrt erzwingt. 233 Allgemeine Schlussfolgerungen IV. 206 Wir stehen im Begriff, daran zu erinnern: damit das Gebäude der Metaphysik seinen vollen kritischen Wert erhält, musste man ein umfassendes System des „Seins“ grundlegen, das als eingegliederten Teil eine Metaphysik der Erkenntnis umfasst. Allgemeines System des Seins und Metaphysik der Erkenntnis sind also eng gegenseitig verpflichtet. Die fundamentalen Prinzipien des Systems des Seins zu modifizieren heißt, in einer unmittelbaren Rückwirkung die ontologische Konzeption der Erkenntnis modifizieren; ebenso wie den metaphysischen Typ der Erkenntnis zu ändern, heißt – logischerweise – eine Veränderung in den anderen Teilen des allgemeinen Systems des Seins hervorzurufen. Man wundert sich also nicht darüber in der Geschichte der antiken und mittelalterlichen Doktrinen – trotz der Rolle der Zufälligkeit, der keine geschichtliche Entwicklung entkommt – zu sehen, dass ganze Gruppen von metaphysischen Thesen eine parallele Veränderung zeigen bis zur Veränderung sogar der Theorie des Begriffes. Die Geschichte zeigt übrigens auch, dass es gar nicht so leicht ist, die Gesamtheit der Beziehungen, die jeden Inhalt des Bewusstseins ohne Ausnahme an das "´Sein“ anbinden, in einem zusammenhängenden System zu sammeln. Von nur einem einzigen Gesichtspunkt aus enthüllt sich diese Gesamtheit in ihrem ganzen Umfang. Aristoteles bei den Griechen hatte das Glück – oder das Verdienst – an dieser Stelle zu stehen. Und der heilige Thomas, mit mehr Sicherheit und Genauigkeit, brachte die mittelalterliche Philosophie zu dieser zentralen und dominanten Position zurück, die durch den Stagiriten gezeigt worden war. Außerhalb des aristotelischen Gesichtspunkt, bestimmt und weiter ausgeführt im thomistischen Sinn, finden sich immer einige Elemente aus dem Inhalt des Bewusstseins verkannt, oder auch irgendeine Antinomie verbirgt sich unter Postulaten, die einer Kritik schlecht standhalten. Wir haben diese Unfähigkeit und diese latenten Widersprüche festgestellt, sowohl in der griechischen Philosophie vor Aristoteles wie in der mittelalterlichen Philosophie nach dem heiligem Thomas. Rationale Synthese noch ungenügend geknotet, oder schon geknotete Synthese, die sich lockert,: die wesentlichen logischen Konsequenzen sind die Gleichen. V. Wir haben diese Konsequenzen mehr in Detail angemerkt, in den Philosophien von Duns Scotus und Ockham, wo sie schon die verschiedenen Linien der Entwicklung der modernen Philosophie anfangen. Scotismus und Ockhamismus stellen die zwei fertigen Formen – die eine dogmatisch, die andere kritisch – dieser nicht-thomistischen Scholastik dar, die sich auf Aristoteles berief und von ihm manche Formeln entlieh, ohne jedoch bis zur tiefen Einheit der peripatetischen Metaphysik einzudringen. 234 V. Es dürfte nicht ohne Interesse sein, hier an die Art der philosophischen Lösungen zu erinnern, in denen Duns Scotus und vor allem Ockham, die charakteristischen Thesen des Thomismus verwarfen und diese damit für lange Zeit aus dem Horizont der modernen Philosophie verbannten. 207 In zwei Worten: sie opferten die synthetische Einheit unserer Ur-Begriffe, wo das Intelligible sich mit der Materie trifft, im Herzen des Universalbegriffs; dementsprechend trennten sie die strenge substantielle Einheit des menschlichen Kompositums auf, einer Einheit, ohne die die synthetische Einheit des Begriffes unbegreiflich wird. Und warum wurde die eine und die andere Einheit von ihnen verkannt? Zweifellos weil sie zu vertrauensvoll auf unseren unvollkommenen Verstand waren, der nach dem Typ der quantitativen Teilung zerstückelt und isoliert, wussten sie die thomistische Idee einer wesentlichen Komplementarität der Materie und der Form unter der Einheit des Seins, oder allgemeiner die Idee einer „reziproken (gegenseitigen) Ursächlichkeit“, die die Glieder, die sie vereinigt relativ aber nicht „entitativ“ einander entgegensetzt, ihrem richtigen Wert nach überhaupt nicht einzuschätzen. In dem Maße in dem sie die doppelte synthetische Einheit unserer unmittelbaren Begriffe und unserer menschlichen Natur opferten, verurteilten Duns Scotus und Ockham im voraus die Philosophen, ihre Nachfolger, zu einem enttäuschenden Hin-und-her-Schwanken zwischen extremen Stellungen: in der Epistemologie, dem Ontologismus , oder, dem entgegengesetzt, enger Empirismus mit seinen agnostischen Konsequenzen; in der Psychologie, ausschließlicher Spiritualismus, dicker Materialismus, oder nicht zurückführbarer Dualismus. Der mittlere Weg wurde gesperrt: es brauchte die Ankunft des Kantismus, um dort von neuem einen Ausweg zu eröffnen, der im Übrigen ungenügend war. Wir werden das nächste Heft dem widmen, in großen Etappen den unbewussten Weg nachzuzeichnen, den die Philosophen, vom XV-ten bis zum XVIII-ten Jahrhundert, verwirklichen werden in zwei abweichenden Säulen, bis zu den letzten Konsequenzen der Nieder-Scholastik. 235 Allgemeine Schlussfolgerungen VI. 208 Noch eine Bemerkung. Wir haben gezeigt, dass die Unfähigkeit, (evident und zugegeben bei Ockham) die absolute Transzendenz Gottes auf rationalem Weg zu beweisen, in letzter Analyse von einer fehlerhaften Theorie des Begriffes herkommt. Und wir behaupten, dass die thomistische Theorie des Begriffes allein fähig war, eine tatsächliche analoge Erkenntnis des Transzendenten grundzulegen, das heißt, einer Erkenntnis, die die Begrenzung des Verstandes übersteigt und in unserem objektiven Denken eine „Bedeutung“ unterscheidet, die die begriffliche direkte „Darstellung“ unendlich überschreitet. Wir gestehen mühelos ein, dass diese wirklich kühne thomistische These von der metaphysischen Analogie nach einer kritischen Rechtfertigung ruft, die wir noch gar nicht geliefert haben. Denn, wenn man behauptet, die transzendente Beziehung der Analogie zu kennen, wenn man glaubt, die „Bedeutung“ von gewissen privilegierten Begriffen über das hinaus, was sie unmittelbar „darstellen“ rechtmäßig erhöhen zu können, muss wohl genauso, kraft der thomistischen Theorie der Erkenntnis, dass der höhere Term der Analogie (das „analogatum princeps“) – das bezeichnete transzendente Objekt obwohl nicht dargestellt in seiner ihm eigentümlichen Form — in uns anwesend sein auf irgendeine Weise. Wenn er nicht dargestellt ist in uns entsprechend seiner ihm eigentümlichen Form, wie ist er uns dann gegenwärtig? Wie bietet er unserem Denken eine Handhabe? Obwohl dieses Problem vom Autor der „Theoremata“ und von Ockham, in ihrer Kritik des Kausalitäts-Arguments geahnt worden ist, halten wir es für besser, die volle Lösung davon bis zum Moment hinauszuschieben, wo wir, instruiert von den Erfahrungen der modernen Philosophie, mit mehr an Tiefe, die Prüfung der Grundlagen der thomistischen Metaphysik wiederaufnehmen können. Sagen wir weiter nur das, was wir schon hier und dort auf den vorhergehenden Seiten zu Verstehen gegeben haben: zu wissen, dass dieses Problem, um eine ganz befriedigende kritische Lösung zu empfangen, eine vollendete Theorie von der engen Einheit und der gegenseitigen Kausalität der Intelligenz und des Willens verlangt. Diese Theorie gab es beim heiligem Thomas, obwohl der epistemologische Wert davon bei den gegebenen Hauptinteressen der Epoche damals nicht sehr klar hervortreten gekonnt hätte,. Unglücklicherweise verschwand sie danach. Außerhalb der thomistischen Schulen, seit Duns Scotus bis zu den kritischen Philosophen, unseren Zeitgenossen, ist die Formel, so nachdrücklich betont von Aristoteles und dem heiligem Thomas: „Voluntas in ratione est = der Wille ist in der Vernunft“ hat ihr ursprüngliches Relief verloren. Die allzu radikale Trennung zwischen intellektueller Funktion und appetitiver Funktion, einer Trennung, die durch Ockham bis zum Irrationalismus des Wollens getrieben wurde, musste vergessen lassen, dass unsere Intelligenz ihrer Natur nach Appetit des "´Seins“ ist und in ihrer Ausübung, das „Sein“ erobernd. 236 Zusatzbemerkung Wir werden in den folgenden Heften erklären, wie dieses Schisma der Intelligenz und des Willens, der Spekulation und der Praxis, nachdem es die metaphysische Unfähigkeit der Rationalismen verursacht hatte, auch die nützliche Tragweite der Kantschen Kritik verringerte, indem es diese negativ und ohne Maß und Ziel zerstörerisch machte. Zusätzliche Bemerkung. Während des Drucks dieses Hefts sind zwei Denkschriften erschienen, die wir hier anzeigen müssen und unser Bedauern ausdrücken, dass wir uns ihrer für unsere Redaktion nicht bedienen konnten. Sie lassen übrigens unsere Stellungnahmen unberührt. Dies sind : l0 R. P. F. Delorme, O. F. M. Le Cardinal Vital Du Four. Acht diskutierte Fragen zum Problem der Erkenntnis. (Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge, tome II, 1927, pp. 151-337). Drei dieser Fragen entsprechen den mit Frage XIII, XIV und XV nummerierten Fragen in „De rerum principio“ (ed. Wadding). 20 Etienne Gilson. Avicenna und der Ansatzpunkt von Duns Scotus. (Ebenda., pp. 89-149.) Die Verwandtschaft zwischen dem neuplatonischen Aristotelismus von Avicenna und der scotistischen Noetique kann nicht verpassen, jeden aufmerksamen Leser der Werke des Doktor subtilis zu frappieren. In einem Thema, das so unmittelbar die vergleichende Geschichte der großen philosophischen Systeme berührt, ist es überflüssig, das Interesse für die durchdringende Studie von M. Gilson zu unterstreichen. Das in der Revue d’Histoire ecclésiastique von M. Balitch angekündigte Buch: Die Kommentare von Jean Duns Scotus über die vier Bücher der Sentenzen, ist unseres Wissens noch nicht erschienen. Betrifft es unmittelbar die Punkte, die wir behandeln? Dies ist wenig wahrscheinlich. Jedoch, wenn es gut erstellt ist, wie M. Balitch sagt „dass der Doktor subtilis wenigstens in vier Wiederaufnahmen die Bücher der Sentenzen erklärt hat, aber dass die charakteristischsten unter seinen Kommentaren immer vergessen und unediert bleiben“ so besteht für uns offensichtlich das Risiko, dass da und dort der Duns Scotus der literarischen franziskanischen Tradition den streng geschichtlichen Duns Scotus ersetzt. Im Übrigen ist es der Duns Scotus der Tradition, der vor allem für uns wichtig war, da er es ist, der sehr früh da war und im säkularen Getümmel der Doktrinen engagiert bleibt. 237 Allgemeine Schlussfolgerungen INDEX ALPHABÉTICUS. Abélard, 75. Abstraction, 64-66, 86, 180-181. Académie (Nouvelle), 24, 27-28, 3032. Affirmation objective : (nécessité de –), 17, 32-36; (critique de –) , 12-36, 38-70. Agnosticisme : ( « Theoremata » ), 155-169; (Occam), 186-195. Agrippa , 28. Alexandre d’Aphrodise, 65, 69. Algèbre de la Logique, 184 Amaury de Bènes, 74. Analogie de l’être, 89, 90-93, 143-146, 207-208. Anamnèse, 52. Anaxagore, 13, 18, 43. Antinomie de l’Un et du Multiple : dans la philosophie antique, 3870; dans la philosophie médiévale, 71 -170 ; à la fin du moyen âge, 170, 172, 198-202; sa solution chez saint Thomas, 81 -93, chez Duns Scot, 123-155. Antinomies du platonisme, 53. Saint Anselme, 153, 191. Antisthène le Cynique, 47. Arabes (scolastiques), 2. Arcésilas, 27. Aristote : très fréquemment. Voir spécialement : sa réfutation de la sophistique, 16-21; son réalisme modéré, critique, 238 55-68. Ataraxie, 24-26. Atomistes, 43. Saint Augustin, 2, 73. Augustinisme médiéval, 76, 93, 98, 169, 173, 177. Aureolus (Pierre Auriol), 174, 175176. Averroïsme, 194. Avicebron, 110. Avicenne, 116, 128. Bernard de Tours, 74. Bibliographie de ce Cahier, 7-9. Bien (dans l’épistémologie platonicienne), 50, 53-54. Boèce, 73. Saint Bonaventure, 2, 93, 98, 124-125, 170. Carnéade , 27-28, 30-32. Causalité réciproque (matièreforme), 101. Causalité (argument de –) : dans les « Theoremata » , 165166; chez Occam, 191-192. Changement, 18 (voir Mouvement). Chartres (réalisme chartrain), 74. Chrysippe, 27. Cicéron, 73. Concepts : quidditatifs et qualitatifs ( « Theoremata » ), 156-159; primitifs, adéquats, parfaits, simples, distincts, confus, ( « Theoremata » ), 160-161. Critique : légitimité, 4; origines chez les Grecs, 12-36; critique métaphysique (ontologique), 40, (chez les Grecs) 45-69; critique de l’affirmation, 12-36, INDEX ALPHABÉTICUS. 212 de l’objet d’affirmation, 38-70, (chez Aristote) 57-68; principe du réalisme critique, (Aristote) 56-57, (saint Thomas) 78-79 ; nécessité d’une critique de l’objet (saint Thomas), 77-79 ; critique moderne, 40. Cuse (Nicolas de), 128, 201-202. Degrés métaphysiques ( « entité » des–), 114-122. Démocrite, 13, 18, 43, 77. Démonstration métaphysique : ses conditions, d’après les « Theoremata » , 162-165. « De Rerum Principio » , 97-98, 100-114, 130, 138. Descartes, 4, 101, 153, 154, 160, 199, 201. Devenir (chez Aristote), 60 sqq. Dialectique (et métaphysique), 22. Dieu : (d’après les « Theoremata » ) son existence, 165-166, sa nature, 166-168; (d’après Occam) existence, 190, 191-192, nature , 193-194; transcendance divine, 207208. (Voir : Infinité.) Durand de Saint-Pourçain, 174-175, 176. Éléates, 41, 43-44, 59, 172 (Voir : Zénon, Parménide). Empédocle, 13. Empirisme, 170, 171, 199. Énésidème, 27, 28. Épicuriens, 69. ’ ?p???, 26-36. Ériugène (Jean Scot), 74. Espèce : (et individu), 86-88, 120; (et genre), 88-89, 119. Essences (réalisme cartésien des), 167. Être: transcendance de l’Être, 53-54; Être et Bien (Platon), 54; Esse et essence, 106-107, 193. Eubulide, 47. Eudème, 69. Évidence : l’évidence objective initiale, 3-4; critique des évidences, 4. Fidéisme : ( « Theoremata » ) 164-169; (Occam) 194, 195. Finalité dans la connaissance (Platon), 50, 53-54. Formes platoniciennes : voir Idées. Godefroid de Fontaine, 132. Guillaume de Champeaux, 110. Guillaume de Ware, 99. « Haecceitas » , 124, 180. Henri de Gand, 132. Heraclite , 12, 41, 42, 43, 47, 49, 58, 59, 77-78, 93. Hume, 201. Hylémorphisme des essences spirituelles (philosophes franciscains), 115. Ibn Gébirol (Avicebron), 110. Idées générales : (Socrate), 46. Voir : Universaux. Idées (ou formes) platoniciennes, 4854, 55. Indifférentistes médiévaux, 50. Individuation et connaissance de l’individuel, 56, 81-90, 118, 122-131, 178-180, 189; individu et espèce, 86-88. Induction, 86. Infinité divine : (Duns Scot) 147-155; ( « Theoremata » ) 167; (Occam) 193 239 Allgemeine Schlussfolgerungen « Infinitas non repugnat enti » , 149, 152-154. Intellect-agent, 64, 91, 133-136, 187. Intelligence : son impassibilité physique (saint Thomas), 129; sa réceptivité initiale (Duns Scot), 129-131 ; son objet formel (Duns Scot), 140-141 ; intelligence et volonté, 208. Ioniens, 12. Jean de Salisbury ( « Metalogicus » ), 75, 172. Jean Scot Ériugène, 74. Kant, 4, 40, 90, 194, 201, 203, 208. Leibnitz, 53, 153, 154, 155, 199, 201. Leucippe , 13. Locke , 201. Logique et métaphysique, 22; (chez Aristote) 66-68. Malebranche, 2, 53, 199, 201, 202. Marius Victorinus, 74. Matière : et nombre, 56, 126-129; « matière prime » , 126; « materia primo prima » : son actualité, 100; son universalité, 102; son unité, 109. Mégariques, 47. Mélissus, 59, Métaphysique : du sujet connaissant, 45 sqq.; critique et construction métaphysique, (Aristote) 58 sqq., (saint Thomas) 79-81, 203-206. Méthode de cet ouvrage, 6-7. Moderne : fond nominaliste de la philosophie moderne, 198 sqq. Monisme de l’être (Éléates), amendé par l’idée aristotélicienne de la « puissance » , 59 sqq. 240 Mouvement, 18, 60 sqq. Néant, 19, 38. Néo-académiciens (voir : Académie). Néo-aristotéliciens, 69. Néo-kantiens (Marburg), 203. Néo-platoniciens, 52, 69. Néo-pyrrhoniens , 26, 28, 32. Nicolas de Cuse (voir : Cuse). Nombre (et matière), 56, 124, 126129. Nominalisme, 92, 159, 173 sqq., 196198; – L’héritage moderne du nominalisme, 198-202. Occam : 85, 92-93, 99, 137-138, 164, 170, 176, 177-195, 196-201, 206, 208; – Épistémologie, 177-186; agnosticisme, 186-195; intuition sensible, 178; connaissance intellectuelle intuitive, 178-180; connaissance intellectuelle abstractive, 178, 180-186. Occasionnalisme, 192 Ontologie de la connaissance, 45 sqq. Ontologique (argument), 153, 191. « Ordre » rationnel (analytique) des concepts, d’après les « Theoremata » , 162, 163, 165, 166, 167. Parménide, 12,41, 43-44, 47, 49, 53, 58, 59, 93, 172. Pascal, 2. Phantasme, 64. Phénoménisme, 19. Philosophie première, 23, 39. Platon, 15, 22, 23, 33, 47-54, 55, 72, 77-78, 93, 120-121,136-137,144, 170. Plotin, 2, 52, 69. Porphyre ( « Isagoge » ), 73-74, 172. INDEX ALPHABÉTICUS. 213 Présocratiques, 41-44. Principe d’identité, premier principe, 16, 17, 32. « Principium pure possibile » (Richard de Middleton), 105. Probabilisme, (Nouvelle Académie), 27-28, 30-32. Proclus, 69. Protagoras, 19, 58. Pseudo-Denys l’Aréopagite, 73. Puissance pure, 126. Pyrrhon d’Élis, 25-26. Pyrrhonisme, 24-26, 29-30. Quantité, voir : Nombre. Rationalisme prékantien, 127, 170, 171, 202, 208. Voir : Descartes, Leibnitz, Spinoza. Réalisme : présupposé de la philosophie antique, 21, 38-40; réalisme platonicien de l’entendement, 47-54 ; réalisme modéré d’Aristote, 55-58;214 réinvention du réalisme modéré au moyen âge, 73-75; réalisme modéré de saint Thomas, 7793; réalisme scotiste (voir : Duns Scot); réalisme des « Theoremata » , 155156, 159; rupture avec le réalisme médiéval, 172-176; réalisme ancien (résumé) 203-206. Relativisme moderne, 21, 24. Richard de Middleton, 103, 124. Scepticisme : Scepticisme ancien : première crise, 12-13; Sophistique, 14-21 ; après Aristote, 22-28; – Appréciation générale, 29-36. Scot (Duns) : 1,107, 108,159-160, 164, 165, 167, 169-170,173, 174, 175, 176, 177,182,184, 185, 186, 188, 196, 199, 206, 208; – Traits généraux de sa philosophie, 92-97; questions d’authenticité et affinités doctrinales, 97-100, 164; matière, 115-116; séparabilité de la matière, 108,114; « entité » des degrés métaphysiques ( « unitas realis minor numerali » ), 114-122; réalisme de l’universel, 116-122; individuation et connaissance de l’individuel, 118, 122-131; connaissance de l’universel, 131139; intellect-agent, 133-136; abstraction, 132-139; univocité de l’être, 140-147; analogie de l’être, 143-146; objet formel de l’intelligence, 140-141, 154; Preuve de l’infinité divine, 147155; le postulat : « infinitas non repugnat enti » , 149, 151-154; solution scotiste de l’antinomie de la quantité matérielle et du concept, 123-139; de l’antinomie de l’entendement et de la raison transcendante, 139-155. Sens (et intelligence), 129-131. Sextus Empiricus, 28, 32. Singulier, voir : Individuel. Socrate, 22, 33, 46-47, 49. Sophistique; caractères généraux, 1416; scepticisme radical, 15-16; 241 Allgemeine Schlussfolgerungen réfutation par Aristote, 16-17, 39; étiologie par Aristote, 18-21; conséquences, 22. « Species specialissima » , 125, 157. Spinoza, 4, 153, 200, 202. Stoïciens, 69. Suarez, 185. Sujet (métaphysique du sujet), 22. Terminisme, voir : Occam. Théophraste, 25, 69. « Theoremata » , 97, 99, 154, 155-169, 177, 208. Saint Thomas d’Aquin : très fréquemment. En particulier : principe d’une critique de la connaissance, 77-79; critique et construction métaphysique, 79-81 ; solution de l’antinomie de l’un et du multiple, 81-93; universaux et individuation, 8190; intellect-agent et analogie de l’être, 90-93. Thomas de Sutton, 144. Thomisme (thèses solidaires dans le thomisme), 173. Timon, 26. Transcendance de Dieu, voir : Infinité, Dieu. Transcendantal : preuve transcendantale du réalisme, ébauchée par Aristote, 66, 204. Tropes pyrrhoniens, 28. « Unitas realis, minor numerali » , 114-122. Unité transcendantale et unité principe de nombre, 128-129. Universaux, 72-75, 81-90, 116-122, 172, 179. Universel : connaissance de 242 l’universel, (Duns Scot) 131-139, (Occam) 180-186; notion scotiste de l’universel, 134. Univocité de l’être : (Duns Scot) 140-147; ( « Theoremata » ) 157-158. Vital du Four (V. de Furnis – « De rerum principio » ), 98. Volontarisme (Occam), 195. : Volonté (Duns Scot), 179. Volonté (et intelligence), 208. Wolff, 4, 153, 154, 155, 202. CAHIER I. TABLE DES MATIÈRES. CAHIER I. TABLE DES MATIÈRES. 216 Pages. Introduction : Objet et méthode de ces Leçons..... 3 LIVRE I. – L’éveil de l’esprit critique dans la philosophie GRECQUE : LE SCEPTICISME ANCIEN ET LA CRITIQUE DE L’AFFIRMATION 11 Chap. I. Vers une première crise de la certitude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Chap. II. La crise : le scepticisme des Sophistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 §1. Caractères de la Sophistique . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 §2. La réfutation directe des Sophistes par Aristote . . . . . . . . . . . . 16 §3. L’étiologie et la cure de la Sophistique, d’après Aristote . . . . 18 Chap. III. Le scepticisme post-aristotélicien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 §1. Les fruits de la controverse contre les Sophistes . . . . . . . . . . . . 22 §2. Le problème de l’ataraxie et le pyrrhonisme . . . . . . . . . . . . . . . . 25 §3. Le probabilisme de la Nouvelle Académie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 §4. Le Néo-pyrrhonisme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Chap. IV. Appréciation générale du scepticisme ancien . . . . . . . . . . . . . 29 §1. Critique des modalités secondaires du scepticisme ancien . . . 29 §2. Critique radicale du scepticisme ancien : la nécessité de l’affirmation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 LIVRE II. – L’antinomie de l’un et du multiple dans la PHILOSOPHIE ANTIQUE. VICISSITUDES D’UNE CRITIQUE DE L’OBJET D’AFFIRMATION . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Chap. I. Remarques préliminaires : le principe du réalisme métaphysique des Anciens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Chap. II. L’oscillation entre les termes de l’antinomie chez les Présocratiques . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Heraclite : prédominance de la multiplicité . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Les Eléates : prédominance de l’unité . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Chap. III. Les solutions synthétiques de l’antinomie, et l’avènement d’une critique métaphysique de la connaissance . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 §1. Socrate : retour à l’équilibre de l’Un et du Multiple dans les concepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 §2. Introduction d’une métaphysique de la connaissance dans la solution objective de l’antinomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) La solution platonicienne : le réalisme de l’entendement 47 b) La solution aristotélicienne : mitigation du réalisme de l’entendement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .55 §3. Après Aristote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 LIVRE III. – L’antinomie De l’un et du multiple dans la PHILOSOPHIE MÉDIÉVALE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 243 Allgemeine Schlussfolgerungen Chap. I. Renaissance partielle du problème de l’Un et du Multiple au moyen âge. Les Universaux . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 §1. Avoir initial de l’épistémologie scolastique . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 §2. Réinvention graduelle du réalisme modéré d’Aristote . . . . . . . 73 Chap. II. Le réalisme modéré de saint Thomas d’Aquin : solution complète de l’antinomie de l’Un et du Multiple . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 §1. Nécessité d’une critique de l’objet de connaissance . . . . . . . . . 77 §2. La « critique de l’objet » et la construction métaphysique . . 79 §3. L’unité synthétique de l’objet du sens et de l’objet de l’entendement dans la connaissance humaine . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) La solution thomiste du problème des Universaux et la thèse de l’individuation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Le réalisme modéré thomiste, et le réalisme modéré nonthomiste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. L’individu et l’espèce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. L’espèce et le genre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 §4. L’unité analogique de l’objet de l’entendement et de l’objet de la raison dans la connaissance humaine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Chap. III. De saint Thomas à Occam, par Duns Scot : relâchement de la synthèse métaphysique et réapparition de l’antinomie . . . . . . . . . 94 §1. Position intermédiaire de la philosophie scotiste . . . . . . . . . . . . 94 §2. La notion de matière dans le De Rerum Principio . . . . . . . . . 100 a) L’actualité de la matière . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .100 b) L’universalité de la matière . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) L’unité de la matière . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 §3. L’entité des degrés métaphysiques d’après Duns Scot : l’ « unitas realis, minor numerali . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Chap. IV. De saint Thomas à Occam par Duns Scot, etc. (suite) . . 123 §4. La philosophie scotiste devant l’antinomie de l’Un et du Multiple 123 I. L’antinomie de la quantité matérielle et du concept (antinomie de la sensibilité et de l’entendement) . . . . . . . . . . . . . . 123 a) La connaissance de l’individuel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) La saisie de l’universel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .131 II. L’antinomie de l’entendement et de la raison transcendante 139 a) L’univocité de l’être . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) La preuve de l’infinité divine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 §5. L’agnosticisme des Theoremata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Théorie de la connaissance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Thèses agnostiques . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 §6. Conclusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 217 244 SOMMAIRE DES CAHIERS SUIVANTS : LIVRE IV. – Vers le conflit moderne des rationalismes et DES EMPIRISMES 171 Chap. I. La rupture avec le réalisme médiéval . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Chap. II. L’agnosticisme fidéiste d’Occam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 §1. Esquisse de l’épistémologie d’Occam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 §2. Conséquences destructrices et agnostiques . . . . . . . . . . . . . . . . .186 Chap. III. La double source d’antinomies léguée à la philosophie moderne par l’Occamisme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 §1. La diffusion du Nominalisme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 §2. Première source d’antinomies : le rapport de la sensibilité et de l’entendement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 §3. Deuxième source d’antinomies : le rapport de l’entendement et de la raison . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 CONCLUSIONS GÉNÉRALES du Cahier I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 INDEX ALPHABÉTIQUE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 SOMMAIRE DES CAHIERS SUIVANTS : CAHIER II : Le Conflit du Rationalisme et de l’Empirisme dans LA PHILOSOPHIE MODERNE, AVANT KANT. Livre I : A l’aube de la philosophie moderne. Livre II : Le développement de la philosophie moderne, avant Kant, dans le sens du Rationalisme. Livre III : Le développement de la philosophie moderne, avant Kant, dans le sens de l’Empirisme. CAHIER III : La Critique de Kant. Livre I : Les étapes de la philosophie kantienne : du Wolfianisme à la Critique. Livre II : Objet et méthode de la « Critique de la Raison pure » . Livre III : L’unité de la sensibilité et de l’entendement dans l’expérience. Livre IV : L’usage « régulateur » de la Raison pure. Livre V : Les « idées de la Raison » , postulats de la volonté morale et présupposés du sentiment. CAHIER IV : Par delà le Kantisme : vers l’Idéalisme absolu. (En préparation.) Livre I : Discussion du principe de l’Idéalisme kantien. Livre II : L’Idéalisme transcendantal de Fichte : origine, méthode, esprit. Livre III : La « Théorie de la Science » . Livre IV : Remarques critiques sur l’Idéalisme de Fichte. Livre V : L’Idéalisme de Schelling et de Hegel. CAHIER V : Le Thomisme devant la philosophie critique. 245 Allgemeine Schlussfolgerungen Livre I : Les deux voies de la critique. Livre II : Théorie de la connaissance dans le cadre de la métaphysique thomiste. Livre III : La critique thomiste de la connaissance transposée sur le mode transcendantal. CAHIER VI : Les épistémologies contemporaines. (En préparation.) 246