Problemhintergrund: Bedarf der Förderung von Kindern mit Verhaltensstörungen äußert sich über die täglichen Anforderungen in den Schulen: „Überdreht und ungezogen: Was ist wirksam im Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern?“ Prävalenzraten: • 8% dissoziale Störungen (bei Mädchen bis zu 9%, bei Jungen bis zu 16%) • 10% Angststörungen; 5% depressive Störungen • 5-7% ADHS (Ihle & Esser, 2002) Autor: Prof. Dr. Friedrich Linderkamp Institution: Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik Sonderpädagogische Psychologie Zunahme von Verhaltensstörungen im Grundschulbereich Intensität bzw. Schwere von Gewalttätigkeiten nimmt zu Soziale Kompetenz als zentrale Voraussetzung für Schulfähigkeit Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Gliederung: Gliederung: 1. Verhaltensstörungen: Was ist „normal“, was nicht ? 1. Verhaltensstörungen: Was ist „normal“, was nicht ? Kategoriale und dimensionale Klassifikation Kategoriale und dimensionale Klassifikation 2. Risiko- und Schutzfaktoren in der sozial-emotionalen Entwicklung 2. Risiko- und Schutzfaktoren in der sozial-emotionalen Entwicklung 3. Interventionen und Förderung bei Kindern mit Verhaltensstörungen: Was hilft ? 3. Interventionen und Förderung bei Kindern mit Verhaltensstörungen: Was hilft ? Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Verhaltensstörungen lassen sich klassifizieren: 1. Störungen mit unterkontrolliertem Verhalten - externalisiert • Störung mit oppositionellem Trotzverhalten Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Verhaltensstörungen werden klassifiziert anhand folgender Kriterien: Bestimmungsmerkmale Ausschlussmerkmale • Störungen des Sozialverhaltens Zeit- und Verlaufsmerkmale • Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Diagnosesysteme Kom orbidit 2. Störungen mit überkontrolliertem Verhalten äten ! Internationale Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) - internalisiert • Ängste • Depression Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen (DSM-IV-TR) Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie 1 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung Beispiel ADHS … Bestimmungsmerkmale A. 1) Unaufmerksamkeit: mindestens 6 Symptome (von 9) • kann Aufmerksamkeit nicht auf Details richten • hat Schwierigkeiten Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten • scheint oft nicht zuzuhören • befolgt häufig Anweisungen nicht • bringt Dinge nicht zu Ende • hat Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Verhaltensstörungen: Was ist (noch) normal? Die Schwere einer Verhaltensproblematik wird beurteilt gemäß: A. 2) Hyperaktivität - Impulsivität: mindestens 6 Symptome (von 9) • zappelt mit Händen und Füßen • rennt umher, klettert exzessiv • hat Schwierigkeiten, sich still zu engagieren • ist häufig umtriebig, handelt „wie aufgezogen” Ausschlussmerkmale Verlaufsmerkmale B. C. D. E. Beginn vor dem 7. Lebensjahr Beeinträchtigung in zwei oder mehr Lebensbereichen Evidenz für eine klinisch bedeutsame Beeinträchtigung Ausschluss vorrangiger anderer psychischer Störung Häufigkeit Intensität Personen / Situationsspezifisch oder –übergreifend Entwicklungskontext (biologische und normative Übergänge) (z.B. entwicklungsbedingtes Stottern, entwicklungsbedingtes Trotzverhalten) aktueller gesellschaftlicher Normen (z.B. Michel aus Lönnerberga; Reformpädagogik in den 1970ern; soziokulturelle, kulturell-religiöse Unterschiede). Verhaltensstörungen werden zumeist nicht vom Kind selbst, sondern vom erwachsenen Bezugssystem als solche beurteilt. Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Gliederung: Ursachen / Bedingungen für die (Nicht-) Entwicklung von Verhaltensstörungen 1. Verhaltensstörungen: Was ist „normal“, was nicht ? Entwicklungswissenschaften Kategoriale und dimensionale Klassifikation 2. Risiko- und Schutzfaktoren in der sozial-emotionalen Entwicklung 3. Interventionen und Förderung bei Kindern mit Verhaltensstörungen: Was hilft ? • Empirischer Zugang zur Erklärung menschlicher Entwicklung • Theorie- und Disziplin übergreifend • Methode Längsschnittstudien << Kindliche Entwicklung vollzieht sich über kontinuierliche reziproke Wechselwirkungen zwischen aktivem Individuum und aktiver Umwelt unter Beteiligung entwicklungsrelevanter Risiko- und Schutzfaktoren >> Das Vulnerabilitätskonzept Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie … Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie 2 S c h u l b e z u g Risiko mindernde Faktoren Risiko steigernde Faktoren Kind bezogene Risikofaktoren prä-, peri- und postnatale Beeinträchtigungen oder Schädigungen Umgebungsbezogene Risikofaktoren a) gesellschaftliche Stressoren: - geringer sozioökon. Status Kind bezogene Schutzfaktoren - - positives Temperament hohe Intelligenz Umgebungsbezogene Schutzfaktoren Kind bezogene Risikofaktoren a) Schutzfaktoren innerhalb des sozialen Umfeldes prä-, peri- und postnatale Beeinträchtigungen oder Schädigungen - sichere Bindung soziale Unterstützung - - - unspezifisch wirksam spezifisch wirksam Umgebungsbezogene Risikofaktoren - chronischer Streit Umgebungsbezogene Schutzfaktoren Kind bezogene Schutzfaktoren a) gesellschaftliche Stressoren: - geringer sozioökon. Status - a) Schutzfaktoren innerhalb des sozialen Umfeldes positives Temperament hohe Intelligenz - - - - b) Schutzfaktoren innerhalb der Familie - stabile emotionale Beziehungen - offenes unterstützendes Tragfähige emotionale Lehrer-Kind-Beziehung Erziehungsklima - familiärer Offenes unterstützendes Klassenklima Zusammenhalt negative Elternmerkmale Dysfunktionales (psych. Probleme, pädagogisches Handeln dysfunktionelles Erzieh.verhalten) chronischer Streit Bilanz der Belastungen und Ressourcen Bilanz der Belastungen und Ressourcen Gesamtbelastung des Kindes und seiner Familie Notwendige Anstrengungen zur Belastungsbewältigung Gesamtbelastung des Kindes und seiner Familie Notwendige Anstrengungen zur Belastungsbewältigung Abbildung 1. Biopsychosoziale Risiken in der kindlichen Entwicklung: das Vulnerabilitätskonzept (modifiziert nach Scheithauer et al., 2000). Abbildung 1. Biopsychosoziale Risiken in der kindlichen Entwicklung: das Vulnerabilitätskonzept (modifiziert nach Scheithauer et al., 2000). Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie (Linderkamp 2006; 61 Familien mit external auffälligen Kindern 6-15J., M10;7 51m/10w) Ergebnis: Die Verhaltensstörungen der Kinder variierten stark Kontext abhängig 2 1 ,5 1 2,077 1 ,6 6 7 1,462 0, 5 0 ,7 9 5 U Um g m ga ga ga ga ng m m m m m t im ng ng g ng an m gn g agna m m m m g fer Fit r e er er ng ä lt ch h ic rn es le te n P so n ne rn r de in de er K in rn en te rig is K en n w a lt deen md em jü it it G G it it El it n Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Dysfunktionales pädagogisches Handeln Kind befolgt Aufforderung nicht Kind befolgt Aufforderung nicht Kind zeigt ausdauerndes Spiel- oder Leistungsverhaltenverhalten Lehrer/in wird aggressiv Lehrer/in reagiert stets und prompt 0 ,6 1 5 U U U U m Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Dysfunktionales pädagogisches Handeln 0 ,6 6 7 0 U Stärke der Verhaltensstörungen 2 ,5 Untersuchung: Verhaltensanalysen bei externalisierenden Verhaltensstörungen in Kindesalter Kind zeigt Störverhalten sichere Bindung soziale Unterstützung - b) familiäre Stressoren b) Schutzfaktoren innerhalb der Familie - stabile emotionale Beziehungen - offenes unterstützendes Erziehungsklima - familiärer Zusammenhalt negative Elternmerkmale (psych. Probleme, dysfunktionelles Erzieh.verhalten) Ressourcen Belastungen - - b) familiäre Stressoren Risiko mindernde Faktoren Risiko steigernde Faktoren Ressourcen Belastungen Lehrer/in reagiert nicht Lehrer/in wird aggressiv Kind befolgt Aufforderung nicht Aufforderung wird befolgt Lehrer/in gibt nach (Gefahr der) positiven Verstärkung durch Zuwendung Löschung gewünschten Verhaltens Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie - Angstinduktion - Modelllernen Negative Verstärkung; Belohnung des unerwünschten Verhaltens Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie 3 Funktionale Verhaltensanalyse Gliederung: Die Verhaltensprobleme … … treten in welchen Situationen auf ? (spezifisch oder übergreifend ?) 1. Verhaltensstörungen: Was ist „normal“, was nicht ? Kategoriale und dimensionale Klassifikation … treten mit welchen Personen auf ? (spezifisch oder übergreifend ?) 2. Risiko- und Schutzfaktoren in der sozial-emotionalen Entwicklung … haben welche Funktion ? 3. Interventionen und Förderung bei Kindern mit Verhaltensstörungen: Was hilft ? … haben welche Verstärkungsbedingungen ? (welcher Auslöser welche Reaktion ?) Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Weisz et al., 1987 Therapeutische Methoden Förderplanung – Prinzipien: Weisz et al., 1995 ES Nvergleiche ES Nvergleiche Behavioral insgesamt 0.88 126 0.76 197 - Multimodal: a) Schüler b) Schule c) Familie d) weiterer Kontext Operante Methoden 0.87 39 1.69 19 - hierarchisiert Modelllernen 1.19 25 0.73 12 - individualisiert Kognitiv-behavioral 0.68 10 0.67 38 Manualisierte Trainings 0.90 5 0.37 23 Methodenkombinationen (inkl. Elterntraining) 1.04 10 0.86 35 Nicht behavioral insgesamt 0.42 28 0.35 27 klientenzentriert 0.56 20 0.15 6 einsichtsorientiert 0.01 3 0.31 9 Diskussionsgruppen 0.18 4 0.48 10 - aktuell und konkret Inhalte und Methode von Förderung ??? … Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie ES: 0.20 – 0.50 gering 0.50 – 0.80 mittel >0.80 groß Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Formen der Verstärkung beim operanten Lernen Positiver Reiz Aversiver Reiz Dargeboten positive Verstärkung Belohnung C+ direkte Bestrafung Bestrafung ¢ + Entfernt indirekte Bestrafung Bestrafung C- negative Verstärkung Belohnung ¢ - Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Förderung sozial-emotionaler Entwicklung durch Training sozialer Kompetenz Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie 4 Social Skill Konzept Training sozialer Kompetenz Soziale Fertigkeiten: Umgang mit Gefühlen Initiative ergreifen Nein sagen Probleme lösen Grundannahmen: • Sozial-emotionale Kompetenz Set sozialer Fertigkeiten (social skills) Diagnostik: (ergänzende) funktionelle Verhaltensanalysen zur Erfassung kontextueller Kontingenzen • Sozial-emotionale Störungen Lernrückstand prosozialer Fertigkeiten oder Erlernen unangemessener Fertigkeiten Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Förderung: Individualisiertes Training (im Gruppenkontext) mittels Verhaltensübungen / Rollenspiel unter Nutzung operanter Methoden (vor allem soziale Verstärkung, Modelllernen und Selbstbekräftigung) Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie Voraussetzungen für eine effektive Förderung von Kindern mit Verhaltensstörungen: ♦ Gewährleistung von Empathie, Akzeptanz und sozialer Unterstützung dem Kind gegenüber ♦ Einsicht in die Wichtigkeit vorurteilsfreier Wahrnehmung kindlichen Verhaltens (keine rigiden „beliefs“) ♦ Einsicht in die Funktion verstärkungstheoretischer Bedingungen und ihre Bedeutung für das pädagogische Handeln ♦ Betrachtung kindlicher Verhaltensdefizite als fehlerhaften Lernprozess mit der Möglichkeit zur Verbesserung durch sinnvolle Hilfestellungen ♦ Situationen schaffen zum Neu- und Umlernen Prof. Dr. F. Linderkamp Rehabilitationspsychologie 5