Sendung vom 29.9.2014, 20.15 Uhr Professor Dr. Mojib Latif Klimaforscher, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel im Gespräch mit Iska Schreglmann Schreglmann: Ganz herzlich willkommen beim alpha-Forum. Zu Gast bei uns ist heute der bekannteste Klimaforscher Deutschlands. Wir freuen uns, dass Sie da sind, Professor Mojib Latif. Schön, dass Sie zu uns gekommen sind. Latif: Guten Tag. Schreglmann: Herr Professor Latif, Sie leiten am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel den Forschungsbereich "Ozeanzirkulation und Klimadynamik" und sitzen damit sozusagen an der Quelle aller Zahlen, Daten, Fakten rund um den Klimawandel und die Erderwärmung. Häufig sind das ja eher ernüchternde Studienergebnisse. Kürzlich hat z. B. die Weltorganisation für Meteorologie vermeldet, dass die Treibhausgase in der Atmosphäre auf einem Rekordhoch angekommen sind. Latif: Ja, das ist leider so, das wiederholt sich Jahr für Jahr. Die WMO, also die Weltorganisation für Meteorologie, hat vor ein paar Wochen noch einmal darauf hingewiesen, wie dramatisch die Entwicklung ist und dass sie auch immer schneller vonstattengeht. Das muss man natürlich kontrastieren mit den Bemühungen der Politik: Das zeigt uns leider, dass die Politik im Moment nicht fähig ist, entschieden gegen den Klimawandel vorzugehen. Schreglmann: Darauf kommen wir später noch ausführlich zu sprechen. Es gibt ja auch Skeptiker und ich weiß, dass auch Sie immer wieder mit deren Argumenten konfrontiert werden. Diese Skeptiker zweifeln daran, dass wirklich wir Menschen hauptsächlich für den Klimawandel verantwortlich sind, indem wir z. B. aufgrund der Industrieproduktion und des Straßenverkehrs jede Menge Treibhausgase wie Kohlendioxid emittieren. Die Skeptiker sagen: "Na ja, CO2 hat es schon immer gegeben und in der Erdgeschichte auch einen Klimawandel." Und es stimmt ja auch tatsächlich, in den vielen Millionen Jahren der Geschichte unseres Planeten hat es immer wieder massive Veränderungen gegeben: Mal war er fast komplett zugefroren, mal komplett vom Eis befreit. Wie argumentieren Sie da? Woher weiß man, welcher Anteil am Klimawandel wirklich vom Menschen gemacht ist? Latif: Ich müsste hier eigentlich eine abendfüllende Antwort geben, aber ich will versuchen, es kurz zu erklären. Zunächst einmal geht es um die Frage der Zeiträume. Wir sprechen hier und jetzt von Veränderungen, die wir gemessen haben in den letzten 100 Jahren und die sehr viel schneller abgelaufen sind als die Veränderungen in den Jahrtausenden, in den Jahrhunderttausenden davor. Nehmen wir noch einmal das CO2, also das Kohlendioxid, das ja der Hauptverursacher der globalen Erwärmung ist. Der CO2-Gehalt der Luft war noch nie so hoch wie heute, seit wir Menschen auf diesem Planeten leben. Das heißt, seit mindestens 800000 Jahren war der CO2-Gehalt nicht so hoch wie heute. Alleine da müssen ja schon die Alarmglocken schrillen bei uns. Man sieht, dass mit diesem Gehalt auch gleichzeitig die Temperatur anstieg, dass das Eis der Erde schmilzt, der Meeresspiegel steigt usw. Die Anzeichen sind also ganz klar vorhanden und die müssen wir nun einfach ernst nehmen. Ich denke, es gibt einfach keine andere plausible Erklärung dafür als die, dass der Mensch durch den Ausstoß dieser Treibhausgase die Klimaveränderung verursacht hat. Schreglmann: Woher weiß man denn eigentlich, was vor 800000 Jahren war? Latif: Das erfordert schon eine gewisse Detektivarbeit. Man kann beispielsweise im Eis der Antarktis, also am Südpol bohren und dabei sogenannte Eiskerne ziehen. In diesen Eiskernen sind z. B. winzige Luftbläschen enthalten: Diese können wir analysieren und auch datieren. Aufgrund dessen wissen wir ziemlich lückenlos, wie die Geschichte des CO2 in der Atmosphäre gewesen ist. Niemand, auch die sogenannten Skeptiker nicht, würden bestreiten, dass es tatsächlich so ist, dass der heutige Wert einmalig ist für die letzten 800000 Jahre – denn so weit kann man ungefähr zurückgehen. Man kann das Gleiche in den Meeressedimenten machen, denn auch diese zeichnen das Klima auf. Aber das machen sie nur indirekt: Man muss sich dafür nämlich angucken, welche kleinen Tierchen, welche Pflänzchen man dort in den verschiedenen Schichten findet. Daraus kann man dann eben auf die Temperatur zurückschließen, weil diese Lebewesen eben einen bestimmten Temperaturbereich benötigen. Schreglmann: Nun ist es ja kurioserweise so, dass trotz des steilen Anstiegs der Treibhausgase in der Atmosphäre und auch in den Meeren – darauf kommen wir ebenfalls später noch ausführlicher zu sprechen – die globale Temperatur in letzter Zeit nicht mehr gestiegen ist. Wie ist das denn zu erklären? Latif: Nun, das ist überhaupt nichts Ungewöhnliches. Einen Klimaforscher wie mich beeindruckt so etwas gar nicht, für den ist das völlig normal. Wenn man sich die Entwicklung seit dem Jahr 1900, also seit gut 110 Jahren anschaut, dann sieht man, dass das nicht einfach immer nur nach oben gegangen ist, sondern das verlief in Wellen. Deswegen muss man sich eben lange Zeiträume anschauen. Denn wenn man sich den gesamten Zeitraum anschaut, dann kann man an diesem Anstieg gar nicht vorbeischauen. Ich selbst habe 2008 in einer Studie im Wissenschaftsmagazin "Nature" diese Atempause vorhergesagt: Damals hat das ein riesengroßes Echo in der Weltpresse erzeugt. Ich wundere mich, dass das inzwischen schon wieder alles vergessen ist. Schreglmann: Das Echo ging in die Richtung, dass manche gesagt haben, diese Sache mit dem Klimawandel könne doch nicht so schlimm sein, wenn die Jahresdurchschnittstemperatur auch wieder fällt. Latif: Das ging in alle Richtungen. Das ging einmal in die Richtung, die Sie soeben formuliert haben: "Das kann also alles gar nicht so schlimm sein!" Es gab aber auch dieses große Erstaunen, dass der Temperaturanstieg nicht weitergeht, obwohl die Treibhausgase weiter ansteigen. Ich habe in dieser Studie eben ausdrücklich gesagt, dass das nicht heißt, dass nun alles vorbei wäre, sondern dass es ab 2020, 2025 umso schneller weitergehen wird mit dem Temperaturanstieg. Schreglmann: Sie werden also als Klimaforscher nicht müde zu betonen, dass es darauf ankommt, sich die langen Zeiträume, die langfristige Entwicklung anzuschauen. Sie zeichnen also quasi das große Bild. Wir Menschen schauen ja gerne aufs Wetter: Wie wird das Wetter nächstes Wochenende? Wie war es in den letzten Wochen? Wie war der vergangene Sommer? Das heißt, wir Menschen sind eigentlich darauf geeicht, vor allem kurzfristige Ereignisse zu beleuchten, die uns direkt betreffen. Insofern müssen Sie sich wohl mit einem ständigen Missverständnis herumschlagen, nämlich mit der Verwechslung von Klima und Wetter. Latif: Ja, genau. Das ist eines der großen Probleme in unserem Metier. Es gibt da ja diesen Ausspruch: Klima ist das, was man erwartet, und Wetter ist das, was man bekommt. Das zeigt so ein bisschen den Unterschied zwischen Klima und Wetter auf. Wetter ist das kurzfristige Geschehen in der Atmosphäre, also in der uns umgebenden Umgebungsluft: von Tag zu Tag, von Monat zu Monat und z. T. auch von Jahr zu Jahr. Denn nicht jedes Jahr ist ja gleich vom Wetter her. Klima hingegen ist etwas, was sich wirklich über Jahrzehnte hinweg entwickelt. Wir vergessen dann sehr oft, wie es früher gewesen ist. Ich werde ja jetzt 60 Jahre alt und habe daher schon eine gewisse Entwicklung beim Klima am eigenen Leibe gespürt. Ich bin in Hamburg geboren und auch in Hamburg groß geworden: Als ich noch ein Kind war, gehörten Winter zur Normalität. Es war halt Winter und keiner hat sich gewundert. Wenn das heute passiert, dann wundert man sich, warum eigentlich auch in Hamburg Winter ist. Ich vergleiche das immer gerne mit dem berühmten gezinkten Würfel: Wir sind dabei, den Würfel auf die "6" zu zinken, also auf die hohen Temperaturen. Aber das heißt natürlich nicht, dass die anderen Zahlen nicht auch noch kommen können. Nur kommen sie einfach entsprechend seltener. Das zeigt, wie ich glaube, noch einmal ganz gut den Unterschied zwischen dem chaotischen Wetter und der langfristigen Erderwärmung. Schreglmann: Aber die Journalisten und vor allem die tagesaktuellen Journalisten reagieren natürlich ganz stark auf diese Ausreißer. Nervt es Sie eigentlich, wenn dann schon wieder jemand anruft und sagt: "Ist der Klimawandel jetzt ausgebremst, wenn der Sommer ins Wasser gefallen ist?" Latif: Früher hat mich das genervt, das will ich gerne zugeben. Heute habe ich da ein so dickes Fell, dass mich das nicht mehr nervt. Ich sehe das eher positiv und benutze die Gelegenheit, noch einmal zu erklären, was der Klimawandel eigentlich ist. Das bringt dann eben auch gewisse Vorteile, denn auf diese Weise kann man immer wieder darauf hinweisen, dass man das Wetter nicht mit dem Klima verwechseln darf und dass das Klimaproblem nicht so schnell weggehen wird. Schreglmann: Weil Sie gerade gesagt haben, dass Sie bestimmte Dinge erklären: Sie werden ja wirklich nicht müde, bestimmte Zusammenhänge immer wieder zu erklären: in den Medien und auch in Ihren Büchern. Sie haben nämlich diverse Bücher publiziert wie z. B. das Buch "Globale Erwärmung", in dem noch einmal genau erklärt wird, warum der Mensch Mitverursacher ist und der Klimawandel eben durchaus auch anthropogen zu verstehen ist. Ein anderes Buch von Ihnen trägt den Titel, "Warum der Eisbär einen Kühlschrank braucht". Auf dem Titelblatt sieht man schon, dass sich das an eine etwas andere Zielgruppe richtet, nämlich eher an Jugendliche. Latif: Ja, an Jugendliche und schon auch an Erwachsene. Das ist so ein bisschen kindlich aufgemacht und soll damit einfach anzeigen, dass das ein Buch ist, das wirklich erklären möchte, dass das ein Buch ist, das kein hohes wissenschaftliches Niveau hat. Es geht darin um viele Dinge, die wirklich verblüffend sind, also nicht nur um den Klimawandel, sondern z. B. auch um Regenbögen und um andere Lichterscheinungen in der Atmosphäre wie z. B. die Polarlichter. Es geht aber auch ein bisschen darum, ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass schlechtes Wetter eigentlich gar nicht existiert: Es gibt kein schlechtes Wetter! Wenn es bei uns regnet, dann heißt es immer: "Oh, heute ist das Wetter wieder schlecht!" Aber was wäre denn, wenn es nicht regnen würde? Das wäre die Katastrophe schlechthin! Deswegen habe ich gemeint, dass wir vielleicht einen Feiertag einführen sollten: für Regen! Schreglmann: Einen Feiertag für Regen? Wie meinen Sie das? Latif: Ja, warum denn nicht? Es gibt ja diverse Feiertage, und warum sollten wir nicht auch mal dem Himmel huldigen, dass er uns Regen bringt? Schreglmann: Die Bauern würden das sofort verstehen. Latif: Ja. Vielleicht würden wir dann nicht mehr so missmutig dahergehen, wenn halt mal ein paar Tropfen fallen. Schreglmann: Wie gehen Sie selbst damit um? Dort oben in Kiel regnet es ja öfter mal. Latif: Natürlich, da regnet es öfter. Aber in diesem Jahr waren wir ein bisschen mehr auf der buchstäblichen Sonnenseite als der süddeutsche Raum. Herr Gott, damit muss man halt umgehen! Ich fahre gerne Fahrrad, und wenn es regnet, dann ziehe ich halt mein Regenzeug an und dann geht's los. Schreglmann: Wunderbar. So kennt man das ja von den Meteorologen der ARD, die da im Sturm draußen stehen und die Wettervorhersage machen. So einem echten Meteorologen macht das alles nichts aus. Latif: Ja, ich genieße das auch. Das ist einfach eine Frische und man ist irgendwie den Elementen ausgesetzt. Ich finde, das gibt einem auch Energie: Man saugt gewissermaßen die Energie der Elemente auf und ist damit wieder fit für den Alltag. Schreglmann: Ein interessanter Punkt: Dann ist man wieder gestärkt durch die Natur. Denn Sie werden in Ihrem Beruf ja auch relativ viel Zeit am Computer verbringen, wie ich annehme. Latif: Ja, genau, ich sitze fast nur am Computer, denn ich bin ja niemand, der selbst rausgeht und Messungen durchführt. Ich bin vielmehr Theoretiker, ich entwickle und rechne Klimamodelle. Ich habe mir also gewissermaßen mein Labor im Computer geschaffen. Schreglmann: Sie gehen aber sehr wohl auch raus und versuchen, den Menschen etwas beizubringen: Wissen rund um den Klimawandel, die Erdatmosphäre usw. Sie unterrichten ja auch an Kinder-Unis, d. h. Sie versuchen auch, schon den Kleinsten bestimmte Zusammenhänge transparent zu machen. Wie reagieren denn die Kinder auf Ihre Ausführungen? Doch sicherlich anders als Erwachsene, oder? Latif: Das bringt einem einen Heidenspaß. Da muss man die Dinge natürlich ganz anders präsentieren. Ich habe da z. B. immer bestimmte Gegenstände mit dabei wie z. B. einen Globus. Ich will aber den Kindern keine Angst machen und ich spreche auch meistens gar nicht über den Klimawandel, und wenn, dann nur ganz am Rande. Ich will den Kindern einfach nur deutlich machen, was für ein Glück wir eigentlich haben, auf diesem Planeten Erde leben zu können, und erkläre dann schon auch den Treibhauseffekt. Ein Titel so eines Vortrags an der Kinder-Uni lautet daher z. B.: "Warum ist es auf der Erde so schön warm?" Schreglmann: Sie sprechen also nicht gleich davon, dass es gefährlich warm ist. Latif: Nein, ich versuche einfach zu erklären, warum es auf unserem Planeten so tolle Lebensbedingungen gibt. Ich fange dann an zu erklären, dass wir ja zwei Nachbarplaneten haben, nämlich erstens die Venus, auf der es unendlich heiß ist, denn dort herrschen Temperaturen von über 400 Grad auf der Oberfläche. Und dann gibt es da zweitens unseren anderen Nachbarn, den Mars, den man auch den "ewigen Kühlschrank" nennen kann, weil auf ihm permanent Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt herrschen. Wir auf der Erde haben hingegen genau die richtigen Temperaturen, damit wir Menschen uns hier wohlfühlen können. Meistens sind es ja Hunderte von Kindern, die da im Auditorium sitzen, und die frage ich dann: "Was macht ihr denn, wenn euch kalt ist?" Meistens bekomme ich dann die Antwort: "Dann ziehe ich mir die Decke hoch!" Ich erkläre ihnen dann, dass das mit unserer Erde letztlich genauso funktioniert. Also hole ich eine Decke heraus und lege sie über den Globus und sage: "Unsere Lufthülle ist eben wie so eine schützende Decke, die sich um den Globus legt. Und deswegen ist es hier auf der Erde so schön warm." Schreglmann: Werden da der Klimawandel und die Treibhausgase auch thematisiert? Latif: Ja, schon, aber wirklich nur ganz am Rande. Das hängt auch so ein bisschen von der Veranstaltung selbst ab, ob ich das tue oder nicht. Oft mache ich das auch gar nicht, denn, wie gesagt, ich möchte einfach nur ein bisschen Verständnis bei den Kindern wecken, damit sie die Zusammenhänge begreifen. Am liebsten ist es mir, wenn sie sich dadurch ein bisschen für Naturwissenschaften begeistern lassen. Denn in unserer Gesellschaft ist es ja schwierig, Begeisterung für die Naturwissenschaften zu wecken. Schreglmann: Ist das so? Ich frage das deshalb so naiv, weil ich mich selbst ja sehr für Naturwissenschaften begeistere. Das heißt aber selbstverständlich nicht, dass das auch andere Menschen so sehen. Wie meinen Sie das also? Latif: Ich meine das in dem Sinne, dass bei allem, was so ein bisschen in Richtung Physik oder Mathematik geht, ganz schnell abgeschaltet wird. Es ist ja auch so, dass viele, viele Menschen bei uns im Land damit kokettieren, dass sie das nicht können, dass sie also immer schon ganz schlecht in Mathematik und Naturwissenschaften waren. Das finde ich eigentlich nicht angemessen für ein Land wie Deutschland, das dermaßen stark von der technologischen Entwicklung usw. abhängig ist. Ich denke, das Verstehen ist einfach auch wichtig, um den Planeten zu schützen. Wenn man die Dinge versteht, dann ist es meiner Ansicht nach auch völlig klar, dass wir bestimmte Aktivitäten besser unterlassen sollten. Schreglmann: Und genau da würde ich nun einhaken wollen. Sie haben vorhin bereits angedeutet, dass auf diesem Gebiet Ihrer Ansicht nach viel zu wenig passiert. Da gibt es einerseits diese alarmierenden Studien und Zahlen: Der Meeresspiegel steigt, die Gletscher schmelzen, an den Polen schmilzt das Eis ebenfalls usw. Was jedoch passiert als Reaktion darauf tatsächlich? Und was müsste aber Ihrer Meinung nach passieren? Latif: Wir haben so eine Art "gefühlten Klimaschutz": Wir sprechen sehr viel über Klimaschutz, und dies auch international. Es gibt jedes Jahr eine Weltklimakonferenz, auf der die Regierungen der Länder dieser Erde zusammenkommen und verhandeln. Und am Ende wird uns zwar immer weisgemacht, man hätte sich geeinigt, es hätte vielleicht sogar einen Durchbruch gegeben usw. Aber ich habe ja eingangs der Sendung schon gesagt, dass die Zahlen eine völlig andere Sprache sprechen. Das heißt also, die internationale Politik versagt komplett, wenn es darum geht, den Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid zu reduzieren. Wir hatten alleine seit 1990 einen Anstieg des weltweiten Ausstoßes von Kohlendioxid, also von CO2, von über 60 Prozent. Das ist eine dramatische Entwicklung. Wenn nur die Hälfte dessen stimmt, was uns die Klimamodelle sagen, wir diesen Trend für die nächsten Jahrzehnte aber beibehalten, dann sind wir gewissermaßen auf Kollisionskurs mit unserem Planeten. Schreglmann: Lassen Sie uns ein wenig über Szenarien sprechen, also darüber, was passieren könnte. Nehmen wir doch mal die Meeresspiegeländerung als Beispiel. Latif: Der Meeresspiegel steigt aufgrund von zwei Prozessen. Wir denken dabei ja immer sofort an die Eisschmelze an den Polen: Klar, wenn es wärmer wird, dann schmilzt das Eis, das Schmelzwasser gelangt ins Meer und der Meeresspiegel steigt. Aber selbst wenn das nicht passieren würde, stiege der Meeresspiegel dennoch an, und zwar alleine deswegen, weil sich das Wasser erwärmt infolge der globalen Erwärmung. Und jeder Körper, der sich erwärmt, dehnt sich aus. Genauso dehnt sich auch das Meerwasser aus. Wir haben in den letzten gut 100 Jahren einen weltweiten Meeresspiegelanstieg von etwa 20 Zentimetern gemessen. Davon geht ungefähr die Hälfte auf die Eisschmelze zurück und die andere Hälfte auf diese Wärmeausdehnung, also auf die thermische Expansion, wie das korrekt heißt. Das ändert sich aber allmählich, denn in den letzten Jahren hat der Schmelzanteil bereits überwogen gegenüber der Wärmeausdehnung. Wenn es so weitergeht, dann können wir damit rechnen, dass der Meeresspiegel weltweit im schlimmsten Fall um einen Meter steigen wird. Sie können sich vorstellen, was ein ganzer Meter hier bedeutet. Wir in den norddeutschen Küstenländern können damit gerade eben noch so umgehen, indem wir unsere Deiche erhöhen usw. Aber viele Länder wie Bangladesh oder die Inseln im Pazifik, im Indischen Ozean wären dann verloren. Schreglmann: Aber auch Großstädte wie New York wären dann verloren bzw. massiv gefährdet. Latif: Auch Großstädte wie New York. Es kommt dann aber noch etwas hinzu: Wenn es andere Ereignisse zusätzlich gibt, wenn es meinetwegen einen Hurrikan gibt – die Winde, an die man dabei zuerst denkt, sind ja auch immer mit gigantischen, meterhohen Flutwellen verbunden –, dann hat ja dessen Flutwelle einen Meeresspiegel zur Basis, der ohnehin schon um einen Meter höher liegt: Die Gefahr, die so eine Flutwelle auslöst, ist dann natürlich noch viel größer als heute. Schreglmann: Da würden dann auch keine Deiche mehr helfen, da würde gar nichts mehr helfen. Da hilft dann nur noch Flucht, oder? Latif: Ja, da hilft dann gar nichts mehr, da kann man nur noch flüchten. Man muss sich auch einmal vorstellen, was das in sicherheitspolitischer Hinsicht bedeutet. Wir denken ja immer "nur" ans Klima, aber das alles wird eben auch ganz massiv die Weltökonomie beeinflussen. Nicholas Stern, der ehemalige Chefökonom der Weltbank, hat im Jahr 2006 in seinem Bericht über die Ökonomie des Klimawandels darauf hingewiesen, dass der Klimawandel eben auch bedeutet, dass durch ihn mit großer Wahrscheinlichkeit eine weltweite Rezession ausgelöst werden wird. Das heißt, auch dann, wenn bei uns die Auswirkungen des Klimawandels gar nicht so stark sein sollten, wird uns das betreffen. Denn die Ökonomie ist heutzutage nun einmal globalisiert. Aber auch in sicherheitspolitischer Hinsicht ist diese Veränderung relevant. Denn wir wissen ja nicht genau, was dann passieren wird. Vielleicht wird es dann, ohne dass ich das beschwören möchte, mehr Terrorismus geben? Die Militärs jedenfalls beschäftigen sich schon ganz stark mit solchen Szenarien. Schreglmann: Das ist ja interessant. All diese Punkte wie die Ökonomie oder die Sicherheit sind ja wesentliche Faktoren und Themen, die die Politik doch ständig beschäftigen und die doch wichtig sein sollten. Woran liegt es also, dass da aus Ihrer Sicht bzw. aus der Sicht der allermeisten Klimaforscher nicht adäquat reagiert wird? Liegt das daran, dass das eine Entwicklung ist, die sich erst in der Zukunft negativ auswirken wird? Liegt es daran, dass dieses Thema so ein wenig aus dem Blick gerät, weil klar ist, dass es "erst" in 50 oder 100 Jahren ganz schlimm sein wird? Latif: Ja, das ist ganz sicher einer der Gründe dafür. Wir haben es hier mit einer gewissen Entkoppelung von Ursache und Wirkung zu tun, und zwar in zeitlicher wie auch in räumlicher Hinsicht. Zeitlich deswegen, weil die unmittelbare Bedrohung nicht vorhanden ist: Wir sprechen ja in unseren Rechnungen, in unseren Projektionen meistens auch vom Zieljahr 2100. Viele Menschen sagen aber: "Was? Im Jahr 2100 werde ich nicht mehr leben. Was geht mich das also an?" Ich entgegne dann immer: "Wenn heute ein Kind geboren wird, dann hat es eine sehr gute Chance, 100 Jahre alt zu werden. Das heißt, bereits unsere Kinder werden ganz massiv diese Auswirkungen zu spüren bekommen." Aber es gibt da ja auch noch eine räumliche Entkoppelung: Gerade diejenigen, die zumindest bisher den größten Ausstoß von Treibhausgasen zu verantworten hatten, werden nicht so stark betroffen sein wie diejenigen, die eigentlich relativ wenig dazu beigetragen haben. Wir haben ja gerade über den Meeresspiegelanstieg gesprochen und über Bangladesh: Gerade die Ärmsten der Armen, die für diese Entwicklung überhaupt nichts können, werden möglicherweise die größten Lasten tragen müssen. Schreglmann: Die Industrienationen sind also immer schon die Hauptverursacher gewesen und sie sind das beim Ausstoß von Treibhausgasen nach wie vor. Und in Zukunft werden gerade die Entwicklungsländer verstärkt unter diesen Folgen leiden müssen. Es gibt aber auch noch die Schwellenländer mit ihrem starken Bevölkerungszuwachs und ihrem enormen Energiehunger: Auch dadurch wird diese Negativentwicklung massiv vorangetrieben. Latif: Das verkompliziert diese ganze Geschichte natürlich noch, weil gerade die Schwellenländer jetzt im Moment dabei sind, ihren Kohlendioxidausstoß enorm zu steigern. Das gilt insbesondere für China: China ist inzwischen der größte Verursacher von Kohlendioxid! China hatte 2013 bereits einen Anteil von 27 Prozent an den weltweiten Emissionen hierbei, gefolgt von den USA mit 14 Prozent. Diese beiden Länder produzieren über 40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes, beide wollen aber nichts von Klimaschutz wissen, wie hinlänglich bekannt ist. Da kann man so ein bisschen die Konfliktlinien aufzeigen, denn eigentlich müssten die Amerikaner vorangehen, immerhin sind sie historisch gesehen der größte Verursacher auf diesem Gebiet, weil einfach das CO2 so eine lange Lebensdauer hat. Was unsere Eltern und Großeltern in die Luft geblasen haben, ist nämlich immer noch vorhanden. Wenn wir also fragen, wer das Zeug, das wir dort oben messen, eingebracht hat, dann muss man sagen: Das waren in erster Linie die Amerikaner, d. h. sie haben hier eine historische Verantwortung. An zweiter Stelle sind hier selbstverständlich auch die Europäer zu nennen, also die Industrieländer. Die Chinesen sind insgesamt mit ungefähr zehn Prozent dabei, aber das ändert sich jetzt natürlich von Jahr zu Jahr. Wenn man ihnen das vorhält, dann sagen die Amerikaner jedoch: "Ja, aber die Chinesen haben doch davon profitiert. Wir haben gewissermaßen die Technologie erst entwickelt, auf der der chinesische Boom fußt. Unser Wohlstand kommt doch jetzt den Chinesen auch zugute. Deswegen können sie sich doch überhaupt erst so entwickeln." Die Chinesen wiederum sagen: "Ja, aber wir produzieren doch heute für euch! Die Produkte, die ihr benutzt, haben so gut wie alle wir hergestellt. Das heißt, ihr werdet heute euren CO2-Ausstoß wunderbar los und er entsteht bei uns." Da sehen Sie schon, wie kompliziert diese Verhandlungen sind. Deswegen gibt es hier eine Art Patt, so eine Art Klima-Mikado: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Schreglmann: Bewegt sich denn eigentlich der Verbraucher? Denn den gibt es in diesem ganzen Spiel ja auch noch. Der Verbraucher als Konsument könnte auf dieses ganze Spiel ja auch einen Einfluss haben und an das Gewissen des Verbrauchers in Sachen Klimawandel wird ja allenthalben immer wieder appelliert. Er soll weniger Flugreisen machen, soll verbrauchsärmere Autos fahren usw. Er soll also letztlich weniger Konsum betreiben. Tut sich da wirklich etwas in nennenswertem Ausmaß? Latif: Es tut sich zumindest etwas im Bewusstsein, das muss man klar sagen. Was wir jedoch meiner Meinung nach brauchen, ist noch einmal eine öffentliche Debatte, in der es auch um Werte geht, eine Debatte darüber, was eigentlich chic ist. Ist es wirklich chic, hier in München einen Geländewagen zu fahren? Schreglmann: Mit Kuhgitter vorne dran. Latif: Ja, genau. Oder wäre es nicht doch chic, ein kleines Auto zu fahren oder vielleicht mit dem Fahrrad zu fahren? Ich selbst benutze in Großstädten eigentlich nie das Auto, sondern fahre immer mit dem Rad. Schreglmann: Sie sind in Kiel immer mit dem Rad unterwegs? Latif: Ja. Ich habe auch eine Wohnung in Hamburg: Da gibt es einen sehr guten öffentlichen Nahverkehr, d. h. das geht alles wunderbar. Aber wenn es irgendwie geht, dann fahre ich wirklich alles mit dem Fahrrad. Denn da kann man ja zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einmal hat man die Umwelt geschont und zum Zweiten hat man auch noch etwas für sich selbst getan. Man muss nämlich auch daran denken, dass es bei uns doch diese Menge an Zivilisationskrankheiten gibt. Mit Radfahren könnte man den meisten davon wunderbar vorbeugen. Deshalb hasse ich diese Verzichtsdebatte wirklich und finde, dass wir in dieser öffentlichen Diskussion endlich mal deutlich machen müssen, dass wir auf gar nichts verzichten, wenn wir die Umwelt ein bisschen schonen, sondern dass wir dabei eigentlich gewinnen. Und wenn es "nur" ein bisschen Ruhe ist, ein bisschen mehr Lebensqualität: Auch das ist ja in gewisser Weise Wachstum – nur eben kein Wachstum, das man normalerweise als ökonomisches Wachstum bezeichnet. Schreglmann: Ist denn den Menschen möglicherweise gar nicht wirklich klar, dass sie selbst betroffen sind von solch abstrakten und komplexen Dingen wie dem Treibhauseffekt, den Emissionen, dem Klimawandel? Liegt es vielleicht auch an diesem Begriff selbst? Ich hätte da wirklich gerne Ihre Meinung dazu gehört. Denn wir sprechen hier doch vom Klimaschutz. Das hört sich eigentlich relativ neutral an, aber wenn man diesen Begriff mal mit dem Begriff "Naturschutz" vergleicht, dann wird es schon kompliziert. Beim Naturschutz geht es darum, die Natur zu schützen. Also müsste es dann logischerweise beim Klimaschutz darum gehen, das Klima zu schützen. Dem Klima aber sind die Menschen, salopp gesagt, egal, denn das Klima gab es schon, als noch weit und breit kein Mensch auf der Erde gelebt hat. Vielleicht fühlt man sich also alleine schon durch diesen Begriff als Mensch gar nicht angesprochen. Ob es dem Klima gut geht oder nicht, das ist doch eigentlich keine menschliche Sorge, oder? Latif: Das stimmt in der Tat ein Stück weit. Der Begriff "Klimawandel" ist ein bisschen abstrakt und drückt auf jeden Fall überhaupt keine Bedrohung aus. Andererseits wollen wir aber auch nur ungern das Wort "Katastrophe" in den Mund nehmen, denn das hat immer so etwas Apokalyptisches an sich. Aber es geht tatsächlich um das Wohl der Menschheit. Schreglmann: Es geht eigentlich um Menschenschutz statt Klimaschutz. Latif: Umweltschutz wäre auch schon das bessere Wort, denn wir schützen ja einfach unsere Umwelt. Auch "Naturschutz" könnte man sagen, denn das ist ja Naturschutz: Wir schützen die Natur. Auch beim Kohlendioxid ist das ja so: Dieser Begriff ist ein bisschen nichtssagend und man gewöhnt sich daran, über ihn zu reden. Schreglmann: Man sagt z. B. auch, dass CO2 ja ohnehin überall um uns herum vorhanden ist. Latif: Genau, CO2 ist überall. Schreglmann: Das ist an sich auch nicht giftig und wir atmen es auch einfach so aus. Latif: So ist es. Aber CO2 ist dennoch ein Umweltgift, das dürfen wir nicht vergessen. Wir bezeichnen es nur nie als Umweltgift. Warum ist es ein Umweltgift? Weil es mit Wasser zu Kohlensäure reagiert und ein Teil des CO2, das wir ausstoßen, geht immer ins Meer. Deswegen haben wir dieses große Problem der Meeresversauerung. Selbst wenn sich das Klima überhaupt nicht ändern würde, hätten wir da eine Zeitbombe, die in den Meeren tickt. Schreglmann: Über diese Zeitbombe würde ich gerne ausführlicher mit Ihnen sprechen und dabei das neueste Buch von Ihnen vorstellen. Es trägt den Titel "Das Ende der Ozeane" und ist noch ganz druckfrisch, denn es ist gerade erst erschienen. Man sieht bereits am Cover, dass es nicht gerade um eine frohe Botschaft geht. Latif: Ja, das ist so. Das Buch heißt "Das Ende der Ozeane" und hat noch einen kleinen Untertitel "Warum wir ohne die Meere nicht überleben werden". Hier spielt das Klimaproblem eine Rolle und auch der Ausstoß von CO2 aufgrund der Versauerung der Weltmeere. Wir haben doch hoffentlich alle im Chemieunterricht gelernt, dass CO2 und H2O zusammen H2CO3 ergibt, also Kohlensäure. Jeder weiß doch – das weiß selbst ich als Mann –, wie man Kalkflecken in der Küche wegbekommt: durch Essig, also durch etwas Saures. Im Meer leben nun einmal sehr viele Lebewesen, die Kalkstrukturen aufbauen müssen. Das prominenteste Beispiel sind die Korallen, die ja Kalkskelette bilden. Aber das gilt auch für Muscheln, für kleine Krebse wie z. B. den Krill, der ja in den arktischen und antarktischen Gewässern in Massen vorhanden ist und ganz am Anfang der Nahrungskette steht. Diese Lebewesen können einfach ihre Kalkschalen nicht mehr in ausreichendem Maße bilden, wenn das Wasser immer saurer wird. Wenn das so weitergeht, dann zeigen unsere Berechnung eindeutig, dass wir hier – und da würde ich dann dieses Wort doch benutzen wollen – wirklich auf eine Katastrophe zusteuern. Schreglmann: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann ist es also so, dass sich ein Großteil des CO2 in der Atmosphäre befindet, dass aber auch ein großer Teil davon vom Meerwasser aufgenommen wird. Dort verursacht es etwas Katastrophales für die dortigen Lebewesen, was aber für uns Menschen leider auch nicht wirklich sichtbar ist. Latif: Genau. Das ist nicht sichtbar – und das ist das Problem. Aber wir können das messen, denn die Daten sind eindeutig. Der pH-Wert der Meere ist gesunken: Das ist eben so, wenn das Wasser saurer wird, dann sinkt der pH-Wert. Wir sehen das in allen Weltmeeren, vor allem aber stellen wir das für die polaren Ozeane fest. Warum ist das so? Weil kaltes Wasser besser Gase löst und damit auch besser das CO2 löst. Deswegen messen wir die stärksten Versauerungen in den polaren Ozeanen. Aber letztlich betrifft das, wie gesagt, alle Ozeane. Das ist aber nicht das Einzige, was wir den Ozeanen zumuten, d. h. das ist nur einer der Aspekte, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Nehmen wir als weiteres Stichwort den Plastikmüll. Wir produzieren gigantische Mengen von Plastik, und ein Teil davon landet eben in den Ozeanen. Viele kennen diese schrecklichen Bilder von Schildkröten, die in irgendwelchen Fischnetzen gefangen wurden, weil sie davor elend zugrunde gegangen waren. Es gibt noch viele andere Lebewesen, die diesen Plastikmüll verschlucken, denn dieses Plastik wird im Ozean immer kleiner: durch die Wellen, durch die Reibung usw. Deswegen kann dieser Plastikmüll inzwischen auch von kleinen Organismen aufgenommen werden. Und am Ende des Tages essen wir dieses Plastik dann. Schreglmann: Das bleibt einfach in diesem Kreislauf drin. Wie lange bleibt es da drin? Latif: Das hängt von den jeweiligen Plastikprodukten ab, aber so etwas wie Angelschnüre kann mehrere Hundert Jahre im Ozean verweilen. Und deswegen sammelt sich dieser Plastikmüll auch so an in den letzten Jahrzehnten. Selbst in den entlegensten Gegenden ist das so. Meine Kollegen vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven fahren ja regelmäßig in die polaren Gewässer: Selbst an der tiefsten Stelle im arktischen Ozean haben sie bereits Plastikmüll gefunden. Das heißt: Egal wohin sie kommen, Sie finden Plastikmüll. Das ist schon fast wie das Märchen vom Hasen und vom Igel: Der Plastikmüll ist bereits da. Schreglmann: Auch wenn man Meeressäuger untersucht, findet man z. T. sehr Erstaunliches. Latif: Ja, das ist wirklich unglaublich. Ich bringe in meinem Buch das Beispiel von diesem Pottwal, der im Mittelmeer verendet ist. Als man ihn untersucht hat, fand man in seinem Magen 18 Kilogramm Plastikmüll. Schreglmann: 18 Kilo! Wie groß ist der Magen eines Pottwals? Latif: Dieser Pottwal war zehn Meter lang und deswegen wird sein Magen bestimmt einen Kubikmeter umfassen. Schreglmann: 18 Kilo! Ich merke mir das mit dem Bild von den Milchtüten: So eine Milchtüte mit einem Liter Milch wiegt ungefähr ein Kilo. Das heißt, man muss sich vorstellen, dass er das Gewicht von 18 dieser Milchtüten in seinem Magen hatte. Latif: Das kann man sich ja heute alles im Internet anschauen: Man fand in seinem Magen z. B. Plastikplanen. Man muss dazu sagen, dass es dort, wo er verendet ist, sehr viele Gewächshäuser gibt, die sehr viel Plastikmaterial verwenden: Plastikplanen, Plastiktöpfe usw. All das hat man in seinem Magen gefunden. Ich kann nur sagen: Dieses Beispiel zeigt: Plastik tötet! Das muss man einfach so deutlich sagen. Hier muss man sich dann eben auch fragen, ob da nicht der Gesetzgeber einschreiten sollte. Ich bin wirklich kein Freund von Verboten, aber die Frage ist doch, ob man wirklich so viel Plastik braucht. Schreglmann: Darüber wird ja schon nachgedacht. Latif: Ja, darüber wird nachgedacht und es gibt jetzt in der EU erste Schritte in diese Richtung: Zumindest diese ganz dünnwandigen Plastiktüten sollten verboten werden. Um es mal an meiner Person deutlich zu machen: Wir Menschen haben doch früher auch ohne Plastiktüten gelebt. Wir haben halt einen Beutel mitgenommen, wenn wir zum Einkaufen gingen. Schreglmann: Das hat vermutlich mit Gewohnheit, mit Bequemlichkeit zu tun. Latif: Deswegen will ich noch einmal darauf hinaus, dass wir nicht diese Verzichtsdebatte führen sollten: Wir verzichten auf überhaupt nichts, wenn wir mit einem Beutel zum Einkaufen gehen und nicht jede Plastiktüte haben müssen. Schreglmann: Und das Ganze kommt ja auch uns selbst zugute, denn das kommt auch unserem eigenen Schutz zugute. Ich möchte nämlich noch kurz auf den Untertitel Ihres Buches eingehen: "Warum wir ohne die Meere nicht überleben werden". Wie sieht denn dieser Bezug zu uns Menschen aus? Was könnte schlimmstenfalls passieren? Latif: Das Meer ist ja gewissermaßen eine Serviceeinrichtung für uns: Es gibt sehr viele Dienstleistungen, die das Meer für uns leistet. Die wichtigste Dienstleistung kennt ja eigentlich jeder: Das Meer erzeugt für uns kostenlos Nahrung, seien das nun Fische oder Muscheln oder Krebse usw. Ungeheuer viele Menschen auf unserem Planeten hängen direkt oder indirekt vom Fischfang in den Meeren ab. Alleine schon deshalb gäbe es eine Katastrophe, wenn die Meeresökosysteme irgendwann kippen würden. Dazu kommt aber noch etwas anderes. Zwei Punkte haben wir bereits angesprochen: die Meeresversauerung und den Plastikmüll. Es gibt darüber hinaus aber auch noch ganz andere Aktivitäten des Menschen, die Einfluss nehmen auf die Weltmeere. Ein Stichwort lautet hier "Radioaktivität". Und es gab z. B. diesen gigantischen Ölunfall im Golf von Mexiko: Den haben wir völlig vergessen, obwohl das die größte Ölpest aller Zeiten gewesen ist. Danach geschah die Katastrophe in Fukushima, also in Japan, bei der gigantische Mengen an Radioaktivität einfach ins Meer geflossen sind. Darüber hinaus gibt es atomare Anlagen wie z. B. Wiederaufbereitungsanlagen, die ständig sogenanntes "schwach radioaktives" Wasser in die Nordsee einleiten. All das merken wir zwar nicht, aber all das wird im Meer sozusagen aufsummiert und irgendwann können die Meere das nicht mehr abfedern. Schreglmann: Was könnte dann schlimmstenfalls passieren? Ich bin kein Freund von Horrorszenarien, aber ich möchte doch diesen Bezug zwischen den Meeren und den Menschen klar herausarbeiten. Latif: Was dann passiert, ist eben, dass die Nahrungsquelle "Meer" ausfallen könnte. Das würde natürlich die Ernährungssituation auf diesem Planeten dramatisch verschlechtern. Es passiert aber noch etwas, was wir sogar z. T. schon sehen können: Auch der Freizeitwert des Meeres verschlechtert sich extrem. Es kann z. B. zu Quallenplagen kommen. Ein amerikanischer Kollege von mir hat deswegen auch schon mal vom "Siegeszug" des Schleims gesprochen. Er meint damit, dass es im schlechtesten Fall nur noch schleimiges Wasser an den Küsten geben könnte, sodass man gar nicht mehr ins Wasser gehen kann: weil das Wasser erstens so verschleimt ist und weil das zweitens gefährlich ist, weil sich im Wasser dann alle möglichen Giftstoffe befinden usw. Schreglmann: Die Ozeane spielen ja auch im Klimageschehen eine große Rolle, was den Menschen aber auch oft nicht klar ist. Wieso spielen sie so eine große Rolle? Latif: Ich arbeite ja am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung und bin in erster Linie eigentlich Klimaforscher. Aber man kann das Klima nicht verstehen, ohne die Ozeane zu verstehen, denn zwei Drittel der Erdoberfläche sind mit den Weltmeeren bedeckt. Das heißt, die Weltmeere spielen eine überragende Rolle im Klimasystem. Sie sind, das wissen wir alle, vor allem wichtig für die Temperaturverteilung auf der Erde: Die Meere transportieren enorme Mengen von Wärme. Wir in Nordeuropa wissen das: Wir sind ja ziemlich weit nördlich gelegen, aber unsere Winter sind relativ milde im Vergleich meinetwegen zu genauso weit nördlich liegenden Gegenden in Kanada auf der anderen Seite des Atlantiks. Dieser Unterschied ist dem Golfstrom und seinen Ausläufern wie dem Nordatlantikstrom geschuldet. Eigentlich weiß jedes Kind, wie wichtig die Meere sind. Wenn also der Golfstrom kippen würde, dann hätte das natürlich auch dramatische klimatische Auswirkungen. Schreglmann: Warum könnte der Golfstrom kippen? Haben wir Menschen da auch unsere Finger im Spiel? Latif: Ja, da haben wir auch unsere Finger im Spiel, denn das könnte passieren durch die Eisschmelze. Wir erwärmen ja unseren Planeten zusehends: Wir stellen fest, dass die großen Eispanzer auf Grönland und auf der Antarktis tatsächlich beginnen, Masse zu verlieren; sie beginnen zu schrumpfen und es kommen gigantische Mengen von Schmelzwasser ins Meer. Das bringt in gewisser Weise den Motor für diese Golfstromzirkulation ins Stottern. Denn dessen Antrieb besteht im Wesentlichen darin, dass in den hohen Breiten wie beispielsweise im arktischen Ozean gigantische Mengen abgekühlten Wassers in die Tiefe stoßen. Das ist gewissermaßen ein gigantischer Wasserfall innerhalb des Meeres selbst. Schreglmann: Weswegen man ihn auch nicht sehen kann. Latif: Ja, den kann man nicht sehen, weil er sich unter Wasser abspielt. Aber wir können das messen. Er ist viel, viel stärker als alle Wasserfälle auf dem Land zusammen. Das ist wirklich ein gigantischer Wasserfall: Da saust dieses kalte Wasser nach unten und breitet sich nach Süden aus. Dadurch entsteht natürlich eine enorme Sogwirkung, wodurch wiederum an der Wasseroberfläche warmes Wasser aus dem Süden in Richtung Norden gezogen wird. Das ist sozusagen der obere Ast der Golfstromzirkulation. Und genau davon profitieren wir eben. Wenn dieser Motor nun ins Stottern kommt, weil es immer wärmer wird und weil vor allem immer mehr Eis schmilzt – wenn sich also die Dichte des Wassers verringert, wie wir sagen, weil es weniger schwer wird, weil es wärmer wird und weil es weniger Salz in sich hat –, dann kann eben auch diese Umwälzbewegung ins Stottern geraten. Schreglmann: Das sind sehr komplexe Zusammenhänge, aber überall steckt offensichtlich der Mensch mit seinem Verhalten mit drin. Sie sind ja auch Mitglied beim Exzellenzcluster "Ozean der Zukunft" an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel. In diesem Cluster tauschen sich Kollegen aus den verschiedensten Disziplinen zu diesem Thema aus. Unter anderem sind da auch Soziologen mit dabei: Nun könnte man sich ja fragen, was denn die Soziologen mit der Ozeanforschung zu tun haben. Latif: Diese Problematik betrifft einfach alle Bereiche des menschlichen Lebens. Wenn im Ozean etwas passiert – das gilt auch fürs Klima –, dann betrifft das uns alle: Das betrifft z. B. unsere Ernährungssituation usw. Und der Meeresspiegelanstieg betrifft auch die Weltsicherheit. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Damit sind wir automatisch bei den Sozialwissenschaften. Es geht dabei aber auch um medizinische Fragen und deswegen haben wir auch Mediziner mit dabei, die danach forschen, wie man z. B. Wirkstoffe aus dem Meer gewinnen kann. Denn an Land hat man ja im Prinzip doch schon alles einigermaßen untersucht. Was es jedoch im Meer noch so alles gibt, was man benutzen kann, das weiß man nicht wirklich. Schreglmann: Das Meer ist also nicht so besonders gut untersucht, oder? Latif: Überhaupt nicht. Aber das kann man sich ja auch gut vorstellen. Das Meer hat eine mittlere Tiefe von knapp 4000 Metern: Da kann man nicht einfach mal so hingehen und ein bisschen forschen. Ich werde nie vergessen, was uns unser Professor damals in meiner Studienzeit mal gesagt hat: "Das Meer hat keine Balken!" Und das stimmt schon, man kann da nicht einfach mal so forschen, denn das ist nun einmal ganz schwierig. Deswegen entwickeln wir ja auch immer moderne Meßsysteme, die z. T. auch autonom arbeiten. Das sind Messsysteme, die man losschicken kann und die dann von alleine arbeiten. Schreglmann: Das sind kleine Sonden, die man als U-Boote verwendet. Latif: Ja, genau. Es gibt z. B. sogenannte profilierende Driftbojen, die man aussetzt und die dann vielleicht in 1000 oder 1500 Meter Tiefe abtauchen, wo sie mit den Strömungen mitdriften. Denn man darf ja nicht vergessen, dass es auch dort unten ganz starke Strömungen gibt, obwohl man vielleicht meint, dass sich nur an der Oberfläche Strömungen ergeben. Es gibt also auch in der Tiefsee ganz starke Strömungen. Diese Bojen driften fleißig mit, sodass man dann ungefähr weiß, wie diese Strömungen verlaufen. Nach einiger Zeit tauchen diese Bojen dann wieder auf. Während sie ab- und wieder auftauchen, nehmen sie noch alle möglichen Messungen vor: Temperatur, Salzgehalt, Sauerstoffgehalt usw. Auf diese Weise versuchen wir eben, ein Bild von den Vorgängen im Meer zu bekommen. Es gibt natürlich auch Roboter – das sind ziemlich große Geräte –, die man in die Tiefe schickt. Sie sind mit einer Leine am Forschungsschiff verbunden: Sie tauchen bis zu 6000 Meter tief! Wir haben in Kiel einen Roboter, der wirklich bis 6000 Meter Tiefe tauchen kann. Er hat einen kleinen Bagger angebaut, mit dem er Proben aus dem Meeresboden holt, die wir dann wiederum untersuchen können. Er hat natürlich auch Kameras mit eingebaut: Man wundert sich wirklich, was dort unten alles los ist. In 6000 Meter Tiefe gibt es nämlich auch Fische. Die sehen zwar für unser Empfinden grässlich aus ... Schreglmann: Wie sehen die aus? Latif: Sie haben große Mäuler, riesige Zähne usw. Da geht es wirklich nicht um Schönheit, sondern da geht es ums Überleben. Wenn die mal sozusagen etwas zwischen die Kiemen bekommen, dann werden sie das nicht wieder loslassen: Deswegen haben sie so riesige Zähne. Schreglmann: Gut, dass dort unten nur Roboter sind und keine Taucher. Latif: Genau, man selbst würde nicht so gerne dort unten sein, weil man ja nie weiß, was oder wer hinter dem nächsten Eck lauert, weil man die Meere bis jetzt ja kaum erforscht hat. Es gibt z. B. auch einen sogenannten Tiefsee-Anglerfisch: Der hat seine Art, Beute zu machen, wirklich perfektioniert, denn er hat so etwas wie eine Angel auf seinem Kopf. Übrigens tragen nur die Weibchen diese Angel: Ich weiß nicht, warum das nur die Weibchen sind, aber die haben das. Das ist also so etwas wie eine Angel, die sie da auf ihrem Kopf haben, und an dieser Angel befindet sich ein Leuchtorgan. Diese Angel hängen sie sich vor ihr Maul und das Leuchtorgan leuchtet und die anderen kleinen Tierchen, die es dort unten in der Tiefe gibt, sehen das und denken sich: "Wunderbar, da muss irgendwas sei, nichts wie hin!" Aber der Anglerfisch macht dann plötzlich das Licht aus und fährt die Angel wieder hoch. Die kleinen Krabben und all die anderen Tierchen, die zu dieser "Lampe" geschwommen sind, sind dann völlig orientierungslos und schwimmen einfach ins Maul dieses Fisches. Auf diese Weise kommt also der Anglerfisch zu seiner Mahlzeit. Schreglmann: Das ist eine clevere Idee, sozusagen ein Wunder der Evolution. Und die Weibchen sind hier sogar die Vorreiter dieser Technik. Latif: Ja, genau. Schreglmann: Ich könnte Ihnen ja stundenlang zuhören, aber unsere Sendezeit neigt sich dem Ende zu. Ich habe noch eine Frage zum großen Klimageschehen und zum Zusammenhang zwischen dem CO2 und den Ozeanen. Wir haben schon darüber gesprochen, dass die Ozeane auch jede Menge CO2 aufnehmen. Aber ich habe aus Ihrem Buch auch gelernt, dass in den Tiefen der Ozeane die dabei entstehende Wärme gespeichert wird. Dort unten in der Tiefe befinden sich also nicht nur Fische usw., sondern das ist quasi auch eine Art Wärmespeicher, der irgendwann wieder "ausgespuckt" werden könnte. Latif: Ja, so ist es. Die Meere nehmen nicht nur Substanzen oder Gase wie CO2 auf, sondern auch die Wärme. Die Erderwärmung wäre an der Erdoberfläche inzwischen schon viel, viel stärker, wenn nicht die Meere pausenlos Wärme aufnehmen würden. Es ist in der Tat so, dass die Meere in den letzten Jahrzehnten ungefähr 90 Prozent der Energie aufgenommen haben, die durch die Zunahme an Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre entstanden ist. Wir pumpen also immer mehr Treibhausgase in die Luft und diese Treibhausgase absorbieren die Wärme, die von der Erdoberfläche kommt. Das ist eine gigantische Energiemenge! Die Treibhausgase strahlen diese Wärme z. T. zurück in Richtung Erdoberfläche und erwärmen dadurch die Erdoberfläche. Aber ein Großteil dieser Energie wird von den Weltmeeren aufgenommen und bleibt dann gar nicht übrig, um die Erdoberfläche zu erwärmen. Aber irgendwann werden die Meere – dies dauert allerdings viele Jahrzehnte – diese Wärme wieder an die Luft abgeben. Und deswegen müssen wir eben langfristig denken. Die Erderwärmung ist nämlich schon viel, viel weiter fortgeschritten, als wir denken, weil eben ein riesiger Pool von Wärme in den Weltmeeren gespeichert ist. Schreglmann: Herr Professor Latif, Sie sind einer der bekanntesten bzw. der bekannteste Klimaforscher Deutschlands, wie man durchaus sagen kann. Es ist schön, dass Sie bei uns waren, denn Sie haben uns dieses Thema und die Bedeutung des Ozeans sehr deutlich nahe gebracht. Herzlichen Dank dafür. Herzlichen Dank auch Ihnen fürs Zuschauen, für Ihr Interesse und bis bald. © Bayerischer Rundfunk