1 Prof. Dr. Dres. hc Christoph Markschies

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Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Prof. Dr. Dres. h. c. Christoph Markschies, Theologische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin
Ostermontag, 9. April 2012, 18 Uhr
Predigt über 1. Korinther 15,50-58
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt! Amen.
Mit der österlichen Auferstehung Jesu Christi von den Toten, liebe Oster-Gemeinde, ist es so eine Sache.
Schon die ersten Jünger, am Ostermorgen unterwegs nach Emmaus, konnten das nicht glauben, wollten
das nicht glauben. "Ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten", heißt es im heutigen
Festtagsevangelium bei Lukas. Mit anderen Worten: Die Jünger glaubten nicht einmal, als sie den
auferstandenen Herrn unmittelbar vor ihren eigenen Augen hatten. Und ganz ähnlich, liebe OsterGemeinde, verhält es sich doch mit der allgemeinen Auferstehung aller Menschen von den Toten, die
ebenfalls ganz unmittelbar zu Ostern gehört - ist doch der auferstandene Herr Jesus Christus, wie schon
der Apostel Paulus sagt, Anfang und Erstling aller jener, die von den Toten auferstehen werden am
jüngsten Tage. Auch diese Botschaft können und wollen viele Menschen nicht glauben seit den ältesten
Tagen der ersten Christenheit: Als die Athener, so schreibt Lukas in der Apostelgeschichte, den Apostel
Paulus auf dem Areopag von der Auferstehung der Toten predigen hörten, "begannen die einen zu
spotten; die andern aber sprachen: ‚Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören'" (Apg. 17,32). In
diese Tradition haben sich seither Viele gestellt, von Schopenhauer stammt beispielsweise der
spöttische Satz: "Und klopfte man an die Gräber und fragte die Toten, ob sie wieder aufstehen wollten;
sie würden mit den Köpfen schütteln". Und Bert Brecht dichtete: "Lasst euch nicht verführen! Es gibt
keine Wiederkehr. … Lasst euch nicht verführen! … Ihr sterbt mit allen Tieren Und es kommt nichts
nachher".
Wenn wir uns heute Abend, zum Ende der festlichen Kar- und Ostertage fragen, warum so viele
Menschen zu allen Zeiten die Botschaft wohl hören, ihnen aber der Glaube fehlt, dann legt uns der
heutige Predigttext aus dem ersten Korintherbrief des Apostels Paulus eine auf den ersten Blick ganz
und gar überraschende Antwort nahe - viele Menschen haben zu allen Zeiten nicht an die Auferstehung
Jesu und damit auch an die Auferstehung der Toten glauben können, weil sie darunter fälschlicherweise
die wunderbare Wiederbelebung einer Leiche verstanden haben. Eine wunderbare Wiederbelebung einer
Leiche ist schon wenig wahrscheinlich, wenn ein Mensch gerade gestorben ist, sie ist aber vollends
unwahrscheinlich, wenn er schon Jahre und Jahrzehnte gestorben ist. In seinem berühmten Abschnitt
über die Auferstehung im ersten Korintherbrief macht Paulus ganz deutlich: Auferstehung der Toten
heißt nicht wunderbare Wiederbelebung von Leichen. Was aber heißt es um Gottes Willen dann? Und
ist das dann glaubwürdiger, eher glaubhaft? Ich lese unseren Predigttext für den zweiten Osterfeiertag
aus dem fünfzehnten Kapitel des ersten Korintherbriefes, die Verse 50-58:
Das sage ich aber, liebe Brüder, dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können; auch wird
das Verwesliche nicht erben die Unverweslichkeit. Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden
nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und das plötzlich, in einem Augenblick,
zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen und die Toten werden auferstehen
unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muss anziehen die
Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit. Wenn aber dies Verwesliche
anziehen wird die Unverweslichkeit und dies Sterbliche anziehen wird die Unsterblichkeit, dann wird
erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht (Jesaja 25,8; Hosea 13,14): "Der Tod ist verschlungen
vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?" Der Stachel des Todes aber ist die Sünde,
die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn
Jesus Christus! Darum, meine lieben Brüder, seid fest, unerschütterlich und nehmt immer zu in dem
Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.
Was wir eben gehört haben, liebe österliche Gemeinde, ist nicht nur ein ungemein schwieriger, nein,
auch ein ungemein inhaltsreicher, eben ein typisch paulinischer Text, über den ich jetzt viele lange
Predigten halten könnte. Heute Abend konzentrieren wir uns allerdings lediglich auf eine einzige
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Dimension dieses reichen Textes und fragen: Was ist Auferstehung Jesu Christi von den Toten, was ist
Auferstehung von den Toten, wenn es keine Wiederbelebung einer Leiche, keine Wiederbelebung von
Leichen ist?
Denn, liebe Gemeinde, daran kann ja kein Zweifel bestehen: An Wiederbelebung von Leichen denkt
Paulus ganz gewiss nicht. Der Apostel sagt vielmehr mit aller Deutlichkeit, "dass Fleisch und Blut das
Reich Gottes nicht ererben können; auch wird das Verwesliche nicht erben die Unverweslichkeit". Das
meint eben: In der Auferstehung der Toten wird nicht einfach ein irdischer Körper wiederhergestellt mit
Fleisch und Blut, - um drastisch zu formulieren - ein irdischer Alterskörper mit Runzeln oder Falten oder
ein irdischer Jugendkörper ohne Runzeln und Falten. Auferstehung heißt nicht: Der Tod wird mal eben
rückgängig gemacht und alles ist wie zuvor.
Wenn unter Auferstehung der Toten also keine Wiederbelebung von Leichen verstanden werden darf,
liebe österliche Gemeinde - heißt Auferstehung der Toten dann Transformation von irdischen
menschlichen Körpern in irgendwelche rein geistigen, körperlosen himmlischen Wesenheiten?
Verschwinden unsere Körper vollständig und überleben lediglich unsere Seelen? Überlebt lediglich unser
Wissen, dass dieser alte Körper mit seinen Runzeln und Falten im Kern jener ist, der einmal keine
Runzeln und Falten hatte? Überlebt lediglich unser morgendliches Gefühl, dass wir noch derselbe und
dieselbe sind, die gestern Abend zu Bett gegangen sind und gute wie schlechte Erfahrungen gemacht
haben, durch gute wie schlechte Erinnerungen geprägt sind? So, liebe Gemeinde, haben das viele
Philosophen und Theologen gesehen. Sie sprachen vom Tod des Leibes, aber lehrten das Weiterleben der
Seele. Unter Auferstehung der Toten verstanden sie das alte griechische Konzept von der
Unsterblichkeit der Seele, mit anderen Worten: Unter Auferstehung der Toten verstanden sie die
Unsterblichkeit des Bewusstseins unser Identität oder Selbigkeit. Denn der schwierige Begriff Seele
meint zunächst einmal ja nichts anderes als das Bewusstsein unserer Identität oder Selbigkeit. Dieses
Bewusstsein wird zwar im Körper produziert und durch körperliche Vorgänge von Tag zu Tag getragen,
aber ist von ihnen wohl doch noch einmal zu unterscheiden.
Ist Auferstehung der Toten also, liebe österliche Gemeinde, in Wahrheit nichts anderes als
Unsterblichkeit der Seele? Paulus und andere neutestamentliche Autoren wie der Evangelist Lukas
haben das ganz bestimmt nicht so gesehen. Diese ersten christlichen Theologen waren felsenfest von
der Auferstehung des Leibes überzeugt, nicht nur vom Weiterleben irgendeines geistigen Teiles, der den
Tod des Leibes gleichsam überlebt, weil er gar nicht sterben kann. Der auferstandene Herr, dem die
Jünger auf dem Weg nach Emmaus begegnen, hat einen Körper, ist mit Seele und Leib auferstanden von
den Toten. Und Paulus lässt im fünfzehnten Kapitel seines Korintherbriefes im großen Abschnitt über
die Auferstehung, aus dem wir an beiden Osterfeiertagen Stücke gehört haben, gar keinen Zweifel
daran, dass die Auferstandenen einen Körper haben werden, dass Auferstehung leiblich gedacht werden
muss. So wie Gott Mensch wurde und in der Menschwerdung einen realen Leib angenommen hat, so
gehen wir bei der Auferstehung von den Toten nicht unseres Leibes verlustig. Kirche und Theologie
haben viel zu lange Körper und Körperlichkeit marginalisiert, zu Gunsten von Geist und Seele
minimalisiert und abgewertet, aber es gilt, was ein kluger schwäbischer Theologie im achtzehnten
Jahrhundert so zugespitzt hat: "Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes", Gott macht nicht mit bei
der Leibfeindlichkeit und Körperverachtung seiner Theologen, schon gar nicht, wenn es um das Ende
aller seiner Werke, um die Auferstehung von den Toten, geht.
Wenn wir, liebe österliche Gemeinde, dem Apostel Paulus soweit folgen wollen, stellt sich natürlich
unsere Frage vom Anfang noch einmal neu: Warum ist Auferstehung der Toten dann nicht
Wiederbelebung von Leichen, wenn wir mit Seele und Leib, mit Geist und Körper auferstehen werden?
Deswegen, so sagt Paulus, weil wir alle verwandelt werden. Weil nicht einfach unser irdischer Körper, er
sei nun jung oder alt, runzelig oder makellos, aufersteht, sondern ein verwandelter Körper. Anstelle
eines irdischen Körpers, so sagt Paulus im fünfzehnten Kapitel des ersten Korintherbriefes, wird ein
himmlischer Körper auferweckt, anstelle eines verweslichen Leibes ein unverweslicher.
Ist das glaubhaft? Kann man sich das überhaupt vorstellen? Gibt es solche unverweslichen, himmlischen
Körper? Vielleicht haben Sie, liebe österliche Gemeinde, schon einmal vom Osterfeuer in Jerusalem
gehört. Am Karsamstag warten in der Jerusalemer Grabeskirche viele hundert Menschen dicht gedrängt,
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versammelt um das leere Grab Jesu Christi. Im Grab wartet der griechisch-orthodoxe Patriarch, vor dem
Grab viele hundert Menschen und alle miteinander warten auf das Osterfeuer. Die Kirche ist ganz
dunkel, alle Lampen, alle Kerzen wurden unter Aufsicht zuvor ausgelöscht und das Grab sogar versiegelt,
damit niemand Streichhölzer oder Feuerzeuge in den vollkommen dunklen Raum hineinschmuggeln
kann. Nur der Patriarch und ein einziger armenischer Zeuge dürfen am Karsamstag um zwölf Uhr
mittags das Grab betreten. Und dann senkt sich plötzlich - so erklären das fromme Griechen - ein Feuer
vom Himmel herab und entzündet innen im Grab die Osterkerze, die der griechische Patriarch in den
Händen hält. Wunderbarerweise lodert plötzlich Feuer auf, von keines Menschen Hand entzündet. Mit
der brennenden Osterkerze in der Hand tritt der Patriarch dann aus dem Grab und gibt das Feuer an die
vielen wartenden Christenmenschen aus aller Herren Länder weiter, die in spontanen Jubel und
Begeisterung ausbrechen.
Mir geht es, liebe österliche Gemeinde, nicht um die durchaus naheliegende Frage, ob sich die
Osterkerze in Jerusalem wirklich von selbst anzündet oder der Patriarch heimlich doch ein Streichholz
aus der Tasche zieht. Mir geht es vielmehr darum, dass alle Autoren, die dieses Ereignis seit der
Spätantike bis auf den heutigen Tag beschreiben, jenes von oben kommende Feuer, das die Osterkerze
im Grab entzündet, ganz einheitlich charakterisieren. Sie sprechen von einem ganz besonderen, nicht
rötlich-goldenem, sondern bläulichen Licht. Dieses besondere, bläuliche Licht, so sagen alle Autoren, sei
das unerschaffene Licht im Unterschied zum geschaffenen Licht, das wir alle von Kerzen und
Feuerzeugen kennen. Ein unzerstörbares, besonderes, himmlisches Licht, unerschaffen, unzerstörbar.
Wie gesagt, liebe österliche Gemeinde, mir geht es nicht um die Frage, was da am Karsamstag genau in
Jerusalem passiert - ich bin weder der griechische Patriarch noch sein armenischer Zeuge, ich habe nur
einmal in der dichtgedrängten Menge vor dem Grab gestanden und bin ohnehin wegen der vielen
Menschen, die da dicht an dicht stehen, für kurze Zeit ohnmächtig geworden. Mir geht es darum, dass
es nach Ansicht aller biblischen Autoren, nach Ansicht vieler christlicher Theologen nicht nur irdische,
vergängliche und verwesliche Materie gibt, sondern auch eine unzerstörbare, unvergängliche,
unverwesliche himmlische Materie. In eine solche unzerstörbare, himmlische Materie, so glaubte Paulus
und mit ihm die ganze antike Christenheit, wird unsere irdische, zerstörbare Materie verwandelt
werden bei der Auferstehung der Toten. In die Materie der Engel, ja, in die Materie Gottes selbst.
Wenn wir, liebe österliche Gemeinde, unseren Predigttext ernst nehmen, ist Auferstehung der Toten
keine Wiederbelebung von Leichen, sondern Verwandlung in unzerstörbare himmlische Materialität, in
eine ganz besondere Leiblichkeit, in unvergängliche Körperlichkeit. Ist das aber glaubwürdiger als die
unglaubwürdige Rede von der Wiederbelebung einer Leiche? Überzeugender als das uralte Modell von
einer unsterblichen Seele? Und zeigt nicht das alljährliche Spektakel in der Grabeskirche, dass es
mindestens auf Erden solche unzerstörbare himmlische Materialität gar nicht gibt? Leichter zu glauben
als andere Interpretationen der Auferstehung ist das gewiss nicht. Aber die ersten Zeugen der
Auferstehung Jesu haben uns den Glauben an die Auferstehung Jesu Christi nun einmal so und nicht
anders überliefert. Sie haben uns die tröstliche Zuversicht weitergeben wollen, dass wir nicht einfach
zu luftigen Geistwesen werden und nach dem Tode unsere Identität verlieren, die auf dieser Erde aus
Seele und Leib, Geist und Körper besteht. Wir bleiben, so sagen es diese ersten Zeugen, auch im ewigen
Leben vor Gott, was wir hier sind: Menschen mit einem Leib, Menschen mit einem Körper. Aber wir
werden verwandelt. Verwandelt in Gottes besondere Materialität, die es schon deswegen geben muss,
weil es Gott gibt. Glaubhaft, liebe Gemeinde, ist das nur, weil wir eine solche Wolke von großen Zeugen
haben, die uns das glauben machen wollen - Paulus, Lukas und die vielen anderen ersten Christen, die
Paulus im fünfzehnten Kapitel des ersten Korintherbriefes aufzählt. Und glaubhaft ist es, liebe
österliche Gemeinde, weil uns diese festlichen österlichen Tage das Glauben an eine solche leibliche
Auferstehung, an eine Auferstehung in verwandelter Leiblichkeit leicht machen. Ja, zu Ostern fällt uns
das Glauben leicht, leichter jedenfalls als sonst. Und darum feiern wir ja auch Jahr um Jahr, Sonntag für
Sonntag Ostern. Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus
Jesus. Amen.
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