Einführung 1 GenderStudies Der Begriff >Gender< betont die sozio-kulturelle Bedeutung von Geschlecht; so ist Gender über seine Bedeutung als persönliche - d.h. immer auch körperliche - Erfahrungskategorie hinaus sowohl als kulturelle Konstruktion, als auch als soziale Institution zu verstehen. Historisch geht die Frauenforschung der Gender- und Männerforschung voraus. Die Anfänge der Frauenforschung liegen zeitlich und politisch in der Neuen Frauenbewegung ab den späten 60ern und frühen 70er J. des 20. Jhdts. Mit der damaligen Studentenbewegung verband die Neue Frauenbewegung der Wunsch nach Veränderung von Gesellschaft im Sinne einer Verbesserung der Lebensmöglichkeiten von Frauen. Mit der Psychoanalyse verbunden war die Betonung von Bewusstwerdung und emotionaler Veränderung. Das kritische Potential der Frauenbewegung ergab sich aus der Ablehnung eines weiblichen Status als Sonderstatus einer angeblich geschlechtsneutralen Normalität. So wurde an der Gleichung Menschlich = Männlich gerüttelt und die Wahrnehmung von Geschlechtlichkeit eingefordert. Mit dem 1968 in den Anfängen der Neuen Frauenbewegung entstandenen Slogan >Das Private ist politisch< wurde eine über 2000 Jahre währende Tradition des Politischen radikal kritisiert. Fragen der sog. Privatsphäre, die bisher aus einem öffentlichen Diskurs und somit einer gesellschaftlichen Neugestaltbarkeit ausgeschlossen waren Sexualität, Verhütung, Arbeitsteilung und auch Gewalt in der Familie - wurden in den (öffentlichen) Diskurs hereingeholt. Die >genderisierte< / >gendered< / >vergeschlechtlichte< / implizit männlich oder weiblich konnotierte Trennung des Privaten und des Öffentlichen steht bis heute im Zentrum des Gender-Diskurses.1 1 RIESCHER, Gisela (2002) : >Das Private ist politisch<. Die politische Theorie und das Öffentliche und das Private, In : BAUER, Ingrid, NEISSL,Julia (Hrsg.) (2002): Gender Studies, Denkachsen und Perspektiven der Genderforschung. Innsbruck : StudienVerlag Die Frauenforschung suchte nicht nur vernachlässigtes Wissen von und über Frauen in schon vorhandene Wissenschaftsbereiche zu integrieren. Es ging auch um kritische Sichtung der bestehenden Diskurse über Geschlecht ( oft nach dem Motto „Was will das Weib ?“ ), die bis zum 20 Jhdt. unter Ausschluss von Frauen aus dem Wissenschaftbetrieb produziert wurden >Definitionsmacht< >Androzentrismus< >Geschlechterblindheit< Feministische Theoriediskurse haben in wenigen Jahrzehnten einerseits unterschiedlichste wissenschaftliche Ansätze für Gender- Fragestellungen produktiv gemacht, andererseits vorherrschende Wissenschaftsparadigmen infrage gestellt und auch abgelöst. Der Objektivitätsanspruch der Wissenschaft wird kritisiert, wo die als privat verstandenen menschlichen Erfahrungen und die eigene Geschlechtlichkeit ausgeblendet bleiben. Das Erkenntnisinteresse hat sich mit der Zeit von frauenspezifischen Fragen noch mehr und expliziter auf die Verflechtungen von Gesellschaft und Geschlechterordnung insgesamt verlagert. Aber schon die frühe Frauenforschung hat Konzepte von Weiblichkeit in Relation zu denen von Männlichkeit verstanden, also Geschlecht als relationale Kategorie eingeführt. Vermehrt hat sich eine Teilnahme von Männern an diesem Diskurs entwickelt aufbauend auf der Erkenntnis, dass auch Männlichkeit als relational und geschlechtlich und nicht als Menschsein an sich aufzufassen ist.2 Frauen-, Männer- und Genderforschung sind bei all ihrer konzeptionellen Vielfalt nach wie vor kultur- und wissenschaftskritisch orientiert. Über das Erkenntnisinteresse hinaus zielt die Genderforschung auf ein Neudenken des gesellschaftlichen Systems. Dieses wird – wenn >Geschlechtersensibilität< die >Geschechterblindheit< ersetzt hat – als zentral mit geschlechtlicher Relevanz versehen erkannt. 2 Was aber auch schon in den 1970ern v.a. von den bahnbrechenden Arbeiten von THEWELEIT,Klaus (1977) : Männerphantasien, 2 Bände, Frankf.am Main eingeleitet wurde. (z.B. die Selbstverständlichkeit, mit der die „private“ Hausarbeit aus der Ökonomie ausgeklammert wird) Gender ist also auch als ein möglichst effektives Werkzeug der Gesellschaftskritik konzipiert. "Seine wesentliche Kraft hat zudem, wie es die amerikanische Historikerin Joan W. Scott in ihrem Aufsatz "Über die Zukunft von Gender (2001) formuliert, "immer in der Weigerung bestanden, den Status quo zu bedienen". 3 Das beinhaltet notwendigerweise Aussagen über Ungleichheit und Macht. Gerade diesbezüglich war Frauenforschung immer schon Geschlechterforschung - in dem Sinn, dass eben das (patriarchale) Arrangement der Geschlechter betrachtet wurde – von der Herausbildung eines historisch - gesellschaftstheoretischen Konzepts vom (modernen) Geschlechterverhältnis bis zur Analyse von Liebe, Abhängigkeit und Macht. Genderforschung ersetzt nicht die Frauenforschung; es kommt auf Blickwinkel und Fragestellung an. Die Fokusierung auf Frauen- und Männerforschung ist wesentlich - aber nicht erschöpfend - auf das Geschlecht der Forschenden und auf geschlechtsspezifische Thematiken ( wie z.B. Wechseljahre ) zurückführbar. Historisch gesehen gab es jahrhunderte lang fast nur „Männerforschung“ besonders in der Moderne durch den Ausschluss von Frauen aus den neuen ( mechanistischen ) Wissenschaften. Entsprechend der Ablösung von der Erklärungskraft der Kirche ( Aufklärung ) übernahm die moderne Wissenschaft auch die Definition der Geschlechterordnung – nun nicht mehr als gottgegeben, sondern als Naturgesetz. Diese Definitionsmacht war exklusiv männlich - in dem Sinne, dass sie von Männern ausübt wurde und der Dominanz von Männern diente. Und auch wenn Frauen - v.a. in der ersten Hälfte des 20. Jhdts -Zugang zu bürgerlichen Rechten wie Wahlrecht und Bildung erreicht haben, ist die „Macht 3 BAUER, Ingrid, NEISSL,Julia (Hrsg.) (2002): Gender Studies, Denkachsen und Perspektiven der Genderforschung. Innsbruck : StudienVerlag, S.14 immer noch männlich“ – jedenfalls in Relation mit dem heutigen Machtpotential von Frauen, die Welt zu strukturieren – d.h. Hierarchien aufzubauen, lange Handlungsketten zu kontrollieren, Werte zu schaffen, Wahrnehmungen zu strukturieren und Wahrheiten zu (er)finden. Und daran scheint sich im Grunde auch nichts wesentlich zu ändern. „Das männliche Machtkartell verlagert sein Gewicht, sobald Frauen sich einen Bereich erobert haben“. 4 Also bei jeglicher geschlechtsdifferenzierenden Betrachtung begegnet uns das bekannte Gleichheitsdilemma, wonach Ungleichheit fortgeschrieben wird, wenn Ungleiches gleich behandelt wird. Es ist nicht dasselbe, wenn Männer über Mädchen und Frauen oder Frauen über Buben und Männer forschen. Die Vorstellung eines geschlechtsneutralen und außerhalb jeglicher gesellschaftlicher Verhältnisse stehenden Forschungssubjekts ist obsolet. Die eigene Positionierung im Geschlechtersystem wird in den Reflexionsprozess miteinbezogen - für Männer die >patriarchale Dividende< ( Robert Connell ) - für Frauen die strukturelle Benachteiligung. Frauen- und Männerforschung sind nicht im Rahmen des polarisierenden modernen Systems von (2-)Geschlechtlichkeit zu verstehen – also nicht als ein Konkurrenzunternehmen. Im Gegenteil – gemeinsam ist ihnen eine Absage an ein Verständnis des Geschlechterverhältnisses, in dem Männer und Frauen monolithische Einheiten sind, die in binärer Opposition zueinander stehen. Gemeinsame Basis ist auch die Kritik und Zurückweisung der selbstverständlich vorgenommenen Gleichsetzung des Männlichen mit dem AllgemeinMenschlichen. Sie betrachten Männer so wie Frauen als >Geschlechtswesen< und kritisieren das Konzept einer vorgeblichen Geschlechtsneutralität. So vertreten beide die These, Geschlecht sei eine zentrale Strukturkategorie zur Analyse von Gesellschaft. Der bezeichnende wissenschaftliche Begriff dafür ist Gender. 4 Kreissl, Reinhard (2000) : Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist. München : Droemer Verlag, aus dem Klappentext Gender hat sich seit den 1990ern auch im dt. Sprachraum als wissenschaftlicher Begriff etabliert, nachdem er sich - gerade durch seinen Fächer- und Ländergrenzen überschreitenden Charakter – zu einer Schlüsselkategorie in den neuen ( postmodernen ) internationalen Debatten entwickelt hat v.a. zu - Identität ( Seyla Benhabib, Judith Butler, Joan W. Scott..), - Körper/Natur ( Barbara Duden, Paul Virilio, Donna Haraway, , Pierre Bourdieu,..), - Sexualität ( Michel Foucault, Thomas Laqueur, Gesa Lindemann ..) Genderforschung nimmt sich das gesamte Geschlechtersystem zum Thema – auch und gerade in kritischer – auch wissenschaftskritischer 5 Sicht. Geschlechterblindheit und klischeehafter Reduktionismus wird aufgezeigt und hinterfragt. Entsprechend der Komplexität des Themas wird inter- / trans- / oder multidisziplinär gearbeitet. Es gilt die Verwobenheit der individuell persönlichen, sozialen und kulturellsymbolischen Dimensionen aufzuzeigen. In der Einführung zu Genderstudien von Braun, Christina v. / Stephan, Inge (Hg.) (2000) sind z.B. 17 wissenschaftliche Fächer vertreten – von der Geschichtswissenschaft bis zur Rechtswissenschaft, – den Naturwissenschaften bis zur Psychoanalyse, – der Agrarwissenschaft bis zur Informatik, – der Philosophie bis zur Ökonomie, – etc… Biologie und Psychologie kommen bezeichnenderweise nicht vor in dieser Auflistung, 5 Feministische Wissenschaftskritik zur Biologie : Anne Fausto-Sterlin; Barbara Orland, Elvira Scheich,… Esther Harding, Evelyn Fox Keller.. und aktuell : Schmitz, Sigrid (2002) : Hirnforschung und Geschlecht (S. 109-125). In : Bauer, Ingrid & Neissl, Julia (Hrsg.) (2002) : Gender Studies. Denkachsen und Perspektiven der Geschlechterforschung, Innsbruck : Studienverlag die Fächer, die für die alte Geschlechtsunterschiedforschung zentral waren. Beide Fächer gelten der Genderforschung als Leitwissenschaften, die vorrangig das moderne kulturelle Geschlechtersystem stützten und legitimierten. Zur Psychologie : Eine psychologische Geschlechtsunterschiedforschung gibt es etwa ab 1900. Sie wurzelt - ebenso wie die Erforschung der sog. Rassencharaktere - in einer reaktionären Wissenschaftstradition, d.h. soziale Machtverhältnisse finden durch ein angeblich >natürliches< SoSein eine erschöpfende Erklärung = Legitimierung. Francis Galton bewies in diesem Sinne durch Messungen an fast 10 000 Personen die natürliche Überlegenheit britischer Männer sowohl ihren Frauen, als auch anderen Rassen gegenüber.6 Die Geschlechterforschung war - bis in die 1980erJahre in den USA und den 1990erJahren im deutschen Diskurs - v.a. auf Geschlechtsunterschiede ausgerichtet. Die psychologische Geschlechtsunterschiedforschung reproduzierte die traditionellen Geschlechterklischees, da sie historische und gesellschaftliche Zusammenhänge unreflektiert ließ. Eleonor Maccoby & Carol Jacklin zeigten dies in ihren Sekundäranalysen (1974 und 1980 ) von hunderten Untersuchungen von psychologischen Geschlechtsunterschieden auf. Die in dieser Geschlechtsunterschiedsforschung einzig haltbaren Ergebnisse (quantitativer Untersuchungen), die im Geschlechtervergleich (durchschnittlich) größere Aggression der Buben (ab dem 3. Lebensjahr) und (durchschnittlich) größere Ängstlichkeit der Mädchen (ab dem 8. Lebensjahr), konnten in einer Diskussion, die gesellschaftliche Umstände mit ein bezog, nicht mehr glaubwürdig biologistisch erklärt werden. Durch die Vernetzung der traditionell akademischen Geschlechterforschung mit der Frauenforschung wurden auch Machtverhältnisse in den wissenschaftlichen Forschungsbereich miteinbezogen. 6 Hagemann-White, Carol (1984) : Sozialisation : Weiblich – männlich ? . Opladen : Leske&Budrich Verlag, S.9 >Gewalt gegen Frauen< wurde als >strukturelle Gewalt< ( Johan Galtung ) unseres vorherrschenden Geschlechtersystems erkannt. Als sexistische Gewalt wurde sie in ihren mannigfachen Erscheinungen und in den unterschiedlichsten Bereichen - nicht zuletzt dem familiären und intimpersönlichen - untersucht. Die >Naturalisierung< der Geschlechterdifferenz selbst kam in den Blick wissenschaftskritischer Betrachtung.7 Der >Entzug von Geschichte< durch Dehistorisierung und Naturalisierung wurde als Strategie von Geschlechterpolitik verstanden, da etwas Naturgegebenes so wie etwas Gottgegebenes nicht als veränderbar erscheint. Naturalisierung und Essentialismus wird eine theoretische Absage erteilt; ebenso wie Laborexperimenten. Mit neuen wissenschaftlichen Paradigmen wird versucht der Komplexität und Kontextabhängigkeit des Themas des Geschlechtlichen Rechenschaft zu tragen. Dazu Roland Barthes, seit den 1960ern international bekannt durch seine „Mythen des Alltags“ : „…, dass das Hauptproblem der modernen Epistemologie ( = Wissenschaftslehre, Erkenntnistheorie) die Komplexität ist. Ob in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, in der Linguistik oder in der Soziologie, die Aufgabe besteht heute weniger darin, einfache Grundsätze aufzustellen, als vielmehr Verknüpfungen, Übertragungen, Umkehrungen, Beimischungen, Ausnahmen, Paradoxe, Listen beschreiben zu können : eine Aufgabe, die sehr schnell eine kämpferische Gestalt annimmt, da sie eine reaktionäre Kraft angreift : die Reduktion.“ Roland Barthes schreibt, er sei „erfreut, dass die heute am meisten beachtete Wissenschaft, die Biologie, Bürgschaft leistet für eine sehr zeitgemäße Empfindung, die der Lücke, des Risses, des Bruches, einer Rationalität, die nicht mehr durch das Bild einer >fadenartigen< Kausalität vermittelt wird“. 8 7 Siehe: KELLER Evelyn Fox, SCHEICH Elvira, SCHIEBINGER Londa.... Barthes, Roland (2003) : Chronik. Berlin : Merve Verlag, S.14 Ausgangpunkt seiner Überlegungen ist dabei die Biologie mit dem Thema der „Diskontinuität des Nervennetzes“. 8