Kampfsport als Mittel der Intervention bei aggressiven und

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Pädagogik
Miriam Lißmann
Kampfsport als Mittel der Intervention bei
aggressiven und delinquenten Jugendlichen
Diplomarbeit
Vorwort
Vorwort
Es kommt immer häufiger in den Medien zu Berichten, dass Jugendliche durch
besonders brutale Gewalt auf sich aufmerksam machen. Nicht nur Berichte
lassen die Annahme aufkommen, dass die Jugendgewalt zu einem immer
größeren Problem wird, sondern Sendungen wie „Die Mädchen-Gang“ (RTL2)
und „Teenager außer Kontrolle“ (RTL) geben praktische Beispiele für
unkontrollierbare Aggressionen und die Überforderung der Jugend. Die
Aktualität der Problematik nimmt die Gesellschaft in die Verantwortung zu
handeln und für geeignete Intervention und Prävention zu sorgen. Viele
unterschiedliche Projekte finden den Weg in die Medien, jedoch aufgrund der
Vielzahl ist fragwürdig, welche sich als wirkungsvoll erweisen. In Anbetracht
dieser Problematik werde ich in meiner Diplomarbeit die Grundlagen der
Entstehung von Verhaltensstörungen und spezifiziert von Aggressionen
zusammentragen, sowie die juristische Seite vorstellen. Um dann den Begriff
der Prävention näher zu betrachten. Durch diese Erkenntnisse lassen sich
Rückschlüsse auf eine erfolgreiche Intervention schließen. Zuletzt werde ich
auf bestehende Projekte, mit Schwerpunkt auf Boxen, aufmerksam machen, die
den Jugendlichen mit unterschiedlichen Ansätzen neue Perspektiven bieten.
Somit werde ich mich mit folgenden Fragen auseinandersetzen:
Wann spricht man von auffälligem Verhalten?
Was sind Aggressionen und wie entstehen sie?
Wie äußert sich delinquentes Verhalten?
Welche präventiven Maßnahmen existieren?
Was kann aggressionsbereiten Jugendlichen helfen?
Was muss eine erfolgreiche Intervention leisten?
Was müssen Projekte neben dem Training anbieten?
1
Verhaltensstörungen
1. Verhaltensstörungen
Das abweichende Verhalten, ob es nun Delinquenz oder Aggressionen
beinhaltet,
ist
ein
Ausdruck
von
Verhaltensstörungen.
Jeder
Verhaltensänderung liegen Ursachen zugrunde, denen nachgegangen werden
muss. Somit werden im ersten Kapitel der Begriff der Verhaltensstörung, sowie
die Erscheinungsformen, erläutert, darauf hin werden die Ursachen
abweichenden Verhaltens behandelt.
1.1. Begriffsbestimmung Verhaltensstörung
Kinder und Jugendliche mit auffälligem Verhalten wurden in der
Vergangenheit mit wechselnden Begriffen definiert: „entwicklungsgehemmt,
entwicklungsgestört, erziehungsschwierig, fehlentwickelt, führungsresistent,
gemeinschaftsschwierig, integrationsbehindert, neurotisch, psychopathisch,
schwererziehbar, schwersterziehbar, verwahrlost, verwildert“ (Myschker 2009,
S.44).
Arno Fuchs ist der erste Sonderpädagoge, der den Fokus auf „leicht und
vorrübergehende“ (Fuchs 1930, S.7) Verhaltensauffällige lenkt. Seine
pädagogische Sicht stuft die Auffälligkeiten im Verhalten als korrigierbar ein,
jedoch mit dem Ursprung beim Kind bzw. beim Jugendlichen. Heinrich
Hanselmann
differenziert
zwischen
ausgabeabwegigen
Entwicklungsgehemmten, die durch ihre Anlagen beeinträchtigt sind und
Kindern, die durch eine ungünstige Umwelt (vgl. Hanselmann 1954, S.80)
erzogen werden. Er unterscheidet drei Kategorien auffälliger Kinder:
körperlich,
seelisch
Beeinträchtigungen
und
sich
geistig
nochmals
Beeinträchtigte.
in
Wobei
geistige
Aufnahmegeschädigte
und
Verarbeitungsschwache aufteilen. Nicht durchgesetzt hat sich der Begriff
„integrationsbehindert“ (vgl. Lauckert 1969), obwohl er die Schwierigkeit der
sozialen und personalen Integration in die Gemeinschaft als von der Umwelt
2
Verhaltensstörungen
behindert herausstellt (vgl. dazu Kluge/Vosen 1975). Jedoch impliziert die
„Behinderung“ auch einen überdauernden Faktor, welcher irreversibel ist. Die
Begriffe verhaltensauffällig und verhaltensgestört haben sich auf Grund ihrer
neutralen Wertung und der interdisziplinären Verständlichkeit durchgesetzt
(vgl. Myschker 2009, S. 44-46). Auf dem 1. Weltkongress für Psychiatrie in
Paris wurden die Begriffe für alle „Abwegigkeiten und Handlungen und
Haltungen von den einfachsten Ungezogenheiten, dem Ungehorsam, dem
Jähzorn, den Tics, den Ess- und Schlafstörungen bis zu den schwersten Formen
der Verwahrlosung und Kriminalität“ festgelegt (Wiesenhütter 1964, S.138).
Zur weiteren Differenzierung zwischen abweichendem Verhalten und
situativem
oder
passagerem
Ungehorsam
sind
die
Dauer,
die
Rahmenbedingungen und die Motivation zu betrachten. Es wird erst von einer
Verhaltensstörung
ausgegangen,
wenn
das
abweichende
Verhalten
längerfristig, in unterschiedlichen Situationen und nicht beabsichtigt auftritt
(vgl. Goetze 2001, S.102).
Der Oberbegriff „Verhaltensstörung“ lässt sich nicht nur in pädagogische,
sondern auch medizinisch-psychologische und juristische Subtermini gliedern.
In medizinisch-psychologischer Begrifflichkeit teilt sich der Begriff der
Verhaltensstörungen in Neurosen, Psychosen, Aufmerksamkeits-DefizitHyper-/Hypo-Aktivitäts-Störung (ADHS) und Hirnstörungen. Auf juristischer
Seite spezifizieren sich die Begriffe der Verwahrlosung (JWG, bis 31.12.90),
der seelischen Behinderung (§39, §40, §3 VO §47 BSHG, §35a SGB VIII und
SGB IX) und der schädlichen Neigung/Kriminalität (JGG) in Subtermini für
Verhaltensstörungen. Mit dem Kennzeichnen abweichenden Verhaltens soll
keine Stigmatisierung erwirkt werden, vielmehr geht es darum dem
Betroffenen durch Intervention und entsprechende Maßnahmen Hilfestellung
zu leisten und eine soziale Integration zu ermöglichen. Allgemein lassen sich
Verhalten in adäquat übernommene und fehlgeleitete Verhaltensmuster
gliedern. Adäquat übernommene Verhaltensweisen dienen der Entwicklung des
Kindes und dessen Sozialisation. Hingegen können Verhaltensmuster auch zu
Fehlinterpretationen der Umwelt und zu unangebrachten Emotionen führen,
was sich durch unangepasstes und unsozialisiertes Verhalten ausdrückt. Darauf
bezogen
kann
man
„Verhaltensstörung“
3
wie
folgt
definieren:
Verhaltensstörungen
„Verhaltensstörung
ist
ein
von
den
zeit-
und
kulturspezifischen
Erwartungsnormen abweichendes maladaptives Verhalten, das organogen
und/oder milieureaktiv bedingt ist, wegen der Mehrdimensionalität, der
Häufigkeit
und
des
Schweregrades
die
Entwicklungs-,
Lern-
und
Arbeitsfähigkeit sowie das Interaktionsgeschehen in der Umwelt beeinträchtigt
und ohne besondere pädagogisch-therapeutische Hilfe nicht oder nur
unzureichend überwunden werden kann“( Myschker, 2009, S.49).
1.2. Erscheinungsformen und Symptome
Die Erscheinungsformen von Verhaltensstörungen sind sehr individuell. Ob die
Erscheinungsform als Symptom oder sogar alleine als Störung angesehen wird,
kommt auf die Disziplin an, welche sie gerade betrachtet. Die Liste der
Symptome ist lang, jedoch gibt es Kombinationen, die besonders auf zeit- und
geschlechtsspezifische Besonderheiten, sowie gesellschaftsformübergreifende
Gruppierungen
schließen
externalisierendes,
lassen.
Die
aggressiv-ausagierendes,
Symptomatik
wird
internalisierendes,
durch
ängstlich-
gehemmtes, sozial-unreifes und durch sozialisiert-delinquentes Verhalten
klassifiziert. Externalisierte Symptome sind nach außen, gegen die Umwelt
gerichtete Handlungen wie z.B. die Aggressivität. Es leiden bevorzugt Jungen
an diesen Symptomen. Kinder und Jugendliche mit internalisiertem Verhalten
zeigen Symptome wie Ängstlichkeit. Ihre Handlungen richten sich gehemmt
gegen sich selbst und werden daher schlechter erkannt, da die Umwelt nur
wenig gestört wird. Diese Symptomatik tragen Mädchen zu einem größeren
Teil als Jungen. Sozial-unreifes Verhalten zeigt sich unter anderem durch nicht
altersadäquatem Auftreten wie Sprachstörungen oder Leistungsschwäche (vgl.
Kämmerer in Myschker 2009, S.56f). Sozialisiert-delinquente Störungen
zeigen sich vor allem durch niedrige Hemmschwelle, leichte Reizbarkeit sowie
eine hohe Risikobereitschaft (vgl. Thalmann 1971, S.113-114).
Um Verhaltensstörungen in ihrem Auftreten und ihrer Ausprägung
diagnostizieren
zu
können,
haben
4
sich
zwei
Klassifikationssysteme
Verhaltensstörungen
durchgesetzt. Das DSM-IV („Diagnostic and Statistical Manual of Mental
Disorders”; in deutscher Version “Diagnostisches und Statistisches Manual
Psychischer Störungen” Entstehung 1994) der „American Psychiatric
Association“ (APA) und der ICD-10 („International Classification of Diseases,
Chapter V (F): Mental and Behavioral Disorders- including disorders of
psychological
development“;
in
deutscher
Version
„Internationale
Klassifikation psychischer Störungen, Kapitel V (F)“ Entstehung 1893) der
„World Health Organization“ (WHO). Beide Klassifikationssysteme dienen der
Medizin, der Psychologie und der Pädagogik zur Diagnostik von
Verhaltensstörungen und deren Ausprägung. Beide Systeme sind multitiaxial
und stellen die Symptome auf fünf Achsen dar. „Mit der ersten Achse werden
die klinischen Syndrome und Störungen sowie Entwicklungsstörungen, mit der
Zweiten Persönlichkeitsstörungen und (im DSM-IV) Geistige Behinderung,
mit der Dritten medizinische Krankheitsfaktoren bzw. körperliche Symptome
und
Zustände,
mit
der
Vierten
psychosoziale
Belastungen
oder
umgebungsbedingte Faktoren und mit der fünften Achse in globaler
Beurteilung das psychosoziale Funktionsniveau erfasst“ (APA 1996, S.17-27).
Das DSM-IV hat gegenüber dem ICD-10 Vorteile, da es die Symptome durch
seine Differenziertheit besser erfasst. Es umfasst 1000 Kriterien und 395
Störungen. Gerade in Bezug auf die Kooperation zwischen dem schulischen
und außerschulischen Bereich stellt es ein wichtiges Mittel der Kommunikation
zwischen psychiatrischer Diagnose und sonderpädagogischer Diagnostik dar.
Des Weiteren ist die Validierung zwischen wahrgenommenen Symptomen und
den gut differenzierten Störungskriterien hilfreich bei der Einordnung der
Diagnose. Schwachstellen weist der DSM-IV in der unpräzisen Kategorie
„Sonstiges“ auf. Diese zeigt auf, dass es nicht alle vorkommenden Fälle
vollständig erfassen kann. Auf Grund einer psychiatrischen Diagnose durch
dieses Klassifikationssystem kann jedoch keine pädagogische Maßnahme, die
danach verstärkt erfolgen muss, abgeleitet werden (vgl. Goetze 2001, S.70ff).
Eine „Störung des Sozialverhaltens“ wird durch den DSM-IV definiert, wenn
„grundlegende
Rechte
anderer
und
wichtige
altersentsprechende
gesellschaftliche Normen oder Regeln verletzt werden“ (APA, S. 123). Es
werden vier übergeordnete Bereiche herausgestellt, die sich in der Form des
5
Verhaltensstörungen
aggressiven Verhaltens und im Ziel der Handlung unterscheiden. Die erste
Differenzierung bezieht sich auf aggressives Verhalten, welches gegenüber
anderen Menschen und/oder Tieren ausgeführt wird. Dieser Typ bezieht sich
auf antisoziales Verhalten, welches sich sowohl körperlich als auch verbal
ausdrücken kann z.B. durch schlagen oder drohen. Es wird auch jede Form der
Tierquälerei mit einbezogen. Eine weitere Kategorie bezieht sich auf die
Zerstörung von Eigentum. Es werden alle Formen des beabsichtigten und auch
versehendlichen Vandalismus einbezogen. Der zerstörerische Umgang mit
fremdem Eigentum und die darauf bezogene Rücksichtslosigkeit sind
charakteristisch für Jugendliche mit hohem Aggressionspotential in diesem
Bereich. Diese Verhaltensauffälligkeit muss sich nicht immer körperlich oder
verbal aggressiv äußern, wie es im dritten übergeordneten Bereich dargestellt
ist. Die Rede ist von Unehrlichkeiten, Betrug oder Diebstahl. Es ist nicht
selten, dass Jugendliche scheinbar sinnlos stehlen. Entweder kann nichts mit
dem Gegenstand angefangen werden (z.B. Billardqueue)
oder die Gefahr
erwischt zu werden ist unrealistisch hoch (z.B. Fernseher im Elektrogeschäft).
Trotz des Ertappens bei der Tat wird diese noch vereitelt oder verleugnet. Der
letzte Bereich umfasst etwas allgemeiner die schweren Regelverletzungen. Oft
treten diese Verhaltensweisen vor dem dreizehnten Lebensjahr auf und äußern
sich nicht nur im Elternhaus, sondern auch im Schul- und Freizeitbereich.
Besonders bedenklich ist die geringe Angsttoleranz vor waghalsigen
Situationen, z.B. wenn Jugendliche Autos klauen und dieses im Straßenverkehr
nutzen. Auf alle Bereiche zutreffenden Charakteristika sind die fehlende
Empathie und die Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen und Dingen.
Die Absichten anderer werden als feindselig eingeschätzt und zu Unrecht
geäußert. Jugendliche mit einer Störung im Sozialverhalten zeigen zumeist ein
selbstsicheres Auftreten, jedoch wird ein verdecktes Minderwertigkeitsgefühl
dahinter vermutet (vgl. Adam/Peters 2003, S. 65ff).
6
Verhaltensstörungen
1.3. Entstehung von Verhaltensstörungen
Durch die multifaktoriellen Bedingungen, die auf Kinder und Jugendliche
wirken, lässt sich nur individuell und selten ein einzelner Störfaktor für die
Entstehung von abweichendem Verhalten feststellen. Alle Bereiche des Alltags
wirken auf das Verhaltensrepertoire ein und können Störungen oder
Entwicklung zur Folge haben. „Die Einwirkung durch die Familie ist
naturgemäß am größten“ (vgl. Myschker 2009, S.89), doch haben die Anlagen
bzw. die Selbstbestimmung sowie alle Bezugspersonen außerhalb der Familie
(Hort, Kindergarten, Schule, Großeltern etc.) einen bedeutenden Einfluss auf
die Entwicklung eines Kindes. Mit zunehmendem Alter spielen Medien und
die Peer-Group eine immer entscheidendere Rolle.
„Das Drei-Phasen-Modell der Genese von Verhaltensstörungen“ beschreibt in
drei Schritten die Ätiologie von Verhaltensstörungen. In der Anfangsphase
relativer Plastizität wirkt eine Problemkonstellation beeinträchtigend auf das
Kind ein. Diese können individuell, durch die einströmenden Faktoren, wie
Anlage, Umwelt und Selbstbestimmung, unterschiedliche Auswirkungen
haben. Ob negative Faktoren auch zu einer Verhaltensauffälligkeit oder störung führen, ist personenabhängig. In einer zweiten Phase werden
maladaptive Verhaltensweisen ausgeformt. Der Begriff „Abweichendes
Verhalten“ kann in vielerlei Hinsicht gebraucht werden, es ist aber
festzustellen, dass es nur sichtbare Symptome beschreibt. Diese Symptome
sollten erkannt werden bevor es zu einer Endphase kommt, in der eine
Habitualisierung, also eine Automatisierung, der Verhaltensstörung stattfindet
(vgl. Myschker 2009, S.89-90).
Es existieren nur individuelle Erklärungsansätze um die Ätiologie der
Verhaltensstörungen erklären zu können. Dies kann nur interdisziplinär
geschehen. Im fortlaufenden werden die bedeutendsten Theorien der Medizin,
der Psychologie, der Soziologie und der Pädagogik vorgestellt.
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