479 Vorbemerkungen – Mundflora – Gesichtshaut Gesichtshaut – Mundhöhle Vorbemerkungen Die Infektionskrankheiten der oro-fazialen Region werden nach der anatomischen Lokalisation bezeichnet und bevorzugt unter Berücksichtigung des Erregers eingeteilt. Die Mundhöhle im engeren Sinne umfasst den Raum hinter der Zahnreihe. Gesichtshaut Lippen Zunge Speicheldrüse Zahnfleisch Zahnhalteapparat Zahn Gaumen- und Wangenschleimhaut Waldeyer-Rachenring Epiglottis Gaumentonsille Dermatitis mit verschiedenen Varianten: Furunkel, Staphylodermien, Streptodermien u.a. Cheilitis Glossitis Sialadenitis Gingivitis Parodontitis Karies Stomatitis Angina Epiglottitis Tonsillitis Man unterscheidet Infektionskrankheiten der Gesichtshaut sowie der verschiedenen Regionen der Mundhöhle, die von Schleimhaut ausgekleidet werden. Die Infektionen im Gesichtsbereich entsprechen meist den üblichen Hauterkrankungen anderer Körperregionen. Es kommen aber auch charakteristische Infektionskrankheiten vor, die auf anatomische Besonderheiten zurückzuführen sind: – Talgdrüsenreiches Gewebe ist die Grundlage für Seborrhö und Akne. – Haarfollikel sind häufig Ausgang von Infektionen, wie z. B. Follikulitis, Furunkel und Karbunkel. – Innervation: Entlang der Äste des N. trigeminus können sich Varizellen/Zoster-Viren ausbreiten und einen Zoster ophthalmicus auslösen. – Der örtliche Übergang in verschiedene benachbarte Schleimhäute (Lippen, Mundhöhle, Nasenhöhle, Konjunktiven) erlaubt die lokale Ausbreitung einer Infektionskrankheit (Herpes-simplex-Virusinfektionen). Die Infektionskrankheiten der Lippen und Mundhöhlen zeigen auch eigenständige Krankheitsbilder, die mit anatomischen Besonderheiten, bzw. mit der mikrobiellen Besiedelung (Mundflora) zusammenhängen: Taschen in der Umgebung der Zähne (Plaquebildung), Tonsillen (= Tonsillitis), Exposition gegenüber physikalischen, mechanischen und chemischen Noxen (aktinische Lippenentzündung). Mundflora Die Mundhöhle wird – nach neuesten Schätzungen – von über 700 verschiedenen Keimarten besiedelt, die unter normalen Bedingungen (keine Krankheitszeichen) die normale Mundflora darstellen. Verschiedene Organstrukturen (Tonsillenkrypten, Zungenoberfläche, Zahnplaques) bilden Mikrobiotope. Täglich kommen mit der Nahrung neue Keime in die Mundhöhle. Das immunologische System schützt die Region vor einer Kolonisation (Aufnahme in die Standflora). Leitkeime sind vergrünende Streptokokken, Staphylokokken, Corynebakterien, und Neisserien. Unter den gramnegativen Keimen sind die Gattungen Bacteroides, Prevotella, Fusobakterien, Porphyromonas, Leptotrichia und andere zu nennen. Zu den grampositiven Bakterien gehören Actinomyces, Bifidobacterium, Lactobacillus, Propionibacterium und Peptostreptococcus. Von klinischer Bedeutung ist, dass durch den Zucker in der Nahrung die metabolische Aktivität der Bakterien (Kariesbildung) erhöht wird. Die verschiedenen Keime leben in einem Gleichgewicht, das unter pathologischen Bedingungen (mangelnde Mundhygiene, Immunstörungen, Antibiotikabehandlung, Diabetes mellitus, Kortisontherapie) verschoben werden kann. Bei einem zahlenmäßigen Überwiegen eines bestimmten Keimes, kann dieser pathogene Eigenschaften zeigen und zu einer opportunistische Infektion führen. Dieser Zustand liegt bevorzugt bei einer Immunstörung (Immunsuppression) vor und gewinnt durch die HIV-Infektion (AIDS) an Bedeutung. 1 Gesichtshaut Verschiedene Infektionskrankheiten treten in der Haut der Gesichtsregion auf; dabei kann es sich um bakterielle, mykotische, parasitäre oder virale Erkrankungen handeln. Sie können isoliert oder im Rahmen einer generalisierten Infektionskrankheit (z. B. bei den klassischen exanthematösen Kinderkrankheiten) vorkommen. 1.1 Infektionskrankheiten durch Bakterien 1.1.1 Staphylokokkenbedingte Infektionskrankheiten Der häufigste Erreger ist Staphylococcus aureus. Er kommt bei folgende Hautinfektionen vor: • Impetigo staphylogenes. Es handelt sich um eine oberflächliche Entzündung, die bevorzugt bei Kindern vorkommt. Betroffen sind die periorale Region, Nase und Ohren. Die primären Formen entstehen in einer vorher normalen Haut, die sekundären Formen treten – als Impetiginisierung – bei Neurodermitis, Konjunktivitis, Otitis media oder bei Epizoonosen auf. Typisch sind Blasen mit einem serösen Inhalt, die in eine Pustel übergehen. Geplatzte Blasen werden von einer »lackartigen 480 Kruste« bedeckt. Der Prozess breitet sich ringförmig aus mit Abheilung der zentralen Partien. • Follikulitis. Im Bereich eines Haarfollikels kommt es zu einer eitrigen Reaktion, die sich als gerötete, schmerzhafte Papel manifestiert. Sonderformen kommen im behaarten Bereich (Kopfhaut, Bartregion) vor. • Furunkel – Karbunkel. Die Staphylodermia follicularis profunda bezeichnet man als Furunkel, ein Zusammenfließen mehrerer Furunkel als Karbunkel (bevorzugt im Nackenbereich). Die Entzündung geht vom Haarfollikel und den Talgdrüsen aus und greift auf das perifollikuläre und subkutane Fettgewebe über. Neben der eitrigen, liegt auch eine nekrotisierende Entzündungskomponente vor. Durch Exazerbation einer Follikulitis oder eines Furunkels in der Lippenhaut kann es zu einer akuten ektropionierenden bakteriellen Cheilitis kommen, die durch ein ausgeprägtes, nässend-krustöses Ödem gekennzeichnet ist. Eine besondere Rolle spielt der Nasenfurunkel, der ausschließlich durch Staphylococcus aureus hervorrufen wird. Die Bedeutung liegt in der Lokalisation der Infektion: Sie kann als eitrige Thrombophlebitis auf die Vena angularis übergreifen und sich auf den Sinus cavernosus ausbreiten. Schwere entzündliche und kreislaufbedingte Veränderungen (Meningitis, hämorrhagische Infarzierung der Hirnrinde) können die Folgen sein. Zur Behandlung werden Flucloxacillin, Dicloxacillin und andere Antibiotika eingesetzt. Bei einem schweren Krankheitsverlauf ist eine stationäre Behandlung erforderlich. • Staphylogenes Lyell-Syndrom (SSSS = Staphylococcal Scalded Skin Syndrome, Dermatitis exfoliativa neonatorum, Morbus Ritter-von-Rittersheim). Die Erkrankung wird durch die Exotoxine Exfoliatin A, B und D des Bakteriums Staphylococcus aureus hervorgerufen. Diese Exotoxine spalten das Haftprotein Desmoglein I in den Desmosomen. Die Folge ist eine Trennung der Zellkontakte im Stratum granulosum mit Ablösung der oberen verhornten Epidermisschichten. Besonders betroffen sind Kleinkinder bis zum 5. Lebensjahr; im Gegensatz zu der medikamentösen Form (TEN = Toxische epidermale Nekrolyse), die bei Erwachsenen vorkommt. Bei älteren Kindern ist bereits mit einem Immundefekt zu rechnen. Der Morbus Ritter ist bei Erwachsenen sehr selten; meist liegt eine Immunsuppression (HIV, Organtransplantation), Niereninsuffizienz oder Alkoholismus vor. Das Lyell-Syndrom beginnt mit einer Staphylokokkeninfektion im Nasen-Rachen-Raum (Rhinitis, Tonsillitis, Otitis media, Konjunktivitis). Stadium erythematosum: Es folgt ein leichtes, scharlachähnliches, hellrotes, unscharf begrenztes Exanthem mit periorifizieller Lokalisation (Mund, Nase, Augen). Im Stadium exfoliativum bilden sich große Blasen, die leicht aufreißen und makroskopisch an eine Verbrennung erinnern. Die Haut ist nach der Ablösung rot und feucht; hier kommt es zu ei- 8 Gesichtshaut – Mundhöhle nem Wasser- und Elektrolytverlust. Die Schleimhäute (Mund, Augen, Genitale) sind nicht oder nur leicht betroffen. Differenzialdiagnostisch ist die toxische epidermale Nekrolyse (Alter: bevorzugt Erwachsene. Medikamente in der Anamnese) abzugrenzen. Die Prognose ist bei Kleinkindern günstig (Mortalitätsrate 3%). Therapie. Antibiotika, Wasser- und Elektrolytsubstitution, Sprechverbot, Flüssignahrung. 1.1.2 Streptokokkenbedingte Infektionskrankheiten • Erysipel. Ursache sind Streptokokken der Gruppe A. Typisch ist ein hoch febriles Krankheitsbild mit einem rotem Exanthem. Die Gesichtshaut ist geschwollen, gerötet und glänzend. Komplikationen in Form einer Generalisation (Meningitis, Sepsis, Myokarditis) kommen vor. Therapie. Antibiotika, lokal feuchte Umschläge, Sprechverbot, Flüssignahrung. • Impetigo contagiosa streptogenes. Diese Infektionskrankheit (Gesicht, perioral) tritt bevorzugt in warmen Regionen auf. Charakteristisch sind kleine Bläschen, die im weiteren Krankheitsverlauf durch charakteristische honigfarbene Krusten ersetzt werden. Mögliche Komplikationen sind Impetiginisierung und Streptokokken-Folgekrankheiten. Therapie. Lokaltherapeutische Maßnahmen, Antibiotikasalben. 1.1.3 Hauttuberkulose Die Hauttuberkulose ist eine chronische, granulomatöse Erkrankung, die durch Mycobacterium tuberculosis hervorgerufen wird. Die klinische Manifestation ist sehr unterschiedlich; sie hängt vom Krankheitsstadium, der Ausbreitungsart und der Immunitätslage ab. • Am häufigsten handelt es sich im Sekundärstadium um die Tuberculosis cutis luposa (Lupus vulgaris), die in 90% der Fälle mit einer Beteiligung der Gesichtshaut einhergeht. Die Erkrankung kommt bevorzugt bei Frauen in jeder Altersklasse vor. Formalpathogenetisch entsteht die Infektionskrankheit durch eine hämatogene oder lymphogene Streuung. Die Ulzeration stellt das klinische Leitsymptom dar. Zunächst bilden sich dunkelrote bis braune Knötchen, die kleine Herde bilden. Diese werden gelegentlich von Krusten oder Schuppen bedeckt. Später gehen die Veränderungen in Narben über. Die Haut ist atrophisch und schließt Teleangiektasien ein. Außerdem kommt es zu Pigmentverschiebungen. • Die Extremform einer kutanen Tuberkulose ist der Lupus exulcerans mutilans, der durch ausgedehnte Gewebsnekrosen und besonders ausgeprägte, entstellende Vernarbungen gekennzeichnet ist. Eine Verstümmelung beginnt im Bereich der Ohren und Nase. Diese Tuberkuloseform kann den Boden eines Plattenepithelkarzinoms vorbereiten (Lupuskarzinom).