29. November 2013 • Seite 1 APROPOS… [email protected] | www.ethenea.com Schöne neue Welt Seit Ende der 1980er-Jahre war das wichtigste geldpolitische Instrument der meisten Industrieländer das Treffen einer einzigen Entscheidung, nämlich jener zur Formulierung eines operativen Ziels für kurzfristige Zinsen. Im Fall der Federal Reserve entsprach das einer Festlegung des Zielsatzes der Federal Funds Rate, während sich die anderen Zentralbanken auf ganz ähnliche Zinssätze kon zentrierten. Wenngleich die Laufzeit schon immer gewissen Schwan kungen unterworfen war, kam die tatsächliche Wende erst mit der Ankündigung des Maturity Extension Program (MEP) im September 2011. Diese politische Maßnahme erhielt schnell den Namen Operation Twist, da sie der Strategie von 1961 ähnelte, welche ursprünglich nach dem im selben Jahr erschienenen Hit The Twist von Chubby Checker benannt worden war. Während der Finanzkrise änderte sich das allerdings. Nach den dramatischen Ereignissen Ende 2007 und im Jahr 2008 erreichten viele Zentralbanken die Null-Prozent-Unter grenze, zu welcher sie ihre kurzfristigen Zinssätze hin verschieben konnten bzw. wollten. Entsprechend mussten die Zentralbanken auf andere, nicht-traditionelle Instru mente zurückgreifen, um die Auswirkungen dieser Geschehnisse zu bekämpfen. Für die meisten Zentral banken der Industrieländer war eines dieser Instrumente, neben der Forward Guidance zur Zielsatz-Entwicklung der Federal Funds Rate, die Ausdehnung ihrer Bilanzen – welche sich (in USD) seit Beginn der Krise fast verdreifacht haben. Unseren Lesern dürfte das natürlich bekannt sein, nicht zuletzt, weil wir in der Vergangenheit bereits darauf hingewiesen hatten. Ein zweites Instrument war nicht nur die Ausdehnung der Aktiva der Zentralbankbilanzen sondern auch die Ver änderung ihrer Zusammensetzung. Grafik 1 (entnommen aus unserem letzten Apropos...) zeigt die durchschnittliche Laufzeit der Treasury-Positionen der Federal Reserve. Das Ziel des MEP bzw. der Operation Twist bestand in der Senkung langfristiger Zinssätze, um angesichts eines Zinssatzes von nahe Null zusätzliche Anreize für die Wirtschaft zu schaffen. Die geplante Verlängerung der durch schnittlichen Laufzeit von Treasuries von circa 75 Monaten Ende September 2011 auf rund 100 Monate im Juni 2012 sollte bei gleichbleibenden kurzfristigen Zinsen Abwärts druck auf die Zinssätze ausüben. Wie in Grafik 2 zu erkennen ist, waren die Auswirkungen auf längerfristige Renditen durchaus beachtlich. Über die gesamte Kurve hinweg scheinen sie insgesamt etwas niedriger gewesen zu sein – bis zu dem mittlerweile berüchtigten Treffen des Offenmarktausschusses FOMC im Mai 2013, als den Marktteilnehmern erstmals das Konzept des sogenannten Tapering, d. h. des allmählichen Zurückfahrens der An leihekäufe durch die Fed, vorgestellt wurde. Wenngleich sich über die Effizienz der verschiedenen Programme zum Aufkauf von Vermögenswerten streiten lässt, ist kaum zu leugnen, dass die Fed ihr Ziel erreicht hat. Grafik 1: Durchschnittliche Laufzeit von US-Treasuries Grafik 2: Veränderungen der Renditen von US-Treasuries 29. November 2013 • Seite 2 APROPOS… [email protected] | www.ethenea.com Der Knackpunkt ist jedoch, dass der Umfang und die Laufzeit der Anleihen, die der Markt halten muss, (und entsprechend die Form der Renditekurve) nicht nur durch die Maßnahmen der Zentralbank beeinflusst werden. Die Entscheidungen seitens der Schuldenverwalter der Re gierungen haben sehr ähnliche Auswirkungen, weswegen sich unserer Meinung nach derzeit ein echter Wandel im geldpolitischen Rahmenwerk vollzieht. Jede Verlängerung der durchschnittlichen Laufzeit von US Treasury-Emissionen wird die Duration am Markt verlängern, es sei denn, die Fed erhöht die Käufe mit mindestens der gleichen Geschwindigkeit wie in Grafik 1 dargestellt. Des Weiteren ist eine Verkürzung der durchschnittlichen Laufzeit von Schuldpapieren derzeit eher unwahrscheinlich – angesichts der Rollover-Risiken im Falle einer Rückkehr zu einem größeren Anteil an Treasury Bills sowie der längerfristigen Natur der verstärkten Fremdkapitalfinanzierung der US-Regierung. Die Zentralbank und die staatliche Schuldenverwaltung müssen ein gemeinsames Ziel verfolgen, sonst werden sich ihre Maßnahmen zumindest teilweise gegenseitig aufheben. Es gibt keine klare Grenze mehr zwischen Geld- und Fiskalpolitik, wenngleich die beiden staatlichen Organe in Sachen Renditekurve kein gemeinsames Ziel verfolgen. Mindestens genauso wichtig ist die Feststellung, dass Maßnahmen mit Auswirkungen auf die Form der Zinskurve auch Auswirkungen auf die finanzielle Stabilität haben. Wenngleich der Schwerpunkt der Zentralbanken auf den kurzfristigen Zinsen die Unterscheidung zwischen Geldpolitik und finanzieller Stabilität ermöglichte, muss ferner betont werden, dass die Korrelation zwischen den beiden Bereichen im besten Falle indirekt ist. Grafik 3 zeigt, dass die im Jahr 2001 begonnenen starken Einschnitte bei der Federal Funds Rate die Risikobereitschaft der Anleger nicht erhöht haben (tatsächlich stieg die in Form der Marktvolatilität gemessene Risikoaversion an und erreichte über mehrere Monate hinweg Höchststände sowohl 2001 als auch 2002). Gleichzeitig konnte die allmähliche Erhöhung der Federal Funds Rate Mitte 2004 der allseits bekannten Selbstgefälligkeit der Anleger im Vorfeld der Finanzkrise kaum vorbeugen. Teilweise erklären lässt sich dies natürlich damit, dass die Form und die Bewegungen Renditekurve insgesamt für die Risikobereitschaft an der den Finanzmärkten von weitaus größerer Bedeutung sind als die absoluten kurzfristigen Zinssätze. Grafik 3: Risikoaversion und kurzfristige Zinsen ¹ einfacher Durchschnitt des EMBI Global Spread, Merrill Lynch US High Yield Index, VIX Index, Merrill Lynch MOVE Index und implizierte Volatilität der G7-Zinssätze Der Zusammenhang zwischen Zinssätzen und Haushalts defiziten vor dem Hintergrund hoher Schuldenquoten in den meisten Industrieländern lässt nur einen Schluss zu: Weder die Zentralbanken noch die staatlichen Schuldenverwalter sind in der Position, einen wesentlichen Anstieg der Zinssätze zu tolerieren (wir würden sogar so weit gehen behaupten, dass sie nicht in der Position sind, einen zu wesentlichen Anstieg der Volatilität der Zinssätze zu tolerieren). Die beiden Akteure werden also eng zusammenarbeiten müssen, auch in nicht expliziter Form, um jeglichen Aufwärtsdruck sowohl auf die Zinsen als auch die Marktvolatilität zu verhindern, der der schwachen Erholung der Wirtschaft schaden könnte. Die Verbindung zwischen der durchschnittlichen Laufzeit von Schuldpapieren und den langfristigen Zinsen oder der Laufzeit prämie wird vom gesamten politischen Rahmenwerk abhängen. Des Weiteren wird sie wahrscheinlich nicht nur durch die Entscheidungen der neuen Chefin der Fed beeinflusst, sondern auch von der erwarteten künftigen Umsetzung der Fiskalpolitik. In der Tat eine schöne neue Welt. Ihr ETHENEA Team Hinweis: Bei der Anlage in Investmentfonds besteht, wie bei jeder Anlage in Wertpapieren und vergleichbaren Vermögenswerten, das Risiko von Kurs- und Währungsverlusten. Dies hat zur Folge, dass die Preise der Fondsanteile und die Höhe der Erträge schwanken und nicht garantiert werden können. Die Kosten der Fondsanlage beeinflussen das tatsächliche Anlageergebnis. Maßgeblich für den Anteilserwerb sind die gesetzlichen Verkaufsunterlagen. Alle hier veröffentlichten Angaben dienen ausschließlich der Produktbeschreibung und stellen keine Anlageberatung dar und beinhalten kein Angebot eines Beratungsvertrages, Auskunftsvertrages oder zum Kauf/Verkauf von Wertpapieren. Der Inhalt ist sorgfältig recherchiert und zusammengestellt. Eine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Genauigkeit kann nicht übernommen werden. Munsbach, 29. November 2013.