The Rage of the Bankers - Die Wut der Banker Paul Krugman, NYT, 21. September 2015 ( Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Tober ) Letzte Woche entschied sich die Federal Reserve gegen eine Anhebung der Zinssätze. Das war die richtige Entscheidung. Tatsächlich bin ich einer der Wirtschaftler, die sich fragen, wieso eine Anhebung der Zinsen zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt in Betracht gezogen wird. Doch vielleicht erklärt die Reaktion der Finanzindustrie, worum es hier geht. Sehen Sie, die Fed redet viel mit Bankern - und doch haben die Banker auf diese Entscheidung mit reiner, unverfälschter Wut reagiert. Das war ein Aha-Erlebnis für alle, die versuchen, die politische Ökonomie der Geldpolitik zu verstehen. Auf einmal macht vieles Sinn, das vorher verwirrend an der Debatte war: Man muss nur dem Geld folgen. Die Grundprinzipien der Zinspolitik sind relativ simpel, und sie gehen gut hundert Jahre und auf den schwedischen Ökonomen Knut Wicksell zurück. Er war der Meinung, Zentralbanken wie die Fed oder die Europäische Zentralbank sollten die Zinssätze entsprechend ihres “natürlichen“ Standes festlegen, wie er sich durch das Inflationsgeschehen definiere. Bei zu niedrigen Zinsen, beschleunigt sich die Inflation; Bei zu hohen sinkt sie und verwandelt sich möglicherweise in eine Deflation. An dem Kriterium gemessen kann man schwerlich sagen, die gegenwärtigen Zinsen seien zu niedrig. Die Inflation ist schon seit Jahren niedrig. Besonders die von der Fed bevorzugte Inflations-Messgröße, die die schwankenden Nahrungsmittel- und Energiepreise nicht mit einbezieht, ist immer wieder unter ihrer eigenen Zielsetzung von 2 Prozent geblieben und zeigt keinerlei Anzeichen eines Anstiegs. Trotzdem ist die Fed wegen ihrer Zinspolitik ständiger Kritik ausgesetzt. Warum? Tatsächlich ändert sich diese Geschichte dauernd. 2010-2011 stießen die Kritiker der Fed düstere Warnungen vor der drohenden Inflation aus. Als die Inflation sich dann nicht einstellte, hätte man ja eine Veränderung des Tons erwartet. Stattdessen aber fordern die gleichen Leute, die damals höhere Zinsen zur Abwendung der Inflation gefordert hatten, noch immer höhere Zinsen, nur sind jetzt die Gründe andere. Die derzeitige Begründung ist “Finanzstabilität“, die Behauptung, niedrige Zinsen verursachten Blasen und Crashs. Und dieses neueste Argument für einen Zinsanstiegs mag ja sogar vernünftig sein. Aber es ist auffällig, wie verworren und fragwürdig die Argumentation für Zinserhöhungen geworden ist. Meine Gedanken dazu sind: Wenn linke Politiker für ihre Politik mit Begründungen kämen, die so stark auf unbeständiger Logik und schwachem Beweismaterial beruhen, man würde sie zur Schnecke machen wegen ihrer Verantwortungslosigkeit. Warum bloß nimmt irgend jemand dieses Zeug ernst? Also, wenn man wechselnde Begründungen für immer gleich bleibende Forderungen sieht, kann man ja ziemlich sicher sein, dass es da noch um etwas Anderes geht. Und die Zins-Wut der Banker - im Zusammenspiel mit der Talfahrt der Bankaktien nach der Entscheidung der Fed gegen eine Anhebung - gibt einen starken Hinweis auf die Art dieses Anderen. “It’s the bank profits, stupid.“ [Es sind die Bankprofite, Dummkopf.] Viele Leute haben sich hier durch die Bemühung irreführen lassen, herauszufinden, ob billiges Geld nun gut oder schlecht für die Reichen insgesamt ist. Und das ist wirklich eine schwierige Frage. Völlig klar allerdings ist, dass niedrige Zinsen schlecht für Banker sind. Denn Banken machen ihre Gewinne, indem sie Einlagen annehmen und die Gelder dann zu höheren Zinssätzen ausleihen. Und dieses Geschäft leidet bei niedrigen Zinsen: Die Zinsen, die Banken verlangen können, werden nach unten gedrückt, aber die Zinsen auf Einlagen können nicht endlos sinken. Die Nettozinsspanne - die Spanne zwischen den Zinsen, die die Banken für Kredite einnehmen und denen, die sie auf Einlagen zahlen - ist im Lauf der letzten fünf Jahre stark gesunken. Die normale Reaktion der Politiker darauf sollte eigentlich ein “Na-und?“ sein. Es gibt keinerlei Grund zu der Annahme, dass für Amerika das gut ist, was für Banker gut ist. Aber Banker unterscheiden sich von Ihnen und mir: Sie haben sehr viel mehr Einfluss. Geldpolitiker treffen sich dauernd mit ihnen und haben häufig sogar die Erwartung, selbst einmal einer der Ihren zu werden, wenn sie schließlich auf der anderen Seite der Drehtür landen. Und dann gibt es auch die weit verbreitete Annahme, dass Banker über besondere wirtschaftspolitische Fachkompetenz verfügen, obwohl es für diese Annahme keinerlei Beweise gibt. (Allerdings haben Banker tatsächlich exzellente Schneider.) Und so sollte es nicht überraschen, dass es auf Banker ausgerichtete Organisationen gibt, die, wie ja auch ein Großteil der Finanzpresse, kunstvolle Argumente für eine Zinsanhebung fabrizieren, die nach volkswirtschaftlichen Grundregeln unsinnig ist. Und die Debatte der letzten Monate, bei der die Fed eine merkwürdige Bereitschaft zur Zinsanhebung gezeigt hat, obwohl Leute wie Larry Summers warnen, das wäre ein großer Fehler, lässt vermuten, dass auch amerikanische Geldpolitiker da nicht immun sind. Doch die Fed hat letzte Woche das Richtige getan: nichts. Und das Gezeter der Banker sollte nicht als Grund für eine Meinungsänderung genommen werden, sondern als Beweis dafür, dass das Geschrei nach höheren Zinsen mit dem öffentlichen Interesse nichts zu tun hat.