Bischof Martin Schindehütte Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD Leiter der Hauptabteilung „Ökumene und Auslandsarbeit der EKD Leiter des Amtes der Union Evangelischer Kirchen und noch einmal rund vierzig Predigtstätten an touristisch wichtigen Orten. Das ist ein Netzwerk von kirchlicher Arbeit der EKD im Ausland, dass vielfältige und sehr lebensnahe Informationen aus dem jeweiligen Land bietet. Am vergangenen Samstag hatte ich im Olympische Spiele 2008 – Rahmen eines Kongresses und einer Gesamtkonferenz Die Welt schaut auf China aller Auslandspfarrer und –pfarrerinnen der EKD in Politischer Club Tutzing Berlin die Möglichkeit, auch mit unseren drei nach Chi- 12. Juni 2008 na entsandten Pfarrerin und Pfarrern über die Lage in China zu sprechen. Die Lage, die mir die Schwester Religionsfreiheit und religiöse Minderheiten und die Brüder im Amt aus China schilderten, ist au- Die Rolle der Kirchen ßerordentlich ambivalent. Und dies war für mich eine Bestätigung dafür, dass gegenüber China jede einlinige Meine sehr verehrten Damen und Herren, und vereinfachende Politik fehl am Platze ist. Es gibt herzlich danke ich Ihnen für die Einladung in Ihren po- gerade in der Frage der Wahrung und Gewährung von litischen Club. Sie haben mich gebeten, zu einem für Religionsfreiheit außerordentlich widersprüchliche Er- die Zukunft so wichtigen Thema, wie dem unseres fahrungen. Straffe und aus unserer Sicht inakzeptable Verhältnisses zu China aus der Sicht der EKD und im Restriktion stehen vorsichtigen Zulassungen religiöser Blick auf „Religionsfreiheit und religiöse Minderheiten“ Aktivitäten gegenüber, ja man kann sogar von Indizien zu referieren. Das will ich gerne tun. für eine anstehende grundsätzliche Öffnung sprechen. Wie Sie vielleicht wissen, unterhält die EKD über hun- Sie haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, dert Gemeinden und Pfarrstellen in über 70 Ländern für diese Tagung des politischen Clubs die Olympischen 2 Spiele zum Anlass genommen, würdigend und kritisch Vorfreude auf das Ereignis. Nun aber tritt die notwen- auf China zu schauen. Ich danke Ihnen ausdrücklich dige Irritation hinzu, dass sich China im Vorfeld dieser dafür, dass Sie dabei mit meinem Vortrag und dem Olympischen Spiele gefallen lassen muss, dass die von Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Weltgemeinschaft nun auch besonders kritisch darauf die Frage nach der Religionsfreiheit und den Men- blickt, ob die Kriterien für die Eignung als Gastgeber- schenrechte ausdrücklich in den Blick nehmen. Ich land der Olympischen Spiele auch wirklich erfüllt sind. konzentriere mich in meinem Vortrag ganz auf das Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit und Die Kriterien sind auch historischen Erfahrungen ge- des Schutz religiöser Minderheiten und bin gespannt, schuldet: Seit 1936 gibt es im Internationalen Olympi- was Katrin Göring-Eckardt zur Lage der Menschenrech- schen Komitee wie auch unter den Regierungen, zu- ten insgesamt sagen wird. mindest aller westlichen Länder, einen Konsens: Nie wieder dürfen die Olympischen Spiele durch eine Men- Die Tatsache, dass die Olympischen Spiele 2008 in Pe- schen verachtende Diktatur instrumentalisiert und zu king stattfinden werden, ist ja weniger der Ausgangs- Propagandazwecken missbraucht werden. Nicht immer punkt als vielmehr das Ergebnis eines Prozesses, der wurde dieses Prinzip lupenrein durchgehalten. Ich den- dazu geführt hat, dass die Volksrepublik China aus ih- ke an die Olympischen Spiele in Südkorea zur Zeit der rer langen Isolierung herausgetreten ist. Dass sie nun Militärdiktatur oder an die Wahl Moskaus im Jahr 1980. in den Kreis der respektablen und illustren olympi- Der damalige Boykott hat ja mehr als zweifelhafte Er- schen Gastgeberländer aufgenommen ist, ist ein sicht- fahrungen im Blick auf die Wirkung eines Boykotts mit bares Zeichen dieses sich vollziehenden Eintritts Chi- sich gebracht hat. So sehr man nach der tatsächlichen nas in die internationale Gemeinschaft. Offenkundig Wirkung der olympischen Ideale kritisch fragen kann sehen das die Chinesen in der großen Breite der Bevöl- und muss, so lösen sie doch als Referenzrahmen einen kerung selber so. Die meisten sind stolz und voller 3 kritischen Blick auf die jeweiligen Gastgeberländer aus. na das Thema Religion bzw. Religionsfreiheit anspre- So auch jetzt. Diese Tagung ist ein Beleg dafür. chen. Viele Religionswissenschaftler und andere Gelehrte, die sich mit chinesischer Kultur und Geschichte Wenn ich nun aus der Sicht der Evangelischen Kirche beschäftigen, behaupten, dass die Chinesen im Großen in Deutschland nach China schaue, so ist dies auch ein und Ganzen ein Volk ohne Religion seien und das nicht Blick zurück. Seit Anfang der 1980er Jahre bestehen erst seit Mao, sondern seit vielen Jahrhunderten. Ohne zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und in die Details gehen zu wollen und zu können – ich bin dem, was ich hier zugegeben sehr summarisch die Pro- kein Chinaexperte - stelle ich fest, dass es im Blick auf testantische Kirche Chinas nennen werde, Beziehungen China nicht ganz leicht ist, Religion zu definieren. Das auf verschiedenen Ebenen. Sie entwickeln sich konti- Wort 'Religion' ist erst Ende des 19. Jahrhunderts auf nuierlich weiter und werden immer intensiver. Meine dem Umweg über die japanische Übersetzung europäi- Äußerungen zur Frage der Religionsfreiheit und der Si- scher Werke zu einem Bestandteil der chinesischen tuation der Kirchen in China beziehen sich also auch Sprache geworden. Auch das Wort 'Philosophie' gibt es auf konkrete Erfahrungen, die wir mit unseren christli- im Chinesischen erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts. chen Gesprächspartnern in China machen. Es sind na- Und auch dieses Wort ist bis heute wie das Wort 'Reli- türlich auch unsere eigenen Beobachtungen, wenn wir gion' ein Fremd- und Lehenwort im Chinesischen die Kirchen in China besuchen, unsere entsandte Pas- geblieben. Die Mehrheit der Chinesen wird von sich torin und die entsandten Pastoren befragen oder mit selber behaupten, dass sie keiner Religion angehört - chinesischen Christen im internationalen ökumenischen und das hat nichts damit zu tun, ob sie Kommunisten Kontext zusammenarbeiten. sind oder nicht. Es ist mir zunächst wichtig, etwas genauer zu be- Unter Religionswissenschaftlern innerhalb und außer- schreiben, wovon wir reden, wenn wir im Blick auf Chi- halb Chinas ist nach wie vor umstritten, ob der Konfu- 4 zianismus als eine Religion oder als eine Form huma- zwei Momente, die eine entscheidende Rolle im Ver- nistischer Ethik zu deuten ist. Beobachtet man, wie die hältnis zwischen Staat bzw. kommunistischer Partei chinesischen Minderheiten außerhalb Chinas – etwa in und den Religionsgemeinschaften gespielt haben und Südostasien – leben, so wird deutlich, dass es so et- heute noch spielen. was wie eine typisch chinesische Religiosität gibt. Im Ausland tritt die eigene Prägung ja meist etwas poin- Erstens sehen sich die Religionen mit der uns nur zu tierter hervor. Diese chinesische Religiosität setzt sich bekannten Lehre konfrontiert, dass nach marxistischer aus allerlei überlieferten Bräuchen und Riten sowie ei- Auffassung in der sozialistischen Gesellschaft die Reli- ner konfuzianischen Grundhaltung zusammen. Astrolo- gion überflüssig sei und darum bekämpft werden müs- gie, Wahrsagerei, Glücksspiele, aber auch überlieferte se. Weisheiten in Bezug auf Ernährung, traditionelle Kräutermedizin und Naturbeobachtung sind Bestandteil die- Zweitens sehen sich die Religionen ständig mit dem ser chinesischen Religion. Die Übergänge von dieser Vorwurf konfrontiert, sie seien unpatriotisch und für Volksreligiosität zu der einzigen Religion, die wirklich ausländische Beeinflussung besonders anfällig. chinesische Wurzeln hat, nämlich dem Taoismus, sind fließend, während die Abgrenzung zum Buddhismus Mit unterschiedlicher Intensität haben im Laufe der schon etwas deutlicher ist und zwischen Christentum letzten 60 Jahre diese beiden Faktoren die Politik der bzw. Islam und der herkömmlichen chinesischen Reli- kommunistischen Partei gegenüber den Religionen und giosität so gut wie gar keine Übergänge mehr festge- insbesondere den evangelischen und katholischen Kir- stellt werden können. chen bestimmt. Das marxistische und das nationalistische Argument nährten außerdem ein grundsätzliches Wenn wir nun die Situation der Religionen im maoisti- Misstrauen der Herrschenden gegenüber jeder Form schen China – also nach 1949 – betrachten, so sind es organisierter Religion in China. Dieses Misstrauen ha- 5 ben die Kommunisten nicht erfunden, sondern bereits mit dem Jintian-Aufstand beginnende Bewegung ist von ihren kaiserlichen Vorgängern übernommen. In ei- nach dem Tàipíng Ti nguó benannt, dem Himmlischen nem Volk, das in seiner ganz überwiegenden Mehrheit Reich des Großen Friedens, welches von den Aufstän- weder organisierte Formen von Religion noch so etwas dischen gegründet wurde. wie Konfessionen oder Glaubensbekenntnisse kennt, Das tiefe Misstrauen der chinesischen Regierung ge- wirken Anhänger einer Glaubensgemeinschaft wie dem genüber allen Formen organisierter Religion erfährt Christentum oder dem Islam auf jeden Fall verdächtig, gegenüber dem Christentum auch insofern eine beson- wenn nicht sogar gefährlich. Sie stören ein Modell ei- dere Zuspitzung, als das enge Bündnis zwischen den ner harmonischen Gesellschaft durch die mit ihren Be- Wirtschaftsinteressen, den politischen Ambitionen und kenntnis scheinbar verbundene Abgrenzung. den religiösen Missionsbestrebungen der westlichen Mächte vor 1949 unvergessen ist. Und in der Tat ist ja In ihrer Geschichte haben die Chinesen mit religiösen auch heute mit den Missionsaktivitäten mancher cha- Fanatikern keine guten Erfahrungen gemacht. Man rismatischer Bewegungen vor allem aus den USA eine denke nur an den sog. Taiping-Aufstand Mitte des 19. Art kulturelle Homogenisierung oder eine kulturelle Jahrhunderts. Dieser von 1850 bis 1864 andauernde Dominierung, ja auch Amerikanisierung verbunden, die Aufstand ist einer der blutigsten Konflikte in der chine- durchaus kulturelle Gegenbewegungen nicht nur in sischen Geschichte. Er war eine Konfrontation zwi- China verständlich macht. schen dem Kaiserreich China unter der niedergehenden Qing-Dynastie und einer Sekte um Hong Xiuquan, Aus den historischen Erfahrungen ergab sich eine Poli- einem zum Christentum konvertierten Mystiker. In die- tik, die zunächst die Zerschlagung aller bisherigen Or- sem Konflikt starben wahrscheinlich 30 Millionen Men- ganisationsformen von Religionsgemeinschaften zum schen. Damit war der Taiping-Aufstand der opfer- Ziel hatte und Anfang der 1950er Jahre sowohl zur reichste Bürgerkrieg der Menschheitsgeschichte. Die Ausweisung aller ausländischen christlichen Missionare 6 als auch zur Auflösung bestehender Kirchenstrukturen ihnen auch zerstört oder zweckentfremdet. Pfarrer, führte. Im Bereich der evangelischen Kirchen fanden Priester, Theologieprofessoren, Mönche und Nonnen sich eine ganze Anzahl jüngerer Kirchenführer, die für wurden verjagt, zur Zwangsarbeit aufs Land oder in eine Zusammenarbeit mit den Maoisten aufgeschlossen die Fabriken geschickt. Religiöses Leben einschließlich waren und sich bereit fanden, das was von der Kirche der volkstümlichen chinesischen Bräuche und Rituale übrig war, unter dem Dach der „Patriotischen Drei- kamen vollkommen zum Erliegen. Religiöse Schriften, selbstbewegung Protestantischer Kirchen“ zu sammeln. also auch sämtliche Bibeln, Andachts- und Gesangbü- Die Dreiselbst-Prinzipien lauten bis heute: Selbstfinan- cher wurden verbrannt und alle Ausbildungsstätten für zierung, Selbstorganisation und Selbstausbreitung – den kirchlichen Nachwuchs geschlossen. Das Einzige, wobei sich das 'Selbst' darauf bezieht, dass die chine- was bei evangelischen Christen blieb, waren mehr oder sische Kirche ohne Hilfe aus dem Ausland existieren minder geheime Treffen in Privatwohnungen, bei de- will. Auch die anderen Religionsgemeinschaften in Chi- nen gebetet und auswendig aus der Bibel zitiert wurde. na erhielten eine vergleichbare Organisationsstruktur unter einer sog. „patriotischen Führung“. Mit dem Ende der Kulturrevolution begann für die Religionen in der Volksrepublik China eine vollkommen Etwa 15 Jahre lang konnten die Religionsgemeinschaf- neue Ära. Wie man auch in offiziellen Statistiken nach- ten trotz vieler Einschränkungen mehr schlecht als lesen kann, hat sich die Zahl der "Religionsanhänger", recht in diesen Strukturen weiter bestehen. Das änder- wie sie in China genannt werden, in den letzten 30 te sich 1966 mit dem Beginn der Kulturrevolution, in Jahren in einer Weise vermehrt, wie es niemand hätte der ohne Umschweife alle Formen von Religion abge- vorhersagen können. Insbesondere gilt dies für die e- schaffen wurden. Zehn Jahre lang dauerte das Terror- vangelischen Christen, deren Zahl in der offiziellen regime der Rotgardisten. Sämtliche Kirchen, Tempel, Statistik zwar nur mit 18 Mio. angegeben werden, die Klöster und Moscheen wurden geschlossen, viele von man aber in seriösen Erhebungen auf mindestens 40 7 Mio. schätzt. Unter 1,5 Milliarden Menschen sind natür- schiedliche Bibelübersetzungen ein und konnten sich lich auch 40 Millionen noch eine kleine Minderheit, aber weder auf eine gemeinsame Bezeichnung für Gott noch wenn man betrachtet, dass es vor dem Zweiten Welt- auf gleichlautende Namen für die verschiedenen bibli- krieg trotz vieler hundert westlicher Missionare weniger schen Personen einigen. Dies macht es Chinesen aus- als 1 Mio. evangelischer Christen in ganz China gab, ist gesprochen schwer, die beiden christlichen Konfessio- das ein verblüffender Erfolg für die Dreiselbst-Kirche. nen als ein- und dieselbe Religion zu verstehen. Wie aber steht es um die Religionsfreiheit? Die chinesi- Die Beschränkung auf die fünf anerkannten Religionen sche Verfassung garantiert den Bürgern die Freiheit, bedeutet, dass beispielsweise orthodoxe Christen, aber eine Religion auszuüben oder keine Religion auszu- auch Juden, geschweige denn Gruppierungen wie Falun üben. Ob man dies als Garantie der Religionsfreiheit Gong oder einzelne protestantische Konfessionen, die bezeichnen kann, ist mehr als fraglich, denn nicht die sich als Kirche organisieren möchten, nicht in den Ge- Religionsfreiheit im Allgemeinen, sondern nur die Aus- nuss der gewährten Religionsfreiheit kommen. übung bestimmter Religionen - und zwar der fünf staatlich anerkannten Religionen - wird durch die Ver- Für den Bereich der evangelischen Kirche gilt, dass ne- fassung gestattet. In der Volksrepublik China gibt es ben der 1950 gegründeten „Patriotischen Dreiselbst- fünf anerkannte Religionen, nämlich den Buddhismus, bewegung“ im Jahre 1980 eine parallele Organisation den Taoismus, den Islam und bei den Christen die ka- gegründet wurde, die sich der „Chinesische Christen- tholische Kirche und die protestantische Kirche, die als rat“ nennt und die sich um die geistlichen Belange und zwei unterschiedliche Religionen betrachtet werden. den Gemeindeaufbau kümmert. Genau betrachtet gibt Dass Katholiken und Protestanten als unterschiedliche es aber bis heute keine autonome Kirchenleitung. Die Religionen gelten, haben sie ihrer eigenen Missionsge- Kommunistische Partei einerseits und der Staat ande- schichte in China zu verdanken. Sie führten unter- rerseits kümmern sich um jede noch so geringfügige 8 interne Angelegenheit und üben unmittelbaren Einfluss Ganz besonders heikel ist dies natürlich im Bereich der auf das kirchliche Leben aus. katholischen Kirche, wo die staatlich anerkannte Patriotische Kirche ihre Bischöfe ohne päpstliche Bestäti- Die kommunistische Partei verfügt auf allen Ebenen gung ernennt, während die papsttreue Kirche als „Un- der Provinzen, der Distrikte und der Städte und Dörfer tergrundkirche“ scharfen Sanktionen des Staates aus- über einen Apparat, der sich in besonderer Weise um gesetzt ist. die Umsetzung der Parteibeschlüsse in Bezug auf Religionen und Minderheiten kümmert. Daneben gibt es Ein besonders heikler Punkt chinesischer Religionspoli- ebenfalls auf allen Ebenen die staatlichen Religionsbü- tik ist die Regelung bezüglich der Registrierung religiö- ros, die Hand in Hand mit Vertretern der Religionsge- ser Räume. Gottesdienste bzw. religiöse Handlungen meinschaften die Ausübung von Religion organisieren, und Versammlungen dürfen nur in solchen Räumen verwalten, aber vor allem auch kontrollieren. stattfinden, die ausdrücklich dafür genehmigt sind. Nicht die einzelne religiöse Gruppe, sondern der Raum, Es kann insofern nicht von Religionsfreiheit in China in dem eine religiöse Veranstaltung stattfindet, muss die Rede sein, als die staatlich anerkannten Religions- bei der Religionsbehörde registriert werden. Dieses gemeinschaften aufs Engste mit den Partei- und Verfahren und die Weigerung vieler evangelischer Ge- Staatsverwaltungen verflochten sind. Es gibt keine meinden, die Registrierung zu beantragen, führt re- Spielräume für autonome Entscheidungen einer Religi- gelmäßig zu Konflikten, bei denen gottesdienstliche onsgemeinschaft. Besonders gravierend ist dies bei der Versammlungen aufgelöst, Personen verhaftet und re- Berufung von Personen in geistliche Ämter, insbeson- ligiöses Schrifttum beschlagnahmt werden. dere in leitende Ämter, denn ohne Genehmigung der jeweiligen Parteiinstanz darf niemand in sein Amt als Besonders die schnell wachsenden Gemeinden aus Priester, Pfarrer, Imam oder Lama berufen werden. dem evangelikalen, fundamentalistischen oder charis- 9 matisch-pfingstlerischen Spektrum des Protestantis- de darüber, dass die Gemeinden wachsen, dass die mus weigern sich standhaft, ihre Versammlungsräume Zahl der Theologiestudenten zunimmt und überall im registrieren zu lassen. Sie werden deshalb als Hauskir- Lande neue Kirchengebäude entstehen. Vor wenigen chenbewegung bezeichnet. Vielerorts werden diese Wochen wurde die größte Bibeldruckerei der Welt in nicht-registrierten Hausgemeinden von den Behörden Nanjing eingeweiht und im Herbst wird dort auch das geduldet, jedenfalls solange sie nicht eine kritische neue theologische Seminar für 500 Theologiestudenten Größe überschreiten. Wer allerdings vor einem ausge- eröffnet. Bei aller staatlicher Kontrolle und Bevormun- wachsenen Kirchengebäude mit mehreren tausend dung durch die kommunistische Partei erleben die Sitzplätzen steht und erfährt, dass dies keine Kirche, Christen die gegenwärtige Situation als die beste Zeit, sondern eine nicht-registrierte Hausgemeinde sei, wird die die Kirchen in China jemals hatten. Die Freiräume sich sicher wundern. Rein rechtlich haben die Behörden für kirchliche Aktivitäten scheinen immer größer zu die Möglichkeit, dieses Gebäude jederzeit abreißen zu werden. Das hängt auch damit zusammen, dass die lassen oder zumindest die Versammlungen zu verbie- kommunistische Partei nicht mehr von der Abschaffung ten, solange keine Registrierung erfolgt. Nur sie tun es der Religion spricht, sondern Erwartungen an die Reli- meist nicht und lassen statt dessen diesen Schwebezu- gionsgemeinschaften beim Aufbau einer sozial gerech- stand bestehen. ten Gesellschaft formuliert. Der Volkskongress hat sogar einen Passus für die Statuten der kommunistischen Es gibt meiner Meinung nach keinen Anlass, ein be- Partei zur Prüfung an einen Ausschuss überweisen, der sonders düsteres Bild der Situation in China zu zeich- von dem nützlichen Beitrag der Religion für die Har- nen, denn es gibt keinerlei Indizien für eine Christen- monie der Gesellschaft spricht. verfolgung oder für die Unterdrückung von Religion im Allgemeinen. In unseren Begegnungen mit chinesi- Die anerkannten Religionsgemeinschaften werden auf- schen Christen erleben wir ihre Dankbarkeit und Freu- gefordert, soziale Aktivitäten zu entfalten. Es entste- 10 hen überall im Land Altenheime sowie Einrichtungen an, dass es aus der Sicht westlicher Demokratien also für Behinderte, Drogenberatungsstellen und andere di- aus unserer Sicht in der Volksrepublik China keine Re- akonische Initiativen in Trägerschaft der Kirchen und ligionsfreiheit gibt. anderer Religionsgemeinschaften. Die amityfoundation ist ein in China hoch anerkanntes christli- Die Religionsfreiheit, wie wir sie in unseren westlichen ches Sozialwerk, mit dem der Evangelische Entwick- Verfassungstexten definieren, nämlich als individuelles lungsdienst (EED) unserer evangelischen Kirche eng und kollektives Grundrecht, das sowohl die Freiheit des zusammenarbeitet. Gerade im Zusammenhang mit der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses als Katastrophenhilfe im Erdbebengebiet von Sechuan auch das Recht der ungestörten öffentlichen Religions- wurde der starke Einsatz kirchlicher Gruppen gelobt. ausübung beinhaltet, existiert in China so nicht. Wie Das Engagement der Christen auf diesem Gebiet wird bereits dargestellt, beschränkt sich das Recht der Reli- in politischen Reden positiv bewertet und als Beitrag gionsausübung auf Aktivitäten im Kontext der fünf vom zum Aufbau einer harmonischen und sozialistischen Staat anerkannten Religionsgemeinschaften. Darüber Gesellschaft interpretiert. hinaus sind vom Gesetz nur sogenannte "normale religiöse Aktivitäten" erlaubt, wobei die kommunistische Nach allem, was ich gesagt habe, werden einige sicher Partei definiert, wann und wodurch man die Grenzen denken, dass ich die Situation verharmlose oder gar der Normalität überschreitet. Einen Auftrag zur Wahr- schönreden möchte. Das ist nicht meine Intention. A- nehmung öffentlicher Verantwortung, wie wir ihn für ber ich möchte ernst nehmen, was unsere christlichen unsere Kirchen in Deutschland kennen, ist (noch?) un- Partner in China selber empfinden und mich mit ihnen denkbar. darüber freuen, dass sich die Religionen und insbesondere die protestantische Kirche in diesem Klima relati- Die Tatsache, dass jede Form der Religionsausübung ver Freiheit so gut entwickeln. Das ändert nichts dar- genehmigungspflichtig ist und der genauen Kontrolle 11 der Organe des Staates und der kommunistischen Par- studieren. Es gibt einen sogenannten „Rechtsstaatsdia- tei unterliegt, widerspricht natürlich unserem Ver- log“, an dem sich auch die Evangelische Kirche perso- ständnis von Religionsfreiheit. Wo beispielsweise eine nell und finanziell beteiligt. Auf dem Programm des Kirche nicht das Recht hat, ihre Pfarrer oder Bischöfe nächsten Dialogs im Herbst dieses Jahres steht auch nach eigenen Kriterien zu berufen, sondern dafür der ein Vortrag des Präsidenten des Landskirchenamtes Zustimmung von Parteiorganen bedarf, können wir der Hannoverschen Landeskirche über das Staats- nicht von Religionsfreiheit sprechen. Wir haben es im Kirchen-Verhältnis in Deutschland. Vielleicht hinterlässt Blick auf die Religionsfreiheit mit einer Situation zu unser kooperatives Verhältnis von Staat und Kirche auf tun, wo es nicht um kleinere oder größere Korrekturen der Basis ihrer grundsätzlichen Trennung ja seine lang- bei der Ausführung von Gesetzen oder Parteidirektiven fristige Wirkung. geht, sondern darum, dass der Absolutheitsanspruch der kommunistischen Partei mit den Grundrechten der In meinem Vortrag kann und will ich mich natürlich Gewissens- und Glaubensfreiheit und dem Grundrecht nicht auf die christlichen Kirchen in China beschränken. auf ungestörte Religionsausübung niemals kompatibel Es gehört zu unserem Eintreten für Religionsfreiheit, sein kann. Wo eine ideologisch bestimmte Partei wie dass wir in gleicher Weise und Entschiedenheit für die die KP Chinas neben sich keine anderen politischen Religionsfreiheit aller anderen religiösen Minderheiten Bewegungen oder Parteien duldet und sich selbst über eingehen. Dazu gehört auch der aktuellen Tibet- Parlamente und Gerichte stellt, ist man von einer Konflikt in seiner religiösen und kulturellen Dimension. rechtsstaatlichen Situation weit entfernt. Die seit Mitte März anhaltenden und teilweise gewaltGleichwohl finde ich es bemerkenswert, dass hohe chi- samen Proteste von Tibetern sowohl in Tibet und an- nesische Regierungsbeamte auch nach Deutschland grenzenden Provinzen wie auch im Ausland erinnern kommen, um unsere Verwaltungs- und Rechtspraxis zu uns daran, dass die Volksrepublik China im Jahr 1950 12 das unabhängige Land Tibet militärisch besetzt hat und Die Auflösung und Zerstörung unzähliger Klöster vor es seit dem als Teil des chinesischen Staatsverbandes allem während der chinesischen Kulturrevolution und betrachtet. in diesem Zusammenhang die Verfolgung, Verhaftung, Misshandlung und Tötung sehr vieler Mönche zählen zu Nach einem Aufstand gegen die Besatzer, der im Jahre den dunkelsten Kapiteln des maoistischen Chinas. 1959 vielen Tausenden von Tibetern das Leben kostete, floh das religiöse und politische Oberhaupt, der Da- Bis heute gilt das Verbot, Bilder des Dalai Lama zu be- lai Lama zu Fuß nach Nordindien, wo er seitdem einer sitzen oder aufzuhängen. Verwaltungsvorschriften en- „Exilregierung“ vorsteht. gen die Religionsausübung in unerträglicher Weise ein. Staatliche Instanzen bestimmen, wer Mönch und vor Seit über fünfzig Jahren geht die Annektion Tibets mit allem, wer als Lama anerkannt werden darf. Auch einer massiven Unterdrückung der Bevölkerung einher, wenn inzwischen auch Klöster wieder errichtet werden die vor allem – und darum geht es mir hier vornehm- durften und die individuelle Religionsausübung gestat- lich - deren kulturelle und religiöse Identität zu ver- tet ist, sind die Rechte der Tibeter auf freie Ausübung nichten droht. Das gesamte kulturelle und gesellschaft- ihrer Religion keineswegs gewährleistet. liche Leben Tibets ist seit Jahrhunderten vom Buddhismus durchdrungen und geprägt, so dass viele Maß- Jenseits der immer noch aktuellen Diskussion um Tibet nahmen der Kommunistischen Partei und der Regie- muss auf die Situation der unterschiedlichen Religions- rung Chinas im Blick auf die Bevölkerung Tibets als ei- gemeinschaften in allen Regionen Chinas hingewiesen ne brutale Unterdrückung der Religionsfreiheit be- werden. zeichnet werden müssen. Unser Eintreten für die Verwirklichung der Religionsfreiheit in China bezieht die Muslime, insbesondere das 13 Volk der Uiguren im Autonomen Gebiet Xinjiang eben- zu nutzen, das kirchliche Leben aber auch die Situation so ein wie die Buddhisten im ganzen Land, besonders anderer Religionen in China mit eigenen Augen kennen aber das tibetanische Volk nicht nur im Autonomen zu lernen, indem sie christliche Gottesdienste und Gebiet Tibet sondern vor allen - und das ist vielen gar Tempel besuchen und mit Gläubigen ins Gespräch nicht so bewusst - in den angrenzenden Provinzen. Un- kommen. sere Forderung nach Verwirklichung der Religionsfreiheit für diese religiösen Minderheiten ist ganz parallel Die Berichterstattung westlicher und insbesondere zur Situation der Katholischen Kirche und der Evange- auch deutscher Medien wurde von Chinesen innerhalb lischen Christen, die – wie dargelegt - in Folge der und außerhalb Chinas als tendenziös empfunden. Die Einmischung der Kommunistischen Partei und der Vor- oft unkritische Unterstützung der „Free Tibet“- schriften des Staates häufig daran gehindert werden, Kampagne, die den olympischen Fackellauf durch ihr Kirchen- und Gemeindeleben nach den eigenen westliche Großstädte begleitete, hat nationalistische Glaubensüberzeugungen zu gestalten. Strömungen in China Auftrieb gegeben. Auch kirchliche Partner fühlten sich durch die westliche Reaktion brüs- Auf die Situation der Religionen in China verweist auch kiert. Die Evangelische Chinesische Gemeinde in Berlin die Veröffentlichung des Evangelischen Missionswerks gehörte zu den Hauptveranstaltern der Demonstration (EMW) „China und die Olympiade 2008“, die von den gegen „Nachrichtenverfälschung“, an der sich am 19. deutschen evangelischen Kirchen und Missionswerken April 3.000 Chinesen beteiligt haben.1 schon im letzten Jahr in Auftrag gegeben wurde. Die Ostasienkommission des Evangelischen MissionsAlle die anlässlich der Olympischen Spiele – und natür- werks (EMW) appellierte an die Kirchen und Missions- lich nicht nur aus diesem Anlass - nach China reisen, sollten die Olympischen Spielen in Peking bewusst da- 1 http://www.swr.de/nachrichten//id=396/nid=396/did=3427646/1457vam/index.html 14 werke, „die chinesische Reaktion auf unser gegenwär- zur Olympiade nach China reisen und sie mit Hinter- tiges mediales Chinabild ernst zu nehmen“ und auch grundinformationen zur Situation der Menschenrechte, der am 5./6. Mai in St. Ottilien tagende Ökumenische insbesondere zur Lage der Kirchen in China versorgt2. China Arbeitskreis (ÖCAK) äußerte die Befürchtung, dass die von Klischees bestimmte Berichterstattung, Diese Initiative von Seiten der EKD versteht sich er- dem Ansehen der westlichen Presse in der chinesi- gänzend zu einer zuvor von Bischöfin Margot Käßmann schen Öffentlichkeit dauerhaft schaden könnte. von der Hannoverschen Landeskirche ins Leben gerufene Aktion, bei der schwarze Armbändern mit einem Vor diesem Hintergrund hat sich die EKD in der Debat- Facettenkreuz und dem Aufdruck: „...dass Friede und te um einen möglichen Boykott der Olympischen Spiele Gerechtigkeit sich küssen. Ps 85“ verteilt wurden. Die- deutlich gegen einen solchen Schritt gewandt. Abgese- se Initiative hat zum Ziel vor und während der Olympi- hen von den zweifelhaften direkten Wirkungen eines ade ein sichtbares Zeichen des Protestes gegen Men- Boykotts sind wir der Auffassung, dass ein solche Boy- schenrechtsverletzungen in China und Tibet zu setzen. kott mittelfristig den Prozess einer langsamen Öffnung, Die Armbänder können bei der Landeskirche bestellt wie ich ihn beschrieben habe, stoppen, wenn nicht werden und werden kostenlos verteilt, es wird aber ei- umkehren würde. Er hätte die Gefahr in sich getragen, ne Spende zugunsten von Asian Human Rights Com- das Land für eine längere Periode erneut kulturell ab- mission (AHRC) gebeten. Die Aktion ist in kurzer Zeit zuschotten. Wir sehen vielmehr eine Chance zur Förde- auf ein breites Echo innerhalb der Bevölkerung gesto- rung des Prozesses der Öffnung in der Nutzung der Möglichkeiten, die die große Aufmerksamkeit während der Olympischen Spiele bedeuten könnten. Gemeinsam mit ihrem Sportbeauftragten der EKD Valentin Schmidt haben wir uns gezielt an die Journalisten gewandt, die 2 EMW & China-InfoStelle (Hg), „Schneller, höher, stärker“ –China und die Olympiade 2008, Hamburg, 2007, ISSN 1436-2058 Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V., SympathieMagazin Nr.10 „China verstehen“, München, 2007 Georg Evers, Zur Lage der menschenrechte in der Volksrepublik China – Wandel in der Religionspolitik?, Missio –Internationales Katholisches Missionswerk e.V., Aachen, 2008, ISSN 1618-6222 15 ßen. Weit über 100000 Armbänder wurden auf vorhe- Nun, diese Form von Realismus ist nicht die schlech- rige Bestellung versandt. teste. Ich komme zum Schluss und greife noch einmal die offizielle Ideologie der Kommunistische Partei Chinas auf. Noch immer hält sie offiziell an dem marxistischleninistischen Glaubenssatz fest, Religion sei "Opium für das Volk" und werde darum in einer sozialistischen Gesellschaft schließlich überflüssig sein. Dass die Realität eine andere ist, ficht ja ideologisch erstarrte Systeme lange nicht an, ehe sie meist in einem Rutsch implodieren. Da wir es bei Chinesen mit sehr pragmatischen Menschen zu tun haben, definieren sie sich selbst als eine sozialistische Gesellschaft im Anfangsstadium. In diesem Anfangsstadium ist durchaus noch Platz für das Phänomen der Religion. Wie lange dieses Anfangsstadium anhalten soll, weiß niemand und will wohl auch niemand wissen. Hier und da lässt der eine oder andere Parteifunktionär auch mal anklingen, dass möglicherweise die Religion sogar länger bestehen könnte als die kommunistische Partei Chinas.