Mathematik in der Evolutionsbiologie Vom Konflikt zwischen

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Mathematik in der Evolutionsbiologie
Vom Konflikt zwischen
Mendelianern und Biometrikern
zur modernen Populationsgenetik
Wolfgang Stephan
Abt. Evolutionsbiologie
LMU München
Reaktionen auf Darwins Evolutionstheorie
Charles Darwin in Origin of Species (1859):
- Evolutionäre Änderungen erfolgen graduell,
- Hauptantriebskraft ist die natürliche Selektion.
Saltationisten (Thomas H. Huxley, Francis Galton, William Bateson):
- Evolution erfolgt zumeist in größeren Sprüngen,
- sie begrüßten die Wiederentdeckung der Mendelschen
Gesetze (1900) Æ Mendelianer.
Biometriker (Francis Galton, W.F.R. Weldon, Karl Pearson):
- Evolution erfolgt graduell (getrieben durch die
natürliche Selektion),
- Veränderungen quantitativer Merkmale können nur mit
Hilfe der Statistik studiert werden (z.B. Korrelationen zw.
Verwandten).
Hauptproblem von Darwins Evolutionstheorie:
Vererbung
vermischend oder partikulär?
D.h.: wird die Erbinformation vermischt oder bleiben die Erbfaktoren
von Generation zu Generation erhalten?
Jenkin (1867): Die Vermischung führt zu einem Verlust der
Unterschiede zwischen Merkmalen innerhalb kürzester Zeit. Die
Varianz wird jede Generation um 50% reduziert.
Damit kann aber die natürliche Selektion, die auf phänotypischen
Unterschieden zwischen den Individuen einer Population beruht, nicht
mehr wirken.
Mendels Wiederentdeckung rettet die Darwinsche
Evolutionstheorie!
Das Hardy-Weinberg Gesetz (1908)
Modell:
• Unendlich große diploide Population
• Zufallspaarung
• Keine Evolutionskräfte
Betrachte Gen mit 2 Allelen A und a. Definiere Allelfrequenz x:=f(A), und
Genotypfrequenzen X:=f(AA), Y:=f(Aa), und Z:=f(aa).
Dann gilt unter der Annahme, dass eine Population in der gegenwärtigen
Generation die Genotypfrequenzen X, Y und Z hat, in der nächsten
Generation:
X’=x2,
Y’= 2x(1-x), und
Z’=(1-x)2,
wobei x=X+ 12Y.
Ferner, falls die Genotypfrequenzen X, Y und Z in der gegenwärtigen
Generation schon von der Form x2, 2x(1-x) und (1-x)2 sind, sind diese
Frequenzen für alle folgenden Generationen stabil.
Versöhnung zwischen Biometrikern und Mendelianern
(Ronald A. Fisher 1918)
Biometriker:
Mendels segregierende Erbfaktoren sind irrelevant
in der Erklärung der beobachteten Korrelationen
zw. Verwandten
Mendelianer:
Segregation von vielen verschiedenen
interagierenden Faktoren kann die kontinuierliche
Verteilung von Merkmalen erklären.
Fisher (1918) hat letzteres mit einem mathematischen Modell nachgewiesen, indem er Merkmale als Funktion von Genotyp- und
Allelfrequenzen ausgedrückt hat.
Dieses Paper war auch ein Meilenstein in der Geschichte der Statistik.
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Synthese der Evolutionstheorie, Genetik und Biometrie
(R.A. Fisher, J.B.S. Haldane und S. Wright, 1920-1940)
Klassische Selektionstheorie und die Geburt der klassischen Populationsgenetik.
Genotyp
Fitness
Frequenz vor Sel.
Frequenz nach Sel.
=
∝
AA
wAA
x2
x2 wAA
Aa
wAa
2x(1-x)
2x(1-x) wAa
aa
waa
(1-x)2
(1-x)2 waa
wAa = 1+s
waa = 1,
Beispiel: Positiv gerichtete Selektion
wAA = 1+2s
wobei 0 < s << 1 Selektionsvorteil von Allele A.
Î Δx = sx(1-x), 0 ≤ x ≤ 1.
Evolution als stochastischer Prozess
Wright-Fisher Modell:
– Endliche Populationsgröße N
– Zufallspaarung
Genetische Drift:
Stochastische Beschreibung von Allelfrequenz X(t) zur Zeit t auf dem
Zustandsraum {0, 1/2N, …, 1} erfolgt als Markovkette.
Diffusionstheorie
Wenn N sehr groß ist, kann eine solche Markovkette durch eine
Diffusionsgleichung approximiert werden (Wright, Malécot, Kimura).
∂
∂
1 ∂2
f (x,t) = − [a(x) f (x,t)]+
[b(x) f (x,t)],
∂t
∂x
2 ∂x 2
wobei x = Allelfrequenz und f(x,t) deren Wahrscheinlichkeitsdichte zur
Zeit t, und z.B.
a(x) = 2Nsx(1 − x),
b(x) = x(1 − x).
Dadurch werden viele grundlegende Resultate der Populationsgenetik
erhalten, z.B.
-
die Fixationswahrscheinlichkeit einer neuen Mutation unter dem Zusammenwirken
von positiver Selektion und Drift,
die Verteilung der Allelfrequenzen im Gleichgewicht zwischen Mutation und Drift, etc.
Neutrale Theorie der Molekularen Evolution
(Motoo Kimura 1968)
Diese Theorie behauptet, dass die Evolution auf der molekularen Ebene durch
Die Kombination von zwei Kräften erklärt werden kann: Mutation und
genetische Drift. D.h., Einflüsse der Selektion sind vernachlässigbar.
Die Grundaussagen sind:
Heterozygotie
π = 4Nu,
Substitutionsrate
k = u,
wobei u = Mutationsrate.
Kimura (1985): “Even my neutral theory of molecular evolution is on this line
of development: it is a flower, so to speak, that bloomed on a tree whose main
trunk comprises the diffusion models of population genetics.”
Die quantitative Formulierung der Theorie erlaubt rigorose statistische Tests,
z.B. der Hypothese, dass Heterozygotie und Substitutionsrate positiv korreliert
sind.
Molekulare Populationsgenetik und der Coalescent
In den letzten 20 Jahren haben neue DNA-Sequenziermethoden
unvorhergesehene Möglichkeiten eröffnet, die neutrale Theorie zu
testen. Im besten Fall können große Stichproben von gesamten
Genomen analysiert werden (ÆHuman-Genomprojekt von 1000
Individuen; ähnliches ist für Drosophila im Bereich des Möglichen).
Der Coalescent (Kingman 1982) ist die wichtigste mathematisch/
statistische Methode der modernen Populationsgenetik, die generierten
SNP-Daten zu untersuchen, quantitative Hypothesen zu testen und
Parameter von Evolutionsmodellen zu schätzen. Er wird auch bei
Assoziationsstudien in der Biomedizin eingesetzt.
Past
Coalescent without
recombination and selection
T(2)
T(3)
T(4)
T(5)
Present
Sampled gene copies
Ancestral recombination graph with hitchhiking
Tlimit
neutral phase
selective phase
T=τ
neutral phase
T = 0 (Present)
Heterozygosity
Position (kb)
Expected hitchhiking effect of a
beneficial mutation
Heterozygosity (π)
Position (kb)
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