Materialien Moby Dick

Werbung
Materialien für Pädagogen
MOBY DICK vs. A.H.A.B – All
Heroes Are Bastards
Ein Rachefeldzug mit Puppen und Menschen von Roscha
A. Säidow nach Herman Melville
Uraufführung am 27.03.2015
Schauspiel Dortmund
Studio
Spielzeit 2014/2015
Besetzung:
Sebastian Graf,
Uwe Schmieder
Franziska Dittrich
Magdalena Roth
Johannes Hubert
Regie: Roscha A. Säidow
Bühne, Kostüme: Julia Plickat
Puppenbau: Magdalena Roth
Musik: Bernhard Range
Dramaturgie: Dirk Baumann
Licht: Rolf Giese
Regieassistenz: Wiebke Rüter
Bühnenbildassistenz: Jan P. Brandt
Kostümassistenz: Vanessa Rust
Inspizienz: Tilla Wienand
Soufflage: Marie Helbing
Kontakt und theaterpädagogische Begleitung: Svenja Riechmann (in Vertretung für
Sarah Jasinszczak), Theaterpädagogin Schauspiel, Theaterkarree 1-3, 44137
Dortmund, 0231/5022555 oder [email protected]
Inhalt
1. Das Stück
2. Die Regisseurin
3. Aktueller Bezug
5. Textstellen
6. Text: Niels Werber: Die ewige Jagd auf den weißen Wal
Das Stück
Herman Melvilles Welterfolg: eine Geschichte über Rache, Fanatismus
und menschliche Urängste. Mit seiner Mannschaft segelt Kapitän Ahab
auf der „Pequod“ über die Weltmeere. Beseelt von unbändiger Rachlust
und einem einzigen Plan: Die Bestie Moby Dick muss geschlachtet
werden! Vor langer Zeit hat ihm das Monster ein Bein abgerissen, seither
humpelt Ahab auf einer Prothese aus Pottwal-Kieferknochen über sein
Deck. Sein Fanatismus ist grenzenlos. Ahabs Crew: eine wilde Horde
von Kriegern – mechanische Prothesen, Harpunen-Arme, Nieten,
Taucherglocken, Stahlwesten – zum Kampf herangezüchtete Cyborgs!
Als eines Tages der junge Ismael in die Fänge der schwimmenden
Terrorzelle gerät, wandelt sich der harmlose Abenteuerurlaub zum
Horrortrip: Unerbittlich macht Ahab alle Neuankömmlinge zu
Gefangenen seines Kampfes, aus dem es kein Entkommen gibt…
Die Geschichte eines Schiffskapitäns, der einen weißen Wal jagt. Doch
die Seefahrergeschichte ist viel mehr – eine Folie für die Gegenwart:
Was hält eine auf den Tod eingeschworene Gruppe zusammen? Worin
liegt die Faszination für Kapitän Ahabs wahnsinniges Ziel?
Die Regisseurin
Roscha A. Säidow erschafft mit ihrem seit 2011 bestehenden CrossOver-Puppenkollektiv Die Retrofuturisten hollywoodeske SteampunkDystopien zwischen Tim Burton, Sin City und Comic: analog meets
hightech!
Säidow studierte Regie an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst
„Ernst Busch“.
Roscha A. Säidow interpretiert die weltbekannte Seefahrergeschichte in
ihrer Inszenierung neu und befragt ihre zentralen Motive der Rache und
der Gruppendynamik auf die heutige Zeit.
Auf der Bühne stehen sowohl Schauspieler des Dortmund Ensembles
als auch die „Die Retrofuturisten“ – das frei Theater-
/Puppenspielkollektiv Säidows, das Mittel aus Puppentheater,
Schauspiel, Musik und Objekttheater zu einer einzigartigen Erzählweise
und Ästhetik. Kombiniert.
Aktueller Bezug
Welchen aktuellen Bezug hat „Moby Dick vs. A.H.A.B. – All Heroes
Are Bastards“?
Herman Melvilles Roman stellt dem romantischen Traum von der
Seefahrt den Fanatismus eines einzelnen entgegen.
Roscha Säidows Inszenierung ist zwei geteilt, dass Puppenspiel erzählt
die Geschichte von Melvilles „Moby Dick“.
Der zweite Teil nimmt Bezug auf die Gegenwart, auf Menschen, die auf
Sinnsuche sind, die jeder von uns sein könnte.
4 Leute, die ausbrechen wollen aus ihrem Leben, ihre Anleitung ist
„Moby Dick“…
Das literarische Quartett liefert die externe, intellektuelle Erklärung für
das Phänomen des Fanatismus.
Ein Klassiker der Weltliteratur, der Charakteristiken des modernen
Terrorismus vorwegnimmt: Auch die RAF erkannte sich in Moby Dick
wieder und wählte daraus ihren Decknamen – „Ahab“ stand für Andreas
Baader.
Textstellen
Original „Moby Dick“:
„Nennt mich Ismael. Ein paar Jahre ist’s her – unwichtig, wie lang
genau -, da hatte ich ein wenig bis gar kein Geld im Beutel, und an Land
reizte mich nichts Besonderes, und so dacht ich mir, ich wollt eine wenig
herumsegeln und mir den wässrigen Teil der Welt besehen(…)
Besonders immer dann, wenn meine schwarze Galle so sehr überhand
nimmt, dass nur starke moralische Grundsätze mich davon abhalten
können, mit Vorsatz auf die Strasse zu treten und den Leuten mit
Bedacht die Hüte vom Kopf zu hauen – dann ist es höchste Zeit für mich,
so bald ich kann auf See zu kommen. Das ist mein Ersatz für Pistole und
Kugel. (…)
Das unfassbare Ding ist es vor allem, was ich hasse; und ob der weiße
Wal nun Werkzeug oder ob der weiße Wal der Urheber von allem ist, ich
wird mit diesem Hass ihn überziehen. (…)“
Textstellen
aus dem Stück
Karasek: Entschuldigung. Worum es mir geht: In diesem Fall wurde der
Urangst quasi in all ihrer Grausamkeit ins Auge geschaut und zurück
bleibt eine zerrüttete Seele, nur mehr darauf bedacht, einen Status Quo
herzustellen. Ein Gleichgewicht in der eigenen Welt. Und sein Handeln
als Kapitän unterliegt nur scheinbar der Vernunft, doch sein Trieb ist
Wahn.
Löffler: Interessanterweise wird solch einem zerstörten, zu allem bereiten
Menschenkind eine ganze Mannschaft, ja eine Mission, anvertraut.
Ranicki: Höchst erstaunlich, gewiss. Zudem finden sich verschiedenste
Charaktere auf Ahabs Schiff. Ein hoch explosiver Mikrokosmos. Die
Mannschaft bildet in ihrer Heterogenitität ein Abbild unsrer heutigen
Gesellschaft. Und so ideales Material für Ahabs fanatischen
Rachefeldzug.
…
Und du schlägst diesen Weg ein?
Ja.
Und du bist dir bewusst – dieser Weg ist ohne Wiederkehr.
Ja.
Und du bist dir bewusst – dieser Weg macht dich zum Mörder.
Ja. Alle: Ja
Und du bist dir bewusst – die Welt wird dein Feind und du zum Verräter.
Alle: Ich akzeptiere diese Ordnung nicht. Diese Ordnung ist nicht die
meine. SIE hat MICH verraten.
…
Ranicki: Nun, sollte man meinen, eine Besatzung sein mit Bedacht
ausgewählt worden. Frau Löffler!
Löffler: Ja, mit Bedacht. Man ist schließlich für lange, übermäßig lange
Zeit auf engsten Raum zusammengepfercht, Herr Karasek!
Karasek: Da kann man sich nicht die Beine vertreten. Da gibt es keine
Privatsphäre.
Löffler: Ein Biotop menschlicher Abgründe. Am Anfang mag man sich
noch zusammenreißen können, doch schon bald wird jeder seinen
wahren Charakter zeigen.
Ranicki: Da sollte man doch meinen, im Angesicht der Tragweite solch
einer Mission, da steht ja tatsächlich eine Menge auf dem Spiel, dass die
Organisatoren eine genaue Auswahl treffen, den Bewerbern allerhand
Prüfungen aufbürden. Statistiken auswerten. Doch dem ist nicht so!
Karasek: Oh ja, stimmt Marcel! Denn welcher Hochqualifizierte setzt sich
freiwillig diesen Strapazen und Entbehrungen aus, womöglich noch mit
der Allgegenwart seines Todes. Und ohne Aussicht auf entsprechende
materielle Vergütung.
Löffler: Gut, einige Experten gibt es schon. Anders würde es tatsächlich
nicht funktionieren.
Ranicki: Doch die anderen sind gewisse Rohdiamanten. Angelockt von
der Idee, der Mission, dienen sie den Befehlshabern als Gefäße für ihre
Ordnung.
Ahab
Und du stehst im gegenüber. Hoch oben schwingt gewaltig das Haupt im
wilden Geifer. Dieses Bild flößt dir eine Faszination ein, die du nur
schwer erklären kannst, die dich willenlos mitreißt und den Willen des
Geifernden zu deinem macht. Aus der ganzen Welt kommen sie
zusammen, finden sich über verschiedenste Wege und brüllen plötzlich
im Chor. Ein Block, ein Mob. Aussicht auf Erfolg. Aussicht auf
Veränderung. Aussicht auf Leben. Erleben. (…)
Die unendliche Weite einer einsamen Nacht. Wie bin ich so geworden.
Woher der Hass, woher die Gier nach Blut. Vergeltung. Mein Leben liegt
gekappt von allen bisherigen Bindungen in Scherben vor mir.
Zusammengehalten vom Trugbild eines Mannes, dessen Auge blinder
Trieb Trübt. Doch sein Hass ist auch der meine. Die Aussicht auf Rache
lindert meine Qual, die ich in dieser Welt empfinde. Ich bin krank, denn
die Welt ist krank.
Ausbruch aus vorgefertigten Bahnen. Schule, höhere Schule, höchste
Schule. Freunde, Freundin, Familie, Kinder. Der Kreislauf der Lethargie
kreiert Stammbaum um Stammbaum. Unfreiheit wird nicht mit dem
Willen entschieden. Unfrei wirst du mit der Muttermilch. Ich habe meinen
Namen vergessen.
…
Und du schlachtest ihre Väter. Und du schlachtest ihre Brüder.
Ja. Das tue ich. Denn sie sind nicht die meinen.
Und du schlachtest sie selber. Ja. Das lässt sich nicht vermeiden. All
Heroes Are Bastards…
Ranicki: Ahab wird neu geschaffen und immer wieder neu geschaffen
von dem Willen der kommenden Generation!
Niels Werber: Die ewige Jagd auf den weißen
Wal
Hobbes, Melville, Schmitt und die RAF – Zur Geschichte eines
politischen Symbols
1851 (…) erscheint Herman Melvilles Moby Dick; OR, The Whale. Gleich
auf den ersten Seiten, wo ein fiktiver und doch genauer Subsublibrarian
sein Wissen über Wale ausbreiten darf, wird der Leviathan herbeizitiert,
das biblische Ungeheuer und Sinnbild höchst diesseitiger Macht. Der
Leviathan des Thomas Hobbes, der die gleichen Bücher der Bibel
bemüht wie Melville: „Hiob“ und „Jona“, wurde 1651, genau zweihundert
Jahre zuvor publiziert. Ein Zufall?
Unter dem Zeichen des Leviathans beschreibt Hobbes den Staat als
jene höchste irdische Gewalt, die dem Krieg aller gegen alle ein Ende
macht, in seinem Inneren Ruhe, Sicherheit und Ordnung herstellt und
darüber wacht, dass Verträge eingehalten werden. Dieser Status ist in
seinem Inneren gefährdet durch Parteiungen und Bürgerkrieg und von
außen durch kriegerische Nachbarn. Hobbes führt seine Metapher weit
aus: Nerven (Minesterialbürokratie und Muskeln (Armee) hat der Staat,
Augen (Spione) und Blutkreislauf (Geld) usw. Dieser Staatskörper kann
folglich innerlich erkranken, „Geschwulst und Beulen“ ausbilden,
„schädliche Säfte“ produzieren oder an „Fallsucht“ und „Fieber“ leiden, ja
er kann „sterben“ - oder der Leviathan wird durch „Kriegsglück“
bekämpft, erlegt und zerlegt, so dass alles, bei Melville zum Beispiel das
geteilte Polen, den Siegern zufällt.
Ist es auch die größte Macht auf Erden, ja ein „sterblicher Gott“, so wird
er doch von Bedrohungen umgeben, die sein „Ende“ bewirken können,
sollte er sich ihrer nicht erwehren können. Der Leviathan schwimmt also
in „lawless seas“. (…)
Erarbeitung des Materials:
Svenja Riechmann und Mia Reiss, Theaterpädagogik
Schauspiel Dortmund
Herunterladen