10. Sonntag nach Trinitatis, 28. August 2011 Predigttext: 2. Mose 19

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10. Sonntag nach Trinitatis, 28. August 2011
Predigttext: 2. Mose 19, 1-6
Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat. (Ps 33, 12)
Texte: Psalm 130 EG 751; Epistel: Röm 9, 1-8.14-16; Evangelium: Lk 19, 41-48; PT
Begrüssung: Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Willkommen zum heutigen Gottesdienst. Diese Überschrift merkt sich ja gut: Gib dem Sonntag eine
Seele und der Seele einen Sonntag. Heute haben wir einen Menschen unter uns, der diesen
Ratschlag bis ins biblische Alter immer wieder neu und treu befolgt hat – und dem dieser Ratschlag
die Seele bestärkt hat. Unser langjähriger Kirchenvorsteher und ehrenamtlicher Mitarbeiter auf
allen Ebenen der Hamburger und später der Nordelbischen Kirche Wolfgang Seybold ist am letzten
Dienstag 90 Jahre geworden. Wir danken Gott für diesen Segen und den Segen, den Herr Seybold
mit seinen vielen Talenten weitergeben konnte. Wenn es stimmt, dass es nur eine Sünde unter
Gottes Sonne gibt – vergeudetes Talent – dann ist dieser Mann offensichtlich ohne Sünde. Und
das über lange Jahre in guter Gesellschaft mit seiner Frau – begleitet auch von seinen Kindern und
Enkeln. Alle sind heute hier in die Kirche gekommen, um Gott zu danken für dieses reiche Leben.
Die Verheissung im Psalm 1 heisst: „Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der
seine Frucht bringt zur rechten Zeit – und was er macht, gerät wohl.“ So feiern wir diesen
Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Gebet:
Gott, du sagst, was du tust
Und tust, was du sagst.
Auf dich ist Verlass!
Öffne unsere Ohren für dein Wort
Und unsere Augen für deine Werke.
Sende Hoffnung in unser Herz
und lass in unserem
Leben und Handeln
Vertrauen wachsen
zu deiner Barmherzigkeit und Treue. Amen.
Text: Exodus 19, 1-6: 1 Am ersten Tag des dritten Monats nach dem Auszug der Israeliten aus
Ägyptenland, genau auf den Tag, kamen sie in die Wüste Sinai. 2 Denn sie waren ausgezogen von
Refidim und kamen in die Wüste Sinai und lagerten sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge. 3
Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du
sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: 4 Ihr habt gesehen, was ich mit den
Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. 5
Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein
vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. 6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und
ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.
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Liebe Brüder und Schwestern in Christus, liebe Gemeinde,
„Israel-Sonntag“ steht heute im Kalender der Kirche. Der Sonntag, an dem an die Zerstörung des
Tempels im Jahre 70 nach Christus gedacht wird. Und selbstverständlich über das Verhältnis von
Christen zu Juden – in unserem Fall in der besonderen Farbe Deutschlands. Kein leichtes Stück in
einem Land, indem ein falscher Zungenschlag zum Thema Israel sofort hohe Wellen schlägt: die
Linkspartei steht gerade am Pranger, weil sie die Staatsführung Israels wegen der Behandlung der
Palästinenser als Rassisten verdammt und die Achtung der Menschenrechte einklagt – und
gleichzeitig Fidel Castro überschwänglich zum 85. gratuliert, den Menschenrechte nie
interessierten. Aber die Erben der SED-Diktatoren sind ja beileibe nicht die Einzigen in
Deutschland, denen zu raten wäre, zu diesem Thema doch besser den Mund zu halten – nach
alledem, was den Juden im Namen Deutschlands angetan worden ist. Bei uns Christen im Lande
ist dabei auch besondere Vorsicht geboten, weil der Israel-Sonntag über Jahrhunderte in der
strammen Überzeugung gefeiert wurde, dass es den Juden damals ganz recht geschehen sei, als
Titus Jerusalem zerstört hat. Der Grund war schnell gefunden: Ihr Verhältnis zu Jesus. Der
Leitgedanke dabei heiss: Weil sie Jesus nicht als Messias anerkannt haben, ist ihnen die Würde
des auserwählten Volkes verloren gegangen und rückstandsfrei auf die Christen übergegangen.
Deshalb haben die Juden für alle Zeiten die Würde des auserwählten Volkes durch eigene Schuld
verspielt. Und ihr Testament gleich mit: Das wurde ihnen auch enterbt und von Christen als
Steinbruch des eigenen Wahrheitsvorsprungs ausgebeutet. Christen sind nun in dieser Lesart zu
Gottes Volk erster Klasse aufgestiegen, Juden zur Drittklassigkeit abgestürzt. Wahr ist auch, dass
Martin Luther einer der Väter dieser Überlegenheitstheorie war, die bis vor wenigen Jahren an
Universitätskathedern und Kanzeln wie selbstverständlich verbreitet wurde. Der Zerstörung des
Tempels in Jerusalem im jüdischen Jahr 5771 zu gedenken ist deshalb heute hier eher zweitrangig
– vielmehr steht für die nächsten 100 Jahre auf dem Programm des Israel-Sonntags, sich der
Zerstörung des auserwählten Gottesvolkes im Namen Gottes durch Christen und Deutsche zu
erinnern und welche Schlüsse daraus folgen.
Der Predigttext:
Was machen wir nun mit einem solchen Text? Ihn zuerst einmal zur Kenntnis nehmen und
feststellen: Das ist nicht unser Text. Er gehört uns nicht. Es ist ein Brief Gottes an sein
auserwähltes Volk. „Höre Israel!“ heisst die Überschrift. Wir stehen da gar nicht auf dem Verteiler.
Der Theologe Frank Crüsemann hat daraus gefolgert: Als Christen können wir nicht einfach das
„Höre Israel“ umhören in „Höre christliche Gemeinde“, sondern in „Christliche Gemeinde, höre
Israel zu“. Wir sind hier in die Rolle der staunenden Zuschauer eingewiesen. Worüber wir staunen
können? Das im jüdischen Verständnis von Anfang an Gott und Freiheit zusammengehören. Gott
wird im Judentum erlebt als eine Kraft, die Fesseln löst, neue Anfänge möglich macht, Menschen in
seinen Dienst ruft, die nicht so recht für höhere Aufträge zu passen scheinen. Eben als der Gott
des Mose, der Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs – allesamt keine Lichtgestalten vor dem Herrn, aber
Gesegnete, die Segen stiften. Dieser Gott schenkt seinem Volk auch die Regeln des
Zusammenlebens, seine 613 Gebote und Verbote. Sie machen deutlich, dass das Volk Gottes
einen Bund mit ihm als Ganzes geschlossen hat – und Gott der Garant für Zukunft und
Gerechtigkeit für dieses Volk ist. Wir als Christen sind nachgeordnete Erben, nicht die Ersatzerben.
Und – das ist ja auch wahr: Dieser Brief Gottes an sein jüdisches Volk ist auch an die Gemeinde
der Christen weitergeleitet worden - sozusagen im C/C. Er ist die Grundlage auch für unsere Ethik,
die auf dem Grundgedanken beruht, dass jeder Mensch seine Würde von Gott geschenkt bekommt
und vor Gott alle gleich sind. Hier liegen unsere Wurzeln – und wie weit sie verschüttet waren,
kann man daran erkennen, dass die Kirchen den Satz aus dem Munde des Juden Jesus: „Was ihr
getan habt einem dieser meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan“ jahrhundertelang ausser
Kraft gesetzt haben. Ohne diesen Satz zu beherzigen, auch und gerade im Umgang mit dem
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jüdischen Volk, ist ein Gedanke ans Miterben der Verheissung des Segens Gottes absurd. Und
was wir als Auftrag übernehmen können: Unseren Kindern und Kindeskindern zu lehren, Gottes
Gebote zu halten und ihnen dabei liebevolle und auch ernsthafteVorbilder zu sein. Dieser Auftrag
beginnt mit dem Respekt und dem Dank gegenüber Gott. Den lernen sie wohl auch durch den
Heiligen Geist – aber eben auch durch uns Ältere. Dafür trägt ein Jeder aus dem Gottesvolk die
gleiche Verantwortung. Daran erinnert uns der Israel-Sonntag. Amen.
Dankgebet und Fürbitten
Ewiger und barmherziger Gott,
Du hast Israel zu einem Zeichen
deiner Treue gemacht
unter den Völkern.
Bis heute stehst du zu deinem Bund.
Wir fangen erst an zu begreifen,
was das bedeutet, auch für uns.
Stell uns untrennbar
an die Seite deines Volkes,
vertiefe unser Verständnis
für das, was jüdische Menschen bewegt
in ihrem Glauben und ihrem Leben.
Gib uns Geduld,
ihnen zuzuhören
und sie zu verstehen,
lehre uns, ihre Andersartigkeit zu respektieren,
ohne uns von ihnen abzuwenden.
Mach uns empfindsam für ihre Ängste
und bereit, allen entschlossen entgegenzutreten,
die sie anfeinden,
nur weil sie jüdisch sind.
Gott, wir bitten dich für den Staat Israel:
Schütze alle, die in ihm leben
vor Terror und Krieg,
und bewahre sie davor,
dass Angst und Hass
die eigene Seele vergiften
und kein Frieden einkehren kann.
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Gib den Regierenden
Weisheit im Umgang
mit den Aufbrüchen in der arabischen Welt.
Schenk ihnen Weitsicht und Mut
für neue Abkommen,
die der Aussöhnung dienen,
und erwecke ihnen verlässliche Verhandlungspartner.
Gott, du hast verheissen,
dass alle Völker
auf dein Wort hin
verlernen werden,
einander zu hassen und zu morden.
Schwerter sollen zu Pflugscharen werden
und die Erde wird endlich Genüge haben
für alle, die hungern
nach Brot und Gerechtigkeit.
Wir bitten dich
um deiner Treue willen:
Erfülle deine Verheissungen. Amen.
Pastor Matthias Neumann
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