Predigt am 4. Fastensonntag, 22. März 2009 Lesung: Epheserbrief 2, 4-19 * Evangelium: Johannes 3, 14-21 “EHRE VATER UND MUTTER” “Du sollst Vater und Mutter ehren”, so lautet die gängige Übersetzung des vierten Gebotes. Sie ist jedoch ungenau. Eigentlich müsste es heißen: „Gib deinem Vater und deiner Mutter, gib den Älteren das ihnen zustehende Gewicht.“ Das Wohlergehen des einzelnen und des ganzen Volkes Israel hängt an der Beachtung dieses Gebotes. In Israel besaß jede Familie ihren Anteil am kultivierbaren Boden des Landes, dass Gott seinem Volk überantwortet hatte. Grundeigentum durfte nur unter ganz bestimmten Bedingungen veraeussert werden, damit die gesellschaftliche Harmonie nicht durch ständig wechselnde Besitzverhältnisse, Spekulationen und Rechtshandel in Gefahr geriet. Solange die Eltern lebten, konnten ohne ihre Zustimmung keine Verkäufe getätigt werden. Sie garantierten also die Stabilität der Rechts- und Sozialordnung, die nach dem Glauben Israels von Gott selbst sanktioniert war. Man könnte einwenden: Trug das Elterngebot auf diese Weise nicht dazu bei, ein starres patriarchalisches System auf lange Zeit zu verfestigen? Und die Frage drängt sich auf: Ist Jahwe, der Gott Israels, ein „Gott der Alten“, des Althergebrachten – und nicht der Gott des Aufbruchs, der neuen Schöpfung? Wenn man vierte Gebot aus der Kultur heraus versteht, in der es entstanden ist, ist es etwas ganz anderes als ein alter Zopf. Warum? Weil sich das Volk Israel als „Eigentum Gottes“ versteht: ein von Gott befreites, durch alle Gefahren geführtes, immer neu beschenktes Volk. Aber auch ein Volk, dass ständig in der Bewährung steht, dass sich nie auf seinen Besitzständen ausruhen kann. Trotz der kulturellen Unterschiede wissen aber auch wir Christen, dass auch bei uns jede Generation ihren Weg durch die Zeit- und ihr Verhältnis zu Gott neu finden muss; zugleich sind wir uns klar darüber, dass ein Baum ohne Wurzeln verkümmert. Die Frage ist: Welche Rolle spielen die Eltern, die Älteren für uns. In Deutschland z. B. stellen die „Senioren“ jetzt schon - und demnächst unübersehbar - die zahlenmaessige Mehrheit. Der Generationenkonflikt belastet nicht nur Familien, sondern die ganze Gesellschaft. Immer weniger Junge müssen für die Renten der Älteren aufkommen; sie können sich aber nicht mehr darauf verlassen, dass für s i e in Zukunft in gleicher Weise gesorgt wird. Auf der anderen Seite zählen heute Leistungsfähigkeit, Jugend, Gesundheit, Schönheit Stärke und Anpassungsbereitschaft weit mehr als die Lebenserfahrung oder gar „Weisheit“ der Alten. (Mein Erlebnis in Afrika…) Bei uns ist es die junge und mittlere Generation, die nicht nur das Bruttosozialprodukt erarbeitet, sondern auch die gesellschaftlichen Entscheidungen trifft; ich denke Sie, unsere New Yorker Gemeinde, sind ein Beispiel dafür… Die Verhältnisse sind also heute ganz anders, als im alten Israel. Dennoch hat das vierte Gebot auch uns noch etwas zu sagen, nicht nur in dem Sinn, dass wir ältere Menschen achten und sie zu ihrem Recht kommen lassen. Ich sagte zu Beginn, dass in Israel die Zukunft des einzelnen wie des ganzen Volkes an das Verhältnis zur Elterngeneration gekoppelt war! Die Wurzel Israels hieß: Befreiung und Errettung durch Gott; die Lebenskraft Israels war die Erinnerung an Gottes Treue, die er in der Vergangenheit so oft bewiesen hatte und bis heute in den jüdischen Gottesdiensten eine wichtige Rolle spielt. Wir Christen sind mit der Glaubensgeschichte Israels eng verbunden. Auch wir leben aus der Erinnerung: Ja, wir beziehen uns ständig – immer wenn wir zum Gottesdienst zusammenkommen – auf Geschehnisse, die 2000 Jahre und länger zurück liegen. Wir wüssten darüber nichts, wenn unsere Eltern und Lehrer, die Väter und Mütter unseres Glaubens, uns nicht davon erzählt hätten. Deshalb gibt es Kirche- deshalb sind uns die Älteren wichtig und wir respektieren sie: nicht nur die Senioren in unseren Familien, zu denen viele von Euch guten Kontakt halten, nicht nur die Amtsträger in der Kirche, die zumeist der älteren Generation angehören (einer davon steht vor Euch…) sondern alle, die vor uns den Weg des Glaubens gegangen sind. Sie haben für uns Vorbild und Leitbildfunktion. Wir sollen die Autorität der Älteren achten, weil sie sich aus Lebens- und Glaubenserfahrung speist. Zugleich wissen wir, dass unser Gott immer auch für das Neue und Unerwartete steht, dass er aus alten Zwängen befreit und neues Leben aus dem Tod schaffen kann. Manche Christen, - ob älter oder jünger- können dem Neuen, das Gott schenkt, nur schwer Raum geben. Jesus selbst –ein junger Mann um die dreißig - stand im Gegensatz zu den Traditionalisten der jüdischen Gemeinde. In dieser Auseinandersetzung wurde deutlich, dass für Jesus die zehn Gebote nichts Absolutes, sondern Weisungen zum Leben waren, Anhaltspunke, die uns die Orientierung erleichtern sollten. Auch er rechnete mit der Möglichkeit, dass die Älteren ihre Autorität verspielen und ist dagegen vorgegangen. Um das Alter nicht zu glorifizieren, erinnere ich daran, dass der Lebensentwurf auch manches älteren Menschen ins Zwielicht geraten kann. Ich will vorsichtig sein: aber da hat einer in Krieg und Diktatur „nur seine Pflicht getan“, die sich jedoch mit Menschlichkeit und Glauben nicht vereinbaren ließ. Da hat einer einen Streit in der Familie auf die Spitze getrieben und zeigt sich auch im hohen Alter, trotz großer Einsamkeit, uneinsichtig. Das Alter verdient Wertschätzung, aber keinen blinden Gehorsam, Konflikte müssen ausgetragen werden. „Du sollst Vater und Mutter ehren“ – d. h., ihnen das ihnen zustehende Gewicht geben!Es ist gut, wenn wir Wurzeln haben. Wir dürfen aber auch unsere Flügel nicht verkümmern lassen… AMEN