I. Einleitung Spätestens seit dem letzten Irakkrieg und den kriegerischen Konflikten in Afghanistan ist immer mehr von der Renaissance der Söldner die Rede.1 Angesichts des ‚outsourcing’ militärischer Aufgaben an privatwirtschaftliche Sicherheitsunternehmen oder des Phänomens der ‚warlords’ wird geradezu eine Tendenz hin zum Söldnerwesen und eine damit zusammenhängende Ökonomisierung des Krieges konstatiert.2 So wird in der Diskussion um die ‚neuen Kriege’ darauf hingewiesen, dass vieles daran gar nicht so neu sei. Einige meinen sogar, es handele sich um eine Art Rückkehr zu Zuständen des 16. und 17. Jahrhunderts. In diesem Sinne stellt etwa der Politologe Herfried Münkler den Vergleich mit der Frühen Neuzeit ins Zentrum seiner Überlegungen zur Wandlung des Kriegswesens der Gegenwart.3 Der auf den ersten Blick merkwürdig anachronistische Verweis auf die Frühe Neuzeit erklärt sich dadurch, dass diese Epoche als die Zeit des ‚klassischen Söldnertums’ und der Söldner als Symbol der Kriegsführung des ‚Ancien Régime’ gilt. Demgemäß speisen sich Diagnosen der gegenwärtigen Lage stark aus Vorstellungen über Söldner und das Soldwesen der Frühen Neuzeit.4 Diese Vorstellungen werden dabei nicht nur in der Diskussion in den Medien und wissenschaftlichen Veröffentlichungen bemüht, sondern sind zugleich auch eng mit populären Geschichtsbildern verknüpft.5 1 Zeitungsbeiträge: Martin van Creveld, Die Unverantwortlichen – Auch im Irak trägt die Beschäftigung von Söldnern zur Barbarisierung des Krieges bei, in: Die Welt 19.12.2006; Arne Perras, Herr Müller im Kongo, in: Süddeutsche Zeitung 29.7.2006; Pierre Conesa, Krieg als Dienstleistung – Die neuen Söldner und die internationalen Sicherheitsunternehmen, in: Le Monde diplomatique 11.4.2003; Jan Dirk Hebermann, Von Beruf Söldner, in: Handelsblatt 11.9.2006; Fernsehbeiträge: Söldner – ein Beruf mit Zukunft, Arte 31.1.2006; Die neuen Söldner, Arte 22.6.2005; Radiobeitrag: Söldner – Einsatz in rechtlicher Grauzone, NDR Info 11.2.2006. 2 AZZELLINI UND KANZLEITER (HG.), Unternehmen; CREVELD, Zukunft, S. 309; ELWERT, Gewaltmärkte; EPPLER, Gewaltmonopol; MÜNKLER, Kriege, S. 7-9 und S. 159-173; SINGER, Corporate Warriors; UESSELER, Krieg. 3 MÜNKLER, Kriege, S. 9-11 und S. 63-89. Auch Peter Singer meint, dass in der Privatisierung des Krieges im 21. Jahrhunderts die Geschichte der frühen Neuzeit wieder sichtbar werde und stellt seinen Ausführungen zu modernen privaten Militärfirmen einen entsprechenden Abriss über ‚historische Vorläufer’ voran, vgl. SINGER, Corporate Warriors, bes. S. 19 und S. 26-32. Ähnlich verfährt UESSELER, Krieg. Vgl. zudem CREVELD, Zukunft, S. 303 und S. 316; GROEBNER, Körper, S. 83f.; SIKORA, Söldner. 4 Vgl. nur exemplarisch den Zeitungsartikel über den Afghanistankrieg: Reiner Luyken, Die Landsknechte des Westens, in: Die Zeit 18.10.2001. 5 Die Figur des Söldners bevölkert unsere Medienwelten der Literatur, des Films und der Computerspiele als verabscheuungswürdige Schreckensfigur und verwegener Abenteurer zugleich. Nur einige Beispiele: Combescot, Pierre, Lansquenet, Barcelone 2002; Forsyth, Frederick, Die Hunde des Krieges, 5. Aufl. München 2001 (zuerst engl. 1978) oder der historische Roman von Waltari, Mika, Michael der Finne, 10. Aufl. Bergisch Gladbach 1996 11 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 Woher stammen diese Vorstellungen über die Söldner und das Söldnerwesen der Frühen Neuzeit, die derzeit vielfach aufgerufen werden? Was haben sie mit dem gemein, was die Zeitgenossen des 16. und 17. Jahrhunderts selbst für ein Bild von Söldnern gehabt haben? Diesen Fragen will die vorliegende Arbeit nachgehen, indem sie die Konstituierung von Söldnern als soziale Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert untersucht. Populäre Vorstellungen von Söldnern, die in dieser Zeit geprägt wurden, werden heute üblicherweise zitiert, ohne den historischen Zusammenhang, in dem sie entstanden, zu berücksichtigen. Die vorliegende Studie arbeitet deshalb das Zustandekommen und die Funktionen von Vorstellungen von Söldnern als soziale Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert heraus. Dies geschieht, indem einerseits rekonstruiert wird, wie die Zeitgenossen Söldner betrachtet und beurteilt haben und andererseits beleuchtet wird, wie Söldner ihr Handeln und ihre Sicht in dieser Zeit selbst darstellten. Ziel ist es auf diese Weise ein differenziertes Bild vom Söldner als Typus und den Söldnern als soziale Gruppe in der Gesellschaft des 16. und 17. Jahrhunderts zu gewinnen. Ein solcher Blick auf das Söldnerwesen des 16. und 17. Jahrhunderts ist bisher weitgehend durch ein vorherrschendes Geschichtsbild erschwert, da diese Zeit üblicherweise allein als Übergangsphase zwischen dem adeligritterlichen Kriegswesen des Mittelalters und den stehenden Heeren des Absolutismus gedacht wird. In dieser verbreiteten Sichtweise sei die mittelalterliche Kriegsführung durch einen ritterlichen Ehrkodex geprägt gewesen. Im Söldnerwesen des 16. und 17. Jahrhunderts wird demgegenüber eher das Wüten einer weitgehend regellosen Soldateska vermutet. Da nun quasi jeder Krieger werden konnte und sprichwörtlich seine Haut zu Markte trug, seien die Söldner nicht mehr an ritterliche Standesregeln gebunden gewesen, die ihnen ein Verhaltenskodex auf dem und außerhalb des Schlachtfeldes vorgeschrieben hätte. Die Söldner und ihre Anführer seien allein daran interessiert gewesen im Kriegsgeschäft maximalen Gewinn zu machen und dies hätten sie auf Kosten der Bevölkerung und zum Nachteil ihrer Auftraggeber getan. Loyalität sei von ihnen nur solange zu erwarten gewesen, wie sie dafür Geld bekommen hätten. Soziale Ordnung und Disziplin seien also nur sehr schwer aufrecht zu erhalten gewesen. Die Gruppe war demnach ein bunter Haufen, der allein durch Beutegier und Abenteuerlust zusammengehalten wurde, andere soziale Bindekräfte oder gar so etwas wie eine eigene militärische Gruppenkultur werden dem Söldner(zuerst finnisch 1948); als Film etwa MacLaglen, Andrew V., The wild geese, GB 1978 (deutsch als: Die Wildgänse kommen) oder jüngst Zwick, Edward, Blood Diamond, USA 2006; als Computerspiel: ‚Söldner – Secret Wars’. Vgl. auch das Internetportal ‚kriegsreisende’, das sich als ‚Geschichts e-zine’ versteht und mit umfangreichen populärwissenschaftlichen Informationen zu Söldnern in Geschichte und Gegenwart aufwartet: http://www.kriegsreisende.de/ (Zugriff auf URL: 2.2.2007). 12 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 verband weitgehend abgesprochen. Ganz deutlich zu sehen seien die negativen Folgen dieser Entwicklung des Kriegswesens dann im Dreißigjährigen Krieg. Abhilfe gegen diese Probleme habe erst das stehende Heer des Absolutismus gebracht. Erst jetzt sei es den frühmodernen Staaten gelungen, die Armee stärker an sich zu binden und als Gruppe mit eigenen Normen und professionellem Gruppenethos zu formen. Privatwirtschaftliche Elemente seien zunehmend aus dem Kriegswesen verschwunden und durch staatliche Organisation und Kontrolle ersetzt worden. So sei Ordnung und Disziplin erfolgreich durchsetzbar gewesen. Einige Thesen der historischen Forschung sind gut geeignet, um diese verbreiteten Vorstellungen zu bekräftigen. So haben Mediävisten, allen voran Gerd Althoff, in dem Bemühen dem Klischee vom finsteren und brutalen Mittelalter zu Recht entgegen zu zutreten, die „Spielregeln der Gewalt“ aufgezeigt, nach denen sich adelige Krieger aufgrund eines gruppenspezifischen Ehrkodex richteten.6 Ein Ehrkodex, der beim Söldner des 16. und 17. Jahrhunderts ohne ständische Gruppenbindung allerdings nicht mehr existiert habe.7 Von Seiten der Frühneuzeitforschung harmoniert das von Gerhard Oestreich aufgestellte und prominente Paradigma der Sozialdisziplinierung gut mit den Vorstellungen einer Entwicklung vom ungeordneten Söldnerwesen des 16. und 17. Jahrhunderts zum disziplinierten stehenden Heer des 18. Jahrhunderts.8 Erst die erweiterte Kontrolle der frühmodernen Staaten über die Soldaten und deren Bindung an sie habe demnach überhaupt die Voraussetzungen einer erfolgreichen militärischen Disziplinierung geschaffen. Ein Befund, der sich mit anderen Sichtweisen auf das Verhältnis von Militär, Staat und Gesellschaft im 18. Jahrhundert verknüpfen lässt. So hat der Staatsrechtler Carl Schmitt von der „Hegung des Krieges“ gesprochen, die zu dieser Zeit erfolgt sei.9 Den zügellosen Auswüchsen der Söldnerkriegsführung des 16. und 17. Jahrhunderts hätten erst die souveränen Staaten nach dem Westfälischen Frieden 1648 Grenzen setzen können. Staaten hätten sich seitdem im Rechtsinne als Feinde anerkannt, deren Soldaten seien durch Uniformen erkennbar gewesen und hätten gegeneinander gekämpft, die Bevölkerung aber weitgehend verschont. Der Krieg sei die begrenzte Angelegenheit des professionellen Militärs geworden und sei durch Rechtsregelungen eingehegt gewesen. Zwar machen die Vorstellungen über die zügellosen Söldner des 16. und 17. Jahrhunderts als Kontrastfolie zur staatlich ‚gezähmten Bellona’ des 18. Jahrhunderts die Thesen von Oestreich und Schmitt sehr plausibel, letztere 6 ALTHOFF, Besiegte, ders., Schranken; ders., Regeln. MORAW, Staat, S. 94. 8 OESTREICH, Strukturprobleme. Zur Diskussion um dieses Konzept in diesem Zusammenhang siehe Kapitel V dieser Arbeit. 9 SCHMITT, Begriff; ders., Nomos, bes. S. 111-143. Vgl. dazu auch: MÜNKLER, Gewalt, S. 71-79. 7 13 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 werden aber im Zuge einer allgemeinen Kritik an modernisierungstheoretischen Paradigmen in jüngerer Zeit zunehmend hinterfragt. Die Vorstellung vom disziplinierten und professionalisierten Soldaten des 18. Jahrhunderts beginnt zu bröckeln. So haben etwa Ralf Pröve und Jutta Nowosadtko in ihren Forschungen zu den stehenden Heeren die Gültigkeit des Sozialdisziplinierungsparadigmas für den Bereich des Militärs stark bezweifelt.10 Michael Sikora hat mit seiner Arbeit zur Desertion im 18. Jahrhundert ebenfalls überzeugende Einwände gegen die Annahme einer erfolgreichen Disziplinierung geltend gemacht.11 Die Habilitationsschrift von Stefan Kroll zum kursächsischen Militär des 18. Jahrhunderts bekräftigt diese Zweifel, da sie die engen Grenzen obrigkeitlicher Disziplinierungsbemühungen außerhalb des Exerzierplatzes aufzeigt.12 Auch das Bild der mittelalterlichen Kriegsführung ist im Wandel begriffen. Abgrenzungen zwischen ritterlicher Kriegsführung des Mittelalters und dem Söldnerwesen des 16. und 17. Jahrhunderts müssen zukünftig wohl weniger scharf gezogen werden, wie etwa Stephan Selzers Arbeit über die deutschen Soldritter im Italien des 13. Jahrhunderts oder Uwe Tresps detaillierte Studie über den böhmischen Söldnermarkt des 15. Jahrhunderts zeigen.13 Was bedeuten diese Befunde aber für unser Bild vom Söldnerwesen des 16. und 17. Jahrhunderts? Ist das Bild, das wir von den Söldnern dieser Zeit gemeinhin haben noch haltbar, wenn es im Verdacht steht im Rahmen einer erfolgreichen Modernisierungserzählung vor allem als Schilderung eines ‚dunklen Zeitalters’ gedient zu haben, das erst durch die Leistungen frühmoderner Staatsbildungen beendet worden sei? Die vorliegende Arbeit untersucht die Konstituierung von Söldnern als soziale Gruppe mit dem Ziel zu einem differenzierteren Bild vom Söldnerwesen des 16. und 17. Jahrhunderts zu gelangen, das dabei bewusst nicht unter modernisierungstheoretischen Prämissen allein als Kontrastfolie für die Zeit davor oder danach gesehen, sondern in seiner Eigenständigkeit erfasst und beschrieben werden soll. 1. Forschungsstand und Problemstellung Die bisherige Forschung zum Söldnerwesen des 16. und 17. Jahrhunderts hat sich vor allem den Bereichen der Rechtsverfassung des Söldnerheers, der sozialen Herkunft von Söldnern, den Lebens- und Arbeitsbedingungen in den 10 PRÖVE, Heer; ders., Dimension und NOWOSADTKO, Ordnungselement. SIKORA, Disziplin. 12 KROLL, Soldaten, bes. S. 581-583. 13 SELZER, Söldner; TRESP, Söldner. 11 14 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 Heeren und der Darstellung von Söldnern in der Kunst gewidmet.14 Es fehlt allerdings bisher eine systematische Fokussierung auf die zeitgenössische Wahrnehmung der Söldner als soziale Gruppe in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war die deutschsprachige Forschung zum Söldnerwesen des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts ohnehin ein Tummelplatz für ideologische Konstruktionen und Zuschreibungen. Romantische Vorstellungen und nationalistische Deutungen durchziehen die wissenschaftlichen Darstellungen, so dass in den Publikationen von der Zeit des Kaiserreichs bis zum Nationalsozialismus von germanischen Kriegern und ihrem heldenhaften Einsatz für das deutsche Volk und Vaterland fabuliert wurde.15 In der Nachkriegszeit war das Militär als Gegenstand historischer Forschung aus bekannten Gründen lange Zeit kein Thema, so dass von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum Beiträge zur Geschichte des frühneuzeitlichen Söldnerwesens entstanden.16 Erst seit den 1990er Jahren ist in der deutschen Forschungslandschaft ein nicht zu übersehender Anstieg militärgeschichtlich orientierter Publikationen zu verzeichnen. Dies hängt nicht zuletzt mit einem Richtungswechsel in der deutschen Militärgeschichtsschreibung zusammen, die sich seitdem am Vorbild der französischen und der angloamerikanischen ‚new military history’ ausgerichtet hat. Gerade die Frühneuzeitforschung ist hier produktiv gewesen und hat versucht, militärgeschichtlichen Themen aus der ‚Schmuddelecke’ herauszuhelfen.17 Maßgeblich war dabei sowohl für die internationale Forschung, als auch für die deutsche ‚neue Militärgeschichte’ eine Betrachtung der Militärgeschichte unter sozial- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen. Den Arbeiten in dieser Tradition kommt zweifellos das Verdienst zu, auch für andere Bereiche der Geschichtsschreibung aufgezeigt zu haben, dass eine Vernachlässigung des Militärs nur einen verzerrten Blick auf die Gesellschaft der Frühen Neuzeit erlaubt. Das Militär als gesellschaftliche Großgruppe sowie militärische Interessen historischer Akteure sind für Historiker wieder hoffähige Themen geworden, da die Gefahr in die alten Beschränkungen einer 14 MÖLLER, Regiment; BAUMANN, Söldnerwesen; ders. Landsknechte; BURSCHEL, Söldner; ROGG, Landsknechte. 15 THÜMMEL, Landsknechte; BLAU, Landsknechte; LEZIUS, Vorwärts. Noch in den 1950er Jahren wirken solche Sichtweisen in wissenschaftlichen Veröffentlichungen, vgl. FRANZ, Ursprung. Zur Landsknechtsrezeption im 19. und 20. Jahrhundert: BAUMANN, Landsknechte, S. 215-230 und BURSCHEL, Söldner, S. 19 bes. Anm. 18. 16 Obwohl es bereits früh programmatische Forderungen gab: HANSEN, Problematik. Bei den wenigen Ausnahmen sind vor allem die Arbeiten von MÖLLER, Regiment und BAUMANN, Söldnerwesen hervorzuheben. 17 Programmatisch: PRÖVE, Schmuddelkind; KROENER, Militär. 15 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 Kriegs-, Regiments- oder Operationsgeschichte im Dienste militärischer Ausbildung und Selbststilisierung zurückzufallen, weitgehend gebannt scheint.18 Die Arbeiten aus dem Umfeld der ‚neuen Militärgeschichte’ haben sich Fragen nach der Sozialgeschichte des Militärs als Gruppe bisher vor allem für die Zeit der stehenden Heere im späten 17. und im 18. Jahrhundert gewidmet.19 Die Studien stehen im Rahmen einer Auseinandersetzung mit der Rolle des Militärs im Absolutismus und hier im Zusammenhang mit Paradigmen wie Militarisierung und Sozialdisziplinierung.20 Das Söldnerwesen des 16. und 17. Jahrhunderts erfuhr hingegen weit weniger Aufmerksamkeit. Von vorrangiger Bedeutung für die hier gestellte Frage nach zeitgenössischen Vorstellungen und Bildern von der Gruppe der Söldner sowie nach deren Zustandekommen in diesem Zeitraum sind die Arbeiten von Peter Burschel und Matthias Rogg. Burschel hat sich in seiner Sozialgeschichte der Söldner im Nordwestdeutschland des 16. und 17. Jahrhunderts in erster Linie mit der Frage nach der sozialen Herkunft der Söldner beschäftigt. Er konnte mittels einer umsichtigen und materialreichen Studie zeigen, dass der Solddienst vor allem – wenn auch nicht ausschließlich – von klein- und unterbäuerlichen Schichten, städtischen Handwerksgesellen und Tagelöhnern geleistet wurde. Burschel hat so mit alten Mythen und Klischees über die Rekrutierung der Söldner aus ‚freien Bauern’ oder allein aus städtischen Handwerkern aufgeräumt. Zudem hat er untersucht, was eigentlich mit den Söldnern passierte, wenn der Krieg endete und ihre Regimenter aufgelöst wurden und dabei gezeigt, dass viele von ihnen in dieser Situation ein Leben auf der Straße führten. Die Folge war, dass sie dann an den Rand der frühneuzeitlichen Gesellschaft gedrängt wurden. Für die Erforschung des frühneuzeitlichen Söldnerwesens ist Burschels Arbeit insofern sehr zentral, da sie grundlegende sozialgeschichtliche Fragen zum Söldnerwesen fundiert beantwortet und damit überhaupt erst den notwendigen Grundstein für weitergehende Fragestellungen gelegt hat. In diesem Zusammenhang hat sich Burschel auch mit stereotypen Bildern von Söldnern beschäftigt, wie sie in Schwankerzählungen genutzt und geprägt wurden.21 Er hat anhand solcher Darstellungen herausgearbeitet, was sie über die gesellschaftliche Stellung und soziale Wahrnehmung von Söldnern verraten. So seien die Söldner eine soziale Randgruppe der Gesellschaft des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts gewesen, deren Status sich im Laufe der Zeit von eher gefürchteten und exotischen Außenseitern zu verachteten Figuren gewandelt habe. 18 Umfassend: NOWOSADTKO, Krieg. PRÖVE, Heer; NOWOSADTKO, Ordnungselement; dies.; Heer; KROLL, Soldaten. 20 PRÖVE, Dimension. Dies gilt nicht für KROLL, Soldaten, der aber einen hervorragenden Überblick über die Diskussion hierum bietet, ebd., S. 24f. 21 BURSCHEL, Söldner, S. 30f. und S. 38f. 19 16 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 Burschel hat nicht zuletzt auf Grundlage dieser Beobachtung die These von der „innermilitärischen Disziplinierung“ aufgestellt. Demnach sei das Söldnerwesen bereits im Verlauf des 16. und vor allem des frühen 17. Jahrhunderts immer stärkeren Disziplinierungsbemühungen durch die Obrigkeiten unterworfen gewesen. Dies habe auch auf die gesellschaftliche Wahrnehmung des Söldners zurückgewirkt, indem durch diese obrigkeitliche Disziplinierung aus dem Bild des einst geachteten und gefürchteten Landsknechts der verachtete Befehlsempfänger, der Soldat geworden sei.22 Schwerpunktmäßig setzt sich Burschel mit der sozialen Herkunft und den Lebensbedingungen der Söldner auseinander und versucht den Wandel dieser Bedingungen als Prozess der Disziplinierung zu beschreiben. Bilder und Vorstellungen von Söldnern spielen dabei zwar eine Rolle, sie werden aber nicht systematisch in den Blick genommen. Zudem ist in der Arbeit oft schwer zu erkennen, aus welcher Perspektive Beschreibungen von Söldnern und Aussagen über sie in den Quellen getroffen wurden. Das führt dazu, dass die unterschiedlichen Aussageebenen der herangezogenen Quellen kaum Berücksichtigung finden, womit sich Burschels ‚Mosaikstein-Methode’ oftmals als nachteilig erweist.23 Zugleich verdeutlicht die Arbeit die Probleme die ein sehr eng am Disziplinierungsparadigma angelehnter Forschungsansatz birgt. Burschel liefert in seiner Arbeit mit dem dort gezeichneten Bild vom Söldner des 16. Jahrhunderts das Gegenbild zum vermeintlich disziplinierten Soldaten des 18. Jahrhunderts. Er erklärt, wie aus dem ‚freien Landsknecht’ des 16. Jahrhunderts im Prozess der militärischen Disziplinierung schließlich der unterjochte Soldat des 18. Jahrhunderts wurde. Indem so das Disziplinierungsparadigma als Ausgangspunkt der Betrachtung gewählt wurde, steht der ausschlaggebende Faktor für historische Veränderungen im Söldnerwesen bereits vorab fest: Obrigkeitliche Disziplinierungsbemühungen haben demnach einen Wandel im Söldnerwesen bewirkt, was sich auf die Stellung und Wahrnehmung der Söldner in der Gesellschaft ausgewirkt habe. Jedoch reproduziert dieses Vorgehen dann nahezu zwangsläufig den Kontrast zwischen den ‚ungezügelten’ Söldnern des 16. und 17. Jahrhunderts und den disziplinierten Soldaten des 18. Jahrhunderts, auf dem die Argumentation des Disziplinierungsparadigmas beruht. Neben dem Werk Burschels stellt die Dissertation von Matthias Rogg einen weiteren wichtigen Bezugspunkt der vorliegenden Arbeit dar. Rogg hat sich der Darstellung von Söldnern in der Bildkunst des 16. Jahrhunderts 22 Knapp zusammengefasst sind Burschels Thesen in: Ders., Sozialgeschichte und ders., Krieg. Dazu jetzt aus der Perspektive einer materialreichen Arbeit zum 18. Jahrhundert die scharfe Kritik von KROLL, Soldaten, S. 579f. 23 Dazu die methodischen Ausführungen: BURSCHEL, Söldner, S. 22. 17 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 gewidmet.24 Er untersucht die enorme Anzahl von ca. 4000 Bildquellen. Sein Ziel ist es, einen umfassenden Überblick über die Funktion und Bedeutung des Söldners in der Kunst des 16. Jahrhunderts zu geben. Dabei zeigt Rogg nicht allein das starke Interesse auf, das die Zeitgenossen offenbar an der Figur des Söldners gehabt haben, sondern legt ambivalente Sichtweisen auf die Söldner frei, die auf sehr differenzierte Vorstellungen der Zeitgenossen von der gesellschaftlichen Rolle und dem sozialen Profil der Gruppe schließen lassen. Roggs Arbeit tendiert allerdings stark dazu, die Quellen entweder als bildliche Belege von feststehenden Forschungsmeinungen über das Söldnerwesen zu lesen oder sie als Topoi, Analogien und Karikaturen zu behandeln, die dann erst „aufgeschlüsselt“ werden müssen, wenn sie den bisherigen Forschungsmeinungen widersprechen. Aufgrund dieses Ansatzes entsteht mitunter der Eindruck, bei der Arbeit handele es sich um eine Dokumentation der jeweiligen Bildquellen zu verschiedenen Themen und Thesen der Forschung. Darüber hinausgreifende Fragestellungen lassen sich kaum erkennen. Rogg zielt mit seinem Vorgehen in erster Linie darauf ab, aus den militärischen Genredarstellungen in frühneuzeitlichen Druckgraphiken eine „Innenansicht der militärischen Gesellschaft“ herausarbeiten zu wollen.25 Dies erscheint allerdings wenig überzeugend, da die überwiegende Zahl der Bildquellen weder in einem militärischen Kontext entstanden, noch vornehmlich zur Rezeption im Militär bestimmt gewesen ist. Im Gegensatz zu Roggs Ansatz geht die vorliegende Arbeit davon aus, dass die Druckgraphiken vielmehr einer Außensicht auf die militärische Gesellschaft zugeordnet werden müssen. Vor dem Hintergrund der bisherigen sozial-, rechts- und kulturgeschichtlichen Forschungsergebnisse zum Söldnerwesen des 16. und 17. Jahrhunderts lässt sich die Problemstellung der vorliegenden Arbeit gut präzisieren. Viele Zeitgenossen scheinen sich ein Bild von Söldnern als einer spezifischen sozialen Gruppe gemacht zu haben. So schrieb man ihnen eigene soziale Organisationsformen, eigene soziale Umgangsformen, Normen und kulturelle Praktiken, kurzum ein gruppenspezifisches soziales Profil zu.26 Schon mit den zeitgenössischen Benennungen von Söldnern, etwa als Reisläufer in der Eidgenossenschaft oder als Landsknechte im Reich, verbanden sich mehr oder weniger typisierte Vorstellungen. Davon zeugen zumindest zahlreiche Sprichwörter, Schwänke, Lieder oder Flugblätter, in denen Landsknechte als soziale Typen mit stereotypen Eigenschaften auf- 24 ROGG, Landsknechte; ders., Weyb; ders. Zerhauen; ders., Kriegsleute. Ders., Landsknechte, S. 7. 26 BEI DER WIEDEN, Söldner; MÖLLER, Regiment. 25 18 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 tauchen.27 Die Vorstellungen über Söldner als soziale Gruppe waren dabei keineswegs einheitlich, aber anscheinend relativ stabil. Ihre Wirkmächtigkeit lässt sich, wie bereits angedeutet, nicht zuletzt an heutigen Vorstellungen von Söldnern erkennen, die oftmals stark von diesen stereotypen Bildern von Reisläufern, Landsknechten und Soldaten der Frühen Neuzeit geprägt sind.28 Söldner werden in der Forschung weder wie die Ritter des Mittelalters als eigener Wehrstand, noch wie die Soldaten des stehenden Heeres als militärischer Berufsstand betrachtet. Der frühneuzeitliche Söldner konnte dem individuell kämpfenden, adeligen Ritter, als mittelalterliche Idealbeschreibung der Kriegerrolle nicht mehr entsprechen. Kriegsdienst und Standesrolle fielen beim Söldner in der Regel nicht zusammen, da sich Söldnerheere aus ganz unterschiedlichen sozialen Herkunftsgruppen – vom Bauernknecht über den Handwerker bis hin zum Patrizier und Adeligen – rekrutierten.29 Eine Einheit von Stand und Kriegerrolle war zudem nicht auszumachen, da der Kriegsdienst unter den Bedingungen des frühneuzeitlichen Söldnerwesens zumeist eine saisonale Tätigkeit gewesen ist, die in der Biographie vieler Menschen nur eine Erwerbsform unter vielen gewesen sein dürfte. Davon wird in der Forschung üblicherweise auch der Soldat des stehenden Heeres abgegrenzt, der das Kriegshandwerk eher wie einen Beruf ausübte und nicht nur saisonal, sondern – zumindest in der Idealvorstellung – eben dauerhaft Soldat gewesen ist. Es liegen also einerseits eine Vielzahl von zeitgenössischen Aussagen über das soziale Profil von Söldnern sowie über vermeintlich typische soziale und kulturelle Eigenschaften der Gruppe vor. Andererseits aber lassen Söldner, im Gegensatz etwa zu adeligen Rittern, die als Wehrstand in ein funktionales Gesellschaftsmodell integriert waren,30 keine klare ständische Geltungsgeschichte erkennen, die sie als Stand begreifbar und gesellschaftlich verortbar machen würde. An diesem Spannungsfeld setzt die Problemstellung der vorliegenden Arbeit an. Wenn der Solddienst ein zeitlich begrenzter Kriegsdienst gegen Bezahlung war, in dem Menschen ganz unterschiedlicher sozialer und regionaler Herkunft zusammenkamen, er also weder als Wehr27 Vgl. die Beispiele bei SCHUBERT, Randgruppen; BURSCHEL, Söldner, S. 29-31; HÉBERT, Lansquenet. 28 So finden Landsknechtsdarstellungen in der Werbung Verwendung, sie zieren die Schilder und Namen von Gaststätten, werden in der Propaganda politischer Bewegungen gebraucht, wenn damit germanische oder nationale Identitäten transportiert werden sollen und sind nicht zuletzt Namensspender und Identifikationsfiguren für historische Vereine sowie ‚re-enactement’Gruppen, in denen an Geschichte erinnert oder historisches Leben nachgespielt wird. BAUMANN, Landsknechte, S. 220-230; GRÜNDEL, Interview; ROGG, Landsknechte, S. 1; Präsentationen historischer Vereine und ‚re-enactement’-Gruppen finden sich zahlreich im Internet, vgl. etwa http://www.landsknecht-fanfarenzug-bochum.de/1024_768/index.html (Zugriff auf URL: 2.2.2007); http://www.landsknecht-hurra.com/ (Zugriff auf URL: 2.2.2007). 29 SIKORA, Söldner, bes. S.236f. 30 OEXLE, Art. Stand, Klasse; ders., Dreiteilung; DUBY, Ordres. 19 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 stand, noch als Berufsverband betrachtet werden kann, wie erklärt sich dann das Zustandekommen stabiler Vorstellungen über spezifische soziale und kulturelle Eigenschaften der Gruppe? Welche Zuschreibungen an die Gruppe wurden vorgenommen, wie mithin ein Gruppenbild überhaupt geformt, wie wurde es vermittelt und verstetigt? Welche Funktionen hatten diese Zuschreibungen darüber hinaus im Diskurs um das Verhältnis von Militär und Gesellschaft? Außerdem soll auch gefragt werden, was die Selbstdarstellung der Gruppe im Hinblick auf diese Fragen verrät? Wie verhielt es sich also mit der Konstitution der eigenen sozialen Ordnung der Gruppe aus Sicht ihrer Mitglieder? 2. Begriffsklärungen: Soziale Gruppe und Institutionenanalyse Wenn nach der Konstituierung von Söldnern als soziale Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert gefragt wird, erscheint es unabdingbar, sich vorerst über den Begriff der ‚sozialen Gruppe’ zu verständigen. Die gängige soziologische Definition, die soziale Gruppe eher als Kleingruppe beschreibt, greift für den Söldnerverband des 16. und 17. Jahrhunderts nicht, da sie sich mehr auf informelle, weniger auf formelle Gruppen bezieht.31 Soziale Gruppe meint in der vorliegenden Arbeit daher gesellschaftliche Gruppe, bzw. soziale Gruppe im gesellschaftlichen Kontext. Anknüpfungspunkte für diese Perspektive bietet die mediävistische Gruppenforschung, zu der vor allem Otto Gerhard Oexle konzeptionelle Beiträge geliefert hat.32 Zwar haben die Mediävisten in erster Linie konkrete Gruppen der mittelalterlichen Gesellschaft, wie Gilden, Bruderschaften, Ordensgemeinschaften, Universitätsangehörige, Adelsgeschlechter etc. im Blick, sie bieten aber auch einige systematische Überlegungen, die eine kulturwissenschaftlich fundierte Sichtweise auf soziale Gruppen generell schärfen können.33 Oexles Definition, was in dieser Hinsicht unter einer sozialen Gruppe zu verstehen sei, kann als Rahmen genutzt werden, um die Söldner des 16. und 17. Jahrhunderts als soziale Gruppe zu betrachten: „erstens geht es um das Vorhandensein von Regeln und Normen, die implizit oder explizit vereinbart sind, die Ziele der Gruppe ausdrücken und zugleich Vorstellungen über die Gruppe bei ihren Mitgliedern wie 31 Vgl. REINHOLD (HG.), Soziologie-Lexikon, S. 241; SCHÄFERS UND LEHMANN, Gruppe. OEXLE, Reflexionen; ders., Gruppen; ders., Stände. Informativ ist auch: JUSSEN, Erforschung. 33 Vgl. als Überblick den Sammelband OEXLE UND HÜLSEN ESCH (HG.), Repräsentation sowie die Arbeit von HÜLSEN-ESCH, Gelehrte. 32 20 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 auch bei anderen, bei Außenstehenden, konstituieren; diese Abgrenzung nach außen, die sich auch im Vorhandensein von Wechselbeziehungen zu anderen Gruppen zeigt, ist ein zweites Moment; als ein weiteres Moment kann die innere Organisiertheit gelten, die in der Differenzierung von Funktionen aufeinander bezogener ‚sozialer Rollen’ zum Ausdruck kommt und viertens schließlich die relative Dauer und Kontinuität in der Zeit“34 Aus dieser Definition können für das hier verfolgte Interesse erste Kriterien zur Analyse sozialer Gruppen gewonnen werden:35 Gefragt wird demgemäß nach Vorstellungen über die Gruppe sowohl bei Außenstehenden, als auch bei ihren Mitgliedern. Daher wird in dieser Arbeit systematisch zwischen einer Außen- und einer Innenperspektive unterschieden. Neben Normen und Regeln wird die zeitgenössische Betrachtung der inneren Organisiertheit und der Differenzierung von Funktionen wichtig sein.36 Wechselverhältnisse mit anderen Gruppen sind ein ebenso zentraler Untersuchungsgegenstand, da sich hieran die Zuschreibung von sozialen Gruppenprofilen genauso wie Grenzziehungen und Selbstdarstellungen erkennen lassen. Die zeitliche Verstetigung von Vorstellungen über die Gruppe ist schließlich eine der Ausgangsfragen der Studie. Anschlussfähig an dieses Programm und in konzeptioneller Hinsicht weiterführend sind auch Prämissen und Überlegungen der gegenwärtigen soziologischen Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen.37 Sie können helfen, für den Untersuchungsgegenstand ‚Söldnerverband als Gruppe’ eine Alternative zum Instrumentarium einer klassischen soziologischen Organisationsanalyse zu finden. Letztere sieht ihren Gegenstand immer schon als Gegebenheit an, betrachtet ihn damit als objektive 34 OEXLE, Gruppen, S. 17. Vgl. auch die knappe Zusammenfassung von Definition und Konzept bei HÜLSEN-ESCH, Gelehrte, S. 41-46. Deutlich werden in Oexles Definition auch Elemente soziologischer Definitionen von Gruppe und Gruppensoziologie entlehnt, vgl. REINHOLD (HG.), Soziologie-Lexikon, S. 241; SCHÄFERS UND LEHMANN, Gruppe. Die Definition Frank Rexroths für den Gruppenbegriff in der Randgruppenforschung zielt darauf ab, einerseits einzubeziehen, dass es sich um fremddefinierte Gebilde handelt und andererseits, dass es dabei nicht um statistisch beschreibbare Gruppen im Sinne moderner, sozialstruktureller Kategorien geht. Sie ist der Definition Oexles dabei sehr nah, wenn sie „relative Dauer in der Zeit“, die innere Organisiertheit, die Abgrenzung nach außen sowie die Wechselbeziehungen mit anderen Sozialgebilden betont. REXROTH, Randgruppenforschung, S. 448. 35 OEXLE, Gruppen, S. 29-34. 36 Betonen möchte ich, dass ich den biologischen Erklärungsansatz Oexles für interne Gruppenorganisation und Hierarchisierung nicht teile und ihn auch weder für notwendig, noch für besonders gewinnbringend ansehe. Dazu: Ders., Gruppen, S. 31f. und besonders: Ders., Gruppenbildung. 37 MELVILLE, Institutionen; REHBERG, Institutionen als symbolische Ordnungen; ders., Fiktionalität; ders., Weltrepräsentanz. Den Ansatz knapp zusammenfassend: Ders., Institutionen als symbolische Verkörperungen. 21 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 historische Größe. Die Theorie institutioneller Mechanismen hingegen setzt gerade bei der Dauer eines Sozialgebildes in der Zeit als zu erklärendes Phänomen an.38 Gefragt wird, wie es dazu kommt, dass ein Sozialgebilde im Zeitverlauf als beständig und relativ gleichförmig wahrgenommen wird. Was die klassische Organisationsanalyse als selbstverständlich betrachtet, wird von der Theorie institutioneller Mechanismen also problematisiert.39 Mit dieser Akzentverlagerung lässt sich gut an die Frage nach der zeitlichen Verstetigung von Vorstellungen über die Gruppe der Söldner anschließen, die ein wesentliches Erkenntnissinteresse der vorliegenden Arbeit ist und sich auch für die zu Grunde gelegte Definition von Gruppen als zentral erwiesen hat. Der Ansatz der Institutionalisierungstheorie geht von dem Wirken institutioneller Mechanismen aus, die eine Verstetigung von Ordnungsvorstellungen erreichen.40 Institutionelle Stabilisierungsleistungen werden in diesem Verständnis durch symbolische Darstellung von Ordnungsprinzipien erreicht.41 Die Analyse institutioneller Ordnungen nimmt zudem in den Blick, wie in diesen symbolischen Darstellungen einer Ordnung Geltungsansprüche für Handlungsorientierungen behauptet werden. Sie zielt somit darauf, die Darstellung und die Herstellung von Ordnungsleistungen sowie zugleich deren zeitliche Verstetigung in den Blick zu bekommen. Für die Analyse von Söldnern als sozialer Gruppe wirft dies Fragen nach Aspekten auf, die eine Gruppe als solche konstituieren: Wie wird die spezifische soziale Ordnung einer Gruppe dargestellt und wie bringt sie diese selbst zur Darstellung? Wie legitimiert sie ihre internen Ordnungsgefüge? Wie werden intern oder extern spezifische Deutungsmuster und Sinnzuschreibungen für Existenz und Verfasstheit der Gruppe symbolisiert, vermittelt und verfestigt und wie werden daraus Handlungsvollzüge für die Mitglieder abgeleitet?42 Mit Hilfe dieser 38 „Unterstellt wird nicht die ‚Dauer’ einer Einrichtung, stattdessen werden Formen einer zeitlichen Kontinuitätsherstellung analysiert. Im Mittelpunkt des Interesses […] steht die (mehr oder weniger erfolgreiche) Behauptung von Dauer.“ Ders., Weltrepräsentanz, S. 10 (Herv. im Original). 39 Zum Verhältnis von Organisation und der Analyse institutioneller Ordnungsmechanismen als Organisationsanalyse: MELVILLE, Institutionen, S. 12-15; REHBERG, Fiktionalität, S. 390f.; ders., Institutionen als symbolische Verkörperungen, S. 57f. 40 Mit dem Begriff Ordnung wird dabei in der Institutionenanalyse „jede relativ dauerhafte Strukturierungsleistung in sozialen Beziehungen“ bezeichnet. Ders., Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 47. 41 Ebd.; ders., Institutionen als symbolische Verkörperungen, S. 55. 42 Gerade der letzte Punkt, die Frage nach der ‚Subjekterzeugung’ ist für die Analyse von Gruppen ungemein aufschlussreich. Damit können Rollenkonstruktionen und Habitusformierungen in den Blick genommen werden, ohne die eine institutionalisierte Sozialbeziehung keinen Bestand haben könnte. Ders., Fiktionalität, S. 395-397; ders., Institutionen als symbolische Verkörperungen, S. 62-64, ders., Weltrepräsentanz, S. 17f. Eine methodische Umsetzung um ‚Subjekterzeugungen’ konkret zu untersuchen ist hingegen 22 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 Teilfragen kann die übergeordnete Fragestellung nach der Konstituierung von Söldnern als sozialer Gruppe bearbeitet werden. 3. Quellen und Methoden Den bisherigen Arbeiten zum Söldnerwesen der Frühen Neuzeit lassen sich weitere konzeptionelle Anregungen entnehmen. Michael Sikora etwa skizziert in seinem Versuch einer Kriegertypologie des Söldners ein reflektiertes Vorgehen, das mir in der Betrachtung des Söldnerwesens weiterführend erscheint. Er unterscheidet in eine Außensicht auf die Gruppe, die weitgehend einer Fremdwahrnehmung entspricht und eine Innensicht der Gruppe, die weitgehend einer Selbstwahrnehmung entspricht.43 Diese grundsätzliche Trennung wird in der vorliegenden Arbeit übernommen. Dies geschieht in heuristischer sowie in arbeitspragmatischer Absicht. Es ist zwar davon auszugehen, dass die beiden Perspektiven, die Außensicht und die Innensicht, in der sozialen Wirklichkeit nicht losgelöst voneinander existierten, sondern sich immer wechselseitig aufeinander bezogen. Die analytische Trennung beider Perspektiven schafft aber ein Instrument, um die herangezogenen Quellengattungen in ihrem Quellenwert präzise zu bestimmen, indem sie entweder für eine Rekonstruktion der Außensicht oder für eine Rekonstruktion der Innensicht genutzt werden. Dies ist ein Vorteil gegenüber Arbeiten, die eine konsequente Bestimmung unterschiedlicher Quellengattungen im Hinblick auf ihre Aussagewerte weniger stringent verfolgen. Ob etwa eine zeitgenössische Aussage über Söldner von außen getroffen wurde, oder ob es sich dabei um eine Selbstbeschreibung handelt, wird oftmals nicht systematisch berücksichtigt.44 Das führt m. E. aber zu Fehldeutungen, wenn etwa versucht wird, aus Fremddarstellungen die Verhältnisse im Militär herausarbeiten zu wollen, anstatt nach der Bedeutung einer spezifischen Darstellung dieser Verhältnisse im Kontext der Außenbeschreibung zu fragen. Die Trennung in Außen- und Innenperspektive dient in der vorliegenden Arbeit also einerseits der Erstellung und Ordnung des Quellenkorpus. An ihr richtet sich andererseits die Struktur der Darstellung der Forschungsergebnisse aus. Herangezogen werden im ersten Hauptteil illustrierte Flugblätter, die eine Rekonstruktion von Außenansichten ermöglichen. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der medialen Inszenierung von Söldnern in einem sehr verbreiteten frühneuzeitlichen Druckmedium. naturgemäß schwer, die Konstruktion von Rollenbildern und Habitusformierungen bleibt aber ein wichtiger Blickwinkel für die vorliegende Arbeit. 43 SIKORA, Söldner, bes. S. 213. 44 Vgl. als Beispiel die Kritik an der Arbeit von Rogg in Kap. I. 1.dieser Arbeit. 23 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 Für den zweiten Hauptteil der Arbeit werden hingegen Militärgerichtsakten herangezogen, also Quellen, die aus dem Militär selbst stammen und im Rahmen innermilitärischer Kommunikationsprozesse entstanden. Anhand dieser Quellen sollen Innenansichten auf die soziale Ordnung der Gruppe, mithin deren Selbstdarstellung, herausgearbeitet werden. 3.1. Illustrierte Flugblätter als Quellen Illustrierte Flugblätter sind als Mediengattung Teil des medialen Wandlungsprozesses in der Frühen Neuzeit, der oftmals mit Begriffen wie „Kommunikationsrevolution“ oder „Medienrevolution“ beschrieben wird. Die „Geburt der Wissensgesellschaft“ wird in der Frühen Neuzeit verortet und die Druckerpresse, als Sinnbild der medialen Umbrüche an der Schwelle zur Neuzeit, als ein „Agent“ dieser kulturellen Umwälzungen verstanden.45 Die mit der Erfindung der Druckerpresse verbundenen Auswirkungen sind enorm und in ihrem ganzen Ausmaß schwer zu ermessen. Sie erscheint in der Rückschau quasi als Startschuss für den Anbruch des Medienzeitalters. Neben dem Buchdruck hat dabei in den letzten Jahren verstärkt das innovative Potential der illustrierten Flugblätter – Einblattdrucke mit Bild und Text – und Flugschriften – mehrseitige Drucke kleineren Umfangs, z.T. bebildert – das Interesse der historischen Forschung erregt. Tatsächlich kann man beim illustrierten Flugblatt deutlich Phänomene erkennen, die ganz allgemein sehr bezeichnend für das Zusammenspiel medialer und gesellschaftlicher Wandlungen sind, für das sich die neuen Druckmedien verantwortlich zeichnen. Dazu gesellen sich aber spezifische Eigenschaften, die dem Flugblatt ein eigenes Profil verleihen.46 Als Ware kamen illustrierte Flugblätter wie Bücher auf den Markt und wurden für diesen hergestellt.47 Sie zielten darauf, das Kaufinteresse beim Kunden zu wecken und hierfür besaßen sie einen ganz speziellen Anreiz, einen Marktvorteil, wenn man so will, nämlich die Bebilderung. Auch die ganz eng verwandte Mediengattung der mehrseitigen Flugschrift arbeitete oftmals mit einem Titelbild. Dies wohl nicht zuletzt wegen der Fähigkeit des Bildes ein Blickfang zu sein. Als Ware trug das Flugblatt auch zu den wirtschaftlichen 45 NORTH (HG.), Kommunikationsrevolutionen; BURKHARDT, Reformationsjahrhundert, S. 1730; BURKE, Papier; EISENSTEIN, Printing Press; dies., Druckerpresse; GIESECKE, Buchdruck; MAUELSHAGEN UND MAURER (HG.), Medien. Die sozialen, ökonomischen und kulturellen Vorraussetzungen für die Wandlungskraft des Buchdrucks v.a. im Hinblick auf die spätmittelalterliche Gesellschaft erklärt jetzt umfassend: BARBIER, L’Europe. 46 Zum folgenden: HARMS, Flugblatt; SCHILLING, Bildpublizistik; ders., Geschichte. Einen guten Überblick über die Forschungsgeschichte zu Flugblättern und Flugschriften bei: ROSSEAUX, Kipper, S. 23-30 und HARMS, Forschungsgeschichte. 47 SCHILLING, Bildpublizistik, bes. Kap. 1. 24 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 und sozialen Veränderungen bei, die sich durch das steigende Bedürfnis nach Druckmedien ergaben: mit der Herstellung und dem Vertrieb von Druckerzeugnissen entstanden neue Berufe (z.B. Verleger, Drucker, Bildentwerfer, Zeichner, Stecher), andere Berufe veränderten ihren Tätigkeitsbereich und schließlich entstanden, wie für andere Erzeugnisse auch, Herstellungsund Handelszentren (z.B. Augsburg, Nürnberg, Frankfurt a.M., Leipzig, Straßburg, Basel).48 Flugblätter und Flugschriften als relativ preiswerte und eben in ihrem Umfang – im Gegensatz zu Büchern – stark begrenzte Druckerzeugnisse, hatten oftmals einen hohen Verbreitungsgrad.49 Nicht nur die wirtschaftlichen Aspekte zogen gesellschaftlichen Wandel nach sich. Flugblätter und Flugschriften erreichten viele Menschen und vor allem viele Mitglieder unterschiedlicher Stände und Berufe. Das bedeutete aber auch, dass Informationen und Wissen durch die Flugblätter anders verbreitet wurden als zuvor.50 Der ‚gemeine Mann’ war nun in das Zentrum der publizistischen Aufmerksamkeit gerückt, da er Flugblätter kaufte, sich also offenbar für die Informationen und das Wissen darin interessierte.51 Sie wurden in öffentlichen Räumen, wie Wirtshäusern, gemeinsam gelesen oder dort an die Wand gehängt. Auf Märkten, wo viele Leute zusammen kamen, wurden Flugblätter verkauft und ihre Verkäufer priesen sie dabei an, erzählten aus ihrem Inhalt und präsentierten die Bilder.52 Zu den sozialen Veränderungen, die mit den neuen Medien in Beziehung standen, gesellen sich auch kulturelle Erscheinungen. Dem illustrierten Flugblatt und in einem geringeren Maß auch der bebilderten Flugschrift kann eine bedeutende Rolle für die Veränderung tradierter Wahrnehmungsmuster sowie für ihre Neuformung zugesprochen werden, da sie den Umgang mit und das Sehen von Bildern veränderten.53 Bilder, die sonst nur in Kirchen, an Hausfassaden und in einem sehr beschränkten Umfang in anderen repräsentativen Räumen zu betrachten waren, gelangten jetzt in viel privatere Räume. Der Aufschwung der Druckerpresse ist in den ersten Jahrzehnten davon begleitet worden, dass mit ihr religiöse Andachtsbilder leicht und kosten48 BANGERT-SCHMID, Herstellung, S. 785. Vgl. zudem SPORHAN-KREMPEL, Nürnberg, S. 74; PAAS (HG.), Augsburg. Die Auflage ist bei Kupferstichen im Schnitt mit 500-1500 anzunehmen, bei Holzschnitten eher höher. Vgl. BANGERT-SCHMID, Herstellung, S. 785f.; SCHILLING, Bildpublizistik, S. 24f. Zu regionalen Verbreitungen ebd. S. 20. 50 Gerade Flugblätter mit politischen und ereignisgeschichtlichen Bezügen dürften komplementär zu mündlich zirkulierenden Gerüchten und Erzählungen gewirkt haben und diese, genauso wie Lieder, stimuliert haben. Vgl. SCHUBERT, Erscheinungsformen. Zur Rezeption von Flugblättern und Flugschriften in kommunikativen Kontexten ist immer noch unverzichtbar, auch für nichtreformatorische Inhalte, SCRIBNER, Flugblatt. 51 SCHILLING, Bildpublizistik, S. 50. 52 Ebd., S. 30-39. 53 HARMS UND MESSERLI (HG.), Wahrnehmungsgeschichte. Zum Wahrnehmungsbegriff in diesem Zusammenhang: TSCHOPP, Unsichtbare. 49 25 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 günstig zugängig wurden, die in den eigenen vier Wänden betrachtet werden konnten.54 Neben diese Popularisierung von religiösen Bildern trat allerdings ebenso eine Flut ganz neuartiger Bilder. Die Flugblattproduzenten wandten sich vor allem profanen Themen, wie politischen Ereignissen und der Satire zu. Das aber brachte das Entstehen und die massenhafte Verbreitung ganz neuer Bildwelten mit sich. Metaphern und andere Sprachbilder wurden etwa im Wortsinn verbildlicht und innovative künstlerische Ausdrucksformen dafür geschaffen, bisher Unbebildertes in Bildern zu vermitteln.55 Das betrachten dieser ungewohnten Bilder spielte sich an anderen Orten ab als zuvor, da Flugblätter nicht nur leicht zu transportieren waren, sondern etwa als Verzierung von Wänden und Kistendeckeln Verwendung fanden.56 Die Bilder der Flugblätter waren zudem auch mit einer anderen Technik – zuerst Holzschnitt und später überwiegend Kupferstich – und in einem anderen Format zu sehen, als die bislang gewohnten. Mit den neuen Bildtypen einhergehend verbreitete das Medium des Flugblatts auch veränderte Techniken, Wissensbestände zu vermitteln. Neben dem Bild kommt dabei vor allem dem Zusammenspiel von Bild und Text eine bedeutende Rolle zu.57 Die Wissensvermittlung mit Hilfe von Bildern zu organisieren und zu ordnen, war vorher weitgehend nur den Lesern von Handschriften oder von gedruckten Fachbüchern bekannt.58 Die große Bandbreite an ganz unterschiedlichen Themen, die auf frühneuzeitlichen Flugblättern behandelt wurden, führten zu einer beeindruckenden Vielfalt an Bildtypen und Vermittlungstechniken, an Formen der Wissensorganisation, die schließlich im Laufe der Zeit wieder eigene Konventionen für die unterschiedlichen Sujets hervorbrachten. Somit trugen auch die Flugblätter dazu bei, verschiedene Sparten der publizistischen Wissensorganisation zu generieren, ihre Differenzierung voranzutreiben und zu normieren. Angesichts der Komplexität des Gegenstandes erstaunt es kaum, dass trotz wachsender Beliebtheit von Flugblättern als Quelle historischer Forschung, noch viele Fragen offen und andere nur unzureichend geklärt sind. So ist etwa die anvisierte Leserschaft von Flugblättern immer wieder umstritten.59 Lange Zeit glaubte man, die Flugblätter wären in erster Linie für sozial niedrigere Schichten produziert worden. Man sah in deren Bebilderung ein Anhaltspunkt dafür, dass damit auch auf das breite illiterate Publikum gezielt 54 VAVRA, Medien; SCRIBNER, Bildpropaganda; SCHILLING, Geschichte. Umfassend zu den ökonomischen und gesellschaftlichen Vorraussetzungen der frühen Druckgraphik: LANDAU UND PARSHALL, Print. Zum Problem der frühen Einblattdrucke und ihrer Wirkung jetzt mit kritischer Abwägung der älteren Thesen: SCHMIDT, Bild. 55 PEIL, Sprichwort. 56 GRIESE, Gebrauchsformen. 57 HENKEL, Schauen; WENZEL, Heyden Schul; MAUELSHAGEN, Fallstudie. 58 WENZEL, Schrift. 59 MESSERLI, Flugblatt. 26 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 wurde. Nun ist das Zusammenwirken von Bild und Text zumeist aber sehr komplex und erst das Verständnis dieses Zusammenspiels beider Blattteile ermöglicht es, eine Gesamtaussage zu erkennen. Und auch die Bilder selbst arbeiten oft mit Darstellungsmitteln, die wohl kaum ohne gelehrte Kenntnisse entziffert werden konnten. Lateinische Texte zielen zudem deutlich auf ein gelehrtes Publikum. Die Frage, für wen Flugblätter hergestellt wurden, lässt sich somit nicht pauschal beantworten, sondern darüber können nur von Fall zu Fall, anhand von Hinweisen auf dem Blatt selbst Vermutungen angestellt werden. Ebenso steht es mit den kategorialen Zuordnungen, was die Blätter vermitteln wollen. Information versus Propaganda ist hier das übliche Begriffspaar für gegensätzliche Aussageabsichten, das zwar einen Leitfaden zur Einordnung der Blätter liefern kann, aber keinesfalls hinreichende Kategorien zur Verfügung stellt. Denn selten sind die Darstellungen auf einem Flugblatt so eindeutig deskriptiv oder appellativ.60 Information und Meinungsbeeinflussung sind kaum voneinander zu trennen. Noch komplizierter wird eine einfache Entscheidung über den Charakter des Flugblattes, wenn etwa die Vermutung begründet ist, dass das Blatt unter dem Deckmantel eines moralischen Appells – z.B. nicht den Modenarren zu folgen – aber zugleich auch Informationen bietet – z.B. darüber, wie die neue Mode denn überhaupt beschaffen ist.61 Aus solchen Überlegungen ergeben sich Fragen, über die wieder nur Forschungen zur Rezeption der Blätter Auskunft geben könnten. Diese sind allerdings rar und bewegen sich quellenmäßig auf einem äußerst schwierigen Terrain. Ein weiteres Problem der Forschung ist die Frage nach den gegenseitigen Bild- und Textbezügen. Klar ist, dass das Zusammenspiel von Text und Bild den besonderen Reiz des Mediums ausmacht, doch wie ist das Verhältnis der beiden Vermittlungsarten zueinander jeweils zu werten? Ist das Bild dem Text im Flugblatt gewöhnlich untergeordnet, weil das Bild die Aussage des Textes nur verstärken und unterstützen soll? Dient das Bild vielleicht nur als ‚eye catcher’ oder kommt dem Bild eine viel bedeutendere Funktion zu? Können Bild und Text eigentlich jeweils andere Aussagen entfalten und damit ambivalente Lesarten eines Flugblattes eröffnen, die von den Herstellern durchaus intendiert waren? Derartige Probleme und Fragen können auch in der vorliegenden Arbeit nicht abschließend geklärt werden. Die Analysen sollen ihnen gegenüber aber sensibel sein. Sie bilden gleichsam ein Raster der Quellenkritik, das es in der Arbeit mit illustrierten Flugblättern stets zu reflektieren gilt. Die Flugblätter 60 Einen Überblick über die Breite an Themen und kommunikativen Funktionen bei STRAßNER, Aufgaben und SCHWITTALA, Präsentationsformen, bes. S. 810-812. 61 LÜTTENBERG UND PRIEVER, Kleyd. 27 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 sind dabei in ihrer jeweiligen Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit zu analysieren, weshalb viele der aufgeworfenen quellenkritischen Fragen von Fall zu Fall wieder neu gestellt und sicherlich unterschiedlich beantwortet werden müssen. 3.2. Söldner als Darstellungsgegenstand und das methodische Vorgehen Ein häufiger Darstellungsgegenstand der illustrierten Flugblätter waren gesellschaftliche Gruppen, wie Stände oder ‚Berufszweige’. In Satiren wurde sich über sie lustig gemacht, Appelle mahnten sie zu besserem Verhalten oder sie dienten dazu, gesellschaftliche Missstände zu veranschaulichen und zu kritisieren.62 Eine der beliebtesten Gruppen waren dabei ohne Zweifel die Söldner.63 Sie werden in diesem Medium in unterschiedlichen Formen inszeniert. Die Darstellungen widmen sich der Präsentation von Einzelfiguren, von Söldnern in Gruppen – etwa in ihrer militärischen Lebenswelt, z.B. im Heerlager –, oder auch im Kontakt mit anderen sozialen Gruppen. Zudem tauchen Söldnerfiguren in vielfältigen Bildkontexten auf, die sich nicht explizit der Darstellung des Militärs und dessen Personal widmen. Als bemerkenswerter Befund muss ganz grundlegend festgehalten werden, dass der Söldner selbst sowie die militärische Lebenswelt bildwürdige Themen gewesen sind. Matthias Rogg hat für die isolierte Abbildung von Söldnerfiguren den Begriff „autonome Soldatenbilder“ vorgeschlagen.64 Darunter sind Druckgraphiken zu verstehen, die einen Söldner zeigen, der oftmals mit einem Namen versehen als individueller, aber zugleich als typischer Vertreter seiner Gruppe vorgeführt wird. Ihm werden dabei durch den Begleittext zumeist Selbstaussagen in Form einer ‚IchErzählung’ zugeschrieben und so eine Selbstdarstellung simuliert. Solche Darstellungen sind aufschlussreiche Quellen, da sie ganz direkte Zuschreibungen an Söldnerfiguren offen legen und damit auch zeigen, wie Söldnertypen konstruiert wurden. Allerdings ist die mediale Söldnerdarstellung bei weitem nicht auf diesen Darstellungstyp beschränkt. In der Arbeit wird die mediale Inszenierung von Söldnern somit in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen untersucht. Anhand der Flugblätter soll herausgearbeitet werden, wie Wissensbestände über Söldner im Untersuchungszeitraum medial erzeugt und verbreitet wurden. Da im Flugblatt Wissen über Söldner als soziale Typen und als soziale Gruppe produziert und reproduziert wurde, eignen sie sich 62 HAFTLMEIER-SEIFFERT, Bauerndarstellungen. HALE, Soldier; IRLER, Heroisierung; MORALL, Soldiers; ROGG, Landsknechte; ders., Weyb; ders, Zerhauen; ders. Kriegsleute; WOHLFEIL, Landsknechte; ders., Landsknechts-Bild. 64 ROGG, Landsknechte, S. 243-254. 63 28 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 besonders gut, um Fragen nach den zeitgenössischen Sichtweisen auf sowie Vorstellungen von dieser Gruppe nachzugehen. Stereotype, auf die immer wieder abgehoben wird, sind Hinweise, was zu einem verbreiteten Wissensvorrat über die Gruppe gezählt werden kann. Methodisch wird dies anhand von Fallstudien zu ausgewählten Flugblättern umgesetzt. Dabei betrachte ich die jeweiligen Blätter als Elemente – oder als ‚diskursive Ereignisse’ – eines Diskurses über das Verhältnis von Militär und Gesellschaft.65 Damit können zwei Qualitäten der illustrierten Flugblätter zugleich in den Blick genommen werden. Zum einen wird unterstrichen, dass ein Flugblatt für sich genommen ein spezifisches, eigenständiges Produkt ist.66 Dieser Eigenständigkeit des Darstellungsgegenstandes, der Gestaltung und der inhaltlichen Deutungsangebote soll in den Fallanalysen Rechnung getragen werden. Dabei wird, soweit dies möglich ist, eine behutsame historische Kontextualisierung erfolgen. Einige Flugblätter beziehen sich eindeutig auf das Zeitgeschehen. Viele Blätter verzichten in ihrer Darstellung hingegen völlig auf zeitgeschichtliche Bezüge. Den Blattgestaltern ging es in der Darstellung von Söldnern oftmals nicht um Aussagen zum aktuellen politischen Zeitgeschehen, sondern um die Darstellung allgemeiner gesellschaftlicher Zustände sowie um deren Wahrnehmung und Deutung. Die Darstellung von Söldnern zielte häufig darauf, das Wesen der Menschen zu beschreiben, die den Solddienst aufnahmen oder die soziale Organisation des Söldnerverbandes zu beleuchten. Gerade deshalb aber erscheint es zum anderen auch möglich, diese Flugblätter als Aussagen eines Diskurses zu begreifen, in dem Wissensbestände über Söldner als soziale Gruppe, auch über den Moment hinaus, gespiegelt, aktualisiert, erzeugt sowie vermittelt wurden.67 Diese kollektiven Wissensbestände wurden dadurch auch ohne Ereignisbezüge zeitlich verstetigt. Sie 65 Für das Vorhaben scheint mir eine Anlehnung an Diskursbegriff und Problemstellung vorteilhaft zu sein, wie sie von KELLER, Wissenssoziologische Diskursanalyse, entwickelt werden. Demnach zielt die Analyse auf die diskursive Konstruktion, also der Erzeugung, Reproduktion und Aktualisierung von Wissensbeständen sowie deren Verhältnis zu übergeordneten Wissensordnungen. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet dies, dass die diskursive Vermittlung von Wissen über Söldner und damit die Konstitution von Deutungsmustern für das Verhältnis von Militär und Gesellschaft fokussiert wird. Dabei wird deren Verhältnis zu übergeordneten Vorstellungen über die Beschaffenheit gesellschaftlicher Ordnung herausgearbeitet. Die Darstellungen von Söldnern und ihren Handlungen nehmen auf diese Deutungsmuster Bezug und sind somit als Elemente einer Reproduktion sowie Produktion dieses Diskurses zu verstehen. Die Flugblätter sind nur ein Medium, in dem sich dieser Diskurs manifestiert. Deshalb werden auch andere Medien, wie Flugschriften und Gemälde, exemplarisch herangezogen. Allerdings kann die Studie mit ihrer Schwerpunktsetzung auf die illustrierten Flugblätter nur einen Ausschnitt aus diesem Diskurs rekonstruieren. 66 Dies lässt sich mit dem Begriff ‚Äußerungscharakter’ in Anlehnung an Foucaults Unterscheidung zwischen Aussage und Äußerung beschreiben. Vgl. FOUCAULT, Archäologie, S. 147f. Vgl. dazu auch die Definition bei KELLER, Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 229. 67 Dies zielt auf den ‚Aussagecharakter’ des Flugblatts ab. Vgl. Anm. 66. 29 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 mit Hilfe von Fallstudien zu rekonstruieren ist das Ziel des ersten Hauptteils der vorliegenden Studie. Bei dem Zugriff auf die Quellen sind die großen Editionswerke der letzten Jahrzehnte eine unschätzbare Hilfe.68 Die von Wolfgang Harms herausgegebene Reihe „Illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts“, die die Bestände verschiedener Bibliotheken ediert, steht hier vorne an.69 Die Blätter verschiedener Bibliotheksstandorte sind somit nicht nur leicht zugänglich, sondern auch mit Kommentaren versehen. Dies ist für eine Arbeit mit Flugblättern, die ganz verschiedene Themen und Bildkontexte aufnimmt, äußerst vorteilhaft. Die Vielfalt der behandelten Themen und Darstellungsformen, in denen Söldner eine Rolle spielten, erfordert oft auch eine Informiertheit in so unterschiedlichen Bereichen wie Kunst-, Literatur-, Technik-, Kostüm-, oder Kirchengeschichte, wofür die Kommentare unverzichtbare Informationen bereithalten. Daneben ist auch die von John Roger Paas herausgegebene Reihe zum „German Political Broadsheet“ zu nennen, die viele Blätter zusammenstellt, die auch für Fragen jenseits des Politischen aufschlussreich sind.70 Als grundlegend, gerade für die frühe Phase des Einblattdrucks, muss zudem die von Max Geisberg zusammengestellte und von Walter L. Strauss herausgegebene Sammlung „The German Single-Leaf Woodcut“ genannt werden.71 Hier werden nicht nur frühe Flugblattexemplare zugänglich, sondern auch der Bezug dieses Mediums zu anderen Formen der Druckgraphik sichtbar. Die Arbeit mit Bildern hat in den letzten Jahren innerhalb der Geschichtswissenschaft zu einigen methodischen Überlegungen und Auseinandersetzungen geführt.72 Mittlerweile ist eine Debatte entstanden, die kaum noch zu überblicken ist, der man sich aber stellen muss, wenn man sich mit illustrierten Flugblättern beschäftigt. Einen ‚klassischen’ Referenzpunkt in der Frühneuzeitforschung stellt die ‚Historische Bildkunde’ dar, die auf Überlegungen von Rainer und Trudl Wohlfeil beruht, die sie vor allem anhand von Söldnerdarstellungen ausgearbeitet haben.73 Sie schlagen ein 68 Vgl. auch ROSSEAUX, Kipper, S. 50. HARMS (HG.), Illustrierte Flugblätter. 70 PAAS (HG.), Broadsheet. 71 GEISBERG, Woodcut. Ergänzt sind diese Bände durch STRAUSS (HG.), Woodcut. 72 Der Historikertag des Jahres 2006 mit dem Thema „Geschichtsbilder“ zeugt vom Interesse der Zunft an Bildern und am Bildbegriff. Deutlich wird dies zudem in der Diskussion um einen ‚visual-, pictorial- oder iconic turn’. Vgl. z.B. ROECK, Visual turn; KITTSTEINER, Iconic turn. Die Probleme der Geschichtswissenschaft im Umgang mit Bildern aus der Perspektive der Fachgeschichte erörtern: JÄGER UND KNAUER, Bildwissenschaft. 73 WOHLFEIL, Landsknechte sowie dies., Landsknechts-Bild. Die Methodik wird zudem erörtert in: Ders., Bild und ders., Reflexionen. Es sei wenigstens am Rand darauf hingewiesen, dass sich auch eine Richtung der sozialwissenschaftlichen Gegenwartsforschung in ihrer Methodik im Umgang mit Bildern auf Erwin Panofskys ‚ikonologisches Verfahren’ bezieht, wenn auch z.T. wesentlich kritischer und konzeptionell stark erweitert. Vgl. z.B. MÜLLER-DOOHM, 69 30 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 mehrstufiges Analyseverfahren vor, das auf Erwin Panofskys ‚ikonologischer Methode’ fußt, aber den fachspezifischen Bedürfnissen des Historikers angepasst wurde.74 Kritiker der ‚Historischen Bildkunde’ werfen dieser Methode jedoch nicht ganz zu unrecht vor, sie halte trotz einiger konzeptueller Erweiterungen – vor allem durch Heike Talkenberger75 – immer noch zu stark an einem Bildverständnis fest, das den Abbildungscharakter von Bildern betont.76 Es sei zwar ein eindeutiger Fortschritt, wenn Historiker Bilder nicht mehr als bloße Illustrationen, oder als Korrekturen zu Schriftquellen benutzen würden, sondern ihnen einen tatsächlichen Quellenwert beimäßen. Allerdings geschehe dies oftmals in einer Weise, die Bilder als Dokumente behandelt, die Ideen, Vorstellungen und Einstellungen abbilden würden. Dass Bilder aber selbst Vorstellungen und Einstellungen prägen, bliebe dabei häufig unberücksichtigt. Diese Kritik, die die Rezeption und Wirkung der Bilder stärker in den Vordergrund rückt, ist m.E. berechtigt.77 Die Rezeption und Wirkung der Bilder sind jedoch gerade für Frühneuzeithistoriker ein kaum zu erforschendes Gebiet, da es für die Beantwortung dieser Fragen an aussagekräftigen Quellen fehlt. Diese Fragen sollten jedoch zumindest berücksichtigt werden, indem man versucht die Deutungsangebote und möglichen Wirkungsabsichten von Bildern herauszuarbeiten. Dies ist auch für die Interpretation der in dieser Arbeit untersuchten Bilder maßgeblich. Zudem müssen die Kommunikationszusammenhänge, also Bedingungen der Produktion, der Distribution, der Rezeption und der intermedialen Einbettung berücksichtigt werden. Auch dies ist für den Frühneuzeithistoriker ohne Frage ein Unterfangen, das sich meistens eher auf allgemeine Befunde stützen muss. Dies für jedes Bild einzeln klären zu können, ist aufgrund der Quellenlage ein kaum umzusetzendes Unterfangen. Die ‚Historische Bildkunde’ bleibt eine wichtige Anregung im Umgang mit Bildern. Allerdings sehe ich davon ab, das von ihr vorgeschlagene Bildinterpretation, bes. S. 95; ders., Verstehen, S. 445-448; SOEFFNER UND RAAB, Bildverstehen, S. 266-268 und BOHNSACK, Dokumentarische Methode. Soweit ich überblicken kann, nehmen sich Historische Bildkunde und Sozialwissenschaftliche Bildforschung allerdings bisher nicht gegenseitig wahr. 74 Matthias Rogg, der die bisher umfangreichste Studie zu Söldnern in der Bildkunst des 16. Jahrhunderts vorgelegt hat, übernimmt diese Methode. Daneben haben auch Irler und eben Wohlfeil selbst Söldnerbilder mit dieser Methode bearbeitet. ROGG, Landsknechte, S. 4-7; IRLER, Heroisierung; WOHLFEIL, Landsknechte; ders., Landsknechts-Bild. 75 TALKENBERGER, Illustration; dies., Erkenntnis, bes. S. 90-94. 76 Stellvertretend für die Kritik: KNAUER, Dokumentsinn, bes. S. 44f.; KRÜGER, Geschichtlichkeit, S. 68f.; PAUL, Bildkunde. Gegen diesen Vorwurf wehrte sich Wohlfeil allerdings, wenn auch nur am Rande, bereits 1991, vgl. WOHLFEIL, Reflexionen, S. 18f. Anm. 8. 77 Allerdings haben die konzeptionellen Überlegungen der ‚Historischen Bildkunde’, vor allem durch Heike Talkenberger, diese Faktoren teilweise berücksichtigt. Vgl. TALKENBERGER, Erkenntnis. 31 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 Analyseverfahren als Methode der Bildauswertung zu übernehmen. Es enthält mit seiner Zielrichtung, den „historischen Dokumentensinn“ eines Bildes erarbeiten zu wollen, doch die Gefahr, den Abbildungscharakter von Bildern zu stark zu betonen.78 Gerhard Paul liefert in seinem Umriss einer „visual history“ eine Kritik an dem traditionellen Umgang der Historiker mit Bildern, die dabei gut veranschaulicht, welche Perspektive dahingegen fruchtbarer erscheint: Paul meint, die Geschichtswissenschaft habe lange mit einem „verkürzten Bild-Begriff“ gearbeitet, der das Bild „oft ausschließlich in widerspiegelungstheoretischer Manier als passiven Spiegel der Zeitläufte, kaum einmal jedoch das Bild als Medium und Bildakt, das selbst wiederum Einstellungen, Mentalitäten, Geschichtsbilder etc. generiert, zum Gegenstand gemacht“.79 Positiv gewendet heißt dies, „Bilder über ihre zeichenhafte Abbildhaftigkeit hinaus als Medien zu untersuchen, die Sehweisen konditionieren, Wahrnehmungsmuster prägen, historische Deutungsweisen transportieren und die ästhetische Beziehung historischer Subjekte zu ihrer sozialen und politischen Wirklichkeit organisieren“.80 Anders gesagt, geht es um die Erkenntnis, dass Medien die Wahrnehmung der Welt mit formen. Wie Menschen die Welt sehen ist also von Bildern beeinflusst, genauso wie das, was sie über die Welt wissen und damit auch, wie sie ihre soziale Umwelt deuten und ihr eigenes Handeln ausrichten.81 78 Die Kunsthistorikern Andrea Hülsen-Esch urteilt im Hinblick auf die Praxis des interdisziplinären Umgangs mit Bildern: „Von historischer Seite kommen in den vergangenen Jahren verstärkt Bemühungen, dem Bild als ‚historischer Quelle’ im weitesten Sinne gerecht zu werden. Der dokumentarische Wert der Bilder, durch den ein Bild – bei allen Unterschieden – als Äquivalent neben die schriftliche Quelle gestellt wird, lässt allerdings das Medium an sich, seine spezifische Ausdrucksform und qualitative Komplexität, außer Acht.“ HÜLSEN-ESCH, Gelehrte, S. 31. Vgl. zudem KRÜGER, Geschichtlichkeit, S. 68f., KNAUER, Dokumentsinn, S. 44f. 79 PAUL, Bildkunde, S. 18. Den Begriff des ‚Bildaktes’ übernimmt er dabei von dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp. 80 Ebd., S. 25. 81 Hier lassen sich die Überlegungen von Heinz Dieter Kittsteiner anschließen, wenn es ihm um den Zusammenhang von Bildern und „inneren Bildern“ geht. KITTSTEINER, Iconic turn. Ohne näher darauf eingehen zu wollen, sei nur darauf hingewiesen, dass Kittsteiner einen Zusammenhang zwischen Bildern und Wahrnehmungsschemata erörtert und somit erklären kann, warum Bilder Auswirkungen auf innere Bilder haben und sich somit auf eine „Welt- und Geschichtsorientierung“ auswirken sowie eine „Funktion beim Zustandekommen von historischem Wissen“ haben (S. 165). In der Verschränkung dieser beiden Funktionen liegt letztlich die Attraktivität von Bildern als Quellen für die in dieser Arbeit verfolgte Fragestellung begründet. So betrachtet kann die Arbeit mit Bildern helfen zu verstehen, wie Bilder der Gruppe Söldner sowohl zeitgenössische Wahrnehmungen und Handlungsorientierungen geprägt haben, als auch die historische Verstetigung von Vorstellungen über Söldnern bedingt haben. Zum Zusammenhang von Bildern, ihrer Produktion und Rezeption einerseits und sozialen Wissensbeständen andererseits ist zudem weiterführend: BOHNSACK, Dokumentarische Methode, bes. S. 74-76 und S. 82-84. 32 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 Eine methodische Umsetzung dieses Verständnisses von Bildern wird versucht, indem nach der medialen Inszenierung von Söldnern gefragt wird. Mit dem Begriff der Inszenierung lassen sich einige Probleme des Spannungsfeldes zwischen dem Bild als ‚Wirklichkeitsabbild’ und dem Bild als ‚Wirklichkeitsgenerator’ eingrenzen. Der Begriff berücksichtigt sowohl die aktive und konstruktive Qualität auf Seiten des Bildschöpfers als auch auf Seiten des Rezipienten.82 Er betont zudem den performativen Charakter der Darstellung von Menschen in Bildern. Die visuelle Darstellung von Menschen zeigt sie in ihrer Körperlichkeit.83 Damit wird zuweilen auch ein Habitus sichtbar, der bei textlichen Darstellungen allein meistens nicht unmittelbar vor Augen steht. Die Bilder arbeiten damit. Sie zeigen körperliche Praktiken, die in Texten ebenfalls oft mit einigem Aufwand beschrieben und vom Rezipienten imaginiert werden müssen.84 Die dargestellte Körperlichkeit ist Teil des medialen Wirkungspotentials der Flugblätter und in diesem Sinne wird sie von den Gestaltern auch genutzt. Wie ein Söldner dargestellt wird, ist ebenso Teil einer Flugblattaussage und ist ebenso Teil von Darstellungsstrategien, wie die Aussagen des Textes, der etwas über ihn erzählt. Wenn somit das Spezifische der medialen Inszenierung von Söldnern in Bildern methodisch berücksichtigt werden soll, so muss aber auch herausgestellt werden, dass Flugblätter sich als Medium vor allem durch die BildText Bezüge auszeichnen.85 Diese Interaktion zwischen Bild und Text kann sich freilich ganz unterschiedlich ausnehmen. Texte können sich direkt auf Bildelemente beziehen, sie können diese erörtern, also dem Rezipienten Informationen liefern oder Deutungen der Bilder anbieten. Sie können aber auch Widersprüche und Distanz zwischen bildlicher und textlicher Darstellung entstehen lassen. Auch für die Bestimmung der Bild-Text Relationen kann es kein schematisiertes Analyseverfahren geben. Man muss dem Verhältnis von Bild und Text jeweils im Einzelfall gerecht werden. Schließlich kann die Grenzziehung zwischen visuellen und sprachlichen Bildern auch ein wenig eingerissen werden.86 Die Texte von Flugblättern lassen sich nicht von 82 Zum Begriff der Inszenierung, wie ich ihn hier verstehe: FISCHER-LICHTE, Performance, bes. S. 41-47 und dies., Erfahrung, S. 291-300. Vgl. zudem die methodischen Reflektionen zur Verwendung des Inszenierungsbegriffs, wenn er genutzt wird um die gesellschaftliche Konstruktion, Nutzung und Wirkung eines Gruppenbildes zu erforschen, bei HEIMERDINGER, Seemann, S. 22-42, bes. S. 30-32. Zur Umsetzung dieses Programms gerade auch im Hinblick auf die mediale Inszenierung einer Gruppe ebd., S. 82-178. 83 Zur Perspektive auf ‚Körper-Inszenierungen’ in Medien vgl. FISCHER-LICHTE, Erfahrung, S. 286. Natürlich sind den Bildern auch hier Grenzen des Darstellbaren gesetzt. Körperliche Erfahrungen z.B. sind nur sehr schwer bildnerisch in Szene zu setzen, gerade sie sind aber für die soziale Gruppenkonstitution ohne Zweifel sehr bedeutend. 84 MÜLLER-DOOHM, Verstehen, S. 442f. 85 HENKEL, Schauen; WENZEL, Heyden Schul; MAUELSHAGEN, Fallstudie. 86 Sehr anregend zu diesem Problem: WENZEL, Schrift. 33 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010 den bildlichen Inszenierungen abspalten, sie sind selbst Teil der Inszenierung. Sie lassen Figuren zum Betrachter sprechen, sie erzählen dem Betrachter etwas über das zu Sehende und beeinflussen somit die Rezeption der Bilder erheblich. Zudem können sich Sprachbilder und visuelle Bilder durchaus ergänzen, aufeinander beziehen oder eben in Widerspruch treten. Die Texte können isoliert betrachtet durchaus selbst performative Effekte erzielen, indem sie Handlungen der Figuren beschreiben oder etwa dargestellte Figuren durch Dialoge miteinander interagieren lassen. Ein anderes Problem der Analyse von Flugblättern stellt die Rekonstruktion der Kommunikationszusammenhänge dar. Flugblätter sind uns in der Regel aus Sammlungen in Bibliotheken und Museen erhalten. Über ihren zeitgenössischen Gebrauch und ihre Rezeptionszusammenhänge wissen wir, bis auf eher allgemeine Befunde, zumeist wenig; Rezeptionsspuren sind selten.87 In wahrnehmungsgeschichtlicher Hinsicht sind dies nicht zu unterschätzende, methodische Schwierigkeiten.88 Ein Weg, diesem Problem zumindest ansatzweise zu begegnen, liegt in der Berücksichtigung intermedialer Bezüge. Ich nehme deshalb in meinen Analysen exemplarisch weitere Bild- und Textquellen auf, um in ausgewählten Fällen auch der intermedialen Einbettung der Flugblätter nachgehen zu können. Die Bilder sind nicht ausnahmslos als originäre Schöpfungen anzusehen, sondern haben Vorbilder und verweisen auf ikonographische Traditionen. Sie positionieren sich in diesem Sinne zu anderen Bildern. Vergleichbar steht es mit den Texten. Deshalb ziehe ich zuweilen auch andere, dem Flugblatt mehr oder weniger verwandte Quellengattungen, wie Flugschriften, Druckgraphiken, Gemälde oder Schwankerzählungen heran, um den intermedialen Zusammenhängen auf die Spur zu kommen. Ziel ist eine behutsame Einbettung in den medialen sowie historischen Kontext und somit auch in den Kommunikationszusammenhang der Flugblätter. 87 Eine prominente Ausnahme ist die Sammlung Johann Jakob Wicks, die allerdings einen Schwerpunkt auf Kometenflugblätter, Wunderzeichen und ähnlichem hat. Vgl. HARMS (HG.), Flugblätter, Bd. 6 und Bd. 7. Ähnliche Verwendungsspuren auch in der Chronik Georg Kölderers, der dort Flugblätter eingeklebt hat, ROECK, Welt, S. 24f. 88 TSCHOPP, Unsichtbare. Das Problem, das hier angesprochen ist, ergibt sich freilich nicht nur in der Arbeit mit illustrierten Flugblättern, sondern mit allen ‚Texten’, verstanden als kulturelle Artefakte. Zumindest, wenn man der Ansicht ist, dass sie ihre Bedeutung vor allem in der Rezeption bzw. Interpretation durch zeitgenössische Akteure erhalten haben und nicht Träger ‚textimmanenter Bedeutungen’ sind. Das Problem liegt dann darin, dass uns in der Regel der ‚Text’ vorliegt, ohne dass dessen Rezeption in den Quellen greifbar wäre. Aus Sicht der praxistheoretisch fundierten Kulturwissenschaften und deren Verhältnis zu ‚Texten’ erörtert das sehr anschaulich RECKWITZ, Transformation, S. 605-611. Einer Lösung dieses Problems kann man sich auch in diesem praxistheoretischen Verständnis nur annähern, wenn man versucht den Text „in den historisch-sozialen Kontext einzubetten, um [...] zumindest indirekt zu erschließen, was das Hintergrundwissen der Teilnehmer sein könnte, auf deren Grundlage diese die Symbole interpretieren.“ Ebd., S. 611, Anm. 85. 34 HUNTEBRINKER, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. ISBN 978-3-86764-274-3 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2010