Untitled

Werbung
!"#$%&"&'%($)
*+#,-.#/),-0)1234%$%-52&(%-$(%&,-.))
6787)9)678:)
)
)
)
)
)
;&",%-<)!=--%&),-0)0(%)>4&"?@%)
)
A%#?@B%?@$%&C2-#$&,C$(2-%-)(-)0%&)B+#,-.#2&(%-$(%&$%-)D%&"$,-.)
)
)
)
)
)
!
)
)
))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))
)
E2&/),-0)F"?@-"3%G-H))
!2-")A&2##)
I/!"(B/J0&%##%H)
)
32-".&2##K'B,%L(-M?@)
)
)
)
E2-)0(%#%&)!"#$%&/J&'%($)L,&0%-)"3)7NM)!"()678:)%(-%)%B%C$&2-(#?@%);"##,-.),-0)0&%()#?@&(O$B(?@%)
IP%34B"&%)'%()0%&)Q2?@#?@,B%)*,5%&-)%(-.%&%(?@$M)
)
)
R(%#%)J&'%($)(#$)I(.%-$,3)0%&)Q2?@#?@,B%)*,5%&-M)>(%)%-$@=B$)0(%)4%&#+-B(?@%)>$%BB,-.-"@3%)0%#)J,/
$2&#G0%&)J,$2&(-)'5LM)0%&)J,$2&(--%-),-0)J,$2&%-M)E%&+OO%-$B(?@,-.%-)9)",?@)",#5,.#L%(#%)9)'%/
0S&O%-)0%&)",#0&S?CB(?@%-)A%-%@3(.,-.)0,&?@)0(%)*%($,-.)T%($%&'(B0,-.)0%&)Q2?@#?@,B%)*,5%&-)9)
>25("B%)J&'%($M))
)
Abstract Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über das systemische Denken und untersucht, in wel-­‐
chem wissenschaftlichen Kontext die lösungsorientierte Beratung angesiedelt ist und, wie in der lö-­‐
sungsorientierten Beratung Geschlechterkonstruktionen insbesondere geschlechterspezifische Kommunikationsformen und Sprachstile berücksichtigt werden. Die lösungsorientierte Beratung sieht den zu beratenden Menschen als Experten für sein Leben. Die wertschätzende, zukunfts-­‐ und ressourcenorientierte Haltung der lösungsorientierten Beratung stellt mit ihren Grundannahmen und Instrumenten eine Methode dar, dem Menschen möglichst unvor-­‐
eingenommen zu begegnen. Die Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Unterschieden der Sprache und des Kommuni-­‐
kationsverhaltens macht deutlich, dass Geschlechterdifferenzen das Resultat kontinuierlicher Her-­‐
stellungsprozesse sind. Einerseits bildet die Sprache vorhandene Wirklichkeitskonstruktionen ab, andererseits ist sie an der Herstellung der Wirklichkeit aktiv beteiligt. Insofern bilden geschlechter-­‐
spezifische Sprachformen Wahrnehmungen über und Bilder von Männern und Frauen ab und beein-­‐
flussen diese gleichzeitig aktiv. So fokussiert die lösungsorientierte Beratung nicht auf geschlechterstereotype Verhaltensweisen, Inhalte geschlechtertypischer Kommunikation werden in der Methodik der lösungsorientierten Bera-­‐
tung nicht berücksichtigt. Die lösungsorientierte Beratung bietet einen Zugang, um als das Gegen-­‐
über in erster Linie als Mensch und nicht als „typisch weiblich“ oder „typisch männlich“ wahrzuneh-­‐
men. Die lösungsorientierte Beratung erwartet eine unvoreingenommene Haltung, bleibt dabei jedoch in einem gewissen Masse genderblind. !
2!
Inhaltsverzeichnis VORWORT 5 1. EINLEITUNG 6 1.1. Ausgangslage 6 1.2. Rahmen und Ziel 7 1.3. Fragestellung 8 1.4. Aufbau der Arbeit 9 2. SYSTEMISCHES DENKEN 10 2.1. Systemtheoretische Konzepte 11 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.1.4. Kybernetik Zirkularität Synergetik Autopoiesis 11 12 12 12 2.2. Konstruktivismus 2.2.1. Kommunikative Wirklichkeit – Paul Watzlawick 2.2.2. Viabilität – Ernst von Glasersfeld 2.2.3. Soziale Systeme – Niklas Luhmann 13 13 15 15 2.3. Kommunikation und Sprache 17 2.4. Zusammenfassung 18 3. LÖSUNGSORIENTIERTE BERATUNG 20 3.1. Entstehungsgeschichte 20 3.2. Lösungskonstruktionen 21 3.3. Grundannahmen 22 3.4. Interaktionsmuster 3.4.1. Besucherin/Besucher 3.4.2. Klagende 3.4.3. Kundin/Kunde 23 23 24 24 3.5. Ausgewählte Methoden 3.5.1. Rapport 3.5.2. Aktives Zuhören und Fragen 25 25 26 3.6. Zusammenfassung 27 !
3!
4. GESCHLECHTERKONSTRUKTIONEN 29 4.1. Gender – ein komplexer Begriff 29 4.2. Geschlechterdiskurse 4.2.1. Die Gleichheitstheorie und die Differenztheorie 4.2.2. Konstruktivistische Diskurse 4.2.3. Dekonstruktivistischer Diskurs, Zweigeschlechtlichkeit und Gender Trouble 29 30 31 32 4.3. Geschlechtstypische Interaktionsprozesse 34 4.4. Sprache, Kommunikation und Geschlecht 4.4.1. Defizit-­‐ und Differenzkonzepte 4.4.2. Konstruktivistische Konzepte 34 34 35 4.5. Geschlechterstereotypien und Geschlechterrollen 4.5.1. Inhalte von Geschlechterstereotypien 4.5.2. Stereotypgestützte Wahrnehmung und Kommunikation 4.5.3. Entwicklung von Geschlechterstereotypien 37 37 38 40 4.6. Genderkompetente Beratung 41 4.7. Zusammenfassung 42 5. GENDERKOMPETENZ IN DER LÖSUNGSORIENTIERTEN BERATUNG 43 5.1. Expertise des Wissens und Nicht-­‐Wissens 44 5.2. Sprache und Kommunikation 44 5.3. Stereotypien 46 5.4. Geschlechteridentität und –rolle 49 5.5. Selbstreflexive Kompetenzen 50 6. FAZIT 52 7. AUSBLICK 53 8. LITERATURVERZEICHNIS 54 ANHANG A: OPERATIVER KONSTRUKTIVISMUS NACH LUHMANN LIX ANHANG B: SPRACHSTEREOTYPEN NACH GOTTBURGSEN !
LXIII 4!
Vorwort Wahrnehmen der geschlechterherstellenden Prozesse, die Auseinandersetzung mit Studien und Un-­‐
tersuchungen zu Geschlechterverhältnissen aber auch die persönliche Reflexion eigener geschlech-­‐
terstereotypen Verhaltensformen sind Teil meines Arbeitsalltages. Die lösungsorientierte Beratung geht davon aus, dass zwischenmenschliche Kommunikation nur be-­‐
dingt steuerbar ist: „Es liegt bei der verstehenden Person, d.h. bei jener, der etwas mitgeteilt bzw. die orientiert wird, ob sie die Handlungen der anderen Personen als Mitteilung auffasst, welche In-­‐
formationen sie aufgrund der Mitteilung selektieren kann und wie sie diese versteht“ (Heiko Kleve, 2009, S.60). Mein Anliegen ist es, die Entwicklung des systemischen Denkens aufzuzeigen und zu klären, inwie-­‐
fern die lösungsorientierte Beratung das Wissen aus der geschlechterspezifischen Kommunikation verwenden sollte, um eine bessere Passung im Sinne von Ernst von Glasersfeld oder eine höhere strukturelle Kopplung nach Niklas Luhmann zu erreichen. Durch die Auseinandersetzung mit der Thematik Geschlecht, Sprache und Kommunikation, insbesondere unter konstruktivistischer Perspek-­‐
tive, hat sich meine Sichtweise verändert und somit auch die Fragestellung der Arbeit. Die Auseinandersetzung mit dem systemischen Denken, der lösungsorientierten Beratung und der aktuellen Genderthematik war intensiv. Durch die Vertiefung in die unterschiedlichen Fachbereiche und das Studium dieser Theorien befand ich mich während der gesamten Zeit in einem Verände-­‐
rungsprozess. Neue Erkenntnisse trafen auf früher erarbeitetes Wissen, auf Erfahrungen und An-­‐
nahmen. Immer wieder musste ich meine Gedanken neu ordnen und konnte neue Verknüpfungen erstellen. Die stete und engagierte Begleitung durch Hans Gross hat mich während dieses Prozesses auf wert-­‐
volle Weise unterstützt. !
5!
1. Einleitung Zur Einführung in das Thema wird zunächst die Ausgangslage beschrieben, um daran anschliessend die Eingrenzung der Arbeit sowie die Zielsetzung und Fragestellung zu erläutern. 1.1. Ausgangslage Unterschiede zwischen den Geschlechtern aber auch innerhalb der Geschlechter sind aktuell eine viel diskutierte Thematik. Durch verschiedene Einflüsse wie die soziale und kulturelle Herkunft, die sexuelle Orientierung oder die körperliche Ausstattung entstehen Differenzen. Die Herausforderung für Professionelle, insbesondere der Sozialen Arbeit, ist es, die individuelle Seite und das persönliche Entwicklungspotential jeder einzelnen Person wahrzunehmen. Nach Christine Gruber und Elfriede Fröschl (2001) ist es dabei relevant, die unterschiedlichen Macht-­‐
verhältnisse in die Analyse der sozialen Probleme einzubeziehen (S. 13). Die Gesellschaft ordnet je-­‐
den Menschen der Kategorie „weiblich“ oder „männlich“ zu. Durch diese Zuordnung werden den Menschen bestimmte Merkmale zu-­‐, aber auch abgesprochen. Geschlecht wird im Diskurs der aktu-­‐
ellen Genderforschung als etwas Hergestelltes und nicht als etwas Gegebenes betrachtet. Dieser Doing-­‐Gender-­‐Ansatz bedingt jedoch auch, dass die Herstellungsprozesse in der Forschung sowie der Praxis angemessen berücksichtigt werden. Nach Margrit Brückner (2001) ergibt sich „als methodi-­‐
sche Notwendigkeit [ ] daraus weniger die Suche nach objektiver Wahrheit, als vielmehr die nach intersubjektiver Überprüfbarkeit von Ergebnissen und Deutungen“ (S. 22). Nach Brückner (2001) hat insbesondere die Auseinandersetzung mit konzeptionellen Umdeutungen und mit der Behandlung bisher tabuisierter Bereiche zu neuen Fragestellungen in der Geschlechter-­‐
debatte geführt. Konzeptionell wurde der Begriff der „Arbeit“ durch den Einbezug unbezahlter Arbeit neu erfasst. Diskussionen über Tabuthemen wie die Männergewalt an Frauen am Arbeitsplatz oder in der Prostitution prägten den Perspektivenwechsel entscheidend mit (S. 18). Das Masterprogramm der Lösungs-­‐ und Kompetenzorientierung berücksichtigte kaum die aktuellen Geschlechterverhältnisse, die damit verbundenen strukturellen Bedingungen und Fragen der Macht-­‐
verteilung. In der Literatur zu lösungsorientierter Beratung und Therapie, aber auch im Bereich sy-­‐
stemischer Theoriemodelle werden ungleiche Zugänge bedingt durch Geschlechterzuschreibungen nicht berücksichtigt. Vereinzelt wird der Genderthematik kurze Aufmerksamkeit geschenkt. So findet man bei Jürgen Hargens (2008) beispielsweise Fragen wie „Angenommen, Sie wären keine Frau/kein Mann, sondern ein Mann/eine Frau wie würden Sie Ihr Problem dann beschreiben?“ oder „Wenn ich Sie nicht sehen könnte, wie und woran würde ich dann erkennen, dass Sie eine Frau/ein Mann sind?“ (S. 47-­‐48). !
6!
1.2. Rahmen und Ziel Das Interesse der vorliegenden Arbeit gilt der Frage, inwiefern die lösungsorientierte Beratung an der Konstruktion von Geschlecht beteiligt ist. Sie setzt sich nicht mit der Frage auseinander, warum sy-­‐
stemisch-­‐lösungsorientierte Modelle kaum die Frage der Geschlechterverhältnisse und damit ver-­‐
bundenen Barrieren, Einschränkungen oder ungleichen Zugängen zu bestimmten Lebensbereichen aufgreifen. Die politische Dimension, insbesondere auch das Gendermainstreaming bilden keinen Schwerpunkt dieser Arbeit. Der Fokus richtet sich auf den Nutzen, den die lösungsorientierte Bera-­‐
tung für die gendersensible Arbeit hat. In Anlehnung an die von Kurt Ludewig (1999) erarbeiteten Grundarten der psychosozialen Versor-­‐
gung wird in dieser Arbeit der Begriff der „Beratung“ verwendet. Beratung geht davon aus, dass der Mensch über alle nötigen Ressourcen verfügt, um seine Probleme lösen zu können. Die Beratung soll dabei helfen, den blockierten Zugang zu den eigenen Ressourcen zu ermöglichen (S. 60). In der Lite-­‐
ratur ist oft der Begriff der „Therapie“ zu finden, welcher im Sinne Ludewigs für diese Arbeit nicht geeignet erscheint. Abgeleitet vom Begriff „Beratung“ werden die an der Beratung beteiligten Akteure und Akteurinnen mit beratende Person und ratsuchende Person bezeichnet. Die der Arbeit zu Grunde liegenden Theorien basieren auf dem systemischen Denken, also auf sy-­‐
stemtheoretischen und konstruktivistischen Ansätzen. In Anlehnung an die Aussage von Jürgen Har-­‐
gens (2008) „ich kann aber keine „wahre“ oder „objektive“ Aussage darüber machen, ob dieses Mo-­‐
dell, indem ich mich bewege, selbst „wahr“ ist (S. 143), hat das erarbeitete Material keinen Anspruch auf absolute Gültigkeit. Ein zentrales Werkzeug der Beratung ist die Sprache. Hargens (2008) betrachtet Sprache als eines der wichtigsten Hilfsmittel in der Therapie (S.27). Die Beleuchtung des Themas der Geschlechterkon-­‐
struktionen wird dementsprechend auf den Bereich der Sprache und Kommunikation gerichtet. Innerhalb der unterschiedlichen Diskurspositionen der Genderdebatte wird auf eine vertiefte Aus-­‐
einandersetzungen mit der Queer-­‐Bewegung, dem Undoing-­‐Gender-­‐Konzept nach Stefan Hirschauer sowie dem Konzept der Hegemonialen Männlichkeit nach Robert W. Connell verzichtet. Sie würden sich jedoch ergänzend in die vorgestellten (de)konstruktivistischen Ansätze einfügen. !
7!
Folgende Ziele werden in der vorliegenden Arbeit verfolgt: 
Das systemische Denken ist differenziert dargestellt und der Bezug zum beraterischen Kon-­‐
text ist hergestellt. 
Kommunikation, insbesondere die Sprache ist unter einem konstruktivistischen Blick erläu-­‐
tert. 
Die lösungsorientierte Beratung ist umfassend beschrieben. Die lösungsorientierte Haltung ist verständlich ausgeführt, Konsequenzen für die Methodik und die Vorgehensweisen sind erklärt. 
Der Herstellungsprozess von Geschlecht, Geschlechterdifferenzen und Geschlechterstereo-­‐
typien ist hergeleitet und unter einer konstruktivistischen Sichtweise näher betrachtet. 
Die lösungsorientierte Beratung ist unter Berücksichtigung der Aspekte Wissen, Können und Wollen beleuchtet. Kenntnisse, Methoden und Instrumente aus der lösungsorientierten Be-­‐
ratung sind hinsichtlich einer gendersensiblen Arbeitsweise untersucht. 
Die Rolle der beratenden Person in der lösungsorientierten, genderkompetenten Beratung ist reflektiert. 1.3. Fragestellung Abgeleitet aus der geschilderten Ausgangslage und den beschriebenen thematischen Einschränkun-­‐
gen soll die Arbeit zunächst folgende drei Fragen beantworten, bevor abschliessend die zentrale Fra-­‐
gestellung bearbeitet wird: 1. Was bedeutet eine konstruktivistische Sichtweise der Sprache, bzw. Kommunikation? 2. Wodurch zeichnet sich ein konstruktivistischer Blick auf die Geschlechterfrage aus? 3. Welche geschlechterstereotypischen Sprachstile und Kommunikationsformen beeinflussen Wahr-­‐
nehmung und Verhalten? Die Hauptfragestellung der Arbeit lautet: Wie kann die lösungsorientierte Beratung Geschlechterkonstruktionen, insbesondere geschlech-­‐
terspezifische Kommunikationsformen berücksichtigen? Die Arbeit richtete sich an Professionelle der Sozialen Arbeit, Studierende des Masterprogramms Lösungs-­‐ und Kompetenzorientierung der Hochschule Luzern sowie Interessierte für die Thematik der Geschlechterkonstruktionen im beraterischen Kontext. !
8!
1.4. Aufbau der Arbeit Der Arbeit liegt ein konstruktivistisches Verständnis zu Grunde. Die in der Darstellung ersichtlichen Pfeile bilden den Schwerpunkt der Kapitel zwei bis vier. Abschliessend wird die Fragestellung in Be-­‐
zug auf das erarbeitete Material bearbeitet. Im Sinne der farbigen Kugel werden Elemente aller drei Richtungen unter Berücksichtigung eines konstruktivistischen Fokus zu einem persönlichen Fazit ge-­‐
führt. Abbildung 1: Theoriebezug (eigene Darstellung) Die vorliegende Arbeit ist eine Literaturarbeit. Im zweiten Kapitel werden Grundlagen des systemi-­‐
schen Denkens erarbeitet. Dabei werden einerseits systemtheoretische Begriffe geklärt sowie die Grundgedanken des Konstruktivismus erläutert. Der Schwerpunkt liegt auf der Kommunikation und der Sprache. Im dritten Kapitel werden die Haltung und die für die Arbeit relevanten Grundannahmen der lö-­‐
sungsorientierten Beratung vorgestellt. Einige Instrumente dieses methodischen Modells werden im Anschluss daran vertieft betrachtet. Das vierte Kapitel widmet sich dem Thema der Geschlechterkonstruktionen. Einleitend werden ver-­‐
schiedene Diskurspositionen beschrieben. Der Fokus dieses Kapitels liegt auf der konstruktivistischen Sichtweise von Geschlechterherstellungsprozessen, insbesondere im Bereich der Sprache und Kom-­‐
munikation. Dazu werden geschlechterstereotype Verhaltensweisen zusammengefasst und die Her-­‐
stellung von Geschlechterstereotypien erläutert. Im fünften Kapitel wird das erarbeitete Material in Bezug auf die Fragestellung ausgewertet und ver-­‐
arbeitet. !
9!
2. Systemisches Denken Die Frage nach der Wahrheit, der objektiven Realität interessiert den Menschen seit Jahrtausenden. Vertreterinnen und Vertreter der Philosophie und anderer Wissenschaften beschäftigten und be-­‐
schäftigen sich noch heute mit diesem epistemologischen Problem1. Ernst von Glasersfeld (1994) hält dazu fest: „Nach wie vor herrscht da die Auffassung, dass Wissen nur dann Wissen ist, wenn es die Welt erkennt, wie sie ist“ (S. 19). Fritz B. Simon (2011a) beschreibt, wie Descartes’2 Spaltung zwischen der geistigen und der materiel-­‐
len Welt den Anfang des zeitgenössischen Weltbildes darstellte. Descartes betrachtete Gott als Schöpfer und somit erschien ihm die Welt in ihrem Sein als gegeben. Seine Überlegungen zeichneten ein geradlinig verknüpftes Ursache-­‐Wirkungsmodell aus: die Welt wird von Gott als Ganzes erschaf-­‐
fen und kann vom Menschen einzig in ihrem Wesen erkannt werden. Diese Überlegungen implizieren eine Objektivität, indem verschiedene Menschen zu ein und demselben Ergebnis kommen. Entspre-­‐
chend werden Vorhersagbarkeit und Berechenbarkeit angestrebt. Descartes trennt in seinem Welt-­‐
bild Objekt und beobachtende Person voneinander. Dass der Mensch in seiner Rolle als Beobachter selber zum Gegenstand der Erkenntnis gemacht werden könnte, wird in seinen Ausführungen nicht berücksichtigt. Sollen die Zusammenhänge zwischen dem beobachtenden Menschen und dem beobachteten Objekt untersucht und berücksichtigt werden, stösst man auf die Grundlagen des „systemischen Denkens“. Das „systemische Denken“ vereint die Theoriemodelle der Systemtheorien sowie des Konstruktivis-­‐
mus (S. 9-­‐12). Von Descartes hin zu einer systemischen Sichtweise ist es ein grosser Sprung. Wie Günther Bamberger (2010) beschreibt, ist der Paradigmenwechsel vom Objekt zum System nicht einer einzelnen Person zuzuschreiben, sondern mehreren geistigen Erfindern, welche teilweise un-­‐
abhängig voneinander, zeitgleich in dieselbe Richtung forschten. So wurde in den 1950er Jahren der Fokus auf die Wechselwirkungen der miteinander agierenden Objekte gelegt und nicht mehr nur das Objekt in den Mittelpunkt gestellt (S. 11-­‐13). Im folgenden Kapitel werden systemtheoretische Konzepte sowie der Konstruktivismus vertiefter betrachtet. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
1
Ein epistemologisches Problem setzt sich damit auseinander, wie Kenntnis von der Wirklichkeit erlangt wer-­‐
den kann und ob diese Kenntnis verlässlich, sprich „wahr“ ist. 2
Französischer Philosoph (1596-­‐1650): Er steht in der Tradition der platonischen Philosophie sowie der aristo-­‐
telischen Logik (Simon, 2011a, S. 11). !
10!
2.1. Systemtheoretische Konzepte Laut Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer (2007) etablierte sich die Systemtheorie in den 1950er Jahren als Kybernetik, also als Steuerungslehre (S. 50). 2.1.1. Kybernetik Der Begriff der Kybernetik3 bezeichnet die Steuerungslehre technischer Systeme. Er geht auf den Mathematiker Norbert Wiener zurück. Dieser ging davon aus, dass verschiedene Funktionen wie Steuerung und Regelung, bei Maschinen, Organismen und sozialen Strukturen denselben Prinzipien folgen. Die zunächst entwickelte Kybernetik 1. Ordnung beinhaltete objektive Aussagen über Systeme und ihr Verhalten (Fritz B. Simon, Ulrich Clement & Helm Stierlin, 2004, S. 196-­‐198). Angestrebt wurde das Erhalten eines Gleichgewichts, nachdem der Ist-­‐Zustand in einen Soll-­‐Zustand korrigiert wurde. Für die systemische Therapie bedeutete dies, dass mittels therapeutischer Interventionen – oft mas-­‐
siven Ausmasses – von einem unerwünschten zu einem erwünschten Zustand geführt werden konn-­‐
te (von Schlippe & Schweitzer, 2007, S. 50-­‐51). Durch Bekanntwerden autopoietischer, synergetischer und konstruktivistischer Überlegungen4 wur-­‐
de die direkte Beobachtung eines Systems in Frage gestellt. (S. 51-­‐53) Heinz von Foerster führte in den 1970er Jahren die Kybernetik 2. Ordnung ein: es ging nun nicht mehr darum, Aussagen über das Verhalten eines Systems zu machen, sondern die Aussagen bezogen sich auf die beobachtende Person in Interaktion mit dem beobachteten System (Simon et al., 2004, S. 196-­‐198). Nach von Schlippe und Schweitzer (2007) werden Beobachter und Beobachterin somit als Teil des Kontextes, der betrachtet wird, mit in das Konzept einbezogen (S. 52-­‐53). Die Kybernetik 2. Ordnung beschreibt Prozesse wechselseitiger Beeinflussung. Die beobachtende Person ist immer auch Teil der Beobachtung und nimmt somit Einfluss auf das Beobachtete. Bamber-­‐
ger (2010) beschreibt, dass die kybernetische Sichtweise Auswirkungen auf die Beratung hat. Die beratende Person kann stets nur interaktive Prozesse beobachten, nie aber ausserhalb seiner Beob-­‐
achtungen existierende Objekte. Insofern gibt es keine Objektivität. Berater oder Beraterin können Nützliches oder weniger Nützliches tun, erhalten jedoch auch die Verantwortung, ein Gleichgewicht zwischen Anregungen zu Veränderungen sowie der Autonomie des Gegenübers sicher zu stellen. Daher bedarf es in Beratungssituationen einer kontinuierlichen Reflexion sowohl von Seiten der be-­‐
ratenden Person sowie von Seiten der hilfesuchenden Person (S. 15-­‐17). !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
3
Kybernetik stammt vom griechischen „kybernetes“ ab, was übersetzt den „Steuermann“ bezeichnet (Simon et al, 2004, S. 196). 4
Siehe Kapitel 2.1.3 und 2.1.4 !
11!
2.1.2. Zirkularität Von den kybernetischen Überlegungen hin zur Zirkularität ist es gedanklich nicht weit. Auf Grund dessen, dass sich Elemente in einem System stets wechselseitig beeinflussen, kann nie nur ein Ele-­‐
ment alleine bewegt werden. Die Verhaltensweisen eines Menschen werden durch die Verhaltens-­‐
weisen anderer bedingt und bedingen diese im selben Moment. Dadurch gestalten sich Beziehungen zirkulär. Für die Beratungssituation bedeutet dies, dass solche Zusammenhänge in Systemen sichtbar ge-­‐
macht werden können und die Konstruktionen anderer beteiligter Elemente im System angespro-­‐
chen werden5. Durch die Art und Weise, wie die beratende Person die Beziehung zum Gegenüber gestaltet, kann sie den Prozess in einem gewissen Masse beeinflussen (Bamberger, 2010, S. 17-­‐18). Wie steuerbar die Einflussmöglichkeiten jedoch sind, zeigt sich durch die Klärung des Begriffs der „Autopoeisis“ in Kapitel 2.1.4. 2.1.3. Synergetik Synergetik6 bezeichnet die Selbstorganisation von Systemen. Beschrieben werden Übergänge vom Chaos zur Ordnung. Der Physiker Hermann Haken entwickelte diese Modell und verstand es als in-­‐
terdisziplinären Ansatz. Seine Hauptaussage ist, dass sich Systeme selber organisieren und dadurch zu einem übergeordneten Verhalten gelangen, welches wiederum die einzelnen Teile des Systems steuert (Simon, 2011a, S. 23-­‐24). Elemente eines Systems beeinflussen sich nicht nur wechselseitig, sondern gelangen durch die Selbstorganisation zu einer geordneten Gesamtleistung (Bamberger, 2010, S. 251). Simon (2011a) beschreibt, dass auf Grund der enormen Zahl an Rückkoppelungsprozessen7 innerhalb eines Systems eine Berechenbarkeit von Ursache-­‐Wirkungs-­‐Zusammenhängen unmöglich wird (S. 25-­‐
31). Kausalität bildet sich somit nicht linear: Ursache und Wirkung verhalten sich nicht geradlinig zueinander. Für die Beratungssituation ist dies von grosser Bedeutung: kleine Ursachen können unter Umständen grosse Wirkungen haben (von Schlippe & Schweitzer, 2007, S. 64-­‐65). 2.1.4. Autopoiesis Ein zentraler Begriff innerhalb der Systemtheorie ist derjenige der Autopoiesis8. Autopoietische Pro-­‐
zesse verlaufen nach Prinzipien der Selbsterzeugung und Selbsterhaltung lebender Wesen. Dieses !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
5
Typisch für solche Interventionen sind so genannte zirkuläre Fragen (wie beispielsweise die Frage „was würde Ihr Ehemann zu Ihrem Alkoholproblem sagen?“) (Bamberger, 2010, S. 18). 6
Synergetik stammt vom griechischen „synergein“ ab, was übersetzt „zusammenarbeiten“ meint (Simon et al, 2004 S. 322). 7
Siehe Ausführungen zur Zirkularität in Kapitel 2.1.2 8
Autopoiese stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus den Wörtern autos=selbst und poiein= machen zusammen (Simon, 2011a, S. 32). !
12!
konstruktivistische Konzept geht auf die Arbeiten des Neurobiologen Humberto Maturana und des Neurowissenschaftler Francisco Varela zurück und beschreibt lebende Systeme als sich gegenüber ihrer Umwelt energetisch offen verhaltend. Gleichzeitig sind sie jedoch operationell geschlossen (Helmut Lambers, 2010, S. 27-­‐28). Das bedeutet, dass sie für den Austausch von Materie und Energie gegenüber ihrer Umwelt offen sind, dass Veränderungsprozesse jedoch systemintern ablaufen. Nach Simon (2011a) schliessen somit systeminterne Operationen stets an systeminterne Operationen an (S. 34). Folglich können Veränderungsprozesse durch Irritationen und Störungen aus dem Umfeld provoziert werden, ein direkter Einfluss auf das System ist jedoch ausgeschlossen. Wie die Verände-­‐
rung sich entwickelt, kann nicht durch die Umwelt gesteuert werden. Der Autopoiesis-­‐Begriff wurde von Maturana ausschliesslich für organische Systeme konzipiert. Nik-­‐
las Luhmann hingegen übertrug diese Überlegungen auf psychische und soziale Systeme. Seiner Auf-­‐
fassung nach operieren auch psychische und soziale Prozesse nach den Mechanismen der Selbster-­‐
zeugung und sind gegenüber ihrer Umwelt offen, in der Verarbeitung nach innen jedoch geschlossen (Lambers, 2010, S. 28). 2.2. Konstruktivismus „Systemisches Denken betrachtet den Beobachter als Ursprung jeden Erkennens und so auch jeder Realitätsbehauptung“ (Ludewig, 2002, S.19). Konstruktivistisches Denken geht laut von Glasersfeld (1994) davon aus, dass wir die Welt, in welcher wir zu leben meinen, uns selber zu verdanken haben (S.17). Helmut Lambers (2010) beschreibt, dass vom Menschen erkannte Dinge und Sachverhalte letztendlich vom Menschen konstruiert werden, da sie nie unabhängig von menschlicher Erkenntnis existieren. Der Konstruktivismus setzt sich somit mit der Frage auseinander, wie Menschen aktiv an den Konstruktionen der eigenen Erfahrungen Anteil haben (S.23). Durch den Prozess des Erkennens, werden Konzepte entwickelt, welche dem Menschen dazu verhelfen, sich zu orientieren. Doch wäre es laut von Schlippe und Schweitzer (2007) ein fal-­‐
scher Schritt, die konstruierten Konzepte mit der Wirklichkeit zu verwechseln (S. 86-­‐89). Innerhalb des konstruktivistischen Denkens entwickelten sich zwei Hauptströmungen: der radikale Konstruktivismus, welcher durch Autoren wie von Glasersfeld und von Foerster geprägt wurde sowie der operative Konstruktivismus und dessen Hauptvertreter Niklas Luhmann. Nach von Schlippe und Schweitzer (2007) bildet die konstruktivistische Philosophie zur Zeit die erkenntnistheoretische Grundlage des systemischen Denkens (S. 87). 2.2.1. Kommunikative Wirklichkeit – Paul Watzlawick Eine Schlüsselfigur innerhalb der Entwicklung des Konstruktivismus ist zweifellos Paul Watzlawick. Im Mental Research Institute in Palo Alto entwickelte Watzlawick in Zusammenarbeit mit anderen Ver-­‐
!
13!
treterinnen und Vertreter diverser Fachgebiete seine Thesen zur menschlichen Kommunikation. Er wurde dabei wesentlich von den Arbeiten von Gregory Bateson, dessen Frau Margaret Mead aber auch von den therapeutischen Methoden Milton Ericksons beeinflusst. Watzlawicks Hauptaugen-­‐
merk lag einerseits auf der Ergründung der Spielregeln der Kommunikation sowie auf den Wirklich-­‐
keitskonstruktionen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Kommunikation (Simon, 2011b, 226-­‐229). Watzlawick ist der Meinung, dass die so genannte Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation ist. In dem von Simon (2011b) verfassten Artikel zu Watzlawicks Werk „Wie wirklich ist die Wirklich-­‐
keit“ aus dem Jahre 1976 werden die Prozesse der Konfusion, Desinformation und Kommunikation beleuchtet. Ausgehend von der Annahme, dass jedes Verhalten in der Gegenwart eines anderen Menschen Mit-­‐
teilungscharakter hat und der Mensch nie weiss, wie sein Verhalten vom Gegenüber verstanden wird, besteht ein hohes Risiko, sich nicht zu verstehen. Durch das Medium Sprache wird das Risiko für Missverständnisse noch zusätzlich erhöht. Watzlawick untersuchte unter anderem paradoxe Kom-­‐
munikationstypen wie die Double-­‐bind-­‐Hypothese9, welche rückblickend eine grosse Bedeutung für die Entwicklung systemtheoretischer Modelle hat. Unter Desinformation versteht Watzlawick den Prozess der Suche nach Erklärungen in nicht durch-­‐
schaubaren Situationen. Das heisst, Menschen erfinden eine Ordnung in Situationen der Desinforma-­‐
tion. Diese Erklärungen sind jedoch nicht zwingend objektiv gegebene Sachverhalte, sondern Ent-­‐
scheidungen, um die eigene Wahrnehmung zu ordnen und Zusammenhänge wieder herzustellen. Ein zentrales Element dieser Herstellung von Ordnung ist die so genannte Interpunktion10: Die zeitliche Abfolge eines Ereignisses wird in diskontinuierliche Ereignisse unterteilt, um Vorher-­‐Nachher-­‐
Unterscheidungen zu machen. Auf Grund dessen, dass diese Unterteilungen jedoch nicht objektiv vorgegeben sind, entsteht eine gewisse Willkür der Ursache-­‐Wirkungs-­‐Kette (Simon, 2011b, S. 232-­‐
233). Watzlawick (2011) bezieht sich beim Begriff der Interpunktion auf Arbeiten von Bateson, Don D. Jackson und Benjamin Lee Whorf. Seine Aussagen zu Ursache-­‐Wirkungs-­‐Zusammenhängen in Form der Interpunktion stellen ein weiteres Axiom in der Kommunikationstheorie nach Watzlawick dar (S. 65). Kommunikation funktioniert laut Watzlawick nur dann, wenn der Mensch damit umgehen kann, dass er nie sicher sein kann, welche Interpunktion sein Gegenüber vornimmt. Es muss stets auf die Wirk-­‐
lichkeit der anderen Person Bezug genommen werden. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
9
Double Bind meint eine paradoxe Aussage oder Aufforderung innerhalb einer engen Beziehung. Paradox meint, dass die Aussage zwei unvereinbare Signale enthält wie beispielsweise „ich liebe dich, das weisst du doch“ mit zusammengekniffenen Lippen zu sagen (von Schlippe & Schweitzer, 2007, S. 21). 10
Ein von Watzlawick (2011) genanntes Beispiel zur Interpunktion ist der Ehemann, der sich auf Grund des Nörgelns seiner Frau zurückzieht und die Ehefrau, die auf Grund des Rückzuges ihres Mannes nörgelt (S. 67). !
14!
Abschliessend beschäftigt sich Watzlawick mit der Frage, unter welchen Umständen Kommunikation überhaupt möglich wird. Ausgehend davon, dass jede Person auch anders handeln kann11, ist Kom-­‐
munikation nur dann möglich, wenn ein gemeinsamer Code ausgehandelt wird. Wie Simon (2011b) passend zusammenfasst: „Jeder Einzelne behält die Verantwortung für seine Sicht der Welt und sein Handeln, und er muss mit seinen Mitmenschen aushandeln (im wörtlichen Sinne), in welcher Welt er leben will“ (S. 236). 2.2.2. Viabilität – Ernst von Glasersfeld Im Buch „Die Sprache der Systemtheorie“ erläutern Simon et al. (2004) den Begriff der Viabilität wie folgt: Viabilität bezieht sich auf Wirklichkeitskonstruktionen, welche für eine bestimmte Wirklichkeit passen. Dies bedeutet, dank ihrer Konstruktion gelingt das Überleben oder Funktionieren in einem bestimmten Umfeld (S. 347). Der Begriff des Passens ist auf von Glasersfeld (1994) zurück zu führen. Von Glasersfeld erklärt den Unterschied zwischen den Begriffen „stimmen“ (englisch: match) und „passen“ (englisch: fit). Dabei weist er darauf hin, dass der Begriff der Übereinstimmung nicht mit dem Begriff des Passens ver-­‐
wechselt oder gleichgesetzt werden darf. In seiner Argumentation „passt“ etwas, wenn es seinen Zweck erfüllt. Von Glasersfeld veranschaulicht seine Überlegungen mit dem eingängigen Beispiel des Schlüssels: ein Schlüssel passt, sofern mit ihm das Schloss aufgemacht werden kann. Das Passen be-­‐
schreibt somit die Fähigkeit des Schlüssels (S. 18-­‐20). Wenn wir nun einen möglichen Weg kennen, heisst dies letztendlich nur, dass wir innerhalb des ei-­‐
genen Erlebens unter den von uns bestimmten Umständen einen Weg gewählt haben, welcher das geleistet hat, was wir von ihm erwartet haben (S. 20-­‐24). „Der Konstruktivismus gibt die Forderung auf, Erkenntnis sei „wahr“, insofern sie die objektive Wirk-­‐
lichkeit abbilde. Statt dessen wird lediglich verlangt, dass Wissen viabel sein muss, insofern es in die Erfahrungswelt des Wissenden passen soll (von Glasersfeld, 1992, S. 30 zit. in Christoph Reinfandt, 2011, S. 296). 2.2.3. Soziale Systeme – Niklas Luhmann Die in der Literatur beschriebenen Ausführungen zum „operativen Konstruktivismus“ basieren auf den Überlegungen des Soziologen Niklas Luhmann. Verfolgt man die Ideen Luhmanns (1984) so muss man sich darauf einlassen, dass mit seinen Ansichten und Erklärungen ein Paradigmenwechsel inner-­‐
halb der allgemeinen Systemtheorien einhergeht (zit. in Kleve, 2009, S. 70). Die folgenden Ausfüh-­‐
rungen geben eine knappe Einführung in die Systemtheorie Luhmanns, genauere Erläuterungen fin-­‐
den sich im Anhang wieder. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
11
Bei Luhmann findet sich dieser Gedanke als „doppelte Kontingenz“ wieder (Simon, 2011a, S. 95). !
15!
Die moderne Gesellschaft stützt sich auf ein humanistisches Menschenbild. Im Humanismus wird der Mensch als ganzes Wesen betrachtet. Ihm liegt das Streben nach der Verbesserung des Daseins des Menschen zugrunde, er ist aktiver Gestalter seiner Existenz. Dem im folgenden Kapitel dargestellte lösungsorientierte Ansatz liegt ein humanistisches Menschenbild zugrunde (Bamberger, 2010, S. 47-­‐
48). Luhmann (2008) hingegen spricht nicht mehr vom Menschen: „Für eine auf den Menschen verwei-­‐
sende Forderungssemantik gibt es daher kaum noch Ansatzpunkte in der Realität“ (S. 8). Luhmann vertritt laut Margot Berghaus (2011) keinen klassisch humanistischen Erklärungsansatz. Er ist deswegen jedoch nicht inhuman oder menschenfeindlich. Luhmann verabschiedet sich einzig vom Menschen als „Analyseeinheit“. Seiner Ansicht nach sind alleinig soziale Systeme in der Lage zu kommunizieren (S. 32-­‐34). Die Theorie Luhmanns ist eine abstrakte Beschreibung der Gesellschaft. Luhmanns Ziel war nicht die Verbesserung der Gesellschaft, sondern die Verbesserung der soziologischen Beschreibung der Ge-­‐
sellschaft (Reinfandt, 2011, S. 287-­‐289). In den folgenden Zeilen soll eine kurze Zusammenfassung seiner Ideen wiedergegeben werden. Luhmann verzichtet zu Gunsten dreier strukturell gekoppelter Systeme auf das humanistische Bild des Menschen als ganzes Wesen. Dieser Zugang scheint von der praktischen Arbeit zu weit entfernt zu sein. Luhmann (2008) kritisiert, dass soziologische Konzepte das soziale Handeln dem Menschen zuschrei-­‐
ben würden, ohne genau zu klären, was genau handelt, wenn ein Mensch handelt. Seine Antwort ist ein komplexes Theoriemodell dreier aufeinander bezogener und voneinander abhängiger, operie-­‐
render Systeme: Körper, Psyche und soziale Systeme (S. 8-­‐11). Luhmanns Ausführungen sind kon-­‐
struktivistisch und gleichzeitig systemtheoretisch. Er ist der Meinung, dass die Welt nur durch Beob-­‐
achtungen und Unterscheidungen erkannt werden kann. Diese werden jedoch durch die beobach-­‐
tende Person selbst konstruiert. Gleichzeitig ist Luhmann jedoch der Ansicht, dass Systeme in der Realität existieren (Berghaus, 2011, S. 30). Die Systemtheorie nach Luhmann bezieht sich einerseits auf die Arbeiten von Bateson und dessen These „Unterschied, der einen Unterschied ausmacht“, andererseits auf die Kybernetik 2. Ordnung nach von Foerster (Lutterer, 2002, S. 1). Luhmanns Systemtheorie benutzt nicht mehr die traditionelle Unterscheidung von „Subjekt“ und „Objekt“, sondern führt die Unterscheidung „System“ und „Umwelt“ ein. Somit wird nicht das beo-­‐
bachtende Subjekt betrachtet, sondern stets das System in Differenz zu seiner Umwelt (Reinfandt, 2011, S. 290). !
16!
2.3. Kommunikation und Sprache Bei Paul Watzlawick, Janet H. Beavin und Don D. Jackson (2011) wird Kommunikation mit Handeln und Verhalten gleichgesetzt (S. 58). Sie definieren eine einzelne Kommunikation als Mitteilung, den wechselseitigen Ablauf von Mitteilungen zwischen Personen als Interaktion. „Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben alle Mitteilungscharakter. Sie beeinflus-­‐
sen andere, und diese anderen können ihrerseits nicht nicht auf diese Kommunikation reagieren und kommunizieren damit selbst“ (Watzlawick et al, 2011, S. 59). Dieses Zitat weist auf das erste von fünf Axiomen hin, welches Watzlawick et al (2011) dokumentiert haben: „Man kann nicht nicht kommuni-­‐
zieren“ (S. 60). Nach Luhmann reicht dieses Verständnis von Kommunikation nicht aus. Er hinterfragt das klassische „Sender-­‐Empfänger-­‐Modell“12, wie dieses von Watzlawick beschrieben wird. Seiner Ansicht nach ist Kommunikation ein dreistufiger selektiver Prozess von Information, Mitteilung und Verstehen (Lam-­‐
bers, 2010, S. 83-­‐85). Neu an diesem Verständnis ist nach Berghaus (2011) die Rolle des Empfängers: „Nicht die Mitteilungsabsicht eines Senders, sondern die Interpretation als Mitteilung durch einen Empfänger entscheidet darüber, ob Kommunikation vorliegt oder nicht“ (S. 89). So kann nach Luhmann nur sozial verknüpftes Verhalten als Kommunikation definiert werden, sprich Verhalten, welches zur Ausdifferenzierung von Information, Mitteilung und Verständnis führt (Kleve, 2009, S. 73). Ein Mittel der Kommunikation ist die Sprache. Konstruktivistisch gesehen entsteht Wirklichkeit im Dialog. Von Schlippe und Schweitzer (2007) halten fest, dass ein langer Prozess von Sozialisation und Versprachlichung dem vorausgeht, was wir als wirklich anzusehen gelernt haben (S. 89). Kenneth J. Gergen und Mary Gergen (2009) sind der Ansicht, dass Worte nie Abbildungen der Welt sind. Sie dienen hingegen dazu, Beziehungen gestalten zu können und sind somit zweckdienliche Handlungen. Worte haben je nach Lebensform andere Bedeutungen. Gerade diese Lebensformen bilden zugleich auch die Grenzen der individuellen Welt. Denn lebt eine Person innerhalb traditionel-­‐
ler Vorstellungen, sind so genannte fremde Wertevorstellungen für sie irrelevant oder werden un-­‐
terdrückt. Jede Tradition trägt ihre eigenen Werte mit sich, alle Schilderungen von Fakten unterstüt-­‐
zen folglich eine bestimmte Wertetradition. In diesem Sinne gibt es keine wertfreien Beschreibungen (S. 15-­‐23). Die bekannte Sapir-­‐Whorf-­‐These von Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf nimmt den Zusammen-­‐
hang zwischen Sprache und Denken in den Fokus. Sie besagt, dass der Mensch einzig in der Lage ist das zu denken, was er zu sprechen vermag. Radikal gesehen würde dies bedeuten, dass der Mensch !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
12
Siehe dazu die Ausführungen in Lambers (2010) zum Kommunikationsmodell nach Watzlawick (Kommunika-­‐
tion hat stets einen Beziehungs-­‐ und einen Inhaltsaspekt) sowie zum Vier-­‐Ohren-­‐Prinzip nach Schulz von Thun (Jede Nachricht hat vier Seiten: Sachinhalt, Appell, Selbstoffenbarung und Beziehung) (S. 80-­‐83). !
17!
durch Sprache geformt wird und sich beispielsweise anderssprachige Menschen nicht verstehen können. Versteht man jedoch diese These weit weniger radikal, erhält Sprache einen organisieren-­‐
den und ordnenden Charakter (Sibylle Moser, 2011, S. 108-­‐112). Auch von Glasersfeld (1997) bedien-­‐
te sich der Sapir-­‐Whorf-­‐These und erweiterte diese mit den entwicklungspsychologischen Aussagen Jean Piagets13. Seiner Ansicht nach halten die wechselseitige Aktualisierung sowie die Korrektur von Begriffskonzepten ein Leben lang an (zit. in Moser, 2011, S. 115). Von Glasersfeld (1997) hält fest: „Wie lange wir auch eine Sprache gesprochen haben, wir kommen immer wieder in Situationen, in denen uns klar wird, dass wir ein Wort bisher stets auf eine Weise gebraucht haben, die in bestimm-­‐
ter Hinsicht idiosynkratisch war“ (zit. in Moser, 2011, S. 115). Wie Bamberger (2010) zusammenfasst, ist Sprache stets in einen Kontext eingebunden. Durch den Gebrauch der Sprache entsteht die Bedeutung der Wörter und der Sprache im Kontext der Kommu-­‐
nikation. Für eine gelingende Kommunikation ist es unabdingbar, eine gemeinsame Schnittmenge an Bedeutungen zu finden, um eine Reduktion möglicher Missverständnisse zu erreichen (S. 318-­‐320). Ludwig Wittgenstein14 (1984) hält fest: „Jeder Satz ist ein Modell der Wirklichkeit – so wie wir sie uns denken“ (zit. in Bamberger, 2010, S. 320). Von Schlippe und Schweitzer (2007) erläutern, dass diese Sichtweise bei einzelnen Vertreterinnen und Vertretern der systemischen Therapie die Frage aufwarf, ob die Grundlagen des systemischen Denkens wie die Kybernetik durch linguistische Forschungen und Betrachtungen abgelöst werden sollten (S. 94-­‐95). 2.4. Zusammenfassung Das systemische Denken setzt sich aus systemtheoretischen Kenntnissen und konstruktivistischen Ansichten zusammen. Konzepte der Kybernetik, Zirkularität, Synergetik und Autopoiese gehören der Systemtheorie an. Sie zeigen auf, dass Elemente eines Systems sich stets gegenseitig beeinflussen. Die Beobachtung dieser Wechselwirkung muss unter der Berücksichtigung der eigenen Wahrneh-­‐
mung passieren, da im Sinne der Kybernetik 2. Ordnung die Beobachterin/der Beobachter entschei-­‐
dend an der Beobachtung beteiligt ist. Die kontinuierlichen Rückkoppelungsprozesse zwischen zwei interagierenden Elementen lassen die Berechnung von Ursachen-­‐Wirkungs-­‐Zusammenhängen bei-­‐
nahe unmöglich machen. Entsprechend können kleine Ursachen grosse Wirkungen haben. Menschen !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
13
Jean Piaget und Bärbel Inhelder (2000) befassten sich mit der kognitiven Entwicklung des Menschen. Piaget teilte die kindliche Entwicklung in so genannte Entwicklungsstadien ein und führte die Begriffe „Assimilati-­‐
on“ und „Akkomodation“ ein. Unter Assimilation verstand Piaget das Hinzufügen neuer Sinnessignale zu bereits bekannten, vorhandenen Strukturen (Schemas) (S.16-­‐17). Der Vorgang der Akkomodation beinhaltet das An-­‐
passen eigener Strukturen (Schemas) an die Aussenwelt als Reaktion auf einen Misserfolg. Es werden diejeni-­‐
gen Änderungen beibehalten, die in der gewünschten Weise funktionieren (von Glasersfeld, 2011, S. 92-­‐ 97). 14
Der Philosoph Ludwig Wittgenstein führte das so genannte „Sprachspiel“ ein. Er zeigte auf, wie Worte stets in einen Kontext eingebunden sind und von Kultur zu Kultur anders sein können (Gergen & Gergen, 2009, S. 17). !
18!
sind im systemtheoretischen Verständnis keine trivialen, keine berechenbaren Maschinen. Im Sinne der Autopoiese ist der Einfluss nur durch Irritation und Störungen möglich, eine direkte Steuerung ist auszuschliessen. Der Konstruktivismus bildet das zweite Standbein des systemischen Denkens. Er stellt die Frage nach der Wirklichkeit ins Zentrum. Konstruktivismus meint, dass jede Wahrnehmung stets individuell ge-­‐
prägt ist und im Sinne der systemischen Konzepte davon ausgegangen werden kann, dass keine ob-­‐
jektive Wahrheit besteht. Nach Watzlawick spielt die menschliche Kommunikation eine entscheiden-­‐
de Rolle bei der Herstellung von Wirklichkeit. Der Konstruktivismus kann in zwei Hauptströmungen unterteilt werden: der radikalen Sichtweise nach von Glasersfeld und dem operationalen Verständnis nach Luhmann. Letzterer spricht nicht mehr vom Menschen in einem humanistischen Sinne, sondern von drei sich aufeinander beziehender Systeme: biologische, psychische und soziale Systeme. Die Sprache ist konstruktivistisch betrachtet Mittel zur Herstellung von Wirklichkeit. Durch Kommu-­‐
nikation wird Bedeutung erschaffen. In diesem Sinne ist die Beschreibung einer Landschaft nie die Landschaft selber. Kontextuelle Faktoren spielen dabei eine entscheidende Rolle wie etwas wahrge-­‐
nommen wird. Kommunikation und Sprache sind somit Abbild einer möglichen Wirklichkeit, nicht aber der Wirklichkeit und sind durch ihren handelnden Charakter an der Konstruktion von Wirklich-­‐
keit aktiv beteiligt. !
19!
3. Lösungsorientierte Beratung Wie bereits einleitend festgehalten wird im Kontext dieser Arbeit von lösungsorientierter Beratung gesprochen. Die Ursprünge der lösungsorientierten Beratung finden sich wie nachfolgend beschrie-­‐
ben in der lösungsorientierten Kurzzeittherapie. 3.1. Entstehungsgeschichte Die lösungsorientierte Kurzzeittherapie wurde um 1970 von Steve de Shazer, seiner Frau Insoo Kim Berg sowie anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Brief Family Therapy Center (BFTC) in Milwaukee (USA) erarbeitet (von Schlippe & Schweitzer, 2007, S. 35). Die lösungsorientierte Kurzzeittherapie reiht sich in die systemische Therapie ein. Die systemische Therapie hat ihre Anfänge in den fünfziger Jahren, mit der Entstehung der Familientherapie. Bekann-­‐
te Vertreterinnen und Vertreter sind unter anderem Jay Haley, Virginia Satir, Gregory Bateson und Salvadore Minuchin. Sie legten den Fokus nicht mehr auf das zu therapierende Objekt, sondern auf die Wechselwirkungen der interagierenden Objekte – zunächst des Systems Familie. Später wurde der Begriff „Familientherapie“ aufgebrochen und von systemischer Therapie gesprochen, da sich Menschen in verschiedenen Systemen bewegen und somit nicht nur das System Familie in der The-­‐
rapie zu berücksichtigen ist (Bamberger, 2010, S. 11 -­‐14). Die Kurzzeittherapie entstand Ende 1960 basierend auf Ideen Milton Ericksons, einem amerikani-­‐
schen Psychiater und Psychotherapeut. Erickson war ein Vertreter der Hypnotherapie, streute in seine Arbeit jedoch Ideen ein, welche die Kurzzeittherapie vertieft weiterentwickelte: einerseits wer-­‐
den in der Kurzzeittherapie möglichst rasch die vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen fokus-­‐
siert, das Problem wird nur wenig erkundet. Anderseits werden in der Kurzzeittherapie einzig Anre-­‐
gungen für Veränderungsprozesse gegeben, da davon ausgegangen wird, dass sich relevante Verän-­‐
derungsprozesse im Alltag der betroffenen Person(en) abspielen. Veränderungen sind somit in kurzer Zeit möglich und bedürfen nicht zwingend einer jahrelangen therapeutischen Begleitung. Entspre-­‐
chend kann auch der Name „Kurzzeit“-­‐ Therapie erklärt werden. Ausschlaggebend für die Weiterentwicklung der Kurzzeittherapie waren die Arbeiten am Brief Thera-­‐
pie Center in Palo Alto, einer Abteilung des Mental Reserach Institute, wo unter anderem John Weakland, Richard Fisch, Paul Watzlawick und Arthur M. Bodin diese neue therapeutische Arbeits-­‐
weise vertieften. Ebenso gelten die Arbeiten am Centro per lo Studio della Famiglia in Mailand als entscheidender Beitrag zur Entwicklung der Kurzzeittherapie. In Mailand entwickelten unter ande-­‐
rem Mara Selvini Palazzoli, Luigi Boscolo, Gianfranco Cecchin und Guiliana Prata ihre Ideen. Als dritte Entwicklungsstätte der Kurzzeittherapie gelten die Arbeiten am Brief Family Therapy Center in Mil-­‐
waukee, deren berühmtester Vertreter Steve de Shazer ist. Mit ihm arbeiteten unter anderem seine Frau Insoo Kim Berg und John Walter. Das so genannte Milwaukee-­‐Axiom bezeichnet die Grundüber-­‐
!
20!
zeugung des lösungsorientierten Ansatzes und besagt, dass man sich von Beginn an auf die Lösung konzentrieren soll, nicht auf das Problem (Bamberger, 2010, S. 23-­‐34). 3.2. Lösungskonstruktionen Nach de Shazer (2010) ist das Verhältnis zwischen Problem und Lösung ausschlaggebend: Menschen haben oft Schwierigkeiten, den Versuch, ein Problem zu lösen, aufzugeben, weil sie (wir) „im Innersten“ an dem Glauben festhalten, dass eine Erklärung sowohl möglich als auch unerlässlich ist, um ein Problem wirklich zu lösen. Lösungen zu Problemen werden oft übersehen, weil sie wie blosse Vorspiele aussehen; wir suchen letztendlich nach Erklärungen, in dem Glauben, dass eine Lösung ohne Erklärung irrational ist, und erkennen nicht, dass die Lösung selbst ihre beste Erklärung ist (S. 28). In der lösungsorientierten Beratung wird somit dem Problem wenig Zeit beigemessen, sondern gleich auf die Lösung fokussiert. Es wird davon ausgegangen, dass es nicht ausschlaggebend ist, das Pro-­‐
blem ausgiebig zu erforschen und die Ursachen zu analysieren, da sich Lösungen nicht zwingend auf Ursachen des Problem beziehen müssen (de Shazer, 2010, S. 69, 74-­‐76). Wie de Shazer (2010) beschreibt, liegt der Fokus in der Zukunft. Ein Beispiel für die Methodik der lösungsorientierten Beratung ist die von ihm entwickelte Wunderfrage15, welche auf die detaillierte Beschreibung der Zukunft abzielt, in der Annahme, dass diese geweckten Erwartungen, das Denken und Verhalten entsprechend verändern. Gleichzeitig impliziert diese Vorgehensweise, dass die lö-­‐
sungsorientierte Beratung davon ausgeht, jeder Mensch verfüge über die nötigen Ressourcen (S. 67-­‐
68). Jürgen Hargens (2008) ist der Meinung, dass es nicht darum gehe, Probleme wegzudefinieren, son-­‐
dern darum, Ressourcen und Kompetenzen16 jeder einzelnen Person auch innerhalb einer schwieri-­‐
gen Situation zu erforschen. Hargens spricht in diesem Zusammenhang vom Begriff der „Kundigkeit“, jeder Mensch ist kundig und somit qualifiziert und versiert, Lösungen für seine Probleme zu entwic-­‐
keln (S. 149-­‐151). Als Resultat dieser ressourcenorientierten Haltung in der lösungsorientierten Beratung ergibt sich ein Beratungssystem, in dem das Wissen der beratenden und der ratsuchenden Person gemeinsam wirk-­‐
sam ist (Bamberger, 2010, S. 48). In Anlehnung an das in Kapitel 2.3 beschriebene Axiom „Man kann !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
15
„Angenommen, es würde eines Nachts, während Sie schlafen, ein Wunder geschehen und Ihr Problem wäre gelöst. Wie würden Sie das merken? Was wäre anders? Wie wird Ihr Ehemann davon erfahren, ohne dass Sie ein Wort darüber zu ihm sagen?“ (de Shazer, 2010, S. 24) 16
Kompetenz wird hier als die Fähigkeit verstanden, Ressourcen in Situationen einzusetzen, um die Situation entsprechend kompetent zu meistern (Anmerkung der Autorin). !
21!
nicht nicht kommunizieren“ geht die Lösungsorientierung davon aus, dass man nicht nicht kooperie-­‐
ren kann (Hargens, 2008, S. 73). Kooperieren ist unvermeidlich17, denn die beratende Person ist im Kontext einer lösungsorientierten Beratung nicht die Expertin für die Probleme der ratsuchenden Person. Insofern definiert die ratsuchende Person stets, wie für sie das Gespräch von Nutzen ist (Walter & Peller, 2004, S. 235-­‐236). John L. Walter und Jane E. Peller (2004) geben auf die Frage „Wie konstruieren wir Lösungen“ fol-­‐
gende kurze Antworten: 
Finde heraus, was die Klientin/der Klient will (nicht, was er/sie nicht will), 
Suche nach Funktionierendem und mache mehr davon und 
Mache etwas Anderes, wenn das bereits Getane nicht funktioniert (S. 22-­‐23). 3.3. Grundannahmen Die Grundannahmen in der Lösungsorientierung wurden von verschiedenen Autoren beschrieben. In den nächsten Zeilen werden die für die weiteren Ausführungen relevanten Annahmen nach Walter und Peller (2004) zusammengefasst. Auf eine vollständige Beschreibung wird an dieser Stelle verzich-­‐
tet. Die Grundannahmen „Menschen haben Ressourcen“ und „Kooperieren ist unvermeidlich“ wurden thematisch bereits im vorangehenden Kapitel erarbeitet. Die Annahme „Ausnahmen verweisen auf Lösungen“ wird in Kapitel 3.5.2 aufgegriffen. Positiver Fokus Indem der Blick auf das Positive gerichtet wird, wird die Veränderung zu Gunsten der Lösung erleich-­‐
tert. Ein problemorientiertes Sprechen ist somit für den Lösungsprozess hinderlich. Nichts ist immer dasselbe Diese Grundannahme impliziert, dass Veränderung immer auftritt. Im Gegensatz zu anderen systemi-­‐
schen Theorien, welche in Anlehnung an die Selbststeuerungskonzepte18 Erklärungen entwickelten, wie Veränderung passieren kann, geht die Lösungsorientierung grundsätzlich davon aus, dass Verän-­‐
derung ohnehin immer passiert. Sprachlich wirkt sich dies auch auf die Verwendung von Verben aus: so begünstigen Verben wie „werden, scheinen, handeln und zeigen“ diese Auffassung im Gegensatz zum Verb „sein“. Es ist bedeutend, ob eine Person als „sie ist depressiv“ oder aber als „sie handelt depressiv“ beschrieben wird. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
17
„Kooperieren ist unvermeidlich“ ist eine von zwölf Grundannahmen nach Walter und Peller (2004, S. 38-­‐41). Vergleiche dazu die Ausführungen in Kapitel 2.1.3 zur Synergetik 18
!
22!
Bedeutung und Erfahrung sind interaktional konstruiert Bedeutung und Erfahrung sind nicht, sondern werden hergestellt. Diese Grundannahme bringt die konstruktivistische Denkweise der Lösungsorientierung zum Ausdruck. Die Überlegungen in Kapitel 2.2 bilden die theoretische Grundlage dieser Annahme. Die Klientin/der Klient ist Expertin/Experte Die Lösungsorientierung legt den Schwerpunkt darauf, Klientinnen und Klienten darin zu helfen und zu begleiten, dass sie selbst möglichst genaue Ziele definieren und beschreiben19. Sie sind die Exper-­‐
tinnen und Experten für das, was sie verändern wollen (Walter & Peller, 2004, S. 27-­‐53). 3.4. Interaktionsmuster Wie de Shazer (2010) erklärt, ist die Betrachtung des Beziehungsmusters zwischen der beratenden Person und der ratsuchenden Person äusserst hilfreich. Dazu entwickelte er drei unterschiedliche Beziehungsmuster, deren Eigenschaften jedoch nicht mit den Eigenschaften der Person gleichzuset-­‐
zen sind. De Shazer spricht von Besucherinnen/Besuchern, Klagenden und Kundinnen/Kunden, wel-­‐
che nachfolgend kurz skizziert werden (S. 102-­‐104). 3.4.1. Besucherin/Besucher So genannte Besucherinnen und Besucher sind Menschen, die eigentlich kein Problem zu haben glauben, sondern in die Therapie, respektive Beratung geschickt oder mitgenommen werden. Der auf sie ausgeübte Druck kann explizit formuliert worden sein (beispielsweise in Form einer Bewährungs-­‐
auflage) oder implizit im Raum stehen (zum Beispiel als Drohung des Beziehungsabbruchs innerhalb einer Partnerschaft). Besucherinnen und Besucher sind unfreiwillige KlientInnen, die Arbeit an eige-­‐
nen Zielen ist unwahrscheinlich. Entsprechend muss dieses Muster im Gespräch berücksichtigt wer-­‐
den. Es empfiehlt sich, sich als beratende Person auf die Seite des Gegenübers zu stellen und ge-­‐
meinsam mit der Besucherin oder dem Besucher zu erörtern, was gut funktioniert und nicht, was nicht funktioniert. Zentral in der Zusammenarbeit mit Besucherinnen und Besucher scheint die Frage zu sein, wie diese unfreiwillige Situation beendet werden kann. Fragen, wie beispielsweise das Los-­‐
werden der druckerzeugenden Person (beispielsweise der Bewährungshelfer/die Bewährungshelfe-­‐
rin) gelingen könnte, können einen gemeinsamen Zugang darstellen (Bamberger, 2010, S. 72-­‐73; de Shazer, 2010, S. 104-­‐105). Marie-­‐Luise Conen und Gianfranco Cecchin (2011) setzen sich in ihrem Buch „Wie kann ich Ihnen helfen, mich wieder loszuwerden“ intensiv mit der Arbeit im Zwangskontext und mit unfreiwilligen !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
19
Für die Arbeit an Zielen haben Peter de Jong und Insoo Kim Berg (2008) die Kriterien der „wohlformulierten Ziele“ erarbeitet (S. 132-­‐141) und bei Bamberger (2010) findet man die Kriterien des Modells „SMART“ (S. 92). !
23!
KlientInnen auseinander. Sie stellen das Verhältnis besuchender Personen im Bild des Dreiecks dar. Das Dreieck bildet sich aus der auftraggebenden Stelle 1 (beispielsweise einer Organisation mit der Funktion sozialer Kontrolle), der auftraggebenden Stelle 2 (dem Klienten oder der Klientin) und der beratenden Person (professioneller Helfer/professionelle Helferin). In diesem Dreieck werden die Beziehungsmuster und die gegenseitigen Erwartungen und Verpflichtungen aufgezeigt (S. 82). 3.4.2. Klagende Das Beziehungsmuster „Klagende“ bezieht sich auf Gespräche, in denen sich ratsuchende Menschen ausschliesslich auf das Klagen und sich Beschweren konzentrieren. Die Haltung der klagenden Person ist von Ohnmacht geprägt, ihrer Ansicht nach trifft sie selber keine Schuld. Aus der Sicht des klagen-­‐
den Menschen wäre alles wieder in Ordnung, wenn sich die anderen, also die Verursachenden des Problems, ändern würden. Auch dieses Interaktionsmuster muss in der Beratung berücksichtigt wer-­‐
den, da die ratsuchende Person sich dabei nicht in einem Zustand der aktiven Mithilfe und Beteili-­‐
gung befindet. Das Problem scheint ausserhalb des eigenen Kontrollbereichs zu liegen (Bamberger, 2010, S. 73-­‐74; de Shazer, 2010, S. 105-­‐106). 3.4.3. Kundin/Kunde Kundinnen und Kunden sind Personen, die ein Problem definieren können und etwas dagegen unter-­‐
nehmen möchten. Sie agieren somit eigenverantwortlich und zielorientiert. Mit Kundinnen und Kun-­‐
den kann an der Entwicklung der Lösung gearbeitet werden, Ziele können formuliert und angegan-­‐
gen werden (Bamberger, 2010, S. 75; de Shazer, 2010, S. 106). Bamberger (2010) hält zusammenfassend fest, dass das Einordnen in solche Kategorien vorsichtig vorgenommen werden muss, da voreilige Zuschreibungen passieren können und selbsterfüllende Verhaltensmuster produziert werden (S. 76). De Shazer (2010) hält fest, dass Muster von Besuchen-­‐
den, Klagenden und KundInnen sich stets abwechseln und innerhalb eines Gesprächs mehrere Inter-­‐
aktionsformen beobachtet werden können (S. 106). Die Haltung in der lösungsorientierten Beratung wurde durch die Betrachtung der Problem-­‐Lösungs-­‐
Zusammenhänge, die Erörterung der Grundannahmen und die Überlegungen zu den unterschiedli-­‐
chen Interaktionsmustern konkretisiert. Im nächsten Kapitel werden nun ausgewählte Vorgehens-­‐
weisen und Instrumente der lösungsorientierten Beratung vorgestellt. !
24!
3.5. Ausgewählte Methoden Die Methoden und Vorgehensweisen sind nach der Thematik der Arbeit ausgewählt. Die insbesonde-­‐
re für die Kommunikation und Interaktion relevanten Aspekte werden in den folgenden Abschnitten vorgestellt. 3.5.1. Rapport In Anlehnung an den von Glasersfeld entwickelten Begriff der Viabilität20 spricht de Shazer (2010) davon, dass das Passen entwickelt werden muss. Das Passen bezieht sich auf die Beziehung zwischen der ratsuchenden und der beratenden Person. De Shazer betont, dass die Beschreibung des Passens weit einfacher ist, als die Beschreibung der Herstellung des Passens. Er erwähnt in diesem Zusam-­‐
menhang zwei Merkmale für das Herstellen einer guten Passung: der ratsuchenden Person wird si-­‐
gnalisiert, dass sie alle Fähigkeiten besitzt, um das Problem zu lösen. Durch das Arbeiten in Form von Ausnahmen21, kann der ratsuchenden Person aufgezeigt werden, was sie alles richtig macht. Diese positive Verbindung ist nach de Shazer der Schlüssel zu einer guten Passung (S. 107-­‐109). Wie Bam-­‐
berger (2010) beschreibt, ist die Wertschätzung ein zentraler Aspekt zur Gestaltung einer positiven Beziehung. De Shazer arbeitete stets mit dem Fokus auf das Positive, die Arbeit mit Komplimenten war ein wesentlicher Bestandteil seiner Arbeitsweise (S. 170). Bamberger (2010) benutzt für die Gestaltung einer guten Arbeitsbeziehung den Begriff „Rapport“. Zur Herstellung eines förderlichen Rapports hat jede Therapierichtung ihren eigenen Schwerpunkt. So betont Carl Rogers22 den Einsatz von Empathie, das Mailänder Team spricht sich für eine thera-­‐
peutische Neutralität aus, Milton Erickson entwickelte die so genannte „Ja-­‐Haltung“, in der systemi-­‐
schen Therapie legen Jochen Schweitzer und Gunthard Weber den Fokus auf die Achtung und den Respekt und Vertreterinnen/Vertreter des neurolinguistischen Programmierens prägen den Begriff des „pacing“ und „leading“ (S. 167-­‐169). Laut Bamberger (2010) legt die Lösungsorientierung den Schwerpunkt auf drei Aspekte: Wertschät-­‐
zung, gemeinsame Sprache und beraterischer Optimismus. Wie Wertschätzung kommuniziert wird, kann unterschiedlich dargestellt werden. Grundsätzlich wird Wertschätzung dann erlebt, wenn die beratende Person die Bedürfnisse aber auch die damit ver-­‐
bundenen Ressourcen und Kompetenzen der ratsuchenden Person positiv hervorhebt (S. 170-­‐171). In Anlehnung an Klaus Grawe (2004) können folgende vier Grundbedürfnisse beim Menschen be-­‐
schrieben werden: Bindung, Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung, Kontrolle und Orientierung sowie Lustgewinn und Unlustvermeidung (S. 183). !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
20
S. Kapitel 2.2.2 Eine Ausnahmefrage könnte beispielsweise wie folgt gestellt werden: „Wann ist das Problem im letzten Mo-­‐
nat nicht aufgetreten? Was haben Sie damals anders gemacht?“ 22
Vertreter des Klientenzentrierten Ansatzes 21
!
25!
Wie beim neurolinguistischen Programmieren erhält auch bei der Lösungsorientierung die gemein-­‐
same Sprache einen hohen Stellenwert. Die Ausführungen in Kapitel 2.3 machen deutlich, dass Be-­‐
deutung konstruiert ist und entsprechend Kommunikation auf der Basis eines gemeinsamen Codes passieren muss. In der lösungsorientierten Beratung wird davon ausgegangen, dass die beratende Person sich auf den Sprachcode des Gegenübers einlassen muss, beispielsweise indem sie dessen Schlüsselwörter23 benutzt. Bereits ein Wiederholen des Gesagten24, kann helfen, das Gefühl zu ver-­‐
stärken, tatsächlich verstanden zu werden. Mit beraterischem Optimismus ist die positive Einstellung der Beraterin oder des Beraters gemeint. Insbesondere Erickson prägte diese Haltung massgeblich mit, indem er Veränderung nicht als mög-­‐
lich, sondern als unvermeidlich betrachtete. In der Beratung stellt sich somit die Frage, wann Verän-­‐
derung eintritt, nicht aber, ob sie überhaupt eintritt25. Durch diese Ausführungen könnte der Eindruck entstehen, dass die Ansprüche an die Kompetenz der beratenden Person sehr hoch sind. Schlussendlich ist die Beziehung aus systemisch-­‐
konstruktivistischer Sicht nur bedingt beeinflussbar. Rapport als etwas zu Konstruierendes wird von de Shazer verneint. Seiner Ansicht nach ist Rapport ein natürlicher Zustand, der nicht erzwungen und vor allem nicht gestört werden soll (Bamberger, 2010, S. 176). Hargens (2008) nennt positive Beeinflussung der Beziehung zwischen der beratenden und ratsu-­‐
chenden Person das Joining. Joining beschreibt einen kontinuierlichen Prozess, um möglichst wert-­‐
schätzend am Gegenüber ankoppeln zu können (S. 107). Es werden in den folgenden Abschnitten weitere lösungsorientierte Techniken wie das aktive Zuhö-­‐
ren und das Fragen erörtert. 3.5.2. Aktives Zuhören und Fragen Zuhören ist ein zentraler Bestandteil der lösungsorientierten Beratung. Dabei geht es insbesondere darum, dem Gegenüber zuzuhören, ohne gleich eigene Bezüge herzustellen. Peter de Jong und Insoo Kim Berg (2008) halten fest, wie schwierig es ist, den eigenen Bezugsrahmen auszuklammern. Ihrer Ansicht nach ist es in erster Linie wichtig, hinzuhören, wer und was der Klientin/dem Klienten wichtig ist. Indem auf die bedeutsamen Akteurinnen/Akteure und Ereignisse geachtet wird, fokussiert die beratende Person den Bezugsrahmen des Gegenübers, entzieht sich einer spontanen Bewertung und bildet somit nicht sogleich eine eigene Lösung für das Problem (S. 52-­‐53). Ein weiteres Hauptmerkmal der Lösungsorientierung ist das Fragen. Fragen dienen einerseits der Klärung, andererseits der Steuerung der Aufmerksamkeit. Der Fokus kann durch Fragen auf einen !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
23
Schlüsselwörter sind Worte der Klientin/des Klienten, die häufig vorkommen und versuchen, die Erfahrungen wiederzugeben und sie zu erfassen (de Jong & Berg, 2008, S. 58). 24
Die Aussage, „habe ich Sie richtig verstanden, dass...“ geht von einer konstruktivistischen Sicht aus, im Ge-­‐
gensatz zur Aussage „Sie wissen ja, was ich meine...“ 25
Vergleiche dazu die Grundannahme „Nichts ist immer dasselbe“!
!
26!
bestimmen Sachverhalt gelenkt werden. Fragen sind zudem ideal, um in der Zukunft liegende Bilder und Vorstellungen zu erfragen und somit Perspektiven zu erweitern. Fragen dienen aber auch dazu, die Position des fragenden Menschen darzustellen. So kann beispielsweise durch die Fragestellung bereits die Kundigkeit und das Expertentum eines Klienten/einer Klientin durch die Art und Weise der Frage berücksichtigt werden26 (Bamberger, 2010, S. 58-­‐59). Die wohl wichtigste Frage der Lösungsorientierung ist die so genannte Zielfrage. Es geht darum zu erfragen, was wäre, wenn das Problem nicht mehr existieren würde. Die Frage richtet sich auf das Ziel der ratsuchenden Person, wobei die Arbeit an Zielen eine der Hauptaufgaben der lösungsorien-­‐
tierten Beratung darstellt. Je klarer und spezifischer die Beschreibung des Ziels ist, desto klarer ge-­‐
staltet sich der Lösungsprozess (Bamberger, 2010, S. 91-­‐92). Eine zentrale Frage der Lösungsorientierung ist die Frage nach Ausnahmen27. Nichts geschieht immer, somit weisen Ausnahmen auf Momente hin, in denen das Problem nicht existiert. Beschreibungen über Ausnahmen können zur Lösung hinführen. Auch hier liegt der Fokus auf der Beschreibung des positiven Zustandes, auf der Erkundung dieser Momente (de Shazer, 2010, S. 70-­‐72). Ausnahmen müssen dabei nicht eine Frage von „alles oder nichts“ sein, sondern können auch Zustände beschrei-­‐
ben, in denen das Problem beispielsweise weniger stark oder weniger ausgeprägt vorkommt (de Jong & Berg, 2008, S. 166). Mit Ausnahmen kann schliesslich weitergearbeitet werden, sie können in den Zielprozess eingefloch-­‐
ten werden (Walter & Peller, 2004, S. 126). 3.6. Zusammenfassung Die lösungsorientierte Beratung basiert auf der von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg entwickelten lösungsorientierten Kurzzeittherapie. Das Modell beruht auf einer beinahe ausschliesslichen Lösungs-­‐
fokussierung, der Blick wird konsequent in die Zukunft gerichtet. Problem und Lösung stehen nicht zwingend im Zusammenhang. Die Grundannahmen der Lösungsorientierung bilden die beraterische Haltung ab. Die Annahme, Klientinnen und Klienten sind Expertinnen und Experten, zeigt auf, dass die beratende Person in der lösungsorientierten Beratung eine Position des Nicht-­‐Wissens einnimmt und einzig für die methodische Begleitung der ratsuchenden Person verantwortlich ist. Die lösungs-­‐
orientierte Beratung arbeitet mit dem Beziehungsmodell der Besuchenden, Klagenden und Kundin-­‐
nen/Kunden. Die Methodenwahl ist stets durch eine Haltung der Wertschätzung und Ressourcenfo-­‐
kussierung, respektive –aktivierung geprägt. Das Herstellen eines Rapports, das aktive Zuhören sowie !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
26
Bamberger (2010) hält beispielsweise fest: „Wie sind Sie auf diese kreative Idee gekommen, es so zu probie-­‐
ren?“ (S. 59). 27
„Ausnahmen verweisen auf Lösungen“ ist eine der zwölf Grundannahmen der Lösungsorientierung nach Walter und Peller (2004, S. 29-­‐32).!!
!
27!
das konzentrierte Fragen stellen sind zentrale Elemente der lösungsorientierten Beratung. Abschlie-­‐
ssend in den Worten Bambergers (2010): Vielleicht jedoch sollte man sich bei der Suche nach den Wirksamkeitsfaktoren des lösungs-­‐
orientierten Konzepts weniger auf die sprachspielerischen Beratungstechniken (wie die Su-­‐
che nach Ausnahmen, die Wunderfrage, das Refraiming, usw) konzentrieren als vielmehr auf die implizite Grundhaltung des Beraters, die bestimmt ist durch Respekt und Wertschätzung gegenüber dem Klienten, der als Experte für sein Leben betrachtet wird (S. 322). !
28!
4. Geschlechterkonstruktionen Diskussionen zum Thema Geschlecht sind geprägt von verschiedenen Dynamiken. Sozialwissen-­‐
schaftliche Forschungen finden in historischen und gesellschaftlichen Kontexten statt. Die Entwick-­‐
lung der Geschlechterdebatte hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant verändert. Bevor ge-­‐
schlechtsspezifisches Kommunikationsverhalten und geschlechtertypische Sprachstile genauer be-­‐
trachtet werden, wird zunächst ein Blick auf die Entwicklung der Diskurspositionen innerhalb der Genderdebatte geworfen. 4.1. Gender – ein komplexer Begriff Der Begriff „Gender“ ist komplex und unter anderem von philosophischen, soziologischen, biologi-­‐
schen und geschichtlichen Diskussionen geprägt. Weit bekannt ist die aus dem englischen übertragene Unterscheidung zwischen „gender“ und „sex“. „Gender“ meint das soziale, „sex“ das biologische Geschlecht (Surur Abdul-­‐Hussain, 2012, S. 22-­‐23). Der Begriff „gender“ impliziert gesellschaftlich-­‐kulturelle Vorstellungen, im Gegensatz zum Begriff „sex“, der sich einzig auf physiologische Erscheinungsformen stützt. Wie Heike Schlottau und Klaus Waldmann (2001) beschreiben, wird das biologische Geschlecht je-­‐
doch in der aktuellen Forschung als eine Einheit aus Keimdrüsengeschlecht, Hormongeschlecht, morphologischem Geschlecht und genetischem Geschlecht erfasst. Das männliche und weibliche Geschlecht wird in der Biologie nicht mehr länger als zwei sich ausschliessende Kategorien verstan-­‐
den, sondern als etwas lückenlos Zusammenhängendes (S. 229). Die Unterscheidung zwischen „gender“ und „sex“ hat unter anderem auch zu grosser Kritik an der These der Zweigeschlechtlichkeit geführt. Eine der bekanntesten Verfechterinnen dieser Trennung ist Judith Butler. Sie kritisiert die Zweigeschlechtlichkeit von Mann und Frau und ist der Meinung, dass „sex“ ebenso ein soziales Konstrukt darstellt wie „gender“ (Abdul-­‐Hussain, 2012, S. 24-­‐25). Die Vorstellungen, wie Geschlechterverhältnisse und Geschlecht konstituiert werden, gehen ausein-­‐
ander. In der Literatur finden sich unterschiedliche Diskurse, welche im folgenden Kapitel kurz vorge-­‐
stellt werden. In diesem Zusammenhang wird noch einmal auf die von Judith Butler kritisierte Tren-­‐
nung zwischen „gender“ und „sex“ eingegangen sowie die konstruktivistische Sichtweise der Herstel-­‐
lung von Geschlecht vertieft betrachtet. 4.2. Geschlechterdiskurse In den nächsten Zeilen werden zunächst die Gleichheits-­‐ und Differenztheorie dargestellt, um an-­‐
schliessend konstruktivistische Sichtweisen in Bezug auf das Geschlecht zu erläutern. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein wurde die Geschlechterdebatte von einer defizitären Ansicht geprägt. Män-­‐
ner wurden als das starke Geschlecht angesehen, Frauen den Männern untergeordnet. Bücher wie !
29!
„Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ des Neurologen Paul Möbius wurden als wis-­‐
senschaftliche Quellen angenommen. Erst in den 1970er Jahren entwickelte sich die Gleichheitstheo-­‐
rie, welche kaum zehn Jahre später von der Differenztheorie abgelöst wurde. Die in den 1970er Jahren eingeführte Unterscheidung zwischen „gender“ und „sex“ stellte eine be-­‐
deutende Wende in der Genderdebatte dar. Die zunächst grundlegend verwendeten Begriffe erhiel-­‐
ten in den 1990er Jahren durch die Entwicklung der sozialkonstruktivistischen Theorie des Doing-­‐
Gender eine neue Bedeutung (Elisabeth Gründewald-­‐Huber & Anne von Gunten, 2009, S. 12-­‐13). Die „sex-­‐gender-­‐Unterscheidung“ wurde durch das von Candace West und Don H. Zimmermann entwic-­‐
kelte Doing-­‐Gender-­‐Modell erweitert, die Geschlechtsidentität und –zugehörigkeit als fortlaufender Herstellungsprozess in (all)täglichen Situationen definiert. Die unterschwellige Annahme eines natür-­‐
lichen Unterschieds zwischen Männern und Frauen (sex) und der daraus resultierenden kulturellen Geschlechtsmerkmalen (gender) wird im Doing-­‐Gender-­‐Modell kritisiert (Regine Gildemeister, 2010, S. 137). Betrachtet man die zeitliche Entwicklung der Genderdebatte ausserhalb eines defizitären Blickes, so hat diese in den letzten rund vierzig Jahren eine rasante Entwicklung gemacht. 4.2.1. Die Gleichheitstheorie und die Differenztheorie Als Folge der so genannten Defizittheorie, in welcher der Mann als das höherwertige Geschlecht und als die Norm erachtet wurde, entstand der Gleichheitsdiskurs. Die Gleichheit zwischen den Ge-­‐
schlechtern wurde postuliert, die Differenzen innerhalb der Geschlechterkategorien als grösser er-­‐
achtet, als diejenige zwischen den Geschlechtern. Dabei ging es in erster Linie darum, die Situation der Frauen an diejenige der Männer anzugleichen und weniger eine gemeinsame Mitte anzustreben. Entsprechend wurden politische Forderungen laut, welche gleiche Rechte für alle einforderten wie beispielsweise die heute noch andauernden Fragen zur Lohngleichheit (Grünewald-­‐Huber & von Gunten, 2009, S. 12-­‐13). Kritisiert wird an der Gleichheitstheorie, dass der Mann noch immer das Mass sei und die Frau sich an ihn angleichen müsse. Kritik kommt auch aus der Richtung postmoder-­‐
ner Diskurse28, da die Gleichheitstheorie mit starren Generalisierungen besetzt ist. Dennoch stellt der Diskurs zur Gleichheit der Geschlechter eine erste wichtige Wende dar: die Geschlechterrollen sind veränderbar (Brigitte Schigl, 2012, S. 30). Der Gleichheitsdiskurs wurde in den 1980er Jahren von der Differenztheorie abgelöst. Diese besagt, dass es beträchtliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen gebe, welche biologisch, histo-­‐
risch und durch soziale Prozesse begründet seien. Im Gegensatz zur Defizittheorie werden die Unter-­‐
schiede zwischen den Geschlechtern jedoch als gleichwertig betrachtet (Grünewald-­‐Huber & von Gunten, 2009, S. 13). Der Differenzdiskurs entwickelt eine feministische Ethik, indem weibliche Wer-­‐
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
28
Die in Kapitel 4.1 genannte Judith Butler ist in den postmodernen Diskursen einzuordnen. !
30!
te wie beispielsweise Mutterschaft oder Stillzeit postuliert werden. Er geht von einer symbolischen mütterlichen Ordnung aus: Frauen sollen sich durch andere Frauen in ihrer Individualität stärken. Auch Männer schlossen sich dieser Auffassung an und verstanden sich als Opfer der eigenen patriar-­‐
chalen Gesellschaft. Ihr Ziel war das Herstellen authentischer Männlichkeit, eines neuen, guten Bildes des Mannes. Aus konstruktivistischer Sicht wird an der Differenztheorie kritisiert, dass das Entwickeln eines unab-­‐
hängigen Geschlechts nicht möglich ist, da sich die Geschlechterrollen in der zweigeschlechtlichen Gesellschaft polarisierend gegenüberstehen (Schigl, 2012, 31-­‐32). 4.2.2. Konstruktivistische Diskurse Als erste Konstruktivistin in der Genderdiskussion kann Simone de Beauvoir (1996) bezeichnet wer-­‐
den. Mit ihrer Aussage „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ (zit. in Abdul-­‐Hussain, 2012, S. 100) bringt sie die konstruktivistische Sichtweise auf den Punkt: Geschlecht ist etwas Herge-­‐
stelltes. Die Arbeiten von Erving Goffmann und Harold Garfinkel trugen massgeblich zum Diskurs der Ge-­‐
schlechterkonstruktion bei. Goffmann (1994) untersuchte die institutionellen Regeln für den öffentli-­‐
chen Umgang zwischen den Geschlechtern und ging der Frage nach, warum geringe angeborene Geschlechtsunterschiede enorme soziale Auswirkungen haben. Goffman hielt fest, dass jede Person in eine der zwei Geschlechtsklassen eingeteilt wird und diese Einteilung anschliessend ein Leben lang gilt und Einfluss nimmt (zit. in Abdul-­‐Hussain, 2012, S. 101-­‐102). Garfinkel (1967) führte bereits in den 1950er Jahren die Fallstudie „Agnes“ durch. Anhand der Beglei-­‐
tung der transsexuellen Agnes29 stellte Garfinkel fest, dass jede Handlung und Interaktion durch das Geschlecht geprägt ist. So wird Geschlecht durch entsprechende Verhaltensweisen stets aufs Neue konstruiert und inszeniert (zit. in Abdul-­‐Hussain, 2012, S. 102 – 103). Der Diskurs der permanenten Herstellung von Geschlecht wird „Doing Gender“ genannt. Gleichheit und Differenz stehen nicht mehr im Vordergrund, sondern vielmehr die Frage wie Menschen in die Geschlechterrollen hineinsozialisiert werden. Im Mittelpunkt präsentieren sich interaktive Prozesse, in welchen Geschlecht kontinuierlich hergestellt wird (Grünewald-­‐Huber & von Gunten, 2009, S. 13-­‐
14). Das Konzept des „Doing Gender“ geht im Wesentlichen auf West und Zimmermann zurück. Neben den Begriffen „sex“30 und „gender“31 verwenden sie den Begriff „sex-­‐category“, mit welchem das !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
29
Agnes wurde als Junge geboren, fühlte sich aber im falschen Körper und wurde operativ zur Frau gemacht. Sie erlernte die damals vorherrschenden geschlechtertypischen Verhaltensweisen und kleidete sich entspre-­‐
chend. Die körperliche Umwandlung alleine reichte nicht aus, dass sie als Frau wahrgenommen wurde (Abdul-­‐
Hussain, 2012, S. 103). 30
„sex“ als das bei der Geburt definierte Geschlecht auf Grund biologischer und sozial vereinbarter Kriterien (Schigl, 2012, S. 34). !
31!
täglich hergestellte Geschlecht gemeint ist, welches durch die eigene Darstellung sozial gebildet wird und nicht zwingend mit dem bei der Geburt festgestellten Geschlecht (sex) übereinstimmen muss (Schigl, 2012, S. 33-­‐34). Carol Hagemann-­‐White (1993) ist der Ansicht, dass „gender“ ein performativer32 Akt ist. Sowohl der gesellschaftliche Aspekt, dass Menschen in zwei Geschlechtsklassen eingeteilt und entsprechend sozialisiert werden wie auch die individuellen Verhaltenweisen jedes Menschen zur Darstellung des eigenen Geschlechts führen dazu, dass Geschlechterbilder permanent hergestellt werden. Durch die Zweigeschlechtlichkeit und die hergestellten Geschlechterdifferenzen wird ein Orientierungsrahmen erschaffen. Die sozialen Interaktionen lassen unendlich viele Möglichkeiten offen, so dass die Orien-­‐
tierung anhand von „weiblich“ und „männlich“ die Kommunikation erleichtern kann. Gleichzeitig wird gerade durch die Benutzung von Stereotypien33 und Mustern Geschlecht erneut hergestellt (zit. in Schigl, 2012, S. 34-­‐35). Ursula Pasero (1997) geht in ihren Ausführungen zur Genderdebatte von der Systemtheorie und der Aussage von Gregory Bateson34 (Unterschiede, die einen Unterschied machen) aus. Sie fragt sich, warum gerade die Unterscheidung nach dem Geschlecht eine folgenreiche Gesellschaftsordnung konstituiert, wo doch zahlreiche andere Unterschiede zwischen Menschen gemacht werden könnten. Ihrer Ansicht nach, erleichtert die Zweigeschlechtlichkeit das Zusammenleben und hat wie bereits durch Hagemann-­‐White festgehalten eine einfachere und schnellere Orientierung und Organisation zur Folge (zit. in Schlottau & Waldmann, 2001, S. 232-­‐233). Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass Geschlecht permanent in alltäglichen Situa-­‐
tionen hergestellt wird. Dabei geht es um die Frage, wie Prozesse der Geschlechterkonstruktion be-­‐
wusst gemacht werden können und um die Überlegungen, welche sozialen und strukturellen Me-­‐
chanismen der Differenzierung Menschen von gewissen Lebensbereichen ausschliessen (Grünewald-­‐
Huber & von Gunten, 2009, S. 14). 4.2.3. Dekonstruktivistischer Diskurs, Zweigeschlechtlichkeit und Gender Trouble Eine radikalere Sichtweise des konstruktivistischen Modells stellt der dekonstruktivistische Diskurs dar, welcher davon ausgeht, „dass es keine notwendige, naturhaft vorgeschriebene Zweigeschlecht-­‐
lichkeit gibt, sondern nur verschiedene kulturelle Konstruktionen von Geschlecht“ (Hagemann-­‐White, 1988, S. 230 zit. in Wetterer, 2010, S. 126). !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
31
„gender“ im Sinne einer Geschlechtszugehörigkeit auf Grund von angemessenem Verhalten innerhalb der gesellschaftlichen Geschlechterbilder (Schigl, 2012, S. 34). 32
Butler (1993) definiert den Begriff „performativ“ wie folgt: „Eine performative Handlung ist eine solche, die das, was sie benennt, hervorruft oder in Szene setzt und so die konstitutive oder produktive Macht der Rede unterschreicht“ (zit. in Abdul-­‐Hussain, 2012, S. 130). 33
Stereotypien, ihre Bedeutung und ihr Entstehungsprozess werden in Kapitel 4.5 konkretisiert. 34
Vergleiche Kapitel 2.2.3!
!
32!
Bereits Margaret Mead (1958) weist in ihren Ausführungen darauf hin, dass keinesfalls von einer generellen, selbstverständlichen Zweigeschlechtlichkeit ausgegangen werden kann. Auch sie betont, dass Männer und Frauen weit mehr Gemeinsamkeiten haben (auch biologischer Art) und in dieser Hinsicht ein Kontinuum bilden (zit. in Wetterer, 2010, S. 128). In Anlehnung daran schreibt auch Hartmann Tyrell (1968), dass die Trennung in typisch weiblich und typisch männlich die zahlreichen Zwischenstufen ausblendet (zit. in Wetterer, 2010, S. 128). Die gegenwärtig bekannteste Vertreterin der dekonstruktivistischen Theorie ist Judith Butler. Die dekonstruktivistische Perspektive beleuchtet radikal und kritisch die Konstruktionsprozesse von Ge-­‐
schlecht. Innerhalb dieses Ansatzes existiert das biologische Geschlecht nicht ausserhalb des Sozialen (Wetterer, 2010, S. 127-­‐128). Die biologische Kategorie ist entsprechend stets kulturell überformt und nicht mehr von der sozialen Kategorie „gender“ ablösbar (Grünewald-­‐Huber & von Gunten, 2009, S. 14). Ausschlaggebend für die Weiterentwicklung des konstruktivistischen Konzepts sind die Arbeiten von Suzanne Kessler und Wendy McKenna. Die Autorinnen hinterfragen den Stellenwert des biologischen Geschlechts 35 und untersuchen, wie sich Kinder die Regeln der Zweigeschlechtlichkeit aneignen (Wetterer, 2010, S. 128). Judith Butlers Ansicht nach sind Denk-­‐ und Sprachsysteme die Konstruktionsorte von „gender“. Zweigeschlechtlichkeit, Geschlechterdifferenz, aber auch Heterosexualität wird in vielen Denksyste-­‐
men wie beispielsweise der Medizin, der Psychologie sowie in den Rechtswissenschaften als Voraus-­‐
setzung angenommen. Nach Butler können Menschen jedoch nur das denken, was sie sprachlich aufnehmen können. Menschen handeln in performativen Sprechakten, sie äussern sich und verhal-­‐
ten sich der Äusserung entsprechend gleichzeitig (Schigl, 2012, S. 38-­‐39). Hier sieht Butler eine Möglichkeit zur Erneuerung von Normen und Werten. Da Menschen bei jeder Handlung und Äusserung die Normen reinterpretieren und niemals genau gleich wiedergeben, kann der Mensch kreativ tätig werden und die vorhandenen Bilder neu erschaffen36. Der dekonstruktivisti-­‐
sche Ansatz fordert dazu auf, neue Muster zu leben und mit Stereotypien zu spielen (Schlottau & Waldmann, 2001, S. 229 -­‐231). Judith Butler löste mit ihrem Buch „Gender trouble“ grosse Reaktio-­‐
nen aus und schliesst in den USA an die beginnende Queer-­‐Bewegung an (Abdul-­‐Hussain, 2012, S. 126). !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
35
Kessler (1990) stellte fest, dass Neugeborene ohne sichere Geschlechtszuschreibung anhand des vorhanden Seins oder nicht vorhanden Sein eines Penis kategorisiert werden und nicht anhand anatomischer, genetischer oder hormoneller Faktoren (zit. in Schigl, 2012, S. 38). 36
Eine Beobachtung der Autorin: In Filmszenen (ein Paar ist am Abend am Spazieren) kann oft beobachtet werden, wie der Mann der frierenden Frau seine Jacke abgibt. Dies obwohl der Mann unter Umständen an-­‐
schliessend ebenfalls friert. Das Bild der „schwachen“ Frau und des „starken“ Mannes wird somit erneut kon-­‐
struiert. Eine solche Filmszene könnte jedoch auch anders ablaufen, ein anderes Bild könnte geschaffen wer-­‐
den. !
33!
Im nächsten Kapitel werden die Interaktionsprozesse zwischen Männern und Frauen in Anlehnung an die Diskurspositionen erläutert. Dabei wird der Schwerpunkt auf die menschliche Kommunikation und das Sprachverhalten gelegt. 4.3. Geschlechtstypische Interaktionsprozesse In der Literatur finden sich unzählige Studien und Berichte zu den Unterschieden der Kommunikati-­‐
ons-­‐ und Sprachstile von Männern und Frauen. Laut Brigitte Schigl (2012) sind die Unterschiede unter den Frauen beziehungsweise innerhalb der Gruppe der Männer grösser sind als die Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Weiter gehen die meisten Studien zu geschlechtertypischen Verhaltensweisen von einer klaren Zwei-­‐
geschlechtlichkeit aus. Die Trennschärfe zwischen „Mann“ und „Frau“ lässt keine Zwischenabstufun-­‐
gen zu (S. 59). Konstruktivistisch betrachtet werden Geschlechterdifferenzen hergestellt und existieren nicht ein-­‐
fach37. Entsprechend besteht kein so genannter Genderlekt38, es stellt sich aber die Frage, wie Diffe-­‐
renzen zwischen Männern und Frauen konstruiert werden. 4.4. Sprache, Kommunikation und Geschlecht In Anlehnung an die in Kapitel 4.2 erarbeiteten Diskurse finden sich in der Literatur Erklärungsansätze zur geschlechtertypischen Kommunikation. Wie bei den vorgestellten Diskurspositionen liegt auch hier der Schwerpunkt auf der konstruktivistischen Sichtweise. 4.4.1. Defizit-­‐ und Differenzkonzepte Die Defizitkonzeption sieht das weibliche Kommunikationsverhalten als Ausdruck der Machtlosigkeit der Frauen innerhalb der Gesellschaft. Bekannt sind vor allem die Arbeiten von Robin Lakoff (1975), welche Merkmale einer so genannten „Frauensprache“ erarbeitete. Ihrer Ansicht nach verfügen Frauen über einen grossen Wortschatz bezüglich typisch weiblicher Interessen. Die Verwendung von Frageintonationen39 ist bei Frauen weit höher wie auch das Einfügen von absichernden Worten („ich vermute“, „wie Sie wissen...“). Nach Lakoff verstärken Frauen starke Aussagen oder Gefühle öfter als Männer. Weiter ist ihre Grammatik korrekt. Frauen verwenden mehr Höflichkeitsformen, erzählen kaum Witze und sprechen mit besonderer Betonung oft von Gesten unterstützt (zit. in Klann-­‐Delius, 2005, S. 10-­‐12). !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
37
Vergleiche dazu Ausführungen „Doing-­‐Gender“ Genderlekt meint die geschlechtsspezifische Sprachvarietät und ist analog zu den Begriffen Dialekt oder Soziolekt zu verstehen (Samel, 2000, S. 164)!
39
im englischen so genannte tag-­‐questions wie „it’s so beautiful, isn’t it?“ (Lakoff, 1975, S. 53-­‐57, zit. in Klann-­‐
Delius, 2005, S. 10) !
38
!
34!
Die defizitären Konzepte wurden zu Gunsten der Differenzkonzeption aufgegeben. Wie beim Diffe-­‐
renzdiskurs geht diese Sichtweise davon aus, dass Männer und Frauen eine andere Sprechweise ha-­‐
ben. Vor allem die Werke von Deborah Tannen und Senta Trömel-­‐Plötz haben dieser Position zu gro-­‐
sser Bekanntheit verholfen (S. 13). Eine der bekanntesten Veröffentlichungen im Bereich der geschlechtsspezifischen Kommunikation ist die Arbeit von Deborah Tannen (1991) „Du kannst mich einfach nicht verstehen“. Tannen entwickelt in ihrem Buch, welches weltweit grossen Anklang sowohl als Publikumserfolg aber auch in der Wis-­‐
senschaft fand, die These der zwei Kulturen. Tannen überträgt die Theorie der interkulturellen Kom-­‐
munikation von John Gumperz direkt auf die Kommunikation zwischen den Geschlechtern. Sie schreibt Frauen eine so genannte Beziehungssprache und Männern eine Berichtssprache zu. Frauen benützen beispielsweise das Fragen zum Aufrechterhalten eines Gesprächs, Männer hingegen we-­‐
sentlich zum Entlocken von Informationen (zit. in Ruth Ayass, 2008, S. 85 -­‐93). Tannens Ausführungen werden in der Zwischenzeit scharf kritisiert: sie bediene sich Pauschalisierun-­‐
gen und spreche Männern und Frauen jegliche Verantwortung für ihr kommunikatives Verhalten ab. Soziale Wirklichkeit werde als gegeben betrachtet und sei somit unveränderbar (Ayass, 2008, S. 93-­‐
97). 4.4.2. Konstruktivistische Konzepte Wird die Frage nach Geschlecht und Sprache, bzw. Kommunikation aus einem konstruktivistischen Blick betrachtet, geht es hauptsächlich darum, die Regeln der Interaktions-­‐ und Kommunikationspro-­‐
zesse zu beschreiben. Es ergibt sich somit eine Konversationsanalyse, die bei Judith Butler in einen performativen Ansatz mündet (Gisela Klann-­‐Delius, 2005, S. 14-­‐16). Sprache ist aus einer konstruktivistischen Sichtweise Mittel zur Herstellung von Wirklichkeit. Sprache wird als aktive Handlung aufgefasst und muss stets im Kontext dieser Handlung betrachtet werden. So entsteht Genderidentität40 durch das in Worte Fassen. Menschen werden durch die Sprache kate-­‐
gorisiert und typisiert. Gender wird somit erst sprachlich geschaffen (Antje Hornscheidt, 2009, S. 252-­‐257). Das Erschaffen von Geschlecht ist in dieser Hinsicht in erster Linie ein kommunikativer Prozess (Ayass, 2008, S. 19). !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
40
Nach Simon et al. (2004) ist Identität ein kontinuierlich gleich bleibendes und kohärentes Gefühl über sich selber. Dieses Gefühl bleibt trotz ändernder Körperbeschaffenheit, Lebensumstände und Beziehungen gleich. Vor allem Arbeiten von Erik H. Erikson haben den Begriff der Identität massgeblich geprägt (S. 144). !
35!
Nach Anja Gottburgsen (2004) ist Geschlecht etwas Hergestelltes, in erster Linie durch das Kommu-­‐
nikationsverhalten. Im interaktiven Herstellungsprozess von Geschlecht haben sprachbezogene Geschlechterste-­‐
reotype eine zentrale Funktion: Sie stellen einerseits die Muster für geschlechtsangemesse-­‐
nes kommunikatives Verhalten zur Verfügung. Andererseits fungieren sie als Muster der Wahrnehmung des Kommunikationsverhaltens von Frauen und Männern (S. 38). Gottburgsen (2004) hält fest, dass zwischen dem Kommunikationsverhalten und dem Geschlecht der sprechenden Person eine komplexe Wechselwirkung besteht (S. 35). Beispiele für Geschlechterdifferenzen in der Kommunikation finden sich unzählige. Friederike Braun (2004) hält fest, dass geschlechtertypische Merkmale im Sinne des Doing-­‐Gender-­‐Ansatzes dazu die-­‐
nen, Geschlecht in Szene zu setzen. Unterschiede im Kommunikations-­‐ und Sprachverhalten von Männern und Frauen können in diesem Sinne als sich als „weiblich“ oder „männlich“ darstellend verstanden werden. Diese Darstellung ist zwingend an gesellschaftliche Erwartungen gekoppelt. Menschen werden immer in männlich oder weiblich eingeordnet, auch wenn das Geschlecht für die Situation nebensächlich ist (S. 24). Geschlechtertypische Kommunikation ist in diesem Sinne nicht gegeben, sondern wird stets in der Interaktion hergestellt. Entsprechend sind Ausführungen zu geschlechtertypischem Kommunikati-­‐
onsverhalten Informationen über mögliche Wirklichkeiten, die in interaktiven Prozessen konstruiert werden. Andererseits verfestigen gerade diese Ausführungen die Geschlechterdifferenzen und insze-­‐
nieren diese erneut. Wie durch die Aussage von Gottburgsen ersichtlich, ist ein mit dem konstruktivistischen Doing-­‐
Gender-­‐Ansatz in Einklang zu bringender Ansatz die Verknüpfung der geschlechterspezifischen Kommunikation mit der Geschlechterstereotypienforschung. Neben diesem Erklärungsansatz finden sich bei Gisela Klann-­‐Delius (2005) weitere mögliche Erklärungsmodelle wie sozialisations-­‐ und lern-­‐
theoretische Konzepte41, kognitionspychologische und psychoanalytische Modelle aber auch biologi-­‐
sche Erklärungsansätze (S. 140-­‐181). Weinbach (2004) hält fest, dass Männer und Frauen dieselben sozialen Rollen übernehmen, jedoch unterschiedliche kommunikative Erwartungen an sie gestellt werden. Dies kann so weit gehen, dass die ursprünglich neutrale Rolle durch das Geschlecht die bestehende Ordnung umstürzt (S. 88). !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
41
dazu gehören Konzepte des Modellernens sowie der Sozialisation durch Gleichaltrige!!
!
36!
4.5. Geschlechterstereotypien und Geschlechterrollen Geschlechterstereotypien sind nach Thomas Eckes (2010) kognitive Strukturen, welche charakteristi-­‐
sche Merkmale von Frauen und Männern enthalten. Dieses Wissen gehört einerseits zum persönli-­‐
chen Wissensbesitz und wird gleichzeitig sozial geteilt, basiert somit auf einem gesellschaftlichen Konsens. Geschlechterstereotypien sind sowohl deskriptiv als auch präskriptiv: sie beschreiben An-­‐
nahmen darüber, wie Männer und Frauen sich verhalten und welche Eigenschaften sie haben. Und sie beschreiben Eigenschaften und Verhalten, wie Männer und Frauen sein sollen. Die Verhaltenser-­‐
wartungen einer Gesellschaft an ein Individuum stellen dessen Geschlechterrolle in den Vordergrund. Weiter erklärt Eckes den Begriff der „Stereotypisierung“ und definiert ihn als Anwendung von stereo-­‐
typgestütztem Wissen. Geschlechterstereotypien sind änderungsresistent (S. 178). 4.5.1. Inhalte von Geschlechterstereotypien Nach Eckes (2010) zeigt die Forschung konstant dasselbe Bild: Frauen werden mit den Begriffen „Wärme“ und „Expressivität“ in Verbindung gebracht, Männer mit „Kompetenzen“ und „Instrumen-­‐
talität“. Nebst der hohen zeitlichen Stabilität zeigte sich zudem, dass die Merkmale kaum kulturelle Unterschiede aufzeigen (S. 179). Geschlechterstereotypien werden als nützlich für die individuelle Orientierung und die Organisation der eigenen Handlungen erlebt. Neben der hohen Resistenz gegenüber Änderungen sind sie kulturell äusserst weit verbreitet und werden sehr früh erworben. Vor allem so genannte Substereotypen42 erreichen in Studien ein hohes Mass an Übereinstimmungen. Als Beispiel solcher Substereotypen nennt Eckes (2010) die zwei unterschiedlichen Frauentypen „Karrierefrau“ (dominant, kühl und selbstbewusst) und „Emanze“ (politisch links, tritt für die Rechte der Frauen ein) sowie die Männer-­‐
typen „Alternativer“ (nachdenklich, gefühlvoll, offen) und „Intellektueller“ (selbstkritisch, kulturell interessiert, redegewandt) (S. 181-­‐183). Gottburgsen (2004) hält fest, wie sprachliche Formen unterschiedlich bewertet werden. Formen, die den Frauen zugeordnet werden, werden mit einem wärmeren und höflicheren Charakter in Verbin-­‐
dung gebracht, gleichzeitig aber auch als weniger intelligent beschrieben. Das weiblich konnotierte Zögern wird als Zeichen von geringerer Autorität und Geselligkeit gedeutet. Insgesamt entsteht ein Bild, welches wenig Glaubwürdigkeit ausstrahlt. Formen, die dem „Männlichen“ zugeschrieben wer-­‐
den, bilden eine Wertung hinsichtlich eines dominanten und instrumentellen Charakters (S. 30-­‐33). !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
42
Unter Substereotypen versteht Eckes (2010) mentale Repräsentationen verschiedener Kategorien, welche als zusammen so genannte Globalstereotypien ergeben (S. 181). !
37!
4.5.2. Stereotypgestützte Wahrnehmung und Kommunikation Laut Gottburgsen (2004) zeigt die linguistische Forschung auf, dass Menschen unterschiedliche Vor-­‐
stellungen und Erwartungen in Bezug auf das Kommunikationsverhalten von Männern und Frauen haben. Die meisten der Studien stammen aus dem anglo-­‐amerikanischen Raum. Doch auch Untersu-­‐
chungen im deutschsprachigen Raum ergeben ähnliche Informationen (S. 28, 36). Sprachbezogene Geschlechterstereotypien nach Gottburgsen (2004) sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst: Frauen Männer Nutzen von Verstärkungspartikeln Selbstbezogene Aussagen Obszöne Aussagen Fragen, insbesondere Rückversicherungsfragen Auf Gefühle referierende Aussagen Slangausdrücke Unvollständige Sätze Längerer Text Kürzerer Text Höhere Redeanteile Kürzere Redeanteile Steigende Intonation Häufigeres Unterbrechen 43
Abbildung 2: Stereotype Kommunikation (eigene Darstellung, Quelle: Gottburgsen, 2004, S. 28-­‐30). Bei Werner (1983) sind Merkmale der Gesprächsstile von Männern und Frauen zu finden, mit denen sich ebenso die Geschlechtsidentitäten erschaffen. Werner beschreibt, dass Frauen die thematischen Positionen des Gegenübers wahrnehmen. Frauen schwächen die beziehungsmässigen Auswirkungen bei Gegensätzen ab, um Konfrontationen zu umgehen. Frauen beachten mögliche Auswirkungen auf die Beziehung ihrer eigenen Beiträge. Männer hingegen nehmen andere thematische Positionen kaum wahr. Ihre eigene Sichtweise wird als die richtige angenommen, entsprechend müssen sie die Position der anderen Person nicht kennen. Sie nehmen daher auch nicht Bezug auf den vorherge-­‐
henden Redebeitrag. Ihre Redebeiträge haben eine distanzierende Wirkung auf die Beziehung der Gesprächspartner (zit. in Ingrid Samel, 2000, S. 218-­‐219). Ruth Ayass (2008) fasst zusammen, dass Männer oft einen dominanteren Stil verwenden, sachlich orientiert sprechen und andere häufig unterbrechen, um eigene Themen durchzusetzen. Frauen werde ein emotionaler und persönlicher Stil zugeordnet, welcher unterstützend und kooperativ wir-­‐
ke (S. 65-­‐66). !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
43
Eine ausführliche Zusammenstellung befindet sich im Anhang !
38!
Bei Klann-­‐Delius (2005) finden sich diese Aussagen wieder. Sie stellt in ihrem Buch „Sprache und Ge-­‐
schlecht“ eine umfassende Zusammenstellung verschiedenster Studien vor. Neben Analysen und empirischen Befunden zu den Themen „Sprachsystem“, „Sprachgebrauch“ und „nonverbale Kommu-­‐
nikation“ beschreibt sie ausführlich Ergebnisse zum geschlechterspezifischen Spracherwerb und den Geschlechterdifferenzen im Kommunikationsverhalten der Eltern. Klann-­‐Delius hält im Gegensatz zu den generalisierenden Aussagen im vorherigen Abschnitt fest, dass es grundsätzlich keine empirisch belegten Unterschiede im Kommunikationsverhalten zwischen Männern und Frauen gebe. Sie schreibt beispielsweise, dass die Intonation nicht alleine vom Geschlecht abhänge, sondern von ver-­‐
schiedenen anderen Faktoren mitbestimmt wird. Biologisch begründete Differenzen der Stimme werden somit von kulturellen Normen überformt. Studien, die den Wortschatz von Männern und Frauen untersucht haben, zeigen keine geschlechterspezifische Ausprägung: Männer und Frauen benützen je nach Interesse und Aktivitäten unterschiedliche Wortschätze. Die Autorin widerlegt auch die Annahme, Frauen würden eine höflichere Sprache sprechen. Höflichkeit ist nach Klann-­‐Delius kein universeller Zug der Rede der Frauen. Ebenso ist in Bezug auf die Redemenge keine geschlech-­‐
terspezifische Unterscheidung feststellbar. Interessant ist, dass Bereiche wie die Geschlechtszusam-­‐
mensetzung der Gruppe, der soziale Status, das Gesprächsthema, die Gruppengrösse aber auch Per-­‐
sönlichkeitsmerkmale Auswirkungen auf die Redemenge haben, eine allgemein männliche Dominanz ist empirisch jedoch nicht nachweisbar. Auch die Untersuchungen zum Leisten der Gesprächsarbeit sowie von Unterbrechungen eines Gesprächs ergeben kein eindeutiges Bild (S. 19-­‐135). Die Studien betrachten die Kategorie Geschlecht in der Regel als unabhängige Variable und beziehen Bereiche wie „Status“, „soziale Rolle“, „situative Faktoren“, „kulturelle Deutungsmuster“ sowie „Stereotypi-­‐
en“ kaum mit ein. Julia Wood und Kathryn Dindia (1998) kommen zum Schluss, dass menschliches Verhalten in so hohem Masse komplex ist, dass keine Unterschiede vorhersagbar sind, indem einzel-­‐
ne Variabeln untersucht werden (zit. in Klann-­‐Delius, 2005, S. 136). Dindia (1998) hält fest, dass kaum und wenn, nur kleine Differenzen zwischen Männern und Frauen erforscht wurden. Grund für die trotzdem vorherrschende Annahme grosser Geschlechterdifferenzen sind ihrer Meinung nach gängige Stereotypien (zit. in Klann-­‐Delius, 2005, S. 138). Wie Klann-­‐Delius bestätigt Ulrike Grässel (2004), dass Geschlecht nie „pur“ inszeniert werden kann. Sie hebt dabei den Aspekt des sozialen Status hervor, welche bei von ihr untersuchten Studien einen signifikanten Einfluss auf das Gesprächsverhalten hatte. Sie unterstreicht die Rolle der Erwartungen, die den geschlechterstereotypen Mustern beigemessen wird. Indem Vorstellungen davon bestehen, wie Männer und Frauen sein und sich kommunikativ verhalten sollen, werden Zuschreibungen des Kommunikationsstils an traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit aufrecht erhalten (S. 58-­‐67). !
39!
4.5.3. Entwicklung von Geschlechterstereotypien Alice Eagly (2000) beschreibt in ihrem Buch „Theorie der sozialen Rollen“, Menschen würden zur Annahme tendieren, dass Personen entsprechend ihrer sozialen Rollen dieselben Charaktermerkma-­‐
le aufweisen. Eagly erklärt, dass die Annahme bestehe, zwischen dem beobachtbaren Verhalten ei-­‐
ner Person und ihren inneren Dispositionen bestehe eine Korrespondenz44 (zit. in Klann-­‐Delius, 2005, S. 156). Die Autorin stützt sich auf Arbeiten von Talcott Parson45. Die Grundannahme ihrer Theorie basiert auf den körperlichen Unterschieden zwischen Männern (körperliche Stärke, Körperlänge) und Frauen (Schwangerschaft und Stillperiode). Auf Grund dieser Unterschiede wird Frauen eine geringere Akti-­‐
vität zugeschrieben. Eagly ist der Ansicht, Geschlechterdifferenzen seien das Ergebnis eines komple-­‐
xen Anpassungsprozesses an die zugewiesenen sozialen Rollen, welche sich hauptsächlich auf die Arbeitsteilung (Beruf/Familie) beziehen. Entsprechend sind damit gesellschaftliche Erwartungen ver-­‐
bunden, welche durch das Erfüllen der Rollen zu Stereotypien werden. Im selben Masse wie sich die Berufsrollen für Frauen und Männer verändern oder angleichen, modifizieren sich auch die sozialen Rollen und die damit verbundenen Stereotypien. Das Modell der sozialen Rollen geht davon aus, dass Unterschiede in der Kommunikation auf soziale Bedingungen basieren, die Schlussfolgerungen sicht-­‐
baren Verhaltens auf innere Dispositionen stellen den Schlüssel dar (Klann-­‐Delius, 2005, S. 154-­‐158). Kay Deaux und Brenda Major (1987) gehen von einer hohen Variabilität und Kontextabhängigkeit von geschlechtstypischen Verhalten aus (zit. in Eckes, 2010, S. 185). Sie sind der Meinung, dass das in Kraft treten von „gender“ in erster Linie im Kontext sozialer Interaktionen stattfindet. Beide Perso-­‐
nen einer Interaktion richten ihr Verhalten auf die unmittelbar gegebene Situation aus. So können Menschen je nach Situation verschiedene Identitäten annehmen. Dies würde eine hohe Variabilität bedeuten, welche jedoch durch die Interaktionspartner eingegrenzt wird. Denn die an der Situation beteiligten Personen sind bestrebt, ihr Verhalten in eine gewisse Routine zu bringen, also ihre Wahr-­‐
nehmungen an gegebene Konzepte und Verhaltensmuster anzugleichen (Klann-­‐Delius, 2005, S. 161-­‐
162). Es werden somit die Annahmen und Erwartungen der wahrnehmenden Person, das Selbstkon-­‐
zept sowie die Interaktionsziele der Person und die unmittelbar gegebene Situation in den Fokus genommen (Eckes, 2010, S. 185). Dieses interaktive Modell kommt zum Schluss, dass Interaktionen von folgenden Aspekten verändert werden können: !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
44
Eagly (2000) schreibt, dass beispielsweise zwischen dem bemutternden Verhalten von Frauen auf innere Dispositionen geschlossen wird, anstatt auf deren Rollenverpflichtungen als Hausfrau und Mutter (zit. in Klann-­‐
Delius, 2005, S. 156). 45
Parson formulierte unter anderem die Rollentheorie (Klann-­‐Delius, 2005, S. 154).!
!
40!

Vorstellungen und Erwartungen variieren entsprechend der sozialen Erwünschtheit eines Verhaltens, der Stärke der Erwartungen sowie dem situativen Kontext. 
Selbstvorstellungen können variieren und dadurch ergeben sich unterschiedliche Überein-­‐
stimmungen mit den Erwartungen (Klann-­‐Delius, 2005, S. 163). Zum Abschluss dieses Kapitels wird der Prozess der selbst erfüllenden Prophezeiung behandelt. Die-­‐
ser Prozess kommt in Gang, wenn eine Person durch die nicht explizit genannten Erwartungen einer anderen Person dazu bewegt wird, sich so zu verhalten, wie sie den Erwartungen des Gegenübers entspricht46 (Eckes, 2010, S. 185). Wie das Wissen der Diskurspositionen, der geschlechterspezifischen Kommunikation und der Entste-­‐
hung der Herstellungsprozesse von Geschlechterdifferenzen in die soziale Arbeit einfliessen kann, bildet die genderkompetente Beratung ab. 4.6. Genderkompetente Beratung Erste Klärungen des Begriffs „Genderkompetenz“ entstanden mit im Prozess des Gender Mainstrea-­‐
ming. Gender Mainstreaming beinhaltet die politische Dimension im Bereich der Geschlechterfragen und ist ein Prüfverfahren für Gleichstellungsdimensionen. Nebst der kontrollierenden Funktion, in-­‐
wiefern die Gleichstellung in Institutionen und Angeboten verankert ist, bietet Gender Mainstrea-­‐
ming ein vielschichtiges Instrument zur Verankerung der Thematik innerhalb der Organisationen an (Jürgen Budde, 2010, S. 21). Gender Mainstreaming hat somit zum Ziel, die Gleichstellung unter den Geschlechtern zu planen und umzusetzen (Grünewald-­‐Huber & von Gunten, 2009, S. 193). Margitta Kunert-­‐Zier (2005) hält fest, dass auf der Ebene der Umsetzung des Gender Mainstreaming folgende Aspekte für genderkompetente Projekte eruiert werden können: 
Die geschlechtsbezogene Sichtweise ist in der Konzeption zu erkennen. 
Die Wahrnehmung der Zielgruppen verläuft unter einem geschlechtsbezogenen Blickwinkel. 
Die Umsetzung der Angebotsstruktur wird in Bezug auf beide Geschlechter vollzogen. 
Interaktionen werden hinsichtlich ihrer geschlechtsbezogenen Aufladung wahrgenommen. 
Die Teamreflexion wird geschlechterbewusst gestaltet. 
Selbstevaluationen berücksichtigen die Geschlechterdimensionen (S. 281-­‐282). !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
46
Eine Mitarbeiterin weiss von ihrem Vorgesetzten, dass er ein traditionell eingestellter Mann ist. Er ist der Ansicht, dass eine Frau bei einem gemeinsamen Projekt eher die „weiblichen“ Aufgaben übernehmen soll. Die Frau wird in einer solchen Situation dazu neigen, die „typisch weiblichen“ Aufgaben zu übernehmen, ohne dass sich der Vorgesetzte entsprechend geäussert hat (Eckes, 2010, S. 185). !
41!
Henning von Bargen und Gabriele Schambach (2002) definieren Genderkompetenz als das Wissen und die Erfahrung über die Entstehung, die komplexen Strukturen sowie die Konstruktion von Ge-­‐
schlechterverhältnissen (wie Geschlechterdifferenzen). Mit diesem Wissen können gesellschaftliche und persönliche Machtzugänge, Ressourcenverteilungen aber auch Arbeitsteilungsmodelle differen-­‐
zierter analysiert werden. Dieses Wissen soll in die praktische Arbeit eingesetzt werden und die Ge-­‐
staltung der Geschlechterbeziehungen sensibilisieren (zit. in Kunert-­‐Zier, 2005, S. 283). Kunert-­‐Zier (2005) bezieht sich in ihrer Definition auf ein für Kompetenzen allgemein gültiges Modell mit den Bereichen „Wissen“, „Wollen“, „Können“ und fasst ihre Vorstellung von genderkompetenter Arbeit wie folgt zusammen: „Unter Genderkompetenz wird also eine Verbindung von fachlichem geschlechtsbezogenem Wissen mit persönlichen geschlechtsbezogenen Kompetenzen unter der Ziel-­‐
setzung einer Erweiterung der Optionen für beide Geschlechter und der Veränderung der Ge-­‐
schlechterbeziehungen hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen und Männern verstanden“ (S. 283-­‐
284). 4.7. Zusammenfassung Die Geschlechterdebatte hat sich in den letzten 50 Jahren von differenz-­‐ und gleichheitstheoreti-­‐
schen Diskursen hin zu einer konstruktivistischen Position des Doing-­‐Gender-­‐Ansatzes entwickelt. Geschlecht wird als Etwas in der Interaktion laufend Hergestelltes betrachtet. Dekonstruktivistische Ansätze kritisieren die ausschliessliche Zweigeschlechtlichkeit des Doing-­‐Gender-­‐Ansatzes, Judith Butler als bekannte Vertreterin dekonstruktivistischer Theorien sieht die Konstruktion von Ge-­‐
schlecht als performativen Akt. In Interaktionsprozessen ist die Rolle der Geschlechterstereotypen elementar. Sie prägen einerseits die Erwartungen, welche an Menschen gestellt werden und konstruieren andererseis durch ge-­‐
schlechterstereotype Kommunikationsformen die Erwartungen mit. Geschlechterstereotype Sprache schreibt der Frau einen kooperativen, dem Mann einen dominanten Stil zu. Gottburgsen (2004) bringt die Herstellung sprachlicher Differenzen zwischen Männern und Frauen auf den Punkt: „Die sprachliche Konstruktion von Geschlecht auf der Grundlage sprachbezogener Geschlechterstereoty-­‐
pe findet damit sowohl in der Wahrnehmung als auch im Kommunikationsverhalten statt. Sie sind zwei Seiten einer Medaille, die sich wechselseitig verstärken“ (S. 38). Durch genderkompetente Arbeit können fachliche und persönliche Kenntnisse und Kompetenzen dahingehend eingesetzt werden, dass eine Gleichstellung der Männer und Frauen erreicht werden kann. !
42!
aM A%-0%&C234%$%-5)(-)0%&)B+#,-.#2&(%-$(%&$%-)D%&"$,-.)
R"#)!"$%&("B),-0)0(%)V'%&B%.,-.%-)",#)0%-)1"4($%B-)5L%()'(#)U(%&)#2BB%-)(-)0(%#%3)"'#?@B(%##%-0%-)
1"4($%B)@(-#(?@$B(?@)0%&);&".%#$%BB,-.)0(%#%&)J&'%($)'%"&'%($%$)L%&0%-M))
R(%);&".%#$%BB,-.)0%&)J&'%($)L(&0)"-)0(%#%&)>$%BB%)-2?@)%(-3"B)(-)I&(--%&,-.).%&,O%-H))
)
���� ����� ���� ������������������� ��������� ���������������������������� ������������� ����������
�����������������������������������������������������
)
Y3)J-$L2&$%-)",O)0(%#%);&".%)U2&#$%BB%-)5,)C+--%-<)L%&0%)(?@)0"#)%&"&'%($%$%)!"$%&("B)5,#"33%-/
OS@&%-M)X-)J-B%@-,-.)"-)1,-%&$/[(%&)k677al)S'%&-%@3%)(?@)0(%)U2-)(@&)%-$L(?C%B$%-)0&%()12342-%-/
$%-) 0%&) kA%-0%&/l) 1234%$%-5M) R%3-"?@) #%$5$) #(?@) 1234%$%-5) ",#) 0%-) D%&%(?@%-) T(##%-<) 1+--%-)
,-0) T2BB%-) 5,#"33%-M) T(##%-) '%(-@"B$%$) #4%5(O(#?@%) 1%--$-(##%) L(%) '%(#4(%B#L%(#%) ;"?@L(##%-M)
1+--%-)'%5(%@$)#(?@)",O)0(%)!%$@20%-<)X-#$&,3%-$%),-0)T%&C5%,.%)5,&)J-L%-0,-.),-0)Y3#%$5,-.)
0%#) T(##%-#) ,-0) T2BB%-) ,3#?@B(%##$) 0(%) !2$(U"$(2-) ,-0) D%&%($#?@"O$) 5,3) Q"-0%B-M) R"'%() .%@$) %#)
(-#'%#2-0%&%),3)0(%);=@(.C%($)5,&)>%B'#$&%OB%P(2-<)0(%)J,#%(-"-0%&#%$5,-.)3($)0%&)%(.%-%-)Z2BB%),-0)
0%-)%(.%-%-)D(B0%&-),-0)-(?@$)-,&),3)0%-)J-$&(%'<)"-)%(-%3)[(%B)5,)"&'%($%-)k>M)6c:/6cdlM)
R(%)O2B.%-0%)`"'%BB%)(-O2&3(%&$)S'%&)0(%)>$&,C$,&)0(%#%#)1"4($%B#M)X-)0%-)O2B.%-0%-)J'#?@-($$%-)'%"&/
'%($%)(?@)5,-=?@#$)0(%)J#4%C$%)0%#)T(##%-#),-0)0%#)1+--%-#M)I-$#4&%?@%-0)0%-)0&%()`@%3%-'%&%(/
?@%-) \>4&"?@%) ,-0) 1233,-(C"$(2-]<) \A%#?@B%?@$%&#$%&%2$W4(%-]) ,-0) \A%#?@B%?@$%&&2BB%-) ,-0) A%/
#?@B%?@$%&(0%-$($=$])"&'%($%)(?@)0"#)T(##%-)(-)D%5,.)",O)3+.B(?@%)#(--U2BB%)!%$@20%-)k1+--%-l)",#)
0%&)B+#,-.#2&(%-$(%&$%-)D%&"$,-.)",OM)R%-)D%&%(?@)0%#)T2BB%-#)L%&0%)(?@)(3)B%$5$%-)J'#?@-($$)",O/
.&%(O%-),-0)3(?@)#%B'#$&%OB%P(U%-)1234%$%-5%-)0%&)'%&"$%-0%-)h%&#2-)L(03%-M))
)
�������
�������
>4&"?@%),-0)1233,-(C"$(2-)
Z"442&$)
>$%&%2$W4(%-))
!
�
.%3%(-#"3%)>4&"?@%)
�
>?@BS##%BL+&$%&)
R%C2-#$&,C$(2-)
�
[(&C,B=&%);&".%-)
�
Z%O&"(3(-.)
A%#?@B%?@$%&&2BB%-))
X--%&%#)h"&B"3%-$)
A%#?@B%?@$%&(0%-$($=$)
QW42$@%$(#?@%);&".%-)
�������
)
X-$%&"C$(2-#3,#$%&))
)
A%#?@B%?@$%&'&(BB%)
)
J''(B0,-.):H)*+#,-.#2&(%-$(%&$%)D%&"$,-.)(3)12-$%P$)U2-)A%-0%&#%-#('(B($=$)k%(.%-%)R"&#$%BB,-.l)
)
!
d:!
5.1. Expertise des Wissens und Nicht-­‐Wissens Die lösungsorientierte Beratung geht von einer Haltung des Nicht-­‐Wissens aus. Die beratende Person ist einzig Expertin darin, die Klientin oder den Klienten im Lösungsprozess zu begleiten. Für den Inhalt der Beratung ist jedoch die ratsuchende Person Expertin (Gaiswinkler & Roessler, 2007, S. 280). Lu-­‐
dewig (1999) ordnet bereits die lösungsorientierte Beratung in die Position des Wissens ein, da zur Lösungsorientierung Techniken, Instrumente und Werkzeuge gehören, welche zu einer wirksamen Beratung erlernt werden können. Ludewigs Ansicht nach vertreten Harold A. Goolishian und Harlene Anderson mit ihrem narrativen Ansatz47 und ihrer Position der grenzenlosen Neugierde eine Position des Nicht-­‐Wissens (S. 58-­‐60). Das hier verwendete Verständnis bezieht sich auf die Ausführungen von Wolfgang Gaiswinkler und Marianne Roessler. Lösungsorientierte Beratung geht von einer nicht-­‐wissenden Haltung in Bezug auf die Lösungsfindung aus. Inwiefern nun jedoch das Fachwissen von Menschen in Beratungsstellen zum Einsatz kommen kann, soll hier kurz geklärt werden. Menschen, die beraterisch tätig sind, arbeiten beispielsweise im Bereich der Sozialen Arbeit. In die-­‐
sem Arbeitsfeld wird über eine Vielfalt an Wissen verfügt wie zum Beispiel spezifische Kenntnisse zu rechtlichen Fragen im Kindesschutz oder Wissen zu finanziellen Angelegenheiten bei Verschuldungen. Gaiswinkler und Roessler (2007) unterscheiden zwischen zwei Expertisen: der Expertise des Wissens und der Expertise des Nicht-­‐Wissens. Die Expertise des Wissens beinhaltet Fachkompetenzen wie Informationen, Wissen über Zuständigkeiten oder Wissen über verfügbare Ansprüche. Die Expertise des Nicht-­‐Wissens beschreiben sie als die kommunikative Expertise. Diese impliziert, dass Menschen stets gute Gründe für ihr Verhalten haben. Die Orientierung an den Ressourcen und Kompetenzen ist dabei zentral. Die Expertise des Wissens und des Nicht-­‐Wissens dürfen jedoch nicht als sich gegenü-­‐
berstehende Positionen verstanden werden. Die Expertise des Nicht-­‐Wissens bildet in der Beratung den Rahmen, darin hat jedoch die Expertise des Wissens Platz und wird von der Haltung des Nicht-­‐
Wissens gesteuert. Als Beispiel dazu kann eine beratende Person sich aktiv das Einverständnis der ratsuchenden Person einholen, ob sie ihr fachliches Wissen mitteilen solle48 (S. 283-­‐288). 5.2. Sprache und Kommunikation Wie das Kapitel 2.3 zur konstruktivistischen Sicht über Sprache und Kommunikation aufzeigt, ist Sprache Mittel zur Herstellung von Wirklichkeit. Was wirklich, real oder objektiv ist, ist schlussendlich eine subjektive Festlegung. Erst der soziale Kontext, das Erstellen von gemeinsamen Codes führt zu !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
47
Wirklichkeit setzt sich einzig aus Geschichten zusammen, Erzählungen und das darüber Sprechen bilden die Welt, in der wir leben (von Schlippe & Schweitzer, 2007, S. 40-­‐42). 48
Um Erlaubnis fragen für das Mitteilen von Informationen äussert eine andere Haltung als das ungefragte Informieren.!
!
44!
so genannten Normen. Dies bildet auch die Grundannahme „Bedeutung und Erfahrung sind interak-­‐
tional konstruiert“ ab. Wie Hargens (2008) beschreibt, beeinflussen sich sozialer Konsens und soziale Macht gegenseitig. Denn werden Wirklichkeiten verabsolutiert und beispielsweise verbindliche Verhaltensvorschriften aufgestellt, wird eine soziale Macht kreiert, mit dem Ziel, genau diese Verhaltensvorschriften einzu-­‐
halten. Somit werden Zuschreibungen wie besser, passender oder richtiger kreiert, welche implizit mit dem Berufsbild der Beratung mitschwingen. An das Kapitel 4.5.3 anknüpfend unterstützen selbsterfüllende Prophezeiungen diesen Vorgang zusätzlich: Berufsleute beispielweise der Sozialen Arbeit sind oft in der Position, Sachverhalte festzulegen und einschätzen zu müssen, ob jemand krank oder gesund ist, sich gestört oder angepasst verhält (S. 144-­‐145). Geschlechtertypische Unterschiede in der Sprache existieren nicht per se. Wie Klann-­‐Delius aufzeigt, betrachten die Studien den Geschlechteraspekt losgelöst vom Kontext wie den sozialen Status oder die Gruppenzusammensetzung. Entsprechend sind Aussagen über geschlechterspezifisches Sprach-­‐ und Kommunikationsverhalten immer auch sich selbsterfüllende Aussagen. Differenz-­‐ oder auch gleichheitstheoretisch argumentiert könnte angenommen werden, dass sich der männliche Kommunikationsstil weniger für gewisse Fragestellungen der Lösungsorientierung eignet, die weibliche Sprache dagegen eine höhere Passung mit sich bringt. So könnte beispielsweise der dominantere und fachlich orientierte Stil eines Mannes keine gute Passung ermöglichen, wenn der Berater oder die Beraterin im lösungsorientierten Kontext die Wunderfrage stellt oder das Kreieren von hypothetischen Aussagen in der Zukunft erfragt. Andererseits könnte einer Frau mit einem eher auf die Beziehungsebene ausgerichteten Gesprächsstil die Fokussierung auf die Lösungssuche zu schnell gehen und die Schilderung der persönlichen Problemlage, des Leidens als beziehungsfördern-­‐
des Element von Nutzen sein. Da in dieser Arbeit jedoch von einer konstruktivistischen Sichtweise ausgegangen wird, stellt sich vielmehr die Frage, welche lösungsorientierten Methoden und Werkzeuge sich anbieten, um dem Gegenüber möglichst unvoreingenommen, so wie er oder sie sich präsentieren möchte, begegnen zu können und somit das Risiko, sich selbsterfüllende Verhaltensweisen zu vermindern. Dass ich bei der ersten Begegnung den Menschen sogleich in die Kategorie der Zweigeschlechtlichkeit einteile, ist unvermeidlich. Es stellt sich jedoch die Frage, wie bewusst ich diese Brille auch wieder ablegen kann und welche Instrumente aus der Lösungsorientierung sich dazu anbieten. Im Gegensatz zur Aussage Tannens, dass Männer und Frauen sich nicht verstehen können, bietet die Lösungsorientierung Möglichkeiten, einen gemeinsamen Rapport zu kreieren49. Das Verwenden von !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
49
Vergleiche Kapitel 3.5.1 !
45!
Schlüsselwörtern erscheint mir in dieser Hinsicht zentral. Wie de Jong und Berg (2008) feststellen, ist das Arbeiten mit Schlüsselwörtern nicht einfach. Das ungeübte Wiederholen kann beim Gegenüber eher als eine gewisse Skepsis oder Ablehnung ankommen. Insofern ist es sehr wichtig genau hinzuhö-­‐
ren, wie und was das Gegenüber sagt (S. 58-­‐59). Das aktive Zuhören ist ein wichtiges Element in der lösungsorientierten Beratung. Die Loskopplung vom eigenen Bezugsrahmen, das Vertiefen in die Aussagen des Gegenübers, sozusagen mit dem ganzen Körper anwesend sein, ermöglicht es, den Menschen als Ganzes wahrzunehmen und nicht auf einzelne Kategorien wie männlich oder weiblich zu reduzieren. In dem darauf geachtet wird, wer und was von der ratsuchenden Person angespro-­‐
chen wird, sollen persönliche Wertungen durch den Vergleich mit dem eigenen Bezugsrahmen ver-­‐
mindert werden. Dies würde auch einer gendersensiblen Beratung wie sie Schigl (2012) beschreibt gerecht werden. Gendersensibel meint die Berücksichtigung unterschiedlicher gesellschaftlicher An-­‐
forderungen an Männer und Frauen. Die Bedingungen, Belastungen und Ressourcen sind unter-­‐
schiedlich, werden jedoch von jeder Person wieder anders empfunden und erlebt. Das aktive Zuhören, das Kreieren eines gemeinsamen Rapports und das Verwenden von Schlüssel-­‐
wörtern sind somit methodische Elemente (Können), welche die Erkenntnisse der geschlechtertypi-­‐
schen Kommunikation und Sprache (Wissen) berücksichtigen. 5.3. Stereotypien Elliot Aronson, Timothy D. Wilson und Robin M. Akert (2008) stellen verschiedene Zuordnungen in der Frage der Geschlechterdifferenzen zusammen. Unter anderem halten sie fest, dass Frauen Erfolg meist externen Faktoren zuschreiben, Männer hingegen Erfolg mit der eigenen Person in Verbindung bringen. Genau gegenteilig zeigt sich das Bild bei Misserfolgen: Männer schreiben Misserfolgen eher äusseren Umständen zu, Frauen hingegen verbinden diesen mit ihrem persönlichen Versagen (S. 427). Geschlechterstereotypien und Geschlechterrollen bilden wie in Kapitel 4.5 erläutert starre und ver-­‐
einfachte Konstruktionen von typisch männlichem und typisch weiblichem Verhalten. Geschlechter-­‐
stereotypien sind änderungsresistent und verhelfen dem Menschen, sich in der komplexen Welt zu orientieren. Sie verleiten jedoch auch dazu, die Annahmen als objektiv wahr zu betrachten, was sie jedoch nicht sind. Die Lösungsorientierung gibt darauf mit der folgenden Grundannahme eine einfa-­‐
che Antwort: „Nichts ist immer dasselbe“. Änderungen treten demzufolge immer auf und sind un-­‐
vermeidbar. Wie in Kapitel 4.2.3 beschrieben, ist Butler der Ansicht, dass Veränderungen durch dekonstruktivisti-­‐
sches Denken ermöglicht und erprobt werden. De Shazer (2010) benutzt in diesem Zusammenhang den Begriff der Dekonstruktion des globalen Rahmens: „Allgemeiner ausgedrückt soll der Dekon-­‐
!
46!
struktionsprozess die Therapiesituation an einen Punkt führen, wo etwas unterscheidbar ist, wo die gesamte Logik des globalen Rahmens nach Gedanken, Gefühlen oder Verhaltensweisen verlangt, die ausserhalb der gegenwärtigen gedanklichen oder gefühlsmässigen Verfassungen des Klienten lie-­‐
gen“ (S. 119). Die Arbeit mit und an Ausnahmen eignet sich ideal, um aufzuzeigen, dass alles in steter Veränderung ist. Ausnahmen verweisen auf Alternativen, auf unbewusst funktionierende Lösungen. Ein Beispiel könnte sein, dass Jungen bereits früh von der Gesellschaft mitgeteilt bekommen, dass Schwäche zeigen keine männliche Eigenschaft ist. Ein Schüler erledigt seine Hausaufgaben seit längerer Zeit nicht mehr oder nur unvollständig. Auf eine Ausnahmefrage erläutert er, dass er bei der Lehrperson nachfragte, was tatsächlich zu tun sei. Das Nachfragen empfand er jedoch als Schwäche, die er sich nicht zu getrauen zeigte. Dennoch hat er gefragt (Ausnahme). Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass Ausnahmen immer auch auf Verhaltensweisen hinweisen können, die unter Umständen nicht mit dem eigenen (Geschlechter-­‐) Bild übereinstimmen. Die Ausführungen in Kapitel 4.5 zur Entwicklung der Geschlechterrollen zeigen auf, dass Menschen von sichtbaren Verhaltensweisen und ausgeführten Arbeiten oder Tätigkeiten auf die innere Disposi-­‐
tionen schliessen. Untersucht man dieses Argument unter einem lösungsorientierten Blick, sticht der Vergleich der Landkarte mit der Landschaft von de Shazer (2010) ins Auge (S. 101-­‐102) . Die Landkar-­‐
te ist ein Abbild der Landschaft, sie ist aber nicht die Landschaft. Sichtbare Verhaltensweisen von Menschen bilden stets einen Teil, nie aber ein absolutes und vollständiges Bild dieser Person ab. Konstruktivistisch betrachtet können Bedeutungen und Konstruktionen durch die Sprache verändert werden (Bamberger, 2010, S. 320). Wie Werner und Gottburgsen50 beschreiben, bestehen Annah-­‐
men von geschlechterstereotypem Kommunikationsverhalten. Männer würden oft ihre eigene Posi-­‐
tion mit Vehemenz vertreten, ohne die Ansichten der anderen zu berücksichtigen, Frauen seien viel-­‐
mehr darauf bedacht, ihre Position oder Meinung zu Gunsten der Beziehung abzuschwächen oder anzupassen. Meiner Ansicht nach bieten sich einige Methoden der Lösungsorientierung an, um auf solche Ge-­‐
schlechterstereotypien reagieren zu können. Wie bei vielen Geschlechterstereotypien sichtbar ist, verhalten sich die Zuschreibungen von typisch weiblichem und typisch männlichem (Kommunikati-­‐
ons-­‐) Verhalten reziprok zu einander. Wie Schigl (2012) feststellt, sind beide Geschlechter an der Herstellung und der Aufrechterhaltung der Geschlechterverhältnisse, aber auch der Stereotypien beteiligt. Die Geschlechterrollen stehen komplementär zueinander (S. 91). Auch Sabine Kirschenho-­‐
fer und Verena Kuttenreiter (2010) betonen in ihren Ausführungen die gegenseitige Abhängigkeit. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
50
Vergleiche dazu Kapitel 4.5.1 !
47!
Männliches und weibliches Verhalten stehen sich gegenüber, das Spiel wird in Anlehnung an George Spencer-­‐Brown stets von zwei Personen gespielt (S. 105). Gemeinsamkeiten sind weit weniger be-­‐
deutend. Systemisch betrachtet bedingen sich Elemente eines Systems stets gegenseitig, sie sind in ständiger Wechselwirkung zueinander formiert. Durch die noch immer vorherrschende Zweige-­‐
schlechtlichkeit wird die Frau als Gegenpol zum Mann und umgekehrt gesehen. Wie in Kapitel 4.2.2 festgehalten, definiert Pasero die Unterschiede zwischen Mann und Frau als gesellschaftlich höchst relevant. Durch die systemische Sichtweise und das Prinzip der Zirkularität51 wurden Methoden wie das zirku-­‐
läre Fragen entwickelt. In der Lösungsorientierung werden solche systemischen Fragen ebenfalls verwendet. Ziel ist es, die Positionen anderer (wichtiger) Bezugspersonen innerhalb eines Systems einzubeziehen, deren Gedanken hypothetisch zu erfragen und sich so in andere Perspektiven zu ver-­‐
setzen (Bamberger, 2010, S. 115). Durch das zirkuläre Fragen können einerseits neue Zugänge zu sich selber gefunden werden. Indem man sich in die Position einer anderen Person versetzt, können Aus-­‐
sagen über sich selber gemacht werden, die unter Umständen auf direkte Weise nicht möglich sind. Andererseits geben zirkuläre Fragen auch Auskunft darüber, wie eine Person sich in Bezug auf eine andere Person erlebt. So kann beispielsweise die ratsuchende Person gefragt werden wie ihr Part-­‐
ner/ihre Partnerin sie in einer konkreten Situation erlebt. Die Antwort gibt der ratsuchenden Person sowohl Informationen über sich selber, aber auch Informationen zur Beziehung. Hier können bei-­‐
spielsweise Beziehungsmuster und Erwartungen auch an die Geschlechterrolle sichtbar gemacht werden. Auch die Arbeit an Ausnahmen fördert den Perspektivenwechsel, sie macht Ressourcen und Kompe-­‐
tenzen einer Person sichtbar. Eine weitere Form des Perspektivenwechsels ist die Methode des Re-­‐
fraimings. Refraiming meint die Betrachtung unter einem anderen Blickwinkel. Es wird ein anderer oder neuer Bezugs-­‐ oder Bedeutungsrahmen hergestellt (Bamberger, 2010, S. 123). Ein Beispiel dafür ist die Umdeutung der folgenden Beschreibung: „sein Auftreten ist sehr dominant“ in „er kann sich für seine Anliegen einsetzen“. Die Umdeutung ist die aktive Umsetzung der Grundannahme „Nichts ist immer dasselbe“. Durch das Angebot, Situationen umzudeuten, können bestehende Bilder und Muster irritiert werden. Auf Grund des Wissens über selbsterzeugende und selbstregulierende Sy-­‐
steme ist zu berücksichtigen, dass die Art der Veränderung und die Auswirkungen von der beraten-­‐
den Person nicht gesteuert oder kontrolliert werden können. Das Wissen hinsichtlich der Herstellung von Geschlechterstereotypien kann durch die lösungsorien-­‐
tierte Beratung berücksichtigt werden, indem mit Ausnahmen, dem Prinzip der Zirkularität sowie der Methode des Refraimings gearbeitet wird. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
51
Vergleiche dazu Kapitel 2.1.2 !
48!
5.4. Geschlechteridentität und –rolle Wie Kleve (2009) erläutert, ist Identität stets ein soziales Konstrukt. In Anlehnung an die Systemtheo-­‐
rie Luhmanns stellt Kleve fest, dass konstante Erwartungen innerhalb sozialer Systeme zur Ausbil-­‐
dung der Identität führt52. Identität ist aber nicht als etwas im Menschen Verankertes zu sehen. „Demzufolge kann sich die Identität als Person in Abhängigkeit von unterschiedlichen sozialen Kon-­‐
texten sehr verschiedenartig offenbaren“ (S. 90). Auch die in Kapitel 4.5.3 zusammengefassten Aus-­‐
sagen der Autoren Deaux und Major bestätigen, dass Menschen situations-­‐ und interaktionsspezifi-­‐
sche Identitäten ausbilden können, jedoch auf Grund sozialer Erwünschtheit reduziert und stereoty-­‐
pisiert werden. Diese Sichtweise unterstützt die konstruktivistische Sicht auf die Geschlechterverhältnisse. Wie bei Heike Schlottau (2001) und Renate Rogall (2001) anschaulich beschrieben wird, gibt es nicht den typischen Mann oder die typische Frau. In der Gesellschaft herrschen unterschiedliche Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit. Luhmann ist der Ansicht, dass die Gesellschaft funktional differenziert ist. Wie Weinbach (2004) fest-­‐
hält, werden Menschen daher entsprechend ihrer Funktion und nicht mehr an Hand funktionsexter-­‐
ner Merkmalen wie dem Alter, der sozialen Schicht oder dem Geschlecht inkludiert53. Auch Wein-­‐
bach setzt sich vertieft mit den Geschlechtsrollen und stabilen Geschlechtsrollenerwartungen aus-­‐
einander und bestätigt sozial hergestellte Differenzen zwischen Männern und Frauen (S.15, 39-­‐50). Ich möchte an dieser Stelle die Thematik unterschiedlicher Bilder von Frauen und unterschiedlicher Bilder von Männern aufgreifen. Wie in Kapitel 4.3 festgehalten, sind die Unterschiede innerhalb der Geschlechter grösser als diejenigen zwischen den Geschlechtern. In diesen Zusammenhang gehört das von Gunther Schmidt entworfene Modell des „inneren Parla-­‐
ments“, welches als ergänzend zur Lösungsorientierung betrachtet werden kann. Gunther Schmidt ist der Begründer der hypnosystemischen Therapie54, welche er in Zusammenarbeit mit Helm Stierlin und auf Grund der Arbeiten von Erickson entwickelte. Das Modell des inneren Parlaments versucht der Vielschichtigkeit und Differenziertheit einer Person gerecht zu werden. Verschiedene Sichtweisen auf eine Problematik und damit verbundene Ambivalenzen werden thematisiert, indem die unter-­‐
schiedlichen Seiten besprochen und als gleichwertig behandelt werden (Ursula Fuchs, 2012, S. 3, S. 31-­‐32). Das Ansprechen verschiedener Seiten erlaubt es, unterschiedliche Bilder über sich selber anzusprechen, auszusprechen und miteinander in Einklang zu bringen. So ist es auch möglich, ver-­‐
schiedenartige Geschlechteridentitäten aufzufächern. Indem diverse Seiten einer Person themati-­‐
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
52
Vergleiche dazu den Anhang Prozesse der Inklusion und Exklusion werden im Anhang kurz erläutert. 54
Die hypnosystemische Therapie ist keine ausschliesslich lösungsorientierte Therapie, hat jedoch viele Ge-­‐
meinsamkeiten mit der Lösungsorientierung und kann in diesem Sinne als gute Ergänzung betrachtet werden (Bamberger, 2010, S. 28).!
53
!
49!
siert werden, werden verschiedene Verhaltensweisen deutlich. So könnten beispielsweise die unter-­‐
schiedlichen Weiblichkeiten und Männlichkeiten einer Person zum Ausdruck gebracht werden, in-­‐
dem sie aus den folgenden Positionen argumentieren würde: im Berufsleben, in der Partnerschaft, in Freundschaften und als Kind der eigenen Eltern. Aus konstruktivistischer Sicht gibt es nicht die Wahr-­‐
heit oder etwas einzig Richtiges. Die Denkrichtung des „inneren Parlaments“ kann insofern in die Lösungsorientierung übertragen werden, als dass in der Lösungsorientierung einerseits stark mit Perspektivenwechseln gearbeitet wird und diese Form als Ergänzung dazu gesehen werden kann. Zudem ist ein Hauptmerkmal der lösungsorientierten Beratung die Arbeit mit hypothetischen Fragen wie beispielsweise der Wunderfrage. Das hypothetische Durchgehen von Möglichkeiten im Sinne von „angenommen, dass ...“ gehören zur Methodik der Lösungsorientierung (Bamberger, 2010, S. 354). Um die Vielfalt des Menschen, insbesondere die Möglichkeit verschiedene Rollen und Geschlechter-­‐
identitäten abbilden und thematisieren zu können, scheint mir das transparent Machen des eigenen inneren Parlaments und der persönlichen Ambivalenzen sinnvoll. 5.5. Selbstreflexive Kompetenzen Selbstreflexion ist in der (lösungsorientierten) Beratung unverzichtbar. Wie im Kapitel zur Gender-­‐
kompetenz ersichtlich, bildet das „Wollen“ einen zentralen Aspekt. Systemisch betrachtet ist die beratende Person stets Teil des Systems und nimmt mit ihren Verhaltensweisen und Aussagen Ein-­‐
fluss auf die ratsuchende Person. Wie in Kapitel 2.1.1 beschrieben gehören selbstreflexive Prozessse zur professionellen Arbeit. Insofern ist es unabdingbar, sich mit der eigenen Rolle, der eigenen Posi-­‐
tion, der eigenen Wahrnehmung und dem eigenen Handeln auseinanderzusetzen. In der Literatur zur gendersensiblen Beratung wird darauf hingewiesen, wie wichtig die Auseinandersetzung mit der persönlichen Vorstellung, wie Männer und Frauen „sind“ oder „zu sein haben“ ist. Das eigene Bild von Weiblichkeit und Männlichkeit nimmt Einfluss auf die beraterische Situation. Daher ist es meiner Ansicht nach äusserst wichtig, sich dieser Fragen anzunehmen, die persönliche Haltung und die per-­‐
sönlichen Bilder zu reflektieren und ihre Auswirkungen auf die Begegnung in Beratungssituationen zu hinterfragen. Ein Beispiel für meine persönliche Reflexion der Geschlechterbilder: Die lösungsorientierte Beratung stellt mit den Interaktionsmustern drei so genannte Typen zur Verfügung, Klagende, Besuchende und Kundinnen/Kunden. Ich habe mir Gedanken zum Umgang mit weiblichen Klagenden im Gegensatz zu männlichen Klagenden sowie über die eigene Wahrnehmung männlicher Besuchenden im Unter-­‐
schied zu weiblichen Besuchenden gemacht. Ich stellte fest, dass ich das Klagen als etwas „typisch Weibliches“ betrachtete. Entsprechend ordnete ich das klagende Verhalten weiblicher Personen als normal ein. Klagende Männer hingegen schienen mir seltener. Die unterschiedliche Wahrnehmung !
50!
wirkte sich auf meine Reaktion aus: Ich hatte den Eindruck, Frauen früher in Richtung Lösung bringen zu wollen und Männern eine längere Redezeit zu gewähren. Beim Muster der Besuchenden zeigten sich ebenfalls geschlechterspezifische Wahrnehmungen. Die in der Literatur beschriebenen Verhaltensweisen und Rollen von Besucherinnen und Besuchern scheinen eher die stereotyp männlichen Bilder zu beschreiben. In der Arbeit stellte ich fest, dass ich Männern eine besuchende Rolle zuschrieb, obwohl ich bei näherem Nachfragen und Hinhören reali-­‐
sierte, dass sie sich eher in einer klagenden Rolle befanden. Diese Überlegungen sind nicht repräsentativ. Sie sollen jedoch vor Augen führen, wie wichtig die selbstreflexive Arbeit im Beratungsprozess ist. Schlussendlich steuern Beratungspersonen die Situati-­‐
on stets mit und sind somit Teil der Dynamik des Systems, in Anlehnung an die Kybernetik 2. Ord-­‐
nung55 . In diesem Sinne ist es äusserst wichtig, regelmässig eine Metaebene einzunehmen und die eigene Rolle im Beratungsprozess zu reflektieren. Dabei erscheint es mir relevant zu hinterfragen, mit wel-­‐
cher Brille ich eine Situation betrachte. Das Überdenken des Einflusses des Geschlechts sowie das Erkennen geschlechterherstellender Interaktionen und Verhaltensweisen gehören meiner Meinung nach zu einer professionellen Arbeit. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
55
Vergleiche dazu Kapitel 2.1.1 !
51!
6. Fazit Als zusammenfassende Antwort auf die Frage, wie die lösungsorientierte Beratung auf die Herstel-­‐
lung von Geschlechterkonstruktionen, insbesondere geschlechterspezifischer Kommunikationsfor-­‐
men einwirken kann, stelle ich fest, dass verschiedene Aspekte der lösungsorientierten Beratung „Doing-­‐Gender-­‐Prozesse“ beeinflussen können. Grundsätzlich bildet die lösungsorientierte Haltung in der Beratung, gekennzeichnet durch die Wertschätzung, Ressourcenorientierung und Position des Nicht-­‐Wissens einen sinnvollen Zugang zum Menschen als individuell ausgeprägtes Wesen, welches nicht als Frau oder als Mann geboren wird, sondern zu diesem gemacht wird. Meine Ausführungen machen deutlich, dass sich die lösungsorientierte Beratung nicht geschlechterstereotyper Bilder be-­‐
dient und eine derartige Wahrnehmung zu vermeiden versucht. Insofern bietet sich die lösungsorien-­‐
tierte Beratung methodisch an, um die Herstellung von Geschlecht auf eine offene und individuelle Weise zu gestalten. „Typisch männlich“ und „typisch weiblich“ wird meiner Ansicht nach durch die lösungsorientierte Haltung zu „typisch menschlich“. Keine Vorgehensweise ist einzig richtig, höch-­‐
stens nützlicher oder sinnvoller in bestimmten Kontexten. Die lösungsorientierte Beratung liefert Informationen, die letztendlich für die ratsuchende Person von Nutzen sind. Es geht nicht darum, Informationen für die Beraterin/den Berater zu generieren, damit diese/dieser die erhaltenen Infor-­‐
mationen weiterverarbeiten kann und als Expertin/Experte eine Lösung anbieten kann. In gewissem Sinne ist die lösungsorientierte Beratung „genderblind“. Von Genderblindheit wird ge-­‐
sprochen, wenn einerseits die spezifischen Probleme, Ziele und Potentiale von Männern und Frauen nicht berücksichtigt werden und andererseits unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen von Män-­‐
nern und Frauen nicht anerkannt werden. Diese Voraussetzungen beziehen sich auf die Gestaltung an Entwicklungsprozessen und der Teilhabe an diesen Prozessen (Grünewald & von Gunten, 2009, S. 192). Die lösungsorientierte Beratung stellt sich nicht zur Aufgabe, geschlechterstereotypes Verhal-­‐
ten wie beispielsweise geschlechtertypische Sprachstile anzusprechen. Insofern werden Stereotype und Rollen ungefragt angenommen. Lösungsorientierung ist einzig daran interessiert, den Nutzen für eine Person zu suchen, nicht aber bestehende Ungleichheiten aufzuheben. Dennoch hat die lösungsorientierte Beratung Interesse daran, nachhaltige Veränderungen zu kreie-­‐
ren. Als Beispiel dazu dient die Ökologiefrage56, die darauf abzielt, diejenigen Bereiche anzusprechen, die durch eine Zielsetzung nicht verändert werden oder aber Schwierigkeiten zu berücksichtigen, welche durch das Ziel erst entstehen könnten (Maja Storch & Astrid Riedener, 2006, S. 174-­‐175). !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
56
Die Ökologiefrage zielt darauf ab, zu erfragen, was mit dem Erreichen des Ziels nicht behoben wird oder welche Nachteile das erreichte Ziel mit sich bringt. !
52!
7. Ausblick Durch die Auseinandersetzung mit der lösungsorientierten Beratung und der Frage der Geschlech-­‐
terkonstruktionen konnte die Fragestellung bearbeitet werden. Die Antworten sind nicht abschlie-­‐
ssend und könnten durch weiterführende Überlegungen ergänzt oder erweitert werden. Grundsätz-­‐
lich würde es mich nun sehr interessieren, inwiefern die in Kapitel 5 erarbeiteten Überlegungen in die Praxis umgesetzt werden können. Es ist mir ein Anliegen, die von mir zusammengestellten Ge-­‐
danken anzuwenden und Erfahrungen zu sammeln. Durch das Anstossen dieses grossen Themenbereichs haben sich während der Auseinandersetzung weitere Fragen eröffnet: Es würde mich sehr interessieren, den in der Arbeit kurz beleuchteten Aspekt des Einbezugs des Fachwissens fundierter zu behandeln. Die Beziehung zwischen dem fachlichen Wissen und der lö-­‐
sungsorientierten Haltung der Position des Nicht-­‐Wissens ist meiner Ansicht nach komplex. Die Aus-­‐
einandersetzung mit der Frage, ob eine Position des Nicht-­‐Wissens überhaupt eingenommen werden kann, würde mich reizen. Die lösungsorientierte Beratung scheint nicht den Anspruch zu haben, eine aktive Rolle in Bezug auf Geschlechterunterschiede einzunehmen. Obwohl sich das Modell sehr gut eignet, den Menschen unvoreingenommen zu betrachten, wird der Berater/die Beraterin nicht dazu aufgefordert, Verhal-­‐
tensweisen, welche die Gleichstellung der Geschlechter nicht berücksichtigen, zu thematisieren. Da meiner Ansicht nach jedoch die Gleichstellung zum Auftrag der Sozialen Arbeit gehört, wäre eine Ergänzung sinnvoll. Eine weiterführende Fragestellung könnte somit lauten: „Welches Modell würde sich anbieten, um dem Grundsatz des Gender Mainstreaming gerecht zu werden und inwiefern könnte dieses ergänzend zur lösungsorientierten Beratung eingesetzt werden?“ Schlussendlich wäre es interessant zu untersuchen, ob die Auseinandersetzung mit dem Alter oder dem kulturellen Hintergrund ähnliche Ergebnisse zu Tage fördern würde. Vom heutigen Standpunkt aus würde ich vermuten, dass die Überlegungen betreffend Geschlechterkonstruktionen und deren Berücksichtigung in der lösungsorientierten Beratung auf die Thematik des Alters oder der Kulturhin-­‐
tergründe übertragen werden können. !
53!
8. Literaturverzeichnis Abdul-­‐Hussain, Surur (2012). Genderkompetenz in Supervision und Coaching. Mit einem Beitrag von Ilse Orth und Hilarion G. Petzold zu „Genderintegrität“. Wiesbaden: VS Verlag. Aronson, Elliot; Wilson, Timothy D.; Akert, Robin M. (2008). Sozialpsychologie (6. aktualisierte Aufla-­‐
ge). München: Pearson Education. Ayass, Ruth (2008). Kommunikation und Geschlecht. Eine Einführung. Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH. Bamberger, Günter G. (2010). Lösungsorientierte Beratung (4., vollständig überarbeitete Auflage). Weinheim: Beltz Verlag. Berghaus, Margot (2011). Luhmann leicht gemacht (3. überarbeitete und ergänzte Auflage). Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag GmbH & Cie. Braun, Friederike (2004). Frauen und Sprachgebrauch: gesprächs-­‐ und kommunikationsanalytische Aspekte. In Eichhoff-­‐Cyrus, Karin M (Hrsg.), Adam, Eva und die Sprache. Beiträge zur Geschlechterfor-­‐
schung (S. 9-­‐26). Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag. Brückner, Margrit (2001). Gender als Strukturkategorie & ihre Bedeutung für die Sozialarbeit. In Gru-­‐
ber, Christine; Fröschl, Elfriede (Hrsg.), Gender-­‐Aspekte in der Sozialen Arbeit (S. 15-­‐23). Wien: Czer-­‐
nin Verlag. Budde, Jürgen (2010). Genderkompetenz für lebenslanges Lernen. Bielefeld: Bertelsmann. Conen, Marie-­‐Luise; Cecchin, Gianfranco (2011). Wie kann ich Ihnen helfen, mich wieder loszuwer-­‐
den? Therapie und Beratung mit unmotivierten Klienten und in Zwangskontexten (3. Auflage). Heidel-­‐
berg: Carl-­‐Auer Verlag. De Jong, Peter; Berg, Insoo Kim (2008). Lösungen (er-­‐)finden. Das Werkstattbuch der lösungsorien-­‐
tierten Kurztherapie (6., verbesserte und erweiterte Auflage). Dortmund: Verlag modernes lernen. De Shazer, Steve (2010). Der Dreh. Überraschende Wendungen und Lösungen in der Kurzzeittherapie (11. Auflage). Heidelberg: Carl-­‐Auer Verlag. !
54!
Eckes, Thomas (2010). Geschlechterstereotype: Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen. In Becker, Ruth; Kortendiek, Beate (Hrsg.), Handbuch Frauen-­‐. Und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie (3., erweiterte und durchgesehene Auflage, S. 178-­‐186). Wiesbaden: VS Verlag. Fuchs, Ursula (2012). Einführung in das hypno-­‐systemische Konzept nach Dr. Gunther Schmidt. Un-­‐
veröffentlichtes Unterrichtsskript. Hochschule Luzern Soziale Arbeit. Gaiswinkler, Wolfgang; Roessler, Marianne (2007). Empowerment konkret? Wie SozialarbeiterInnen in ihrem Alltag KlientInnen bei der Selbstermächtigung unterstützen und zugleich ihren institutionel-­‐
len Auftrag erfüllen – Anregungen durch den systemisch lösungsfokussierten Ansatz nach Steve de Shazer und Insoo Kim Berg. In EnwicklungspartnerInnenschaft Donau – Quality in Inclusion (Hrsg), Sozialer Sektor im Wandel. Zur Qualitätsdebatte und Beauftragung von Sozialer Arbeit (S. 277-­‐294). Linz: edition pro mente. Gergen, Kenneth J.; Gergen, Mary (2009). Einführung in den sozialen Konstruktionismus. Heidelberg: Carl-­‐Auer Verlag. Gildemeister, Regine (2010). Doing Gender: Soziale Praktiken der Geschlechterunterscheidung. In Becker, Ruth; Kortendiek, Beate (Hrsg.), Handbuch Frauen-­‐ und Geschlechterforschung. Theorie, Me-­‐
thoden, Empirie (3., erweiterte und durchgesehene Auflage, S. 137-­‐144). Wiesbaden: VS Verlag. Gottburgsen, Anja (2004). Kleiner Unterschied, grosse Wirkung: Die Wahrnehmung von weiblichem und männlichem Kommunikationsverhalten. In Eichhoff-­‐Cyrus, Karin M (Hrsg.), Adam, Eva und die Sprache. Beiträge zur Geschlechterforschung (S. 27-­‐41). Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenver-­‐
lag. Grässel, Ulrike (2004). Weibliche Kommunikationsfähigkeit – Chance oder Risiko für Frauen an der Spitze? In Eichhoff-­‐Cyrus, Karin M (Hrsg.), Adam, Eva und die Sprache. Beiträge zur Geschlechterfor-­‐
schung (S. 56-­‐68). Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag. Grawe, Klaus (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe Verlag. Gruber, Christine; Fröschl, Elfriede (2001). Einleitung. In Gruber, Christine; Fröschl, Elfriede (Hrsg.), Gender-­‐Aspekte in der Sozialen Arbeit (S. 13-­‐14). Wien: Czernin Verlag. !
55!
Grünewald-­‐Huber, Elisabeth; Von Gunten, Anne (2009). Werkmappe Genderkompetenz. Materialien für geschlechtergerechtes Unterrichten. Bern: Pestalozzianum Verlag. Hornscheidt, Antje (2009). Sprache / Semiotik. In Von Braun, Christina; Stephan, Inge (Hrsg.), Gen-­‐
der@Wissen: ein Handbuch der Gender-­‐Theorien (2. Auflage, S. 243-­‐263). Stuttgart: Böhlau Verlag GmbH & Cie. Hargens, Jürgen (2008). Aller Anfang ist ein Anfang. Gestaltungsmöglichkeiten hilfreicher systemi-­‐
scher Gespräche (3. Auflage). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Kirschenhofer, Sabine; Kuttenreiter, Verena (2010). Konstruktion von Geschlecht in Paartherapien – Ein Forschungsprojekt. In Brandl-­‐Nebehay, Andrea; Hinsch, Joachim (Hrsg.), Paartherapie und Identi-­‐
tät. Denkansätze für die Praxis (S. 80-­‐110). Heidelberg: Carl-­‐Auer Verlag. Klann-­‐Delius, Gisela (2005). Sprache und Geschlecht. Stuttgart: Carl Ernst Poeschl Verlag GmbH. Kleve, Heiko (2009). Konstruktivismus und Soziale Arbeit. Einführung in Grundlagen der systemisch-­‐
konstruktivistischen Theorie und Praxis (3., überarbeitete und erweiterte Auflage). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Kunert-­‐Zier, Margitta (2005). Erziehung der Geschlechter. Entwicklungen, Konzepte und Genderkom-­‐
petenz in sozialpädagogischen Feldern (1. Auflage). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Lambers, Helmut (2010). Systemtheoretische Grundlagen Sozialer Arbeit. Opladen & Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich. Ludewig, Kurt (1999). Psychosoziale Versorgung zwischen Expertentum und Nicht-­‐Wissen. Eine sy-­‐
stemische Sicht. In Karlinger, Harald (Hrsg.), Soziale Empfindsamkeit. Festschrift zum 50-­‐jährigen Bestehen des Instituts für Familien-­‐ und Jugendberatung der Stadt Linz (S. 53-­‐68). Linz: Magistrat Linz. Ludewig, Kurt (2002). Leitmotive systemischer Therapie. Stuttgart: Klett-­‐Cotta. Luhmann, Niklas (2008). Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch (3. Auflage). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. !
56!
Lutterer, Wolfram (2002). Die Ordnung des Beobachters: die Luhmannsche Systemtheorie aus der Perspektive systemischer Theorie. Sociologia Internationalis, 40. Band, 5-­‐33. Moser, Sybille (2011). Sprachgewohnheiten. In Pörksen, Bernhard (Hrsg.), Schlüsselwerke des Kon-­‐
struktivismus (S. 108-­‐123). Wiesbaden: VS Verlag. Piaget, Jean; Inhelder, Bärbel (2000). Die Psychologie des Kindes (8. Auflage). München: Deutscher Taschenbuch Verlag. Reinfandt, Christoph (2011). Das Wissen der Systeme. In Pörksen, Bernhard (Hrsg.), Schlüsselwerke des Konstruktivismus (S. 287-­‐299). Wiesbaden: VS Verlag. Rogall, Renate (2001). „Der Lebensgeschichte auf die Spur kommen“ – Weibliche und männliche Identität. In Burbach, Christiane; Schlottau, Heike (Hrsg.), Abenteuer Fairness: Ein Arbeitsbuch zum Gender-­‐Training (S. 153-­‐155). Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Samel, Ingrid (2000). Einführung in die feministische Sprachwissenschaft (2., überarbeitete und er-­‐
weiterte Auflage). Berlin: Erich Schmidt Verlag. Schigl, Brigitte (2012). Psychotherapie und Gender. Konzepte. Forschung. Praxis. Welche Rolle spielt die Geschlechtszugehörigkeit im therapeutischen Prozess? Wiesbaden: VS Verlag. Schlottau, Heike; Waldmann, Klaus (2001). Geschlechter als kulturelle und soziale Konstrukte. In Bur-­‐
bach, Christiane; Schlottau, Heike (Hrsg.), Abenteuer Fairness: Ein Arbeitsbuch zum Gender-­‐Training (S. 227-­‐241). Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Schlottau, Heike (2001). Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit. In Burbach, Christiane; Schlottau, Heike (Hrsg.), Abenteuer Fairness: Ein Arbeitsbuch zum Gender-­‐Training (S. 105-­‐108). Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Simon, Fritz B.; Clement, Ulrich; Stierlin, Helm (2004). Die Sprache der Familientherapie. Ein Vokabu-­‐
lar. Kritischer Überblick und Integration systemtherapeutischer Begriffe, Konzepte und Methoden (sechste, überarbeitete und erweiterte Auflage). Stuttgart: Klett-­‐Cotta. !
57!
Simon, Fritz B. (2011a). Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus (fünfte Auflage). Heidel-­‐
berg: Carl-­‐Auer Verlag. Simon, Fritz B. (2011b). Von der Psychotherapie zur Erkenntnistheorie. In Pörksen, Bernhard (Hrsg.), Schlüsselwerke des Konstruktivismus (S. 226-­‐238). Wiesbaden: VS Verlag. Storch, Maja; Riedener, Astrid (2006). Ich packs! Selbstmanagement für Jugendliche. Ein Trainings-­‐
manual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell (2., überarbeitete Auflage). Bern: Verlag Hans Huber. Von Glasersfeld, Ernst (1994). Einführung in den radikalen Konstruktivismus. In Watzlawick, Paul (Hrsg.), Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Kon-­‐
struktivismus (8. Auflage, S. 16-­‐38). München: R. Piper & Co. Von Glasersfeld, Ernst (2011). Theorie der kognitiven Entwicklung. In Pörksen, Bernhard (Hrsg.), Schlüsselwerke des Konstruktivismus (S. 92 -­‐107). Wiesbaden: VS Verlag. Von Schlippe, Arist; Schweitzer, Jochen (2007). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung (10. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. Walter, John L.; Peller Jane E. (2004). Lösungs-­‐orientierte Kurztherapie. Ein Lehr-­‐ und Lernbuch (6. Auflage). Dortmund: Verlag modernes lernen. Watzlawick, Paul; Beavin, Janet H.; Jackson, Don D. (2011). Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien (zwölfte unveränderte Auflage). Bern: Verlag Hans Huber. Weinbach, Christine (2004). Systemtheorie und Gender. Das Geschlecht im Netz der Systeme. Wies-­‐
baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wetterer, Angelika (2010). Konstruktion von Geschlecht: Reproduktionsweisen der Zweigeschlecht-­‐
lichkeit. In Becker, Ruth; Kortendiek, Beate (Hrsg.), Handbuch Frauen-­‐. Und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie (3., erweiterte und durchgesehene Auflage, S. 126-­‐133). Wiesbaden: VS Verlag. !
!
58!
Anhang A: Operativer Konstruktivismus nach Luhmann Die in der Literatur beschriebenen Ausführungen zum „operativen Konstruktivismus“ basieren auf den Überlegungen des Soziologen Niklas Luhmann (1927-­‐1998). Verfolgt man die Ideen Luhmanns (1984) so muss man sich darauf einlassen, dass mit seinen Ansichten und Erklärungen ein Paradig-­‐
menwechsel innerhalb der allgemeinen Systemtheorien einhergeht (zit. in Kleve, 2009, S. 70). Die moderne Gesellschaft stützt sich auf ein humanistisches Menschenbild. Im Humanismus wird der Mensch als ganzes Wesen betrachtet. Ihm liegt das Streben nach der Verbesserung des Daseins des Menschen zugrunde (Bamberger, 2010, S. 47). Luhmann (2008) hingegen spricht nicht mehr vom Menschen: „Für eine auf den Menschen verwei-­‐
sende Forderungssemantik gibt es daher kaum noch Ansatzpunkte in der Realität“ (S.8). Luhmann vertritt laut Margot Berghaus (2011) keinen klassisch humanistischen Erklärungsansatz. Er ist jedoch in keinster Weise inhuman oder menschenfeindlich. Luhmann verabschiedet sich einzig vom Menschen als „Analyseeinheit“. Seiner Ansicht nach sind einzig soziale Systeme sind in der Lage zu kommunizieren (S.32-­‐34). Luhmann (2008) kritisiert, dass soziologische Konzepte das soziale Handeln dem Menschen zuschrei-­‐
ben würden, ohne genau zu klären, was genau handelt, wenn ein Mensch handelt. Seine Antwort bildet ein komplexes Theoriemodell drei aufeinanderbezogener und voneinander abhängiger, ope-­‐
rierender Systeme (S. 8-­‐11). Luhmanns Ausführungen sind konstruktivistisch und gleichzeitig system-­‐
theoretisch. Er ist der Meinung, dass die Welt nur durch Beobachtungen und Unterscheidungen er-­‐
kannt werden kann. Diese werden jedoch durch die beobachtende Person konstruiert. Gleichzeitig ist Luhmann jedoch der Ansicht, dass Systeme in der Realität existieren (Berghaus, 2011, S. 30). a. Systeme operieren Luhmann verwendet sich in seinen Ausführungen konsequent den Begriff „System“. Er beschreibt in seinen Büchern drei unterschiedliche Systeme: biologische, psychische und soziale Systeme. Diese drei Systeme bestehen stets aus Operationen: Biologische Systeme leben, psychische Systeme ope-­‐
rieren durch Bewusstseinsprozesse (Wahrnehmen, Denken) und soziale Systeme kommunizieren (Berghaus, 2011, 38-­‐39). Nach Luhmann (2008) werden Menschen mit ihrem Körper und ihren Fähig-­‐
keiten zur Wahrnehmung der Umwelt der sozialen Systeme zugerechnet (S.10). Alle drei Systeme können sich, so Luhmann (1988), wechselseitig anstossen und irritieren. Sie sind strukturell gekop-­‐
pelt. Eine enge strukturelle Kopplung liegt zwischen dem Bewusstsein und der Kommunikation vor57 (zit. in von Schlippe & Schweitzer, 2007, S. 72). !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
57
Vergleiche dazu die Ausführungen im folgenden Kapitel „Sinn“ !
59!
Was bei Luhmann besonders heraussticht ist die Fokussierung auf den Unterschied: jedes System operiert immer in Differenz zu seiner Umwelt, also zu allem anderen als dem System selbst (Berg-­‐
haus, 2011, 38-­‐39). Gleichzeitig geht Luhmann davon aus, dass Systeme autopoietisch organisiert sind (Berghaus, 2011, S. 50-­‐59; Lambers, 2010, S. 28-­‐29). Systeme operieren also stets in Abgrenzung zu ihrer Umwelt. Eine Form des Operierens ist das Beo-­‐
bachten dieser Abgrenzung zur Umwelt. Nach Luhmann kopieren Systeme nun diese Grenze zwi-­‐
schen dem so genannten innen und aussen in das System hinein. Er spricht dabei von Selbst-­‐ und Fremdreferenz. Ein System ist demnach in der Lage, etwas auf sich selber oder auf die Umwelt zu beziehen. Somit wird ein durch das System hergestellter Unterschied zu einem im System beobach-­‐
teter Unterschied. Da die Abgrenzung zur Umwelt jedoch schlussendlich vom System selber vollzo-­‐
gen wird, darf die Grenze zwischen System und Umwelt nicht als vorweg fixierte Grenze angenom-­‐
men, sondern muss stets als Konstrukt des Systems betrachtet werden (Berghaus, 2011, S. 43-­‐45; Weinbach, 2004, S. 20). b. Sinn In diese Unterscheidung von Selbst-­‐ und Fremdbezogenheit fügt Luhmann nun den Begriff „Sinn“ ein. Das Erleben oder Handeln ist schlussendlich immer eine Selektion nach Sinnkriterien: indem etwas in Abgrenzung zu seiner Umwelt erlebt wird oder indem in Abgrenzung zu seiner Umwelt gehandelt wird, wird zwangsläufig eine Aussage über das System selbst gemacht (Lambers, 2010, S. 93; Wein-­‐
bach, 2004, 20-­‐21). Von Schlippe und Schweitzer (2007) halten fest: „In sozialen Systemen hingegen entstehen Grenzen durch Vereinbarungen darüber, was und wer zum System dazugehören und nicht dazugehören soll. Über die Mitgliedschaft definiert ein soziales System stets auch, was den Kern sei-­‐
ner Identität, seiner Sinngebung ausmacht“ (S. 59). Sinn ist somit eine aktive Auswahl aus der Überfülle von Möglichkeiten des menschlichen Erlebens und soll Komplexität reduzieren. Menschen erinnern sich demnach an bevorzugte Sinnkonstrukti-­‐
onsmuster und nehmen das heraus, was aus ihrer Erinnerung passt (S.72-­‐73). Nach Luhmann sind psychische und soziale Systeme so genannte „Sinnsysteme“. Da psychische und soziale Systeme den Sinn selber erzeugen, wirkt die Umwelt auf das System nur ein, wenn es den Sinn zu irritieren vermag (Lambers, 2010, S. 93). c. Funktionssysteme Lambers (2010) beschreibt Luhmanns Hauptanliegen in der Analyse der Gesellschaft (S. 55). Nach Luhmann leben wir heute in einer modernen Gesellschaft. Um die Komplexität der Gesellschaft zu reduzieren, kreiert die Gesellschaft Teilsysteme, so genannte Funktionssysteme. Nach Luhmann !
60!
nimmt der Mensch nicht als Ganzes an einem solchen Teilsystem teil, sondern nur mit den Eigen-­‐
schaften, die vom jeweiligen System erfordert werden58 (S. 66-­‐68). Weinbach (2004) bedient sich der Systemtheorie Luhmanns und hält fest, dass in einer funktional differenzierten Gesellschaft die Inklusionsbedingungen an den Merkmalen der zu erfüllenden Funkti-­‐
on und nicht an Merkmalen wie Geschlecht oder sozialer Schicht festgemacht werden (S. 15). Wie Lambers (2010) jedoch betont, verneint Luhmann das Vorkommen von Schichtungs-­‐ und Klas-­‐
sendifferenzierung nicht. Auf Grund vorangehender Gesellschaftsstrukturen 59 sind entsprechende Unterscheidungen noch immer in der Gesellschaft verankert. Sie passen laut ihm jedoch nicht mehr in das Profil einer modernen Gesellschaft (S. 69, S.196-­‐198). d. Soziale Systeme Lambers (2010) schreibt, dass nach Luhmann drei verschiedene Formen von sozialen Systemen un-­‐
terschieden werden: die gesellschaftliche Funktion, die Organisation und die Interaktion. Interaktionssysteme sind auf die räumliche Anwesenheit von mindestens zwei Personen (im Sinne Luhmanns: psychische Systeme) angewiesen. Das Interaktionssystem besteht stets solange, wie die Interaktion andauert (S. 94-­‐99). Interaktionssysteme verlaufen doppelt kontingent60. Beide Seiten eines Interaktionssystems machen ihr Verhalten vom anderen abhängig und wissen zugleich voneinander, dass sie sich auch anders verhalten könnten. Dies führt zu einem Überschuss an Möglichkeiten. Durch das Herausbilden von Erwartungen wird die Komplexität reduziert. „Kontingenz zielt auf die Erfahrung, das wir Dinge, Ge-­‐
gebenheiten, soziale Tatsachen, die wir in ihrem So-­‐Sein treffsicher zu bezeichnen meinen, auch an-­‐
ders bezeichnen könnten“ (Lambers, 2010, S. 87). Es sind somit die Personen, welche durch den Akt des Herausbildens von Erwartungen eine momentane Wirklichkeit bilden, um so Kommunikation erst wahrscheinlich zu machen. Erwartete Verhaltensweisen schaffen Erwartungen. Nach Willke (1993) entwickelt sich die personale Identität durch konstante Erwartungen, die an die Person gestellt werden (zit. in Kleve, 2009, S. 91). Luhmann (1984) weist darauf hin, dass die Individualität nur innerhalb der Bewusstseinsprozesse der psychischen Systeme anzusiedeln ist. Verhalten kann also nie die Identität des Bewusstseins wider-­‐
spiegeln (zit. in Kleve, 2009, S. 90) Verhalten bildet sich jedoch erst durch Kommunikation in sozialen Systemen. Diese sind jedoch nicht trivial61, was bedeutet, dass schlussendlich stets systemabhängige personale Identitäten geschaffen !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
58
Luhmann verwendet dafür den Begriff Inklusion (Lambers, 2010, S. 66). Nach Luhmann gehen der modernen Gesellschaft die archaische (nach Stämmen differenzierte) Gesellschaft sowie die hochkultivierte (nach Schichten differenzierte) Gesellschaft voraus (Lambers, 2010, S. 58-­‐66). 60
Kontingez meint, dass nichts so erwartet werden kann, sondern stets auch anders möglich sein könnte (Lam-­‐
bers, 2010, S. 86).!
61
Trivial im Sinne von offensichtlich, selbstverständlich 59
!
61!
werden. Die Identität einer Person kann sich daher je nach sozialem Kontext unterschiedlich zeigen. Obwohl Bewusstsein und Körper stets strukturell an soziale Systeme gekoppelt sind, ist die Identität einer Person schlussendlich immer ein soziales Konstrukt (Kleve, 2009, S. 90-­‐91). !
62!
Anhang B: Sprachstereotypen nach Gottburgsen Diagnostizität weibliches Sprachstereotyp männliches Sprachstereotyp hoch -­‐ Thema Kochen / Haushalt -­‐ tiefe Stimme (Werte ≥ 2,0) -­‐ Thema Mode / Kleidung -­‐ sexualisierte Kraftausdrücke -­‐ melodisch sprechen -­‐ Vorliebe für technische Ausdrücke -­‐ Verkleinerungsformen -­‐ Thema Sport -­‐ tratschen -­‐ Thema Kinder -­‐ gefühlsorientiert sprechen -­‐ sich entschuldigen mittel -­‐ Aussagen fragend formulieren -­‐ Thema Politik (Werte < 2,0) -­‐ zuhören -­‐ Witze erzählen -­‐ persönliche Themen -­‐ Interjektionen -­‐ andere im Gespräch berühren -­‐ Kraftausdrücke allgemein -­‐ emphatische Adjektive -­‐ undeutlich sprechen -­‐ danken / bitten -­‐ autoritär sprechen -­‐ verschränkte Körperhaltung -­‐ ohne Abschwächung sprechen -­‐ verschönernd / gefällig sprechen -­‐ laut sprechen -­‐ abschwächend formulieren -­‐ aggressiv sprechen -­‐ sich für andere interessieren -­‐ zurückhaltende Mimik -­‐ Mimik einsetzen -­‐ dominant sprechen -­‐ kooperativ / kompromissbereit sprechen -­‐ sarkastisch / ironisch sprechen -­‐ harmonisierend sprechen -­‐ in gemischtgeschlechtlichen Gruppen das -­‐ lächeln Gespräch leiten -­‐ in Gesprächen Kontakt suchen -­‐ langsam sprechen -­‐ Blickkontakt suchen -­‐ die Gesprächsführung übernehmen -­‐ sich an unterschiedliche Kommunikationssitua-­‐
-­‐ eigene Fertigkeiten mit besprochenen Themen tionen anpassen verknüpfen -­‐ fragen -­‐ entspannte Körperhaltung -­‐ breite Themenvielfalt -­‐ kleine Gruppen bevorzugen -­‐ andere anblicken -­‐ in grossen Gruppen zurückhaltend sein -­‐ indirekt sprechen !
63!
!
schwach -­‐ grammatikalisch korrekt sprechen -­‐ Themen bestimmen (Werte ≤ 1,29) -­‐ Abschwächungsmechanismen -­‐ sich durchsetzen -­‐ Unschärfemarkierer -­‐ das eigene Vermögen darstellen -­‐ Gestik -­‐ offene und zurückgelehnte Körperhaltung -­‐ variationsreich sprechen -­‐ reine Aussagesätze verwenden -­‐ unterschiedliche Kommunikationsstile beherr-­‐
-­‐ Fachwörter verwenden schen -­‐ deutlich sprechen Gottburgsen, 2002, S. 103ff. zit. in Gottburgsen, 2004, S. 37 !
64!
Zugehörige Unterlagen
Herunterladen