4 1 ÄGYPTISCHE BRÜCHE 1 Ägyptische Brüche In einer arithmetischen Abhandlung von Al-Hwarizmi steht folgende Geschichte: Als der alte Scheich im Sterben lag, rief er seine drei Söhne zu sich und sagte: Meine Tage ” sind gezählt und ich habe euch kommen lassen, um meinen letzten Willen kund zu tun. Das Wertvollste, was ich besitze, meine 17 Kamele, sollen nach meinem Tode wie folgt aufgeteilt werden. Du Achmed, du bist der Älteste, deshalb erhältst du die Hälfte der Herde. Du Mohamed, mein zweiter Sohn, erhältst ein Drittel der Herde und du Ali, mein jüngster Sohn, sollst ein Neuntel der Herde erhalten“. Kurz darauf verstarb der alte Scheich, und da ging auch schon das Gezanke los. Wie sollten die drei Brüder auch eine Herde von 17 Kamelen durch 2, 3 oder 9 teilen können? Das Ganze schien in einer richtigen Rauferei zu enden, als plötzlich eine Staubwolke am Horizont sichtbar wurde. Ein Derwisch auf einem Kamel näherte sich Ihnen. Hört meine Worte! Ich komme aus der heiligen Stadt Mekka, wo mir eine innere Stimme ” sagte, dass ich zu euch eilen solle, weil ihr meine Hilfe braucht. Nehmt mein Kamel und teilt jetzt brüderlich!“ Jetzt bestand die Herde aus 18 Kamelen und endlich konnte man nach dem letzten Willen des alten Scheichs teilen. Achmed, der Älteste, erhielt die Hälfte der Herde, also 9 Kamele (18:2= 9) , Mohamed, der Zweite, erhielt ein Drittel, das waren 6 Kamele (18:3=6) und Ali, der Jüngste, erhielt zwei, was einem Neuntel der Herde entsprach (18:9=2). So und jetzt kommt das große Wunder: 9 plus 6 plus 2 = 17. Siehe da, ein Kamel blieb übrig. Die Brüder bedankten sich beim Derwisch und gaben ihm das Kamel zurück, und dieser ritt wieder nach Mekka zurück. Der Grund für das Wunder ist natürlich, daß sich die Anteile 1 1 1 17 + + = 2 3 9 18 nicht zu 1 addieren. Es ist eben nicht einfach, Stammbrüche zu addieren und noch schwieriger, gegebene Zahlen (hier war es 1) in die Summe von Stammbrüchen zu zerlegen. Da die alten Ägypter nur Stammbrüche kannten (daher werden Stammbrüche auch ägyptische Brüche genannt), kann man sich vorstellen, wie schwer sie es beim Rechnen hatten (aber keine Überheblichkeit: Das Zerlegen großer Zahlen in Primfaktoren war im römischen Zahlensystem auch kein Freude). 1.1 Aufgabenstellung 1 Es ist 1 in die Summe von n Stammbrüchen 1= 1 1 1 + + ... + a1 a2 an mit a1 ≤ a2 ≤ ... ≤ an zu zerlegen. Für die ersten n kann man die Lösungen durch systematisches Probieren erhalten. n = 1: Es gibt eine Möglichkeit: 1 = 11 . n = 2: Es gibt eine Möglichkeit: 1 = 21 + 21 . n = 3: Es gibt drei Möglichkeiten: 1 = 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + + = + + = + + 2 3 6 2 4 4 3 3 3 5 1.1 Aufgabenstellung 1 Ab n = 4 muß man aufpassen, daß man keine Möglichkeit vergißt. Dazu ist es sinnvoll, in der Gleichung 1= 1 1 1 1 + + + a1 a2 a3 a4 die möglichen Bereiche für die ai abzuschätzen. Es ist klar, daß stets a1 ≥ 2 gilt. Wegen a1 ≤ a2 ≤ a3 ≤ a4 kann a1 höchstens so groß werden, wie die anderen ai . In diesem Fall ist das ai = 41 . Es gilt also 2 ≤ a1 ≤ 4. Ausgehend von dieser Abschätzung kann man a2 abschätzen, usw. Schließlich erhält man folgende 14 Möglichkeiten: a1 a2 a3 2 3 7 2 3 8 2 3 9 2 3 10 2 3 12 2 4 5 2 4 6 a4 42 24 18 15 12 20 12 a1 2 2 2 3 3 3 4 a2 4 5 6 3 3 4 4 a3 a4 8 8 5 10 6 6 4 12 6 6 4 6 4 4 Im Fall n = 5 gibt es 146 Möglichkeiten, die man sinnvollerweise aber mit einem Computer ermittelt. a1 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 a2 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 a3 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 9 9 9 9 9 9 9 9 10 10 10 10 a4 43 44 45 46 48 49 51 54 56 60 63 70 78 84 25 26 27 28 30 32 33 36 40 42 48 19 20 21 22 24 27 30 36 16 18 20 30 a5 1806 924 630 483 336 294 238 189 168 140 126 105 91 84 600 312 216 168 120 96 88 72 60 56 48 342 180 126 99 72 54 45 36 240 90 60 30 a1 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 a2 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 a3 11 11 11 12 12 12 12 12 12 12 12 13 14 14 14 15 15 16 18 5 5 5 5 5 5 5 5 6 6 6 6 6 6 6 6 7 7 a4 14 15 22 13 14 15 16 18 20 21 24 13 14 15 21 15 20 16 18 21 22 24 25 28 30 36 40 13 14 15 16 18 20 21 24 10 12 a5 231 110 33 156 84 60 48 36 30 28 24 78 42 35 21 30 20 24 18 420 220 120 100 70 60 45 40 156 84 60 48 36 30 28 24 140 42 a1 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 3 3 3 3 a2 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 6 6 6 6 6 6 6 6 7 8 3 3 3 3 a3 7 8 8 8 8 9 9 10 10 12 5 5 5 5 5 6 6 6 6 6 7 8 10 6 6 6 6 6 7 8 9 7 8 4 4 4 4 a4 14 9 10 12 16 9 12 10 12 12 11 12 14 15 20 8 9 10 12 15 7 8 10 7 8 9 10 12 7 8 9 7 8 13 14 15 16 a5 28 72 40 24 16 36 18 20 15 12 110 60 35 30 20 120 45 30 20 15 70 20 10 42 24 18 15 12 21 12 9 14 8 156 84 60 48 a1 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4 4 5 a2 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4 4 4 4 4 4 5 5 6 4 4 4 4 4 5 a3 4 4 4 4 5 5 5 5 5 6 6 6 6 6 7 8 9 4 4 4 4 4 5 5 6 6 5 5 6 4 4 4 5 6 5 a4 18 20 21 24 8 9 10 12 15 7 8 9 10 12 7 8 9 7 8 9 10 12 5 6 6 8 5 6 6 5 6 8 5 6 5 a5 36 30 28 24 120 45 30 20 15 42 24 18 15 12 21 12 9 42 24 18 15 12 60 20 12 8 15 10 6 20 12 8 10 6 5 6 1 ÄGYPTISCHE BRÜCHE Man sieht, daß die Zahl der Möglichkeiten mit n schnell wächst. Die Aufgabe, alle Lösungen zu finden, ist also nicht sehr sinnvoll. Aber man kann sich fragen, wieviele Lösungen es in Abhängigkeit von n gibt. Dieses Problem ist bis jetzt ungelöst. Eine weitere sinnvolle Frage ist, ob man für beliebiges n wenigstens eine Lösung finden kann. Oder, die Frage weiter eingeschränkt: Angenommen, man hat eine Lösung mit n Stammbrüchen gefunden. 1= 1 1 1 + + ... + a1 a2 an Kann man hieraus eine Lösung mit n+ 1 Stammbrüchen konstruieren? Erhöht man den Nenner von an um 1, erhält man eine Zahl, die ein wenig kleiner ist als 1: 1> 1 1 1 + + ... + a1 a2 an + 1 Fall der Rest zu 1, also 1 1 1 + + ... + 1− a1 a2 an + 1 stets ein Stammbruch ist, hätte man eine Möglichkeit gefunden, aus einer beliebigen Lösung mit n Stammbrüchen eine mit n + 1 Stammbrüchen zu konstruieren. Das ist tatsächlich der Fall. Dazu ein paar Beispiele, ausgehend von der Zerlegung 1= 1 1 1 1 1 1 1 1 + 2 2 − − − − − − 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 + + + + + + 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 + + + + + 1 7 1 7 1 7 1 7 1 7 + + + + 1 43 1 43 1 43 1 43 + + + = = = 1 = 1807 1 1 + 3263443 = 1807 1 1 1 + 3263443 + 10650056950807 = 1807 1 6 1 42 1 1806 1 3263442 1 10650056950806 1 113423713055421844361000442 Dabei fällt auf, daß sich die Nenner einfach berechnen lassen. Es sei b1 = 2 und bn = b1 · b2 · · · bn−1 + 1. Das ergibt b1 b2 b3 b4 = = = = 2 b1 + 1 = 3 b1 · b2 + 1 = 2 · 3 + 1 = 7 b1 · b2 · b3 + 1 = 2 · 3 · 7 + 1 = 43 Als universelle Zerlegung kann man also 1= 1 1 1 1 + + ... + + b1 b2 bn−1 bn − 1 (1) 1.2 Aufgabenstellung 2 7 vermuten. Das läßt sich mit vollständiger Induktion beweisen (der Anfang stimmt): Angenommen (1) ist richtig. Setzt man X= 1 1 1 1 1 + + ... + + + b1 b2 bn−1 bn bn+1 − 1 muß also X = 1 gezeigt werden. Es gilt unter Benutzung der Induktionsvoraussetzung 1 1 1 1 1 + + ... + + + = b1 b2 bn−1 bn bn+1 − 1 1 1 1 1 1 + = 1− + =1− + = bn − 1 bn bn+1 − 1 bn (bn − 1) bn+1 − 1 1 1 =1 + = 1− bn (b1 · b2 · · · bn−1 ) b1 · b2 · · · bn−1 · bn X = 1.2 Aufgabenstellung 2 Eine weiter Aufgabe im Zusammenhang mit ägyptischen Brüchen ist folgende: Welche gebrochenen Zahlen pq mit 1 ≤ p < q sind als Summe von n Stammbrüchen darstellbar? Diese Frage ist natürlich sofort zu beantworten: Jede Zahl pq ist als Summe von p Brüchen 1q darstellbar. Ist eine Zahl als Summe von 2 Stammbrüchen darstellbar p 1 1 = + , q a b so gilt auch 1 1 1 p = + + . q a 2b 2b Das ist eine allgemeine Eigenschaft. Läßt sich eine Zahl als Summe von n Stammbrüchen darstellen, dann sicher auch als Summe von mehr als n Stammbrüchen. Die interessante Aufgabe ist also: Was ist für eine gegebene rationale Zahl die kleinste Zerlegung in eine Summe von Stammbrüchen? 1.2.1 Der Fall n = 1 Das sind genau die Zahlen der Form 1q . 1.2.2 Der Fall n = 2 Alle Zahlen der Form 2 q sind wegen 2 1 1 = + q q q als Summe von 2 Stammbrüchen darstellbar. Aber es gibt viele Zahlen, die sich so nicht darstellen lassen. Die ersten (gezählt nach Summe 3 5 4 5 7 6 8 9 9 4 8 10 3 , 11 , 97 , 13 , 98 , 13 , 11 , 13 , 11 , 10 , 11 , 17 , 13 , 11 , 19 , Zähler + Nenner ≤ 30) sind 54 , 37 , 75 , 67 , 87 , 13 7 9 7 10 11 7 11 6 8 11 12 7 11 5 8 10 11 13 5 9 11 13 4 7 12 13 5 , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , 17 15 13 16 13 12 17 13 19 17 14 13 19 15 22 19 17 16 14 23 19 17 15 25 22 17 16 14 7 11 13 , , , 15 23 19 17 8 1 ÄGYPTISCHE BRÜCHE 1.2.3 Der Fall n = 3 Alle Zahlen der Form 3 q sind wegen 3 1 1 1 = + + q q q q als Summe von 3 Stammbrüchen darstellbar. Es gibt nur noch wenige Zahlen, die sich nicht so darstellen lassen. Die ersten (gezählt nach 8 9 10 8 12 13 9 Summe Zähler + Nenner ≤ 30) sind: 11 , 11 , 11 , 17 , 13 , 14 , 19 . 1.2.4 Der Fall n = 4 Es gibt kaum noch Zahlen, die sich nicht so darstellen lassen. Die ersten (gezählt nach Summe , 21 , 22 Zähler + Nenner ≤ 50) sind: 16 17 23 23 Es gibt aber einige mit wenigen Darstellungsmöglichkeiten: 18 19 17 19 17 23 19 23 14 17 21 22 24 25 = = = = = = = 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 + + + + + + + 1 3 1 3 1 5 1 5 1 4 1 3 1 3 + + + + + + + 1 1 + 9 342 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + = + + + = + + + 18 171 2 3 19 114 2 4 7 532 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + = + + + = + + + 26 1495 2 6 14 966 3 3 14 966 1 1 + 8 920 1 1 1 1 1 1 + = + + + 14 476 2 4 17 68 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + = + + + = + + + 9 99 2 3 11 33 2 4 5 220 1 1 1 1 1 1 + = + + + 8 600 2 4 5 100 Im allgemeinen ist ungelöst, wieviele Stammbrüche man für eine gegebene Zahl mindestens braucht. Aber es gibt einige Vermutungen: • Erdös-Straus Vermutung: Für alle natürlichen n gibt es natürliche Zahlen a, b und c mit 4 1 1 1 = + + n a b c • Sierpinski Vermutung: Für alle natürlichen n gibt es natürliche Zahlen a, b und c mit 5 1 1 1 = + + n a b c • Es scheint, daß sich Zahlen der Form schlecht darstellen lassen. p−1 p und p−2 , p wobei p eine Primzahl ist, besonders