Herder Korrespondenz 63 (4/2009)

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Aktuell
Religionsfreiheit: Fachkonferenz
von Justitia et Pax
Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit stellt nicht nur für Staat und Gesellschaft
eine bleibende Herausforderung dar. Die Deutsche Kommission Justitia et Pax
veranstaltete zusammen mit dem Zentrum für Interreligiöse Studien der Universität
Bamberg eine Fachkonferenz, die sich dem spannungsvollen Zueinander von Religion
und Religionsfreiheit, Mission und Konversion widmete.
Die gewagte Versöhnungsgeste Papst Benedikts XVI. gegenüber der traditionalistischen „Priesterbruderschaft St. Pius X.“
hat in der kirchlichen Öffentlichkeit eine
Diskussion ausgelöst, die zweifelsohne
zu neuer Aufmerksamkeit gegenüber
zentralen Erklärungen des Zweiten Vatikanischen Konzils führen wird. Dies gilt
in besonderem Maße für die Erklärungen „Nostra aetate“ und „Dignitatis
humanae“, in denen sich die generelle
Kurskorrektur der Kirche gegenüber der
modernen Welt in einer neuen Verhältnisbestimmung zu den nicht christlichen Religionen und zur Religionsfreiheit vollzogen hat; gerade die
Religionsfreiheit war vor, während und
nach dem Konzil eines der bewegendsten Themen. So sind die beiden Erklärungen auch vorzügliches Ziel in den ge-
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gen das Konzil gerichteten Polemiken
der Piusbrüder (vgl. dieses Heft, 174ff.)
Dieser Kontext verhalf der hochrangig
besetzten Fachtagung nicht nur zu besonderer Aktualität und Brisanz. Zusammen mit dem von der Bamberger Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins
geleiteten und mitgegründeten Zentrum
für Interreligiöse Studien der Universität
Bamberg (ZIS) hatte die Deutsche Kommission Justitia et Pax Theologen und
Theologinnen, Vertreter unterschiedlicher Religionen und Konfessionen Ende
Februar zu einer Fachtagung geladen,
um sich des Themas „Religionen und
Religionsfreiheit – Menschrechtliche
Perspektiven im Spannungsfeld von Mission und Konversion“ anzunehmen. Das
Negativ-Beispiel der Pius-Bruderschaft
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habe, so Heimbach-Steins, in den vergangenen Wochen deutlich gemacht, dass die
Religionsfreiheit auch in Europa noch
eine große Herausforderung darstelle.
Die aktuelle Auseinandersetzung mit den
Traditionalisten erinnert aber auch an die
mitunter sehr leidvolle und über weite
Strecken konflikthafte Lerngeschichte, in
der die christlichen Kirchen erst die Religionsfreiheit als Chance und Aufgabe begreifen konnten und begriffen haben. Bei
der Bamberger Fachkonferenz waren es
besonders die muslimischen Gesprächspartner, der Inhaber der Frankfurter Stiftungsprofessur für Islamische Religion,
Ömer Öszoy, und Bülent Ucar, Direktor
des Zentrums für Interkulturelle Islamstudien an der Universität Osnabrück, die
mit Blick auf diese christliche Lerngeschichte und einen gewissen historischen
„Vorsprung“ baten, dem Islam in Sachen
Religionsfreiheit doch auch noch etwas
Zeit zu geben.
Beide bestritten gleichermaßen den
häufig erhobenen Vorwurf, der Islam sei
prinzipiell – Stichwort: Konversionsund Apostasieverbot – freiheitsfeindlich.
Ucar gab unter anderem zu bedenken,
der Islam stehe für keine bestimmte
Staatsform und die heute als „islamisch“
geltenden Staaten und ihre Praxis seien
gar nicht islamisch geprägt. Öszoy, ein
Vertreter der renommierten so genannten Ankara-Schule, mahnte, Aussagen
des Koran zur Religionsfreiheit eingebettet in einen bestimmten Kontext
zu verstehen; die diesbezüglichen Verse
seien auf bestimmte Anlässe bezogen
und deswegen unter bestimmten Umständen geoffenbart worden.
Die Fachkonferenz in Bamberg stand im
Kontext eines seit fünf Jahren betriebenen Arbeitsschwerpunktes innerhalb der
Deutschen Kommission Justitia et Pax;
von der Deutschen Bischofskonferenz
und dem Zentralkomitee der Deutschen
Katholiken gemeinsam getragen, versteht
sich diese als „runder Tisch“ all der kirchlichen Einrichtungen und Organisationen, die in den Bereichen Entwicklung,
Frieden und Menschenrechte engagiert
sind (vgl. HK, Februar 2008, 94ff.). Im
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Rahmen ihres Programmschwerpunktes
veröffentlichte Justitia et Pax im Dezember 2005 zum 40. Jahrestag von „Dignitatis humanae“ ein „Memorandum zur Religionsfreiheit“. Selbstkritisch verwies
man darin auf den langen Lernprozess
der katholischen Kirche in dieser Sache
und nahm aber auch kritisch zu problematischen Verkürzungen in aktuellen
schul- und integrationspolitischen Streitfällen Stellung, vom Kopftuch-Streit bis
zum Kruzifix-Urteil oder dem Dauerbrenner Moscheebau in Deutschland.
Solche Konflikte waren dann auch Gegenstand eines Fachgesprächs mit Vertreterinnen und Vertretern der katholischen
Büros bei Bund und Bundesländern (vgl.
HK, Januar 2007, 44ff.). Dabei ging es
um konzeptionelle und praktische Fragen
kirchlicher Interessenvertretung vor dem
Hintergrund weltanschaulicher Vielfalt
und angesichts des Postulats der Religionsfreiheit.
Zu einer weiteren Fachkonferenz hatte
im Januar 2008 die Justitia-et-PaxArbeitsgruppe unter der Leitung des
Rechtsphilosophen Heiner Bielfeldt,
Direktor des Deutschen Instituts für
Menschenrechte in Berlin, Politiker und
Parlamentarierinnen, die kirchen- und
religionspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen eingeladen.
Eine zutiefst religiöse Idee?
In Bamberg stand jetzt das Herausfordernde und „Sperrige“ (Bielefeldt) auf
der Tagesordnung, das die Religionsfreiheit eben nicht nur für Staat, Politik und
Gesellschaft, sondern für die Religionsgemeinschaften selbst darstellt (vgl. HK,
Februar 2006), 65ff.). Denn fraglos stehen Mission, auch der Sendungsauftrag
der Kirche, und das Menschenrecht auf
Religionsfreiheit in einem bestimmten
Spannungsverhältnis. Wie stellen sich
die einzelnen Religionsgemeinschaften
zu Konversion und Religionswechsel?
Wie sind die Bedingungen und Möglichkeiten von Mission und Konversion
begründet? Worin unterscheidet sich
bloße Toleranz von einer wirklichen inneren Akzeptanz der Religionsfreiheit?
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Aktuell
Schließen sich – vor allem bei den
monotheistischen Religionen – religiöse
Überzeugung und religiöse Freiheit aus?
In Bamberg bestritt Saskia Wendel, Professorin für Systematische Theologie in
Köln, diesen neuerdings von den so genannten „neuen Atheisten“ aufgewärmten Vorwurf, religiöse Überzeugungen
seien irrational und damit tendenziell
gewaltproduktiv (vgl. HK, Juli 2008,
359ff.). Haben es Religionen, die in ihrer
Anfangsphase in der Minderheit waren
und selbst Verfolgung litten, als „Verlierer-Religion“ starteten wie das Christentum, mit der Anerkennung der Religionsfreiheit leichter als etwa der von
Beginn an sich sehr „erfolgreich“ ausbreitende Islam?
Ein individuelles Recht
Dabei warben einige Referenten, unter
anderem der Trierer Professor für Öffentliches Recht und Direktor des Potsdamer
Instituts für evangelisches Kirchenrecht,
Gerhard Robbers, für eine sehr sorgfältige
Auseinandersetzung mit den verschiedenen Vorbehalten der Religionsgemeinschaften und Religionen gegenüber der
Religionsfreiheit und konkret den Widerständen etwa gegen Mission und Religionswechsel. Die Religionen, so Robbers,
müssten selbst für die Erkenntnis gewonnen werden, dass wahrer und echter
Glaube nur aus freiem Willen wachsen
und bestehen könne. Die Religionsfreiheit
sei eine zutiefst religiöse Idee.
Aus ganz anderer Richtung und mit
Blick auf die neue gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Religion mahnte Dagmar Mensink, Referentin für Kirchen
und Religionsgemeinschaften beim Parteivorstand der SPD, die Politik zu einem „sentire cum religione“, zu einer besonderen Sensibilität auch für den
„sperrigen normativen Eigensinn religiöser Überzeugungen“.
Konkret widmete sich die Tagung aber
auch verschiedenen Brennpunkten des
schwierigen Verhältnisses von Religion
und Religionsfreiheit. So zeichnete aus
eigener langjähriger Erfahrung der
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Münchner Sozialethiker und Jesuit Johannes Müller ein sehr positives Bild des
bisher harmonischen, aktuell jedoch gefährdeten Miteinanders der verschiedenen Religionen (und Stammeskulturen)
in Indonesien, dem Staat, in dem weltweit die meisten Muslime leben.
Otmar Oehring, Referent im Katholischen Missionswerk Missio und einer
der profundesten Kenner der Türkei
innerhalb der deutschen Ortskirche, beschrieb anschaulich den gegenwärtigen
Kulturkampf in dem Land am Bosporus,
das in Sachen Religionsfreiheit in jeglicher Hinsicht einen Sonderfall darstellt. Zwar können die anerkannten
religiösen Minderheiten ihren Glauben
theoretisch frei leben, die Ausübung anderer Religionen als des Islam unterliegt
aber in der Praxis zahlreichen, vor allem
bürokratischen Einschränkungen. Assistiert wurde ihm dabei von der Menschenrechtlerin Sema Kilicer. Seit 1997
nimmt sie von Brüssel aus verantwortlich an den Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei teil und
konnte so an einigen Stellen zumindest
auf Hoffnungszeichen verweisen, wo der
Annäherungsprozess zwischen der EU
und der Türkei in Sachen Religionsfreiheit bereits zu leichten Verbesserungen
geführt, der Prozess der EU-Integration
Reformen angestoßen hat.
Ein anderer Brennpunkt kam mit dem eigentlichen Höhepunkt der Bamberger
Fachtagung zur Sprache: Pakistan ist das
Heimatland und zugleich vorzügliches
Anschauungsfeld der Menschenrechtsanwältin Asma Jahangir, die seit 2004
UN-Sonderberichterstatterin über Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist
und in Bamberg über die aktuellen Entwicklungen in den einschlägigen internationalen Debatten berichtete. Dabei
mahnte sie, die Religionsfreiheit als persönliches, individuelles Schutzrecht dürfe
nicht verwässert werden – eine Tendenz,
die sich beispielsweise in der Diskussion
über den Schutz der Religionen im Rahmen internationaler Antidiskriminierungskampagnen erkennen lasse.
Auf christlicher Seite ist es häufig die
griechisch-orthodoxe Kirche, die in ihrer
engen Verbindung von Religion, Nation
und Ethnie, als der Idee der Religionsfreiheit besonders verschlossen gilt. Insofern folgten die Experten mit besonderer Aufmerksamkeit den Ausführungen
von Konstantinos Delikostantis, Professor
für Philosophie und Systematische
Theologie an der theologischen Fakultät
in Athen und der Ökumene auf verschiedenen Ebenen seit langen Jahren verschrieben. Anschaulich beschrieb er die
enorme Herausforderung, die der Dialog
mit den Menschenrechten für die Orthodoxie darstellt und zeigte zugleich, wie
sich die Religionsfreiheit durchaus aus
der orthodoxen Tradition, deren theologischem Wahrheitsbegriff begründen
lässt.
Als eine genuine „evangelische Idee“
bezeichnete der Religionssoziologe und
ausdrückliche Vertreter der „Weltweiten
Evangelischen Allianz“ Thomas Schirrmacher die Religionsfreiheit. Dabei
attestierte er vor allem und nahezu ausschließlich evangelikalen Gruppierungen aus den USA ein problematisches
Verhältnis zu Religionsfreiheit und Dialog der Religionen, sah vor allem dort
jene unlauteren Missionsmethoden und
Dialogverweigerung, die man zu Unrecht den Evangelikalen weltweit unterstelle. Eine erkaufte, erschlichene oder
erzwungene Beziehung zu Gott könne
aus evangelischer Sicht keine Beziehung
zu Gott sein. Schirrmachers Ausführungen provozierten die Frage aus dem
Auditorium, ob in allen Religionen nur
die Fundamentalisten das eigentliche
Problem darstellten.
Suchte man bei der Vielfalt der Zugänge
zu dem Spannungsfeld Religion und
Religionsfreiheit eine Gemeinsamkeit in
den verschiedenen Referaten, Stellungnahmen und Diskussionbeiträgen zu
finden, so wäre das wohl die in Bamberg
häufig geäußerte Überzeugung, dass die
Auseinandersetzung mit den Menschenrechten und insbesondere mit der Religionsfreiheit eine heilsame Funktion für
die Religionen selbst habe. Damit wäre
auch der Bezug zur aktuellen Debatte
innerhalb der katholischen Kirche wieder hergestellt.
A. F.
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