Aktuell Religionsfreiheit: Fachkonferenz von Justitia et Pax Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit stellt nicht nur für Staat und Gesellschaft eine bleibende Herausforderung dar. Die Deutsche Kommission Justitia et Pax veranstaltete zusammen mit dem Zentrum für Interreligiöse Studien der Universität Bamberg eine Fachkonferenz, die sich dem spannungsvollen Zueinander von Religion und Religionsfreiheit, Mission und Konversion widmete. Die gewagte Versöhnungsgeste Papst Benedikts XVI. gegenüber der traditionalistischen „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ hat in der kirchlichen Öffentlichkeit eine Diskussion ausgelöst, die zweifelsohne zu neuer Aufmerksamkeit gegenüber zentralen Erklärungen des Zweiten Vatikanischen Konzils führen wird. Dies gilt in besonderem Maße für die Erklärungen „Nostra aetate“ und „Dignitatis humanae“, in denen sich die generelle Kurskorrektur der Kirche gegenüber der modernen Welt in einer neuen Verhältnisbestimmung zu den nicht christlichen Religionen und zur Religionsfreiheit vollzogen hat; gerade die Religionsfreiheit war vor, während und nach dem Konzil eines der bewegendsten Themen. So sind die beiden Erklärungen auch vorzügliches Ziel in den ge- HERDER KORRESPONDENZ 63 4/2009 gen das Konzil gerichteten Polemiken der Piusbrüder (vgl. dieses Heft, 174ff.) Dieser Kontext verhalf der hochrangig besetzten Fachtagung nicht nur zu besonderer Aktualität und Brisanz. Zusammen mit dem von der Bamberger Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins geleiteten und mitgegründeten Zentrum für Interreligiöse Studien der Universität Bamberg (ZIS) hatte die Deutsche Kommission Justitia et Pax Theologen und Theologinnen, Vertreter unterschiedlicher Religionen und Konfessionen Ende Februar zu einer Fachtagung geladen, um sich des Themas „Religionen und Religionsfreiheit – Menschrechtliche Perspektiven im Spannungsfeld von Mission und Konversion“ anzunehmen. Das Negativ-Beispiel der Pius-Bruderschaft 171 habe, so Heimbach-Steins, in den vergangenen Wochen deutlich gemacht, dass die Religionsfreiheit auch in Europa noch eine große Herausforderung darstelle. Die aktuelle Auseinandersetzung mit den Traditionalisten erinnert aber auch an die mitunter sehr leidvolle und über weite Strecken konflikthafte Lerngeschichte, in der die christlichen Kirchen erst die Religionsfreiheit als Chance und Aufgabe begreifen konnten und begriffen haben. Bei der Bamberger Fachkonferenz waren es besonders die muslimischen Gesprächspartner, der Inhaber der Frankfurter Stiftungsprofessur für Islamische Religion, Ömer Öszoy, und Bülent Ucar, Direktor des Zentrums für Interkulturelle Islamstudien an der Universität Osnabrück, die mit Blick auf diese christliche Lerngeschichte und einen gewissen historischen „Vorsprung“ baten, dem Islam in Sachen Religionsfreiheit doch auch noch etwas Zeit zu geben. Beide bestritten gleichermaßen den häufig erhobenen Vorwurf, der Islam sei prinzipiell – Stichwort: Konversionsund Apostasieverbot – freiheitsfeindlich. Ucar gab unter anderem zu bedenken, der Islam stehe für keine bestimmte Staatsform und die heute als „islamisch“ geltenden Staaten und ihre Praxis seien gar nicht islamisch geprägt. Öszoy, ein Vertreter der renommierten so genannten Ankara-Schule, mahnte, Aussagen des Koran zur Religionsfreiheit eingebettet in einen bestimmten Kontext zu verstehen; die diesbezüglichen Verse seien auf bestimmte Anlässe bezogen und deswegen unter bestimmten Umständen geoffenbart worden. Die Fachkonferenz in Bamberg stand im Kontext eines seit fünf Jahren betriebenen Arbeitsschwerpunktes innerhalb der Deutschen Kommission Justitia et Pax; von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken gemeinsam getragen, versteht sich diese als „runder Tisch“ all der kirchlichen Einrichtungen und Organisationen, die in den Bereichen Entwicklung, Frieden und Menschenrechte engagiert sind (vgl. HK, Februar 2008, 94ff.). Im 172 Rahmen ihres Programmschwerpunktes veröffentlichte Justitia et Pax im Dezember 2005 zum 40. Jahrestag von „Dignitatis humanae“ ein „Memorandum zur Religionsfreiheit“. Selbstkritisch verwies man darin auf den langen Lernprozess der katholischen Kirche in dieser Sache und nahm aber auch kritisch zu problematischen Verkürzungen in aktuellen schul- und integrationspolitischen Streitfällen Stellung, vom Kopftuch-Streit bis zum Kruzifix-Urteil oder dem Dauerbrenner Moscheebau in Deutschland. Solche Konflikte waren dann auch Gegenstand eines Fachgesprächs mit Vertreterinnen und Vertretern der katholischen Büros bei Bund und Bundesländern (vgl. HK, Januar 2007, 44ff.). Dabei ging es um konzeptionelle und praktische Fragen kirchlicher Interessenvertretung vor dem Hintergrund weltanschaulicher Vielfalt und angesichts des Postulats der Religionsfreiheit. Zu einer weiteren Fachkonferenz hatte im Januar 2008 die Justitia-et-PaxArbeitsgruppe unter der Leitung des Rechtsphilosophen Heiner Bielfeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin, Politiker und Parlamentarierinnen, die kirchen- und religionspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen eingeladen. Eine zutiefst religiöse Idee? In Bamberg stand jetzt das Herausfordernde und „Sperrige“ (Bielefeldt) auf der Tagesordnung, das die Religionsfreiheit eben nicht nur für Staat, Politik und Gesellschaft, sondern für die Religionsgemeinschaften selbst darstellt (vgl. HK, Februar 2006), 65ff.). Denn fraglos stehen Mission, auch der Sendungsauftrag der Kirche, und das Menschenrecht auf Religionsfreiheit in einem bestimmten Spannungsverhältnis. Wie stellen sich die einzelnen Religionsgemeinschaften zu Konversion und Religionswechsel? Wie sind die Bedingungen und Möglichkeiten von Mission und Konversion begründet? Worin unterscheidet sich bloße Toleranz von einer wirklichen inneren Akzeptanz der Religionsfreiheit? HERDER KORRESPONDENZ 63 4/2009 Aktuell Schließen sich – vor allem bei den monotheistischen Religionen – religiöse Überzeugung und religiöse Freiheit aus? In Bamberg bestritt Saskia Wendel, Professorin für Systematische Theologie in Köln, diesen neuerdings von den so genannten „neuen Atheisten“ aufgewärmten Vorwurf, religiöse Überzeugungen seien irrational und damit tendenziell gewaltproduktiv (vgl. HK, Juli 2008, 359ff.). Haben es Religionen, die in ihrer Anfangsphase in der Minderheit waren und selbst Verfolgung litten, als „Verlierer-Religion“ starteten wie das Christentum, mit der Anerkennung der Religionsfreiheit leichter als etwa der von Beginn an sich sehr „erfolgreich“ ausbreitende Islam? Ein individuelles Recht Dabei warben einige Referenten, unter anderem der Trierer Professor für Öffentliches Recht und Direktor des Potsdamer Instituts für evangelisches Kirchenrecht, Gerhard Robbers, für eine sehr sorgfältige Auseinandersetzung mit den verschiedenen Vorbehalten der Religionsgemeinschaften und Religionen gegenüber der Religionsfreiheit und konkret den Widerständen etwa gegen Mission und Religionswechsel. Die Religionen, so Robbers, müssten selbst für die Erkenntnis gewonnen werden, dass wahrer und echter Glaube nur aus freiem Willen wachsen und bestehen könne. Die Religionsfreiheit sei eine zutiefst religiöse Idee. Aus ganz anderer Richtung und mit Blick auf die neue gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Religion mahnte Dagmar Mensink, Referentin für Kirchen und Religionsgemeinschaften beim Parteivorstand der SPD, die Politik zu einem „sentire cum religione“, zu einer besonderen Sensibilität auch für den „sperrigen normativen Eigensinn religiöser Überzeugungen“. Konkret widmete sich die Tagung aber auch verschiedenen Brennpunkten des schwierigen Verhältnisses von Religion und Religionsfreiheit. So zeichnete aus eigener langjähriger Erfahrung der HERDER KORRESPONDENZ 63 4/2009 Münchner Sozialethiker und Jesuit Johannes Müller ein sehr positives Bild des bisher harmonischen, aktuell jedoch gefährdeten Miteinanders der verschiedenen Religionen (und Stammeskulturen) in Indonesien, dem Staat, in dem weltweit die meisten Muslime leben. Otmar Oehring, Referent im Katholischen Missionswerk Missio und einer der profundesten Kenner der Türkei innerhalb der deutschen Ortskirche, beschrieb anschaulich den gegenwärtigen Kulturkampf in dem Land am Bosporus, das in Sachen Religionsfreiheit in jeglicher Hinsicht einen Sonderfall darstellt. Zwar können die anerkannten religiösen Minderheiten ihren Glauben theoretisch frei leben, die Ausübung anderer Religionen als des Islam unterliegt aber in der Praxis zahlreichen, vor allem bürokratischen Einschränkungen. Assistiert wurde ihm dabei von der Menschenrechtlerin Sema Kilicer. Seit 1997 nimmt sie von Brüssel aus verantwortlich an den Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei teil und konnte so an einigen Stellen zumindest auf Hoffnungszeichen verweisen, wo der Annäherungsprozess zwischen der EU und der Türkei in Sachen Religionsfreiheit bereits zu leichten Verbesserungen geführt, der Prozess der EU-Integration Reformen angestoßen hat. Ein anderer Brennpunkt kam mit dem eigentlichen Höhepunkt der Bamberger Fachtagung zur Sprache: Pakistan ist das Heimatland und zugleich vorzügliches Anschauungsfeld der Menschenrechtsanwältin Asma Jahangir, die seit 2004 UN-Sonderberichterstatterin über Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist und in Bamberg über die aktuellen Entwicklungen in den einschlägigen internationalen Debatten berichtete. Dabei mahnte sie, die Religionsfreiheit als persönliches, individuelles Schutzrecht dürfe nicht verwässert werden – eine Tendenz, die sich beispielsweise in der Diskussion über den Schutz der Religionen im Rahmen internationaler Antidiskriminierungskampagnen erkennen lasse. Auf christlicher Seite ist es häufig die griechisch-orthodoxe Kirche, die in ihrer engen Verbindung von Religion, Nation und Ethnie, als der Idee der Religionsfreiheit besonders verschlossen gilt. Insofern folgten die Experten mit besonderer Aufmerksamkeit den Ausführungen von Konstantinos Delikostantis, Professor für Philosophie und Systematische Theologie an der theologischen Fakultät in Athen und der Ökumene auf verschiedenen Ebenen seit langen Jahren verschrieben. Anschaulich beschrieb er die enorme Herausforderung, die der Dialog mit den Menschenrechten für die Orthodoxie darstellt und zeigte zugleich, wie sich die Religionsfreiheit durchaus aus der orthodoxen Tradition, deren theologischem Wahrheitsbegriff begründen lässt. Als eine genuine „evangelische Idee“ bezeichnete der Religionssoziologe und ausdrückliche Vertreter der „Weltweiten Evangelischen Allianz“ Thomas Schirrmacher die Religionsfreiheit. Dabei attestierte er vor allem und nahezu ausschließlich evangelikalen Gruppierungen aus den USA ein problematisches Verhältnis zu Religionsfreiheit und Dialog der Religionen, sah vor allem dort jene unlauteren Missionsmethoden und Dialogverweigerung, die man zu Unrecht den Evangelikalen weltweit unterstelle. Eine erkaufte, erschlichene oder erzwungene Beziehung zu Gott könne aus evangelischer Sicht keine Beziehung zu Gott sein. Schirrmachers Ausführungen provozierten die Frage aus dem Auditorium, ob in allen Religionen nur die Fundamentalisten das eigentliche Problem darstellten. Suchte man bei der Vielfalt der Zugänge zu dem Spannungsfeld Religion und Religionsfreiheit eine Gemeinsamkeit in den verschiedenen Referaten, Stellungnahmen und Diskussionbeiträgen zu finden, so wäre das wohl die in Bamberg häufig geäußerte Überzeugung, dass die Auseinandersetzung mit den Menschenrechten und insbesondere mit der Religionsfreiheit eine heilsame Funktion für die Religionen selbst habe. Damit wäre auch der Bezug zur aktuellen Debatte innerhalb der katholischen Kirche wieder hergestellt. A. F. 173