Abgrenzung des relevanten Marktes 1. Grundlagen 2. Preiskorrelationen 3. Natürliche Experimente 4. Schätzung der Substituierbarkeit 5. Messung der Begrenztheit der Preisgestaltungsmöglichkeiten 1. Grundlagen Um die Wettbewerbsverhältnisse auf einem Markt zu charakterisieren, muss der Markt logischerweise erst definiert oder abgegrenzt werden. Eine breite (enge) Abgrenzung des Marktes führt dazu, dass viele (wenige) Anbieter als Konkurrenten angesehen werden, was die Marktmacht der Einzelfirma unter sonst gleichen Umständen klein (gross) erscheinen lässt. Marktmacht wird vielfach verstanden, als die Möglichkeit einer Firma, ihre Preise über das kompetitive Niveau hinaus anzuheben. Demnach setzt sich der relevante Markt einer Firma aus jenen Produkten oder Dienstleistungen zusammen, welche die Preisgestaltungsmöglichkeiten (oder die Gestaltung sonstiger Aktionsparameter wie etwa Service oder Qualität) dieser Firma einengen. Zwei Hauptfaktoren bestimmen die Marktmacht eines Anbieters: Nachfragesubstituierbarkeit und Angebotssubstituierbarkeit Die Nachfragesubstituierbarkeit beschreibt, wie leicht oder bereitwillig Konsumenten auf andere Anbieter wechseln. Die Angebotssubstituierbarkeit hingegen beschreibt, wie leicht andere Anbieter in den betreffenden Markt eintreten können. In der Praxis ist die Nachfragesubstituierbarkeit i.d.R für eine Marktabgrenzung entscheidend. Eine Marktabgrenzung kann sowohl qualitativ als auch quantitativ erfolgen. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf quantitativen Verfahren. Bei einer qualitativen Marktabgrenzung dienen in erster Linie (i) Produktcharakteristiken und (ii) Verwendung als Abgrenzungskriterien. Beispiele qualitativer Analysen Nachfragesubstituierbarkeit auf Basis der Nähe ermittelt: Nachfragesubstituierbarkeit auf Basis von Befragungen ermittelt: 2. Preiskorrelationen Die Analyse von Preiskorrelationen zum Abgrenzen des relevanten Marktes beruht auf dem Gedanken, dass sich die Preise enger Substitute parallel bewegen müssten. Anwendungsbeispiele Getränke Lachs Das folgende Beispiel zeigt jedoch, dass auch die Preise nicht substitutiver Güter korrelieren können. Dabei gehen wir von folgenden Nachfragefunktionen für Gut 1 und Gut 2 aus: q1 a1 b11 p1 b12 p2 q2 a2 b21 p1 b22 p2 Die zugehörigen Gewinnfunktionen lauten: 1 p1 c1 q1 2 p2 c2 q2 Bedingungen 1. Ordnung sind: a1 b12 p2 2 p1 c1 b11 a2 b21 p1 2 p2 c2 b22 Die Reaktionsfunktionen lauten: c a b p1 1 1 12 p2 2 2b11 2b11 c a b p2 2 2 21 p1 2 2b22 2b22 Die Lösung der Reaktionsfunktionen ergibt Nash-Gleichgewichtspreise: c1 a1 4b11b22 b12 a2 p1* c 2 4 2 2 4 b b b b b b b 11 11 22 11 22 12 21 c2 4b11b22 a2 b21 a1 p2 * c 1 4 2 2 4 b b b b b b b 22 22 11 11 22 12 21 Nun unterstellen wir, dass Gut 1 und 2 keine Nachfragesubstitute darstellen, d.h. b12 = b21 = 0. In diesem Fall sind die Nash-Gleichgewichtspreise: p1* c1 a1 2 2b11 p2 * c2 a 2 2 2b22 Die Gleichungen zeigen, dass gemeinsame Kostenschocks (c) oder Nachfrageschocks (a) zu einer Korrelation zwischen p1* und p2* führen können, ohne dass Gut 1 und 2 Nachfragesubstitute sein müssten. (-Fehler bzw. Fehler der ersten Art; „false positive“) „False negatives“ sind ebenfalls denkbar, wenn Preise substitutiver Güter sehr ungenau gemessen sind oder häufig nicht gemeinsamen Schocks unterliegen. In diesem Fall würde eine fehlende Preiskorrelation fälschlicherweise als Zeichen fehlender Substituierbarkeit gedeutet. Entwicklung des Futterkostenverhältnisses zwischen UK und Norwegen 3. Natürliche Experimente Natürliche Experimente untersuchen die Interdependenz der Reaktionen mehrerer Anbieter auf exogene Schocks. In der folgenden Grafik wird die Reaktion eines exogenen Nachfrageschocks bei einem Anbieter auf den Preis des Gutes eines zweiten Anbieters betrachtet. Gemäss diesem Ansatz zeugt ein hoher Grad der Übertragung von starker Substituierbarkeit. Beispiel: Auswirkung einer Preissenkung bei einem Kino auf die Preise anderer Beispiel: Regressionsanalyse phmt h t m xhmt wobei: p = Eintrittspreis x = Anzahl der Kinos in einem gegebenen Umkreis h = jeweils betrachtetes Kino m = Region (101 insgesamt) t = Periode (1. Q. 1993 – 4. Q. 1997) Die fixen Effekte (, und ) eliminieren den Einfluss kino-, periodenund regionsspezifischer Unterschiede der Anzahl Kinos auf den Preis p. Folglich misst den Effekt von Markteintritten auf den Preis. 4. Direkte Schätzung der Substituierbarkeit Die zentrale Frage hier lautet: Welche Güter profitieren in welchem Ausmass von einer Erhöhung des Preises eines anderen Gutes? Eine Antwort darauf liefert das sogenannte „diversion ratio“ (Umleitungsverhältnis), das in Bezug auf zwei Güter 1 und 2 wie folgt definiert ist: DR12 D2 p1 , p2 ln p1 D1 p1 , p2 ln p1 Ein häufig verwendetes Mass für das Umleitungsverhältnis DR stellen Marktanteile dar. Demnach sind die grössten Nutzniesser einer Preiserhöhung diejenigen Produkte mit den grössten Marktanteilen. Motivieren lässt sich der Ansatz durch das multinomiales Logit-Modell von McFadden (Nobelpreisträger 2000), wonach der Marktanteil Si eines Gutes i unter J Produkten Si exp ' xi exp ' x n j 1 j beträgt, wobei x einen Vektor von Eigenschaften (einschl. Preis) darstellen, welche die Güter charakterisieren. Demnach wirkt eine relative Steigerung des Preises xki des Gutes i wie folgt auf den Absatzanteil Sj eines beliebigen anderen Gutes j. ln S j ln xki k xki S i Da der Absatzanteil jedes anderen Gutes um den gleichen Prozentsatz ansteigt, werden die grössten Anteile absolut am meisten zunehmen. Geografische Abgrenzung auf Basis von Import- und Exportanteilen Vorgehen Beginnend mit der kleinsten Region werden die Marktgrenzen solange erweitert, bis die Import- und Export-Anteile an der regionalen Produktion eine bestimmte Schwelle (etwa 25 oder 10 %) unterschreitet. Probleme des Ansatzes Die Anteile liefern nicht notwendigerweise Auskunft über die tatsächlichen Marktmachtverhältnisse. Zum Beispiel sagt die Höhe des Importanteils nicht notwendigerweise darüber aus, wie sich das Importverhalten der Konsumenten innerhalb der Region auf eine intraregionale Preiserhöhung reagieren würde. Zudem ist nicht gesagt, dass der Algorithmus konvergiert, denn eine Ausweitung der Marktgrenzen schliesst neue Anbieter ein, was zu völlig verschiedenen Anteilsstrukturen führen kann. M.a.W.: Die Anteilsentwicklung ist nicht notwendigerweise monoton. 5. Messung der Begrenztheit der Preisgestaltung Der Ansatz wird „hypothetical monopolist test“ (HMT) genannt. Dabei geht es darum, die Marktgrenzen immer weiter zu ziehen, bis die verbleibenden Substitutionsmöglichkeiten der Konsumenten derart klein sind, dass es sich für einen alleinigen Anbieter lohnt, den so definierten Markt zu monopolisieren. Wenn sich die Rentabilitätsfrage alleine auf den Preis bezieht, dann spricht man vom SSNIP-Ansatz („small, nontransitory but significant increase in price“). Eine solche Preiserhöhung wird in der Praxis bei 5 bzw. 10% angesetzt. Das Vorgehen lässt sich grafisch wie folgt veranschaulichen: Der Ansatz lässt sich sowohl für Einprodukt- als auch MehrproduktFälle implementieren. 5.1. Einprodukt-Ansätze Im Monopol-Modell haben wir gesehen, dass sich eine Preiserhöhung für einen Monopolisten immer lohnt, solange pc 1 p Daran ist zu erkennen, dass die Profitabilität einer Preiserhöhung mit der Höhe der Preisnachfrageelastizität abnimmt. Ferner ist davon auszugehen, dass die Höhe der Preisnachfrageelastizität bzw. die Anzahl der Substitutionsmöglichkeiten mit der Breite der Marktabgrenzung abnimmt. Demnach wäre der relevante Markt dort abzugrenzen, wo die Preisnachfrageelastizität ein lokales Minimum erreicht. Um zu prüfen, ob die obige Ungleichheit stimmt werden Angaben zum (i) Preisaufschlag unter kompetiven Verhältnissen und (ii) die Eigenpreisnachfrageelastizität gebraucht. Obwohl dem SSNIP-Ansatz von den Substitutionsmöglichkeiten der Konsumenten ausgeht, werden Kreuzpreiselastizitäten, welche solche Substitutionsmöglichkeiten messen, nicht gebraucht. Das erklärt sich aus der folgenden Beziehung, die zwischen der Eigenpreiselastitizität (11), den Kreuzpreiselastitizitäten (1i) und der Einkommenelastizität (1y) eines gegebenen Gutes 1 bestehen: n 11 1i 1 y i2 Beweis: Wir gehen von folgender Nachfragefunktion nach dem Gut 1 aus. q1 f p1 , , pn , y Wir unterstellen, dass die Konsumenten nicht unter Geldillusion leiden. Infolgedessen ist die Nachfragefunktion homogen vom Grade 0. Das heisst, eine Erhöhung aller Preise und des Einkommens um den gleichen Prozentsatz lässt die Nachfrage nach dem Gut unveändert. Gemäss dem Theorem von Euler gilt für eine homogene Funktion vom Grade 0, dass: n q1 p i 1 pi i q1 y0 y Daraus folgt: q1 pi q1 y 0 y q1 i 1 pi q1 n q1 p1 n q1 pi q1 y 0 p1 q1 i 2 pi q1 y q1 n 11 1i 1 y 0 i 2 Da die Einkommenselastitizität in Bezug auf ein einzelnes Gut i.d.R klein ist, misst die Eigenpreisnachfrageelastizität im Grunde die Summe der Kreuzpreiselastizitäten, die wiederem die Substitutionsmöglichkeiten der Konsumenten abbilden. Kritik an SSNIP Wenn eine Firma bereits ein Monopol hat und ihren Preis so setzt, dass pc 1 p wird es so erscheinen, als ob die Firma kaum profitable Preiserhöhungsmöglichkeiten besitzt, da der Preis bereits so hoch ist, dass weitere Preiserhöhungen starke Substitutionsbewegungen auslösen würde. Man merke dabei, dass ein Monopolist den Preis solange erhöht, bis seine Nachfrage preiselastisch bzw. nie < 1 ist. Das vermittelt den Anschein, dass der relevante Markt wesentlich grösser ist, als er in Wirklichkeit ist. Das Cellophan-Paradoxon kann dazu als Beispiel dienen. Um das Problem zu vermeiden, sollte der SSNIP-Ansatz nicht vom aktuellen, sondern vom kompetitiven Preis ausgehen, der in der Praxis allerdings oft schwer ermittelbar ist. Umgekehrt ist es durchaus denkbar, dass der relevante Markt wesentlich grösser ist, als der SSNIP-Ansatz ihn erscheinen lässt. Dies könnte bei der Präsenz sogenannter „menu costs“ zutreffen. In diesem Fall werden Preise sehr selten aber dafür umso stärker angehoben. Infolge dessen könnten der aktuelle Preis eines Anbieters unter dem kompetitiven Niveau liegen und die Anreize deshalb sehr stark sein, ihn deutlich anzuheben. Critical Loss Analysis Der Ansatz misst, um wie viel der Absatz einer Firma fallen müsste (critical loss), damit eine Preiserhöhung um x% unprofitabel wird. Letzteres trifft dann zu, wenn sich die höheren Erlöse wegen des höheren Preises und die niedrigeren Erlöse wegen des niedrigeren Absatzes gerade die Waage halten. Berechnung des „kritischen Verlustes“ Den Ausgangspunkt bildet die Definition der Gewinnveränderung infolge einer Preiserhöhung von p0 auf p1, die annahmegemäss 0 betragen soll: p1 p0 p1 c D p1 p0 c D p0 0 p1 c D p1 p0 c D p0 p0 D p1 p0 D p1 0 p1 p0 D p1 p0 c D p0 D p1 0 Weitere Umformungen führen zu: p1 p0 D p1 D p0 D p0 p0 c D p0 D p1 0 p1 p0 p0 c D p1 D p0 D p0 p1 p0 0 D p1 D p0 p p0 1 p0 D p0 p1 p0 p0 c p p 0 0 Daraus folgt: kritischer Verlust Preiserhöhung Preiserhöhung bisheriger Preisaufschlag Kritische Verluste für eine unterstellte Preiserhöhung von 5%: Preisaufschlag kritischer Verlust 40% 75% 90% 11.1% 6.3% 5.3% Ein niedriger kritischer Wert deutet darauf hin, dass die Grenze des relevanten Marktes noch nicht erreicht ist, da schon eine relativ kleine Absatzeinbusse eine gegebene Preiserhöhung unprofitabel erscheinen lässt. Auch hier besteht somit das Problem, dass ein bereits sehr hoher Preisaufschlag den relevanten Markt grösser erscheinen lässt. 5.2. Mehrprodukt-Ansätze Zweiprodukt-Fall Die Zielfunktion der betrachteten Firma lautet: p1 c1 D1 p1 , p2 , p3 , , pJ p2 c2 D2 p1 , p2 , p3 , , pJ max p ,p 1 2 Bedingungen erster Ordnung lauten: p1 c1 D1 p D p D1 p p2 c2 2 0 p1 p1 p1 c1 D1 p D p p2 c2 2 D2 p 0 p2 p2 Umformungen und Division durch p1 bzw. p2 führen zu: p1 c1 D1 p D p p1 p2 c2 2 0 D1 p p1 D1 p p1 1 p1 c1 p c p 2 2 2 DR12 p1 p2 p1 ln D1 p ln p1 p1 c1 D1 p p2 D2 p p2 c2 0 D2 p p2 D2 p p2 p2 c2 p c p 1 1 1 1 DR21 p2 ln D2 p ln p2 p1 p2 Demnach lohnt sich eine Erhöhung der Preise des Gutes 1 bzw. 2, wenn: p1 c1 1 p2 c2 p2 DR12 11 p1 p2 p1 p2 c2 1 p1 c1 p1 DR21 22 p2 p1 p2 Daran ist zu erkennen, dass die Anwendung des SSNIP-Ansatzes im Zweigüterfall wesentlich mehr Information erfordert, und zwar Schätzungen (i) von 2 Preisaufschlägen, (ii) 2 Preisnachfrageelastizitäten, (iii) 2 „diversion ratios“ und (iv) vom Preisverhältnis. Der SSNIP-Ansatz unterstellt, dass die Preise von Produkten ausserhalb des betrachteten Produktsets (hypothetischer Monopolist) konstant bleiben. Neure Ansätze, die bislang kaum Anwendung fanden, lassen diese Annahme fallen. Wenn die Produkte ausserhalb der betrachteten Produktgruppe strategische Komplemente darstellen, bewirkt eine Preiserhöhung innerhalb der Produktgruppe eine Preiserhörung ausserhalb der Gruppe, was eine Preiserhöhung bzw. die Attraktivität einer Monopolbildung innerhalb der Gruppe attraktiver erscheinen lässt. Infolge dessen dürften die neueren Ansätze zu engeren Marktabgrenzungen führen. Das Preisführerschaftsmodell berücksichtigt auch Elemente der neueren Ansätze, obwohl es sich auf den Einproduktfall bezieht. Gemäss diesem Modell ist die Preisnachfrageelastizität (sprich Preissetzungsmacht) der dominanten Firma von drei Faktoren abhängig: - Preisnachfrageelastizität des Marktes, - Marktanteil der Randfirmen - Angebotselastizität der Randfirmen d Q Q f f Qd Qd In diesem Modellrahmen lohnt sich eine Preiserhöhung für die dominante Firma, solange pd cd 1 pd d Beim klassischen SSNIP-Ansatz hingegen wäre nur massgebend Da i.d.R. d » ist, würde der SSNIP-Ansatz die dominante Firma und die Randfirmen zusammen als einen Markt betrachten.