Onkologische Welt 2/2011 Kapitel: Neuro

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Neuro-Onkologie
© Schattauer 2011
Neuentwicklungen
in der Neuro-Onkologie
U. Schlegel
Universitätsklinik für Neurologie, Knappschaftskrankenhaus Bochum
Schlüsselwörter
Keywords
Glioblastome
Chemotherapie, Strahlentherapie, Gliome,
primäre ZNS-Lymphome
Chemotherapy, radiotherapy, glioma, primary
CNS lymphoma
Primärtherapie
Zusammenfassung
Summary
Die Standardtherapie des Glioblastoms im Erwachsenenalter besteht aus operativer Resektion, Bestrahlung der erweiterten Tumorregion
begleitet von einer kontinuierlichen Temozolomidtherapie, gefolgt von sechs Zyklen einer adjuvanten Temozolomidtherapie. Therapiestudien mit dem Ziel, diese Standardtherapie zu
verbessern, werden mit dem Integrinantagonisten Cilengitide, mit Tyrosinkinaseinhibitoren, mit dem PKC-β-Hemmer Enzastaurin, mit
Neoangiogenesehemmern und mit anderen
Substanzen durchgeführt. In der Rezidivtherapie werden unter anderem intensivierte Chemotherapieprotokolle und der Neoangiogenesehemmer Bevacizumab eingesetzt. In der Primärtherapie und im Rezidiv enttäuscht haben
targeted therapies mit „small molecules“. Für
die anaplastischen Gliome, WHO Grad III, hat
die NOA-04-Studie einen neuen Therapiestandard definiert. Obwohl es keine „Standardtherapie“ der primären ZNS-Lymphome (PZNSL)
gibt, soll primär eine Methotrexat-(MTX)-basierte systemische Chemotherapie eingesetzt
werden. Eine primäre Strahlentherapie der
PZNSL allein wird nicht empfohlen und ihr Einsatz als konsolidierende Maßnahme nach einer
MTX-basierten Chemotherapie bringt nach
neuesten Daten keinen Überlebensvorteil. Die
Therapie der Wahl bei PZNSL besteht in einer
MTX-basierten Polychemotherapie. Bei Patienten unter 60 werden damit kurative Therapieansätze verfolgt. In Deutschland gibt es gut organisierte Studiengruppen. Die Patienten sollten möglichst alle innerhalb dieser Studien behandelt werden.
The standard of care in adult glioblastoma is
tumour resection followed by concomitant
radio-/chemotherapy with temozolomide and
6 cycles of adjuvant temozolomide. To improve this standard, clinical trials have evaluated/evaluate efficacy and toxicity of cilengitide, an integrin antagonist, inhibitors of tyrosine kinases, of PKC-β and of neo-angiogenesis among other substances. In the recurrent
situation intensified chemotherapy regimens
are applied as well as bevacizumab, an antibody to the vascular endothelial growth factor. For recurrent glioblastoma, results with
small molecules have been disappointing. For
anaplastic glioma, WHO grade III, results of
the NOA04-trial, have established a new standard. There is no “standard” therapy for primary CNS lymphoma. Methotrexate (MTX)based chemotherapy should be considered
first. A primary radiotherapy is not recommended, its usefulness as “consolidating”
therapy after chemo could not be shown by a
large prospective randomized trial. Today’s
therapy of choice is a MTX-based polychemotherapy. In patients at age 60 years or younger
this therapy is given in a curative approach. In
Germany there are well-organized study
groups. If possible, all patients should be
treated within clinical trials.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. U. Schlegel
Universitätsklinik für Neurologie
Knappschaftskrankenhaus Bochum
Ruhr-Universität Bochum
In der Schornau 23–25, 44892 Bochum
Tel. 0234/299–3701, Fax –3719
[email protected]
Update in neurooncology
Onkologische Welt 2011; 2: 89–93
Nachdruck aus:
Nervenheilkunde 2010; 29: 747–752
Eine 5-Jahresanalyse der EORTC-NCICStudie zur gleichzeitigen Radiochemotherapie und adjuvanten Temodalchemotherapie beim Glioblastom zeigte für diesen
neuen Therapiestandard stabil verbesserte
Überlebenszeiten mit einer 5-Jahresüberlebensrate von 9,8% für Patienten, die initial mit Temozolomid behandelt worden
waren, versus 1,9% für Patienten, die initial mit einer Strahlentherapie allein behandelt worden waren. Für Patienten mit einem methylierten O6-Methylguaninmethyltransferase-(MGMT)-Promoter lag
die 5-Jahresüberlebensrate sogar bei 13,8%
(26). Auch für Patienten zwischen dem 60.
und 70. Lebensjahr war die Therapie mit
Temozolomid zusätzlich zur Strahlentherapie vorteilhaft. Für die klinische Betreuung von Patienten mit Glioblastomen ist
ein kürzlich publizierter, überraschender
Befund wichtig: Blumenthal und Mitarbeiter (2) konnten in einer retrospektiven
Analyse von 3 052 Patienten mit einem supratentoriellem Glioblastom zeigen, dass
eine Verzögerung der Einleitung einer
Strahlentherapie bis zu sechs Wochen nach
Operation eines Glioblastoms keinen negativen Einfluss auf die Gesamtüberlebenszeit hatte.
Die MGMT ist ein sich verbrauchendes
Enzymsystem: Jede Reparatur eines DNAMoleküls verbraucht ein MGMT-Molekül.
Deshalb war es naheliegend, durch eine Intensivierung der alkylierenden Chemotherapie eine „Depletion“ von MGMT bei Patienten mit unmethyliertem MGMT-Promoterstatus anzustreben: In einer kleinen
einarmigen Studie (7) wurde Temozolomid mit Lomustin (CCNU) kombiniert,
initial mit 100 mg/m2 CCNU an Tag 1 und
Temozolomid 100 mg/m2 an den Tagen 2
bis 6, gefolgt von einer therapiefreien Pause. Die Therapie wurde nach jeweils sechs
Wochen wiederholt für bis zu sechs Zyklen,
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dann in einer an die Myelotoxizität angepassten Dosis. Die Patientengruppe umfasste 31 Patienten mit dieser Dosierung
und acht weitere Patienten, die ein intensiviertes Protokoll erhielten. Die Gesamtüberlebenszeit war mit 23,1 Monaten ungewöhnlich lang und das 4-Jahresüberleben mit 18,5% ungewöhnlich hoch. Nach
einer medianen Beobachtungszeit von 41,5
Monaten war die Gesamtüberlebenszeit für
die acht intensiviert behandelten Patienten
noch nicht erreicht, sodass bereits vier dieser Patienten mindestens 56 Monate ihre
Erkrankung überlebt hatten, zwei davon
ohne Rezidiv. Allerdings konnte für die Patienten mit unmethyliertem MGMT-Promotor – im Gegensatz zum Ziel der Studie
– keine Verbesserung erreicht werden. Ein
positiver
MGMT-Promoter-Methylierungsstatus war dagegen mit einem hoch
signifikant längeren Überleben verbunden:
34,3 Monate im Vergleich zu 12,5 Monaten
bei den nicht methylierten. Eine randomisierte Phase-III-Studie zur Überprüfung
der Überlebenszeit dieser CCNU-Temozolomid basierten Protokolls im Vergleich zur
Standardtherapie mit Temozolomid alleine
ist geplant.
Mehrere Strategien zur Verbesserung
der Primärtherapie des Glioblastoms werden derzeit evaluiert. Hierzu zählt die
CENTRIC-Studie, in welcher der Integrinantagonist Cilengitide auf seine Wirksamkeit untersucht wird. In einer prospektiven,
multizentrischen, offenen Phase-III-Studie
wird Cilengitide zusätzlich zur Bestrahlung, gleichzeitiger Temozolomid- und adjuvanter Temozolomidtherapie randomisiert verglichen mit der Standardtherapie
allein. Cilengitide wird dabei als Infusion 2
x pro Woche in einer Dosis von 2 000 mg
pro Infusion verabreicht. In einer einarmigen Phase-I/IIa-Studie mit 52 Patienten
mit Primärdiagnose eines Glioblastoms lag
die 1-Jahresüberlebensrate bei 68%, für die
MGMT-Methylierer sogar bei 91% (25).
Eine weitere multizentrische Phase-I/IIStudie zur Primärtherapie von Glioblastomen mit negativem Methylierungsstatus
von MGMT zu Überprüfung der Verträglichkeit und Wirksamkeit von Enzastaurin
wurde vor Kurzem abgeschlossen. Enzastaurin ist ein oral applizierbarer PKCβ-Hemmer, welcher in umfassenden In-vitro- (27) und in In-vivo-Untersuchungen
eine Wirksamkeit gegen Gliomzellen zeigte
und in klinischen Studien eine gute Verträglichkeit aufwies. Für Glioblastome
konnten mit dem TGF-β2-Antisense-Oligonucleotid AP12009 in einer multizentrischen, randomisierten Phase-II-Studie
noch keine messbaren Therapieverbesserungen erzielt werden, wobei die Ergebnisse bei anaplastischen Astrozytomen ermutigender sind.
Rezidivtherapie
Eine Rezidivtherapie mit einem intensivierten Temozolomidprotokoll (150/m²
pro Tag am Tag 1 bis 7, gefolgt von einer
einwöchigen Pause) zeigte bei 90 Patienten
mit Rezidivgliom eine akzeptable Verträglichkeit und eine progressionsfreie Überlebensrate von 44% nach sechs Monaten
(PFÜ-6) für 64 Patienten mit Glioblastomen (29). Einschränkend muss gesagt werden, dass nur neun der 64 Patienten vor ihrem Rezidiv mit Temozolomid behandelt
worden waren. Dennoch wird in zahlreichen Kliniken ein „Temozolomid-Rechallenge“ beim Rezidiv eines Glioblastoms
durchgeführt, wobei sich die PFÜ-6-Daten
einer retrospektiven Serie mit 26 versus
28% nicht wesentlich für Glioblastome unterschieden, die zuvor acht Wochen temozolomidfrei waren oder nicht (30).
Der Tyrosinkinasehemmer („Nibs“)
z. B. der EGF-Rezeptorhemmer Erlotinib
und die Multitarget Tyrosinkinasehemmer
Gefitinib und Imatinib sind Moleküle, die
hochspezifisch an Tyrosinkinasen an der
Zelloberflächen von Tumorzellen und normalen Zellen andocken, dabei deren Wirkung in das Zellinnere verhindern und bei
Tumorzellen selektiv Proliferation inhibieren und Apoptose induzieren. Diese Substanzklasse schien zunächst sehr attraktiv,
da maligne Gliomzellen die Tyrosinkinasen
tragenden Rezeptormoleküle an der Zelloberfläche in hohem Ausmaß exprimieren,
allerdings konnte keine der Substanzen in
randomisierten, prospektiven klinischen
Studien in der Rezidivsituation des Glioblastoms eine Verbesserung des Therapieerfolges erzielen. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Tyrosinkinaseinhibitoren
in der Primärtherapie des Glioblastoms ein
Potenzial entfalten könnten. Eine einarmi-
ge offene, multizentrische Phase-II-Studie
zeigte für die Primärtherapie von Glioblastomen mit Erlotinib in Kombination mit
Temozolomid eine mediane Überlebenszeit von 19,3 Monaten (20).
Neoangiogenesehemmung
Bevacizumab ist ein Antikörper gegen den
vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF), der ein wesentlicher Mediator
der Neoangiogenese in Gliomen ist; er wird
von hypoxischen Gliomzellen sezerniert
und stimuliert die Neubildung von Kapillarendothelien. Eine Blockade von VEGF vermag in vivo und in humanen Glioblastomen wirkungsvoll die Neoangiogenese zu
hemmen. In einer Phase-II-Studie bei 35
Patienten mit Rezidiv eines Glioblastoms
war die PFÜ-6 nach Kombination von Bevacizumab mit dem Zytostatikum Irinotecan 46% (28). Die in der zitierten Arbeit
exemplarisch dargestellten Abbildungen
zeigten eine ausgeprägte Volumenreduktion der kontrastmittelaufnehmenden Tumoranteile. In einer kürzlich publizierten
Phase-II-Studie, in der Bevacizumab als
Monotherapie bei Rezidiv eines Glioblastoms bei 48 Patienten eingesetzt wurde und
Irinotecan in Kombination mit Bevacizumab lediglich bei einem weiteren Progress eingesetzt wurde, betrug die mediane
progressionsfreie Überlebenszeit 16 Wochen, das PFÜ-6 29% und das Gesamtüberleben 31 Wochen (15). Die evaluierbaren
19 Patienten, die mit Bevacizumab und Irinotecan bei einem neuerlichen Progress
behandelt wurden, zeigten keinen objektivierbaren radiologischen Befund. In einer
prospektiven, multizentrischen Phase-IIStudie (6) zum randomisierten Vergleich
einer Monotherapie mit Bevacizumab mit
einer Kombinationstherapie von Bevacizumab und Irinotecan (85 versus 82 Patienten) zeigte sich für Rezidive bei malignen
Gliomen (mehr als 90% Glioblastome)
kein Unterschied für die Gesamtüberlebenszeit (9,2 versus 8,7 Monate), für die
PFÜ-6 (42,6 versus 50,3%) oder für die Ansprechrate (28,2 versus 37,8%). Von Bedeutung ist, dass in der Studie von Kreisl (15)
für etwa die Hälfte der Patienten die Rezidivtherapie mit einer klinischen Besserung
verbunden war und dass diese Patienten die
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Steroidtherapie vorübergehend reduzieren
konnten. Die zitierten Befunde legen nahe,
dass Bevacizumab bei einem Teil der Glioblastomrezidive eine transiente Wirksamkeit besitzt. Allerdings ist die Substanz
durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA wegen des Fehlens eines randomisierten Vergleiches mit einer Standardsubstanz, also z. B. mit einem Nitrosoharnstoff,
durch eine ablehnende Entscheidung im
November 2009 nicht für die Rezidivtherapie maligner Gliome zugelassen worden.
Cediranib ist ein oral verfügbarer panVEGF-Rezeptorinhibitor mit einer zusätzlichen Hemmung weiterer Tyrosinkinaserezeptoren, der in einer einarmigen PhaseII-Studie bei 31 Patienten mit Rezidivglioblastomen eingesetzt wurde; die PFÜ-6 betrug 26%, die radiologisch dokumentierten
partiellen Remissionsrate 57%. Eine Mehrheit der vor Einleitung der Rezidivtherapie
steroidabhängigen Patienten konnte diese
reduzieren oder absetzen (1). Eine randomisierte, multizentrische Phase-III-Studie
zur Überprüfung der Wirksamkeit von Cediranib bei Rezidivglioblastomen wird derzeit durchgeführt.
Anaplastische Gliome
In der 2009 ausgewerteten NOA04-Studie
(31) wurde geprüft, ob eine primäre ausschließliche Chemotherapie einer primären
ausschließlichen Strahlentherapie bei postoperative Behandlung nach Resektion eines
anaplastischen Glioms, WHO III (Astrozytom, Oligoastrozytom und Oligodendrogliom) überlegen oder unterlegen ist. Darüber hinaus sollte untersucht werden, ob die
histologische Zuordnung zu einem dieser
drei Typen eine prognostische Bedeutung besitzt. Insgesamt wurden 312 Patienten randomisiert verglichen und folgenden Primärtherapien zugeordnet: Strahlentherapie der erweiterten Tumorregion vs. Chemotherapie
mit Procarbazin, CCNU und Vincristin
(PCV) vs. Chemotherapie mit Temozolomid.
Nach Versagen der Primärtherapie, also bei
Progredienz oder Rezidiv sollte auf die jeweils
andere Modalität, also bei primärer Chemotherapie, auf die Strahlentherapie umgestellt
werden und umgekehrt. Primärer Endpunkt
der Studie war die Zeit bis zum Therapieversagen, wobei das Therapieversagen definiert
wurde mit Rezidiv oder Progress nach der
zweiten Therapiemodalität. Sekundäre Endpunkte waren die Zeit bis zum ersten Progress, Gesamtüberleben und Toxizität. Für alle drei histologischen Tumorentitäten zeigte
sich in Bezug auf den primären Endpunkt
Zeit bis zum Therapieversagen und in Bezug
auf den sekundären Endpunkt Zeit bis zum
Progress kein Unterschied zwischen den gewählten Therapieverfahren. Damit hat diese
Studie einen neuen Therapiestandard definiert, der es erlaubt, anaplastische Gliome,
WHO Grad III, primär mit einer Chemotherapie zu behandeln, wegen der besseren Verträglichkeit mit Temozolomid in üblicher
Dosierung über acht Zyklen. In der Situation
des Tumorrezidivs bzw. Tumorprogresses
nach/unter Chemotherapie ist es sinnvoll, eine konventionelle externe Strahlentherapie
mit 60 Gy der erweiterten Tumorregion einzusetzen. Die Studie zeigte weiter, dass es ohne Belang ist, ob ein Tumor histologisch als
reines Oligodendrogliom oder als Oligoastrozytom charakterisiert wird. Allerdings zeigte
sich ein statistisch hochsignifikanter Unterschied zwischen reinen Astrozytomen und
oligodendroglialen Tumoren.
Der transforming growth factor ß2
(TGF-ß2) besitzt eine wichtige Funktion bei
der Unterdrückung von Immunantworten
des Gastorganismus gegenüber Tumorzellen.
Gliomzellen exprimieren TGF-β2, welches
offensichtlich auch bei Mechanismen des Tumorprogresses eine Rolle spielt (8). Zur Suppression von TGF-β2 wurde das spezifische
antisense-Oligonukleotid AP12009 entwickelt (23). In In-vitro-Experimenten konnte die Spezifität und Effektivität der TGFβ2-Inhibition bei humanen malignen Gliomzellen nachgewiesen werden. In einer klinischen Phase-I/II-Studie konnte eine verlängerte Überlebenszeit gegenüber historischen
Kontrollen erzielt werden (8). Daten einer
nachfolgenden Phase-IIb-Studie stehen aus,
sprechen jedoch möglicherweise für einen
Therapieeffekt bei anaplastischen Gliomen.
Niedrig maligne Gliome
Operation
Der Wert der operativen Resektion eines
niedrig gradigen Glioms ist nie in einer
prospektiven randomisierten Serie unter-
sucht worden. Eine solche Studie wird es
aus zahlreichen methodischen Gründen
mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nie geben. Jeder Versuch der Resektion dieser Tumoren erfolgt daher unter der Maßgabe,
dass die Vermeidung neuer, permanenter
neurologischer Defizite Priorität hat. Sofern dies beachtet wird, wird nach vorherrschendem neuro-onkologischen Konsens
der Versuch der weitgehenden Resektion
dieser Tumoren befürwortet. Diese Empfehlung wird durch zwei große retrospektive neurochirurgische Serien aus dem Jahre
2008 untermauert (16, 24).
In einer retrospektiven unizentrischen
Analyse (16) wurde der Verlauf von 170 Patienten ausgewertet (132 bei Erstoperation,
38 bei Reresektion). Nach kernspintomografischen Kriterien wurden unterteilt:
● makroskopisch komplette Resektion
(38% der Patienten),
● „nahezu“ komplette Resektion (23%
der Patienten) und
● subtotale Resektion (39% der Patienten).
Die Analyse ergab, dass ein statistisch signifikanter Unterschied in Bezug auf die Gesamtüberlebenszeit und auf die progressionsfreie Überlebenszeit bestand zwischen
makroskopisch kompletter Resektion und
allen anderen Situationen, nicht jedoch
zwischen makroskopisch „nahezu“ kompletter Resektion und subtotaler Resektion.
Die Gesamtüberlebenszeiten für Patienten
mit makroskopisch kompletter Resektion
waren nach fünf Jahren 95% und nach zehn
Jahren 76%, für die anderen Situationen
deutlich schlechter. In einer weiteren unizentrischen retrospektiven Analyse an 216
Patienten (24) wurde unterschieden zwischen Patienten mit einer ebenfalls makroskopisch kompletten Resektion (nach Kriterien einer FLAIR-gwichteten MRT-Aufnahme), einer mindestens 90%igen Entfernung ihres Tumorvolumens, mit 40% bis
89% Entfernung des Tumorvolumens und
darunter. Es zeigte sich auch hier, dass die
5-Jahresüberlebensfraktion bei makroskopisch kompletter Resektion hochsignifikant besser war als bei einer Resektion von
weniger Volumen. Dieser signifikante Unterschied blieb auch im Rahmen einer unifaktoriellen Analyse bestehen. Die Analyse
der perioperativen Morbidität ergab bei 36
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Patienten von 216 (17%) neue postoperative neurologische Defizite, jedoch nur bei
vier von 216 (2%) permanente neurologische Defizite. Diese Studien zeigen, dass bei
sorgfältiger Indikationsstellung und mit
modernen mikrochirurgischen Operationstechniken das Risiko einer perioperativen Morbidität gering ist. Sie sprechen dafür, dass Patienten von einer operativen Resektion eines niedrig gradigen malignen
Tumors in Bezug auf ihre Überlebenszeit
profitieren, wenn der kernspintomografisch identifizierbare Tumor vollkommen
entfernt werden kann. Beide Studien machen damit wahrscheinlich, dass eine neurochirurgische Tumorentfernung dann
sinnvoll und indiziert ist, wenn der Tumor
mit hoher Wahrscheinlichkeit makroskopisch komplett, ohne zu befürchtende permanente neurologische Defizite entfernt
werden kann.
Chemotherapie
Differenzierte Gliome zeigen ein kontinuierliches Wachstum, welches in einem Bereich zwischen 3 und 6 mm für den größten
Tumordurchmesser pro Jahr liegt (21). An
einer unizentrischen Fallserie von 149 Patienten konnte bei 53% der Patienten ein
Ansprechen des Tumors auf eine Temozolomidchemotherapie, bei weiteren 37% eine Stabilisierung, bei 10% ein Tumorprogress beobachtet werden (14). Die progressionsfreie Überlebenszeit für die Gesamtgruppe war 28 Monate. Allerdings war ein
Großteil der untersuchten und behandelten Tumoren oligodendroglialer Herkunft.
Es wurden in dieser Studie deutlich mehr
Behandlungszyklen durchgeführt als üblicherweise bei malignen Gliomen, da das
Maximum des Tumoransprechens bei diesen niedrig malignen Gliomen erst nach
zwölf Monaten erreicht wurde mit einer
Varianz von drei bis 30 Monaten (14). Bei
den 147 Patienten, die im Median 14 Therapiezyklen erhielten (zwei bis 30 Zyklen),
trat in 7 bzw. 8% WHO Grad III bzw. IV
Myelotoxizität auf. Diese Beobachtungen
erlauben bei Patienten mit niedrig gradig
malignen Gliomen, welche einen Tumorprogress aufweisen und die nicht einer
weitgehend kompletten operativen Resektion zugänglich sind, einen initialen Thera-
pieversuch mit Temozolomid in üblicher
Dosierung, der bei Ansprechen oder Stabilisierung über mindestens ein Jahr durchgeführt werden sollte.
Primäre ZNS-Lymphome
Die primären ZNS-Lymphome (PZNSL)
betreffen zwar alle Altersgruppen, weisen
jedoch einen Häufigkeitsgipfel zwischen
der 5. und 7. Lebensdekade auf. PZNSL
sind überwiegend diffuse oder multifokale
supratentorielle Raumforderungen (22).
Differenzialdiagnostisch sind insbesondere
andere hirneigene Tumoren, aber auch entzündliche Läsionen (Vaskulitis, Granulome, MS-Plaques, bei immundefizienten
Patienten Toxoplasmaenzephalitis, progressive multifokale Leukenzephalopathie
und andere) zu berücksichtigen. Eine Besonderheit der PZNSL ist die Beteiligung
der Augen in Form einer Infiltration des
Glaskörpers, der Uvea und/oder des Nervus opticus, die bei etwa 10 bis 15% der Patienten initial oder im Verlauf nachzuweisen ist. Eine lymphomatöse Infiltration der
Leptomeningen, des Ependyms, von Nervenwurzeln oder des Plexus choroideus
kann ebenfalls auftreten. Ein systemisches
Staging vermag ein systemisches Lymphom
bei bis zu 8% der Patienten bei Erstmanifestation eines zerebralen Lymphoms
aufzudecken. Die überlegene radiologische
Untersuchungsmethode ist die Magnetresonanztomografie (MRT), welche zelldichte Tumoren zeigt, die als singuläre oder als
multiple Läsionen in der T1-Wichtung
nachweisbar sind, als hyperintense Tumoren mit mäßig ausgeprägtem Ödem in der
T2– und FLAIR-Wichtung zur Darstellung
kommen und als kompakte Tumormassen
intensiv und homogen Kontrastmittel aufnehmen (22).
Häufig zeigt sich eine eingeschränkte
Wasserdiffusion, die differenzialdiagnostisch gegenüber anderen ZNS-Tumoren
hilfreich ist (10). Mehr als 50% der Tumoren zeigen eine enge Lagebeziehung zu den
Ventrikeln. Eine meningeale Kontrastmittelanreicherung ist bei etwa 10 bis 20% der
Fälle nachweisbar. Im Liquor cerebrospinalis gelingt zytopathologisch in weniger als
20% der Nachweis von Lymphomzellen
(5). Die Detektion einer monoklonalen
B-Zell-Population mit PCR-gestützten
Verfahren, die monoklonale Rearrangements in der variablen Region des Immunglobulinschwerkettengens aufzeigen, kann
nur in spezialisierten Labors durchgeführt
werden und ist in Einzelfällen sensitiver als
die Routinezytopathologie (5). Bei HIVPatienten ist wegen der nahezu 100%igen
Assoziation des PZNSL mit dem EpsteinBarr-Virus (EBV) die PCR-Positivität für
EBV im Liquor bei Nachweis charakteristischer zerebraler Läsionen für die Diagnosestellung eines PZNSL ausreichend. Die stereotaktische Biopsie ist die diagnostische
Methode der Wahl. Kortikosteroide sollten,
wenn möglich, nicht vor einer stereotaktischen Biopsie gegeben werden, weil Steroide zu einem Verschwinden der Läsion führen können und eine histopathologische
Diagnose dann erheblich erschweren oder
sogar unmöglich machen können. Es ist jedoch gerechtfertigt, auch nach Steroidvorbehandlung im Falle einer raumfordernden Läsion, den Versuch einer bioptischen
Diagnosesicherung ohne Zeitverzug zu unternehmen (19), wissend, dass eine erste
Biopsie dann möglicherweise nicht diagnostisch ist und dass bei klinischer und
neuroradiologischer Progredienz eine
zweite Biopsie erforderlich werden kann.
Nach der WHO-Klassifikation entsprechen mehr als 95% der PZNSL histopathologisch einem diffusen großzelligen B-ZellLymphom (DLBCL) und exprimieren die
B-Zell-Oberflächenmarker CD19, CD20
und CD79a. Die „Ursprungszelle“ des
PZNSL entspricht Keimzentrums-B-Zellen
mit einer hohen Frequenz somatischer Mutationen in der variablen Region der Immunglobulingene und mit Expression des
Keimzentrumsmarkers BCL-6 und einem
Germinal Center Exit-Phänotyp (18). Subklinische B-Zell-Klone mit gleichartigen
Mutationen in der variablen Region des
Immunglobulinschwerkettengens wie im
ZNS können im Knochenmark und Blut
nachgewiesen werden und dort über längere Zeit persistieren (16). Ein Tropismus dieser Zellen zu Hirngefäßen, eine mögliche
klonale Expansion dort und ein Überlebensvorteil dieser Lymphomzellen im
immunprivilegierten ZNS als Pathomechanismus der Entstehung des PZNSL
sind denkbar.
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Therapie
Die Rolle der Neurochirurgie beschränkt
sich auf die stereotaktische Probeentnahme
zur histopathologischen Diagnosesicherung. Die Strahlentherapie ist trotz hoher
Ansprechraten in der Regel nur von
vorübergehender Wirkung und wird heute
in der Primärtherapie praktisch immer mit
einer Chemotherapie verbunden oder als
Rezidivbehandlung nach Versagen der Chemotherapie eingesetzt. Sie wird in der Regel
als Ganzhirnbestrahlung unter Einschluss
der Meningen mit einer Gesamtdosis zwischen 40 und 50 Gy mit Einzelfraktionierungen von 1,5 bis 2 Gy eingesetzt. Der Stellenwert der Bestrahlung innerhalb der multimodalen Therapie in der Primärbehandlung ist ungesichert und unterliegt derzeit
der Evaluation in prospektiven Studien.
Eine effektive Chemotherapie basiert in
jedem Fall auf einer hochdosierten
(> 1g/m2 Körperoberfläche KOF pro Einzelgabe) intravenösen Methotrexatgabe
(MTX). Allerdings liegen die kompletten
Ansprechraten (CR-Raten) unter einer
Monotherapie nicht über 50% und die Gesamtremissionsdauer nicht über einem
Jahr (9). Eine kürzlich publizierte randomisierte Phase-II-Studie zeigt eine höhere
Ansprechrate für die Kombination von
MTX 3,5g/m2 an Tag 1 mit hochdosiertem
Cytarabin (Ara-C), 2 x 2g/m2 KOF an Tagen 2 und 3 über vier Zyklen (4). Hiernach
und nach weiteren, nicht randomisierten
Daten ist eine Kombinationschemotherapie wahrscheinlich effizienter als eine
hochdosierte MTX-Therapie allein. Die
besten Langzeitergebnisse einer Polychemotherapie ohne begleitende Strahlentherapie in der Primärbehandlung wurden mit
dem Bonner Protokoll erzielt. Bei Patienten
bis zum 65. Lebensjahr waren die Ergebnisse sehr ermutigend, der Anteil nach acht
Jahren lebender Patienten lag bei 50%, sodass ein Teil dieser Patienten offenbar kurativ behandelt wurde (13). Ein wesentlicher
Bestandteil dieses Chemotherapieprotokolls ist eine intraventrikuläre Chemotherapie über ein Ommaya-Reservoir als
Tripeltherapie mit täglichen Gaben von
MTX, Prednisolon und Ara-C während der
Chemotherapieblöcke.
Insgesamt sehr viel weniger befriedigend für alle Therapiemodalitäten sind die
Ergebnisse bei älteren Patienten, wobei für
Patienten über 60 Jahre mit keiner publizierten Therapie bisher eine Langzeitkontrolle erzielt werden konnte. Dies wiegt besonders schwer, da gerade ältere Patienten
unter einer Kombinationsbehandlung mit
einer MTX-basierten Chemotherapie und
einer Ganzhirnbestrahlung ein hohes Neurotoxizitätsrisiko tragen. Verlaufsbeobachtungen über zwei Jahre nach Kombination
einer MTX-basierten Chemotherapie mit
einer dosisreduzierten Ganzhirnbestrahlung unter 25 Gy lassen ein niedrigeres
Neurotoxizitätsrisiko vermuten (3).
36 und 45 Gy kombiniert. Der Wert der im
Anschluss an eine MTX-basierte Chemotherapie durchgeführten konsolidierenden
Strahlentherapie wurde in der kürzlich abgeschlossenen Studie der G-PCNSL-Studiengruppe untersucht. Primärer Endpunkt
in dieser randomisierten Phase-IV-Studie
ist die Gesamtüberlebenszeit. Die vor Kurzem präsentierten Daten dieser weltweiten
größten Studie zum PZNSL zeigten keine
Verlängerung der Überlebenszeit durch die
zusätzliche „konsolidierende“ Strahlentherapie mit 30 x 1,5 Gy Ganzhirnbestrahlung
nach primärer Chemotherapie (32).
Hochdosischemotherapie
Progress und Rezidiv
Der Wert einer intensivierten Polychemotherapie, das heißt, einer potenziell myeloablativen Hochdosischemotherapie mit
anschließender autologer Stammzelltransplantation ist noch nicht definiert. Solche
Protokolle wurden in der Rezidivsituation
oder in der Primärtherapie eingesetzt. Die
Induktionstherapie vor der eigentlichen
Hochdosistherapie wird üblicherweise mit
einem MTX- oder Ara-C-basierten Schema, gefolgt von einer thiotepabasierten
Hochdosistherapie durchgeführt. Die in
Deutschland überwiegend eingesetzte
Hochdosistherapie nach dem Freiburger
Protokoll wurde in einer ersten Studie mit
einer obligaten Ganzhirnbestrahlung kombiniert. Derzeit wird für Patienten bis zum
65. Lebensjahr im Rahmen einer prospektiven einarmigen Phase-II-Nachfolgestudie
multizentrisch untersucht, ob eine intensivierte und um den gegen das CD20-Epitop
gerichteten Antikörper Rituximab erweiterte Hochdosistherapie basierend auf dem
Freiburger Protokoll allein ebenso gute Ergebnisse erzielen wird. Dabei soll nur bei
fehlender kompletter Remission nach Chemotherapie eine Strahlentherapie appliziert werden (12).
Insgesamt profitieren Patienten, die nicht in
einer desolaten klinischen Verfassung sind,
in der Regel von einer Rezidivtherapie, wobei eine lange Remissionsdauer nach Therapieansprechen prognostisch günstig ist.
Häufig sprechen Patienten mit Rezidiv nach
einem ersten Therapieansprechen erneut
auf die Gabe der gleichen Substanzen, insbesondere auf Hochdosis-MTX, wie in der
Primärtherapie an. Bei Patienten bis zum 65.
Lebensjahr ist im Rezidiv oder Progress nach
Versagen etablierter MTX-basierter Chemotherapien eine Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation möglich: In
Deutschland können Patienten mit einem
Rezidiv mit dem Freiburger Therapieprotokoll im Rahmen einer prospektiven Studie
behandelt werden. Das Ansprechen auf konventionelle Chemotherapieprotokolle liegt
zwischen 25 und 40%, so für eine Monotherapie mit Temozolomid in üblicher Dosierung, für eine Kombination von Temozolomid mit Rituximab und für eine Monotherapie mit Topotecan 1,5 g/m² KOF pro Tag
über fünf Tage alle drei Wochen (22). Nach
primärem und sekundärem Therapieversagen ist auch die Ganzhirnbestrahlung in
Erwägung zu ziehen. In einer monozentrischen retrospektiven Analyse mitgeteilt, in
die 24 Patienten mit primärem Therapieversagen und 24 Patienten mit sekundärem
Therapieversagen eingingen, lag die komplette Remissionsrate bei 58%, die partielle
Remissionsrate bei 21% und die mediane
Überlebenszeit bei zwölf Monaten (11).
Literatur unter onkologische-welt.de
Kombinierte Chemo- und Strahlentherapie
MTX-basierte Chemotherapieprotokolle
wurden in mehreren großen Studienverbünden in einarmigen Phase-II-Studien
mit einer Ganzhirnbestrahlung zwischen
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