Forschungs- und Entwicklungseinheit Erhöhte Risiken Focus Oktober 2007 Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Focus wird von der SCOR-Gruppe herausgegeben. Diese Ausgabe wurde von Dr. John Evans, beratender Arzt der Forschungs- und Entwicklungseinheit Erhöhte Risiken der SCOR Global Life, verfasst. Diese Broschüre wurde auf Mattpapier aus mindestens 50 % Altpapier, kombiniert mit Frischfasern, gedruckt. Das Umweltmanagementsystem wurde nach ISO 14001 zertifiziert. Inhaltsverzeichnis Einleitung 2 Epidemiologie und pathophysiologische Grundlagen der Koronaren Herzkrankheit (KHK) 4 Pathophysiologie Epidemiologie, Nosologie Behandlung der instabilen Angina pectoris Behandlung des Myokardinfarktes Sekundärprophylaxe Fazit Auswirkungen der neuen Myokard-Revaskularisierungsverfahren auf die Prognose bei ischämischen Herzerkrankungen Grundlagen der Revaskularisierung Koronare Herzerkrankungen (KHK) Koronare Herzkrankheit (KHK): ein neuer Blickwinkel Mortalitätsrückgang bei den koronaren Herzerkrankungen Tarifgestaltung bei der Koronaren Herzkrankheit (KHK) Tarifierungsgrundsätze Tarifgestaltung im Bereich Erwerbsminderung und Erwerbsunfähigkeit Tarifgestaltung im Bereich Pflegerisiko Fazit Herzklappenerkrankungen (Herzklappenvitien) Bestandsaufnahme: Überblick über bei SCOR Global Life angenommene Versicherungsanträge und ihre Tarifgestaltung Angeborene Herzklappenerkrankungen Patienten mit Herzklappenprothese Doppler-Echokardiographie: Schlüsseluntersuchung bei Herzklappenerkrankungen Die Echokardiographie Der Doppler-Effekt Epidemiologie, Pathophysiologie sowie Morbiditätsund Mortalitätsfaktoren von Herzklappenerkrankungen Epidemiologie von Herzklappenerkrankungen Die Pathophysiologie von Herzklappenerkrankungen Der Einfluss der neuen Operationstechniken auf die akute und die Langzeitmorbidität und –mortalität 4 8 9 11 12 13 14 14 16 22 22 22 23 24 25 25 26 26 27 28 28 29 31 31 32 38 Die mechanischen Klappen Die biologischen Klappen Die Nachteile der zwei Prothesentypen im Vergleich Der Homograft Der Autograft Die Therapiewahl Die Mitralklappenplastik 38 39 39 40 40 41 42 Risikobewertung bei Herzklappenerkrankungen 46 Konsequenzen der jüngsten therapeutischen Ansätze bei der Behandlung von Herzklappenerkrankungen Die Analyseraster Praktische Beispiele für die Tarifgestaltung Fazit 46 46 48 51 Focus Einleitung Die moderne Kardiologie hat in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einen einzigartigen Aufschwung erfahren, der das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit von Medizinern und Ingenieuren bei der Konzeption, der Umsetzung und dem Einsatz neuer Diagnoseverfahren und der Behandlung von Herzkreislauferkrankungen ist. Die heutigen technologischen Spitzenleistungen gehen auf historische Versuchs- und Beobachtungsverfahren und eine jahrhundertlange Herz- und Kreislaufforschung zurück. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwendeten Kardiologen zum ersten Mal invasive Diagnosemethoden mittels Herzkatheter, deren Pionier 1929 Werner Forßmann war. André Cournand und Dickinson Richards trugen in den fünfziger Jahren erheblich zur Verbreitung dieses Verfahrens bei. Dieses Verfahren besteht daraus, einen dünnen biegsamen Schlauch (den Katheter) ins Herz einzuführen, um den Druck in den Herzkammern und herznahen Gefäßabschnitten sowie das Herzminutenvolumen zu messen. Durch Injektion eines Röntgenkontrastmittels können Herz und Gefäße sichtbar gemacht werden. Anhand dieser genaueren Informationen konnten die Herzerkrankungen wesentlich besser beurteilt werden. Kurze Zeit später entstand die von Mason Sones zum ersten Mal 1958 eingesetzte Koronarangiographie (auch Koronarographie), die die Untersuchung kranker Herzkranzarterien ermöglicht und den Weg für die Revaskularisierung des Herzens bei Angina pectoris durch Legung eines Bypasses bereitete. Die Bypass-Operation wurde von Michael DeBakey entwickelt und erstmals 1964 angewandt. Doch erst 1977 wurde es durch die Arbeiten von Andreas Grüntzig möglich, diese an der Herzoberfläche liegenden Arterien perkutan zu erreichen, was zur Entstehung eines neuen Fachbereichs innerhalb der Kardiologie, der Koronarangioplastie, führte. Die Angioplastie wiederum, deren Hauptproblem die Restenose an der Behandlungsstelle ist, machte in den neunziger Jahren mit der Implantation von Endoprothesen, so genannter Stents, einen weiteren wichtigen Fortschritt. Die Ergebnisse der AngioplastieChirurgen dürften sich dadurch weiter verbessern und zu einer Zunahme der vorgenommenen Eingriffe führen. In den Fünfziger Jahren wurde zudem die erste HerzLungen-Maschine entwickelt, was Operationen am offenen Herzen ermöglichte. Die erste mechanische Herzklappenprothese wurde 1960 von Albert Starr eingesetzt und sollte das Leben Tausender Patienten mit vormals unbehandelbaren Klappenerkrankungen verändern. 1954 wurde mit dem Einsatz von Ultraschall ein wichtiger Fortschritt im Bereich der nicht-invasiven kardiologischen Diagnostik erzielt. Auch hierbei handelt es sich um das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen einem Physiker, Hertz, und einem Arzt, Edler. Die Echokardiographie ist eine verlässliche, nicht-invasive Methode, die dem Kardiologen Informationen über Anatomie und Funktion des Herzens liefert und ihm daher hilft, seine Patienten besser zu behandeln und gezielter zu operieren. Koronarographie: Rechte Koronararterie Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Aortokoronarer Bypass (zur linken Herzkranzarterie) 3 ECHOKARDIOGRAPHIE RD LV AO LA Linksparasternaler Längsschnitt: Systole LV = linker Ventrikel AO = Aorta RV = rechter Ventrikel LA = linkes Atrium Es gehört zur täglichen Arbeit eines Arztes, kardiovaskuläre Risikofaktoren zu identifizieren und zu beeinflussen, sowohl vor dem Eintreten einer Herz- oder Gefäßkomplikation (Primärprophylaxe), als auch nach deren Auftreten (Sekundärprophylaxe). Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten von Koronar- und Klappenerkrankungen sind heutzutage sehr weit verbreitet. Die durch den Beitrag der Industrie erreichten technischen Verbesserungen und die Erfahrung der Operateure ermöglichen bessere klinische Ergebnisse, was letztendlich mit der Hoffnung auf eine normale Lebensdauer und eine höhere Lebensqualität der Betroffenen verbunden ist. Diese Veröffentlichung gibt uns die Gelegenheit, unsere langjährigen Partner am Ergebnis unserer Arbeit in diesem wichtigen medizinischen Themengebiet teilhaben zu lassen. Gleichzeitig ist es uns gelungen, zahlreiche Spezialisten aus dem Bereich Risikoprüfung in die Vorträge und Diskussionen, die im Rahmen der Medizinertreffen von SCOR Global Life stattfinden, einzubeziehen. Ziel dieser Veranstaltungen ist, unsere Kunden über die medizinischen Fortschritte und deren Auswirkungen auf unsere tägliche Arbeit als Lebensversicherer zu informieren. Die jüngsten, von den eingeladenen Experten vorgetragenen Daten belegen Fortschritte in der Behandlung von Herzerkrankungen und sollten eine optimalere Risikoprüfung und folglich eine angemessene Tarifgestaltung ermöglichen. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden aber auch neue Medikamentenfamilien, die zur Behandlung und Vermeidung von kardiovaskulären Erkrankungen eingesetzt wurden. Betablocker und Kalziumantagonisten beugen der Angina pectoris vor, Fibrinolytika (zur Auflösung von Gerinnseln), Thrombozytenaggregationshemmer und orale Antikoagulantien leisten wertvolle Hilfe bei der Behandlung von thrombotischen Erkrankungen. Mit Statinen und ACE-Hemmern (Angiotensin-Konversions-Enzym-Hemmern) verfügen wir auch über Therapien zur Stabilisierung bzw. sogar zum Abbau atheromatöser Plaques. Außerdem war der Beitrag epidemiologischer Studien grundlegend für die effizientere medizinische Betreuung der Patienten. Damit beginnt die Ära einer „evidenzbasierten Medizin“. Kugelprothese nach Starr-Edwards Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Focus Epidemiologie und pathophysiologische Grundlagen der Koronaren Herzkrankheit (KHK) Dr. med. Jean-Philippe COLLET. Institut für Kardiologie – Krankenhaus Pitié-Salpêtrière (Paris) Nachfolgend möchte ich Ihnen einen allgemeinen Überblick über die akuten Koronarsyndrome geben. Zunächst möchte ich nochmals den pathophysiologischen Hintergrund in Erinnerung rufen, dann möchte ich den nosologischen Rahmen und die modernen Therapiemöglichkeiten betrachten, welche Emile Ferrari später im Einzelnen vorstellen wird. Pathophysiologie Akute Koronarsyndrome sind das Ergebnis eines Prozesses, den man als Atherogenese bezeichnet, nämlich die schrittweise Umwandlung der Fettstreifen in Plaques, die bei jedem Menschen vorkommen, wie eine anatomisch-pathologische Studie bei im Vietnamkrieg umgekommenen jungen US-Soldaten gezeigt hat. Diese Plaques sind Wucherungen, die unabhängig von der anatomischen Lage (Halsschlagadern, Herzkranzarterien, untere Gliedmaßen) schrittweise das Gefäßlumen einengen. Beschleunigt wird diese Entwicklung durch zwei wesentliche Faktoren: Der erste Faktor hat mit den Erbanlagen zu tun, die derzeit noch entschlüsselt werden. Er äußert sich klinisch durch das Auftreten einer Koronarerkrankung vor dem 60. Lebensjahr. In manchen Familien kommt es zu sehr frühen Todesfällen ab dem 30. Lebensjahr. Heute sind wir in der Lage, die dafür verantwortlichen Gene zu identifizieren, aber es ist sehr langwierig und schwierig, einen kausalen Zusammenhang zwischen der Existenz eines bestimmten Polymorphismus und der klinischen Expression der atherothrombotischen Erkrankung (Myokardinfarkt, Schlaganfall) herzustellen. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen den erblich bedingten Faktoren und der zweiten Gruppe von kardiovaskulären Risikofaktoren, den äußeren Risikofaktoren. Diese sind bekannt: Einige sind erworben wie z.B. Rauchen, andere sind so genannte gemischte Faktoren wie Bluthochdruck, Dyslipoproteinämien (Lipidstörungen), Diabetes, Gerinnungsanomalien oder Hyperhomozysteinämie. Die Wechselwirkung zwischen diesen Faktoren begünstigt zunächst die Umwandlung von Fettstreifen in atherosklerotische Plaque und dann eine Plaqueruptur, die zu einem akuten Koronarsyndrom führt. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Progressiver Verlauf Die Ablagerungen nehmen allmählich zu und schränken so den Blutfluss im Gefäß ein. Hierdurch erhält das von diesem Gefäß versorgte Organ weniger Sauerstoff. Bei körperlicher Anstrengung wird mehr Blut in die Herzkranzarterien gepumpt. Ist der Arteriendurchmesser verengt, kommt es zu einer Sauerstoffunterversorgung, weil der Blutfluss nicht ausreichend erhöht werden kann. Heute ist bekannt, dass bei einer durch Plaque bedingten Verengung des Arteriendurchmessers um mehr als 60 % Angina pectoris-Beschwerden auftreten. Es handelt sich um chronische Beschwerden wie beispielsweise Claudicatio intermittens (auch Schaufensterkrankheit genannt), die sich durch Auftreten von Krämpfen in den unteren Gliedmaßen nach einer bestimmten Wegstrecke äußert. Die Ablagerungen wachsen zyklisch, wobei es immer wieder zum Aufplatzen der Plaques kommt (Abbildung 1). Diese Plaquerupturen geschehen zufällig. Der Inhalt der Plaque, der Lipidkern, kommt in Kontakt mit dem Blutkreislauf. Der Kontakt zwischen Lipidkern und Blut führt zu Gerinnungsreaktionen, in deren Folge sich ein Blutgerinnsel bildet. Dieses Gerinnsel kann die Arterie teilweise oder komplett verschließen. Ist der Gefäßverschluss vollständig, kann das Blut nicht mehr fließen. Das Aufplatzen der Plaque wird klinisch spürbar und äußert sich durch einen Myokardinfarkt, wenn die Herzkranzarterie verschlossen ist, oder durch einen Schlaganfall, wenn eine hirnversorgende Arterie betroffen ist, oder durch eine kritische Ischämie der Extremitäten, wenn das Bein nicht mehr mit Blut versorgt wird. Im letzteren Fall besteht das Risiko, dass sich eine Nekrose entwickelt. Ist der Insult schwerwiegend, kann dies für den Patienten lebensbedrohlich sein. Die Plaqueruptur Die drei Schichten einer Arterie sind die Adventitia, die Außenwand des Blutgefäßes, die Media und daran anschließend die Intima mit dem Endothel, einer Zellschicht, die das Blut von der eigentlichen Arterienwand trennt. Das Endothel verhindert beim gesunden Menschen, dass sich Blutgerinnsel bilden. Bricht die Plaquekappe allerdings auf, kommt der Lipidkern in Kontakt mit dem Blut und es bildet sich ein Blutgerinnsel. 5 Mehrere Faktoren können eine Plaqueruptur begünstigen: Mechanische Faktoren Betrachtet man die Herzkranzarterien, stellt man fest, dass sie ständig in Bewegung sind, da sich auch das Herz ständig bewegt bzw. schlägt. Bei Stress erhöht sich der arterielle Druck, was die Ruptur der Plaques begünstigen kann. Das nennt man Stress-Infarkt. Entzündliche Vorgänge Hierbei handelt es sich um eine Abfolge biologischer Ereignisse, die zur Andauung der fibrösen Kappe führt, die das Blut vom Lipidkern trennt. Ist die Kappe aufgelöst, kommt das Blut aus dem Blutkreislauf in Kontakt mit dem Lipidkern, was zum Thrombus führt (Bildung eines Blutgerinnsels). Gefäßbedingte Faktoren Die Arterie besteht aus lebendem Gewebe. Sie wird von kleinen Gefäßen versorgt, den Vasa vasorum, die sich in der Adventitia befinden. Wenn diese Kapillargefäße verstopfen, bildet sich ein Hämatom im Bereich der Plaque, was zu einem Plaqueriss führen kann. Vulnerable Plaque Lumen Fibröse Kappe Lipidkern Entzündung / Vernarbung Schematisch kann man die Plaque als Vulkan darstellen. Der Lipidkern ist die Lava. Darüber befindet sich ein See, der durch die fibröse Kappe von der Lava getrennt ist. Wenn die Kappe aufreißt, spuckt der Vulkan Lava, was zu Komplikationen führen kann. Die „Lava“ enthält so genannte Monozyten-Makrophagen und Material, das reich an veresterten Fetten ist und insbesondere den Gewebefaktor trägt, den Hauptauslöser der Blutgerinnung. Kommt der Lipidkern mit Blut in Kontakt, verklumpt das Blut sofort und bildet ein Gerinnsel. Die Natur hat das gut eingerichtet: Physiologisch gesehen dient die Gerinnung dazu, mögliche Gefäßverletzungen zu heilen. Es kann in der Tat vorkommen, dass das Endothel reißt. Dann gerinnt das Blut im Kontakt mit dem gerissenen Endothel und stopft hierdurch das Loch im Gefäß. Einige Ablagerungen sind anfällig (so genannte vulnerable Plaques), weil sie Entzündungszellen enthalten, die irgendwann einmal aktiv werden und die Matrix, die das gesamte System stabilisiert, auflösen. Die Auflösung der Matrix führt dazu, dass der Lipidkern ins Gefäßlumen quillt und so die Blutgerinnung initiiert. Ein Thrombus entsteht, um die Lücke zu füllen, die sich nach dem Riss der fibrösen Kappe gebildet hat. Über 99 % der Rupturen sind wegen der problemlosen Vernarbungsprozesse klinisch unauffällig. In einigen Fällen schießt der Vernarbungsprozess über das Ziel hinaus und führt zum vollständigen oder teilweisen Verschluss des Gefäßes. Dabei handelt es sich um ein akutes koronares Ereignis auf Gefäßebene. Manchmal allerdings löst sich das Blutgerinnsel von der Gefäßwand ab, was zu einer Embolisierung führt. Es handelt sich um kleine Gerinnsel- und Plaqueteilchen, die in den Blutkreislauf gelangen und die kleinen peripheren, vom großen Gefäß weiter entfernten Kapillargefäße verstopfen. Der Gefäßverschluss führt zum schrittweisen Erstickungstod der vom verschlossenen Gefäß abhängigen Gewebeteile. Wird das Gefäß nicht eröffnet und auf Stärke d. Kappe Größe d. Kerns e Lys Rup tur d / Re atur par Akutes Koronarsyndrom Glatte Muskelzellen Abbildung 1: Pathophysiologie der akuten Koronarsyndrome Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen r Blutung unter der Plaque Makrophage om bo se bo lys e Ly se ro Th Thrombus Th Atherom (Lipidkern) Thrombosefaktoren - lokale Faktoren - systemische Faktoren /W Distale Embolisierung m Fibröses Gewebe ied erh ers tel lung er Ka ppe (Vu lnera bilität , Stimul i) ng ru si e ali n a Rek Focus diese Weise wieder Sauerstoff zugeführt, kommt es zum Infarkt. Findet keine Intervention statt, erfolgt die Rekanalisierung der Gefäße spontan zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die verursachten Schäden bereits irreversibel sind. In manchen Fällen stellt sich ein physiologisches Gleichgewicht zwischen Öffnung und Verschluss des Gefäßes ein. Jeder von uns besitzt ein Fibrinolysesystem, einen Mechanismus, der den Thrombus daran hindert, zu stark zu wachsen. Wenn die physiologische Fibrinolyse nicht ausreicht, entwickelt sich das Gerinnsel vollständig und verstopft das Gefäßlumen. Manchmal kann es zu einem instabilen Gleichgewicht zwischen vollständigem Verschluss und teilweiser Öffnung eines Gefäßes kommen. Das nennt man instabile Angina pectoris: Die Schäden sind noch nicht endgültig entstanden, aber es droht ein vollständiger Verschluss des Gefäßes. Biomarker Bestimmte biologische Substanzen ermöglichen heutzutage eine bessere Beurteilung akuter koronarer Ereignisse. Insbesondere verfügen wir über den Biomarker Troponin, ein intrazelluläres Protein, das die Kontraktion des Herzmuskels steuert. Stirbt eine Muskelzelle infolge eines Gefäßverschlusses ab, wird Troponin ins Blut freigesetzt (Abbildung 3). Seit fünf Jahren ist man in der Lage, dieses Enzym im Blut zu bestimmen. Der Nachweis von Troponin im Blut deutet auf eine Myokardverletzung hin. AUFTRETENDE GEWEBEVERLETZUNG Ruptur Thrombose Myokardläsion Verschluss Embolisierung (+) Troponin Reperfusion Instabilität Infarkt Erkrankung mit Mehrfachschädigung (Abbildung 2) Atherosklerose Ruptur Distale Effekte Lokale Effekte Thrombose Embolie Thrombose Z Vasospasmus I T Dieses Protein ist heute das Mittel der Wahl zur Risikostratifizierung. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Prognose und dem im Blut gemessenen Proteinspiegel (Abbildung 3b). Es ist möglich, Troponin in äußerst geringen Konzentrationen zu bestimmen, die wenigen Mikrogramm eines betroffenen Herzmuskels entsprechen. Der Einsatz der Biomarker ermöglicht es, heute eine wesentlich höhere Zahl von akuten koronaren Ereignissen nachzuweisen, die früher unentdeckt geblieben sind. 8 Prognostischer Wert TNI = Prognostischer Wert Alter und < Prognostischer Wert ST 6,0 6 5 4 3,7 3,4 3 1,7 2 1 0 1,0 831 174 148 134 50 67 0 à < 0,4 0,4 à < 1,0 1,0 à < 2,0 2,0 à < 5,0 5,0 à < 9,0 > 9,0 Kardiales Troponin (ng/ml) Mikrovaskuläre Folgen Abbildung 2 Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen 7,5 7 Verschluss Makrovaskuläre Folgen E Abbildung 3a: Troponin weist auf eine Schädigung des Myokardgewebes hin, deren Ursache eine Plaqueruptur mit Thrombus in den Herzkranzgefäßen, aber auch eine periphere Mikroembolisierung sein kann. 42- Tage – Mortalität (%) Die atherothrombotische Erkrankung ist eine Krankheit mit Mehrfachschädigung, da lokale Ereignisse im Bereich des großen Gefäßes, wo der thrombotische Verschluss stattfindet, aber auch distale Ereignisse im Zusammenhang mit der Embolisierung des atherothrombotischen Materials im Kapillarkreislauf eine Rolle spielen. Bei einigen Myokardinfarktpatienten, die frühzeitig durch vollständige Eröffnung der verschlossenen Koronararterie behandelt wurden, bleibt die Wiederherstellung der Durchblutung des Myokardgewebes trotzdem unzureichend. Denn diese Patienten leiden an einer Schädigung der Kapillargefäße, die mit der Erkrankung der großen Arterie einhergeht. Man kann die Erkrankung nachweisen und kennt zum Teil ihre Ursachen, jedoch gibt es keine therapeutischen Mittel, um sie zu behandeln. Dies ist eine der wichtigsten Einschränkungen, die derzeit in Bezug auf die verfügbaren Therapien bestehen. Bei ungefähr 3 von 10 Patienten ist die Wiederherstellung der Gewebedurchblutung trotz der Eröffnung der Koronararterie unzureichend. Relatives Risiko 1,0 95% Konfidenzintervall 1,8 0,5 - 5,7 3,5 1,2 - 10,6 3,9 1,3 - 11,7 6,2 1,7 - 22,3 7,8 2,6 - 23,0 Abbildung 3b: Prognostische Bedeutung von Troponin 7 THROMBOZYTENADHÄSION UND -AKTIVIERUNG Aktivierte Thrombozyten lagern sich an das verletzte Subendothelium Thrombozyten im Blut Thrombozytenaggregation und Thrombusbildung Thrombus aus Thrombozyten Thrombozyten lagern sich am Subendothelium an Thrombozyten Endothelzelle Subendothelium Abbildung 4a Mechanismen des Gefäßverschlusses Sobald die Thrombozyten in Kontakt mit dem aufgerissenen Endothel kommen, werden sie aktiviert und lagern sich am Subendothelium an, um das Loch im Gefäß zu verschließen, indem sie im Bereich der Rissstelle des Endothels ein Thrombozytenaggregat bilden. Sie häufen sich übereinander und bilden einen Teppich, auf dem die Blutgerinnung aktiviert wird (Abbildung 4a). en Kollag Osteopont in Die Gerinnung ist ein Prozess, bei dem im Blut lösliches Fibrinogen in unlösliches Fibrin umgewandelt wird. Fibrin entsteht durch Polymerisation von aktivierten Fibrinogenmolekülen. Das Fibrin bildet ein Netz aus Fasern, die die Thrombozyten umgeben und die Struktur des Thrombus verstärken (Abbildung 4b) und ermöglicht dadurch das Wachstum des Thrombus und die progressive Entwicklung eines Verschlusses. TxA2 S eroton in FT Adhäsion Aggregation (aktivierte Thrombozyten) TxA2 Serotonin ADP vWF (aufgefaltete Struktur) GPla ανβ3 Fibrinogen GPllb/llla Abbildung 4b: Koronarthrombose Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Va ll Ca++ Vllla lla Focus Biologisch gesehen ist der Zweck der Fibrinolyse, die Auflösung des vom Fibrin gebildeten Gerüsts. Bei einem Ungleichgewicht zwischen Fibrinolyse und Thrombusbildung kommt es zu einer Entwicklung in Richtung Gefäßverschluss. Alles beginnt also mit der Verletzung eines Gefäßes und der Bildung eines Gerinnsels. Es ist bekannt, dass sich daraus eine wahre biologische Kaskade ergibt: Plättchenaktivierung Thrombozythenaggregation Fibrinbildung infolge der Aktivierung der durch Thrombin geförderten Gerinnung. Jede dieser Etappen ist wesentlich und interagiert mit den anderen, wobei es ebenfalls zu einer rückwirkenden Stimulierung kommt. Für eine wirkungsvolle Therapie müssen Medikamente eingesetzt werden, die jede einzelne dieser Schlüsseletappen der Gerinnselbildung blockieren (Abbildung 4c). Abbildung 4c: Die Kombination verschiedener Antithrombotika ist von Vorteil, um sämtliche Etappen der Thrombogenese zu blockieren All diese Medikamente sind auf dem Markt erhältlich: Aspirin (ASS), das eine führende Rolle spielt, Clopidrogrel (Plavix), bei dem es sich um einen neuen Wirkstoff handelt, sowie Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten und Heparin. Das Ziel der Behandlung von akuten koronaren Syndromen ist vor allem die Vermeidung von Gerinnseln. Man hat festgestellt, dass bei einer Kombination all dieser Medikamente ein vollständiger Verschluss des Gefäßes wirksamer verhindert werden kann, selbst wenn man den Patienten dem Risiko einer Blutung aussetzt. Denn dadurch, dass sie die Gerinnselbildung blockieren, begünstigen all diese Medikamente eine Blutung. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Aktivierungsmechanismen der Thrombozyten Die Thrombozyten können auf verschiedene Arten aktiviert werden: über den ADP-Rezeptor, den Thrombinrezeptor und den Thromboxanrezeptor. Alle diese Rezeptoren führen zur Plättchenaktivierung, die grundlegend für die Gerinnselbildung ist. Ziel der uns zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden ist, diese drei Aktivierungswege – Thrombin, ADP und Thromboxan – zu blockieren. Wenn einer dieser Wege aktiviert wird, führt das zur Plättchenaktivierung und zur Exposition von Rezeptoren in der Thrombozytenmembran, an die sich Moleküle aus dem Blut binden, was zur endgültigen Thrombozytenaggregation führt. Derzeit verfügen wir über spezifische Medikamente für jeden dieser drei Wege. Zyklooxygenasehemmer hemmen die Thrombozytenaggregation zu 30 %. Clopidogrel (Plavix®), ein ADP-Rezeptor-Antagonist, ermöglicht eine höhere Wirksamkeit. Durch die Kombination beider Behandlungen können 60 % der Thrombozytenaggregation blockiert werden. Diese Wege haben jeweils unterschiedliche Spezifizitäten (Abbildung 4c). Seit einigen Jahren verfügen wir über noch wirksamere Substanzen, die Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten. Sie hemmen das, was man die gemeinsame Endstrecke der Thrombozytenaggregation nennt. Ohne diese Fibrinogen-Moleküle findet keine Thrombozytenaggregation statt. Man setzt diese Antagonisten in einem sehr kurzen Zeitfenster, nämlich wie einen Airbag, im kritischen Augenblick beim Auftreten eines akuten koronaren Ereignisses ein. Mit ihrer Hilfe kann man Komplikationen bei solchen Ereignissen im Allgemeinen um 50 % senken. Es sind teure, aber höchst wirksame Substanzen (Abbildung 4c). Ein Thrombus besteht aus einem Fibrinnetz mit darin eingelagerten Thrombozytenaggregaten. Der Abbau dieses fibrillären Gerüsts ist auf der Ebene der Thrombozytenaggregate gestört. Durch den Einsatz von IIb/IIIa-Antagonisten kann man die Thrombozytenaggregate beseitigen und die Gerinnsel leichter auflösen. Epidemiologie, Nosologie Klinisch manifestiert sich ein akutes Koronarsyndrom meist durch Schmerzen in der Brust. Beim akuten Koronarsyndrom unterscheidet man zwischen zwei Haupttypen: dem Myokardinfarkt mit Hebung der STStrecke (MI) und der instabilen Angina pectoris (IAP). Zur Untersuchung setzt man das Elektrokardiogramm (EKG) ein, das die elektrische Aktivität des Herzens mittels 9 Elektroden auf der Haut aufzeichnet. Obwohl sie eine ähnliche Pathogenese haben, werden diese zwei klinischen Bilder unterschiedlich behandelt. - Der MI ist das Ergebnis eines vollständigen koronaren Verschlusses, der so schnell wie möglich mittels Thrombolyse oder transluminaler Koronarangioplastie (PTCA) behandelt werden muss, um die Durchblutung wiederherzustellen. - Bei der wesentlich häufiger auftretenden instabilen Angina pectoris (IAP) handelt es sich um ein heterogenes Krankheitsbild, dessen Diagnose eine Schlüsselstellung zukommt, damit Hochrisikopatienten und insbesondere diejenigen, die einen Infarkt ohne Q-Welle haben (nichttransmurale oder non-Q-wave-Infarkte) individuell behandelt werden können. Die IAP unterscheidet sich von einem MI zudem durch ein höheres Wiederholungsrisiko und durch die lebensgefährliche Wirkung von Thrombolytika. Für Frankreich liegen uns keine genauen Daten über die jährliche Anzahl von Infarkten und instabiler Angina pectoris vor, aber es wurden 150 000 Krankenhausaufnahmen aufgrund von Infarkt mit Hebung der ST-Strecke erfasst. Das sind die Patienten, die noch rechtzeitig eingeliefert werden können, aber genauso viele sterben vorher. Bei der instabilen Angina pectoris sind ungefähr 300 000 Fälle pro Jahr bekannt. Instabile Angina pectoris ist eine häufigere Erkrankung, weil Risikofaktoren wie Diabetes und Bevölkerungsalterung (90 % der Achtzigjährigen haben koronare Läsionen) zunehmen und die Diagnose, vor allem dank Troponin, einfacher geworden ist. Behandlung der instabilen Angina pectoris Das vorrangige Ziel umfasst drei Aspekte: Sichere Diagnosestellung, Einschätzung des Risikoprofils, Erkennen von Problemfällen. Diagnostische Wahrscheinlichkeit und Risikoprofil - Die klinische Untersuchung kann für sich genommen schon eine diagnostische Wahrscheinlichkeit durch Auflistung der klassischen Risikofaktoren ermitteln: Ein Patient unter 40 Jahren, der mit Schmerzen im Brustkorb ins Krankenhaus eingeliefert wird, der nicht raucht und erblich nicht vorbelastet ist, hat mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 2 % eine koronare Erkrankung. Hier ist abzuklären, ob der Patient bereits einen Infarkt hatte (Befragung, EKG), ob ein weiteres Gefäßbett betroffen ist und ob Herzmedikamente eingenommen werden (Aspirin und Betablocker). - Biomarker sind heute ein unverzichtbares Hilfsmittel zur Diagnosestellung. Troponin kann zum Beispiel in weniger als 10 Minuten am Bett des Patienten bestimmt werden. Es handelt sich dabei um eine fast untrügliche Klassifizierungshilfe, mit der die ischämische Ursache von Schmerzen im Brustkorb mit 97 %iger Sicherheit ausgeschlossen werden kann, sowie um einen unabhängigen prognoserelevanten Faktor für die Morbidität und Mortalität bei Koronarerkrankungen. - Diese zwei Untersuchungen werden in einer Risikobewertungsskala (TIMI-Score) (Abbildung 5) zusammengefasst, mit der die Diagnosewahrscheinlichkeit sowie die 30Tage-Morbidität und -Mortalität bewertet werden können. TIMI-RISIKO-SCORE FÜR INSTABILE ANGINA PECTORIS EREIGNISRISIKO (%) ZWISCHEN TAG 1 UND TAG 15 ANAMNESE RISIKO-SCORE 1 1 1 1 0/1 3 2 3 4 5 PRÄSENTATION Angina pectoris Kürzlich aufgetretene und schwere A.p. Kardiale Enzyme ST TOD ODER MI 3 3 5 7 12 19 1 1 1 1 Risiko-Score: Gesamtpunktzahl (0-7) Abbildung 5 - Die linksventrikuläre Funktion und die Nierenfunktion beeinflussen das Risiko eines schweren ischämischen Ereignisses (Tod oder Infarkt) und müssen folglich unbedingt durch die Bestimmung der Killip-Klasse und des Kreatininwertes (Kreatinin-Clearance) beurteilt werden (Abbildung 6). Eine Herzinsuffizienz (Killip ≥2) und eine Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance <30 ml/ min) vervierfachen die koronare 30-Tage-Morbidität und -Mortalität. DIE KILLIP-KLASSEN I: keine pulmonale Stauung II: basale feuchte Rasselgeräusche oder S3-Galopp III: Rasselgeräusche in unterer und oberer Hälfte der Lunge IV: kardiogener Schock Abbildung 6 Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen PUNKTE Alter ≥ 65 ≥ 3 KHK Risikofaktoren bekannte KHK Einnahme von Aspirin Focus - Schließlich muss das Blutungsrisiko (Abbildung 7) abgeschätzt werden, denn die Behandlung einer instabilen Angina pectoris steht und fällt mit Antithrombotika. So haben Patienten mit dem höchsten Risiko eines schweren ischämischen Ereignisses (ca. 15-20 % nach einem Monat) auch das höchste Blutungsrisiko. Diese Personen werden aufgrund der ständigen oder vorübergehenden Beeinträchtigungen der Vitalfunktionen (Leber, Niere, Gehirn) zu Hochrisikopatienten, bei denen gleichzeitig ein ischämisches und ein Blutungsrisiko besteht. Odds Ratio p Vermeidung eines vollständigen Koronarverschlusses Alter >80 2,08 < 0,0001 Niereninsuffizienz 1,85 0,03 Weibliches Geschlecht 1,51 0,018 Ziel ist es, die Entwicklung einer vollständigen koronaren Thrombose und somit die Entwicklung eines Myokardinfarktes mit Hebung der ST-Strecke zu verhindern. 2,4 < 0,0001 1,81 0,0096 Gabe von GP IIb/IIIa-Antag Gabe von UFH Gabe von Diuretika 2,20 0,0003 Herzkatheterisierung 2,86 < 0,0001 Der klassische Ansatz Dieser gründet sich auf randomisierte klinische Studien, die Ende der neunziger Jahre durchgeführt wurden und die Notwendigkeit einer medikamentösen Stabilisierungsphase basierend auf einer Kombination von Aspirin (ASS)/ Heparin/Betablockern (Abbildung 8) nachgewiesen haben. Abbildung 7 Erkennen von Problemfällen Bei den Problemfällen handelt es sich um Hochrisikopatienten mit atypischen Symptomen: Ältere Patienten, Patienten mit Diabetes, perioperativer Hintergrund. Bei älteren Menschen ist die Angina pectoris selten typisch und kann deshalb zu Diagnosefehlern führen. Sie äußert sich häufig durch Atemnot oder eine geringe Hirndurchblutung, die Stürze mit Verletzungsgefahr zur Folge haben kann. Die Angina pectoris tritt oft im Zusammenhang mit einer interkurrenten Erkrankung auf, z.B. Fieberzustände oder Anämie, die man unter allen Umständen identifizieren muss. - Nicht fraktioniertes Heparin senkt das Risiko, dass sich aus einer Angina pectoris ein Myokardinfarkt entwickelt, um mehr als 80 % und verringert die Inzidenz von refraktärer instabiler Angina pectoris um ein Drittel. Interessanterweise haben die MI-Rezidive und das Wiederauftreten von Angina pectoris nach dem Absetzen dieser Therapie beweisen können, dass in der akuten Phase einer Angina pectoris eine Kombination von Heparin und Aspirin angezeigt ist, wobei das unfraktionierte Heparin (UFH oder HMH) nach 4-6 Behandlungstagen abgesetzt werden kann, während Aspirin im Rahmen der Sekundärprophylaxe langfristig weiter gegeben werden muss. - Betablocker verringern durch die Vermeidung von schweren ventrikulären Herzrhythmusstörungen und THERAPIEWIRKUNG AUF DEN RÜCKGANG DER TODES- UND INFARKTFÄLLE IN DER AKUTPHASE DER IAP THERAPIE ZAHL STUDIEN ZAHL PATIENTEN Aspirin 4 Heparin 4 1 547 Betablocker 5 4 700 Thrombolyse 12 2 376 % der Variation (mit 95% CI) des Todes- oder Infarktrisikos 3 114 Kalziumantagonisten 5 956 Frühe Angioplastie 1 1 473 -100 < Abnahme Ergebnisse aus Meta-Analysen randomisierter Studien Quelle: Granger CB. In: Califf RM (Ed) "Acute Coronary Care". Mosby, Philadelphia, PA, 1995; Kap. 42 Abbildung 8 Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen -50 0 50 Zunahme > 11 einer Myokardruptur Morbidität und Mortalität. Bei instabiler Angina pectoris ist die Thrombolyse unwirksam und schädlich. Mit Ausnahme von Isoptin haben Kalziumantagonisten bei Postinfarktpatienten keinen nachgewiesenen Nutzen. Der moderne Ansatz Aus einem besseren Verständnis der Pathophysiologie der Angina pectoris und der Thrombogenese heraus wurde die antithrombotische Kombinationstherapie konzipiert und entwickelt. Diese hat insbesondere zur Verbreitung der so genannten frühzeitigen Revaskularisierungstrategien durch PTCA beigetragen. Ziel ist hierbei, verschiedene Antithrombotika-Klassen miteinander zu kombinieren, um dadurch jede einzelne Etappe der Thrombogenese mit Plättchenaktivierung, Thrombozytenaggregation, Thrombinbildung und -wirkung (Abbildung 4c) zu blockieren. EMPFEHLUNGEN Kombination aus Aspirin und Clopidogrel zusätzlich zu einem Antikoagulans (antithrombotische Dreifachtherapie). Niedermolekulares Heparin scheint aufgrund der genaueren Vorhersagbarkeit der Dosis-AntwortBeziehung, einer geringeren Inzidenz der Plättchenaktivierung und der besseren Verträglichkeit im Vergleich zum klassischen, nicht fraktionierten Heparin die bessere Wahl zu sein. Zusätzliche Therapie mit einem GP-IIb/IIIaReceptor -Antagonisten: - bei Erwägung einer Koronarographie für eine Angioplastie oder - im Fall einer refraktären Ischämie oder - bei erhöhtem Troponinwert oder - bei Vorliegen sonstiger Risikofaktoren, wenn keine PTCA geplant ist. Wichtige Fragestellungen für die Zukunft Dank qualitativ hochwertiger randomisierter Studien und der Evaluierung zahlreicher Antithrombotika hat die Revaskularisierung durch Angioplastie größere Verbreitung gefunden. Sie wird heutzutage bei 25-30 % der aufgrund instabiler Angina pectoris im Krankenhaus aufgenommenen Patienten vorgenommen. Für eine noch bessere Behandlung unserer Patienten müssen drei wichtige Fragen geklärt werden: 1. Zunächst muss der Einsatz von aggressiven Vorgehensweisen bei denjenigen Patienten beurteilt werden, die von den randomisierten Studien ausgeschlossen wurden. Es handelt sich um Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz, in fortgeschrittenem Alter, mit einer Vorgeschichte in Bezug auf Blutungen. Sie machen mindestens 40 % der Patienten insgesamt aus und haben eine vierfach erhöhte Morbidität und Mortalität. Sie haben demnach im Prinzip einen größeren Nutzen von dieser Art von Behandlung. Die eigentliche Schwierigkeit ist weiterhin die richtige Einschätzung in Bezug auf die Verträglichkeit (Blutungsrisiko). 2. Entwicklung und Evaluierung einer schnell zum Ziel führenden Behandlung der instabilen Angina pectoris mit einer frühzeitigen Revaskularisierung wie beim Infarkt mit Hebung der ST-Strecke. Dieser Ansatz sollte die Dauer der Krankenhausaufenthalte und der aggressiven Antithrombosebehandlungen verkürzen und darüber hinaus die Morbidität und Mortalität von Hochrisikopatienten verringern: Patienten mit „subintranter“ Angina pectoris, klinischer linksventrikulärer Dysfunktion oder schweren ventrikulären Herzrhytmusstörungen. 3. Entwicklung von Biomarkern zum Monitoring des Patienten, um die Antithrombotika richtig zu dosieren. Behandlung des Myokardinfarktes Beitrag der Angioplastie in der Akutphase der Angina pectoris Die Angioplastie verringert die koronare Morbidität und Mortalität um 20-30 %. Dieser Nutzen ist umso größer, je ausgeprägter das Risikoprofil der Patienten ist. Bei Kombination der Angioplastie mit der Gabe eines GP-IIb/ IIIa-Rezeptor-Antagonisten zur Verringerung von akuten Frühkomplikationen wird dieser Nutzen noch verstärkt. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Ich werde mich im Folgenden auf einige einfache Grundlagen zum Thema beschränken. Im Falle eines Infarkts ist bekannterweise die Arterie verstopft und es gilt „Zeitverlust ist Myokardverlust“. Denn je früher man handelt, umso mehr Muskelsubstanz kann gerettet werden und umso höher sind die Überlebenschancen des Focus Patienten. Das Eröffnen der Arterie erhöht die Überlebensraten. Zur Eröffnung der Arterie verwendet man entweder die Thrombolyse oder die Angioplastie. Die Thrombolyse besteht darin, das Gefäß chemisch zu eröffnen, indem man den Thrombus, aber nicht die Plaque entfernt. Bei der Angioplastie entfernt man gleichzeitig Plaque und Thrombus. Leider kann eine Angioplastie nur in spezialisierten Zentren vorgenommen werden, während eine Thrombolyse beim Patienten zuhause durchgeführt werden kann. Je früher die Behandlung begonnen wird, umso mehr Leben können gerettet werden. Wenn es gelingt, die Patienten innerhalb der ersten drei Stunden nach einem Infarkt zu lysieren, kann man 80 von 1 000 behandelten Patienten das Leben retten. Nach sechs Stunden ist der Behandlungserfolg deutlich geringer. Es ist also extrem wichtig, frühzeitig zu handeln. Das gleiche gilt für die Angioplastie: Je früher sie durchgeführt wird, umso mehr Muskelsubstanz und dementsprechend mehr Leben können gerettet werden. Realiter bekommen von 100 Infarktpatienten 50 eine Thrombolyse, 10 erhalten eine Angioplastie, soweit dieses Verfahren zugänglich ist, und 40-50 werden überhaupt nicht behandelt. Diesen 40 % der Patienten drohen Infarktkomplikationen wie Herzinsuffizienz und Tod. Das ist eines der größten Probleme der vergangenen zehn Jahre. Im Bereich der Wissenschaft und bei den Reperfusionstechniken sind enorme Fortschritte erzielt worden. Dies gilt ebenso für die Angioplastie. In punkto Logistik jedoch sind wir weit vom Idealfall entfernt. Nur 40 % der Patienten erhalten eine Revaskularisierung und dieser Anteil hat sich in den letzten 10 Jahren nicht verändert. Das zu ändern, ist eine echte Herausforderung, der wir uns in den kommenden Jahren stellen müssen. Sekundärprophylaxe Was ist im Falle eines Infarkts zu tun? In erster Linie muss man Einfluss auf die Risikofaktoren nehmen und insbesondere das erneute Auftreten eines akuten koronaren Ereignisses verhindern. Die Risikofaktoren können dahingehend beeinflusst werden, dass man den Patienten dazu bringt, mit dem Rauchen aufzuhören und wenn möglich abzunehmen, um eine Diabeteserrankung oder arteriellen Bluthochdruck zu mildern. Daneben werden verschiedene Arten von Medikamenten eingesetzt: Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Statine (CSE-Hemmer) Hierbei handelt es sich um Cholesterinsenker. Forschungen in diesem Bereich sind übrigens mit einem Nobelpreis für Medizin gewürdigt worden. Zurzeit sind ca. 6 Wirkstoffe auf dem Markt erhältlich. Alle zur Primärprophylaxe durchgeführten Studien, also mit Patienten, die nie ein koronares Ereignis hatten, wie auch zur Sekundärprävention, d.h. mit Patienten, die ein Ereignis hatten, zeigen eine Verringerung von Morbidität und Mortalität (Infarkt/Tod) um 30 %. Zudem konnte festgestellt werden, dass die positive Wirkung dieser Präparate nicht allein auf die Cholesterinsenkung beschränkt ist. Sie haben eine Eigenwirkung auf die Gefäßwand. Diese Medikamente sind relativ gut verträglich und ihre Kosten entsprechen umgerechnet etwa einem Päckchen Zigaretten pro Tag. ACE-Hemmer Ursprünglich wurden ACE-Hemmer zur Blutdrucksenkung entwickelt. Dann stellte man fest, dass sie, wenn sie nach einem Infarkt verabreicht werden, die Mortalität um 2030 % senken bzw. die Komplikationen eines Infarktes, insbesondere Herzinsuffizienz, verringern, indem sie die Vernarbung des Infarktes positiv beeinflussen. Aspirin (ASS) Aspirin (ASS) wird langfristig eingesetzt, um die erneute Bildung von Thromben zu verhindern. Es schützt insbesondere vor einem plötzlichen Herztod und einem erneuten Infarkt, während im Gegenzug die Blutungskomplikationen relativ moderat sind. Das Sterbe- und Infarktrisiko wird durch Aspirin um 30 % verringert. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Nutzen des Medikaments und dem Patientenrisiko. Patienten mit instabiler Angina pectoris haben das höchste Risiko. Deshalb ist Aspirin für sie in Bezug auf die Morbidität und Mortalität von besonders großem Nutzen. Sobald das absolute Risiko eines koronaren Ereignisses die Schwelle von 4 % überschreitet, nimmt der Nutzen der Aspirintherapie zu und das Verhältnis von Nutzen zu Risiko verschiebt sich zugunsten der Therapie. Betablocker Betablocker, die in der akuten Phase eines Infarktes, aber auch außerhalb der akuten Phase eingesetzt 13 werden, verringern in erheblichem Maße ventrikuläre Herzrhythmusstörungen sowie plötzlichen Herztod und zudem das Risiko einer Herzruptur bei einem infarktgeschädigten Herzen. kardiovaskulären Risikos herangezogen werden? Könnten Sie außerdem noch etwas zum Wert der Intima-MediaMessung für die Primärprophylaxe sagen? Jean-Philippe COLLET Nach einem akuten koronaren Ereignis sollten Patienten stets alle vier genannten Medikamente verschrieben bekommen. Fazit Allgemein sind koronare Herzerkrankungen und die sich daraus ergebenden Komplikationen rückläufig, hauptsächlich durch Fortschritte in der Primär- und Sekundärprophylaxe sowie bei der Behandlung von akuten Komplikationen der atherothrombotischen Erkrankungen der Herzkranzgefäße (insbesondere durch Revaskularisierung). Der begrenzte Einsatz und Zugang zu diesen Therapiemöglichkeiten sind weiterhin das Haupthindernis für eine effizientere Behandlung von akuten Koronarsyndromen. In erster Linie ist dies eine Frage der Logistik und der Ausbildung bzw. Aufklärung. Die Entwicklung eines immer verlässlicheren RisikoScores ist ebenfalls ein Thema, das untrennbar mit dem Fortschritt bei der Behandlung von akuten Koronarsyndromen verbunden ist. Derzeit gibt es Biomarker, mit deren Hilfe Prognosen vorgenommen werden können. Diese werden immer häufiger eingesetzt, sowohl am Bett des Patienten als auch in den Notaufnahmen. Einer dieser Marker ist das BNP (brain natriuretic peptide), ein vom Myokard freigesetztes Hormon. Sind die Werte erhöht, weiß man, dass unabhängig von den Ursachen des Myokardschadens ein hohes Mortalitätsrisiko besteht. Andere Biomarker ermöglichen eine Einschätzung des Plaquerupturrisikos, so z. B. das Schwangerschaftsprotein. Dieses Protein befindet sich in den atherosklerotischen Plaques und wird im Falle einer Plaqueruptur in den Blutkreislauf freigesetzt. Es ist also möglich, Patienten mit zahlreichen instabilen Plaques zu identifizieren. In Kürze werden wir über Biomarker verfügen, die uns bereits im Vorfeld einer Komplikation Informationen liefern. Zurzeit befinden sie sich noch in der Prüfungsphase, doch sie werden uns in einigen Jahren wahrscheinlich dabei helfen, Ihre Versicherungstabellen zu berechnen. Patrick MALAMUD Könnten Sie uns in Bezug auf die Primärprophylaxe genauer erläutern, welche Kriterien zur Bestimmung des absoluten Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Die Risikotabelle für das absolute Risiko wurde anhand von prospektiven Studien erstellt, insbesondere der Framingham-Studie. Framingham ist eine Stadt nordöstlich von Boston, deren Einwohner seit fast 50 Jahren systematisch untersucht werden. Die Kohorte umfasst 20 000 bzw. 30 000 Personen, die langfristig begleitet werden. Man ermittelte die klinischen Merkmale dieser Patienten (Bluthochdruck, Diabetes etc.) und untersuchte sie im Laufe der Jahre regelmäßig. Dies ermöglichte aufgrund der sich häufenden koronaren Ereignisse die Ausarbeitung von Tabellen zur Bewertung von vaskulären Risiken in Abhängigkeit von Diabetes, Hypercholesterolämie und Bluthochdruck. Man kann das so genannte Framingham-Score berechnen, in dem Gewicht und Geschlecht berücksichtigt werden. Es handelt sich um allgemeine Scores, die ein Risikoprofil ergeben, was aber nicht heißt, dass man mit diesen Tabellen die genaue Wahrscheinlichkeit eines akuten koronaren Ereignisses für jeden einzelnen voraussagen kann. Deshalb sind andere Tools entwickelt worden, insbesondere echokardiographische Hilfsmittel, um die Intima-Media-Dicke zu messen. Dafür wird ein Schallkopf im Bereich der Karotiden positioniert, mit dem die Ausdehnung von Gefäßendothelium, Intima und Media gemessen werden kann, wo sich die Plaque ablagert. Man hat herausgefunden, dass die Intima-Media-Stärke bei Patienten, die noch nie ein koronares Ereignis hatten, das Risiko jeder Form von vaskulären Ereignissen prognostizieren kann, und zwar sowohl im Bereich der Herzkranzgefäße als auch im Bereich der Karotiden. Derzeit setzen viele Ärzteteams diese Messung zur Diagnosestellung ein. Bei Patienten, bei denen die Intima-Media verdickt ist oder bei denen atherosklerotische Plaques mittels Doppler-Untersuchung entdeckt wurden und deren Belastungs-EKGs nicht eindeutig sind, tendiert man dazu, eine Koronarographie durchzuführen, da bekannt ist, dass diese Patienten ein größeres Risiko als die anderen haben, eine schwere KHK zu entwickeln. Dabei handelt es sich um einen Risikoindikator, den wir häufig bei jüngeren Infarktpatienten heranziehen. Denn es konnte festgestellt werden, dass die Intima-Media-Dicke von Patienten, die vor dem vierzigsten Lebensjahr einen Infarkt erleiden, im Bereich der femoralen Arterien (im Oberschenkel) extrem ausgeprägt ist. Die zugrunde liegenden pathophysiologischen Ursachen sind noch nicht bekannt, aber es handelt sich hierbei um Hilfsmittel, die in der täglichen Praxis immer öfter verwendet werden. Focus Auswirkungen der neuen MyokardRevaskularisierungsverfahren auf die Prognose bei ischämischen Herzerkrankungen Prof. Dr. Emile FERRARI. Abteilung Kardiologie – Pasteur-Krankenhaus - Nizza In reichen Ländern gehören koronare Erkrankungen zu den zweit- oder dritthäufigsten Todesursachen, und auch wir befinden uns in einem reichen Land. Im Jahr 2020 werden sie rund um den Globus und in allen Bevölkerungsschichten die Haupttodesursache sein. Zudem handelt es sich um schwere, weit verbreitete Erkrankungen. Meine Präsentation behandelt die Auswirkungen der neuen Myokard-Revaskularisierungsverfahren auf die Prognose bei ischämischen Herzerkrankungen. In der Folge werde ich die Grundlagen der Revaskularisierung, das Verfahren der Angioplastie (PTCA), Indikationen, Ergebnisse im Vergleich zur chirurgischen Revaskularisierung und die Ergebnisse der medikamentösen Therapie ansprechen. Grundlagen der Revaskularisierung Wenn von einem Myokardinfarkt oder einer ischämischen Herzerkrankung die Rede ist, geht es im Wesentlichen um die linke Herzkammer (linker Ventrikel). Das Herz besteht aus vier Hohlräumen: zwei Vorhöfen (Atrien) und zwei Kammern. Die Hauptfunktion des Herzens ist, das von den Lungen kommende Blut in den großen Kreislauf zu pumpen. Wenn man von infarziertem Herzmuskel spricht, ist damit der Muskel des linken Ventrikels gemeint. Die Koronararterie ist eine Art Vergaser, der den Muskel versorgt. Der Herzmuskel ist der einzige Muskel, der schon vor der Geburt und bis zum Tod arbeitet. Dieser Muskel muss versorgt werden. Das geschieht über die Koronararterie, die von der Aorta abgeht und dem Muskel Blut, Sauerstoff und weitere Nährstoffe zuführt, und zwar im Durchschnitt 77 Jahre lang beim Mann und 83 Jahre bei der Frau. Führungskatheter in der Aorta Atheromatöse Plaque Die atheromatöse Plaque in den Herzkranzgefäßen kann aufreißen. Eine solche Plaqueruptur ist ein ganz alltäglicher Vorgang. Plaquerupturen, die jedoch spontan repariert werden, sind etwas ganz Alltägliches. Die atheromatöse Plaque in den Herzkranzgefäßen muss nicht obstruktiv wirksam sein, sie kann das Gefäß langsam verschließen oder es plötzlich verstopfen. Ist sie nicht obstruktiv, ist das verursachte Syndrom im Allgemeinen eine stabile Angina pectoris (Belastungsangina). Klinisch stellt man das durch die Tatsache fest, dass der Patient Schmerzen beschreibt und dabei seine geschlossene Hand auf die Brust legt und sagt, dass er das Gefühl hat, der Brustkorb sei in einen Schraubstock eingeklemmt, z.B. wenn er rennt, um den Bus nicht zu verpassen. Die einfachste Lösung wäre natürlich, morgens gar nicht erst zu trödeln, um dem Bus nicht hinterherrennen zu müssen… Wenn ein 50-jähriger Raucher dem Arzt sagt, dass ein solches Engegefühl im Brustkorb in Ruhe auftritt, welches eventuell in den Kiefer oder in den Arm ausstrahlt, handelt es sich um die so genannte instabile Angina pectoris. Eine Angina pectoris kann, wenn die atheromatöse Plaque das Gefäß nicht vollständig verschließt, auch in eine ischämische Herzinsuffizienz münden. Die geringere Versorgung mit Blut hat auf den Muskel den gleichen Effekt wie ungenügendes Gießen einer Pflanze bei Hitze. Die Pflanze verwelkt, der Muskel verliert an Leistungsfähigkeit. Tritt der Verschluss plötzlich auf, ist die Arterie vollkommen verstopft, was zu einem Myokardinfarkt führt, zum Absterben des Herzmuskels. Bei Diabetikern, älteren Menschen und Hypertonikern kann der Infarkt stumm sein. In diesem Fall gibt es keine Schmerzsymptome. Manchmal landen diese Patienten fünf oder zehn Jahre später beim Arzt, nicht wegen des unbemerkten Infarktes, sondern weil sie unter einer starken ischämischen Herzinsuffizienz leiden. Bei ihnen gab es zuvor kein Alarmsignal, d.h. keine Angina pectoris. Einbringen eines Koronarstents Folge des Arterienverschlusses Führungsdraht in der Koronararterie Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen So kann ein und dieselbe atheromatöse Plaque drei verschiedene Prozesse auslösen, die in drei verschiedene 15 Koronarerkrankungen münden: Angina pectoris, Infarkt und, seltener, ischämische Herzinsuffizienz. Trotz meiner 20-jährigen Erfahrung fällt es mir schwer, die „ischämische Herzerkrankung“ zu definieren. Handelt es sich hierbei um ein akutes Koronarsyndrom, um eine Arterie, die plötzlich verstopft, während es dem Patienten zwei Minuten vorher noch gut ging? Handelt es sich um den stabilen Zustand eines Koronarpatienten mit atheromatöser Plaque, die die Arterie nicht vollständig verschließt und die ein einwandfreies Funktionieren des Herzens nur verhindert, wenn der Patient ein größeres Herzminutenvolumen benötigt? Handelt es sich um einen bereits behandelten Koronarpatienten, der schon Schäden am linken Ventrikel aufweist? Ich neige am ehesten dazu zu sagen, dass die ischämische Herzerkrankung dem letztgenannten Fall entspricht. Man nennt das Auftreten eines plötzlichen Verschlusses einer Koronararterie selten „ischämische Herzerkrankung“. Selbst in der Medizin ist trotz aller Bemühungen in Bezug auf die Nosologie nicht immer alles klar. Der Myokardinfarkt resultiert aus einem vollständigen Verschluss der Arterie, die das Herz mit Blut versorgt. Von der Blutversorgung abgeschnitten stirbt der Teil des Muskels ab, der von dieser Arterie abhängig ist, wie es bei sämtlichen Skelettmuskeln der Fall ist. Lange Zeit war man der Auffassung, dass mindestens zwei der drei folgenden Bedingungen erfüllt sein müssten, damit man von einem Infarkt sprechen könne: ein typischer konstriktiver Schmerz (Schraubstock, der den Brustkorb einquetscht), der andauert, bis die Arterie wieder geöffnet ist oder der 24 Stunden andauern kann, wenn sie nicht eröffnet wird, bestimmte Anzeichen im EKG, die der Arzt und a forteriori der Kardiologe erkennen muss, das Vorhandensein des Biomarkers Troponin, ein Enzym, das aus den Herzmuskelzellen ins Blut übertritt, wenn sie absterben. Eine tote Zelle öffnet ihre Zytoplasmahülle und setzt ihren gesamten Inhalt ins Blut frei, darunter auch diesen Marker, der ein Hinweis auf Infarkt und Zelltod ist. Troponin ist einer von mehreren Biomarkern, die eine Myokardnekrose anzeigen. Es ist das Enzym, dessen Spiegel im Blut am frühesten ansteigt und das am längsten nachweisbar ist (Normalisierung nach zwei bis drei Wochen). Bei einigen Patienten ist das der einzige Wert, der erhöht ist. Vor 10 Jahren konnten wir die richtige Diagnose „Infarkt“ nicht stellen, wenn der damals verwendete Marker, die CPK, nicht erhöht war. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Die neue, auf Troponin basierende Definition ist genauer und wird wohl dazu führen, dass wesentlich mehr koronare Ereignisse, die wir auf unseren Intensivstationen sehen, als „Myokardinfarkt“ eingestuft werden. Schätzungen gehen davon aus, dass die Infarktinzidenz aus diesem Grund um mehr als 20 % steigen wird. Insofern wird ein Patient, der Schmerzen im Brustkorb verspürt und bei dem nur der Troponinwert erhöht ist, nosologisch genauso als Myokardpatient „eingeordnet“ wie ein Patient, bei dem der CPK-Wert erhöht ist. Trotz zweier völlig unterschiedlicher Prognosen würde im Entlassungsbericht des Krankenhauses in beiden Fällen „Myokardinfarkt“ vermerkt sein. Doch darauf kommen wir später zurück. Der Troponinwert steigt, weil bei der Ruptur einer atheromatösen Plaque „Stücke“ dieser Plaque in die Peripherie embolisieren können. Diese Emboli verstopfen dann nicht die Hauptarterie mit 3 Millimeter Durchmesser, sondern eine kleine Arteriole in der Peripherie, und diese kleine Arterie führt zu einer unauffälligen Nekrose, die durch einen erhöhten Troponinwert entdeckt werden kann. Kann man gefährliche atheromatöse Plaque erkennen? Wir alle haben atheromatöse Plaques auf unseren Arterienwänden. Bei einigen von uns können sie zum Verschluss einer Arterie führen. Bei anderen haben sie überhaupt keine Folgen. Dem äußeren Anschein entgegen ist die gefährlichste Plaque, die aufzureißen und das Gefäß zu verschließen droht, nicht die Plaque, die am obstruktivsten ist. Bei diesem Thema gehen die Meinungen in der interventionellen Kardiologie auseinander. Man behandelt die Plaques, die 75 % der Arterie verschließen, weil sie das Blut daran hindern, richtig zu fließen, um möglichst eine Angina pectoris und ischämische Herzerkrankungen zu vermeiden. Wahrscheinlich löst aber die Plaque, die nur 25 % der Arterie verstopft, den Infarkt aus. Diese Plaque wird jedoch nicht behandelt, entweder weil es soviel davon gibt, dass man gar nicht alles behandeln kann oder weil sie schwer zu erkennen ist. Wenn Patienten mit stabiler Angina pectoris revaskularisiert werden, geschieht das wahrscheinlich nicht, um einen Myokardinfarkt zu verhindern, sondern um eine Angina pectoris zu vermeiden und die Schmerzen im Brustkorb zu beseitigen. Ist eine einzige Koronararterie atheromatös, spricht man von einem Patienten mit Eingefäßerkrankung, sind zwei Arterien betroffen von einem Patienten mit Zweigefäßerkrankung und sind drei Koronararterien betroffen, von Dreigefäßerkrankung. Focus Das Risiko korreliert nicht vollkommen mit dem Ausmaß der Beeinträchtigung der Koronararterien. Die Beeinträchtigung ist progressiv und der Fortschritt kann mit mehreren, insbesondere biologischen Parametern, bestimmt werden. Sind diese Blutmarker, die das Fortschreiten der Erkrankung anzeigen, niedrig, wird der Zustand eines Patienten mit Dreigefäßerkrankung weniger ungünstig sein als der eines Patienten mit Eingefäßerkrankung und erhöhten Markerwerten. Das ist ein neues Konzept in der Kardiologie. Künftig wird uns die Bestimmung spezieller Markerwerte im Blut Erkenntnisse liefern, die über das hinausgehen, was wir anhand des optischen Zustands der Arterien vermuten können. Dies kann zur Entscheidung führen, einen Patienten mit Eingefäßerkrankung und höherem Verschlechterungsrisiko vor einem Patienten mit Dreigefäßerkrankung zu behandeln. Druck sorgt dafür, dass sich der Ballon aufbläst und rundherum die atheromatöse Plaque beiseite drückt. Dann lässt man den Druck aus dem Ballon wieder ab und zieht den Ballonkatheter zurück. Nachdem das Lumen der Arterie wieder hergestellt ist, kann man an der Stelle, wo die Plaque war, eine Prothese, ein „Stent“ genanntes Drahtgeflecht, einsetzen und den Katheter wieder entfernen. Koronare Herzerkrankungen (KHK) Der Myokardinfarkt Verfahren der Revaskularisierung Bei einem Herzinfarkt ist die Herzkranzarterie vollständig verschlossen. Bekommt der von diesem Gefäß versorgte Muskel kein Blut mehr, wird er livid (farblos) und stirbt ab, wenn der Verschluss länger als vier bis sechs Stunden (in einigen Fällen 8 Stunden) dauert. In bestimmten klinischen Situationen muss man dem Herzen tatsächlich „neues Blut“ zuführen. In diesem Fall legt der Chirurg Bypässe. Dafür verwendet er Beinvenen (ACVB, Aortokoronarer Venenbypass), näht die „Venentransplantate“ im Bereich der Aorta ein und umgeht die stenosierten Gefäße durch einen Bypass, um den Teil des Herzens wieder mit sauerstoff- und nährstoffreichem Blut zu versorgen, der wegen der Stenosen unterversorgt war. Der Chirurg kann auch Arterien (Arteria mammaria interna – innere Brustwandarterie) verwenden, um die Herzkranzgefäße zu überbrücken. Es gibt deren zwei, eine auf jeder Seite des Sternums (Brustbein). Die 30-Tage-Mortalität von Patienten mit Myokardinfarkt liegt bei über 40 %. Von 100 verstorbenen Patienten tritt der Tod bei 50 in den ersten zwei Stunden ein. Dies ist der Fall, wenn der Patient es nicht geschafft hat, den Notarzt zu rufen. Wenn jemand über Schmerzen in der Brust klagt, muss sofort ein Notarzt gerufen und sehr schnell gehandelt werden. 70-80 % der durch Myokardinfarkt verursachten Todesfälle ereignen sich in den ersten 24 Stunden. Schätzungen zufolge liegt die Sterberate nach einem Infarkt im Bereich von 5-10 % pro Jahr. Es gibt nur wenige andere Erkrankungen mit einer so hohen plötzlichen Mortalitätsrate. Der Vorteil liegt darin, dass sie oben schon mit der Arteria subclavia (Schlüsselbeinarterie) verbunden sind, die den Arm versorgt. Diese Arterien haben keine lebenswichtige Funktion und können hinter der Stenose an die Koronararterie anastomisiert werden. Zu den Prognosefaktoren nach einem Myokardinfarkt gehört die Größe des Infarkts. Wenn die verstopfte Arterie sehr klein ist und der Infarkt nur einen Quadratzentimeter des Muskels umfasst, ist die Prognose nicht die gleiche, wie wenn eine größere Muskelfläche betroffen ist. Je größer der Infarkt, umso mehr ist die Pumpfunktion des Herzens beeinträchtigt und umso höher ist das Risiko einer Herzinsuffizienz. Die Hauptfunktion der linken Herzkammer besteht darin, das sauerstoffangereicherte Blut aus den Lungen aufzunehmen und es mit ausreichendem Druck in den Körperkreislauf weiterzupumpen. Die Herzinsuffizienz entspricht einer Verminderung des nachgeordneten Volumens. Die Prognose bei Herzinsuffizienz ist schlecht: nach 60 Monaten liegt die Mortalität bei 50 %. Einige Krebsarten haben eine wesentlich bessere Prognose. Eine Alternative zur Operation ist die Ballon-Dilatation (PTCA). Dabei wird ein Kunststoff-Katheter mit 3 Millimeter Durchmesser bis in den Abgang der Herzkranzarterie geschoben, um über diesen Führungskatheter das für eine Dilatation (Ausdehnung) der Herzkranzgefäße notwendige Material durch die Arterie zu schieben. So kann man einen Führungsdraht von 0,4 Millimeter Durchmesser bis über die Stelle der Gefäßverletzung in die Arterie schieben. Über diesen Führungsdraht schiebt man dann einen Ballonkatheter an die Stelle der Stenose, der dort aufgeblasen wird. Der Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen 17 Ganz offensichtlich ist die Funktion der linken Herzkammer (linker Ventrikel) ein wesentlicher Prognosefaktor. Eine Echokardiographie hilft, die Situation besser einzuschätzen. Eine Angiographie erlaubt eine noch genauere Beurteilung. Dafür wird das Herz katheterisiert. Man betrachtet die Kontur des Herzens bei kompletter Füllung und anschließend, wenn es völlig entleert ist. Der Unterschied zwischen den beiden Darstellungen entspricht der Blutmenge, die das Herz bei jeder Kontraktion in den Körperkreislauf pumpt. Man bestimmt das linksventrikuläre enddiastolische Volumen, das bei ca. 130 mmHG liegt sowie das endsystolische Volumen mit einem Normalwert von ca. 45 mmHG. Die Differenz der beiden Volumina ergibt die Kontraktilität des Herzens bzw. die Auswurf- oder Ejektionsfraktion, die normalerweise bei 60 % liegt. Wenn in Ihren Antragsunterlagen die Auswurffraktion mit weniger als 40 % angegeben ist, haben Sie es mit ernstlich erkrankten, um nicht zu sagen schwerkranken Antragstellern zu tun. Der zweite, weltweit anerkannte Prognosefaktor ist die Restischämie. Diese Ischämie kann das für das kürzlich aufgetretene Ereignis verantwortliche Gefäß betreffen, aber auch ein anderes Gefäß. Durch die Belastungsuntersuchung kann man nicht nur die Restischämie des Infarktareals beurteilen, sondern auch herausfinden, ob nicht auch eine Ischämie in anderen Arealen besteht. Bei der Belastungsuntersuchung wird der Patient auf ein Fahrradergometer gesetzt und gebeten, zu treten, wobei die Belastung in 30 Watt-Schritten gesteigert wird, um seine Herzfrequenz zu erhöhen, so wie bei einer wirklichen körperlichen Anstrengung. Man geht normalerweise bis zu 75 oder 80 % der HFmax (maximalen Herzfrequenz, das entspricht der Formel „220 minus Lebensalter“). Damit die Ergometrie verlässlich ist, muss eine bestimmte Herzfrequenz erreicht werden. Einige Patienten zeigen ab 60 Watt und einem Puls von 80 eine Ischämie oder sogar Herzrhythmusstörungen. Diese Patienten haben keine gute Prognose. Behandlung eines Myokardinfarktes: Thrombolyse versus PTCA Beim Myokardinfarkt muss die Arterie möglichst schnell wieder eröffnet werden. Je schneller dies geschieht, umso höher sind die Überlebenschancen des Patienten. Die Angioplastie mit Ballondilatation (PTCA) kommt hier genauso in Betracht wie die Thrombolyse, bei der man intravenös ein Medikament verabreicht, mit dem das die Arterie verschließende Gerinnsel „lysiert“, also aufgelöst wird. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Werden entsprechende Maßnahmen innerhalb der ersten Stunde nach dem Infarkt ergriffen, rettet man 80 von 1 000 behandelten Patienten das Leben. Dieser Anteil mag nicht besonderes hoch erscheinen, doch in der Kardiologie ist das ein ausgezeichnetes Ergebnis. Wenn man etwa 6 Stunden nach dem Infarkt interveniert, liegt der Anteil der geretteten Patienten nicht mehr bei 80, sondern nur noch bei 20 von 1 000. Interveniert man 12 Stunden nach dem Infarkt, besteht für den Patienten aufgrund der verwendeten Medikamente ein Blutungsrisiko, während der erwartete Nutzen fast null ist. Als Faustregel gilt: Je früher die Arterie eröffnet wird, umso mehr Leben werden gerettet. Eine Thrombolyse kann von jedem Arzt überall durchgeführt werden. Angioplastie hingegen erfordert die Verlegung des Patienten in ein Herzzentrum. Diese Zentren sind in Frankreich nicht gleichmäßig über das Land verteilt. In aktuellen Feldstudien, in denen die zwei Behandlungsmethoden miteinander verglichen werden, ist die 30-Tage-Mortalität bei Thrombolyse und PTCA sehr ähnlich. Keines der beiden Verfahren ist dem anderen eindeutig überlegen. Das für die Thrombolyse verwendete Medikament, das die Arterie wieder freimachen soll, kann vor der Ankunft im Krankenhaus verabreicht werden, und bekannterweise ist schnelles Handeln von größter Bedeutung und schon eine Stunde kann ausschlaggebend sein. Es ist folglich besser, den Patienten medikamentös zu behandeln, wenn die Behandlung dadurch früher einsetzt, selbst wenn die medikamentöse Therapie an sich weniger effizient ist als die PTCA. Das ist für die Gesundheit der Patienten und im weitesten Sinne für die Gesundheit der ganzen Bevölkerung entscheidend. Der Nachteil der medikamentösen Behandlung ist, dass 30-40 % der Patienten nicht darauf ansprechen. Außerdem besteht bei Thrombolytika ein Blutungsrisiko. Und schließlich kann es auch passieren, dass die eröffnete Arterie sich in den Stunden danach wieder verschließt: das geschieht in 10-25 % der Fälle. Der Vorteil der Angioplastie ist in solchen Fällen, dass ihre Ergebnisse wesentlich besser sind. Die Ansprechrate liegt bei 95 % bzw. bei den besten Ärzteteams sogar noch höher. Der Nachteil ist, dass man die Patienten in spezialisierte Zentren verlegen muss, in welchen die Ärzteteams diese Art des Eingriffs beherrschen. Es besteht folgender Konsens: Der Arzt, der einen Infarktpatienten behandelt, muss beim nächsten Versorgungszentrum anrufen. Dauert der Transport dorthin weniger Focus als eine Stunde, wird der Patient zur Katheterisierung ins Krankenhaus gebracht und man kann eine Angioplastie durchführen. Wenn aber alle Betten belegt sind oder der Transport unter Umständen länger als eine Stunde in Anspruch nimmt, sollte sich der Arzt für die Thrombolyse entscheiden. Vor 1960 lag die Mortalität bei hospitalisierten Infarktpatienten bei 40 %. Bei einem Patienten, der mit Infarkt ins Krankenhaus eingeliefert wurde, lag die Wahrscheinlichkeit, dass er verstirbt, bei 4:10. Dann wurden spezielle Intensivstationen für koronare Erkrankungen eingerichtet. Die Patienten wurden dort mit aufgeklebten Elektroden zur Feststellung ventrikulärer Herzrhythmusstörungen überwacht, die für die meisten vorzeitigen Todesfälle der Patienten verantwortlich sind. Die einfache Tatsache, dass man den Patienten 3 oder 4 Tage beobachtete, um 90 % der tödlichen Herzrhythmuskomplikationen zu entdecken und zu behandeln, hat dazu geführt, dass die Mortalität von 40 % auf 18 % gesunken ist. Die Thrombolyse hat zusätzlich dazu beigetragen, die Mortalität auf eindrucksvolle Weise zu senken. Dann kamen Medikamente wie Betablocker und Aspirin zum Einsatz, später noch die ACE-Hemmer, die die Mortalität weiter gesenkt haben. Die Krankenhausmortalitätsrate liegt derzeit bei 6-7 %. Selbst in guten Fachartikeln wird behauptet, dass zwischen Verfechtern der Angioplastie und der Thrombolyse keinerlei Konkurrenz besteht. In der Praxis sieht das aber ganz anders aus. Es besteht eine erbitterte Rivalität zwischen den Befürwortern der jeweiligen Therapie. Anstatt sich darüber zu streiten, entweder die Gefäße des Patienten mit einem wirkungsvollen mechanischen Verfahren zu erweitern oder den Patienten mit der zwar kostspieligen, aber breiter anwendbarenThrombolyse zu behandeln, sollte man sich an die durch Zahlen belegbare Tatsachen halten. Der Anteil der Patienten, die innerhalb von anderthalb Stunden auf welche Weise auch immer revaskularisiert werden, d.h. dann, wenn es am wirksamsten ist, liegt bei nur 8 %. Anstatt eine Debatte über die bessere Revaskularisierungsmethode zu führen, wäre es zweifelsohne besser, die Ärzte kümmerten sich darum, dass mehr Patienten schnell behandelt werden. Bei Infarkt ist die frühzeitige PTCA eine Art „4-SterneBehandlung“, aber die Thrombolyse ist mehr Patienten zugänglich, einfacher durchzuführen und kann daher mehr Leben retten. Instabile Angina pectoris Instabile Angina pectoris wird durch einen Thrombus verursacht, der das Gefäß nicht vollständig verschließt. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Die atheromatöse Plaque vermindert den Blutfluss und führt zu einer Ischämie eines Teils des Herzens. Es kann sich um eine Angina pectoris handeln, die in Ruhe auftritt, wobei der Patient ohne irgendetwas zu machen, Schmerzen in der Brust hat. Es kann sich aber auch um eine Angina pectoris handeln, die bei der geringsten Anstrengung auftritt. In beiden Fällen befindet sich die Angina pectoris noch im Anfangsstadium und schnelles Handeln ist höchste Priorität. Seit 1989 liegt die Zahl der instabilen Angina pectoris-Fälle höher als die der Myokardinfarktfälle, und der Abstand wird sich noch vergrößern. Seit 10 oder 15 Jahren wird in der Ärzteschaft über das Vorgehen bei atheromatöser Plaque in Herzkranzgefäßen, die das Gefäß nicht vollständig verschließt, aber den Herzmuskel gefährdet, diskutiert. Soll man sehr „aggressiv“ vorgehen und mit PTCA revaskularisieren oder soll man „lediglich“ die richtigen Medikamente verabreichen? Zahlreiche Studien sind zu dem Schluss gekommen, dass die Arterie unter Voraussetzung eines zugänglichen Gefäßes und mit der Unterstützung einer wirksamen antithrombotischen Therapie zwar nicht mit der gleichen Dringlichkeit wie beim Myokardinfarkt, jedoch innerhalb von 48 Stunden eröffnet werden sollte. Eine vergleichende Studie zwischen nicht-invasiver Methode (Thrombolyse) und invasiver Methode (PTCA oder Bypass) hat gezeigt, dass der Einsatz der zweiten Methode nach drei Monaten einen Vorteil für den Patienten darstellt. Das hat aber seinen Preis: Die invasive Methode kann manchmal selbst einen Infarkt verursachen, weil man die Arterie beim Eröffnen eventuell verstopfen kann. Schützt man den Patienten mit den von Jean-Philippe Collet genannten Medikamenten, können solche Komplikationen verhindert werden. Stabile Angina pectoris Ein typisches Beispiel für eine stabile Angina pectoris ist folgender Fall: Man geht wie jeden Morgen erst zum Bäcker und muss sich dann aber beeilen, um den Bus noch zu erwischen. Dabei verspürt man einen Schmerz in der Brust. Im Fall der stabilen Angina pectoris kommen nun nicht mehr nur zwei, sondern drei Behandlungsmöglichkeiten in Betracht: Die medikamentöse oder die chirurgische Behandlung sowie die Angioplastie, auch perkutane transluminale Angioplastie (PTA) bzw. perkutane transluminale koronare Angioplastie (PTCA) genannt, sofern sie im Bereich der Koronararterien durchgeführt wird. Diese drei Verfahren müssen gegeneinander abgewogen werden. 19 Im Rahmen der CASS-Studie (Coronary Artery Surgery Study) wurde die Überlebensrate von Patienten mit koronarer Bypassoperation mit der von rein medikamentös behandelten Patienten über 18 Jahre lang verglichen. Viele Versicherer nutzen die Ergebnisse dieser Studie für die Prognoseerstellung ihrer Antragsteller. Prognose von Bypasspatienten/Kontrollgruppe Ein junges Lebensalter zum Zeitpunkt des Eingriffs ist kein günstiger Faktor, genauso wenig wie Übergewicht, eine koronare Vorgeschichte, die Einnahme von Diuretika (denn es besteht eine Komorbidität infolge von Bluthochdruck oder Herzinsuffizienz), Rauchen oder eine Schädigung des Hauptstammes der linken Koronararterie. Auch die ausschließliche Verwendung von Venenstücken bei der Bypasslegung anstelle von Arteriengefäßen ist kein günstiger Faktor, denn man weiß heute, dass Bypässe aus Arterien zu besseren Ergebnissen führen. 0,1 0,09 Kontrollgruppe Todesfälle/Jahr 0,08 Bypasspatienten 0,07 Es ist nämlich so, dass jüngere Koronarpatienten in der Regel unter einer komplexen fortschreitenden Erkrankung leiden, für die zahlreiche Risikofaktoren bestehen können. So hat der Patient möglicherweise nicht mit dem Rauchen aufgehört oder die Medikamente haben seinen Bluthochdruck oder Cholesterinspiegel nicht richtig normalisiert. 0,06 0,05 0,04 0,03 0,02 0,01 0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Jahre CASS-Register > 18 Jahre Follow-up In den ersten Monaten versterben Bypasspatienten aufgrund des Operationsrisikos häufiger als medikamentös behandelte Patienten. Danach jedoch ist die Mortalitätsrate der Patienten mit chirurgischem Eingriff relativ gering und es besteht kein wesentlicher Unterschied mehr zur Medikamenten-Gruppe. 5 Jahre nach dem Eingriff beträgt die Überlebensrate 90 %, was in Anbetracht des Durchschnittsalters der Patienten, ihres Gesundheitszustandes und der Schwere der Operation durchaus befriedigend ist. In 74 % der Fälle hat der operierte Patient eine Lebenserwartung von mindestens 10 Jahren, in 56 % der Fälle sogar von 15 Jahren. Wichtig ist das Alter des Patienten zum Zeitpunkt des Eingriffes. So ist bei Patienten, die im Alter von 65 oder sogar 75 Jahren operiert wurden, die Überlebensrate sehr gut und durchaus vergleichbar mit der der Kontrollpopulation. Ein älterer Patient, bei dem man sich ganz bewusst für eine Bypassoperation entschieden hat, hat in 74 % der Fälle eine Lebenserwartung von 10 Jahren und in 54 % der Fälle von 15 Jahren. Ein 70-Jähriger mit Bypass hat in 60 % der Fälle eine Lebenserwartung von 10 Jahren. Dass die Mortalitätsrate von Patienten mit Bypass etwas schlechter ist als die der normalverteilten Population, und das, obwohl die ältesten Patienten von einer solchen Operation profitieren, liegt daran, dass es eine Unterpopulation von Bypasspatienten gibt, deren Mortalitätsrate höher ist als die der normalverteilten Population. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Bei bestimmten Formen der stabilen Angina pectoris kann die medikamentöse Therapie wirksamer als die Revaskularisation sein. Jüngere Ärzte haben bisweilen den Eindruck, dass Medikamente allein keine ausreichende Behandlung darstellen. Dem ist nicht so und in bestimmten Fällen ist die medikamentöse Therapie genauso wirksam. Die RITA-2-Studie umfasste 1018 Patienten mit einer stabilen Angina pectoris. Manche Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip mit einer Angioplastie und andere rein medikamentös behandelt. Der Nachuntersuchungszeitraum betrug zwei Jahre. Die Mortalitätsrate infolge eines Herzinfarktes war doppelt so hoch, wenn ein „aggressives“ chirurgisches Verfahren angewandt wurde. Diese Studie wurde 1997 veröffentlicht und bezog sich auf zwischen 1993 und 1994 durchgeführte Behandlungsmaßnahmen, die noch nicht so wirkungsvoll wie die heute angewandten waren. Trotzdem haben die Ergebnisse meiner Meinung nach auch heute noch Gültigkeit: Zwar hat sich die Angioplastie seitdem weiterentwickelt, aber das gilt genauso für die medikamentöse Therapie. Eine Metaanalyse von 6 Studien mit insgesamt 1000 Patienten über einen Vergleich zwischen medikamentöser Therapie und Angioplastie (PTCA) zeigt, dass die PTCA das relative Risiko einer Angina pectoris um 30 % senkt, was normal ist, da die Öffnung der Arterie eine Revaskularisation des Muskels ermöglicht. Sie belegt ebenfalls, dass die PTCA häufiger einen Myokardinfarkt nach sich zieht. Dieses Verfahren geht mit einem erhöhten Sterberisiko einher und macht häufiger eine erneute Angioplastie oder einen späteren operativen Eingriff notwendig. Denn das Einführen eines Ballonkatheters in eine arteriosklerotisch veränderte Arterie kann eine bestimmte Pathologie verursachen, die sich langfristig auswirkt. Focus Hauptziel der medikamentösen Therapie ist nicht die Beseitigung der Symptome der Angina pectoris – ganz im Gegenteil, denn diese können sozusagen als Alarmsignal fungieren – sondern die Verhinderung einer Plaqueruptur. Die Behandlung soll verhindern, dass es zu einem solchen „Vulkanausbruch“ kommt. Vergleicht man die PTCA mit dem Bypassverfahren, was Gegenstand zahlreicher Studien ist, erscheint die Angioplastie weniger schwerwiegend als die Bypassoperation. So wird sie von weniger unmittelbaren Komplikationen begleitet: es kommt seltener zu einem Hirnschlag oder einem Infarkt. Die Schwäche der Angioplastie besteht in der Vernarbungsneigung der Arterie nach dem Einsetzen eines Stents. Diese ungünstige Entwicklung oder Restenosierung, die unabhängig von Operateur und Verfahren ist, betrifft etwa 25-30 % der Fälle, bei denen dann jedoch das gleiche Verfahren erneut eingesetzt werden kann, um das Narbengewebe zu beseitigen. Der Vorteil der Bypassoperation besteht darin, dass man von vornherein ein besseres Ergebnis bei der Revaskularisation erzielen kann (bis zu fünf Arterien gleichzeitig) und dass es kurzfristig zu weniger Rezidiven kommt. Der Nachteil sind die Operationskomplikationen. Außerdem sind 10 % der Bypässe bereits wieder verschlossen, wenn der Patient den OP-Saal verlässt, nach 10 Jahren sind es 50 %. Die Rezidivrate nach 10 bzw. 12 Jahren ist also relativ hoch. Zeitraum unterschiedlich weiterentwickeln, haben die Ergebnisse einen rein historischen Wert. Genau das passiert gegenwärtig bei der Angioplastie. Der Hauptnachteil dieses Verfahrens bestand in der Vernarbung nach dem Einbringen des Stents (Stentangioplastie). Für dieses Problem der Restenosierung soll bereits eine Lösung gefunden worden sein. In diesem Fall hätte die Angioplastie nur noch Vorteile! Professor Dr. Ferrari zeigt in einem Video ein Beispiel für die Revaskularisation mittels Angioplastie. Dabei wird das Einführen eines Führungskatheters bis zur Arterienverengung gezeigt, an der dann ein Stent implantiert werden soll, um die Engstelle offen zu halten. Nach dem Eingriff ist die betroffene Gefäßstelle wieder komplett offen. Bei dieser Technik beträgt die Interventionszeit 20 Minuten gegenüber 4-5 Stunden bei einem chirurgischen Eingriff. Der Patient wird morgens aufgenommen und am nächsten Tag entlassen, während bei einer Operation eine intensivmedizinische Betreuung von mehreren Tagen sowie eine mindestens zweiwöchige Rekonvaleszenz notwendig sind. Frage aus dem Publikum Gibt es vergleichende Studien zwischen Angioplastie und koronaren Bypass-Operationen am schlagenden Herzen? Emile FERRARI Es gibt kaum Studien, die sich mit dem Vergleich der verschiedenen Therapieverfahren beschäftigen. Wenn man PTCA und Bypassoperation sechs Monate nach dem Eingriff vergleicht, liegt die Erfolgsrate bei der Angioplastie bei 70 % und beim chirurgischen Verfahren bei 90 %. In diesem Betrachtungszeitraum ist das operative Verfahren der Angioplastie überlegen. In einem Nachbeobachtungszeitraum von fünf Jahren liegt die Erfolgsrate sowohl bei der Bypasstechnik als auch bei der Angioplastie bei 70 %, allerdings beginnen die Bypässe, sich wieder zu verschließen, wodurch PTCA und chirurgisches Verfahren zu diesem Zeitpunkt gleichwertig sind. Vergleicht man beide Verfahren 10 Jahre nach dem Therapieentscheid, hat die Angioplastie nach wie vor eine Misserfolgsquote von 30 %, die Bypasstechnik aber eine von 50 %. Die zeitliche Dimension ist demnach für einen Vergleich mit einzubeziehen. Bei einem Follow-up von sechs Monaten ist die operative Behandlung stets vorteilshafter. Darüber hinaus entwickeln sich die Behandlungsverfahren weiter. Für eine Studie muss ein Zeitraum von 5 bis 8 Jahren bis zur Veröffentlichung eingeplant werden. Wenn sich die beiden zu vergleichenden Verfahren in diesem Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Man muss schon fair sein: Auch die Chirurgen machen Fortschritte! Sie sind auf der Suche nach neuen Techniken. Während sich die interventionelle Medizin in den letzten 15 Jahren rasch weiterentwickelt hat, haben sich die Chirurgen in Anbetracht der großen Zahl der zu operierenden Patienten ein bisschen auf ihren Lorbeeren ausgeruht. Als sie festgestellt haben, dass sich auch die Kardiologen an die endovaskulären Interventionstechniken gewagt haben, haben sie eingesehen, dass auch sie sich weiterentwickeln müssen. Gegenwärtig versuchen einige Chirurgenteams immer häufiger, die Patienten ohne extrakorporale Zirkulation zu revaskularisieren. Sie öffnen das Sternum, suchen die Arteria mammaria heraus – die der liebe Gott eigens für die Koronarpatienten geschaffen hat – und legen den Bypass bei schlagendem Herzen, ohne die Blutzirkulation umzuleiten. Diese Technik ist lange nicht so belastend wie das klassische OPVerfahren. Allerdings kann sie nicht bei allen Patienten angewendet werden. Beispielsweise ist sie bei diffusen Erkrankungen und schlechtem Arterienzustand nicht indiziert. Trotzdem ist das ein Fortschritt und wenn man Verfahren vergleicht, muss man die Fortschritte in allen Bereichen berücksichtigen. 21 Bemerkung aus dem Publikum Gemäß den Vorschriften darf eine Angioplastie nur durchgeführt werden, wenn man über eine Abteilung für kardiovaskuläre Chirurgie mit einer einsatzbereiten extrakorporalen Zirkulation verfügt. Emile FERRARI Das ist eine alte Vorschrift, die heute nicht mehr zeitgemäß ist. Es stimmt, in den Vorschriften steht, dass man den Patienten in weniger als einer Stunde in ein entsprechendes Zentrum transportieren können muss. In der Region Provence-Alpes-Côte-d’Azur gibt es so viele Kardiologiezentren, dass sich die Frage gar nicht stellt. Auf Korsika dagegen schon und deshalb kann die Ballondilatation dort nur im Akutfall vorgenommen werden. Dieses Problem schränkt allerdings nicht die Indikationen für die Angioplastie ein. John EVANS Im Zusammenhang mit den Fortschritten bei den Verfahren spricht man von beschichteten Stents, durch die das Problem der Restenosierung behoben werden soll. Wie weit ist die Wissenschaft in diesem Bereich? Emile FERRARI Das Hauptproblem bei Stents ist die überschießende Vernarbung, die Restenose. Es scheint so, als hätte man eine Möglichkeit zur Vermeidung dieser überschießenden Gewebebildung gefunden, und zwar in Form eines Medikaments, das ursprünglich ein Krebstherapeutikum war und die Narbenbildung hemmt. Wenn Sie operiert werden, kann sich eine sogenannte keloidförmige Narbe bilden. Das ist eine wulstartige, stark wuchernde Narbe. Das gleiche kann bei der Behandlung von Verengungen der Koronararterien passieren. Es scheint, dass man die überschießende Narbenbildung heutzutage mit diesem Krebstherapeutikum verhindern kann. Die ersten Ergebnisse sind hervorragend. In einem Artikel von Dr. M.-C. MORICE, der im New England Journal of Medicine erschienen ist, wird von einer Restenoserate von 0 % nach einem Jahr berichtet. Seit fast 10 Jahren hat man alle möglichen Medikamente für die Stentbeschichtung getestet, um diesen Schwachpunkt der Angioplastie in den Griff zu bekommen. Es scheint, dass man mit dieser Familie von Krebsmedikamenten auf dem richtigen Weg ist. Durch die Hemmung der Restenosierung werden sich die Ergebnisse dieses Verfahrens zwangsläufig verbessern, und man wird weniger Patienten an den Chirurgen überweisen. Patrick MALAMUD Wie sieht es mit Wiederholungseingriffen bei der Angioplastie aus? Zahlreiche Patienten erhalten oder Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen profitieren von einem Wiederholungseingriff. Wie weit kann man in diesem Bereich gehen? Emile FERRARI Die erwartete Restenoserate nach einer Angioplastie liegt bei 20-30 %. Bei jeder Ballondilatation bleibt diese Rate gleich. Wenn bei einem Patienten eine Ballondilatation vorgenommen wird, stehen die Chancen 7:10, dass alles gut verläuft, und 1:3 oder 1:4, dass nach 3-6 Monaten eine erneute Gefäßerweiterung vorgenommen werden muss. Sechs Monate später drückt man dem Patienten die Einverständniserklärung in die Hand und fragt ihn, ob er ein chirurgisches Verfahren vorzieht oder ob er bereit ist, es noch einmal mit der PTCA zu versuchen. Nach 3 bis 4 Versuchen kann man vernünftigerweise aufhören und den Patienten an den Chirurgen überweisen. Man muss versuchen, entsprechende Prognosen zu erstellen. Man weiß insbesondere, dass Diabetiker eine stärkere Restenoseneigung haben als andere Patienten. Wenn bei einem Diabetiker drei Gefäßläsionen behandelt werden müssen, wird man ihn eher an die Chirurgie überweisen. Michel DUFOUR Die Dauer einer Krankschreibung ist für uns ein wichtiges Anliegen. Bei den von Ihnen beschriebenen Verfahren wird die Dauer der Krankschreibung dann wohl nicht dieselbe sein wie bei einer Operation, oder? Emile FERRARI Alles hängt von der Ausgangslage ab, die zur Angioplastie geführt hat. Im Falle eines Myokardinfarktes begründet nicht der medizinische Eingriff die Krankschreibung, sondern die Erkrankung, nämlich der Infarkt. Zwischen dem Zeitpunkt, an dem der Patient den Schmerz verspürt und dem Zeitpunkt, an dem er in der Kardiologie eintrifft, ist der Infarkt vorangeschritten. Ab dem Zeitpunkt, an dem der Patient behandelt wird, wird der laufende Infarkt sozusagen abgebrochen, aber die bereits entstandenen Läsionen am Herzmuskel können nicht mehr rückgängig gemacht werden. Zwar bleibt dem Patienten ein großer Infarkt erspart, aber nichtsdestoweniger erleidet er einen Infarkt. Und im Falle eines Infarktes muss man einen bis mehrere Monate Krankschreibung einplanen. Wenn ein Patient hingegen am Montag in die Praxis kommt und sich am Tag darauf aufgrund einer Belastungsangina oder sogar einer Ruheangina einer Ballondilatation unterzieht, könnte er nach drei Tagen Krankschreibung wieder arbeiten gehen. Es kann vorkommen, dass ein Patient versucht, mehr herauszuholen, aber es ist nicht unbedingt gerechtfertigt, bei einer Angioplastie eine Krankschreibung von 3 Monaten zu verordnen. Focus Koronare Herzkrankheit (KHK): ein neuer Blickwinkel Dr. med. John EVANS. Gesellschaftsarzt, SCOR Global Life Mortalitätsrückgang bei den koronaren Herzerkrankungen Der Mortalitätsrückgang bei der Koronaren Herzkrankheit (KHK) ist der eigentliche Anlass für unsere Veranstaltung. Dieser Rückgang wurde erstmals Ende der Siebziger Jahre in den Vereinigten Staaten festgestellt. Die WHO hat daraufhin ein internationales Projekt, das sogenannte MONICA-Projekt, konzipiert, das die Tendenzen der HerzKreislauf-Mortalität in 21 Ländern untersuchen sollte. Mehrere Ergebnisse sind überraschend: Die großen geographischen Unterschiede bei der KHK-Mortalitätsrate. Dabei bilden Tschechien und die Slowakei sowie Russland das Schlusslicht. In Japan hingegen gibt es eine relativ niedrige Sterberate für die KHK. Die Mortalitätsrate von Frauen liegt konstant unter der der Männer. Seit den Sechziger Jahren ist in den meisten Industrieländern die durch KHK bedingte Mortalität deutlich zurückgegangen, während sie in den osteuropäischen Ländern angestiegen ist. In den nordeuropäischen Ländern ist die Sterberate höher als in den südeuropäischen, weshalb auch der umstrittene Begriff des „französischen Paradoxes“ geprägt wurde. Zwar ist die Sterblichkeit in Frankreich tatsächlich niedriger, allerdings ist sie in Lille in Nordfrankreich höher als in Toulouse in Südfrankreich. Es gibt die Prävalenz erhöhende Faktoren für die Koronare Herzkrankheit, die je nach Population variieren, aber die verbesserte Überlebensrate kann auch durch die Leistungsverbesserung der medizinischen Teams erklärt werden. Wie dem auch sei, das klassische Modell einer durch Umweltfaktoren verschärften genetischen Prädisposition für Arteriosklerose mit zum Tod führenden klinischen Komplikationen wird heute in Frage gestellt. Man kann davon ausgehen, dass Primär- und Sekundärprophylaxe, auch zum Teil dank der medikamentösen Behandlung, den Trend in Bezug auf den Zusammenhang zwischen klinischen Komplikationen und Sterblichkeit umkehren werden. Die Versorgung von Patienten mit Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen akutem Koronarsyndrom wird die Zahl der Todesfälle ebenfalls verringern. Tarifgestaltung bei der Koronaren Herzkrankheit (KHK) Unsere Überlegungen zu den koronaren Herzerkrankungen haben zu keiner grundlegenden Änderung geführt. Wir haben gesehen, dass mit dem Myokardinfarkt und dem akuten Koronarsyndrom akute Probleme assoziiert sind, die zu einer relativ hohen vorzeitigen Mortalität führen. Bis zur Erreichung einer klinischen Stabilität lautet die oberste Maxime bei der Tarifierung von koronaren Herzerkrankungen die Zurückstellung der Antragsannahme. Wir raten Ihnen, die Antragsannahme um mindestens 6 Monate nach Auftreten eines akuten koronaren Ereignisses (instabile Angina pectoris, Infarkt, Angioplastie, koronarer Bypass) zurückzustellen. Nach 6 Monaten fordern wir dann vom behandelnden Arzt oder vom Kardiologen einen kardiovaskulären Befund zur Beurteilung einer eventuellen Stabilisierung an, um das Risiko eines vorzeitigen Todes auszuschließen und uns die Auswahl der besten Risiken zu ermöglichen. Einige meiner Ausführungen mögen überholt erscheinen, aber heutzutage besteht die Schwierigkeit der Tarifierung nicht im Hinblick auf die akute, sondern auf die chronische koronare Herzerkrankung. Im Rahmen unserer Risikoeinschätzung müssen wir also Faktoren identifizieren, die sich negativ auf die längerfristige Mortalität infolge eines akuten Herzereignisses auswirken. Schweregrad der Koronaren Herzerkrankung Der erste bei der Risikobeurteilung zu berücksichtigende Aspekt ist der Schweregrad der Koronaren Herzerkrankung. Dieser Schweregrad kann mittels Koronarographie (Herzkatheteruntersuchung) beurteilt werden. Der CASS-Studie zufolge, in der die Überlebensrate nach 8 und 15 Jahren untersucht wurde, gibt es diesbezüglich klare Unterschiede sowohl nach 8 als auch nach 15 Jahren, je nachdem, ob die Patienten an einer koronaren Eingefäßerkrankung oder einer koronaren Dreigefäßerkrankung litten. Die proximale Stenose des Hauptstammes der linken Koronararterie ist von unserer Beurteilung ausgenommen, da sie kardiologisch gesehen ein Dringlichkeitsfall ist, der 23 eine Bedrohung für ein großes Myokardareal darstellt und die sofortige Revaskularisierung erfordert. Die CASSStudie, eine der wenigen Studien mit Langzeitbeobachtung, zeigt eine unterschiedliche Überlebensrate der Patienten, je nachdem, wie viele Arterienstämme betroffen waren. Betrachtet man die Überlebensrate nach 6 Jahren, ist die Schwere der Erkrankung von weitaus größerer Bedeutung als die ursprünglich angewandte Behandlungsmethode. Bei Patienten mit Eingefäßerkrankung ist die 6-JahresÜberlebensrate nach Angioplastie, Koronarbypass oder medikamentöser Therapie gleich hoch. Ein kleiner Unterschied bei der Kurzzeit- und der mittelfristigen Überlebensrate besteht bei operierten Patienten mit Dreigefäßerkrankung. Aber die Langzeitüberlebensrate von Bypasspatienten oder medikamentös therapierten Patienten ist gleich, wahrscheinlich aufgrund der allmählichen Obstruktion der Bypässe. Linke Ventrikelfunktion Der zweite Aspekt bei der Risikoeinschätzung ist die linke Ventrikelfunktion. Die Auswurf- oder auch Ejektionsfraktion ist das Verhältnis zwischen dem ausgeworfenen Blutvolumen und dem enddiastolisch vorhandenen Füllungsvolumen des linken Ventrikels. Sie kann während einer Herzkatheteruntersuchung mittels Ventrikulographie bestimmt werden. Im Langzeitverlauf kann sie mit Hilfe der Radionuklid-Ventrikulographie oder häufiger mittels Echokardiographie beurteilt werden. Die Ergebnisse der CASS-Studie haben gezeigt, dass die 8-Jahres-Überlebensrate bei Patienten mit normaler Ejektionsfraktion signifikant höher ist als die von Patienten mit anormaler Ejektionsfraktion, unabhängig davon, wie viele Koronararterienstämme betroffen waren. Die Sterberate nach 12 Jahren steigt, wenn sich die Funktionsbeeinträchtigung verschlimmert. Darüber hinaus können Patienten mit Herzinsuffizienz aufgrund der 5-JahresMortalitätsrate keine Lebensversicherung abschließen. Leistungskapazität Der dritte Schritt der Risikoeinschätzung besteht in der Beurteilung der körperlichen Belastbarkeit und des Leistungsvermögens von Patienten nach ihrem akuten Herzereignis, insbesondere mit Hilfe eines Belastungs-EKGs. Innerhalb eines Patientenkollektivs mit normaler Belastungsfähigkeit, unabhängig davon, ob es sich um Patienten mit oder ohne kardiovaskuläre Erkrankungen Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen handelt, ist das relative Todesfallrisiko selbst nach Altersbereinigung bei den Patienten mit den schlechtesten Leistungen viermal höher. Das ist keine neue Erkenntnis: Schon Darwin erwähnte diesen Punkt in seiner Abhandlung über die Entstehung der Arten. In der oben erwähnten CASS-Studie wurde die Überlebensrate von Patienten, deren Belastungsfähigkeit durch Ergometrie quantifiziert worden war, über einen längeren Zeitraum beobachtet. Die am wenigsten leistungsfähigen Patienten haben eine Überlebenskurve, die konstant unter der von Patienten mit normalen Ergometrieergebnissen liegt. Tarifierungsgrundsätze Auf der Grundlage der Koronarographie, der linksventrikulären Ejektionsfraktion und des Belastungs-EKGs erhalten wir einen Basistarif. Dieser Tarif verändert sich in Abhängigkeit einer Reihe von Prognosefaktoren, wobei Rauchen sicherlich der wichtigste Faktor ist. Normalerweise wird Rauchen in unseren Anträgen nicht als ein das Mortalitätsrisiko erhöhender Faktor angesehen, sofern der Konsum ein Zigarettenpäckchen pro Tag nicht übersteigt. Hört allerdings ein Patient, der bereits ein kardiovaskuläres Ereignis hatte, nicht ganz mit dem Rauchen auf, muss das in der Tarifierung berücksichtigt werden, selbst wenn er nur eine oder zwei Zigaretten pro Tag raucht. Ein erhöhter Cholesterinspiegel (Hypercholesterinämie), Bluthochdruck (Hypertonie) und Diabetes wirken sich ebenfalls auf die Tarifierung aus. Im Übrigen ist die Versicherung von Diabetikern mit KHK kostspielig. Berücksichtigt werden kann auch der Erbfaktor, wenn einer der Elternteile des Antragstellers vor dem 60. Lebensjahr von einer Herz-Kreislauf-Erkrankung betroffen war. Die Art der Behandlung des Antragstellers wird ebenfalls mit einbezogen, insbesondere im Hinblick auf die vier wichtigsten Medikamente, nämlich Aspirin, ACEHemmer, Statine und Betablocker. Als Grundsatz gilt demnach bei der Tarifierung die Zurückstellung bis zur Konsolidierung des Zustandes. Anschließend erfolgt eine Prüfung der medizinischen Risiken auf der Grundlage eines speziellen Fragebogens für Koronarerkrankungen. Es wird ebenfalls empfohlen, den Krankenhausbericht mit den Ergebnissen der Koronarographie und den Angaben zur Therapie, den während der Akutphase aufgetretenen Komplikationen und den Befund der Nachsorgeuntersuchung durch den behandelnden Kardiologen anzufordern. Die letztgenannte Untersuchung sollte ein Belastungs-EKG nach drei Focus oder sechs Monaten sowie eine Beurteilung der linken Ventrikelfunktion mittels Echokardiographie beinhalten. Die Tarifierung der Lebensversicherung bei nicht revaskularisierten Stenosen des linken Hauptstammes muss gesondert erfolgen, das gleiche gilt für Personen mit starker Beeinträchtigung der linksventrikulären Funktion. Denn man weiß, dass ein Verlust an Myokardleistung irreversibel ist. Der Basistarif wird auf der Grundlage der Prognosefaktoren angepasst. Aspekte für eine gute Prognose sind insbesondere eine geringe Beeinträchtigung der Koronargefäße mit guter linksventrikulärer Funktion, keine Restischämie (Nachweis im Rahmen einer Belastungsuntersuchung), die Beeinflussung der Risikofaktoren, die zur Primärerkrankung geführt haben und die Einhaltung der medikamentösen Therapie (Compliance). An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Arteriosklerose nicht nur auf das Geflecht der Herzkranzgefäße beschränkt. Die BARI-Studie zur Revaskularisation mittels Bypassoperation oder Angioplastie (PTCA) zeigt, dass die Übersterblichkeit von Patienten mit Befall der Karotiden (Halsschlagadern) oder der Arterien der unteren Gliedmaßen im Vergleich zu Koronarpatienten, bei denen keine der oben genannten Arterien beeinträchtigt sind, bei 200 % liegt. Kommen beide Arterienläsionen zur koronaren Herzerkrankung hinzu, liegt die Übersterblichkeit bei 400 % und somit an der Grenze der Versicherbarkeit. Tarifgestaltung im Bereich Erwerbsminderung und Erwerbsunfähigkeit Die Darstellung dieser Thematik ist aufgrund der zahlreichen Faktoren, die sich auf die Dauer der Krankschreibung oder einen Erwerbsminderungsantrag auswirken, sehr schwierig. Es ist offensichtlich, dass sich eine Bypassoperation nach einem Herzinfarkt anders auf die Berufsund Erwerbsunfähigkeit bzw. die Erwerbsminderung auswirkt als eine PTCA infolge einer instabilen Angina pectoris, bei der eine Krankschreibung von 3, 5 oder 7 Tagen erforderlich ist. Bei der Risikoeinschätzung muss der Verlust an Leistungsfähigkeit beurteilt werden, d.h. man muss Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen feststellen, woran der Patient leidet. Dabei muss seine Belastungsfähigkeit beurteilt sowie abgeklärt werden, ob er an einer kardialen Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen hat. Zur Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit verwendet man die Ergebnisse eines Belastungs-EKGs, die zeigen, ob der Patient ein niedriges, mittleres oder hohes Risiko hat. Die Ausprägung der maximalen Sauerstoffaufnahme, VO2max genannt, belegt die Ausdauerleistungsfähigkeit. Es ist sinnvoll abzuklären, ob der Patient an einer Ruheischämie oder einer Belastungsischämie leidet und ob unter Belastung Herzrhythmusstörungen auftreten. In sehr gut ausgestatteten Zentren kann man sogar die Ergebnisse der Blutgasuntersuchung erhalten. Prognosen und assoziierte Risikofaktoren treten in Wechselwirkung zueinander. Folglich wird man die Art der Beschäftigung und die Arbeitsbedingungen berücksichtigen. Denn eine Person, die in einem stressbeladenen Umfeld arbeitet und unter Bluthochdruck leidet, hat ein höheres Erwerbsminderungs- oder Erwerbsunfähigkeitsrisiko. Persönliche Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle: das Alter, aber auch psychologische oder soziale Faktoren. Depression ist ein sehr wichtiger Komorbiditätsfaktor. Sogar die Motivation des behandelnden Arztes hat einen Einfluss: manche wollen zu Unrecht nicht, dass der Patient wieder seiner Beschäftigung nachgeht. Die Art der Arbeit, insbesondere wenn sie körperlich anstrengend ist, muss ebenfalls berücksichtigt werden. Bestimmte Arbeitsplätze können sogar gesundheitsschädlich sein. So verursacht Nachtarbeit physiologische Veränderungen und erschwert die Fortsetzung einer medikamentösen Therapie. Die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Beschäftigung wird durch die Arbeitsmedizin unterstützt, die dazu beitragen kann, dass bestimmte Arbeitsplätze oder die Arbeitszeiten umgestaltet werden. In Anbetracht der zahlreichen Faktoren ist es schwierig, eine auf alle Fälle zutreffende Tarifierung vorzuschlagen. Es liegt auf der Hand, dass der klinische Zustand eines Antragstellers stärker ins Gewicht fällt, wenn er LkwFahrer oder Pilot ist. Im Falle einer Funktionsstörung ist es wahrscheinlicher, dass der Antrag auf Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit oder Erwerbsminderung positiv beschieden wird, da diese Menschen eine zu große berufliche Verantwortung tragen. Es gibt Herzrhythmusstörungen, die aus medizinischer Sicht bei Fließbandarbeitern Synkopen (Ohnmachtsanfälle) mit tödlichem Ausgang verursachen können. Auf das Thema Herzschrittmacher werde ich nicht eingehen, da die neuen Geräte Magnetfeldern gegenüber unempfindlich sind. 25 Besonderheiten des Versicherungsvertrages führen bisweilen zu verlängerten Krankschreibungen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die gezahlten Leistungen sehr hoch sind, die Leistungsdauer lang und die Dauer der Selbstbeteiligung kurz ist. Das Risiko eines Schadenfalles ist bei einer kurzen Dauer der Selbstbeteiligung höher als bei einem Selbstbehalt von 90 Tagen. Das Alter der Person ist ein wesentlicher Faktor. Je näher der Antragsteller am Renteneintrittsalter ist, umso geringer wird seine Motivation sein, seine Beschäftigung wieder aufzunehmen. Die Beurteilung der Erkrankung ist ebenfalls äußerst wichtig, um einschätzen zu können, ob der Betreffende körperlich belastbar ist oder nicht, was von seiner linken Ventrikelfunktion abhängt. Die Dauer der Krankschreibungen während der Wartezeit auf zusätzliche Versicherungsleistungen ist ein weiterer Aspekt, der berücksichtigt werden muss. Tarifgestaltung im Bereich Pflegerisiko Wenn die betroffene Person nicht pflegebedürftig ist, zieht ein akutes Koronarsyndrom in der Anamnese nur einen gemäßigten, mit dem kardiovaskulären Risiko zusammenhängenden Prämienzuschlag nach sich. Selbst wenn solche Menschen pflegebedürftig werden, wissen wir aus Erfahrung, dass die Dauer der Rentenzahlung, zumindest bei vollständiger Pflegebedürftigkeit, relativ kurz ist. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Fazit SCOR Global Life verfügt über eine Tarifierungshilfe für die Koronare Herzkrankheit, die sich auf die Analyse der letzten Koronarographie, der linken Ventrikelfunktion, der letzten Belastungsuntersuchung und die prognostischen Risikofaktoren stützt. Wir hoffen, dass dieser Ansatz eine angemessenere Tarifgestaltung ermöglicht, die dem tatsächlichen Risiko, das diese Patienten heute darstellen, besser entspricht. Focus Herzklappenerkrankungen (Herzklappenvitien) Bestandsaufnahme: Überblick über bei SCOR Global Life angenommene Versicherungsanträge und ihre Tarifgestaltung Dr. med. Patrick MALAMUD. Gesellschaftsarzt, SCOR Global Life Angeborene Herzklappenerkrankungen Diese Erkrankungen kommen seit ca. 10 Jahren in zahlreichen Anträgen vor und weisen eine mit dem klinischen Bereich vergleichbare Verteilung auf. Die Geschlechterverteilung ist ausgeglichen. Das Höchstalter ist 85 Jahre (wahrscheinlich aus einem Pflegeversicherungsantrag). Aus dem Altershistogramm ergibt sich ein mittleres Alter von ca. 45-49 Jahren. Die Mitralklappeninsuffizienz ist die häufigste Erkrankung im Bereich der erhöhten Risiken. Für diese Population gab es nur 20 Ablehnungen bei 50 Zurückstellungen (von denen 3 rein administrativ bedingt waren). Die Unterlagen unserer Zedenten waren also sehr sorgfältig zusammengestellt. Begleiterkrankungen haben eine starke Auswirkung auf die Tarifierung dieser Kardiopathien. In diesem Zusammenhang stellt man eine statistische Dominanz der Herzrhythmusstörungen und des arteriellen Bluthochdrucks fest. Es sind relativ wenige Koronarerkrankungen darunter. 302 Unterlagen behandeln einen Mitralklappenprolaps (Barlow-Syndrom), insgesamt wurden 232 Anträge tarifiert; Ablehnungen waren insgesamt relativ selten (7 % aller Anträge). Bei dieser Erkrankung war das niedrigste und das Durchschnittsalter etwas geringer als bei der Mitralklappeninsuffizienz insgesamt. Begleiterkrankungen sind in der Regel nicht schwerwiegend. Relativ wenige Antragsunterlagen erwähnen eine Mitralklappenstenose, nämlich nur 31 in 10 Jahren. In Anbetracht eines so kleinen Kollektivs ist es folglich äußerst schwierig, irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Mitralklappenerkrankungen (gleichzeitiges Auftreten von Insuffizienz und Verengung) wurden in 37 Anträgen erwähnt, auch diese Zahl ist relativ gering. Aus dieser zahlenmäßig kleinen Population lassen sich weder signifikante altersspezifische Erkenntnisse, noch wichtige Schlüsse bezüglich Begleiterkrankungen ableiten. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Das Thema Aortenklappenfehler tauchte dagegen in äußerst zahlreichen - insgesamt 560 - Antragsunterlagen auf. Die Mehrheit der Antragsteller leidet zudem an Begleiterkrankungen. Die meisten sind von einer Aortenklappeninsuffizienz oder kurz Aorteninsuffizienz betroffen. Uns ist aufgefallen, dass der Anteil der Zurückstellungen mit 23,2 % sehr hoch war. Nur ein unerheblicher Teil dieser Zurückstellungen erfolgte aus administrativen, d.h. nicht medizinisch bedingten Gründen. Die Aortenklappeninsuffizienz tauchte in 333 Anträgen auf, von denen 15 abgelehnt und 61 zurückgestellt wurden. Das Geschlechterverhältnis ist charakteristisch in Anbetracht der Selektionsverzerrung (selection bias) bei Lebensversicherungen. Zwei oder sogar drei Unterpopulationen können voneinander abgegrenzt werden. Bei dieser Erkrankung gibt es wenig sehr alte Menschen. Begleiterkrankungen wie erhöhter Cholesterinspiegel und arterieller Bluthochdruck kommen häufig vor. Es gab auch 16 Fälle mit angeborenen Begleiterkrankungen. Begleitende Herzrhythmusstörungen sind sehr selten. Außerdem wurde die Aortenklappenstenose in den Unterlagen von 67 Antragstellern erwähnt. Die Verteilung war relativ ausgeglichen. Degenerative Begleiterkrankungen wie arterieller Bluthochdruck und erhöhter Cholesterinspiegel dominieren. Es gab nur sehr wenige angeborene Begleiterkrankungen. In den Anträgen war bei den Aortenklappenerkrankungen eine Kombination von Aortenklappeninsuffizienz und- stenose selten. Ablehnungen waren sehr häufig und das Geschlechterverhältnis ist auch hier stark zugunsten der Männer verschoben. Erkrankungen, bei denen Mitral- und Aortenklappenerkrankungen gleichzeitig auftraten, gab es in den Antragsunterlagen kaum, 75 um genau zu sein. 30 davon wurden aufgrund eines medizinischen Problems, auf das wir später noch eingehen werden, zurückgestellt. Das Durchschnittsalter beträgt 48 Jahre, wobei die Verteilung der Populationen nicht signifikant war. Eine Darstellung der Begleiterkrankungen hätte in Anbetracht der sehr geringen Fallzahl ebenfalls keinen Sinn. 27 Patienten mit Herzklappenprothese Bei den Antragsunterlagen, in denen eine Herzklappenprothese erwähnt wurde, können zwei Unterpopulationen gebildet werden, je nachdem, ob die Antragsteller eine biologische oder eine synthetische Klappenprothese erhalten haben. Uns hat etwas überrascht, dass die Gruppe der Träger einer biologischen Prothese 686 Personen umfasst. Diese Gruppe ist also die größte, obwohl mehr mechanische als biologische Prothesen eingesetzt werden. Seit 10 Jahren dominieren nämlich die künstlichen Klappen in den Therapieverfahren. In den Unterlagen haben 382 Antragsteller eine künstliche Klappe, davon 201 eine Mitral- und 181 eine Aortenklappenprothese. Das niedrigste Alter und das Durchschnittsalter der Antragsteller sind relativ gering. Aufgrund der oben genannten Selektionsverzerrung ist auch hier das Geschlechterverhältnis stark zugunsten der Männer verschoben. Das Altershistogramm der Population bedarf keines besonderen Kommentars. Dagegen sind Begleiterkrankungen häufiger und schwerwiegender als in der Gruppe der Träger einer Bioprothese. Zu erwähnen sind insbesondere folgende Erkrankungen: 21 Antragsteller mit arteriellem Bluthochdruck, 21 Antragsteller mit Herzrhythmusstörungen, 18 Antragsteller mit erhöhtem Cholesterinspiegel, 15 Diabetiker. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Der Gesundheitszustand dieser Antragsteller ist also insgesamt etwas weniger gut als der der Träger einer biologischen Prothese. Zurückstellungen waren im Wesentlichen auf fehlende medizinische Informationen zurückzuführen. Bei den fehlenden Angaben von Antragsstellern mit Herzklappenerkrankungen steht an erster Stelle die Echokardiographie, die eine Überprüfung der Funktionsfähigkeit der Prothese und ganz allgemein eine Beurteilung der Herzfunktion ermöglicht. Im Übrigen wird in Zukunft eine größere Menge an verfügbaren Daten die Bearbeitung von zahlreicheren Fällen ermöglichen. Der Träger einer Herzklappenprothese wird ein- oder zweimal im Jahr von seinem Kardiologen untersucht. Folglich kann auch die Zahl der Zurückstellungen reduziert werden. Ist der Echokardiographiebefund von vornherein verfügbar, kann die Tarifierung eines Antrags in Erwägung gezogen werden. Focus Doppler-Echokardiographie: Schlüsseluntersuchung bei Herzklappenerkrankungen Dr. med. John EVANS. Gesellschaftsarzt, SCOR Global Life Die Echokardiographie hat, was manchmal verkannt wird, eine entscheidende Bedeutung bei der Diagnose einer Herzklappenerkrankung und der Festlegung der Behandlungsstrategien. Schall hat einen Wellencharakter. Wenn wir sprechen, erzeugen wir Töne durch Vibration der Stimmbänder, deren Schwingungen durch Verdichtung und Verdünnung auf die Luftmoleküle übertragen werden. Diese Wellen können nach Frequenzen quantifiziert werden, die in der nach dem bekannten deutschen Physiker benannten Einheit Hertz gemessen werden. 1 Hertz (Kurzzeichen Hz) entspricht einer Schwingung pro Sekunde. Im Bereich des Ultraschalls spricht man von Megahertz, wobei 1 MHz einer Million Schwingungen pro Sekunde entspricht. Die menschliche Hörschwelle liegt bei 16 000-20 000 Hz pro Sekunde, also bei 16-20 Kilohertz. Die Echokardiographie Sehr hochfrequente Schallimpulse können, ähnlich wie der Lichtstrahl einer Taschenlampe, auf ein Ziel ausgerichtet werden. Diese Eigenschaft ist für uns von großem Interesse. Die Schallimpulse folgen dem gleichen Reflexions- und Brechungsgesetz wie Licht, wenn sie auf Objekte mit unterschiedlicher Dichte treffen. Die von einer physikalischen Grenzfläche reflektierten Wellen sind für den Mediziner äußerst aussagekräftig. Diese Echos ermöglichen eine Analyse der Anatomie und der Funktionsfähigkeit des Herzens. Bei einer Ultraschalluntersuchung wird die Ultraschallsonde, auch Schallkopf genannt, zunächst auf dem Brustkorb des Patienten angesetzt. Der elektrische Impuls eines Hochfrequenzgenerators wird im Schallkopf mit dort angeordneten Kristallen durch den piezoelektrischen Effekt in einen Schallimpuls – einen kurzen Wellenzug – umgesetzt und ausgesendet. Die so erzeugten Ultraschallwellen werden durch das Herz gesendet und von jeder Grenzfläche mit einer anderen physikalischen Dichte unterschiedlich reflektiert bzw. gestreut. Die reflektierten Ultraschallwellen (die „Echos“) laufen zur Sonde zurück und bringen die Kristalle zum Schwingen, so dass ein elektrischer Strom entsteht, der wiederum in ein Bild Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen umgesetzt wird. Ähnlich wie ein Sonar die Tiefen des Meeres sondiert (der Schallwandler befindet sich in diesem Fall im Kiel des Schiffes), erkundet der Arzt die Topographie des Herzens. Kennt man die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Ultraschallwellen, kann man durch Messen der Laufzeit der reflektierten Signale die Tiefe der reflektierenden Struktur rekonstruieren. Der darauf folgende Schallimpuls wird durch Schwenken der Sonde in eine leicht andere Richtung ausgestrahlt. Dadurch scannt die Sonde einen bestimmten Bereich des Körpers und erzeugt ein anatomisches Schnittbild des Herzens. Im Längsschnitt kann man die Aorta, den linken Vorhof, die Mitralklappe und die linke Herzkammer darstellen. Außerdem kann die Anzahl, die Verdickungen und die Beweglichkeit der Klappensegel der Aorta ermittelt werden sowie überprüft werden, ob sie noch intakt sind. Darüber hinaus kann die Beweglichkeit der Mitralklappe beurteilt oder die Größe der linken Herzkammer (linker Ventrikel) bestimmt werden. Im Längsschnitt kann man gegebenenfalls auch einen Perikarderguss erkennen. Aus dieser zweidimensionalen Schnittdarstellung (2-DBild) ist eine Linie bzw. ein Ultraschallstrahl zur näheren Analyse auszuwählen. Man erhält eine eindimensionale Echographie, auch Time-Motion-Mode, TM-Mode oder kurz M-Mode genannt. Im TM-Mode ist die Auflösung besser, was die Berechnung der Ausdehnungen der Hohlräume erleichtert. Der TM-Mode und die 2-D-Echographie liefern demnach zahlreiche Informationen: Dimension der Hohlräume in der Systole und der Diastole, Kontraktilitätsindex des linken Ventrikels, Wanddicken, Klappenmorphologie. Mit einem Querschnitt durch den linken Ventrikel kann die Kontraktion der Wände des Herzens quantifiziert werden. Im TM-Mode werden enddiastolische und endsystolische Messungen vorgenommen, um die Kontraktilität des Herzens zu berechnen. Dieser Wert ist einer der ausschlaggebenden Faktoren bei der Therapieentscheidung. 29 Der Doppler-Effekt Als Dopplereffekt, der nach dem im 19. Jahrhundert lebenden österreichischen Astrophysiker und Mathematiker Doppler benannt ist, bezeichnet man die Veränderung der wahrgenommenen bzw. gemessenen Frequenz von Wellen jeder Art, während sich Quelle und Beobachter einander nähern oder voneinander entfernen, d.h. relativ zueinander bewegen. Schallwellen, die von einer sich der Signalquelle nähernden Grenzfläche reflektiert werden, werden komprimiert, wodurch sich die wahrgenommene Frequenz erhöht. Entfernt sich der Reflektor von der Signalquelle, werden die Schallwellen länger und die gemessene Frequenz verringert sich. Die Polizei macht sich diesen Dopplereffekt ebenfalls bei der Geschwindigkeitskontrolle von Fahrzeugen zunutze. In der Medizin werden die Schallwellen nicht von Autos, sondern von Blutkörperchen reflektiert. Die Blutkörperchen, die sich von der Ultraschallsonde entfernen, verschieben die Frequenzwerte nach unten. Die sich nähernden Blutkörperchen erhöhen die gemessenen Frequenzwerte dagegen. Doppler hat festgestellt, dass die wahrgenommene Frequenzverschiebung zum Quellsignal in einem Verhältnis zur Geschwindigkeit des Reflektors steht. Gemäß der Doppler-Formel hängt die Geschwindigkeit des untersuchten Blutflusses mit der Differenz zwischen der Sendefrequenz der Schallwellen und der vom Schallkopf empfangenen reflektierten Frequenz zusammen. Diese Frequenzverschiebung nennt man Dopplerfrequenz (fD). Die einzige weitere Variable ist der Beschallungswinkel, d.h. der Winkel zwischen der Bewegungsachse der Blutkörperchen (Reflektor) und der Untersuchungsachse (Schallquelle). Der Mediziner kann diese Variable vernachlässigen, da man für den Beschallungswinkel im Idealfall 0° bzw. 180° wählt, da dann der Kosinus von Theta, der in die Berechnung der Frequenzverschiebung eingeht, gleich 1 ist und in der Formel vernachlässigt werden kann. Wenn die Blutstromgeschwindigkeit bekannt ist und man mit der 2-D-Echographie die Querschnittsflächen im ausgewählten Bereich bestimmt, kann man sich physikalisch die Blutdurchflussmengen erschließen. Diese Durchflussmengen werden aus bestimmten Regeln der Hydraulik, der Lehre vom Strömungsverhalten von Flüssigkeiten, abgeleitet. Gemäß der Kontinuitäts- Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen gleichung ist die Durchflussmenge an zwei unterschiedlichen Orten konstant. Wenn man also die Querschnittsfläche und die Blutflussgeschwindigkeit an einem Ort kennt und die Blutflussgeschwindigkeit an einem zu untersuchenden Ort misst, kann man daraus eine unbekannte Fläche ableiten. Diese Erkenntnis wird tagtäglich bei der Beurteilung von Herzklappenstenosen angewendet, was manchmal nicht ganz einfach ist. Je ausgeprägter die Stenose ist, umso kleiner ist die Klappenöffnungsfläche. Das ist also eine Anwendung des Dopplereffekts bei der Analyse von Auswirkungen von Klappenfehlern. Eine andere Anwendung haben wir Bernoulli zu verdanken, der das Verhältnis zwischen der Druckdifferenz auf beiden Seiten einer Verengung und der Fließgeschwindigkeit eines Fluids untersucht und diese Differenz zur Geschwindigkeit im Quadrat in Beziehung gesetzt hat. Das entspricht der Berechnung des Druckgradienten. Auf der Eintrittsseite einer Verengung nimmt die Fließgeschwindigkeit ab, der Druck hingegen steigt, auf der Austrittsseite nimmt die Geschwindigkeit zu und der Druck sinkt. Auf der Eintrittsseite wandelt sich die Bewegungsenergie eines Fluids in eine potenzielle Energie um. Misst man die maximale Blutflussgeschwindigkeit an der Austrittsseite einer Stenose, kann man den Druckgradienten zwischen beiden Seiten der Verengung quantifizieren. Je enger die Stenose ist, umso größer werden Fließgeschwindigkeit und Druckgradient. Dank dieser Techniken, die den Dopplereffekt nutzen, erhält der Arzt äußerst wertvolle Daten über die Blutflussgeschwindigkeiten innerhalb des Herzens. Im Falle einer Stenose sind die gemessenen Werte anormal. Die Echographie, auch Sonographie genannt, liefert also folgende Daten: Informationen zur Herzmorphologie und -anatomie Bestimmung der Klappenöffnungsflächen (Planimetrie) Bestimmung der Ausdehnungen der Hohlräume und der Wanddicke Im Fall einer Mitralklappenstenose ist der Abstand zwischen hinterem und vorderem Klappensegel gering. Zudem ist eine Dilatation des linken Vorhofs zu erkennen. Das Dopplerverfahren ermöglicht es, den Wert der Druckgradienten anzugeben und die Funktionsflächen zu berechnen. In der Regel gilt: Je größer der Druckgradient, umso stärker die Ausprägung der Stenose. Focus Bei Mitralklappenfehlern kann durch die Messung der pulmonalen Blutdruckverhältnisse die Auswirkung des Druckgradienten bestimmt werden. Eine Mitralklappenstenose hat eine direkte Auswirkung auf den pulmonalvenösen Rückstrom zum Herz. Hier ist ein Beispiel für eine mittels Dopplerechokardiographie dargestellte Mitralklappenverengung, die durch eine Blutflussgeschwindigkeit von 2 m pro Sekunde gekennzeichnet ist (normalerweise ist die Geschwindigkeit < 1 m/s), wobei die Flussgeschwindigkeit während der gesamten Diastole erhöht bleibt. Wenn man den Flächeninhalt unterhalb der Geschwindigkeitskurve planimetriert, kann man den mittleren Druckgradienten messen. In diesem Beispiel beträgt er 12 mm Quecksilbersäule. Im Falle einer Klappeninsuffizienz (unzureichender Klappenschluss) ermittelt der Arzt die gleichen anatomischen Informationen im TM- und im 2-D-Mode. Die untersuchende Person überprüft vielmehr den linken Ventrikel und den Vorhof, die infolge der Mitral- oder der Aortenklappeninsuffizienz ein erhöhtes Blutvolumen verarbeiten müssen. Liegt eine Insuffizienz vor, wird meist eine semiquantitative Beurteilung per Dopplerecho vorgenommen. Die Insuffizienzen werden vom Kardiologen klassifiziert und in verschiedene Schweregrade eingeteilt. Im Dopplerverfahren gibt es keinen Parameter, der für Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen sich alleine genommen zur Beurteilung einer Klappeninsuffizienz ausreichen würde, im Unterschied zum Druckgradienten und zur Klappenöffnungsfläche bei der Beurteilung von Stenosen. Mit Hilfe einer über die Speiseröhre eingeführten flexiblen schlauchähnlichen Ultraschallsonde können bei der transösophagealen Echokardiographie (kurz TEE oder Schluckecho genannt) die Herzstrukturen von hinten dargestellt werden. Dieses Verfahren ist sehr nützlich für die Untersuchung der Klappen über den linken Vorhof, insbesondere bei Patienten mit einer Mitralklappenprothese. Es steht außer Frage, dass die dopplergestützte Echokardiographie in der medizinischen Praxis auch in Zukunft nützlich sein wird. Diese Untersuchungsmethode ist schnell, nichtinvasiv, reproduzierbar und relativ kostengünstig. Allerdings gibt es auch Nachteile: das Verfahren ist untersucherabhängig, was einen Einfluss auf die Qualität des Befundes hat, ebenso wie die Echogenizität des Patienten und die Qualität des Gerätes. Ist das Gerät veraltet, darf man sich keinen aussagekräftigen Befund versprechen. Focus Epidemiologie, Pathophysiologie sowie Morbiditäts- und Mortalitätsfaktoren von Herzklappenerkrankungen Prof. Dr. Pierre-Louis MICHEL. Kardiologieabteilung, Krankenhaus Tenon (Paris) Epidemiologie von Herzklappenerkrankungen Anatomisch gesehen ist das Herz ein Organ mit mehreren Hohlräumen, in das Blutgefäße münden und von dem Blutgefäße abgehen. Andere Gefäße, die so genannten Koronararterien, vaskularisieren den Herzmuskel. Herzklappen trennen die verschiedenen Hohlräume voneinander. Da das Herz im Prinzip eine Pumpe ist, wechseln sich Phasen, in denen sich die Hohlräume füllen, mit Phasen, in denen sie sich leeren, ab. Entsprechend öffnen und schließen sich die einzelnen Klappen abwechselnd. Man unterscheidet stenosierende Klappenerkrankungen (Verengungen bzw. unzureichende Öffnung der Aortenoder der Mitralklappe) von Klappeninsuffizienzen, bei denen es einen Blutrückstau gibt. Klappeninsuffizienzen sind durch eine mangelnde Dichtigkeit beim Verschließen gekennzeichnet, deren Auswirkungen je nach Ausmaß gering oder äußerst schwerwiegend sein können. Die Mitralklappe trennt den linken Vorhof und die linke Herzkammer voneinander und die Aortenklappe die linke Herzkammer von der Aorta. Die Epidemiologie von Herzklappenerkrankungen hat sich verändert. Bisher gibt es nur wenige Studien mit epidemiologischem Charakter in diesem Bereich. Eine von ihnen soll hier allerdings erwähnt werden: Die Euro Heart Survey (EHS). Sie wurde von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) im zweiten Quartal 2003 veröffentlicht. Sie umfasst 5001 Patienten in 25 europäischen Ländern aus 92 kardiologischen Zentren. Die Verteilung zwischen Süd- und Nordeuropa ist relativ homogen. Patienten, die während des Untersuchungszeitraums (April-Juli 2001) stationär und ambulant behandelt wurden, sind in die Studie mit einbezogen worden. Bei einem Viertel der Patienten war bereits früher ein Eingriff durchgeführt worden und die Nachsorge erfolgte in einer kardiologischen Abteilung. Knapp drei Viertel aller Patienten hatten angeborene Klappenfehler. Ihr Durchschnittsalter war hoch. Grundsätzlich wird aufgrund einer veränderten Ätiologie das Durchschnittsalter von Menschen mit Herzklappenerkrankung beständig steigen. Innerhalb der Gruppe von Patienten mit angeborenen Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Klappenfehlern gab es nur wenig mehr Patienten mit Aortenklappenfehler als Patienten mit Mitralklappenfehler. Die bei weitem häufigste Klappenerkrankung war die Aortenklappenstenose, von der mehr als ein Drittel aller Patienten betroffen war. Das entspricht jedoch den Daten aus der angesprochenen Analyse der Versicherungsanträge nicht. An zweiter Stelle der Erkrankungen steht die Mitralklappeninsuffizienz. Innerhalb des Viertels der zuvor operierten Patienten der Studie war bei circa einem Fünftel ein klappenerhaltender chirurgischer Eingriff durchgeführt worden. Denn die eigene Herzklappe ist immer besser als eine Prothese. Das bedeutet, dass bei den verbleibenden vier Fünfteln der operierten Patienten die betroffene Herzklappe ersetzt wurde. Früher waren die häufigsten Klappenfehler rheumatisch bedingt. Sie waren die Folge einer Streptokokken-Angina in der Kindheit, die akutes rheumatisches Fieber (akuter Gelenkrheumatismus) sowie eine Schädigung der Herzklappen verursachen kann. Die Gefährlichkeit der Erkrankung liegt in der Schädigung des Endokards und der Herzklappen. Eine Anginaerkrankung in der Jugend, die durch die Behandlung komplett abgeklungen ist, kann schwerwiegende bleibende Schäden an den Herzklappen verursachen, die sich erst 10, 20 oder 30 Jahre nach der Primärerkrankung manifestieren. Akutes rheumatisches Fieber ist dank dem Einsatz von Antibiotika in den entwickelten Ländern praktisch verschwunden, stellt aber nach wie vor ein großes Problem in den Entwicklungsländern dar. Zwar ist der Anteil an rheumatisch bedingten Herzerkrankungen in Europa beträchtlich zurückgegangen – nur noch wenige sehr alte Menschen, die meistens bereits operiert wurden, sind davon betroffen – aber die Inzidenz von degenerativ bedingten Herzklappenerkrankungen nimmt stetig zu. Zunehmend ältere Patienten haben in gewissem Sinne genügend Zeit, diese degenerativen Erkrankungen zu entwickeln. Betrachtet man die Ergebnisse der oben genannten EHSStudie, so stellt man fest, dass die häufigste Klappenerkrankung, die Aortenklappenstenose, eine im Focus Wesentlichen degenerative Ursache hat. Die rheumatische Ätiologie ist dagegen sehr viel seltener. Eine sehr leichte Unterbewertung ergibt sich in diesem Zusammenhang aus der Nichtberücksichtigung der kongenitalen Bikuspidie. Aortenklappeninsuffizienzen haben in ihrer überwiegenden Mehrheit eine degenerative bzw. dystrophische Ursache. Mitralstenosen sind nach wie vor fast immer rheumatisch bedingt. URSÄCHLICHE ERKRANKUNG % AS AI MS MI Degenerativ 81,9 50,3 Rheumatisch 11,2 15,2 12,5 85,4 61,3 14,2 Infektion Entzündung Angeboren Ischämisch Sonstige 0,8 0,1 5,4 0 0,6 7,5 4,1 15,2 0 7,7 0,6 0 0,6 0 0,9 3,5 0,8 4,8 7,3 8,1 AS = Aortenklappenstenose AI = Aortenklappeninsuffizienz MS = Mitralklappenstenose MI = Mitralklappeninsuffizienz Bei Mitralklappenerkrankungen hingegen ist häufig ein Klappenerhalt (Plastik) möglich. Im Rahmen einer Behandlung der Mitralstenose wurde etwa ein Drittel der Patienten mittels Ballonvalvuloplastie (früher mittels operativer Kommissurotomie) behandelt. Bei Mitralinsuffizienzen bleibt häufig die Plastik eine interessante Option (46 % im europäischen Durchschnitt). Bei guten Chirurgen ist dieser Prozentsatz sogar noch höher. Je nachdem ob die Originalklappe erhalten bleiben kann oder ersetzt werden muss ist die Entwicklungsprognose völlig unterschiedlich. Was die operative Mortalität angeht, so macht die Herzchirurgie beständig Fortschritte. Anfangs, in den Sechziger Jahren, starben 30-40 % der Patienten bei einer Operation mit Klappenersatz. Heute sind es 2-3 % beim Ersatz der Aortenklappe und 5-6 % beim Ersatz der Mitralklappe. Darüber hinaus sind die Patienten heute im Durchschnitt deutlich älter. Eventuelle Komorbiditäten können natürlich das operationsbedingte Mortalitätsrisiko erhöhen. Jede Herzklappenerkrankung stellt ein ganz spezifisches chirurgisches und internistisches Problem dar. Euro Heart Survey 2001 Bei der zweithäufigsten Klappenerkrankung, der Mitralklappeninsuffizienz, dominiert die degenerative Ätiologie. Diese Patienten haben ein Durchschnittsalter von 64 Jahren. Die kardiovaskulären Risikofaktoren waren bei einem Drittel der Fälle Rauchen sowie bei einem Drittel ein erhöhter Cholesterinspiegel. Darüber hinaus hatte fast die Hälfte der Patienten gleichzeitig Bluthochdruck. Bei einem Viertel der Patienten schließlich gab es eine positive Familienanamnese für eine frühzeitige Koronare Herzkrankheit, die eine der stärksten Faktoren für das Bestehen eines vaskulären Risikos ist. Komorbiditäten sind innerhalb dieser Populationen relativ häufig: So hatten 13 % einen Myokardinfarkt, 7 % neurodegenerative Erkrankungen, 15 % chronische Bronchitis usw. Je älter die Patienten sind, umso wahrscheinlicher ist eine Mehrfacherkrankung. Deshalb müssen die Komorbiditäten auf jeden Fall berücksichtigt werden. Bei Aortenklappenerkrankungen ist ein Klappenersatz in den meisten Fällen unausweichlich. Nur in bestimmten Fällen ist ein klappenerhaltender chirurgischer Eingriff möglich. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Die Pathophysiologie von Herzklappenerkrankungen Die Aortenklappenstenose Im Unterschied zu Klappeninsuffizienzen hat es der Facharzt bei Stenose oder Aortenklappenverengung mit einem fortschreitenden Prozess zu tun, in dessen Verlauf die Klappenöffnung enger wird und allmählich verkalkt, wodurch der Blutauswurf des linken Ventrikels behindert wird. Unterbleiben entsprechende Maßnahmen, wird dieser Auswurf immer mühsamer. Zu Beginn wird eine leichte Sklerose der Aortenklappe diagnostiziert. Im weiteren Verlauf tritt ein Herzgeräusch ohne begleitende Symptome auf. Über einen langen Zeitraum verspürt der Patient keine Beschwerden, bis sich plötzlich die Klappenerkrankung mit ihren Auswirkungen zeigt. Selbst wenn eine signifikante Obstruktion entstanden ist, vergeht eine gewisse Latenzzeit. Die ersten objektivierbaren Symptome manifestieren sich unter Belastung. In einer solchen Situation spürt der Patient zum ersten Mal das stenosebedingte Symptom. Er verspürt ein der Angina pectoris ähnliches Gefühl, obgleich mit der Klappenanomalie nicht zwangsläufig eine Koronarerkrankung einhergehen muss. Kommt es zu Bewusst- 33 losigkeit und Synkope, ist ein weiteres Stadium im Krankheitsverlauf erreicht. Am Ende dieses Prozesses steht die Herzinsuffizienz. Ab dem Zeitpunkt, zu dem sich bei einem Patienten diese letztgenannten Anzeichen manifestieren, stellt sich die Frage der Überlebensprognose. Diese liegt bei Patienten mit Angina pectoris bei drei bis fünf Jahren, bei Patienten mit Synkopen ist sie etwas kürzer. Ist das Stadium der Herzinsuffizienz erreicht, liegt die Überlebensprognose nur noch bei einigen Monaten. Um die Schwere einer Aortenstenose zu beurteilen, muss man sich also folgende Frage stellen: Inwieweit ist diese Verengung symptomatisch? Das Bestehen eines Symptoms rechtfertigt einen chirurgischen Eingriff, wenn keine andere Komorbidität der Operation entgegensteht. PROGRESSION DER AORTENKLAPPENSTENOSE Follow-up Faggiano Roger Brener 45 112 394 18 25 37 16 22 12 0,10 0,10 0,14 Otto 123 30 7 0,12 der Patienten (m) Grad. / $ $ Anzahl Klappen- Jahr (mmhg) Öffnungsfläche / Jahr (cm²) Einer Studie mit Patienten über 65 Jahre zufolge weist ein Viertel des Patientenkollektivs eine unbedeutende Aortensklerose auf, nur 2 % entwickeln eine Stenose bzw. 4 % ab einem Alter von 85 Jahren. Eine Aortenklappenverengung entsteht also nicht plötzlich. Mit Hilfe der dopplergestützten Echokardiographie, einer relativ kostengünstigen Untersuchung, kann man den Verlauf der Erkrankung beobachten. Im Durchschnitt verringert sich die Klappenöffnungsfläche um 0,1 cm2 pro Jahr. Die Öffnungsfläche der Aortenklappe muss in einem bestimmten Verhältnis zur durchschnittlichen Körperoberfläche stehen. Im Normalzustand beträgt diese Klappenöffnungsfläche durchschnittlich 3 cm2. Verringert sie sich um die Hälfte, tritt noch kein besonderes Symptom auf. Dieser Zustand entspricht dem Stadium der Aortensklerose. Kennzeichnend ist ein normales Herzminutenvolumen in Ruhe ohne Ausbildung eines Druckgradienten. Dann kommt man in den Bereich einer hochgradigen Stenose, deren Obergrenze bei 0,5 cm2 Klappenöff- Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen nungsfläche pro m2 Körperoberfläche festgelegt ist. Eine Aortenöffnungsfläche zwischen 1,2 und 1,3 cm2 entspricht dem Stadium einer solchen hochgradigen Stenose. Bei der Progression der Aortenstenose erhöht sich das Risiko, dass entsprechende Symptome auftreten. Der Facharzt kann den Statistiken und der Gaussverteilung für die betreffende Population entsprechend eine Verlaufsprognose für die Klappenerkrankung erstellen. Dies wird anhand einer klassischen Patientenreihe mit aktuellen Daten verdeutlicht, die den natürlichen Verlauf der lange asymptomatisch bleibenden Aortenklappenstenose beschreibt. Das Hauptrisiko für einen Arzt, der einen entsprechenden Patienten behandelt, ist der plötzliche Herztod. Die größte Befürchtung ist nämlich die, dass der plötzliche Herztod das erste und gleichzeitig letzte Symptom der Aortenstenose sein könnte. Eine österreichische Studie umfasste auch Patienten mit einer hochgradigen Stenose (Geschwindigkeit der Blutströmung über 5 m/s). Im Vergleich zur Lebenserwartung einer Kontrollgruppe führt eine hochgradige operationspflichtige Aortenklappenstenose zur Übersterblichkeit. Diese umfasst das Operationsrisiko beim Einbringen der Prothese. Eine solche Operation ist immer mit gewissen Risiken verbunden. Die entscheidenden Faktoren für den Verlauf der Erkrankung sind der Grad der Verkalkung und die Geschwindigkeit, mit der sie fortschreitet. Ein Patient mit einer rasch progredienten Stenose hat eine weitaus schlechtere Prognose. Die Aortenklappeninsuffizienz (kurz Aorteninsuffizienz) Bei der Aortenklappeninsuffizienz ist der entscheidende Parameter das Rückflussvolumen. Während eine Aortenklappenstenose mit der Zeit fortschreitet, ist eine Aorteninsuffizienz von Anfang an mittelschwer oder hochgradig. Ist die Endokarditisprophylaxe zweifelsfrei beachtet worden, kann man mit einer Insuffizienz durchaus über mehrere Jahrzehnte ganz gut leben. Es gibt keinen Grund, bei solchen Erkrankungen einen erheblichen Prämienzuschlag zu erheben, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Insuffizienz der Aortenklappe mittelschwer bleibt und nicht fortschreitet. Focus Der natürliche Verlauf der hochgradigen chronischen Aortenklappeninsuffizienz ist im Anfangsstadium asymptomatisch, wobei die Systolenfunktion erhalten bleibt. Nur 4 % der Betroffenen haben in diesem Stadium der Klappenerkrankung überhaupt Symptome oder eine linksventrikuläre Funktionsstörung. Der plötzliche Herztod ist äußerst selten. Es besteht also kein Grund, diese Patienten mit geringem Risiko für einen plötzlichen Herztod zu operieren. Eine Funktionsstörung des linken Ventrikels hingegen ist eine Operationsindikation. Unterbleibt der Eingriff, wird die Erkrankung in der Regel sehr schnell symptomatisch. Mittels Echokardiographie können solche Ventrikelanomalien entdeckt werden. Der wesentliche Prognosefaktor bei Aortenklappeninsuffizienz ist die Herzkontraktilität. nicht einmal ein Herzgeräusch nachgewiesen wurde. Es wurde also ein Klappenfehler diagnostiziert, obwohl die Patienten keine schwerwiegende Erkrankung aufwiesen. Das Regurgitationsvolumen und der ursächliche Defekt bestimmen nahezu vollständig den Krankheitsverlauf der Mitralklappeninsuffizienz. Bei einem starken Rückflussvolumen spricht vieles für eine Operation. Es liegt sehr im Interesse des Patienten, sich bald operieren zu lassen, vor allem weil seine Klappe repariert werden kann. Nach einer solchen Rekonstruktion hat er wieder eine normale Lebenserwartung, so dass man mit Fug und Recht von einer „Heilung“ der Mitralklappeninsuffizienz sprechen kann. In einer Kohorte von 216 Patienten mit schwerer Insuffizienz wies die Gruppe derjenigen, die nicht operiert wurden, eine schlechtere durchschnittliche Lebenserwartung auf. In einigen Fällen wurde sogar ein plötzlicher Herztod festgestellt. NATÜRLICHER VERLAUF EINER HOCHGRADIGEN MITRALKLAPPENINSUFFIZIENZ 100 Inzidenz (%) Bei einer Insuffizienz mit großem Regurgitationsvolumen muss man das genaue Rückflussvolumen kennen, um das zusätzliche Risiko einschätzen zu können. Für hochgradige Insuffizienzen mit klassischer Ätiologie ist die Prognose nicht gut. Diese Patienten neigen in einem Zeitraum von 10 Jahren zu zahlreichen Komplikationen (Aneurysmen, Herzinsuffizienz in fast der Hälfte der Fälle). Knapp zwei Drittel von ihnen werden operiert und gut 10 Jahre nach der Operation treten in mehr als 80 % dieser Fälle erneut Herzsymptome auf. Das gilt allerdings nur für hochgradige und nicht für mittelschwere Insuffizienzen. 90 ± 3 % Operation oder Tod (188) 82 ± 4 % 80 63 ± 8 % 60 40 IC (55) Operation (143) 30 ± 12 % FA (13) 20 0 Operierte Patienten haben, selbst wenn die Operation komplikationsfrei verlaufen ist, eine schlechtere Überlebensprognose als die gleichaltrige Kontrollgruppe ohne Eingriff. Die Prognose ist zwar in den ersten Jahren noch gleich, verschlechtert sich danach aber. Erfolgte der Eingriff außerdem bei einem Patienten mit veränderter linksventrikulärer Systolenfunktion, wird die Langzeitüberlebensprognose im Vergleich zur Kontrollgruppe immer schlechter. Die Mitralklappeninsuffizienz Die Mitralklappeninsuffizienz ist die zweithäufigste Herzklappenerkrankung. Entsprechend den Ausführungen zur Aortenklappeninsuffizienz hängt der Schweregrad dieser Erkrankung auch hier vom Rückflussvolumen ab. Mit einer leichten Insuffizienz kann ein Patient jahrzehntelang leben. Ein zusätzlich erhöhtes Risiko liegt somit nicht vor. Der Begriff „Mitralklappenprolaps“ ist eigentlich ein Sammelbegriff, unter dem die verschiedensten klinischen Situationen zusammengefasst werden. Die Diagnose eines „Prolapses“ wurde sogar bei Patienten gestellt, bei denen Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Jahre nach Diagnose Aus einer anderen Patientenserie, die in den Achtziger Jahren behandelt wurden, können weitere Erkenntnisse gewonnen werden. Wenn es sich ätiologisch gesehen um abgerissene Sehnenfäden der Klappe handelt, ist die spontane Prognose ungünstig. Nach Entwicklung einer Herzinsuffizienz neigt diese Art von Patient vor allem im Sinusrhythmus zu Vorhofflimmern. Die therapeutischen und prognostischen Konsequenzen sind bekannt. Besonders zu nennen ist hier das Risiko eines plötzlichen Herztodes, wobei folgende Faktoren dieses Risiko zusätzlich begünstigen: der funktionelle Schweregrad (mit den entsprechenden Symptomen) die linksventrikuläre Auswurffraktion das Vorliegen eines Vorhofflimmerns Selbst in Fällen, bei denen keiner dieser drei Faktoren festgestellt wurde und die systolische Funktion erhalten ist – also bei typischen asymptomatischen Patienten – liegt 35 die Häufigkeit für den plötzlichen Herztod bei 1 %. Diesem Wert ist durch entsprechende Behandlung der Patienten Rechnung zu tragen. Insbesondere verbessert eine frühzeitige klappenerhaltende chirurgische Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz die Lebenserwartung beträchtlich. Die Kategorie der symptomatischen Kranken hat eine geringere Lebenserwartung als die Kontrollgruppe. Die frühzeitig Operierten müssen hingegen als normale Patienten angesehen werden. Ihre Lebenserwartung entspricht derjenigen einer Kontrollpopulation. Solche Zahlen sprechen demnach dafür, eine Mitralklappeninsuffizienz möglichst frühzeitig zu operieren. Außerdem gibt es keinen Grund, der es rechtfertigt, Prämienzuschläge von Antragstellern zu verlangen, die zwar eine Herzoperation hatten, durch diesen Eingriff jedoch eine normale Lebenserwartung wiedererlangen. Es ist jedoch anzunehmen, dass bei manchen Versicherern eine Sternotomienarbe für den Antragssteller trotzdem mit hohen Kosten verbunden ist. Auch die Ätiologie spielt hier eine Rolle: Wenn die Mitralklappeninsuffizienz ischämischen Ursprungs ist und im Zusammenhang mit einer Koronarerkrankung steht, ist sie im Verhältnis schwerwiegender. Schlechter sieht es auch bei einer rheumatischen Ursache aus. Statistisch gesehen werden degenerative Mitralklappeninsuffizienzen, die am häufigsten zu finden sind, zu 85 % operativ behandelt. Die Mitralklappenstenose Diese Herzklappenerkrankung ist in den meisten Fällen rheumatisch bedingt. Daneben gibt es einige wenige unbedeutendere degenerative Ursachen. Der Ursprung des akuten rheumatischen Fiebers ist oftmals im Alter von 5 bis 10 Jahren zu finden. Dabei kommt es zunächst zu einer längeren Latenzphase, bevor die ersten Anzeichen auftreten. Diese Ursache für krankhafte Klappenveränderungen ist in den Entwicklungsländern (Südostasien, Afrika, Südamerika …) heute noch endemisch. In diesen Ländern ist das rheumatische Fieber eine der häufigsten Todesursachen bei jungen Frauen. Grundsätzlich hängt die Überlebensprognose von den aufgetretenen Symptomen ab. Bei symptomatischen Patienten weist die Lebenserwartung geradezu katastrophale Werte auf. Auch hier handelt es sich um eine progressive Krankheit, bei deren Verlauf die Verengung der Klappenöffnung weiter zunimmt. Ohne Behandlung ist die Prognose bei einem symptomatischen Krankheitsbild schlecht. Die Mitralklappenstenose hat eine Besonderheit: Es kommt hier zunächst zu einem Blutstau, dann zur Dilatation des linken Vorhofs und zur Bildung von Blutgerinnseln. Gefährlich sind Komplikationen, die den Auswirkungen von thromboembolischen Insulten entsprechen. Diese können eine Halbseitenlähmung (Hemiplegie) nach sich ziehen, was ein einschneidendes Ereignis ist, insbesondere wenn beispielsweise eine 25-jährige Frau davon betroffen ist. Thromboembolien haben kardiale Ursachen. Das Initialsymptom ist daher bei 25 % der Mitralklappenstenosen ein zerebrovaskulärer Insult. Dieses Risiko spricht für therapeutische Maßnahmen bei Patienten, bei denen eine hochgradige, noch asymptomatische Stenose vorliegt. Eine Behandlung mit Antikoagulantien (Gerinnungshemmern) kann hämorrhagische Komplikationen zur Folge haben. Sie verringert zwar die Zahl der Thromboembolien, schließt sie aber nicht völlig aus. PTCA BEI EINER MITRALKLAPPENSTENOSE Danach Davor Echokardiographische Darstellung der Stenose vor und nach der Dilatation Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Aufblasen des Ballons im stenosierten Bereich Focus Die moderne perkutane Behandlung der Mitralklappenstenose besteht darin, einen Ballon-Katheter zur Klappenaufweitung in die Vene einzuführen. Hierzu muss die Scheidewand zwischen Herzkammer und Vorhof punktiert werden und der Katheter auf einem Weg vorgeführt werden, der nur während der Embryonalphase offen war. Ein kleiner aufblasbarer Ballon wird dann an den gewünschten Ort in der Mitralklappe gebracht. Sobald dieser Ballon in der Mitralklappe positioniert ist, werden die Kommissuren durch das Aufblasen des Ballons gelöst, was zu einer besseren Öffnung der Klappe führt. Der Druckgradient zwischen Vorhof und Herzkammer sinkt hierdurch. Anhand einer Doppler-Echokardiographie kann die Klappenöffnung graphisch dargestellt werden. Wenn eine solche Dilatation in einem frühzeitigen Stadium vorgenommen wird, sind die Ergebnisse hervorragend. Der operative Eingriff ist effizient und verbessert in gewissem Maße die Prognose. Abschließend ist zu sagen, dass das rheumatische Fieber als Ursache für Herzklappenerkrankungen in Europa einen deutlichen Rückgang verzeichnet. Dagegen ist die Entwicklung bei den degenerativen Ätiologien genau gegenläufig. Die beiden häufigsten Klappenerkrankungen sind die Aortenklappenstenose (insbesondere bei älteren Patienten, die selten Lebensversicherungen abschließen) und die Mitralklappeninsuffizienz. Letztere betrifft die Versicherer sicherlich in höherem Maße. Herzklappenstenosen sind evolutive Krankheiten, d. h. eine mittelgradige Stenose wird sich im Laufe der Zeit weiter verengen, während sich undichte Klappen kaum verändern. Eine unauffällige Insuffizienz ändert sich in der Regel nicht. Bei der medizinischen Lösung von Problemen aufgrund von Klappeninsuffizienzen sind in der Kardiologie beträchtliche Fortschritte erzielt worden. Zur Diagnosestellung und bei der Therapie bedient man sich in großem Umfang der Doppler-Echokardiographie. Die chirurgi-schen Methoden entwickeln sich ständig weiter, so hat sich z. B. die Anfangssterblichkeit nach einem operativen Klappenersatz um den Faktor 10 verringert. Die Risiken sind aber selbstverständlich nicht zu vernachlässigen, als Versicherer wissen Sie das besser als jeder andere. Sie sind jedoch in keiner Weise mit den anfänglichen Risiken einer Klappenoperation vergleichbar, als dieser Eingriff noch Neuland war. Dies sollte bei den Beiträgen und der Tarifgestaltung berücksichtigt werden. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen John EVANS Ich persönlich stelle fest, dass Patienten manchmal dazu neigen, ihre Symptome unterzubewerten. Daher muss man zusätzlich die Doppler-Echokardiographie einsetzen, um objektive Daten zu erhalten. Bei symptomatischen Patienten ist ohne jeden Zweifel ein chirurgischer Eingriff erforderlich. Gibt es aber darüber hinaus Entscheidungshilfen, wenn noch nicht völlig klar auf der Hand liegt, wie schwerwiegend die Symptome sind? Pierre-Louis MICHEL In diesem Fall muss man die Lebensweise berücksichtigen. Ein älterer Mensch, der viel zu Hause ist, kann nicht mit einer sportlichen Person verglichen werden. Neben der Bewertung der Aktivitäten ist im Zweifel eine Belastungsuntersuchung durchzuführen, um zu messen, wie sich die Herzklappenerkrankung des Betroffenen auswirkt. Manche Personen sind körperliche Anstrengungen gewöhnt, insbesondere jene, die Ausdauersportarten treiben (Marathon, Radfahren). Ihre Leistungen sind teilweise beachtlich. Die Symptome der Herzklappenerkrankungen treten dann allerdings erst bei großer Anstrengung auf, also viel später als bei Patienten ohne nennenswerte körperliche Aktivitäten. Wenn sich jemand nicht täglich körperlich betätigt, wird er bei einer Ergometriebelastung von rund 60 Watt außer Atem kommen. Das bedeutet nicht, dass sein Herz geschädigt ist, sondern weist vielmehr darauf hin, dass sein HerzKreislauf-System nicht an Belastungen gewöhnt ist. Die Herzbeanspruchung ist abhängig von der körperlichen Grundaktivität und vom Training. Diese Tatsache kann zu Recht als Appell verstanden werden, regelmäßig Sport zu treiben. Frage aus dem Publikum Bei der Aortenklappeninsuffizienz ist es wichtig, das Rückflussvolumen zu bestimmen. Auf welchen Kriterien beruht hier die Untersuchung mittels DopplerEchokardiographie? Pierre-Louis MICHEL Jedes Jahr meint ein Echokardiologe, dass er diese Frage abschließend beantworten kann und einen neuen definitiven Wert ermittelt hat, der die anderen übertrifft. Jahr für Jahr folgt ein „bester“ Wert auf den anderen. An Berechnungswerten mangelt es also nicht in der Literatur. Keiner ist perfekt und keiner ermöglicht eine näherungsfreie Berechnung. Ein guter Echokardiologe muss also zunächst einmal ein guter Kardiologe sein. Es gibt zahlreiche Untersuchungsparameter und nur eine gut 37 durchdachte Synthese der Ergebnisse führt zu einer zuverlässigen Diagnose. Mitunter vergleiche ich die Echokardiologen mit einem ins Gegenteil verkehrten ungläubigen Thomas. Dieser sagte: „Ich glaube nur, was ich sehe.“ Der Echokardiologe seinerseits sieht, also glaubt er. Gelegentlich kann es sein, dass manche Bilder, die nicht so eindeutig zu interpretieren sind, ihn zu falschen Schlüssen verleiten. Diese Untersuchungsmethode hängt deshalb sehr vom Geschick des Untersuchers ab. Frage aus dem Publikum Welche Merkmale zeichnen eine gute chirurgische Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz aus? Pierre-Louis MICHEL Es darf nach dem Eingriff keine noch so geringfügige Restinsuffizienz oder Reststenose verbleiben. Patienten, die aufgrund einer Mitralklappeninsuffizienz von einem guten Chirurgen wie Christophe ACAR operiert wurden, verlassen das Krankenhaus in 95 % der Fälle ohne residuelle Klappeninsuffizienz oder -stenose. Wir können heute die Ergebnisse der Chirurgie mit einem Abstand von rund dreißig Jahren, seit den ersten Operationen von Prof. Carpentier, betrachten. Sie sind nunmehr verlässlich und im Bereich der Herzklappenerkrankungen konstant. Der Erfolg einer solchen Operation ist auch langfristig gewährleistet, so dass man berechtigterweise von einer Heilung der Krankheit sprechen kann. Zwar trägt der Patient eine Sternotomienarbe davon, aber sein Herz kann als normal angesehen werden. John EVANS Verändert sich eine erkrankte Mitralklappe im Laufe der Zeit noch, nachdem eine perkutane Behandlung durchgeführt wurde, so wie es der Fall bei einer Mitralklappenstenose ist? Pierre-Louis MICHEL Es geschieht das, was früher geschah, wenn eine operative Kommissurotomie durchgeführt wurde. Vor 15 oder 20 Jahren kam es an der Klappe zu einer rheumatischen Erkrankung. Man kann nicht davon ausgehen, dass man eine Klappe völlig wiederherstellen kann. Eine Stenose entwickelt sich in Abhängigkeit vom Alter des Patienten Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen mehr oder weniger schnell. Es ist ganz klar, dass der Patient keine neue Klappe zurückbekommt. In jedem Fall hat eine Mitralklappenstenose, die ja doch selten ist, keine günstige Prognose. Auch nach der Operation verändert sich die Klappe weiterhin degenerativ. Im Bereich der rheumatischen Herzerkrankungen hat es der Facharzt oft mit bereits operativ behandelten Mitralklappenstenosen, mit Rezidiven etc. zu tun. Die Klappe hat sich durch einen progredienten rheumatischen Prozess verändert, die Klappe ist also nicht mehr neu. Man hat durch den Eingriff nur Zeit gewonnen. Die angesprochenen Herzerkrankungen erfordern eine langfristige Behandlung. Denken wir an den medizinischen Standard bei der Therapie der Koronarinsuffizienz. Beachtliche Fortschritte sind erst kürzlich mit den perkutan implantierten Klappenprothesen erzielt worden. Dies ist jedoch aufgrund der potentiellen Entstehung eines Atheroms in der Koronararterie nicht notwendigerweise mit einer Heilung gleichzusetzen. Menschen mit einer bereits bekannten Koronarerkrankung haben folglich das höchste Risiko, ein akutes Koronarsyndrom zu entwickeln. Frage aus dem Publikum Als Rheumatologe möchte ich gerne wissen, ob die Prognose der Aortenklappeninsuffizienz durch eine Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) verschlechtert wird. Pierre-Louis MICHEL Die Spondylitis ankylosans ist in diesem Fall eine recht seltene Ursache. Im Grunde hängt alles von der Art der Insuffizienz und den damit verbundenen Problemen ab. Leitungsstörungen können prothetische Maßnahmen erforderlich machen. Der Patient kann zugleich eine Klappenprothese und einen Herzschrittmacher tragen. Frage aus dem Publikum Wie häufig sollte man nach einer Klappenerkrankung Kontrolluntersuchungen vornehmen? Pierre-Louis MICHEL Bei einer geringfügigen Erkrankung reicht eine Kontrolle einmal im Jahr oder alle zwei Jahre. Wenn sie sehr signifikant ist, müssen die Überprüfungen in kürzeren Abständen erfolgen (jährlich, dann alle sechs Monate). Focus Der Einfluss der neuen Operationstechniken auf die Akute und die Langzeitmorbidität und -mortalität Prof. Dr. Christophe ACAR. Abteilung für Herz- und Thoraxchirurgie, Institut für Kardiologie Pitié-Salpêtrière Die Herzchirurgie ist eine junge Disziplin, die in den Sechziger Jahren entstanden ist. Im Vergleich zu anderen Disziplinen erlebt sie erst in jüngerer Zeit einen Aufschwung. In Frankreich werden jedes Jahr 38 000 chirurgische Eingriffe am offenen Herzen durchgeführt, was dem Durchschnitt der Industrieländer entspricht. Allein im Ballungsraum Paris (Ile-de-France) liegt die Zahl bei 11 000 Operationen, also nahezu einem Drittel der Gesamtzahl. Derzeit stagniert die Zahl der operativen Eingriffe, sie hat sich schon seit rund einem Jahrzehnt auf den zuvor genannten Wert eingependelt. In Frankreich werden jährlich insgesamt 291 000 Operationen durchgeführt, eine Zahl, die im europäischen Mittel liegt. Darüber hinaus ist die chirurgische Reparatur von Mitralklappen zu nennen. Statistisch gesehen machen solche Plastiken ca. 21 % der Eingriffe an Herzklappen aus. Hierfür stützt man sich auf die von der Industrie genannten Zahlen für Ringprothesen. Mit welchen Erkrankungen haben wir in unseren herzchirurgischen Abteilungen zu tun? Grob gerechnet betrifft die Hälfte der Eingriffe Koronarerkrankungen, die andere Hälfte Herzklappenschäden. Eine bestimmte Anzahl von Patienten muss sowohl an den Herzkranzgefäßen als auch an den Herzklappen operiert werden. Bisweilen operiert der Chirurg angeborene Erkrankungen. Herztransplantationen hingegen sind eine chirurgische Randerscheinung, im Ballungsraum Paris zählt man jährlich nur rund 140 Eingriffe dieser Art. Welche künstlichen Prothesentypen gibt es? Die Klappenmechanik hat sich beträchtlich weiterentwickelt, wenngleich das Prinzip eines Ventils zwischen zwei Herzhöhlen sehr simpel ist. Die Zahl der verfügbaren Modelle wächst beständig. Zunächst gibt es Kugelprothesen, die bemerkenswerte Eigenschaften aufweisen. Dieses Modell ist sehr stabil, nahezu verschleißfrei und alterungsbeständig. Es wirkt leicht obstruierend, da der Blutfluss um die Kugel herumgeleitet wird, die wie ein Hindernis wirkt. Zwei Kategorien von Prothesen kommen als Klappenersatz in Frage: Mechanische und biologische Klappen. Wenden wir uns nun den Scheibenprothesen zu: Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Kippscheibenprothese aus pyrolytischem Kohlenstoff. Die Klappe ist mithilfe eines Gelenks befestigt und hat einen Öffnungswinkel von ca. 90°. Diese Klappen wirken ebenfalls leicht obstruierend und raumfordernd, da Platz zum Öffnen der Scheibe benötigt wird. Aus diesem Grund haben die Ingenieure eine moderne Klappe, die so genannte Doppelflügelprothese entwickelt. In diesem Beispiel ist die zweigeteilte Scheibe, mit einem Gelenk an einem Gestell befestigt; die Prothese besteht wiederum komplett aus pyrolytischem Kohlenstoff. Mechanische Klappen haben den großen Vorteil der Haltbarkeit. Das Einsetzen ist aufgrund der ständigen fertigungstechnischen Weiterentwicklung der Klappen denkbar einfach geworden. Klappen aus natürlichem Material benötigen im Gegensatz zur vorigen Kategorie keine besondere Behandlung. Sie haben ein hervorragendes Sicherheitsprofil, da sie sehr gute Strömungseigenschaften aufweisen und keine Blutgerinnsel verursachen. Bioprothesen bringen nicht die diversen Nachteile mit sich, die künstliche Klappen aufweisen. Welche Klappenprothesen finden in Frankreich Verwendung? Einer Branchenumfrage zufolge liegt der Anteil der mechanischen Prothesen bei 38 % bzw. 39 % bei Bioprothesen. Von den 38 000 Herzoperationen in Frankreich betreffen 17 000 Eingriffe die Herzklappen. Unter dem Strich werden jeweils zur Hälfte mechanische und biologische Prothesen eingesetzt. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Nur einer sehr kleinen Minderheit von Patienten werden Klappenhomografts implantiert (2 %). Die mechanischen Klappen Der größte Nachteil der mechanischen Prothesen sind die mangelhaften hämodynamischen Eigenschaften. Der Patient muss lebenslang gerinnungshemmende Medikamente einnehmen. Bei der Aortenklappenprothese ist für eine adäquate Gerinnungshemmung ein INR-Wert zwischen 2 und 3 erforderlich. Bei einer Mitralklappenprothese ist die Antikoagulation zu erhöhen, die INRWerte liegen hier zwischen 3 und 5 als Richtwert für diese schwierige therapeutische Gruppe. 39 Die biologischen Klappen Bioprothesen werden aus glutaraldehydfixiertem Tiergewebe hergestellt, die infolge dieser Behandlung eine bemerkenswerte Verträglichkeit aufweisen. Es sind praktisch keine Abstoßreaktionen bekannt. Der einzige Nachteil dieser biologischen Klappenprothesen ist, dass sie mit der Zeit ermüden und nur beschränkt haltbar sind und daher langfristig eine erneute Operation der betroffenen Klappe erforderlich ist. Im Wesentlichen unterscheidet man zwei Arten von Bioprothesen: porcine Prothesen (hergestellt aus Schweineaortenklappen), die auf einen Ring aufgezogen werden, um das Einsetzen der Klappen zu erleichtern sonstige Prothesen, die aus Kalbsperikard gewonnen werden und industriell auf einem Implantationsgestell befestigt werden. Die Nachteile der zwei Prothesentypen im Vergleich Die Hauptkomplikation bei mechanischen Klappen ist letztlich die Gefahr der Bildung eines Blutgerinnsels oder eines Thrombus. Eine schwere Thrombose, bei der die Klappe vollständig blockiert wird, schränkt die Beweglichkeit der Klappenflügel ein und beeinträchtigt folglich die Funktionsfähigkeit der Prothese. Das Krankheitsbild ist das einer akuten Stenose, die eine Reoperation erforderlich macht. Bisweilen ist die Thrombose unauffälliger und äußert sich in Form kleiner Blutgerinnsel. Befinden sie sich an einer ungünstigen Stelle, können sie die Öffnung der beiden Flügel blockieren. Die Bildung von Blutgerinnseln ist aufgrund der Auswirkungen auf die Hämodynamik äußerst gefährlich. Sie verhindern, dass sich wieder ein normaler Blutfluss einstellt. Es können nach einiger Zeit vereinzelt fibröse Kapseln auftreten, wobei das Narbengewebe die Beweglichkeit der Prothese behindert. Selten kommt es zur Materialermüdung. Ein Beispiel ist die zerbrochene Kugel einer mechanischen Prothese. Aufgrund ihrer beschränkten Haltbarkeit muss bei Bioprothesen häufig erneut operiert werden, obwohl bei ihnen nicht die Gefahr der Thrombenbildung besteht. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Es können Risse und Verkalkungen an der Klappe entstehen, die ihre Öffnungsfunktion beeinträchtigen und daher eine Reoperation erforderlich machen. Statistisch gesehen kann es interessant sein, die beiden Prothesentypen in der Verwendung zu vergleichen. Ich stütze mich hierbei auf groß angelegte Studien, die einen Konsens erlauben. Das durchschnittliche Alter bei der Implantation einer mechanischen Prothese liegt bei 62 Jahren, bei einer Bioprothese bei 75 Jahren. Als häufigste Komplikation ist für beide Implantatkategorien die Thrombose mit der Gefahr einer Embolie zu nennen. Bei dieser umfangreichen statistischen Studie lag das Thromboserisiko (22 % der Patienten waren betroffen) für mechanische Prothesen genauso hoch wie für biologische Prothesen. Dieses Ergebnis ist recht überraschend. Es besteht hier die Gefahr von Hemiplegien und beträchtlichen Behinderungen, die sich aus einer solchen Komplikation ergeben können. Aufgrund des erwähnten unterschiedlichen Durchschnittsalters sind diese Zahlen allerdings nicht ganz vergleichbar. Die thromboembolische Komplikation in der Gruppe der biologischen Klappen steht nicht im Zusammenhang mit der Prothese, sondern mit dem Alter der betroffenen Patienten, die vermehrt zu Gefäßerkrankungen neigen. Daher ist das Problem letztendlich nicht eine Frage des Prothesentyps, sondern eine Frage des Alters. Diese Studie wurde an einem Kollektiv von Patienten durchgeführt, die an der Aortenklappe operiert worden waren. Man weiß jedoch, dass Thrombosen nach einem Klappenersatz in Mitralposition häufiger auftreten. Es ist klar, dass das Thromboserisiko nach dem Einsetzen einer mechanischen Klappe in Mitralposition höher ist als das einer biologischen Klappe. Hämorrhagische Komplikationen sind bei mechanischen Klappen häufiger als bei Bioprothesen, die keine Behandlung mit gerinnungshemmenden Medikamenten erfordern. In der Gruppe der künstlichen Klappen leiden 13 % der Patienten unter hämorrhagischen Komplikationen, gegenüber lediglich 5 % in der anderen Gruppe. Dagegen liegt das Risiko einer Reoperation aufgrund einer defekten Prothese bei einem biologischen Klappenersatz weitaus höher. Es beträgt nach 10 Jahren 11 %, gegenüber nur 4 % bei den mechanischen Klappen, die selten ersetzt werden müssen. Focus Der Homograft Etwas Besonderes sind jene Patienten, bei denen die Herzklappe durch ein Homograft, eine menschliche Spenderklappe, ersetzt wird. Der erste Homograft in der Geschichte wurde 1962 in London von Donald Ross implantiert. Seitdem gab es mehr als 25 000 Eingriffe dieser Art, hauptsächlich zwischen 1962 und 1974. Ihre Zahl nahm mit der Verbreitung der mechanischen Prothesen und den Fortschritten in der industriellen Herzklappenproduktion ab. Das erneute Interesse an dieser Technik ist zu einem Großteil auf die Erkenntnis zurückzuführen, dass Bioprothesen nur begrenzt haltbar sind. Homografts werden durch die Entnahme von Spenderklappen an Patienten ermöglicht, die an einer nichtkardialen Todesursache gestorben sind. Die Herzklappen sind wieder verwendbar, sofern sie sehr schnell entnommen werden. In den USA, in Kanada und in Großbritannien stammen Ersatzklappen in großem Umfang aus dieser Quelle. Seit den Bioethik-Gesetzen von 1994 dürfen Herzklappen nicht von Leichen, sondern nur von hirntoten Patienten entnommen werden. Wenn das Herz für eine Transplantation nicht verwendbar ist, kann man sich auf die Entnahme der Herzklappen beschränken, die dann an eine Gewebebank geschickt werden. Herzklappen sind oft noch funktionsfähig und können als Klappenersatz Verwendung finden. Auch die erkrankten Herzen, die bei Herztransplantationen entnommen werden, können diesem Zweck dienen. Selbst wenn das Myokard (Herzmuskel) nicht mehr genutzt werden kann, sind die Klappen manchmal noch verwendbar. Nach der Entnahme muss eine Dekontamination mit Antibiotika erfolgen. Anschließend werden die Klappen in einer Gewebebank kryokonserviert, wobei die Temperatur schrittweise auf –60 °C gesenkt wird. So werden sie für die kommende Implantation aufbewahrt. Die Entnahmebedingungen sind klar definiert: der Organspender darf nicht älter als 60 Jahre alt sein er darf keine allgemeine Erkrankung wie z.B. Krebs und keine infektiöse Erkrankung haben Personen, die mit Hypophysenhormonen behandelt wurden, sind gleichfalls ausgeschlossen. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Homografts werden im Wesentlichen bei Erkrankungen der Aortenklappe eingesetzt (Insuffizienz im Zusammenhang mit biskupider Aortenklappe, Aortenklappenstenosen bei biskupider Klappe, akutem rheumatischen Fieber). Das Langzeitergebnis bei Homografts variiert in Abhängigkeit vom Alter der Empfänger. Zwanzig Jahre nach der Operation leben noch 42 % der Patienten. Bei Personen unter 20 Jahren ist ein Homograft aufgrund der Langzeitbehandlungsergebnisse kontraindiziert. Eine der Erkrankungen, bei der ein Homograft besonders in Frage kommt, ist die infektiöse Endokarditis (Herzklappenentzündung). Diese kann gelegentlich bei einer Prothese auftreten, wenn sich Gewebeteile im Kontakt mit dem Klappenersatz entzünden. Bei Homografts kommen keinerlei synthetische Stoffe zum Einsatz, sie können ohne Verwendung von körperfremdem Material und, wie im Falle einer Endokarditis, ohne das Risiko einer erneuten Infektion als Klappenersatz implantiert werden. Es ist bekannt, dass die Endokarditis eine schwerwiegende Komplikation ist, die zu Embolien führt (Nierenembolien, Milzembolien, oft äußerst schwere Hirnembolien, da der verursachte Hirninfarkt sehr ausgedehnt ist). Wie bereits erwähnt bergen Prothesen das Risiko einer Endokarditis. Der Homograft hat den gewaltigen Vorteil, vor einer erneuten Infektion zu schützen. Der Autograft Andere Operationsmethoden sind zahlenmäßig eher unerheblich. Der Autograft oder die so genannte RossOperation besteht darin, an die Stelle der erkrankten Herzklappe die benachbarte Klappe einzusetzen. Beispielsweise entnimmt der Chirurg einen Teil der Pulmonalklappe und setzt ihn in die Aortenklappe ein. Die Pulmonalklappe ihrerseits wird letztlich durch einen Homograft ersetzt. Wird die Pulmonalklappe (ein anatomischer Zwilling der Aortenklappe) in der Aortenposition wiedereingesetzt, spricht man von einem „Autograft“. Dieser Eingriff hat für junge Sportler mit Sicherheit Vorteile. Denn die Eigenschaften der Originalklappe sind beachtlich: Es ist keine oder fast keine Stenosewirkung nach der Implantation zu befürchten. Der operierte Sportler kann anschließend dieselben Leistungen erbringen wie eine gesunde Person. 41 Die Lebenserwartung ist hoch, nach 20 Jahren sind 72 % der Patienten noch am Leben. Allerdings kommt es vor, dass reoperiert werden muss. Die Ross-Methode ist insbesondere für Kinder geeignet: Man kann davon ausgehen, dass der Autograft normal mitwächst, ohne dass sich die Klappe verstopft oder degeneriert. Sie ist somit die bevorzugte Methode, wenn die Aortenklappe bei einem Kind ersetzt werden muss. Die Therapiewahl Welchen Klappenersatz soll man je nach den besonderen Umständen und dem klinischem Kontext bei älteren Patienten wählen? Ist eine mechanische oder eine biologische Prothese das am besten geeignete Implantat? Für diese Entscheidung muss die Lebenserwartung des Patienten und das gewünschte Ergebnis eines Klappenersatzes berücksichtigt werden. Bioprothesen altern mit der Zeit zwangläufig, bei betagten Patienten (ab 70 Jahren) jedoch langsamer. Nach zehn Jahren Restlebenszeit treten die ersten Degenerationserscheinungen auf. Vor diesem Zeitraum ist nichts Besonderes zu befürchten. Es ist kaum zu erwarten, dass bei einem Patienten über 70 mit Bioprothese ein neuerlicher Eingriff notwendig wird. Das Alter ist eindeutig einer der entscheidenden Risikofaktoren. Dem französischen Institut für Statistik und Wirtschaftsstudien (INSEE) zufolge hat ein 70-jähriger Mann eine Lebenserwartung von 13 Jahren. Für Frauen beträgt der Wert 16 Jahre. Die Implantation einer Bioprothese beinhaltet daher für den Mann und viel mehr noch für die Frau das Risiko einer Reoperation. Die Lebenserwartung eines 75-jährigen Mannes liegt bei 9 Jahren, die der Frau bei 13 Jahren. Üblich ist derzeit, Männern ab 70 Jahren eine biologische Prothese einzusetzen, Frauen ab 75 Jahren. Bei der Auswahl einer Prothese sind aber noch andere Faktoren als das Alter zu berücksichtigen. Sie stehen insbesondere im Zusammenhang mit der Herzerkrankung des Patienten. Wenn bei diesem die Aortenklappe verengt ist, ist seine Lebenserwartung im Vergleich zur Normalbevölkerung reduziert. Dies gilt umso mehr, wenn zu dem Klappendefekt noch Erkrankungen der Koronararterien hinzukommen. Ich habe bereits betont, dass die Lebenserwartung geschlechtsabhängig ist. Weist ein Patient eine Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Koronarerkrankung auf, ist zu berücksichtigen, dass Frauen eine schlechtere Prognose haben als Männer. Ihre Koronararterien haben einen geringeren Querschnitt und krankhafte Veränderungen schreiten bei Frauen schneller fort. Jedoch ist in der Gruppe der Patienten mit normalen Koronararterien die Lebenserwartung der Frauen höher als die der Männer. Des weiteren ist die Langzeitmortalität umso höher, je ausgeprägter und weiter entwickelt die Herzerkrankung ist. Bei Patienten mit begrenzter Lebenserwartung tendiert man dazu, Bioprothesen einzusetzen. Schließlich kommen auch sozioökonomische Überlegungen ins Spiel. Ein 80-jähriger Patient hat eine Lebenserwartung von 7 Jahren. Wenn er unter einer Aortenklappenstenose leidet, sinkt die Lebenserwartung auf 2 Jahre. Ziel ist nun, seine Lebenserwartung um 5 Jahre zu erhöhen; für diesen Lebensgewinn wird der Patient dem Risiko der Operationsmortalität (10 %) und einer Reihe von Komplikationen ausgesetzt, darunter einigen schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen mit möglichen Folgeschäden. Die Kosten für die Herzklappenoperation liegen bei 23.000 Euro. Es handelt sich also nicht nur um eine medizinische, sondern auch um eine gesellschaftliche Entscheidung. Wenden wir uns nun dem Ersatz einer Mitralklappe bei jüngeren Patienten zu. Im Prinzip wird bei einem solchen Eingriff eine mechanische Prothese verwendet. Die mechanische Klappe in Mitralposition ist nicht so günstig wie in Aortenposition, da das Thromboserisiko fünfmal höher liegt. Des Weiteren sind die Risiken der Behandlung mit Antikoagulantien zu nennen. Nach 10 Jahren haben 83 % der noch lebenden Patienten keinen besonderen Insult aufzuweisen. Weitere 10 Jahre später sind 71 % der zum Operationszeitpunkt durchschnittlich 51 Jahre alten Patienten noch am Leben. Die Implantation einer mechanischen Prothese ist also bei jüngeren Patienten keine ideale Lösung. Jedoch ist die Bioprothese keine bessere Lösung, wie die 52 % der Personen unter 60 Jahren zeigen, die innerhalb von 10 Jahren erneut operiert werden müssen. Den Ergebnissen einer Studie mit 232 jungen Frauen (Durchschnittsalter 24 Jahre) zufolge ist das Alterungsrisiko der Bioprothese in Mitralposition höher als in Aortenposition. Die Überlebensrate nach 10 Jahren liegt in einer so jungen Altersgruppe bei nur 84 %. Daher wurden Alternativen entwickelt. Unsere Abteilung bietet z.B. eine Homograft-Implantation für die Mitralklappe an. Im Bereich der Homograftchirurgie waren die Ergebnisse bei einer Gruppe von 104 an der Mitralklappe operierten Focus Patienten vergleichbar mit den Resultaten für Bioprothesen, mit ähnlichen Reoperationszahlen. Diese Methode birgt jedoch das Risiko einer frühzeitigen Klappendegeneration: Die Reoperationszahlen sind daher im ersten Jahr relativ hoch. Infolgedessen ist ein Homograft keine optimale Lösung für den Ersatz einer Mitralklappe. Die Ergebnisse sind nicht besser als beim Klappenersatz durch eine Prothese. Die Entscheidung ist daher in erster Linie altersabhängig. Patienten über 70 Jahre erhalten normalerweise eine biologische Prothese; eine Ausnahme ist der Sonderfall einer Frau mit wenig fortgeschrittenem Krankheitsbild und ohne Koronarerkrankung. Hier wird man eher auf eine mechanische Klappe zurückgreifen. Bei Patienten im Alter zwischen 40 und 70 Jahren setzen die Chirurgen gewöhnlich eine mechanische Prothese ein. Einen Ausnahmefaktor stellt die Kontraindikation gegen eine Behandlung mit Gerinnungshemmern dar. In diesem Fall verwendet man eine Bioprothese oder bei Aortenklappen einen Homograft. Wenn eine infektiöse Endokarditis vorliegt, ist der Homograft die Methode der Wahl zur Behandlung der defekten Klappe. Bei Patienten unter 20 Jahren bevorzugt man die RossMethode oder es wird gegebenenfalls eine mechanische Prothese verwendet. Schließlich ist auf die Möglichkeit einer Plastik, also einer Rekonstruktion, als Alternative zum Klappenersatz hinzuweisen. Die Klappenrekonstruktion ist, sofern dies möglich ist, vorzuziehen. Ein Beispiel hierfür wäre die Mitralklappenplastik. Die Mitralklappenplastik Die Mitralklappenplastik ermöglicht eine Rekonstruktion ohne Ersatz der Klappe und wurde Ende der Sechziger Jahre von Alain CARPENTIER entwickelt. Bei dieser Methode wird an der Stelle der defekten Klappe eine Ringprothese eingesetzt. Nach der Art der abnormen Klappenbewegung – übermäßig (wie beim Prolaps) oder eingeschränkt – gibt es verschiedene Typen der Mitralklappeninsuffizienz. Der Chirurg stützt sich bei seinem Eingriff auf die funktionelle Unterteilung in 3 Typen. Er muss genau wissen, mit welchem funktionellen Typ er es zu tun hat. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Die Echokardiographie ist nach wie vor die beste Untersuchungsmethode, um den funktionellen Typ der defekten Mitralklappe zu bestimmen. Hier sehen wir einen Prolaps, bei dem eine korrigierende Transposition der Sehnenfäden erforderlich ist, um zu verhindern, dass sich die Klappe zum linken Vorhof vorwölbt. Wie unterscheidet sich eine Mitralklappenplastik von anderen Eingriffen? Das hängt insbesondere von der klinischen Situation und der Erfahrung ab. In unserer Abteilung nehmen wir häufig Mitralklappenplastiken vor. Bei zwei Dritteln bis drei Vierteln der Patienten, die wegen einer Operation der Mitralklappe zu uns kommen, wird eine Plastik vorgenommen. Dies ist umso mehr zu betonen, als für ein Viertel dieser Patienten zuvor ein Klappenersatz angeraten wurde. Die Operationsmortalität wird in hohem Maße durch die Ursachen der Klappenerkrankung bedingt. Sie ist bei Degenerationserscheinungen (häufigste Ursache) oder beim akuten rheumatischen Fieber gering. Sie ist deutlich erhöht, wenn eine Koronarerkrankung oder eine infektiöse Endokarditis vorliegt, hier erreicht die Mortalitätsrate 9 %. Lassen Sie uns nun die Resultate nach einer Rekonstruktion und nach dem Ersatz der Mitralklappe vergleichen. Die Langzeitüberlebensrate ist unbestreitbar bei der Plastik besser als nach einem Klappenersatz. Sofern durchführbar, ist die Mitralklappenplastik die günstigste operative Lösung bei Patienten, die an dieser Herzklappe erkrankt sind. Die Langzeitergebnisse werden stark von den Krankheitsursachen beeinflusst. Beim Vergleich der Ätiologie kann man feststellen, dass die Mortalität beim akuten rheumatischen Fieber höher ist als bei degenerativen Erkrankungen. Bei letzteren wurden 93 % der Patienten innerhalb von 15 Jahren nach dem Eingriff nicht erneut operiert, während es bei rheumatischen Klappenerkrankungen nur 75 % waren. Der Einsatz moderner Untersuchungsmethoden hat dazu beigetragen, die Operationsergebnisse zu verbessern. Die Echographie findet in den Operationssälen breite Verwendung, wo Echokardiographiegeräte und TEESonden für die transösophageale Untersuchung nunmehr Vorschrift sind. Grundsätzlich gibt es weitaus weniger Möglichkeiten, eine Plastik an der Aortenklappe vorzunehmen als an der Mitralklappe. Es handelt sich um einige wenige Ausnahmefälle. Daher ist es üblich, die Aortenklappe 43 durch eine Prothese zu ersetzen. Als eine dieser Indikationen kann jedoch das Marfan-Syndrom genannt werden, eine Erkrankung der Aortenklappe, die mit Aneurysmen, insbesondere der aufsteigenden Aorta (A. ascendens), verbunden ist. Der Mechanismus der Insuffizienz erklärt sich bei diesen Patienten durch ein Aneurysma, das eine Zugkraft auf die Aortenklappe ausübt. Reduziert man diese Zugkraft, indem man die Klappenöffnung auf ein normales Maß verringert, wird die Schließfähigkeit wiederhergestellt. Aufgrund von Langzeitstudien sind aussagekräftige Ergebnisse verfügbar. Bei 158 untersuchten Patienten liegt die Langzeitüberlebensrate nach 15 Jahren bei knapp 60 %. Die Zahl der reoperierten Patienten ist in dieser sehr speziellen Gruppe letztlich recht gering. Generell kann man sich für gesamteuropäische Vergleichsdaten auf das EuroSCORE-System stützen, das einen Vergleich zwischen Südeuropa (mit Frankreich) und Nordeuropa ermöglicht. In Südeuropa wurden 65 % der Patienten aufgrund einer Erkrankung der Aortenklappe operiert, 35 % wegen eines Mitralklappendefekts. Diese Zahlen liegen jeweils bei 73 % und 27 % für Nordeuropa. Die Differenz erklärt sich dadurch, dass das akute rheumatische Fieber in Nordeuropa vergleichsweise selten ist. Ein Vergleich des Verhältnisses Plastik/Klappenersatz ist durchaus interessant. In Südeuropa betrug der Anteil der Plastik 25 %, gegenüber 19 % in Nordeuropa (bei 81 % Klappenprothesen). Die gleichzeitige Implantation einer Klappenprothese und eines koronaren Bypasses hat eine Häufigkeit von 16 % in Südeuropa und liegt bei 31 % in Nordeuropa (wo die Patienten normalerweise etwas älter sind). Die Gesamtmortalität der Bypass-operierten Patienten beträgt 3,4 %. Diese Zahl verdoppelt sich bei einem Eingriff an der Aortenklappe (6 %) und liegt für Operationen an der Mitralklappe noch etwas höher. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Wenn kein weiterer Risikofaktor hinzukommt, ist die Operationsmortalität in der Herzklappenchirurgie weitaus geringer. Der klinische Kontext muss daher sorgfältig beurteilt werden. Jedem erschwerenden Faktor ist ein Gewichtungsfaktor zuzuordnen, um das Operationsrisiko vorherzusagen. Hierzu werden etwa fünfzehn Risikofaktoren für die Krankenhausmortalität berücksichtigt. Als letzter Ausweg kann eine Herztransplantation in den seltenen Fällen in Betracht gezogen werden, in denen eine Herzklappenerkrankung das Finalstadium erreicht hat. Der Patient wird so lange an einen extrakorporalen Kreislauf angeschlossen, bis das neue Herz implantiert ist. Nach dem Eingriff sind Operationsnähte am Vorhof und an den großen Blutgefäßen zu sehen. Allerdings ist die Prognose für Patienten, die aufgrund einer Klappenerkrankung transplantiert wurden, nicht so günstig wie für Patienten, die aus anderen Gründen eine Herztransplantation erhalten. Bei ersteren können ischämische Herzerkrankungen und krankhafte Herzdilatationen auftreten. Zuletzt soll der Fall eines Patienten vorgestellt werden, bei dem eine Mitralklappenplastik vorgenommen wurde. Er war oligosymptomatisch, wie es manchmal bei Personen vorkommt, die zum Chirurgen geschickt werden. In diesem Fall handelte es sich um eine starke Insuffizienz, die mit mäßiger Kurzatmigkeit einherging. Per Echokardiographie wurde eine ausgeprägte Mitralklappeninsuffizienz festgestellt. Die Schädigung stand im Zusammenhang mit einem Sehnenfadenabriss an der Mitralklappe. Der geschädigte Klappenanteil wurde entfernt und das entnommene Gewebe zur anatomisch-pathologischen Untersuchung ins Labor geschickt. Der Eingriff an sich bestand darin, den Defekt zu beheben, der durch die Resektion entstanden war. Am Ende der Operation musste die Plastik durch das Einsetzen einer der Klappenöffnung entsprechenden Ringprothese ergänzt werden. Mit diesem Ring konnte der Klappe wieder eine normale Form und Größe gegeben werden. Focus MITRALKLAPPENCHIRURGIE Anzahl Alter Überlebensrate Patienten nach 10 Jahren ohne erneute Operation Mechanisch St Jude Baudet JTCVS 1995 207 53 71 % > 96 % Schweine-Bioprothese Hancock Legarra JHVD 1999 122 61 65 % 77 % Rinderperikard-Bioprothese Carpentier Edwards Aupart JTCVS 1997 150 62 71 % 90 % Plastik Carpentier-Technik Deloche JTCVS 1990 206 49 90 % 92 % Klappentyp John EVANS Frage aus dem Publikum In der medizinischen Literatur wird der Aortenklappenersatz durch perkutane Endoprothesen erwähnt. Befindet sich diese Methode derzeit erst in der Erforschungsphase? Inwieweit können Patienten nach einer Herzklappenoperation wieder ein normales Leben führen? Sind manche Patienten danach sehr stark eingeschränkt? Christophe ACAR Christophe ACAR Es handelt sich hier um ein Verfahren, das einen faszinierenden Forschungsansatz verfolgt. Alain CRIBIER aus Rouen ist der Initiator dieser Methode, bei der die Klappe perkutan eingesetzt wird. Der Eingriff wurde bislang bei 4 oder 5 Patienten durchgeführt, mit mehr oder weniger guten Ergebnissen. Damit soll ein Aortenklappenersatz erreicht werden, ohne dafür den Brustkorb öffnen zu müssen und folglich ohne die Patienten den Risiken eines extrakorporalen Kreislaufs auszusetzen. In technischer Hinsicht ist die Methode auf jeden Fall ausgereift und kann mit der Referenzmethode, der Operation mit Sternotomie und Ersetzen der Klappe, konkurrieren. Im Prinzip führen die Patienten ein normales Leben. Es hängt jedoch alles von den Umständen ab, unter denen der Eingriff durchgeführt wurde. War der Patient zu diesem Zeitpunkt in guter Verfassung und war die Operation gut durchdacht, ist im Alltag nicht mit größeren Komplikationen zu rechnen. Bei einer kurzatmigen Dame kann eine Rehabilitationszeit notwendig sein, in der sie Gehhilfen zum Laufen benötigt. Ein 30-Jähriger hingegen braucht sie nach einer Plastik nicht. Frage aus dem Publikum Welche Bedeutung hat der Homograft für die LibmanSachs-Endokarditis? John EVANS Wenn man sich die Mortalitätskurven ansieht, scheint ein tödliches Risiko nur im ersten Jahr nach der Implantation zu bestehen. Die Überlebenskurve verläuft praktisch parallel zur Referenzkurve. Christophe ACAR Christophe ACAR Die Libman-Sachs-Endokarditis ist eine Ausnahmeerscheinung, wenn nicht eine absolute Seltenheit. Homograft-Eingriffe wurden hier durchgeführt, es musste jedoch nachoperiert werden. Die beste Methode in diesem Sonderfall ist die Plastik, sofern sie möglich ist. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Der Zeitraum nach der Operation (postoperativer Zeitraum) birgt die meisten Risiken. Keine Operation dieser Art ist völlig risikofrei. Innerhalb der ersten 6 Monate treten häufig Komplikationen auf (Blutgerinnsel, Thrombosen etc.). Langfristig gesehen ist die präoperative Verfassung des Patienten allein ausschlaggebend. Wenn 45 er nicht kurzatmig war und keine fortgeschrittene Herzerkrankung vorlag, wird er eine normale Lebenserwartung zurückerlangen. John EVANS Wie sieht es bei jungen Patienten aus, bei denen ein Klappenersatz ohne Komplikationen durchgeführt wurde? Wie hoch ist der Prozentsatz derjenigen, die wieder in den Beruf einsteigen, und wie hoch ist der Anteil derer, die auf Dauer wegen Invalidität aus dem Berufsleben ausscheiden? Christophe ACAR Die berufliche Tätigkeit ist absolut entscheidend. Wenn der Beruf mit erheblichen körperlichen Anstrengungen verbunden ist, kann es sein, dass der Patient aufgrund seiner Herzkrankheit eine Umschulung machen muss. AORTENKLAPPENCHIRURGIE Klappentyp Mechanisch St Jude Baudet JTCVS 1995 Schweine-Bioprothese Hancock Logeais JHVD 1995 Rinderperikard-Bioprothese Carpentier Edwards Aupart Annais TS 1996 Homograft O'Brien JHVD 2001 Anzahl Alter Überlebensrate Patienten nach 10 Jahren ohne erneute Operation 773 57 74 % > 94 % 1 108 74 46 % 89 % 589 67 71 % 97 % 1 022 49 77 % 85 % Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Focus Risikobewertung bei Herzklappenerkrankungen Dr. med. Dominique LANNES. Gesellschaftsarzt, SCOR Global Life Konsequenzen der jüngsten therapeutischen Ansätze bei der Behandlung von Herzklappenerkrankungen Wir wenden uns nun dem speziellen Bereich der Versicherungsmedizin zu und fassen die überaus nützlichen Informationen zusammen, die wir bei der heutigen Veranstaltung erhalten haben. Ziel ist die Aufstellung von zuverlässigen Regeln für die Tarifierung bei Herzklappenoperationen und Herzklappenerkrankungen. Wir bewegen uns im Bereich der erhöhten Risiken, da es schwerwiegende Erkrankungen sind, die uns zur Prüfung vorliegen. Der medizinische Fortschritt bleibt jedoch nicht stehen und die diagnostischen Möglichkeiten haben sich durch die Echokardiographie bedeutend verfeinert. Diese Technologie ermöglicht heute eine präzisere Nachsorge der Patienten nach der Implantation einer Klappenprothese. Außerdem hat sie den Weg zu einer systematischen Endokarditis-Prophylaxe eröffnet, die ansetzt, sobald ein abnormales Herzgeräusch festgestellt wird. Eine Herzklappenerkrankung darf weder zu früh noch zu spät operiert werden. Die Unterlagen von Antragstellern, deren Herz sich zum Zeitpunkt des Eingriffs in einem besseren Zustand befindet, sind einfacher zu beurteilen. Technisch gesehen haben Doppelflügelprothesen aus Karbon die früheren Modelle ersetzt. Die Plastik stellt einen weiteren erheblichen Fortschritt dar, insbesondere in der Mitralklappenchirurgie. Auch hier wird die Nachbetreuung der Patienten durch die Echokardiographie erleichtert. In versicherungstechnischer Hinsicht muss man der analytischen Leistungsfähigkeit dieser Untersuchungsmethode Rechnung tragen. Die Doppler-Echokardiographie wird sowohl bei der Diagnose als auch bei der im Allgemeinen halbjährlichen Nachsorgeuntersuchung der Herzklappenerkrankungen eingesetzt. Der optimale Zeitpunkt für den chirurgischen Eingriff kann heutzutage immer besser bestimmt werden. Wir als Versicherer und Rückversicherer können heute unsere Risikoeinschätzung in Bezug auf Personen mit Herzklappenerkrankungen, die eines Klappenersatzes bedürfen, überprüfen (welche die Implantation einer Prothese rechtfertigen). Das Risiko für den Versicherer kann reduziert werden, wenn die Einstufung korrekt ist. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Die Analyseraster Die Prüfung der medizinischen Risiken erfolgt auf der Grundlage eines Fragebogens. Ein Herzgeräusch kann ein Anzeichen für eine Herzklappenerkrankung sein. Wenn eine Person unter einer Herzinsuffizienz leidet, die eine umfangreiche Behandlung mit Diuretika und ACEHemmern erforderlich macht, hat man es mit einem Antragsteller mit schwerwiegender Herzklappenerkrankung zu tun, was in der Regel zu einer Ablehnung führt. Der Vermerk einer Dyspnoe (Atemnot) ist ein äußerst wichtiges Alarmsignal, das zumindest eine ergänzende Untersuchung rechtfertigt. In jedem Fall muss bei einer Herzklappenerkrankung der letzte Untersuchungsbericht und die letzte Echographie angefordert werden. Ein spezieller Fragebogen für Herzklappenerkrankungen erlaubt dann eine detailliertere Analyse und Tarifierung. Für die Tarifgestaltung behilft man sich mit den klinischen Befunden und der Echokardiographie. Für die klinische Bewertung ist die Belastungsdyspnoe entscheidend. Die sogenannte NYHA-Klassifikation gibt folgende Definition: Stadium I entspricht einer normalen körperlichen Leistungsfähigkeit. Stadium II entspricht einer Kurzatmigkeit bei stärkerer körperlicher Belastung. Prof. Dr. MICHEL betonte diesbezüglich, dass diese Belastung relativ gesehen werden muss, je nachdem, welche körperliche Betätigung die Person gewohnt ist. Stadium III entspricht einer Kurzatmigkeit bei der geringsten Belastung (beispielsweise beim Treppensteigen). Stadium IV entspricht einem Lungenödem. Die letzten beiden Stadien begründen eine Zurückstellung oder eine Ablehnung. In der Echokardiographie stellen die Kardiologen im Zweijahresrhythmus neue Kriterien auf, um den Schweregrad einer Erkrankung und Herzklappenerkrankungen insgesamt genauer zu bestimmen. Sie haben sich hier noch nicht auf eine einheitliche Klassifizierungsmethode geeinigt. Bislang unterscheidet man entsprechend den dabei festgestellten Auffälligkeiten: Schweregrad I oder minimale Beschwerden Schweregrad II oder mäßige Beschwerden 47 Schweregrad III oder mittelschwere Beschwerden Schweregrad IV oder schwerwiegende Beschwerden Es geht also darum festzustellen, welcher Gruppe der Antragsteller angehört. Die zwei letzten Gruppen müssen in der Regel zurückgestellt oder abgelehnt werden. Besondere Aufmerksamkeit ist auf die Erweiterung der Herzhöhlen, auf Hypertrophien und Störungen der Auswurffunktion zu richten. Hierfür greift man auf die klinischen Daten und den Echokardiographiebefund zurück. Versicherungsfähige Antragsteller müssen asymptomatisch sein, sie dürfen keine Kurzatmigkeit oder Synkopen aufweisen. Eine Operation ist bei dieser Kategorie, die Grad I oder II der echokardiographischen Untersuchung entspricht, nicht geplant. Ablehnungen oder Zurückstellungen können folgende Gründe haben: Zugehörigkeit zur Kategorie der sehr symptomatischen Patienten der Stadien III oder IV nach dem Bewertungsschema für Beschwerden bei körperlicher Belastung Zugehörigkeit zu Grad III oder IV nach dem echokardiographischen Analyseschema Planung einer Herzklappenoperation in naher Zukunft Bei Personen mit Herzklappenerkrankungen unterscheidet man den präoperativen, den perioperativen und schließlich den postoperativen Zeitraum, in dem sich der Klappenzustand wieder stabilisiert hat. Die Schlüsselphase für die Risikobestimmung ist der Zeitpunkt des operativen Eingriffs. Ein schematisches Beispiel: Über mehrere Jahre hinweg zeigt eine Person folgende klinische Symptome: Herzgeräusch, keine Dyspnoe, unauffällige Echokardiographie. Je näher der Zeitpunkt der Operation rückt, umso offensichtlicher ist die Symptomatik und umso signifikanter die Echokardiographie. Nun muss der richtige Zeitpunkt für den Eingriff gefunden werden, die zentrale Phase für die Risikobeurteilung. Auf diese entscheidende Phase folgt ein dritter, der postoperative Zeitraum. Folglich ist die Antiselektion im Zeitraum unmittelbar vor der Operation am höchsten. Wie einem der gesunde Menschenverstand sagt, ist es nicht empfehlenswert, direkt vor einem solchen Ereignis einen Vertrag abzuschließen. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Die wichtigsten erwähnenswerten Risiken vor einer Herzklappenoperation sind: Endokarditis Herzinsuffizienz Herzrhythmusstörungen plötzlicher Herztod Angina pectoris Der letzte Fall erklärt sich dadurch, dass bei den oft älteren Patienten zu ihrer Herzklappenerkrankung eine Koronarerkrankung hinzukommt. Die Mortalität in der Herzklappenchirurgie liegt nach den von Prof. Dr. MICHEL und Prof. Dr. ACAR vorgestellten Daten zwischen 3 und 5 %. Nach dem Eingriff kann man erneut die vorrangigen Risiken berechnen und erfassen: Dehiszenz oder Thrombose der Prothese Komplikationen infolge der Behandlung mit gerinnungshemmenden Medikamenten Während des Zeitraums kurz vor bzw. kurz nach dem chirurgischen Eingriff sind Anträge definitiv zurückzustellen oder abzulehnen. Gleiches gilt, wenn: Symptome der Stadien III oder IV oder Anzeichen einer Herzinsuffizienz vorliegen. die Echokardiographie eine Situation gemäß Grad III oder IV ergibt. Dann muss der Antragsteller dazu aufgefordert werden, nach der Herzklappenoperation wiederzukommen. TARIFIERUNG Zurückstellung oder Ablehnung 6 Monate Übersterblichkeit Übersterblichkeit +50… bis… +250 +50… bis… +250 Nicht versicherbarer Zeitraum Focus Praktische Beispiele für die Tarifgestaltung Kommen wir nun anhand konkreter Fälle zu tarifierungsspezifischen Aspekten. Für eine Tarifierung lange vor einem unumgänglichen chirurgischen Eingriff bei asymptomatischen Antragstellern der Klasse I oder II und mit echokardiographischem Befund entsprechend Grad I oder II setzt man Tarife von 50 bis 250 % Übersterblichkeit an. Nach einer Herzklappenoperation, wenn der Patient asymptomatisch oder sehr gering symptomatisch ist und sein letzter echokardiographischer Befund sowie eine Bewertung der Funktionsfähigkeit der Prothese und der linken Herzkammer vorliegt, bewegt man sich innerhalb einer Spanne von 25 bis 150 % Übersterblichkeit. Dieses Beispiel steht für eine kleine Revolution in den Tarifierungstabellen, womit man dem chirurgischen Fortschritt bei Mitralklappenplastiken Rechnung tragen möchte: Ein alleiniger Mitralklappenprolaps ohne Komplikationen wird als ein normales Risiko angesehen. Bei einem Mitralklappenprolaps mit Herzgeräusch und Insuffizienz setzt man hingegen den Tarif für Mitralklappeninsuffizienz an. Im Falle einer doppelten Herzklappenerkrankung (bspw. Aortenklappenstenose und Mitralklappeninsuffizienz) ist das Risiko fallweise zu prüfen. Eine systematische Ablehnung wird daher nicht von vornherein empfohlen. Betrachten wir nun eine Reihe von klinischen Fällen. Für einen 50-jährigen Mann mit asymptomatischer, laut Doppler-Echokardiographie mäßiger Mitralklappeninsuffi zienz, dessen linke Herzkammer eine normale Größe und Funktion aufweist, sieht die Tarifierung folgendermaßen aus: 75 % für Übersterblichkeit 125 % für Erwerbsminderung/Invalidität 25 % für den Pflegefall (das Risiko ist tatsächlich relativ gering) Der Antrag eines 50-Jährigen, der eine Aortenklappeninsuffizienz hat, beim Treppensteigen nach einem Stockwerk unter Atemnot leidet, mit Diuretika und ACEHemmern behandelt wird und dessen Doppler-Echokardiographie nicht verfügbar ist, wird hingegen abgelehnt Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen werden. Hier ist es auch nicht zweckmäßig, die DopplerEchokardiographie einzuholen, da dieser Patient operiert werden muss. Wenn er Einwände gegen diese Entscheidung erhebt, kann man die letzte Echokardiographie einholen und weitere Befunde anfordern. Für eine 35-jährige Frau mit einer Mitralklappenstenose, die bei signifikanter körperlicher Belastung (Jogging) unter Atemnot leidet und eine Echokardiographie vorlegt, die eine mäßige Mitralklappenstenose zeigt (eine 2 cm2 große Klappenöffnung), gilt folgende Tarifierung: 200 % für Übersterblichkeit (zu berücksichtigen sind die Risiken von Herzrhythmusstörungen, einer Embolie der supraaortalen Gefäße und einer wahrscheinlichen zukünftigen Operation) 250 % für Erwerbsminderung/Invalidität 100 % für den Pflegefall Bei einem 65-jährigen Mann, dessen Aortenklappenstenose durch Einsetzen einer mechanischen Prothese operiert wurde, der asymptomatisch ist und eine normale Doppler-Echokardiographie vorlegt sowie einen Befund über eine normale Prothesenfunktion, wird folgende Tarifierung festgesetzt: 50 % für Übersterblichkeit Ablehnung bezüglich der Erwerbsminderung/Invalidität aufgrund seines Alters (das Patientenprofil ist hier durchaus von Bedeutung und man sollte keine starren Maßstäbe anlegen) 100 % für den Pflegefall Auf eine 50-jährige Frau, deren Mitralklappe drei Jahre zuvor mittels einer Plastik operiert wurde, die asymptomatisch ist und eine unauffällige Doppler-Echokardiographie vorweisen kann, wird ein Tarif Anwendung finden, der Prof. Michels heutigen Ausführungen Rechnung trägt: 25 % für Übersterblichkeit, was praktisch mit der Normalbevölkerung vergleichbar ist 50 % für Erwerbsminderung/Invalidität (da man nicht den Patienten, sondern lediglich dessen Krankenakten zu Gesicht bekommt, ist eine gewisse Vorsicht angeraten) 25 % für den Pflegefall. Eine Narbe auf dem Brustbein infolge einer Plastik, mit der eine Mitralklappeninsuffizienz korrigiert wurde, führt also nicht automatisch zu einer Ablehnung seitens des Versicherers. 49 John EVANS Die Tarifstrukturen der SCOR Global Life folgen dem klinischen Fortschritt und der Entwicklung der Behandlungsmethoden im Krankenhaus. Selbst wenn unsere Entscheidungen manchmal mit Blick darauf, was hier gesagt wurde, ein wenig streng erscheinen: Es wird nicht nur im Ballungsraum Paris operiert und nicht alle Ärzte sind so erfahren und fähig wie unsere Referenten. Außerdem löst die infektiöse Endokarditis immer noch Ängste aus. Wie hoch ist das Risiko einer Erkrankung wirklich? Pierre-Louis MICHEL Das Risiko ist nicht geringer geworden. Die Inzidenz ist zwar in den entwickelten Ländern weiterhin sehr gering, aber stabil (25 Neuerkrankungen pro Million Einwohner und pro Jahr). In Frankreich liegt der Prozentsatz mit Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen jährlich 1 500 Endokarditis-Fällen in etwa genauso hoch. Die Mortalität liegt nach wie vor im Bereich von 15 bis 20 %. Das Risiko einer frühzeitigen Operation beträgt rund 50 %. Diese Erkrankung macht Angst und sie hat nach wie vor schwerwiegende Folgen. In der Epidemiologie ist eine Veränderung festzustellen, da man eine Abnahme der Fälle verzeichnet, die durch Streptokokken im Mund verursacht werden. Die antibiotische Prophylaxe hat sich hier ausgezahlt. Im Gegenzug konnte eine Zunahme der Endokarditis durch Darmstreptokokken festgestellt werden, insbesondere bei älteren Patienten, die unter degenerativen Erkrankungen leiden. Die Risiken sind höher für Personen mit Klappenprothesen und Patienten mit einer Aortenklappeninsuffizienz. Dagegen gibt es theoretisch keinen Grund, einen Prämienzuschlag wegen Endokarditis bei jemandem zu berechnen, der an einer Mitralklappenstenose erkrankt ist. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen 51 Fazit D Die Mortalität bei den Herzklappenerkrankungen nimmt in der sogenannten industrialisierten Welt kontinuierlich ab. Leider ist dies nicht überall der Fall. Insbesondere in den Ländern der Dritten Welt muss für die Behandlung dieser Erkrankungen noch viel getan werden. Die Vorträge unserer Gastreferenten zeigen jedoch, dass neue Erkenntnisse im Bereich von Diagnose, Behandlung und Prävention von Koronar- und Herzklappenerkrankungen dem Personenkreis mit Zugang zu Therapiemöglichkeiten Hoffnung auf eine höhere Lebenserwartung und eine bessere Lebensqualität bieten. Daher sind diese medizinischen Fortschritte für all jene konkret umzusetzen, die von diesen Erkrankungen betroffen sind und sich gegen die Risiken Sterbefall und Erwerbungsunfähigkeit versichern möchten. Wir bei SCOR Global Life glauben, dass es anhand der für eine objektive Risikobewertung notwendigen Informationen möglich ist, vorteilhaftere Versicherungskonditionen anzubieten. Unsere Risikoprüfungs- und Tarifpolitik muss sich parallel zum medizinischen Fortschritt entwickeln, damit die überwiegende Mehrheit der von diesen Erkrankungen betroffenen Personen ihre privaten und beruflichen Projekte verwirklichen können. Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Publikationen SCOR Global Life Newsletters 28 27 26 25 24 23 22 21 20 19 18 17 16 15 14 13 12 11 10 09 08 07 06 Sonderausgabe 05 04 03 02 01 Jahresüberblick Leben: Chronologie der Lebensversicherung im Jahr 2006 Versicherung von Nierentransplantierten Jahresüberblick Leben: Chronologie der Lebensversicherung im Jahr 2005 Morbide Adipositas und Magenband Preferred-Lives-Produkte im Bereich der Lebensversicherung Fibromyalgie Die Rückversicherung im Dienste der Risikoprüfung Jahresüberblick Leben: Chronologie der Lebensversicherung im Jahr 2004 Pensionsfonds im europäischen Vergleich Sterblichkeitsprognosen und Leibrenten Die Invaliditätsabsicherung Geschlechtsspezifische Tarife in der europäischen Diskussion Die private Pflegeversicherung: Pauschal- und Kostenerstattungsprodukte Versicherer und Versicherungsbetrug Die finanzielle Risikoprüfung Versicherungsschutz gegen schwere Krankheiten Fondsgebundene Lebensversicherungen Profi-Sportler Risikoeinschätzung und -deckung Das Allfinanzgeschäft weltweit Private Pflegeversicherung im internationalen Vergleich Der deutsche Pensionsfonds Exposure-Analyse: Ein Grundprinzip guter Betriebsführung Die Auswirkungen der Anschläge vom 11. September 2001 auf die Personenversicherung Reform des deutschen Alterssicherungssystems Raucher / Nichtraucher Getrennte Tarifgestaltung Die Rückversicherung: Als Instrument zur Erhöhung der verfügbaren Solvabilitätsspanne Alkoholismus und Personenversicherungen Die Versicherer und die Bekämpfung der Geldwäsche HIV – Infektion und Versicherungsschutz Focus Versicherbarkeit bei bösartigen Hodentumoren Bancassurance Diabetes and its complications Vital hepatitis B and C: where do we stand ? Konzeption und Umsetzung: Franklin Partners Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen Verfasser Dr. John Evans [email protected] Herausgeber Bérangère Mainguy Tel. + 33(0)1 46 98 84 73 [email protected] 1, avenue du Général de Gaulle 92074 Paris la Défense cedex France www.scor.com N° ISSN: beantragt