Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen

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Forschungs- und Entwicklungseinheit Erhöhte Risiken
Focus
Oktober 2007
Ein neuer Blick auf KHK
und Herzklappenerkrankungen
Focus wird von der SCOR-Gruppe herausgegeben.
Diese Ausgabe wurde von Dr. John Evans, beratender Arzt der Forschungs- und
Entwicklungseinheit Erhöhte Risiken der SCOR Global Life, verfasst.
Diese Broschüre wurde auf Mattpapier aus mindestens 50 % Altpapier, kombiniert mit Frischfasern, gedruckt.
Das Umweltmanagementsystem wurde nach ISO 14001 zertifiziert.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
2
Epidemiologie und pathophysiologische Grundlagen
der Koronaren Herzkrankheit (KHK)
4
Pathophysiologie
Epidemiologie, Nosologie
Behandlung der instabilen Angina pectoris
Behandlung des Myokardinfarktes
Sekundärprophylaxe
Fazit
Auswirkungen der neuen Myokard-Revaskularisierungsverfahren
auf die Prognose bei ischämischen Herzerkrankungen
Grundlagen der Revaskularisierung
Koronare Herzerkrankungen (KHK)
Koronare Herzkrankheit (KHK): ein neuer Blickwinkel
Mortalitätsrückgang bei den koronaren Herzerkrankungen
Tarifgestaltung bei der Koronaren Herzkrankheit (KHK)
Tarifierungsgrundsätze
Tarifgestaltung im Bereich Erwerbsminderung und Erwerbsunfähigkeit
Tarifgestaltung im Bereich Pflegerisiko
Fazit
Herzklappenerkrankungen (Herzklappenvitien)
Bestandsaufnahme: Überblick über bei SCOR Global Life
angenommene Versicherungsanträge und ihre Tarifgestaltung
Angeborene Herzklappenerkrankungen
Patienten mit Herzklappenprothese
Doppler-Echokardiographie: Schlüsseluntersuchung
bei Herzklappenerkrankungen
Die Echokardiographie
Der Doppler-Effekt
Epidemiologie, Pathophysiologie sowie Morbiditätsund Mortalitätsfaktoren von Herzklappenerkrankungen
Epidemiologie von Herzklappenerkrankungen
Die Pathophysiologie von Herzklappenerkrankungen
Der Einfluss der neuen Operationstechniken auf die akute
und die Langzeitmorbidität und –mortalität
4
8
9
11
12
13
14
14
16
22
22
22
23
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25
25
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26
27
28
28
29
31
31
32
38
Die mechanischen Klappen
Die biologischen Klappen
Die Nachteile der zwei Prothesentypen im Vergleich
Der Homograft
Der Autograft
Die Therapiewahl
Die Mitralklappenplastik
38
39
39
40
40
41
42
Risikobewertung bei Herzklappenerkrankungen
46
Konsequenzen der jüngsten therapeutischen Ansätze bei
der Behandlung von Herzklappenerkrankungen
Die Analyseraster
Praktische Beispiele für die Tarifgestaltung
Fazit
46
46
48
51
Focus
Einleitung
Die moderne Kardiologie hat in den letzten Jahrzehnten
des 20. Jahrhunderts einen einzigartigen Aufschwung
erfahren, der das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit
von Medizinern und Ingenieuren bei der Konzeption, der
Umsetzung und dem Einsatz neuer Diagnoseverfahren und
der Behandlung von Herzkreislauferkrankungen ist. Die
heutigen technologischen Spitzenleistungen gehen auf
historische Versuchs- und Beobachtungsverfahren und eine
jahrhundertlange Herz- und Kreislaufforschung zurück.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwendeten Kardiologen
zum ersten Mal invasive Diagnosemethoden mittels
Herzkatheter, deren Pionier 1929 Werner Forßmann war.
André Cournand und Dickinson Richards trugen in den
fünfziger Jahren erheblich zur Verbreitung dieses Verfahrens bei. Dieses Verfahren besteht daraus, einen dünnen
biegsamen Schlauch (den Katheter) ins Herz einzuführen,
um den Druck in den Herzkammern und herznahen
Gefäßabschnitten sowie das Herzminutenvolumen zu
messen. Durch Injektion eines Röntgenkontrastmittels
können Herz und Gefäße sichtbar gemacht werden.
Anhand dieser genaueren Informationen konnten die
Herzerkrankungen wesentlich besser beurteilt werden.
Kurze Zeit später entstand die von Mason Sones zum
ersten Mal 1958 eingesetzte Koronarangiographie (auch
Koronarographie), die die Untersuchung kranker
Herzkranzarterien ermöglicht und den Weg für die
Revaskularisierung des Herzens bei Angina pectoris durch
Legung eines Bypasses bereitete. Die Bypass-Operation
wurde von Michael DeBakey entwickelt und erstmals 1964
angewandt.
Doch erst 1977 wurde es durch die Arbeiten von
Andreas Grüntzig möglich, diese an der Herzoberfläche
liegenden Arterien perkutan zu erreichen, was zur
Entstehung eines neuen Fachbereichs innerhalb der
Kardiologie, der Koronarangioplastie, führte. Die
Angioplastie wiederum, deren Hauptproblem die
Restenose an der Behandlungsstelle ist, machte in
den neunziger Jahren mit der Implantation von
Endoprothesen, so genannter Stents, einen weiteren
wichtigen Fortschritt. Die Ergebnisse der AngioplastieChirurgen dürften sich dadurch weiter verbessern und
zu einer Zunahme der vorgenommenen Eingriffe
führen.
In den Fünfziger Jahren wurde zudem die erste HerzLungen-Maschine entwickelt, was Operationen am
offenen Herzen ermöglichte. Die erste mechanische
Herzklappenprothese wurde 1960 von Albert Starr
eingesetzt und sollte das Leben Tausender Patienten
mit vormals unbehandelbaren Klappenerkrankungen
verändern.
1954 wurde mit dem Einsatz von Ultraschall ein
wichtiger Fortschritt im Bereich der nicht-invasiven
kardiologischen Diagnostik erzielt. Auch hierbei handelt
es sich um das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit
zwischen einem Physiker, Hertz, und einem Arzt, Edler.
Die Echokardiographie ist eine verlässliche, nicht-invasive
Methode, die dem Kardiologen Informationen über
Anatomie und Funktion des Herzens liefert und ihm
daher hilft, seine Patienten besser zu behandeln und
gezielter zu operieren.
Koronarographie:
Rechte Koronararterie
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Aortokoronarer Bypass
(zur linken Herzkranzarterie)
3
ECHOKARDIOGRAPHIE
RD
LV
AO
LA
Linksparasternaler Längsschnitt: Systole
LV = linker Ventrikel
AO = Aorta
RV = rechter Ventrikel
LA = linkes Atrium
Es gehört zur täglichen Arbeit eines Arztes, kardiovaskuläre Risikofaktoren zu identifizieren und zu beeinflussen, sowohl vor dem Eintreten einer Herz- oder
Gefäßkomplikation (Primärprophylaxe), als auch nach
deren Auftreten (Sekundärprophylaxe).
Diagnostik
und
Behandlungsmöglichkeiten
von
Koronar- und Klappenerkrankungen sind heutzutage
sehr weit verbreitet. Die durch den Beitrag der
Industrie erreichten technischen Verbesserungen und
die Erfahrung der Operateure ermöglichen bessere
klinische Ergebnisse, was letztendlich mit der Hoffnung
auf eine normale Lebensdauer und eine höhere
Lebensqualität der Betroffenen verbunden ist.
Diese Veröffentlichung gibt uns die Gelegenheit,
unsere langjährigen Partner am Ergebnis unserer Arbeit
in diesem wichtigen medizinischen Themengebiet
teilhaben zu lassen. Gleichzeitig ist es uns gelungen,
zahlreiche Spezialisten aus dem Bereich Risikoprüfung
in die Vorträge und Diskussionen, die im Rahmen der
Medizinertreffen von SCOR Global Life stattfinden,
einzubeziehen.
Ziel dieser Veranstaltungen ist, unsere Kunden über die
medizinischen Fortschritte und deren Auswirkungen
auf unsere tägliche Arbeit als Lebensversicherer zu
informieren. Die jüngsten, von den eingeladenen
Experten vorgetragenen Daten belegen Fortschritte
in der Behandlung von Herzerkrankungen und
sollten eine optimalere Risikoprüfung und folglich
eine angemessene Tarifgestaltung ermöglichen. Wir
wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden
aber auch neue Medikamentenfamilien, die zur
Behandlung und Vermeidung von kardiovaskulären
Erkrankungen eingesetzt wurden. Betablocker und
Kalziumantagonisten beugen der Angina pectoris vor,
Fibrinolytika (zur Auflösung von Gerinnseln), Thrombozytenaggregationshemmer und orale Antikoagulantien leisten wertvolle Hilfe bei der Behandlung von
thrombotischen Erkrankungen. Mit Statinen und
ACE-Hemmern (Angiotensin-Konversions-Enzym-Hemmern)
verfügen wir auch über Therapien zur Stabilisierung
bzw. sogar zum Abbau atheromatöser Plaques.
Außerdem
war
der
Beitrag
epidemiologischer
Studien grundlegend für die effizientere medizinische
Betreuung der Patienten. Damit beginnt die Ära einer
„evidenzbasierten Medizin“.
Kugelprothese nach Starr-Edwards
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Focus
Epidemiologie und pathophysiologische
Grundlagen der Koronaren Herzkrankheit (KHK)
Dr. med. Jean-Philippe COLLET. Institut für Kardiologie – Krankenhaus Pitié-Salpêtrière (Paris)
Nachfolgend möchte ich Ihnen einen allgemeinen
Überblick über die akuten Koronarsyndrome geben.
Zunächst möchte ich nochmals den pathophysiologischen Hintergrund in Erinnerung rufen, dann möchte
ich den nosologischen Rahmen und die modernen
Therapiemöglichkeiten betrachten, welche Emile Ferrari
später im Einzelnen vorstellen wird.
Pathophysiologie
Akute Koronarsyndrome sind das Ergebnis eines
Prozesses, den man als Atherogenese bezeichnet, nämlich
die schrittweise Umwandlung der Fettstreifen in
Plaques, die bei jedem Menschen vorkommen, wie eine
anatomisch-pathologische Studie bei im Vietnamkrieg
umgekommenen jungen US-Soldaten gezeigt hat. Diese
Plaques sind Wucherungen, die unabhängig von der
anatomischen Lage (Halsschlagadern, Herzkranzarterien,
untere Gliedmaßen) schrittweise das Gefäßlumen
einengen. Beschleunigt wird diese Entwicklung durch
zwei wesentliche Faktoren: Der erste Faktor hat mit den
Erbanlagen zu tun, die derzeit noch entschlüsselt
werden. Er äußert sich klinisch durch das Auftreten einer
Koronarerkrankung vor dem 60. Lebensjahr.
In manchen Familien kommt es zu sehr frühen
Todesfällen ab dem 30. Lebensjahr. Heute sind wir in der
Lage, die dafür verantwortlichen Gene zu identifizieren,
aber es ist sehr langwierig und schwierig, einen
kausalen Zusammenhang zwischen der Existenz eines
bestimmten Polymorphismus und der klinischen Expression
der atherothrombotischen Erkrankung (Myokardinfarkt,
Schlaganfall) herzustellen.
Es besteht eine Wechselwirkung zwischen den erblich
bedingten Faktoren und der zweiten Gruppe von kardiovaskulären Risikofaktoren, den äußeren Risikofaktoren.
Diese sind bekannt: Einige sind erworben wie z.B. Rauchen,
andere sind so genannte gemischte Faktoren wie
Bluthochdruck, Dyslipoproteinämien (Lipidstörungen),
Diabetes, Gerinnungsanomalien oder Hyperhomozysteinämie.
Die Wechselwirkung zwischen diesen Faktoren begünstigt
zunächst die Umwandlung von Fettstreifen in atherosklerotische Plaque und dann eine Plaqueruptur, die zu einem
akuten Koronarsyndrom führt.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Progressiver Verlauf
Die Ablagerungen nehmen allmählich zu und schränken so
den Blutfluss im Gefäß ein. Hierdurch erhält das von diesem
Gefäß versorgte Organ weniger Sauerstoff. Bei körperlicher Anstrengung wird mehr Blut in die Herzkranzarterien
gepumpt. Ist der Arteriendurchmesser verengt, kommt es
zu einer Sauerstoffunterversorgung, weil der Blutfluss
nicht ausreichend erhöht werden kann.
Heute ist bekannt, dass bei einer durch Plaque bedingten
Verengung des Arteriendurchmessers um mehr als 60 %
Angina pectoris-Beschwerden auftreten. Es handelt sich
um chronische Beschwerden wie beispielsweise Claudicatio
intermittens (auch Schaufensterkrankheit genannt), die
sich durch Auftreten von Krämpfen in den unteren
Gliedmaßen nach einer bestimmten Wegstrecke äußert.
Die Ablagerungen wachsen zyklisch, wobei es immer wieder
zum Aufplatzen der Plaques kommt (Abbildung 1). Diese
Plaquerupturen geschehen zufällig. Der Inhalt der Plaque,
der Lipidkern, kommt in Kontakt mit dem Blutkreislauf. Der
Kontakt zwischen Lipidkern und Blut führt zu Gerinnungsreaktionen, in deren Folge sich ein Blutgerinnsel
bildet. Dieses Gerinnsel kann die Arterie teilweise oder
komplett verschließen. Ist der Gefäßverschluss vollständig,
kann das Blut nicht mehr fließen. Das Aufplatzen der
Plaque wird klinisch spürbar und äußert sich durch einen
Myokardinfarkt, wenn die Herzkranzarterie verschlossen ist,
oder durch einen Schlaganfall, wenn eine hirnversorgende
Arterie betroffen ist, oder durch eine kritische Ischämie der
Extremitäten, wenn das Bein nicht mehr mit Blut versorgt
wird. Im letzteren Fall besteht das Risiko, dass sich eine
Nekrose entwickelt. Ist der Insult schwerwiegend, kann dies
für den Patienten lebensbedrohlich sein.
Die Plaqueruptur
Die drei Schichten einer Arterie sind die Adventitia, die
Außenwand des Blutgefäßes, die Media und daran
anschließend die Intima mit dem Endothel, einer Zellschicht,
die das Blut von der eigentlichen Arterienwand trennt. Das
Endothel verhindert beim gesunden Menschen, dass sich
Blutgerinnsel bilden. Bricht die Plaquekappe allerdings
auf, kommt der Lipidkern in Kontakt mit dem Blut und es
bildet sich ein Blutgerinnsel.
5
Mehrere Faktoren können eine Plaqueruptur begünstigen:
Mechanische Faktoren
Betrachtet man die Herzkranzarterien, stellt man fest,
dass sie ständig in Bewegung sind, da sich auch das Herz
ständig bewegt bzw. schlägt. Bei Stress erhöht sich der
arterielle Druck, was die Ruptur der Plaques begünstigen
kann. Das nennt man Stress-Infarkt.
Entzündliche Vorgänge
Hierbei handelt es sich um eine Abfolge biologischer
Ereignisse, die zur Andauung der fibrösen Kappe führt,
die das Blut vom Lipidkern trennt. Ist die Kappe aufgelöst,
kommt das Blut aus dem Blutkreislauf in Kontakt mit dem
Lipidkern, was zum Thrombus führt (Bildung eines
Blutgerinnsels).
Gefäßbedingte Faktoren
Die Arterie besteht aus lebendem Gewebe. Sie wird von
kleinen Gefäßen versorgt, den Vasa vasorum, die sich in
der Adventitia befinden. Wenn diese Kapillargefäße
verstopfen, bildet sich ein Hämatom im Bereich der
Plaque, was zu einem Plaqueriss führen kann.
Vulnerable Plaque
Lumen
Fibröse Kappe
Lipidkern
Entzündung / Vernarbung
Schematisch kann man die Plaque als Vulkan darstellen.
Der Lipidkern ist die Lava. Darüber befindet sich ein See,
der durch die fibröse Kappe von der Lava getrennt ist.
Wenn die Kappe aufreißt, spuckt der Vulkan Lava, was zu
Komplikationen führen kann. Die „Lava“ enthält so
genannte Monozyten-Makrophagen und Material, das
reich an veresterten Fetten ist und insbesondere den
Gewebefaktor trägt, den Hauptauslöser der Blutgerinnung. Kommt der Lipidkern mit Blut in Kontakt,
verklumpt das Blut sofort und bildet ein Gerinnsel. Die
Natur hat das gut eingerichtet: Physiologisch gesehen
dient die Gerinnung dazu, mögliche Gefäßverletzungen
zu heilen. Es kann in der Tat vorkommen, dass das Endothel
reißt. Dann gerinnt das Blut im Kontakt mit dem gerissenen Endothel und stopft hierdurch das Loch im Gefäß.
Einige Ablagerungen sind anfällig (so genannte vulnerable Plaques), weil sie Entzündungszellen enthalten, die
irgendwann einmal aktiv werden und die Matrix, die das
gesamte System stabilisiert, auflösen. Die Auflösung der
Matrix führt dazu, dass der Lipidkern ins Gefäßlumen
quillt und so die Blutgerinnung initiiert. Ein Thrombus
entsteht, um die Lücke zu füllen, die sich nach dem Riss
der fibrösen Kappe gebildet hat. Über 99 % der Rupturen
sind wegen der problemlosen Vernarbungsprozesse
klinisch unauffällig.
In einigen Fällen schießt der Vernarbungsprozess über
das Ziel hinaus und führt zum vollständigen oder
teilweisen Verschluss des Gefäßes. Dabei handelt es sich
um ein akutes koronares Ereignis auf Gefäßebene.
Manchmal allerdings löst sich das Blutgerinnsel von der
Gefäßwand ab, was zu einer Embolisierung führt. Es
handelt sich um kleine Gerinnsel- und Plaqueteilchen,
die in den Blutkreislauf gelangen und die kleinen
peripheren, vom großen Gefäß weiter entfernten
Kapillargefäße verstopfen.
Der Gefäßverschluss führt zum schrittweisen Erstickungstod der vom verschlossenen Gefäß abhängigen
Gewebeteile. Wird das Gefäß nicht eröffnet und auf
Stärke d. Kappe
Größe d. Kerns
e
Lys
Rup
tur d
/ Re
atur
par
Akutes Koronarsyndrom
Glatte Muskelzellen
Abbildung 1: Pathophysiologie der akuten Koronarsyndrome
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
r
Blutung unter der Plaque
Makrophage
om
bo
se
bo
lys
e
Ly
se
ro
Th
Thrombus
Th
Atherom (Lipidkern)
Thrombosefaktoren
- lokale Faktoren
- systemische Faktoren
/W
Distale
Embolisierung
m
Fibröses Gewebe
ied
erh
ers
tel
lung
er Ka
ppe
(Vu
lnera
bilität
, Stimul
i)
ng
ru
si e
ali
n
a
Rek
Focus
diese Weise wieder Sauerstoff zugeführt, kommt es zum
Infarkt. Findet keine Intervention statt, erfolgt die
Rekanalisierung der Gefäße spontan zu einem späteren
Zeitpunkt, wenn die verursachten Schäden bereits
irreversibel sind.
In manchen Fällen stellt sich ein physiologisches
Gleichgewicht zwischen Öffnung und Verschluss des
Gefäßes ein. Jeder von uns besitzt ein Fibrinolysesystem,
einen Mechanismus, der den Thrombus daran hindert, zu
stark zu wachsen. Wenn die physiologische Fibrinolyse
nicht ausreicht, entwickelt sich das Gerinnsel vollständig
und verstopft das Gefäßlumen. Manchmal kann es zu
einem instabilen Gleichgewicht zwischen vollständigem
Verschluss und teilweiser Öffnung eines Gefäßes
kommen. Das nennt man instabile Angina pectoris: Die
Schäden sind noch nicht endgültig entstanden, aber es
droht ein vollständiger Verschluss des Gefäßes.
Biomarker
Bestimmte biologische Substanzen ermöglichen heutzutage eine bessere Beurteilung akuter koronarer Ereignisse.
Insbesondere verfügen wir über den Biomarker Troponin,
ein intrazelluläres Protein, das die Kontraktion des
Herzmuskels steuert. Stirbt eine Muskelzelle infolge eines
Gefäßverschlusses ab, wird Troponin ins Blut freigesetzt
(Abbildung 3). Seit fünf Jahren ist man in der Lage, dieses
Enzym im Blut zu bestimmen. Der Nachweis von Troponin
im Blut deutet auf eine Myokardverletzung hin.
AUFTRETENDE GEWEBEVERLETZUNG
Ruptur
Thrombose
Myokardläsion
Verschluss
Embolisierung
(+) Troponin
Reperfusion
Instabilität
Infarkt
Erkrankung mit Mehrfachschädigung (Abbildung 2)
Atherosklerose
Ruptur
Distale Effekte
Lokale Effekte
Thrombose
Embolie
Thrombose
Z
Vasospasmus
I
T
Dieses Protein ist heute das Mittel der Wahl zur Risikostratifizierung. Es gibt einen direkten Zusammenhang
zwischen der Prognose und dem im Blut gemessenen
Proteinspiegel (Abbildung 3b).
Es ist möglich, Troponin in äußerst geringen Konzentrationen zu bestimmen, die wenigen Mikrogramm eines
betroffenen Herzmuskels entsprechen. Der Einsatz der
Biomarker ermöglicht es, heute eine wesentlich höhere
Zahl von akuten koronaren Ereignissen nachzuweisen, die
früher unentdeckt geblieben sind.
8
Prognostischer Wert TNI = Prognostischer Wert Alter und
< Prognostischer Wert ST
6,0
6
5
4
3,7
3,4
3
1,7
2
1
0
1,0
831
174
148
134
50
67
0 à < 0,4
0,4 à < 1,0
1,0 à < 2,0
2,0 à < 5,0
5,0 à < 9,0
> 9,0
Kardiales Troponin (ng/ml)
Mikrovaskuläre Folgen
Abbildung 2
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
7,5
7
Verschluss
Makrovaskuläre Folgen
E
Abbildung 3a: Troponin weist auf eine Schädigung des
Myokardgewebes hin, deren Ursache eine Plaqueruptur mit
Thrombus in den Herzkranzgefäßen, aber auch eine periphere
Mikroembolisierung sein kann.
42- Tage – Mortalität (%)
Die atherothrombotische Erkrankung ist eine Krankheit
mit Mehrfachschädigung, da lokale Ereignisse im Bereich
des großen Gefäßes, wo der thrombotische Verschluss
stattfindet, aber auch distale Ereignisse im Zusammenhang mit der Embolisierung des atherothrombotischen
Materials im Kapillarkreislauf eine Rolle spielen. Bei
einigen Myokardinfarktpatienten, die frühzeitig durch
vollständige Eröffnung der verschlossenen Koronararterie
behandelt wurden, bleibt die Wiederherstellung der
Durchblutung des Myokardgewebes trotzdem unzureichend. Denn diese Patienten leiden an einer
Schädigung der Kapillargefäße, die mit der Erkrankung
der großen Arterie einhergeht. Man kann die Erkrankung
nachweisen und kennt zum Teil ihre Ursachen, jedoch
gibt es keine therapeutischen Mittel, um sie zu behandeln. Dies ist eine der wichtigsten Einschränkungen, die
derzeit in Bezug auf die verfügbaren Therapien bestehen.
Bei ungefähr 3 von 10 Patienten ist die Wiederherstellung der Gewebedurchblutung trotz der
Eröffnung der Koronararterie unzureichend.
Relatives Risiko 1,0
95%
Konfidenzintervall
1,8
0,5 - 5,7
3,5
1,2 - 10,6
3,9
1,3 - 11,7
6,2
1,7 - 22,3
7,8
2,6 - 23,0
Abbildung 3b: Prognostische Bedeutung von Troponin
7
THROMBOZYTENADHÄSION UND -AKTIVIERUNG
Aktivierte Thrombozyten lagern
sich an das verletzte Subendothelium
Thrombozyten im Blut
Thrombozytenaggregation
und Thrombusbildung
Thrombus aus
Thrombozyten
Thrombozyten
lagern sich am
Subendothelium an
Thrombozyten
Endothelzelle
Subendothelium
Abbildung 4a
Mechanismen des Gefäßverschlusses
Sobald die Thrombozyten in Kontakt mit dem aufgerissenen Endothel kommen, werden sie aktiviert und lagern
sich am Subendothelium an, um das Loch im Gefäß
zu verschließen, indem sie im Bereich der Rissstelle des
Endothels ein Thrombozytenaggregat bilden.
Sie häufen sich übereinander und bilden einen Teppich,
auf dem die Blutgerinnung aktiviert wird (Abbildung 4a).
en
Kollag
Osteopont
in
Die Gerinnung ist ein Prozess, bei dem im Blut lösliches
Fibrinogen in unlösliches Fibrin umgewandelt wird. Fibrin
entsteht durch Polymerisation von aktivierten Fibrinogenmolekülen. Das Fibrin bildet ein Netz aus Fasern, die die
Thrombozyten umgeben und die Struktur des Thrombus
verstärken (Abbildung 4b) und ermöglicht dadurch das
Wachstum des Thrombus und die progressive Entwicklung
eines Verschlusses.
TxA2 S
eroton
in
FT
Adhäsion
Aggregation
(aktivierte
Thrombozyten)
TxA2
Serotonin ADP
vWF (aufgefaltete
Struktur)
GPla
ανβ3
Fibrinogen
GPllb/llla
Abbildung 4b: Koronarthrombose
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Va
ll
Ca++
Vllla
lla
Focus
Biologisch gesehen ist der Zweck der Fibrinolyse, die
Auflösung des vom Fibrin gebildeten Gerüsts. Bei einem
Ungleichgewicht zwischen Fibrinolyse und Thrombusbildung kommt es zu einer Entwicklung in Richtung
Gefäßverschluss.
Alles beginnt also mit der Verletzung eines Gefäßes und
der Bildung eines Gerinnsels. Es ist bekannt, dass sich
daraus eine wahre biologische Kaskade ergibt:
Plättchenaktivierung
Thrombozythenaggregation
Fibrinbildung infolge der Aktivierung der durch
Thrombin geförderten Gerinnung.
Jede dieser Etappen ist wesentlich und interagiert mit
den anderen, wobei es ebenfalls zu einer rückwirkenden
Stimulierung kommt. Für eine wirkungsvolle Therapie
müssen Medikamente eingesetzt werden, die jede
einzelne dieser Schlüsseletappen der Gerinnselbildung
blockieren (Abbildung 4c).
Abbildung 4c: Die Kombination verschiedener Antithrombotika
ist von Vorteil, um sämtliche Etappen der Thrombogenese zu
blockieren
All diese Medikamente sind auf dem Markt erhältlich:
Aspirin (ASS), das eine führende Rolle spielt, Clopidrogrel
(Plavix), bei dem es sich um einen neuen Wirkstoff handelt,
sowie Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten und
Heparin. Das Ziel der Behandlung von akuten koronaren
Syndromen ist vor allem die Vermeidung von Gerinnseln.
Man hat festgestellt, dass bei einer Kombination all dieser
Medikamente ein vollständiger Verschluss des Gefäßes
wirksamer verhindert werden kann, selbst wenn man den
Patienten dem Risiko einer Blutung aussetzt. Denn
dadurch, dass sie die Gerinnselbildung blockieren, begünstigen all diese Medikamente eine Blutung.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Aktivierungsmechanismen der Thrombozyten
Die Thrombozyten können auf verschiedene Arten
aktiviert werden: über den ADP-Rezeptor, den
Thrombinrezeptor und den Thromboxanrezeptor. Alle
diese Rezeptoren führen zur Plättchenaktivierung, die
grundlegend für die Gerinnselbildung ist. Ziel der uns zur
Verfügung stehenden Behandlungsmethoden ist, diese
drei Aktivierungswege – Thrombin, ADP und Thromboxan
– zu blockieren. Wenn einer dieser Wege aktiviert wird,
führt das zur Plättchenaktivierung und zur Exposition von
Rezeptoren in der Thrombozytenmembran, an die sich
Moleküle aus dem Blut binden, was zur endgültigen
Thrombozytenaggregation führt.
Derzeit verfügen wir über spezifische Medikamente für
jeden dieser drei Wege. Zyklooxygenasehemmer hemmen
die Thrombozytenaggregation zu 30 %. Clopidogrel
(Plavix®), ein ADP-Rezeptor-Antagonist, ermöglicht eine
höhere Wirksamkeit. Durch die Kombination beider
Behandlungen können 60 % der Thrombozytenaggregation blockiert werden. Diese Wege haben jeweils
unterschiedliche Spezifizitäten (Abbildung 4c). Seit einigen
Jahren verfügen wir über noch wirksamere Substanzen,
die Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten. Sie hemmen
das, was man die gemeinsame Endstrecke der Thrombozytenaggregation nennt. Ohne diese Fibrinogen-Moleküle
findet keine Thrombozytenaggregation statt. Man setzt
diese Antagonisten in einem sehr kurzen Zeitfenster,
nämlich wie einen Airbag, im kritischen Augenblick beim
Auftreten eines akuten koronaren Ereignisses ein. Mit
ihrer Hilfe kann man Komplikationen bei solchen
Ereignissen im Allgemeinen um 50 % senken. Es sind
teure, aber höchst wirksame Substanzen (Abbildung 4c).
Ein Thrombus besteht aus einem Fibrinnetz mit darin
eingelagerten Thrombozytenaggregaten. Der Abbau
dieses fibrillären Gerüsts ist auf der Ebene der
Thrombozytenaggregate gestört. Durch den Einsatz von
IIb/IIIa-Antagonisten kann man die Thrombozytenaggregate beseitigen und die Gerinnsel leichter auflösen.
Epidemiologie, Nosologie
Klinisch manifestiert sich ein akutes Koronarsyndrom
meist durch Schmerzen in der Brust. Beim akuten
Koronarsyndrom unterscheidet man zwischen zwei
Haupttypen: dem Myokardinfarkt mit Hebung der STStrecke (MI) und der instabilen Angina pectoris (IAP). Zur
Untersuchung setzt man das Elektrokardiogramm (EKG)
ein, das die elektrische Aktivität des Herzens mittels
9
Elektroden auf der Haut aufzeichnet. Obwohl sie eine
ähnliche Pathogenese haben, werden diese zwei klinischen Bilder unterschiedlich behandelt.
- Der MI ist das Ergebnis eines vollständigen koronaren
Verschlusses, der so schnell wie möglich mittels
Thrombolyse oder transluminaler Koronarangioplastie
(PTCA) behandelt werden muss, um die Durchblutung
wiederherzustellen.
- Bei der wesentlich häufiger auftretenden instabilen
Angina pectoris (IAP) handelt es sich um ein heterogenes
Krankheitsbild, dessen Diagnose eine Schlüsselstellung
zukommt, damit Hochrisikopatienten und insbesondere
diejenigen, die einen Infarkt ohne Q-Welle haben (nichttransmurale oder non-Q-wave-Infarkte) individuell
behandelt werden können. Die IAP unterscheidet sich
von
einem
MI
zudem
durch
ein
höheres
Wiederholungsrisiko und durch die lebensgefährliche
Wirkung von Thrombolytika.
Für Frankreich liegen uns keine genauen Daten über die
jährliche Anzahl von Infarkten und instabiler Angina
pectoris vor, aber es wurden 150 000 Krankenhausaufnahmen aufgrund von Infarkt mit Hebung der
ST-Strecke erfasst. Das sind die Patienten, die noch rechtzeitig eingeliefert werden können, aber genauso viele
sterben vorher. Bei der instabilen Angina pectoris sind
ungefähr 300 000 Fälle pro Jahr bekannt. Instabile Angina
pectoris ist eine häufigere Erkrankung, weil Risikofaktoren
wie Diabetes und Bevölkerungsalterung (90 % der
Achtzigjährigen haben koronare Läsionen) zunehmen
und die Diagnose, vor allem dank Troponin, einfacher
geworden ist.
Behandlung der instabilen Angina pectoris
Das vorrangige Ziel umfasst drei Aspekte: Sichere
Diagnosestellung,
Einschätzung
des
Risikoprofils,
Erkennen von Problemfällen.
Diagnostische Wahrscheinlichkeit und Risikoprofil
- Die klinische Untersuchung kann für sich genommen
schon eine diagnostische Wahrscheinlichkeit durch
Auflistung der klassischen Risikofaktoren ermitteln: Ein
Patient unter 40 Jahren, der mit Schmerzen im Brustkorb
ins Krankenhaus eingeliefert wird, der nicht raucht und
erblich nicht vorbelastet ist, hat mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 2 % eine koronare Erkrankung. Hier ist
abzuklären, ob der Patient bereits einen Infarkt hatte
(Befragung, EKG), ob ein weiteres Gefäßbett betroffen
ist und ob Herzmedikamente eingenommen werden
(Aspirin und Betablocker).
- Biomarker sind heute ein unverzichtbares Hilfsmittel
zur Diagnosestellung. Troponin kann zum Beispiel in
weniger als 10 Minuten am Bett des Patienten bestimmt
werden. Es handelt sich dabei um eine fast untrügliche
Klassifizierungshilfe, mit der die ischämische Ursache von
Schmerzen im Brustkorb mit 97 %iger Sicherheit ausgeschlossen werden kann, sowie um einen unabhängigen
prognoserelevanten Faktor für die Morbidität und
Mortalität bei Koronarerkrankungen.
- Diese zwei Untersuchungen werden in einer Risikobewertungsskala (TIMI-Score) (Abbildung 5) zusammengefasst,
mit der die Diagnosewahrscheinlichkeit sowie die 30Tage-Morbidität und -Mortalität bewertet werden können.
TIMI-RISIKO-SCORE FÜR INSTABILE ANGINA PECTORIS
EREIGNISRISIKO (%)
ZWISCHEN TAG 1 UND TAG 15
ANAMNESE
RISIKO-SCORE
1
1
1
1
0/1
3
2
3
4
5
PRÄSENTATION
Angina pectoris
Kürzlich aufgetretene
und schwere A.p.
Kardiale Enzyme
ST
TOD ODER MI
3
3
5
7
12
19
1
1
1
1
Risiko-Score: Gesamtpunktzahl (0-7)
Abbildung 5
- Die linksventrikuläre Funktion und die Nierenfunktion
beeinflussen das Risiko eines schweren ischämischen
Ereignisses (Tod oder Infarkt) und müssen folglich
unbedingt durch die Bestimmung der Killip-Klasse und
des Kreatininwertes (Kreatinin-Clearance) beurteilt
werden (Abbildung 6). Eine Herzinsuffizienz (Killip ≥2)
und eine Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance <30 ml/
min) vervierfachen die koronare 30-Tage-Morbidität und
-Mortalität.
DIE KILLIP-KLASSEN
I: keine pulmonale Stauung
II: basale feuchte Rasselgeräusche oder S3-Galopp
III: Rasselgeräusche in unterer und oberer Hälfte der Lunge
IV: kardiogener Schock
Abbildung 6
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
PUNKTE
Alter ≥ 65
≥ 3 KHK Risikofaktoren
bekannte KHK
Einnahme von Aspirin
Focus
- Schließlich muss das Blutungsrisiko (Abbildung 7) abgeschätzt werden, denn die Behandlung einer instabilen
Angina pectoris steht und fällt mit Antithrombotika. So
haben Patienten mit dem höchsten Risiko eines
schweren ischämischen Ereignisses (ca. 15-20 % nach
einem Monat) auch das höchste Blutungsrisiko.
Diese Personen werden aufgrund der ständigen oder
vorübergehenden Beeinträchtigungen der Vitalfunktionen (Leber, Niere, Gehirn) zu Hochrisikopatienten, bei
denen gleichzeitig ein ischämisches und ein Blutungsrisiko
besteht.
Odds Ratio
p
Vermeidung eines vollständigen Koronarverschlusses
Alter >80
2,08
< 0,0001
Niereninsuffizienz
1,85
0,03
Weibliches Geschlecht
1,51
0,018
Ziel ist es, die Entwicklung einer vollständigen koronaren
Thrombose und somit die Entwicklung eines Myokardinfarktes mit Hebung der ST-Strecke zu verhindern.
2,4
< 0,0001
1,81
0,0096
Gabe von GP IIb/IIIa-Antag
Gabe von UFH
Gabe von Diuretika
2,20
0,0003
Herzkatheterisierung
2,86
< 0,0001
Der klassische Ansatz
Dieser gründet sich auf randomisierte klinische Studien,
die Ende der neunziger Jahre durchgeführt wurden und
die Notwendigkeit einer medikamentösen Stabilisierungsphase basierend auf einer Kombination von Aspirin (ASS)/
Heparin/Betablockern (Abbildung 8) nachgewiesen haben.
Abbildung 7
Erkennen von Problemfällen
Bei den Problemfällen handelt es sich um Hochrisikopatienten mit atypischen Symptomen: Ältere Patienten,
Patienten mit Diabetes, perioperativer Hintergrund.
Bei älteren Menschen ist die Angina pectoris selten
typisch und kann deshalb zu Diagnosefehlern führen. Sie
äußert sich häufig durch Atemnot oder eine geringe
Hirndurchblutung, die Stürze mit Verletzungsgefahr zur
Folge haben kann. Die Angina pectoris tritt oft im
Zusammenhang mit einer interkurrenten Erkrankung auf,
z.B. Fieberzustände oder Anämie, die man unter allen
Umständen identifizieren muss.
- Nicht fraktioniertes Heparin senkt das Risiko, dass sich
aus einer Angina pectoris ein Myokardinfarkt
entwickelt, um mehr als 80 % und verringert die
Inzidenz von refraktärer instabiler Angina pectoris um
ein Drittel. Interessanterweise haben die MI-Rezidive
und das Wiederauftreten von Angina pectoris nach dem
Absetzen dieser Therapie beweisen können, dass in der
akuten Phase einer Angina pectoris eine Kombination
von Heparin und Aspirin angezeigt ist, wobei das unfraktionierte Heparin (UFH oder HMH) nach 4-6 Behandlungstagen abgesetzt werden kann, während Aspirin im
Rahmen der Sekundärprophylaxe langfristig weiter
gegeben werden muss.
- Betablocker verringern durch die Vermeidung von
schweren ventrikulären Herzrhythmusstörungen und
THERAPIEWIRKUNG AUF DEN RÜCKGANG
DER TODES- UND INFARKTFÄLLE IN DER AKUTPHASE DER IAP
THERAPIE
ZAHL
STUDIEN
ZAHL
PATIENTEN
Aspirin
4
Heparin
4
1 547
Betablocker
5
4 700
Thrombolyse
12
2 376
% der Variation
(mit 95% CI) des Todes- oder Infarktrisikos
3 114
Kalziumantagonisten
5
956
Frühe Angioplastie
1
1 473
-100
< Abnahme
Ergebnisse aus Meta-Analysen randomisierter Studien
Quelle: Granger CB. In: Califf RM (Ed) "Acute Coronary Care". Mosby, Philadelphia, PA, 1995; Kap. 42
Abbildung 8
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
-50
0
50
Zunahme >
11
einer Myokardruptur Morbidität und Mortalität. Bei
instabiler Angina pectoris ist die Thrombolyse unwirksam
und schädlich. Mit Ausnahme von Isoptin haben
Kalziumantagonisten bei Postinfarktpatienten keinen
nachgewiesenen Nutzen.
Der moderne Ansatz
Aus einem besseren Verständnis der Pathophysiologie der
Angina pectoris und der Thrombogenese heraus wurde
die antithrombotische Kombinationstherapie konzipiert
und entwickelt. Diese hat insbesondere zur Verbreitung
der so genannten frühzeitigen Revaskularisierungstrategien durch PTCA beigetragen. Ziel ist hierbei, verschiedene Antithrombotika-Klassen miteinander zu kombinieren, um dadurch jede einzelne Etappe der
Thrombogenese mit Plättchenaktivierung, Thrombozytenaggregation, Thrombinbildung und -wirkung (Abbildung
4c) zu blockieren.
EMPFEHLUNGEN
Kombination aus Aspirin und Clopidogrel
zusätzlich zu einem Antikoagulans (antithrombotische Dreifachtherapie).
Niedermolekulares Heparin scheint aufgrund der
genaueren Vorhersagbarkeit der Dosis-AntwortBeziehung, einer geringeren Inzidenz der Plättchenaktivierung und der besseren Verträglichkeit
im Vergleich zum klassischen, nicht fraktionierten
Heparin die bessere Wahl zu sein.
Zusätzliche Therapie mit einem GP-IIb/IIIaReceptor -Antagonisten:
- bei Erwägung einer Koronarographie für eine
Angioplastie oder
- im Fall einer refraktären Ischämie oder
- bei erhöhtem Troponinwert oder
- bei Vorliegen sonstiger Risikofaktoren, wenn
keine PTCA geplant ist.
Wichtige Fragestellungen für die Zukunft
Dank qualitativ hochwertiger randomisierter Studien
und der Evaluierung zahlreicher Antithrombotika hat die
Revaskularisierung durch Angioplastie größere Verbreitung gefunden. Sie wird heutzutage bei 25-30 % der
aufgrund instabiler Angina pectoris im Krankenhaus
aufgenommenen Patienten vorgenommen. Für eine noch
bessere Behandlung unserer Patienten müssen drei
wichtige Fragen geklärt werden:
1. Zunächst muss der Einsatz von aggressiven Vorgehensweisen bei denjenigen Patienten beurteilt
werden, die von den randomisierten Studien ausgeschlossen wurden. Es handelt sich um Patienten mit
schwerer Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz, in
fortgeschrittenem Alter, mit einer Vorgeschichte in
Bezug auf Blutungen. Sie machen mindestens 40 %
der Patienten insgesamt aus und haben eine vierfach
erhöhte Morbidität und Mortalität. Sie haben demnach
im Prinzip einen größeren Nutzen von dieser Art von
Behandlung. Die eigentliche Schwierigkeit ist weiterhin die richtige Einschätzung in Bezug auf die
Verträglichkeit (Blutungsrisiko).
2. Entwicklung und Evaluierung einer schnell zum Ziel
führenden Behandlung der instabilen Angina pectoris
mit einer frühzeitigen Revaskularisierung wie beim
Infarkt mit Hebung der ST-Strecke. Dieser Ansatz sollte
die Dauer der Krankenhausaufenthalte und der aggressiven Antithrombosebehandlungen verkürzen und
darüber hinaus die Morbidität und Mortalität von
Hochrisikopatienten verringern: Patienten mit „subintranter“ Angina pectoris, klinischer linksventrikulärer
Dysfunktion oder schweren ventrikulären Herzrhytmusstörungen.
3. Entwicklung von Biomarkern zum Monitoring des
Patienten, um die Antithrombotika richtig zu
dosieren.
Behandlung des Myokardinfarktes
Beitrag der Angioplastie in der Akutphase der Angina
pectoris
Die Angioplastie verringert die koronare Morbidität und
Mortalität um 20-30 %. Dieser Nutzen ist umso größer, je
ausgeprägter das Risikoprofil der Patienten ist. Bei
Kombination der Angioplastie mit der Gabe eines GP-IIb/
IIIa-Rezeptor-Antagonisten zur Verringerung von akuten
Frühkomplikationen wird dieser Nutzen noch verstärkt.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Ich werde mich im Folgenden auf einige einfache
Grundlagen zum Thema beschränken. Im Falle eines
Infarkts ist bekannterweise die Arterie verstopft und es
gilt „Zeitverlust ist Myokardverlust“. Denn je früher man
handelt, umso mehr Muskelsubstanz kann gerettet
werden und umso höher sind die Überlebenschancen des
Focus
Patienten. Das Eröffnen der Arterie erhöht die
Überlebensraten. Zur Eröffnung der Arterie verwendet
man entweder die Thrombolyse oder die Angioplastie.
Die Thrombolyse besteht darin, das Gefäß chemisch
zu eröffnen, indem man den Thrombus, aber nicht die
Plaque entfernt. Bei der Angioplastie entfernt man
gleichzeitig Plaque und Thrombus. Leider kann eine
Angioplastie nur in spezialisierten Zentren vorgenommen werden, während eine Thrombolyse beim Patienten
zuhause durchgeführt werden kann. Je früher die
Behandlung begonnen wird, umso mehr Leben können
gerettet werden. Wenn es gelingt, die Patienten
innerhalb der ersten drei Stunden nach einem Infarkt
zu lysieren, kann man 80 von 1 000 behandelten
Patienten das Leben retten. Nach sechs Stunden ist
der Behandlungserfolg deutlich geringer. Es ist also
extrem wichtig, frühzeitig zu handeln. Das gleiche gilt
für die Angioplastie: Je früher sie durchgeführt wird,
umso mehr Muskelsubstanz und dementsprechend
mehr Leben können gerettet werden.
Realiter bekommen von 100 Infarktpatienten 50 eine
Thrombolyse, 10 erhalten eine Angioplastie, soweit
dieses Verfahren zugänglich ist, und 40-50 werden
überhaupt nicht behandelt. Diesen 40 % der Patienten
drohen Infarktkomplikationen wie Herzinsuffizienz
und Tod. Das ist eines der größten Probleme der
vergangenen zehn Jahre. Im Bereich der Wissenschaft
und bei den Reperfusionstechniken sind enorme
Fortschritte erzielt worden. Dies gilt ebenso für die
Angioplastie. In punkto Logistik jedoch sind wir weit
vom Idealfall entfernt. Nur 40 % der Patienten erhalten
eine Revaskularisierung und dieser Anteil hat sich in
den letzten 10 Jahren nicht verändert. Das zu ändern, ist
eine echte Herausforderung, der wir uns in den
kommenden Jahren stellen müssen.
Sekundärprophylaxe
Was ist im Falle eines Infarkts zu tun? In erster Linie
muss man Einfluss auf die Risikofaktoren nehmen
und insbesondere das erneute Auftreten eines akuten
koronaren Ereignisses verhindern. Die Risikofaktoren
können dahingehend beeinflusst werden, dass man den
Patienten dazu bringt, mit dem Rauchen aufzuhören
und wenn möglich abzunehmen, um eine Diabeteserrankung oder arteriellen Bluthochdruck zu mildern.
Daneben werden verschiedene Arten von Medikamenten
eingesetzt:
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Statine (CSE-Hemmer)
Hierbei handelt es sich um Cholesterinsenker.
Forschungen in diesem Bereich sind übrigens mit einem
Nobelpreis für Medizin gewürdigt worden. Zurzeit sind
ca. 6 Wirkstoffe auf dem Markt erhältlich. Alle zur
Primärprophylaxe durchgeführten Studien, also mit
Patienten, die nie ein koronares Ereignis hatten, wie
auch zur Sekundärprävention, d.h. mit Patienten, die
ein Ereignis hatten, zeigen eine Verringerung von
Morbidität und Mortalität (Infarkt/Tod) um 30 %.
Zudem konnte festgestellt werden, dass die positive
Wirkung dieser Präparate nicht allein auf die Cholesterinsenkung
beschränkt
ist.
Sie
haben
eine
Eigenwirkung auf die Gefäßwand. Diese Medikamente
sind relativ gut verträglich und ihre Kosten entsprechen
umgerechnet etwa einem Päckchen Zigaretten pro Tag.
ACE-Hemmer
Ursprünglich wurden ACE-Hemmer zur Blutdrucksenkung
entwickelt. Dann stellte man fest, dass sie, wenn sie nach
einem Infarkt verabreicht werden, die Mortalität um 2030 % senken bzw. die Komplikationen eines Infarktes, insbesondere Herzinsuffizienz, verringern, indem sie die
Vernarbung des Infarktes positiv beeinflussen.
Aspirin (ASS)
Aspirin (ASS) wird langfristig eingesetzt, um die erneute
Bildung von Thromben zu verhindern. Es schützt insbesondere vor einem plötzlichen Herztod und einem
erneuten Infarkt, während im Gegenzug die Blutungskomplikationen relativ moderat sind. Das Sterbe- und
Infarktrisiko wird durch Aspirin um 30 % verringert. Es
besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem
Nutzen des Medikaments und dem Patientenrisiko.
Patienten mit instabiler Angina pectoris haben das
höchste Risiko. Deshalb ist Aspirin für sie in Bezug auf die
Morbidität und Mortalität von besonders großem Nutzen.
Sobald das absolute Risiko eines koronaren Ereignisses
die Schwelle von 4 % überschreitet, nimmt der Nutzen
der Aspirintherapie zu und das Verhältnis von Nutzen zu
Risiko verschiebt sich zugunsten der Therapie.
Betablocker
Betablocker, die in der akuten Phase eines Infarktes,
aber auch außerhalb der akuten Phase eingesetzt
13
werden, verringern in erheblichem Maße ventrikuläre
Herzrhythmusstörungen sowie plötzlichen Herztod
und zudem das Risiko einer Herzruptur bei einem
infarktgeschädigten Herzen.
kardiovaskulären Risikos herangezogen werden? Könnten
Sie außerdem noch etwas zum Wert der Intima-MediaMessung für die Primärprophylaxe sagen?
Jean-Philippe COLLET
Nach einem akuten koronaren Ereignis sollten Patienten
stets alle vier genannten Medikamente verschrieben
bekommen.
Fazit
Allgemein sind koronare Herzerkrankungen und die sich
daraus ergebenden Komplikationen rückläufig, hauptsächlich durch Fortschritte in der Primär- und Sekundärprophylaxe sowie bei der Behandlung von akuten
Komplikationen der atherothrombotischen Erkrankungen
der Herzkranzgefäße (insbesondere durch Revaskularisierung). Der begrenzte Einsatz und Zugang zu diesen
Therapiemöglichkeiten sind weiterhin das Haupthindernis für eine effizientere Behandlung von akuten
Koronarsyndromen. In erster Linie ist dies eine Frage der
Logistik und der Ausbildung bzw. Aufklärung.
Die Entwicklung eines immer verlässlicheren RisikoScores ist ebenfalls ein Thema, das untrennbar mit dem
Fortschritt bei der Behandlung von akuten Koronarsyndromen verbunden ist. Derzeit gibt es Biomarker, mit
deren Hilfe Prognosen vorgenommen werden können.
Diese werden immer häufiger eingesetzt, sowohl am
Bett des Patienten als auch in den Notaufnahmen. Einer
dieser Marker ist das BNP (brain natriuretic peptide), ein
vom Myokard freigesetztes Hormon. Sind die Werte
erhöht, weiß man, dass unabhängig von den Ursachen
des Myokardschadens ein hohes Mortalitätsrisiko besteht.
Andere Biomarker ermöglichen eine Einschätzung des
Plaquerupturrisikos, so z. B. das Schwangerschaftsprotein.
Dieses Protein befindet sich in den atherosklerotischen
Plaques und wird im Falle einer Plaqueruptur in den
Blutkreislauf freigesetzt. Es ist also möglich, Patienten
mit zahlreichen instabilen Plaques zu identifizieren. In
Kürze werden wir über Biomarker verfügen, die uns
bereits im Vorfeld einer Komplikation Informationen
liefern. Zurzeit befinden sie sich noch in der Prüfungsphase,
doch sie werden uns in einigen Jahren wahrscheinlich
dabei helfen, Ihre Versicherungstabellen zu berechnen.
Patrick MALAMUD
Könnten Sie uns in Bezug auf die Primärprophylaxe genauer
erläutern, welche Kriterien zur Bestimmung des absoluten
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Die Risikotabelle für das absolute Risiko wurde anhand
von prospektiven Studien erstellt, insbesondere der
Framingham-Studie. Framingham ist eine Stadt nordöstlich
von Boston, deren Einwohner seit fast 50 Jahren
systematisch untersucht werden. Die Kohorte umfasst
20 000 bzw. 30 000 Personen, die langfristig begleitet
werden. Man ermittelte die klinischen Merkmale dieser
Patienten (Bluthochdruck, Diabetes etc.) und untersuchte
sie im Laufe der Jahre regelmäßig. Dies ermöglichte
aufgrund der sich häufenden koronaren Ereignisse die
Ausarbeitung von Tabellen zur Bewertung von vaskulären
Risiken in Abhängigkeit von Diabetes, Hypercholesterolämie und Bluthochdruck. Man kann das so genannte
Framingham-Score berechnen, in dem Gewicht und
Geschlecht berücksichtigt werden. Es handelt sich um
allgemeine Scores, die ein Risikoprofil ergeben, was aber
nicht heißt, dass man mit diesen Tabellen die genaue
Wahrscheinlichkeit eines akuten koronaren Ereignisses für
jeden einzelnen voraussagen kann. Deshalb sind andere
Tools entwickelt worden, insbesondere echokardiographische Hilfsmittel, um die Intima-Media-Dicke zu messen.
Dafür wird ein Schallkopf im Bereich der Karotiden positioniert, mit dem die Ausdehnung von Gefäßendothelium,
Intima und Media gemessen werden kann, wo sich die
Plaque ablagert. Man hat herausgefunden, dass die
Intima-Media-Stärke bei Patienten, die noch nie ein
koronares Ereignis hatten, das Risiko jeder Form von
vaskulären Ereignissen prognostizieren kann, und zwar
sowohl im Bereich der Herzkranzgefäße als auch im
Bereich der Karotiden. Derzeit setzen viele Ärzteteams
diese Messung zur Diagnosestellung ein. Bei Patienten,
bei denen die Intima-Media verdickt ist oder bei denen
atherosklerotische Plaques mittels Doppler-Untersuchung
entdeckt wurden und deren Belastungs-EKGs nicht
eindeutig sind, tendiert man dazu, eine Koronarographie
durchzuführen, da bekannt ist, dass diese Patienten ein
größeres Risiko als die anderen haben, eine schwere KHK
zu entwickeln. Dabei handelt es sich um einen Risikoindikator, den wir häufig bei jüngeren Infarktpatienten
heranziehen. Denn es konnte festgestellt werden, dass die
Intima-Media-Dicke von Patienten, die vor dem vierzigsten
Lebensjahr einen Infarkt erleiden, im Bereich der femoralen
Arterien (im Oberschenkel) extrem ausgeprägt ist. Die
zugrunde liegenden pathophysiologischen Ursachen sind
noch nicht bekannt, aber es handelt sich hierbei um
Hilfsmittel, die in der täglichen Praxis immer öfter
verwendet werden.
Focus
Auswirkungen der neuen MyokardRevaskularisierungsverfahren auf die
Prognose bei ischämischen Herzerkrankungen
Prof. Dr. Emile FERRARI. Abteilung Kardiologie – Pasteur-Krankenhaus - Nizza
In reichen Ländern gehören koronare Erkrankungen zu
den zweit- oder dritthäufigsten Todesursachen, und auch
wir befinden uns in einem reichen Land. Im Jahr 2020
werden sie rund um den Globus und in allen Bevölkerungsschichten die Haupttodesursache sein. Zudem handelt es
sich um schwere, weit verbreitete Erkrankungen.
Meine Präsentation behandelt die Auswirkungen der
neuen Myokard-Revaskularisierungsverfahren auf die
Prognose bei ischämischen Herzerkrankungen. In der Folge
werde ich die Grundlagen der Revaskularisierung, das
Verfahren der Angioplastie (PTCA), Indikationen, Ergebnisse im Vergleich zur chirurgischen Revaskularisierung und
die Ergebnisse der medikamentösen Therapie ansprechen.
Grundlagen der Revaskularisierung
Wenn von einem Myokardinfarkt oder einer ischämischen
Herzerkrankung die Rede ist, geht es im Wesentlichen um
die linke Herzkammer (linker Ventrikel). Das Herz besteht
aus vier Hohlräumen: zwei Vorhöfen (Atrien) und zwei
Kammern. Die Hauptfunktion des Herzens ist, das von den
Lungen kommende Blut in den großen Kreislauf zu
pumpen. Wenn man von infarziertem Herzmuskel spricht,
ist damit der Muskel des linken Ventrikels gemeint. Die
Koronararterie ist eine Art Vergaser, der den Muskel
versorgt. Der Herzmuskel ist der einzige Muskel, der schon
vor der Geburt und bis zum Tod arbeitet. Dieser Muskel
muss versorgt werden. Das geschieht über die
Koronararterie, die von der Aorta abgeht und dem Muskel
Blut, Sauerstoff und weitere Nährstoffe zuführt, und
zwar im Durchschnitt 77 Jahre lang beim Mann und
83 Jahre bei der Frau.
Führungskatheter in der Aorta
Atheromatöse Plaque
Die atheromatöse Plaque in den Herzkranzgefäßen
kann aufreißen. Eine solche Plaqueruptur ist ein ganz
alltäglicher Vorgang. Plaquerupturen, die jedoch spontan
repariert werden, sind etwas ganz Alltägliches. Die
atheromatöse Plaque in den Herzkranzgefäßen muss
nicht obstruktiv wirksam sein, sie kann das Gefäß langsam
verschließen oder es plötzlich verstopfen. Ist sie nicht
obstruktiv, ist das verursachte Syndrom im Allgemeinen
eine stabile Angina pectoris (Belastungsangina). Klinisch
stellt man das durch die Tatsache fest, dass der Patient
Schmerzen beschreibt und dabei seine geschlossene
Hand auf die Brust legt und sagt, dass er das Gefühl hat,
der Brustkorb sei in einen Schraubstock eingeklemmt,
z.B. wenn er rennt, um den Bus nicht zu verpassen.
Die einfachste Lösung wäre natürlich, morgens gar nicht
erst zu trödeln, um dem Bus nicht hinterherrennen
zu müssen… Wenn ein 50-jähriger Raucher dem Arzt
sagt, dass ein solches Engegefühl im Brustkorb in Ruhe
auftritt, welches eventuell in den Kiefer oder in den Arm
ausstrahlt, handelt es sich um die so genannte instabile
Angina pectoris.
Eine Angina pectoris kann, wenn die atheromatöse
Plaque das Gefäß nicht vollständig verschließt, auch in
eine ischämische Herzinsuffizienz münden. Die geringere
Versorgung mit Blut hat auf den Muskel den gleichen
Effekt wie ungenügendes Gießen einer Pflanze bei Hitze.
Die Pflanze verwelkt, der Muskel verliert an
Leistungsfähigkeit.
Tritt der Verschluss plötzlich auf, ist die Arterie vollkommen verstopft, was zu einem Myokardinfarkt führt,
zum Absterben des Herzmuskels. Bei Diabetikern, älteren
Menschen und Hypertonikern kann der Infarkt stumm
sein. In diesem Fall gibt es keine Schmerzsymptome.
Manchmal landen diese Patienten fünf oder zehn Jahre
später beim Arzt, nicht wegen des unbemerkten
Infarktes, sondern weil sie unter einer starken ischämischen Herzinsuffizienz leiden. Bei ihnen gab es zuvor kein
Alarmsignal, d.h. keine Angina pectoris.
Einbringen eines Koronarstents
Folge des Arterienverschlusses
Führungsdraht in der Koronararterie
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
So kann ein und dieselbe atheromatöse Plaque drei
verschiedene Prozesse auslösen, die in drei verschiedene
15
Koronarerkrankungen münden: Angina pectoris, Infarkt
und, seltener, ischämische Herzinsuffizienz.
Trotz meiner 20-jährigen Erfahrung fällt es mir schwer,
die „ischämische Herzerkrankung“ zu definieren. Handelt
es sich hierbei um ein akutes Koronarsyndrom, um eine
Arterie, die plötzlich verstopft, während es dem
Patienten zwei Minuten vorher noch gut ging? Handelt
es sich um den stabilen Zustand eines Koronarpatienten
mit atheromatöser Plaque, die die Arterie nicht vollständig
verschließt und die ein einwandfreies Funktionieren des
Herzens nur verhindert, wenn der Patient ein größeres
Herzminutenvolumen benötigt? Handelt es sich um einen
bereits behandelten Koronarpatienten, der schon Schäden
am linken Ventrikel aufweist? Ich neige am ehesten dazu
zu sagen, dass die ischämische Herzerkrankung dem
letztgenannten Fall entspricht. Man nennt das Auftreten
eines plötzlichen Verschlusses einer Koronararterie selten
„ischämische Herzerkrankung“. Selbst in der Medizin ist
trotz aller Bemühungen in Bezug auf die Nosologie
nicht immer alles klar.
Der Myokardinfarkt resultiert aus einem vollständigen
Verschluss der Arterie, die das Herz mit Blut versorgt. Von
der Blutversorgung abgeschnitten stirbt der Teil des
Muskels ab, der von dieser Arterie abhängig ist, wie es bei
sämtlichen Skelettmuskeln der Fall ist. Lange Zeit war
man der Auffassung, dass mindestens zwei der drei
folgenden Bedingungen erfüllt sein müssten, damit man
von einem Infarkt sprechen könne:
ein typischer konstriktiver Schmerz (Schraubstock, der
den Brustkorb einquetscht), der andauert, bis die
Arterie wieder geöffnet ist oder der 24 Stunden
andauern kann, wenn sie nicht eröffnet wird,
bestimmte Anzeichen im EKG, die der Arzt und a
forteriori der Kardiologe erkennen muss,
das Vorhandensein des Biomarkers Troponin, ein
Enzym, das aus den Herzmuskelzellen ins Blut
übertritt, wenn sie absterben. Eine tote Zelle
öffnet ihre Zytoplasmahülle und setzt ihren gesamten
Inhalt ins Blut frei, darunter auch diesen Marker,
der ein Hinweis auf Infarkt und Zelltod ist.
Troponin ist einer von mehreren Biomarkern, die eine
Myokardnekrose anzeigen. Es ist das Enzym, dessen
Spiegel im Blut am frühesten ansteigt und das am
längsten nachweisbar ist (Normalisierung nach zwei bis
drei Wochen). Bei einigen Patienten ist das der einzige
Wert, der erhöht ist.
Vor 10 Jahren konnten wir die richtige Diagnose
„Infarkt“ nicht stellen, wenn der damals verwendete
Marker, die CPK, nicht erhöht war.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Die neue, auf Troponin basierende Definition ist genauer
und wird wohl dazu führen, dass wesentlich mehr koronare
Ereignisse, die wir auf unseren Intensivstationen sehen, als
„Myokardinfarkt“ eingestuft werden. Schätzungen gehen
davon aus, dass die Infarktinzidenz aus diesem Grund
um mehr als 20 % steigen wird. Insofern wird ein Patient,
der Schmerzen im Brustkorb verspürt und bei dem nur der
Troponinwert erhöht ist, nosologisch genauso als
Myokardpatient „eingeordnet“ wie ein Patient, bei dem
der CPK-Wert erhöht ist. Trotz zweier völlig unterschiedlicher Prognosen würde im Entlassungsbericht des
Krankenhauses in beiden Fällen „Myokardinfarkt“ vermerkt
sein. Doch darauf kommen wir später zurück.
Der Troponinwert steigt, weil bei der Ruptur einer atheromatösen Plaque „Stücke“ dieser Plaque in die Peripherie
embolisieren können. Diese Emboli verstopfen dann nicht
die Hauptarterie mit 3 Millimeter Durchmesser, sondern
eine kleine Arteriole in der Peripherie, und diese kleine
Arterie führt zu einer unauffälligen Nekrose, die durch
einen erhöhten Troponinwert entdeckt werden kann.
Kann man gefährliche atheromatöse Plaque
erkennen?
Wir alle haben atheromatöse Plaques auf unseren
Arterienwänden. Bei einigen von uns können sie zum
Verschluss einer Arterie führen. Bei anderen haben sie
überhaupt keine Folgen. Dem äußeren Anschein entgegen
ist die gefährlichste Plaque, die aufzureißen und das
Gefäß zu verschließen droht, nicht die Plaque, die am
obstruktivsten ist. Bei diesem Thema gehen die Meinungen in der interventionellen Kardiologie auseinander.
Man behandelt die Plaques, die 75 % der Arterie
verschließen, weil sie das Blut daran hindern, richtig zu
fließen, um möglichst eine Angina pectoris und ischämische Herzerkrankungen zu vermeiden. Wahrscheinlich
löst aber die Plaque, die nur 25 % der Arterie verstopft,
den Infarkt aus. Diese Plaque wird jedoch nicht behandelt, entweder weil es soviel davon gibt, dass man gar
nicht alles behandeln kann oder weil sie schwer zu
erkennen ist. Wenn Patienten mit stabiler Angina pectoris
revaskularisiert werden, geschieht das wahrscheinlich
nicht, um einen Myokardinfarkt zu verhindern, sondern
um eine Angina pectoris zu vermeiden und die Schmerzen
im Brustkorb zu beseitigen.
Ist eine einzige Koronararterie atheromatös, spricht man
von einem Patienten mit Eingefäßerkrankung, sind zwei
Arterien betroffen von einem Patienten mit Zweigefäßerkrankung und sind drei Koronararterien betroffen,
von Dreigefäßerkrankung.
Focus
Das Risiko korreliert nicht vollkommen mit dem Ausmaß
der
Beeinträchtigung
der
Koronararterien.
Die
Beeinträchtigung ist progressiv und der Fortschritt
kann
mit
mehreren,
insbesondere
biologischen
Parametern, bestimmt werden. Sind diese Blutmarker,
die das Fortschreiten der Erkrankung anzeigen, niedrig,
wird der Zustand eines Patienten mit Dreigefäßerkrankung weniger ungünstig sein als der eines Patienten
mit Eingefäßerkrankung und erhöhten Markerwerten.
Das ist ein neues Konzept in der Kardiologie.
Künftig wird uns die Bestimmung spezieller Markerwerte
im Blut Erkenntnisse liefern, die über das hinausgehen,
was wir anhand des optischen Zustands der Arterien
vermuten können. Dies kann zur Entscheidung führen,
einen Patienten mit Eingefäßerkrankung und höherem
Verschlechterungsrisiko vor einem Patienten mit Dreigefäßerkrankung zu behandeln.
Druck sorgt dafür, dass sich der Ballon aufbläst und
rundherum die atheromatöse Plaque beiseite drückt.
Dann lässt man den Druck aus dem Ballon wieder ab und
zieht den Ballonkatheter zurück. Nachdem das Lumen der
Arterie wieder hergestellt ist, kann man an der Stelle, wo
die Plaque war, eine Prothese, ein „Stent“ genanntes
Drahtgeflecht, einsetzen und den Katheter wieder
entfernen.
Koronare Herzerkrankungen (KHK)
Der Myokardinfarkt
Verfahren der Revaskularisierung
Bei einem Herzinfarkt ist die Herzkranzarterie vollständig verschlossen. Bekommt der von diesem Gefäß
versorgte Muskel kein Blut mehr, wird er livid (farblos)
und stirbt ab, wenn der Verschluss länger als vier bis
sechs Stunden (in einigen Fällen 8 Stunden) dauert.
In bestimmten klinischen Situationen muss man dem
Herzen tatsächlich „neues Blut“ zuführen. In diesem Fall
legt der Chirurg Bypässe. Dafür verwendet er Beinvenen
(ACVB, Aortokoronarer Venenbypass), näht die „Venentransplantate“ im Bereich der Aorta ein und umgeht die
stenosierten Gefäße durch einen Bypass, um den Teil des
Herzens wieder mit sauerstoff- und nährstoffreichem Blut
zu versorgen, der wegen der Stenosen unterversorgt war.
Der Chirurg kann auch Arterien (Arteria mammaria
interna – innere Brustwandarterie) verwenden, um die
Herzkranzgefäße zu überbrücken. Es gibt deren zwei, eine
auf jeder Seite des Sternums (Brustbein).
Die 30-Tage-Mortalität von Patienten mit Myokardinfarkt liegt bei über 40 %. Von 100 verstorbenen
Patienten tritt der Tod bei 50 in den ersten zwei Stunden
ein. Dies ist der Fall, wenn der Patient es nicht geschafft
hat, den Notarzt zu rufen. Wenn jemand über Schmerzen
in der Brust klagt, muss sofort ein Notarzt gerufen und
sehr schnell gehandelt werden. 70-80 % der durch
Myokardinfarkt verursachten Todesfälle ereignen sich in
den ersten 24 Stunden. Schätzungen zufolge liegt die
Sterberate nach einem Infarkt im Bereich von 5-10 % pro
Jahr. Es gibt nur wenige andere Erkrankungen mit einer
so hohen plötzlichen Mortalitätsrate.
Der Vorteil liegt darin, dass sie oben schon mit der Arteria
subclavia (Schlüsselbeinarterie) verbunden sind, die den
Arm versorgt. Diese Arterien haben keine lebenswichtige
Funktion und können hinter der Stenose an die
Koronararterie anastomisiert werden.
Zu den Prognosefaktoren nach einem Myokardinfarkt
gehört die Größe des Infarkts. Wenn die verstopfte
Arterie sehr klein ist und der Infarkt nur einen
Quadratzentimeter des Muskels umfasst, ist die Prognose
nicht die gleiche, wie wenn eine größere Muskelfläche
betroffen ist. Je größer der Infarkt, umso mehr ist die
Pumpfunktion des Herzens beeinträchtigt und umso
höher ist das Risiko einer Herzinsuffizienz. Die
Hauptfunktion der linken Herzkammer besteht darin,
das sauerstoffangereicherte Blut aus den Lungen aufzunehmen und es mit ausreichendem Druck in den
Körperkreislauf weiterzupumpen. Die Herzinsuffizienz
entspricht einer Verminderung des nachgeordneten
Volumens. Die Prognose bei Herzinsuffizienz ist
schlecht: nach 60 Monaten liegt die Mortalität bei 50 %.
Einige Krebsarten haben eine wesentlich bessere
Prognose.
Eine Alternative zur Operation ist die Ballon-Dilatation
(PTCA). Dabei wird ein Kunststoff-Katheter mit
3 Millimeter Durchmesser bis in den Abgang der
Herzkranzarterie geschoben, um über diesen Führungskatheter das für eine Dilatation (Ausdehnung) der
Herzkranzgefäße notwendige Material durch die Arterie
zu schieben. So kann man einen Führungsdraht von
0,4 Millimeter Durchmesser bis über die Stelle der
Gefäßverletzung in die Arterie schieben. Über diesen
Führungsdraht schiebt man dann einen Ballonkatheter an
die Stelle der Stenose, der dort aufgeblasen wird. Der
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
17
Ganz offensichtlich ist die Funktion der linken Herzkammer (linker Ventrikel) ein wesentlicher Prognosefaktor.
Eine Echokardiographie hilft, die Situation besser einzuschätzen. Eine Angiographie erlaubt eine noch genauere
Beurteilung. Dafür wird das Herz katheterisiert. Man
betrachtet die Kontur des Herzens bei kompletter
Füllung und anschließend, wenn es völlig entleert ist.
Der Unterschied zwischen den beiden Darstellungen
entspricht der Blutmenge, die das Herz bei jeder
Kontraktion in den Körperkreislauf pumpt. Man bestimmt
das linksventrikuläre enddiastolische Volumen, das bei ca.
130 mmHG liegt sowie das endsystolische Volumen mit
einem Normalwert von ca. 45 mmHG. Die Differenz der
beiden Volumina ergibt die Kontraktilität des Herzens
bzw. die Auswurf- oder Ejektionsfraktion, die normalerweise bei 60 % liegt. Wenn in Ihren Antragsunterlagen
die Auswurffraktion mit weniger als 40 % angegeben ist,
haben Sie es mit ernstlich erkrankten, um nicht zu sagen
schwerkranken Antragstellern zu tun.
Der zweite, weltweit anerkannte Prognosefaktor ist die
Restischämie. Diese Ischämie kann das für das kürzlich
aufgetretene Ereignis verantwortliche Gefäß betreffen,
aber auch ein anderes Gefäß. Durch die Belastungsuntersuchung kann man nicht nur die Restischämie des
Infarktareals beurteilen, sondern auch herausfinden, ob
nicht auch eine Ischämie in anderen Arealen besteht.
Bei der Belastungsuntersuchung wird der Patient auf ein
Fahrradergometer gesetzt und gebeten, zu treten, wobei
die Belastung in 30 Watt-Schritten gesteigert wird, um
seine Herzfrequenz zu erhöhen, so wie bei einer wirklichen körperlichen Anstrengung. Man geht normalerweise
bis zu 75 oder 80 % der HFmax (maximalen Herzfrequenz,
das entspricht der Formel „220 minus Lebensalter“). Damit
die Ergometrie verlässlich ist, muss eine bestimmte
Herzfrequenz erreicht werden. Einige Patienten zeigen ab
60 Watt und einem Puls von 80 eine Ischämie oder sogar
Herzrhythmusstörungen. Diese Patienten haben keine
gute Prognose.
Behandlung eines Myokardinfarktes: Thrombolyse
versus PTCA
Beim Myokardinfarkt muss die Arterie möglichst schnell
wieder eröffnet werden. Je schneller dies geschieht, umso
höher sind die Überlebenschancen des Patienten. Die
Angioplastie mit Ballondilatation (PTCA) kommt hier
genauso in Betracht wie die Thrombolyse, bei der man
intravenös ein Medikament verabreicht, mit dem das
die Arterie verschließende Gerinnsel „lysiert“, also
aufgelöst wird.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Werden entsprechende Maßnahmen innerhalb der ersten
Stunde nach dem Infarkt ergriffen, rettet man 80 von
1 000 behandelten Patienten das Leben. Dieser Anteil mag
nicht besonderes hoch erscheinen, doch in der Kardiologie
ist das ein ausgezeichnetes Ergebnis. Wenn man etwa
6 Stunden nach dem Infarkt interveniert, liegt der Anteil
der geretteten Patienten nicht mehr bei 80, sondern nur
noch bei 20 von 1 000. Interveniert man 12 Stunden nach
dem Infarkt, besteht für den Patienten aufgrund der
verwendeten Medikamente ein Blutungsrisiko, während
der erwartete Nutzen fast null ist. Als Faustregel gilt:
Je früher die Arterie eröffnet wird, umso mehr Leben
werden gerettet.
Eine Thrombolyse kann von jedem Arzt überall durchgeführt werden. Angioplastie hingegen erfordert die
Verlegung des Patienten in ein Herzzentrum. Diese
Zentren sind in Frankreich nicht gleichmäßig über das
Land verteilt.
In aktuellen Feldstudien, in denen die zwei Behandlungsmethoden miteinander verglichen werden, ist die
30-Tage-Mortalität bei Thrombolyse und PTCA sehr
ähnlich. Keines der beiden Verfahren ist dem anderen
eindeutig überlegen. Das für die Thrombolyse verwendete Medikament, das die Arterie wieder freimachen soll,
kann vor der Ankunft im Krankenhaus verabreicht
werden, und bekannterweise ist schnelles Handeln von
größter Bedeutung und schon eine Stunde kann ausschlaggebend sein. Es ist folglich besser, den Patienten medikamentös zu behandeln, wenn die Behandlung dadurch
früher einsetzt, selbst wenn die medikamentöse Therapie
an sich weniger effizient ist als die PTCA. Das ist für
die Gesundheit der Patienten und im weitesten Sinne für
die Gesundheit der ganzen Bevölkerung entscheidend.
Der Nachteil der medikamentösen Behandlung ist, dass
30-40 % der Patienten nicht darauf ansprechen. Außerdem
besteht bei Thrombolytika ein Blutungsrisiko. Und
schließlich kann es auch passieren, dass die eröffnete
Arterie sich in den Stunden danach wieder verschließt: das
geschieht in 10-25 % der Fälle.
Der Vorteil der Angioplastie ist in solchen Fällen, dass ihre
Ergebnisse wesentlich besser sind. Die Ansprechrate liegt
bei 95 % bzw. bei den besten Ärzteteams sogar noch
höher. Der Nachteil ist, dass man die Patienten in spezialisierte Zentren verlegen muss, in welchen die Ärzteteams
diese Art des Eingriffs beherrschen.
Es besteht folgender Konsens: Der Arzt, der einen Infarktpatienten behandelt, muss beim nächsten Versorgungszentrum anrufen. Dauert der Transport dorthin weniger
Focus
als eine Stunde, wird der Patient zur Katheterisierung ins
Krankenhaus gebracht und man kann eine Angioplastie
durchführen. Wenn aber alle Betten belegt sind oder der
Transport unter Umständen länger als eine Stunde in
Anspruch nimmt, sollte sich der Arzt für die Thrombolyse
entscheiden.
Vor 1960 lag die Mortalität bei hospitalisierten
Infarktpatienten bei 40 %. Bei einem Patienten, der mit
Infarkt ins Krankenhaus eingeliefert wurde, lag die
Wahrscheinlichkeit, dass er verstirbt, bei 4:10. Dann
wurden spezielle Intensivstationen für koronare Erkrankungen eingerichtet. Die Patienten wurden dort mit
aufgeklebten Elektroden zur Feststellung ventrikulärer
Herzrhythmusstörungen überwacht, die für die meisten
vorzeitigen Todesfälle der Patienten verantwortlich sind.
Die einfache Tatsache, dass man den Patienten 3 oder 4
Tage beobachtete, um 90 % der tödlichen Herzrhythmuskomplikationen zu entdecken und zu behandeln, hat dazu
geführt, dass die Mortalität von 40 % auf 18 % gesunken
ist. Die Thrombolyse hat zusätzlich dazu beigetragen, die
Mortalität auf eindrucksvolle Weise zu senken. Dann
kamen Medikamente wie Betablocker und Aspirin zum
Einsatz, später noch die ACE-Hemmer, die die Mortalität
weiter gesenkt haben. Die Krankenhausmortalitätsrate
liegt derzeit bei 6-7 %.
Selbst in guten Fachartikeln wird behauptet, dass zwischen
Verfechtern der Angioplastie und der Thrombolyse
keinerlei Konkurrenz besteht. In der Praxis sieht das aber
ganz anders aus. Es besteht eine erbitterte Rivalität
zwischen den Befürwortern der jeweiligen Therapie.
Anstatt sich darüber zu streiten, entweder die Gefäße des
Patienten mit einem wirkungsvollen mechanischen
Verfahren zu erweitern oder den Patienten mit der zwar
kostspieligen, aber breiter anwendbarenThrombolyse zu
behandeln, sollte man sich an die durch Zahlen belegbare
Tatsachen halten. Der Anteil der Patienten, die innerhalb
von anderthalb Stunden auf welche Weise auch immer
revaskularisiert werden, d.h. dann, wenn es am
wirksamsten ist, liegt bei nur 8 %. Anstatt eine Debatte
über die bessere Revaskularisierungsmethode zu führen,
wäre es zweifelsohne besser, die Ärzte kümmerten sich
darum, dass mehr Patienten schnell behandelt werden.
Bei Infarkt ist die frühzeitige PTCA eine Art „4-SterneBehandlung“, aber die Thrombolyse ist mehr Patienten
zugänglich, einfacher durchzuführen und kann daher
mehr Leben retten.
Instabile Angina pectoris
Instabile Angina pectoris wird durch einen Thrombus
verursacht, der das Gefäß nicht vollständig verschließt.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Die atheromatöse Plaque vermindert den Blutfluss und
führt zu einer Ischämie eines Teils des Herzens. Es kann
sich um eine Angina pectoris handeln, die in Ruhe auftritt,
wobei der Patient ohne irgendetwas zu machen,
Schmerzen in der Brust hat. Es kann sich aber auch um
eine Angina pectoris handeln, die bei der geringsten
Anstrengung auftritt. In beiden Fällen befindet sich die
Angina pectoris noch im Anfangsstadium und schnelles
Handeln ist höchste Priorität.
Seit 1989 liegt die Zahl der instabilen Angina pectoris-Fälle
höher als die der Myokardinfarktfälle, und der Abstand
wird sich noch vergrößern.
Seit 10 oder 15 Jahren wird in der Ärzteschaft über das
Vorgehen bei atheromatöser Plaque in Herzkranzgefäßen,
die das Gefäß nicht vollständig verschließt, aber den
Herzmuskel gefährdet, diskutiert. Soll man sehr „aggressiv“
vorgehen und mit PTCA revaskularisieren oder soll man
„lediglich“ die richtigen Medikamente verabreichen?
Zahlreiche Studien sind zu dem Schluss gekommen, dass
die Arterie unter Voraussetzung eines zugänglichen
Gefäßes und mit der Unterstützung einer wirksamen
antithrombotischen Therapie zwar nicht mit der gleichen
Dringlichkeit wie beim Myokardinfarkt, jedoch innerhalb
von 48 Stunden eröffnet werden sollte. Eine vergleichende
Studie zwischen nicht-invasiver Methode (Thrombolyse)
und invasiver Methode (PTCA oder Bypass) hat gezeigt,
dass der Einsatz der zweiten Methode nach drei Monaten
einen Vorteil für den Patienten darstellt. Das hat aber
seinen Preis: Die invasive Methode kann manchmal selbst
einen Infarkt verursachen, weil man die Arterie beim
Eröffnen eventuell verstopfen kann. Schützt man den
Patienten mit den von Jean-Philippe Collet genannten
Medikamenten, können solche Komplikationen verhindert werden.
Stabile Angina pectoris
Ein typisches Beispiel für eine stabile Angina pectoris ist
folgender Fall: Man geht wie jeden Morgen erst zum
Bäcker und muss sich dann aber beeilen, um den Bus noch
zu erwischen. Dabei verspürt man einen Schmerz in der
Brust. Im Fall der stabilen Angina pectoris kommen nun
nicht mehr nur zwei, sondern drei Behandlungsmöglichkeiten in Betracht: Die medikamentöse oder die
chirurgische Behandlung sowie die Angioplastie, auch
perkutane transluminale Angioplastie (PTA) bzw. perkutane transluminale koronare Angioplastie (PTCA) genannt,
sofern sie im Bereich der Koronararterien durchgeführt
wird. Diese drei Verfahren müssen gegeneinander
abgewogen werden.
19
Im Rahmen der CASS-Studie (Coronary Artery Surgery
Study) wurde die Überlebensrate von Patienten mit
koronarer Bypassoperation mit der von rein medikamentös behandelten Patienten über 18 Jahre lang verglichen. Viele Versicherer nutzen die Ergebnisse dieser
Studie für die Prognoseerstellung ihrer Antragsteller.
Prognose von Bypasspatienten/Kontrollgruppe
Ein junges Lebensalter zum Zeitpunkt des Eingriffs ist kein
günstiger Faktor, genauso wenig wie Übergewicht, eine
koronare Vorgeschichte, die Einnahme von Diuretika
(denn es besteht eine Komorbidität infolge von
Bluthochdruck oder Herzinsuffizienz), Rauchen oder eine
Schädigung des Hauptstammes der linken Koronararterie.
Auch die ausschließliche Verwendung von Venenstücken
bei der Bypasslegung anstelle von Arteriengefäßen ist
kein günstiger Faktor, denn man weiß heute, dass Bypässe
aus Arterien zu besseren Ergebnissen führen.
0,1
0,09
Kontrollgruppe
Todesfälle/Jahr
0,08
Bypasspatienten
0,07
Es ist nämlich so, dass jüngere Koronarpatienten in der
Regel unter einer komplexen fortschreitenden Erkrankung
leiden, für die zahlreiche Risikofaktoren bestehen können.
So hat der Patient möglicherweise nicht mit dem Rauchen
aufgehört oder die Medikamente haben seinen
Bluthochdruck oder Cholesterinspiegel nicht richtig
normalisiert.
0,06
0,05
0,04
0,03
0,02
0,01
0
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
Jahre
CASS-Register > 18 Jahre Follow-up
In den ersten Monaten versterben Bypasspatienten
aufgrund des Operationsrisikos häufiger als medikamentös behandelte Patienten. Danach jedoch ist die
Mortalitätsrate der Patienten mit chirurgischem Eingriff
relativ gering und es besteht kein wesentlicher Unterschied
mehr zur Medikamenten-Gruppe. 5 Jahre nach dem
Eingriff beträgt die Überlebensrate 90 %, was in
Anbetracht des Durchschnittsalters der Patienten, ihres
Gesundheitszustandes und der Schwere der Operation
durchaus befriedigend ist. In 74 % der Fälle hat der
operierte Patient eine Lebenserwartung von mindestens
10 Jahren, in 56 % der Fälle sogar von 15 Jahren. Wichtig
ist das Alter des Patienten zum Zeitpunkt des Eingriffes.
So ist bei Patienten, die im Alter von 65 oder sogar
75 Jahren operiert wurden, die Überlebensrate sehr gut
und durchaus vergleichbar mit der der Kontrollpopulation.
Ein älterer Patient, bei dem man sich ganz bewusst für
eine Bypassoperation entschieden hat, hat in 74 % der
Fälle eine Lebenserwartung von 10 Jahren und in 54 % der
Fälle von 15 Jahren. Ein 70-Jähriger mit Bypass hat in 60 %
der Fälle eine Lebenserwartung von 10 Jahren.
Dass die Mortalitätsrate von Patienten mit Bypass etwas
schlechter ist als die der normalverteilten Population, und
das, obwohl die ältesten Patienten von einer solchen
Operation profitieren, liegt daran, dass es eine Unterpopulation von Bypasspatienten gibt, deren Mortalitätsrate höher ist als die der normalverteilten Population.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Bei bestimmten Formen der stabilen Angina pectoris
kann die medikamentöse Therapie wirksamer als die
Revaskularisation sein. Jüngere Ärzte haben bisweilen den
Eindruck, dass Medikamente allein keine ausreichende
Behandlung darstellen. Dem ist nicht so und in bestimmten Fällen ist die medikamentöse Therapie genauso
wirksam. Die RITA-2-Studie umfasste 1018 Patienten mit
einer stabilen Angina pectoris. Manche Patienten wurden
nach dem Zufallsprinzip mit einer Angioplastie und andere
rein medikamentös behandelt. Der Nachuntersuchungszeitraum betrug zwei Jahre. Die Mortalitätsrate infolge eines
Herzinfarktes war doppelt so hoch, wenn ein „aggressives“ chirurgisches Verfahren angewandt wurde. Diese
Studie wurde 1997 veröffentlicht und bezog sich auf
zwischen 1993 und 1994 durchgeführte Behandlungsmaßnahmen, die noch nicht so wirkungsvoll wie die heute
angewandten waren. Trotzdem haben die Ergebnisse
meiner Meinung nach auch heute noch Gültigkeit: Zwar
hat sich die Angioplastie seitdem weiterentwickelt, aber
das gilt genauso für die medikamentöse Therapie. Eine
Metaanalyse von 6 Studien mit insgesamt 1000 Patienten
über einen Vergleich zwischen medikamentöser Therapie
und Angioplastie (PTCA) zeigt, dass die PTCA das relative
Risiko einer Angina pectoris um 30 % senkt, was normal
ist, da die Öffnung der Arterie eine Revaskularisation des
Muskels ermöglicht. Sie belegt ebenfalls, dass die PTCA
häufiger einen Myokardinfarkt nach sich zieht. Dieses
Verfahren geht mit einem erhöhten Sterberisiko einher
und macht häufiger eine erneute Angioplastie oder einen
späteren operativen Eingriff notwendig. Denn das
Einführen eines Ballonkatheters in eine arteriosklerotisch
veränderte Arterie kann eine bestimmte Pathologie
verursachen, die sich langfristig auswirkt.
Focus
Hauptziel der medikamentösen Therapie ist nicht die
Beseitigung der Symptome der Angina pectoris – ganz im
Gegenteil, denn diese können sozusagen als Alarmsignal
fungieren – sondern die Verhinderung einer Plaqueruptur.
Die Behandlung soll verhindern, dass es zu einem solchen
„Vulkanausbruch“ kommt.
Vergleicht man die PTCA mit dem Bypassverfahren, was
Gegenstand zahlreicher Studien ist, erscheint die Angioplastie weniger schwerwiegend als die Bypassoperation.
So wird sie von weniger unmittelbaren Komplikationen
begleitet: es kommt seltener zu einem Hirnschlag oder
einem Infarkt. Die Schwäche der Angioplastie besteht in
der Vernarbungsneigung der Arterie nach dem Einsetzen
eines Stents. Diese ungünstige Entwicklung oder
Restenosierung, die unabhängig von Operateur und
Verfahren ist, betrifft etwa 25-30 % der Fälle, bei denen
dann jedoch das gleiche Verfahren erneut eingesetzt
werden kann, um das Narbengewebe zu beseitigen. Der
Vorteil der Bypassoperation besteht darin, dass man von
vornherein ein besseres Ergebnis bei der Revaskularisation
erzielen kann (bis zu fünf Arterien gleichzeitig) und dass
es kurzfristig zu weniger Rezidiven kommt. Der Nachteil
sind die Operationskomplikationen. Außerdem sind 10 %
der Bypässe bereits wieder verschlossen, wenn der Patient
den OP-Saal verlässt, nach 10 Jahren sind es 50 %. Die
Rezidivrate nach 10 bzw. 12 Jahren ist also relativ hoch.
Zeitraum unterschiedlich weiterentwickeln, haben die
Ergebnisse einen rein historischen Wert. Genau das passiert
gegenwärtig bei der Angioplastie. Der Hauptnachteil
dieses Verfahrens bestand in der Vernarbung nach dem
Einbringen des Stents (Stentangioplastie). Für dieses
Problem der Restenosierung soll bereits eine Lösung
gefunden worden sein. In diesem Fall hätte die
Angioplastie nur noch Vorteile!
Professor Dr. Ferrari zeigt in einem Video ein Beispiel für
die Revaskularisation mittels Angioplastie. Dabei wird das
Einführen eines Führungskatheters bis zur Arterienverengung gezeigt, an der dann ein Stent implantiert
werden soll, um die Engstelle offen zu halten. Nach dem
Eingriff ist die betroffene Gefäßstelle wieder komplett
offen. Bei dieser Technik beträgt die Interventionszeit
20 Minuten gegenüber 4-5 Stunden bei einem chirurgischen Eingriff. Der Patient wird morgens aufgenommen
und am nächsten Tag entlassen, während bei einer
Operation eine intensivmedizinische Betreuung von
mehreren Tagen sowie eine mindestens zweiwöchige
Rekonvaleszenz notwendig sind.
Frage aus dem Publikum
Gibt es vergleichende Studien zwischen Angioplastie und
koronaren Bypass-Operationen am schlagenden Herzen?
Emile FERRARI
Es gibt kaum Studien, die sich mit dem Vergleich der
verschiedenen Therapieverfahren beschäftigen. Wenn
man PTCA und Bypassoperation sechs Monate nach dem
Eingriff vergleicht, liegt die Erfolgsrate bei der Angioplastie
bei 70 % und beim chirurgischen Verfahren bei 90 %. In
diesem Betrachtungszeitraum ist das operative Verfahren
der Angioplastie überlegen. In einem Nachbeobachtungszeitraum von fünf Jahren liegt die Erfolgsrate
sowohl bei der Bypasstechnik als auch bei der Angioplastie
bei 70 %, allerdings beginnen die Bypässe, sich wieder zu
verschließen, wodurch PTCA und chirurgisches Verfahren
zu diesem Zeitpunkt gleichwertig sind. Vergleicht man
beide Verfahren 10 Jahre nach dem Therapieentscheid,
hat die Angioplastie nach wie vor eine Misserfolgsquote
von 30 %, die Bypasstechnik aber eine von 50 %. Die
zeitliche Dimension ist demnach für einen Vergleich mit
einzubeziehen. Bei einem Follow-up von sechs Monaten
ist die operative Behandlung stets vorteilshafter.
Darüber hinaus entwickeln sich die Behandlungsverfahren
weiter. Für eine Studie muss ein Zeitraum von 5 bis 8
Jahren bis zur Veröffentlichung eingeplant werden. Wenn
sich die beiden zu vergleichenden Verfahren in diesem
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Man muss schon fair sein: Auch die Chirurgen machen
Fortschritte! Sie sind auf der Suche nach neuen Techniken.
Während sich die interventionelle Medizin in den letzten
15 Jahren rasch weiterentwickelt hat, haben sich die
Chirurgen in Anbetracht der großen Zahl der zu operierenden Patienten ein bisschen auf ihren Lorbeeren
ausgeruht. Als sie festgestellt haben, dass sich auch die
Kardiologen an die endovaskulären Interventionstechniken gewagt haben, haben sie eingesehen, dass auch
sie sich weiterentwickeln müssen. Gegenwärtig versuchen
einige Chirurgenteams immer häufiger, die Patienten
ohne extrakorporale Zirkulation zu revaskularisieren. Sie
öffnen das Sternum, suchen die Arteria mammaria heraus
– die der liebe Gott eigens für die Koronarpatienten
geschaffen hat – und legen den Bypass bei schlagendem
Herzen, ohne die Blutzirkulation umzuleiten. Diese
Technik ist lange nicht so belastend wie das klassische OPVerfahren. Allerdings kann sie nicht bei allen Patienten
angewendet werden. Beispielsweise ist sie bei diffusen
Erkrankungen und schlechtem Arterienzustand nicht
indiziert. Trotzdem ist das ein Fortschritt und wenn man
Verfahren vergleicht, muss man die Fortschritte in allen
Bereichen berücksichtigen.
21
Bemerkung aus dem Publikum
Gemäß den Vorschriften darf eine Angioplastie nur
durchgeführt werden, wenn man über eine Abteilung für
kardiovaskuläre Chirurgie mit einer einsatzbereiten
extrakorporalen Zirkulation verfügt.
Emile FERRARI
Das ist eine alte Vorschrift, die heute nicht mehr zeitgemäß
ist. Es stimmt, in den Vorschriften steht, dass man den
Patienten in weniger als einer Stunde in ein entsprechendes Zentrum transportieren können muss. In der
Region Provence-Alpes-Côte-d’Azur gibt es so viele
Kardiologiezentren, dass sich die Frage gar nicht stellt. Auf
Korsika dagegen schon und deshalb kann die
Ballondilatation dort nur im Akutfall vorgenommen
werden. Dieses Problem schränkt allerdings nicht die
Indikationen für die Angioplastie ein.
John EVANS
Im Zusammenhang mit den Fortschritten bei den Verfahren
spricht man von beschichteten Stents, durch die das
Problem der Restenosierung behoben werden soll. Wie
weit ist die Wissenschaft in diesem Bereich?
Emile FERRARI
Das Hauptproblem bei Stents ist die überschießende
Vernarbung, die Restenose. Es scheint so, als hätte man
eine Möglichkeit zur Vermeidung dieser überschießenden
Gewebebildung gefunden, und zwar in Form eines
Medikaments, das ursprünglich ein Krebstherapeutikum
war und die Narbenbildung hemmt. Wenn Sie operiert
werden, kann sich eine sogenannte keloidförmige Narbe
bilden. Das ist eine wulstartige, stark wuchernde Narbe.
Das gleiche kann bei der Behandlung von Verengungen
der Koronararterien passieren. Es scheint, dass man die
überschießende Narbenbildung heutzutage mit diesem
Krebstherapeutikum verhindern kann. Die ersten
Ergebnisse sind hervorragend. In einem Artikel von
Dr. M.-C. MORICE, der im New England Journal of
Medicine erschienen ist, wird von einer Restenoserate
von 0 % nach einem Jahr berichtet. Seit fast 10 Jahren
hat man alle möglichen Medikamente für die Stentbeschichtung getestet, um diesen Schwachpunkt der Angioplastie in den Griff zu bekommen. Es scheint, dass man
mit dieser Familie von Krebsmedikamenten auf dem
richtigen Weg ist. Durch die Hemmung der Restenosierung
werden sich die Ergebnisse dieses Verfahrens zwangsläufig
verbessern, und man wird weniger Patienten an den
Chirurgen überweisen.
Patrick MALAMUD
Wie sieht es mit Wiederholungseingriffen bei der
Angioplastie aus? Zahlreiche Patienten erhalten oder
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
profitieren von einem Wiederholungseingriff. Wie weit
kann man in diesem Bereich gehen?
Emile FERRARI
Die erwartete Restenoserate nach einer Angioplastie liegt
bei 20-30 %. Bei jeder Ballondilatation bleibt diese Rate
gleich. Wenn bei einem Patienten eine Ballondilatation
vorgenommen wird, stehen die Chancen 7:10, dass alles
gut verläuft, und 1:3 oder 1:4, dass nach 3-6 Monaten eine
erneute Gefäßerweiterung vorgenommen werden muss.
Sechs Monate später drückt man dem Patienten die
Einverständniserklärung in die Hand und fragt ihn, ob er
ein chirurgisches Verfahren vorzieht oder ob er bereit ist,
es noch einmal mit der PTCA zu versuchen. Nach 3 bis 4
Versuchen kann man vernünftigerweise aufhören und den
Patienten an den Chirurgen überweisen. Man muss versuchen, entsprechende Prognosen zu erstellen. Man weiß
insbesondere, dass Diabetiker eine stärkere Restenoseneigung haben als andere Patienten. Wenn bei einem
Diabetiker drei Gefäßläsionen behandelt werden müssen,
wird man ihn eher an die Chirurgie überweisen.
Michel DUFOUR
Die Dauer einer Krankschreibung ist für uns ein wichtiges
Anliegen. Bei den von Ihnen beschriebenen Verfahren
wird die Dauer der Krankschreibung dann wohl nicht
dieselbe sein wie bei einer Operation, oder?
Emile FERRARI
Alles hängt von der Ausgangslage ab, die zur Angioplastie
geführt hat. Im Falle eines Myokardinfarktes begründet
nicht der medizinische Eingriff die Krankschreibung,
sondern die Erkrankung, nämlich der Infarkt. Zwischen
dem Zeitpunkt, an dem der Patient den Schmerz verspürt
und dem Zeitpunkt, an dem er in der Kardiologie eintrifft,
ist der Infarkt vorangeschritten. Ab dem Zeitpunkt, an
dem der Patient behandelt wird, wird der laufende Infarkt
sozusagen abgebrochen, aber die bereits entstandenen
Läsionen am Herzmuskel können nicht mehr rückgängig
gemacht werden. Zwar bleibt dem Patienten ein großer
Infarkt erspart, aber nichtsdestoweniger erleidet er einen
Infarkt. Und im Falle eines Infarktes muss man einen bis
mehrere Monate Krankschreibung einplanen. Wenn ein
Patient hingegen am Montag in die Praxis kommt und
sich am Tag darauf aufgrund einer Belastungsangina
oder sogar einer Ruheangina einer Ballondilatation unterzieht, könnte er nach drei Tagen Krankschreibung
wieder arbeiten gehen. Es kann vorkommen, dass ein
Patient versucht, mehr herauszuholen, aber es ist nicht
unbedingt gerechtfertigt, bei einer Angioplastie eine
Krankschreibung von 3 Monaten zu verordnen.
Focus
Koronare Herzkrankheit (KHK): ein neuer
Blickwinkel
Dr. med. John EVANS. Gesellschaftsarzt, SCOR Global Life
Mortalitätsrückgang bei den koronaren
Herzerkrankungen
Der Mortalitätsrückgang bei der Koronaren Herzkrankheit
(KHK) ist der eigentliche Anlass für unsere Veranstaltung.
Dieser Rückgang wurde erstmals Ende der Siebziger Jahre
in den Vereinigten Staaten festgestellt. Die WHO hat
daraufhin ein internationales Projekt, das sogenannte
MONICA-Projekt, konzipiert, das die Tendenzen der HerzKreislauf-Mortalität in 21 Ländern untersuchen sollte.
Mehrere Ergebnisse sind überraschend:
Die großen geographischen Unterschiede bei der
KHK-Mortalitätsrate.
Dabei bilden Tschechien und die Slowakei sowie
Russland das Schlusslicht. In Japan hingegen gibt es
eine relativ niedrige Sterberate für die KHK.
Die Mortalitätsrate von Frauen liegt konstant unter
der der Männer.
Seit den Sechziger Jahren ist in den meisten
Industrieländern die durch KHK bedingte Mortalität
deutlich zurückgegangen, während sie in den osteuropäischen Ländern angestiegen ist.
In den nordeuropäischen Ländern ist die Sterberate
höher als in den südeuropäischen, weshalb auch der
umstrittene Begriff des „französischen Paradoxes“
geprägt wurde. Zwar ist die Sterblichkeit in
Frankreich tatsächlich niedriger, allerdings ist sie in
Lille in Nordfrankreich höher als in Toulouse in
Südfrankreich.
Es gibt die Prävalenz erhöhende Faktoren für die Koronare
Herzkrankheit, die je nach Population variieren, aber die
verbesserte Überlebensrate kann auch durch die
Leistungsverbesserung der medizinischen Teams erklärt
werden. Wie dem auch sei, das klassische Modell einer
durch Umweltfaktoren verschärften genetischen Prädisposition für Arteriosklerose mit zum Tod führenden klinischen Komplikationen wird heute in Frage gestellt. Man
kann davon ausgehen, dass Primär- und Sekundärprophylaxe, auch zum Teil dank der medikamentösen
Behandlung, den Trend in Bezug auf den Zusammenhang
zwischen klinischen Komplikationen und Sterblichkeit
umkehren werden. Die Versorgung von Patienten mit
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
akutem Koronarsyndrom wird die Zahl der Todesfälle
ebenfalls verringern.
Tarifgestaltung bei der Koronaren
Herzkrankheit (KHK)
Unsere Überlegungen zu den koronaren Herzerkrankungen
haben zu keiner grundlegenden Änderung geführt.
Wir haben gesehen, dass mit dem Myokardinfarkt und
dem akuten Koronarsyndrom akute Probleme assoziiert
sind, die zu einer relativ hohen vorzeitigen Mortalität
führen. Bis zur Erreichung einer klinischen Stabilität lautet
die oberste Maxime bei der Tarifierung von koronaren
Herzerkrankungen die Zurückstellung der Antragsannahme.
Wir raten Ihnen, die Antragsannahme um mindestens
6 Monate nach Auftreten eines akuten koronaren
Ereignisses (instabile Angina pectoris, Infarkt, Angioplastie,
koronarer Bypass) zurückzustellen. Nach 6 Monaten
fordern wir dann vom behandelnden Arzt oder vom
Kardiologen einen kardiovaskulären Befund zur
Beurteilung einer eventuellen Stabilisierung an, um das
Risiko eines vorzeitigen Todes auszuschließen und uns die
Auswahl der besten Risiken zu ermöglichen. Einige meiner
Ausführungen mögen überholt erscheinen, aber heutzutage besteht die Schwierigkeit der Tarifierung nicht im
Hinblick auf die akute, sondern auf die chronische
koronare Herzerkrankung. Im Rahmen unserer Risikoeinschätzung müssen wir also Faktoren identifizieren, die
sich negativ auf die längerfristige Mortalität infolge eines
akuten Herzereignisses auswirken.
Schweregrad der Koronaren Herzerkrankung
Der erste bei der Risikobeurteilung zu berücksichtigende
Aspekt ist der Schweregrad der Koronaren Herzerkrankung.
Dieser Schweregrad kann mittels Koronarographie (Herzkatheteruntersuchung) beurteilt werden. Der CASS-Studie
zufolge, in der die Überlebensrate nach 8 und 15 Jahren
untersucht wurde, gibt es diesbezüglich klare Unterschiede
sowohl nach 8 als auch nach 15 Jahren, je nachdem, ob
die Patienten an einer koronaren Eingefäßerkrankung
oder einer koronaren Dreigefäßerkrankung litten. Die
proximale Stenose des Hauptstammes der linken Koronararterie ist von unserer Beurteilung ausgenommen, da
sie kardiologisch gesehen ein Dringlichkeitsfall ist, der
23
eine Bedrohung für ein großes Myokardareal darstellt und
die sofortige Revaskularisierung erfordert. Die CASSStudie, eine der wenigen Studien mit Langzeitbeobachtung,
zeigt eine unterschiedliche Überlebensrate der Patienten,
je nachdem, wie viele Arterienstämme betroffen waren.
Betrachtet man die Überlebensrate nach 6 Jahren, ist die
Schwere der Erkrankung von weitaus größerer Bedeutung
als die ursprünglich angewandte Behandlungsmethode.
Bei Patienten mit Eingefäßerkrankung ist die 6-JahresÜberlebensrate nach Angioplastie, Koronarbypass oder
medikamentöser Therapie gleich hoch. Ein kleiner
Unterschied bei der Kurzzeit- und der mittelfristigen
Überlebensrate besteht bei operierten Patienten mit
Dreigefäßerkrankung. Aber die Langzeitüberlebensrate
von Bypasspatienten oder medikamentös therapierten
Patienten ist gleich, wahrscheinlich aufgrund der allmählichen Obstruktion der Bypässe.
Linke Ventrikelfunktion
Der zweite Aspekt bei der Risikoeinschätzung ist die linke
Ventrikelfunktion. Die Auswurf- oder auch Ejektionsfraktion ist das Verhältnis zwischen dem ausgeworfenen
Blutvolumen und dem enddiastolisch vorhandenen
Füllungsvolumen des linken Ventrikels. Sie kann während
einer Herzkatheteruntersuchung mittels Ventrikulographie bestimmt werden. Im Langzeitverlauf kann sie mit
Hilfe der Radionuklid-Ventrikulographie oder häufiger
mittels Echokardiographie beurteilt werden.
Die Ergebnisse der CASS-Studie haben gezeigt, dass die
8-Jahres-Überlebensrate bei Patienten mit normaler
Ejektionsfraktion signifikant höher ist als die von Patienten
mit anormaler Ejektionsfraktion, unabhängig davon, wie
viele Koronararterienstämme betroffen waren. Die
Sterberate nach 12 Jahren steigt, wenn sich die Funktionsbeeinträchtigung verschlimmert. Darüber hinaus können
Patienten mit Herzinsuffizienz aufgrund der 5-JahresMortalitätsrate keine Lebensversicherung abschließen.
Leistungskapazität
Der dritte Schritt der Risikoeinschätzung besteht in der
Beurteilung der körperlichen Belastbarkeit und des
Leistungsvermögens von Patienten nach ihrem akuten
Herzereignis, insbesondere mit Hilfe eines Belastungs-EKGs.
Innerhalb eines Patientenkollektivs mit normaler
Belastungsfähigkeit, unabhängig davon, ob es sich um
Patienten mit oder ohne kardiovaskuläre Erkrankungen
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
handelt, ist das relative Todesfallrisiko selbst nach
Altersbereinigung bei den Patienten mit den schlechtesten
Leistungen viermal höher. Das ist keine neue Erkenntnis:
Schon Darwin erwähnte diesen Punkt in seiner Abhandlung über die Entstehung der Arten. In der oben erwähnten
CASS-Studie wurde die Überlebensrate von Patienten,
deren Belastungsfähigkeit durch Ergometrie quantifiziert
worden war, über einen längeren Zeitraum beobachtet.
Die am wenigsten leistungsfähigen Patienten haben eine
Überlebenskurve, die konstant unter der von Patienten
mit normalen Ergometrieergebnissen liegt.
Tarifierungsgrundsätze
Auf der Grundlage der Koronarographie, der linksventrikulären Ejektionsfraktion und des Belastungs-EKGs
erhalten wir einen Basistarif. Dieser Tarif verändert sich
in Abhängigkeit einer Reihe von Prognosefaktoren, wobei
Rauchen sicherlich der wichtigste Faktor ist. Normalerweise
wird Rauchen in unseren Anträgen nicht als ein das
Mortalitätsrisiko erhöhender Faktor angesehen, sofern
der Konsum ein Zigarettenpäckchen pro Tag nicht übersteigt. Hört allerdings ein Patient, der bereits ein kardiovaskuläres Ereignis hatte, nicht ganz mit dem Rauchen
auf, muss das in der Tarifierung berücksichtigt werden,
selbst wenn er nur eine oder zwei Zigaretten pro Tag
raucht. Ein erhöhter Cholesterinspiegel (Hypercholesterinämie), Bluthochdruck (Hypertonie) und Diabetes
wirken sich ebenfalls auf die Tarifierung aus. Im Übrigen
ist die Versicherung von Diabetikern mit KHK kostspielig.
Berücksichtigt werden kann auch der Erbfaktor, wenn
einer der Elternteile des Antragstellers vor dem 60.
Lebensjahr von einer Herz-Kreislauf-Erkrankung betroffen
war. Die Art der Behandlung des Antragstellers wird
ebenfalls mit einbezogen, insbesondere im Hinblick auf
die vier wichtigsten Medikamente, nämlich Aspirin, ACEHemmer, Statine und Betablocker.
Als Grundsatz gilt demnach bei der Tarifierung die
Zurückstellung bis zur Konsolidierung des Zustandes.
Anschließend erfolgt eine Prüfung der medizinischen
Risiken auf der Grundlage eines speziellen Fragebogens
für Koronarerkrankungen. Es wird ebenfalls empfohlen,
den Krankenhausbericht mit den Ergebnissen der
Koronarographie und den Angaben zur Therapie, den
während der Akutphase aufgetretenen Komplikationen
und den Befund der Nachsorgeuntersuchung durch den
behandelnden Kardiologen anzufordern. Die letztgenannte Untersuchung sollte ein Belastungs-EKG nach drei
Focus
oder sechs Monaten sowie eine Beurteilung der linken
Ventrikelfunktion mittels Echokardiographie beinhalten.
Die Tarifierung der Lebensversicherung bei nicht revaskularisierten Stenosen des linken Hauptstammes muss gesondert erfolgen, das gleiche gilt für Personen mit starker
Beeinträchtigung der linksventrikulären Funktion. Denn
man weiß, dass ein Verlust an Myokardleistung irreversibel ist. Der Basistarif wird auf der Grundlage der
Prognosefaktoren angepasst. Aspekte für eine gute
Prognose sind insbesondere eine geringe Beeinträchtigung
der Koronargefäße mit guter linksventrikulärer Funktion,
keine Restischämie (Nachweis im Rahmen einer
Belastungsuntersuchung),
die
Beeinflussung
der
Risikofaktoren, die zur Primärerkrankung geführt haben
und die Einhaltung der medikamentösen Therapie
(Compliance).
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass sich
die Arteriosklerose nicht nur auf das Geflecht der
Herzkranzgefäße beschränkt. Die BARI-Studie zur Revaskularisation mittels Bypassoperation oder Angioplastie
(PTCA) zeigt, dass die Übersterblichkeit von Patienten mit
Befall der Karotiden (Halsschlagadern) oder der Arterien
der unteren Gliedmaßen im Vergleich zu Koronarpatienten, bei denen keine der oben genannten Arterien
beeinträchtigt sind, bei 200 % liegt. Kommen beide
Arterienläsionen zur koronaren Herzerkrankung hinzu,
liegt die Übersterblichkeit bei 400 % und somit an der
Grenze der Versicherbarkeit.
Tarifgestaltung im Bereich
Erwerbsminderung
und Erwerbsunfähigkeit
Die Darstellung dieser Thematik ist aufgrund der zahlreichen Faktoren, die sich auf die Dauer der Krankschreibung
oder einen Erwerbsminderungsantrag auswirken, sehr
schwierig. Es ist offensichtlich, dass sich eine Bypassoperation nach einem Herzinfarkt anders auf die Berufsund Erwerbsunfähigkeit bzw. die Erwerbsminderung
auswirkt als eine PTCA infolge einer instabilen Angina
pectoris, bei der eine Krankschreibung von 3, 5 oder
7 Tagen erforderlich ist.
Bei der Risikoeinschätzung muss der Verlust an
Leistungsfähigkeit beurteilt werden, d.h. man muss
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
feststellen, woran der Patient leidet. Dabei muss seine
Belastungsfähigkeit beurteilt sowie abgeklärt werden, ob
er an einer kardialen Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen hat. Zur Beurteilung der körperlichen
Leistungsfähigkeit verwendet man die Ergebnisse eines
Belastungs-EKGs, die zeigen, ob der Patient ein niedriges,
mittleres oder hohes Risiko hat. Die Ausprägung der
maximalen Sauerstoffaufnahme, VO2max genannt,
belegt die Ausdauerleistungsfähigkeit. Es ist sinnvoll
abzuklären, ob der Patient an einer Ruheischämie oder
einer Belastungsischämie leidet und ob unter Belastung
Herzrhythmusstörungen auftreten. In sehr gut ausgestatteten Zentren kann man sogar die Ergebnisse der
Blutgasuntersuchung erhalten.
Prognosen und assoziierte Risikofaktoren treten in
Wechselwirkung zueinander. Folglich wird man die Art
der Beschäftigung und die Arbeitsbedingungen berücksichtigen. Denn eine Person, die in einem stressbeladenen
Umfeld arbeitet und unter Bluthochdruck leidet, hat ein
höheres Erwerbsminderungs- oder Erwerbsunfähigkeitsrisiko. Persönliche Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle: das
Alter, aber auch psychologische oder soziale Faktoren.
Depression ist ein sehr wichtiger Komorbiditätsfaktor.
Sogar die Motivation des behandelnden Arztes hat einen
Einfluss: manche wollen zu Unrecht nicht, dass der Patient
wieder seiner Beschäftigung nachgeht. Die Art der Arbeit,
insbesondere wenn sie körperlich anstrengend ist, muss
ebenfalls berücksichtigt werden. Bestimmte Arbeitsplätze
können sogar gesundheitsschädlich sein. So verursacht
Nachtarbeit physiologische Veränderungen und erschwert
die Fortsetzung einer medikamentösen Therapie.
Die Entscheidung über die Wiederaufnahme der
Beschäftigung wird durch die Arbeitsmedizin unterstützt,
die dazu beitragen kann, dass bestimmte Arbeitsplätze
oder die Arbeitszeiten umgestaltet werden.
In Anbetracht der zahlreichen Faktoren ist es schwierig,
eine auf alle Fälle zutreffende Tarifierung vorzuschlagen.
Es liegt auf der Hand, dass der klinische Zustand eines
Antragstellers stärker ins Gewicht fällt, wenn er LkwFahrer oder Pilot ist. Im Falle einer Funktionsstörung ist es
wahrscheinlicher, dass der Antrag auf Erwerbs- bzw.
Berufsunfähigkeit oder Erwerbsminderung positiv
beschieden wird, da diese Menschen eine zu große
berufliche Verantwortung tragen. Es gibt Herzrhythmusstörungen, die aus medizinischer Sicht bei Fließbandarbeitern Synkopen (Ohnmachtsanfälle) mit tödlichem
Ausgang verursachen können. Auf das Thema Herzschrittmacher werde ich nicht eingehen, da die neuen Geräte
Magnetfeldern gegenüber unempfindlich sind.
25
Besonderheiten des Versicherungsvertrages führen
bisweilen zu verlängerten Krankschreibungen. Das ist
insbesondere dann der Fall, wenn die gezahlten
Leistungen sehr hoch sind, die Leistungsdauer lang und
die Dauer der Selbstbeteiligung kurz ist. Das Risiko
eines Schadenfalles ist bei einer kurzen Dauer der
Selbstbeteiligung höher als bei einem Selbstbehalt von
90 Tagen.
Das Alter der Person ist ein wesentlicher Faktor. Je näher
der Antragsteller am Renteneintrittsalter ist, umso
geringer wird seine Motivation sein, seine Beschäftigung
wieder aufzunehmen. Die Beurteilung der Erkrankung ist
ebenfalls äußerst wichtig, um einschätzen zu können, ob
der Betreffende körperlich belastbar ist oder nicht, was
von seiner linken Ventrikelfunktion abhängt. Die Dauer
der Krankschreibungen während der Wartezeit auf zusätzliche Versicherungsleistungen ist ein weiterer Aspekt, der
berücksichtigt werden muss.
Tarifgestaltung im Bereich Pflegerisiko
Wenn die betroffene Person nicht pflegebedürftig ist,
zieht ein akutes Koronarsyndrom in der Anamnese nur
einen gemäßigten, mit dem kardiovaskulären Risiko
zusammenhängenden Prämienzuschlag nach sich. Selbst
wenn solche Menschen pflegebedürftig werden, wissen
wir aus Erfahrung, dass die Dauer der Rentenzahlung,
zumindest bei vollständiger Pflegebedürftigkeit, relativ
kurz ist.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Fazit
SCOR Global Life verfügt über eine Tarifierungshilfe für
die Koronare Herzkrankheit, die sich auf die Analyse der
letzten Koronarographie, der linken Ventrikelfunktion,
der letzten Belastungsuntersuchung und die prognostischen Risikofaktoren stützt. Wir hoffen, dass dieser Ansatz
eine angemessenere Tarifgestaltung ermöglicht, die dem
tatsächlichen Risiko, das diese Patienten heute darstellen,
besser entspricht.
Focus
Herzklappenerkrankungen (Herzklappenvitien)
Bestandsaufnahme: Überblick über bei
SCOR Global Life angenommene
Versicherungsanträge und ihre Tarifgestaltung
Dr. med. Patrick MALAMUD. Gesellschaftsarzt, SCOR Global Life
Angeborene Herzklappenerkrankungen
Diese Erkrankungen kommen seit ca. 10 Jahren in zahlreichen Anträgen vor und weisen eine mit dem klinischen
Bereich vergleichbare Verteilung auf. Die Geschlechterverteilung ist ausgeglichen.
Das Höchstalter ist 85 Jahre (wahrscheinlich aus einem Pflegeversicherungsantrag). Aus dem Altershistogramm ergibt
sich ein mittleres Alter von ca. 45-49 Jahren.
Die Mitralklappeninsuffizienz ist die häufigste Erkrankung
im Bereich der erhöhten Risiken. Für diese Population
gab es nur 20 Ablehnungen bei 50 Zurückstellungen (von
denen 3 rein administrativ bedingt waren). Die Unterlagen
unserer Zedenten waren also sehr sorgfältig zusammengestellt. Begleiterkrankungen haben eine starke Auswirkung auf die Tarifierung dieser Kardiopathien. In diesem
Zusammenhang stellt man eine statistische Dominanz
der
Herzrhythmusstörungen
und
des
arteriellen
Bluthochdrucks fest. Es sind relativ wenige Koronarerkrankungen darunter.
302 Unterlagen behandeln einen Mitralklappenprolaps
(Barlow-Syndrom), insgesamt wurden 232 Anträge
tarifiert; Ablehnungen waren insgesamt relativ selten
(7 % aller Anträge). Bei dieser Erkrankung war das
niedrigste und das Durchschnittsalter etwas geringer als
bei der Mitralklappeninsuffizienz insgesamt. Begleiterkrankungen sind in der Regel nicht schwerwiegend.
Relativ wenige Antragsunterlagen erwähnen eine Mitralklappenstenose, nämlich nur 31 in 10 Jahren. In Anbetracht
eines so kleinen Kollektivs ist es folglich äußerst
schwierig, irgendwelche Schlüsse zu ziehen.
Mitralklappenerkrankungen (gleichzeitiges Auftreten von
Insuffizienz und Verengung) wurden in 37 Anträgen
erwähnt, auch diese Zahl ist relativ gering. Aus dieser
zahlenmäßig kleinen Population lassen sich weder signifikante altersspezifische Erkenntnisse, noch wichtige
Schlüsse bezüglich Begleiterkrankungen ableiten.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Das Thema Aortenklappenfehler tauchte dagegen in
äußerst zahlreichen - insgesamt 560 - Antragsunterlagen
auf. Die Mehrheit der Antragsteller leidet zudem an
Begleiterkrankungen. Die meisten sind von einer Aortenklappeninsuffizienz oder kurz Aorteninsuffizienz betroffen. Uns ist aufgefallen, dass der Anteil der Zurückstellungen
mit 23,2 % sehr hoch war. Nur ein unerheblicher
Teil dieser Zurückstellungen erfolgte aus administrativen,
d.h. nicht medizinisch bedingten Gründen.
Die Aortenklappeninsuffizienz tauchte in 333 Anträgen
auf, von denen 15 abgelehnt und 61 zurückgestellt
wurden. Das Geschlechterverhältnis ist charakteristisch in
Anbetracht der Selektionsverzerrung (selection bias) bei
Lebensversicherungen. Zwei oder sogar drei Unterpopulationen können voneinander abgegrenzt werden.
Bei dieser Erkrankung gibt es wenig sehr alte Menschen.
Begleiterkrankungen wie erhöhter Cholesterinspiegel
und arterieller Bluthochdruck kommen häufig vor. Es gab
auch 16 Fälle mit angeborenen Begleiterkrankungen.
Begleitende Herzrhythmusstörungen sind sehr selten.
Außerdem wurde die Aortenklappenstenose in den
Unterlagen von 67 Antragstellern erwähnt. Die Verteilung
war relativ ausgeglichen. Degenerative Begleiterkrankungen wie arterieller Bluthochdruck und erhöhter
Cholesterinspiegel dominieren. Es gab nur sehr wenige
angeborene Begleiterkrankungen.
In den Anträgen war bei den Aortenklappenerkrankungen eine Kombination von Aortenklappeninsuffizienz
und- stenose selten. Ablehnungen waren sehr häufig und
das Geschlechterverhältnis ist auch hier stark zugunsten
der Männer verschoben.
Erkrankungen, bei denen Mitral- und Aortenklappenerkrankungen gleichzeitig auftraten, gab es in den
Antragsunterlagen kaum, 75 um genau zu sein. 30 davon
wurden aufgrund eines medizinischen Problems, auf das
wir später noch eingehen werden, zurückgestellt. Das
Durchschnittsalter beträgt 48 Jahre, wobei die Verteilung
der Populationen nicht signifikant war. Eine Darstellung
der Begleiterkrankungen hätte in Anbetracht der sehr
geringen Fallzahl ebenfalls keinen Sinn.
27
Patienten mit Herzklappenprothese
Bei den Antragsunterlagen, in denen eine Herzklappenprothese erwähnt wurde, können zwei Unterpopulationen gebildet werden, je nachdem, ob die
Antragsteller eine biologische oder eine synthetische
Klappenprothese erhalten haben.
Uns hat etwas überrascht, dass die Gruppe der Träger
einer biologischen Prothese 686 Personen umfasst. Diese
Gruppe ist also die größte, obwohl mehr mechanische
als biologische Prothesen eingesetzt werden. Seit
10 Jahren dominieren nämlich die künstlichen Klappen
in den Therapieverfahren. In den Unterlagen haben
382 Antragsteller eine künstliche Klappe, davon 201 eine
Mitral- und 181 eine Aortenklappenprothese. Das
niedrigste Alter und das Durchschnittsalter der Antragsteller sind relativ gering.
Aufgrund der oben genannten Selektionsverzerrung ist
auch hier das Geschlechterverhältnis stark zugunsten der
Männer verschoben. Das Altershistogramm der Population
bedarf keines besonderen Kommentars. Dagegen sind
Begleiterkrankungen häufiger und schwerwiegender als
in der Gruppe der Träger einer Bioprothese. Zu erwähnen
sind insbesondere folgende Erkrankungen:
21 Antragsteller mit arteriellem Bluthochdruck,
21 Antragsteller mit Herzrhythmusstörungen,
18 Antragsteller mit erhöhtem Cholesterinspiegel,
15 Diabetiker.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Der Gesundheitszustand dieser Antragsteller ist also insgesamt etwas weniger gut als der der Träger einer biologischen Prothese.
Zurückstellungen waren im Wesentlichen auf fehlende
medizinische Informationen zurückzuführen. Bei den
fehlenden Angaben von Antragsstellern mit Herzklappenerkrankungen steht an erster Stelle die Echokardiographie, die eine Überprüfung der Funktionsfähigkeit der
Prothese und ganz allgemein eine Beurteilung der
Herzfunktion ermöglicht. Im Übrigen wird in Zukunft eine
größere Menge an verfügbaren Daten die Bearbeitung
von zahlreicheren Fällen ermöglichen. Der Träger einer
Herzklappenprothese wird ein- oder zweimal im Jahr von
seinem Kardiologen untersucht.
Folglich kann auch die Zahl der Zurückstellungen reduziert
werden. Ist der Echokardiographiebefund von vornherein
verfügbar, kann die Tarifierung eines Antrags in Erwägung
gezogen werden.
Focus
Doppler-Echokardiographie:
Schlüsseluntersuchung bei
Herzklappenerkrankungen
Dr. med. John EVANS. Gesellschaftsarzt, SCOR Global Life
Die Echokardiographie hat, was manchmal verkannt
wird, eine entscheidende Bedeutung bei der Diagnose
einer Herzklappenerkrankung und der Festlegung der
Behandlungsstrategien.
Schall hat einen Wellencharakter. Wenn wir sprechen,
erzeugen wir Töne durch Vibration der Stimmbänder,
deren Schwingungen durch Verdichtung und Verdünnung
auf die Luftmoleküle übertragen werden. Diese Wellen
können nach Frequenzen quantifiziert werden, die in
der nach dem bekannten deutschen Physiker benannten
Einheit Hertz gemessen werden. 1 Hertz (Kurzzeichen
Hz) entspricht einer Schwingung pro Sekunde. Im Bereich
des Ultraschalls spricht man von Megahertz, wobei 1
MHz einer Million Schwingungen pro Sekunde entspricht.
Die menschliche Hörschwelle liegt bei 16 000-20 000 Hz
pro Sekunde, also bei 16-20 Kilohertz.
Die Echokardiographie
Sehr hochfrequente Schallimpulse können, ähnlich wie
der Lichtstrahl einer Taschenlampe, auf ein Ziel ausgerichtet werden. Diese Eigenschaft ist für uns von großem
Interesse. Die Schallimpulse folgen dem gleichen
Reflexions- und Brechungsgesetz wie Licht, wenn sie auf
Objekte mit unterschiedlicher Dichte treffen. Die von einer
physikalischen Grenzfläche reflektierten Wellen sind für
den Mediziner äußerst aussagekräftig.
Diese Echos ermöglichen eine Analyse der Anatomie und
der Funktionsfähigkeit des Herzens. Bei einer
Ultraschalluntersuchung wird die Ultraschallsonde, auch
Schallkopf genannt, zunächst auf dem Brustkorb des
Patienten angesetzt. Der elektrische Impuls eines
Hochfrequenzgenerators wird im Schallkopf mit dort
angeordneten Kristallen durch den piezoelektrischen
Effekt in einen Schallimpuls – einen kurzen Wellenzug –
umgesetzt und ausgesendet. Die so erzeugten
Ultraschallwellen werden durch das Herz gesendet und
von jeder Grenzfläche mit einer anderen physikalischen
Dichte unterschiedlich reflektiert bzw. gestreut. Die reflektierten Ultraschallwellen (die „Echos“) laufen zur Sonde
zurück und bringen die Kristalle zum Schwingen, so dass
ein elektrischer Strom entsteht, der wiederum in ein Bild
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
umgesetzt wird. Ähnlich wie ein Sonar die Tiefen des
Meeres sondiert (der Schallwandler befindet sich in diesem
Fall im Kiel des Schiffes), erkundet der Arzt die Topographie
des Herzens. Kennt man die Ausbreitungsgeschwindigkeit
der Ultraschallwellen, kann man durch Messen der Laufzeit
der reflektierten Signale die Tiefe der reflektierenden
Struktur rekonstruieren. Der darauf folgende Schallimpuls
wird durch Schwenken der Sonde in eine leicht andere
Richtung ausgestrahlt. Dadurch scannt die Sonde einen
bestimmten Bereich des Körpers und erzeugt ein anatomisches Schnittbild des Herzens. Im Längsschnitt kann man
die Aorta, den linken Vorhof, die Mitralklappe und die
linke Herzkammer darstellen. Außerdem kann die Anzahl,
die Verdickungen und die Beweglichkeit der Klappensegel
der Aorta ermittelt werden sowie überprüft werden, ob
sie noch intakt sind. Darüber hinaus kann die Beweglichkeit
der Mitralklappe beurteilt oder die Größe der linken
Herzkammer (linker Ventrikel) bestimmt werden. Im
Längsschnitt kann man gegebenenfalls auch einen
Perikarderguss erkennen.
Aus dieser zweidimensionalen Schnittdarstellung (2-DBild) ist eine Linie bzw. ein Ultraschallstrahl zur näheren
Analyse auszuwählen. Man erhält eine eindimensionale
Echographie, auch Time-Motion-Mode, TM-Mode oder
kurz M-Mode genannt. Im TM-Mode ist die Auflösung
besser, was die Berechnung der Ausdehnungen der
Hohlräume erleichtert.
Der TM-Mode und die 2-D-Echographie liefern demnach
zahlreiche Informationen:
Dimension der Hohlräume in der Systole und der
Diastole,
Kontraktilitätsindex des linken Ventrikels,
Wanddicken,
Klappenmorphologie.
Mit einem Querschnitt durch den linken Ventrikel
kann die Kontraktion der Wände des Herzens quantifiziert werden. Im TM-Mode werden enddiastolische
und endsystolische Messungen vorgenommen, um die
Kontraktilität des Herzens zu berechnen. Dieser Wert
ist einer der ausschlaggebenden Faktoren bei der
Therapieentscheidung.
29
Der Doppler-Effekt
Als Dopplereffekt, der nach dem im 19. Jahrhundert
lebenden österreichischen Astrophysiker und Mathematiker Doppler benannt ist, bezeichnet man die
Veränderung der wahrgenommenen bzw. gemessenen
Frequenz von Wellen jeder Art, während sich Quelle
und Beobachter einander nähern oder voneinander
entfernen, d.h. relativ zueinander bewegen. Schallwellen,
die von einer sich der Signalquelle nähernden Grenzfläche
reflektiert werden, werden komprimiert, wodurch sich
die wahrgenommene Frequenz erhöht. Entfernt sich der
Reflektor von der Signalquelle, werden die Schallwellen
länger und die gemessene Frequenz verringert sich. Die
Polizei macht sich diesen Dopplereffekt ebenfalls bei der
Geschwindigkeitskontrolle von Fahrzeugen zunutze. In
der Medizin werden die Schallwellen nicht von Autos,
sondern von Blutkörperchen reflektiert. Die Blutkörperchen, die sich von der Ultraschallsonde entfernen,
verschieben die Frequenzwerte nach unten. Die sich
nähernden Blutkörperchen erhöhen die gemessenen
Frequenzwerte dagegen.
Doppler hat festgestellt, dass die wahrgenommene
Frequenzverschiebung zum Quellsignal in einem
Verhältnis zur Geschwindigkeit des Reflektors steht.
Gemäß der Doppler-Formel hängt die Geschwindigkeit
des untersuchten Blutflusses mit der Differenz zwischen
der Sendefrequenz der Schallwellen und der vom
Schallkopf
empfangenen
reflektierten
Frequenz
zusammen. Diese Frequenzverschiebung nennt man
Dopplerfrequenz (fD).
Die einzige weitere Variable ist der Beschallungswinkel,
d.h. der Winkel zwischen der Bewegungsachse der
Blutkörperchen (Reflektor) und der Untersuchungsachse
(Schallquelle). Der Mediziner kann diese Variable
vernachlässigen, da man für den Beschallungswinkel im
Idealfall 0° bzw. 180° wählt, da dann der Kosinus von
Theta, der in die Berechnung der Frequenzverschiebung
eingeht, gleich 1 ist und in der Formel vernachlässigt
werden kann.
Wenn die Blutstromgeschwindigkeit bekannt ist und
man mit der 2-D-Echographie die Querschnittsflächen im
ausgewählten Bereich bestimmt, kann man sich physikalisch die Blutdurchflussmengen erschließen. Diese
Durchflussmengen werden aus bestimmten Regeln der
Hydraulik, der Lehre vom Strömungsverhalten von
Flüssigkeiten, abgeleitet. Gemäß der Kontinuitäts-
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
gleichung ist die Durchflussmenge an zwei unterschiedlichen Orten konstant. Wenn man also die Querschnittsfläche und die Blutflussgeschwindigkeit an einem Ort
kennt und die Blutflussgeschwindigkeit an einem zu
untersuchenden Ort misst, kann man daraus eine unbekannte Fläche ableiten. Diese Erkenntnis wird tagtäglich
bei der Beurteilung von Herzklappenstenosen angewendet, was manchmal nicht ganz einfach ist. Je ausgeprägter
die Stenose ist, umso kleiner ist die Klappenöffnungsfläche. Das ist also eine Anwendung des Dopplereffekts
bei der Analyse von Auswirkungen von Klappenfehlern.
Eine andere Anwendung haben wir Bernoulli zu
verdanken, der das Verhältnis zwischen der Druckdifferenz
auf beiden Seiten einer Verengung und der
Fließgeschwindigkeit eines Fluids untersucht und diese
Differenz zur Geschwindigkeit im Quadrat in Beziehung
gesetzt hat. Das entspricht der Berechnung des
Druckgradienten. Auf der Eintrittsseite einer Verengung
nimmt die Fließgeschwindigkeit ab, der Druck hingegen
steigt, auf der Austrittsseite nimmt die Geschwindigkeit
zu und der Druck sinkt. Auf der Eintrittsseite wandelt
sich die Bewegungsenergie eines Fluids in eine potenzielle
Energie um. Misst man die maximale Blutflussgeschwindigkeit an der Austrittsseite einer Stenose, kann
man den Druckgradienten zwischen beiden Seiten der
Verengung quantifizieren. Je enger die Stenose ist, umso
größer werden Fließgeschwindigkeit und Druckgradient.
Dank dieser Techniken, die den Dopplereffekt nutzen,
erhält der Arzt äußerst wertvolle Daten über die Blutflussgeschwindigkeiten innerhalb des Herzens. Im Falle einer
Stenose sind die gemessenen Werte anormal.
Die Echographie, auch Sonographie genannt, liefert also
folgende Daten:
Informationen zur Herzmorphologie und -anatomie
Bestimmung der Klappenöffnungsflächen
(Planimetrie)
Bestimmung der Ausdehnungen der Hohlräume
und der Wanddicke
Im Fall einer Mitralklappenstenose ist der Abstand
zwischen hinterem und vorderem Klappensegel gering.
Zudem ist eine Dilatation des linken Vorhofs zu
erkennen.
Das Dopplerverfahren ermöglicht es, den Wert der
Druckgradienten anzugeben und die Funktionsflächen
zu berechnen. In der Regel gilt: Je größer der Druckgradient, umso stärker die Ausprägung der Stenose.
Focus
Bei Mitralklappenfehlern kann durch die Messung
der pulmonalen Blutdruckverhältnisse die Auswirkung
des Druckgradienten bestimmt werden. Eine Mitralklappenstenose hat eine direkte Auswirkung auf den pulmonalvenösen Rückstrom zum Herz. Hier ist ein Beispiel
für eine mittels Dopplerechokardiographie dargestellte
Mitralklappenverengung, die durch eine Blutflussgeschwindigkeit von 2 m pro Sekunde gekennzeichnet ist
(normalerweise ist die Geschwindigkeit < 1 m/s), wobei
die Flussgeschwindigkeit während der gesamten Diastole
erhöht bleibt. Wenn man den Flächeninhalt unterhalb
der Geschwindigkeitskurve planimetriert, kann man den
mittleren Druckgradienten messen. In diesem Beispiel
beträgt er 12 mm Quecksilbersäule.
Im Falle einer Klappeninsuffizienz (unzureichender
Klappenschluss) ermittelt der Arzt die gleichen anatomischen Informationen im TM- und im 2-D-Mode. Die untersuchende Person überprüft vielmehr den linken Ventrikel
und den Vorhof, die infolge der Mitral- oder der Aortenklappeninsuffizienz ein erhöhtes Blutvolumen verarbeiten
müssen. Liegt eine Insuffizienz vor, wird meist eine
semiquantitative Beurteilung per Dopplerecho vorgenommen. Die Insuffizienzen werden vom Kardiologen
klassifiziert und in verschiedene Schweregrade eingeteilt.
Im Dopplerverfahren gibt es keinen Parameter, der für
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
sich alleine genommen zur Beurteilung einer
Klappeninsuffizienz ausreichen würde, im Unterschied
zum Druckgradienten und zur Klappenöffnungsfläche bei
der Beurteilung von Stenosen.
Mit Hilfe einer über die Speiseröhre eingeführten flexiblen schlauchähnlichen Ultraschallsonde können bei der
transösophagealen Echokardiographie (kurz TEE oder
Schluckecho genannt) die Herzstrukturen von hinten
dargestellt werden. Dieses Verfahren ist sehr nützlich für
die Untersuchung der Klappen über den linken Vorhof,
insbesondere bei Patienten mit einer Mitralklappenprothese.
Es steht außer Frage, dass die dopplergestützte
Echokardiographie in der medizinischen Praxis auch in
Zukunft nützlich sein wird. Diese Untersuchungsmethode
ist schnell, nichtinvasiv, reproduzierbar und relativ kostengünstig.
Allerdings gibt es auch Nachteile: das Verfahren ist untersucherabhängig, was einen Einfluss auf die Qualität des
Befundes hat, ebenso wie die Echogenizität des Patienten
und die Qualität des Gerätes. Ist das Gerät veraltet, darf
man sich keinen aussagekräftigen Befund versprechen.
Focus
Epidemiologie, Pathophysiologie sowie
Morbiditäts- und Mortalitätsfaktoren
von Herzklappenerkrankungen
Prof. Dr. Pierre-Louis MICHEL. Kardiologieabteilung, Krankenhaus Tenon (Paris)
Epidemiologie von
Herzklappenerkrankungen
Anatomisch gesehen ist das Herz ein Organ mit mehreren
Hohlräumen, in das Blutgefäße münden und von dem
Blutgefäße abgehen. Andere Gefäße, die so genannten
Koronararterien,
vaskularisieren
den
Herzmuskel.
Herzklappen trennen die verschiedenen Hohlräume voneinander. Da das Herz im Prinzip eine Pumpe ist, wechseln
sich Phasen, in denen sich die Hohlräume füllen, mit
Phasen, in denen sie sich leeren, ab. Entsprechend öffnen
und schließen sich die einzelnen Klappen abwechselnd.
Man unterscheidet stenosierende Klappenerkrankungen
(Verengungen bzw. unzureichende Öffnung der Aortenoder der Mitralklappe) von Klappeninsuffizienzen, bei
denen es einen Blutrückstau gibt. Klappeninsuffizienzen
sind durch eine mangelnde Dichtigkeit beim Verschließen
gekennzeichnet, deren Auswirkungen je nach Ausmaß
gering oder äußerst schwerwiegend sein können. Die
Mitralklappe trennt den linken Vorhof und die linke
Herzkammer voneinander und die Aortenklappe die linke
Herzkammer von der Aorta.
Die Epidemiologie von Herzklappenerkrankungen hat sich
verändert. Bisher gibt es nur wenige Studien mit epidemiologischem Charakter in diesem Bereich. Eine von ihnen
soll hier allerdings erwähnt werden: Die Euro Heart Survey
(EHS). Sie wurde von der Europäischen Gesellschaft für
Kardiologie (ESC) im zweiten Quartal 2003 veröffentlicht.
Sie umfasst 5001 Patienten in 25 europäischen Ländern
aus 92 kardiologischen Zentren. Die Verteilung zwischen
Süd- und Nordeuropa ist relativ homogen. Patienten, die
während des Untersuchungszeitraums (April-Juli 2001)
stationär und ambulant behandelt wurden, sind in die
Studie mit einbezogen worden.
Bei einem Viertel der Patienten war bereits früher ein
Eingriff durchgeführt worden und die Nachsorge erfolgte
in einer kardiologischen Abteilung. Knapp drei Viertel
aller Patienten hatten angeborene Klappenfehler. Ihr
Durchschnittsalter war hoch. Grundsätzlich wird aufgrund
einer veränderten Ätiologie das Durchschnittsalter von
Menschen mit Herzklappenerkrankung beständig steigen.
Innerhalb der Gruppe von Patienten mit angeborenen
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Klappenfehlern gab es nur wenig mehr Patienten mit
Aortenklappenfehler als Patienten mit Mitralklappenfehler.
Die bei weitem häufigste Klappenerkrankung war die
Aortenklappenstenose, von der mehr als ein Drittel aller
Patienten betroffen war. Das entspricht jedoch den Daten
aus der angesprochenen Analyse der Versicherungsanträge
nicht. An zweiter Stelle der Erkrankungen steht die Mitralklappeninsuffizienz.
Innerhalb des Viertels der zuvor operierten Patienten der
Studie war bei circa einem Fünftel ein klappenerhaltender
chirurgischer Eingriff durchgeführt worden. Denn die
eigene Herzklappe ist immer besser als eine Prothese. Das
bedeutet, dass bei den verbleibenden vier Fünfteln der
operierten Patienten die betroffene Herzklappe ersetzt
wurde.
Früher waren die häufigsten Klappenfehler rheumatisch
bedingt. Sie waren die Folge einer Streptokokken-Angina
in der Kindheit, die akutes rheumatisches Fieber (akuter
Gelenkrheumatismus) sowie eine Schädigung der
Herzklappen verursachen kann. Die Gefährlichkeit der
Erkrankung liegt in der Schädigung des Endokards und
der Herzklappen. Eine Anginaerkrankung in der Jugend,
die durch die Behandlung komplett abgeklungen ist,
kann schwerwiegende bleibende Schäden an den
Herzklappen verursachen, die sich erst 10, 20 oder
30 Jahre nach der Primärerkrankung manifestieren.
Akutes rheumatisches Fieber ist dank dem Einsatz von
Antibiotika in den entwickelten Ländern praktisch
verschwunden, stellt aber nach wie vor ein großes
Problem in den Entwicklungsländern dar. Zwar ist der
Anteil an rheumatisch bedingten Herzerkrankungen in
Europa beträchtlich zurückgegangen – nur noch wenige
sehr alte Menschen, die meistens bereits operiert
wurden, sind davon betroffen – aber die Inzidenz von
degenerativ bedingten Herzklappenerkrankungen nimmt
stetig zu. Zunehmend ältere Patienten haben in
gewissem Sinne genügend Zeit, diese degenerativen
Erkrankungen zu entwickeln.
Betrachtet man die Ergebnisse der oben genannten EHSStudie, so stellt man fest, dass die häufigste
Klappenerkrankung, die Aortenklappenstenose, eine im
Focus
Wesentlichen degenerative Ursache hat. Die rheumatische
Ätiologie ist dagegen sehr viel seltener. Eine sehr leichte
Unterbewertung ergibt sich in diesem Zusammenhang aus
der Nichtberücksichtigung der kongenitalen Bikuspidie.
Aortenklappeninsuffizienzen haben in ihrer überwiegenden Mehrheit eine degenerative bzw. dystrophische Ursache.
Mitralstenosen sind nach wie vor fast immer rheumatisch
bedingt.
URSÄCHLICHE ERKRANKUNG
%
AS
AI
MS
MI
Degenerativ
81,9
50,3
Rheumatisch
11,2
15,2
12,5
85,4
61,3
14,2
Infektion
Entzündung
Angeboren
Ischämisch
Sonstige
0,8
0,1
5,4
0
0,6
7,5
4,1
15,2
0
7,7
0,6
0
0,6
0
0,9
3,5
0,8
4,8
7,3
8,1
AS = Aortenklappenstenose
AI = Aortenklappeninsuffizienz
MS = Mitralklappenstenose
MI = Mitralklappeninsuffizienz
Bei Mitralklappenerkrankungen hingegen ist häufig ein
Klappenerhalt (Plastik) möglich. Im Rahmen einer
Behandlung der Mitralstenose wurde etwa ein Drittel der
Patienten mittels Ballonvalvuloplastie (früher mittels
operativer Kommissurotomie) behandelt. Bei Mitralinsuffizienzen bleibt häufig die Plastik eine interessante
Option (46 % im europäischen Durchschnitt). Bei guten
Chirurgen ist dieser Prozentsatz sogar noch höher. Je
nachdem ob die Originalklappe erhalten bleiben kann
oder ersetzt werden muss ist die Entwicklungsprognose
völlig unterschiedlich.
Was die operative Mortalität angeht, so macht die
Herzchirurgie beständig Fortschritte. Anfangs, in den
Sechziger Jahren, starben 30-40 % der Patienten bei einer
Operation mit Klappenersatz. Heute sind es 2-3 % beim
Ersatz der Aortenklappe und 5-6 % beim Ersatz der
Mitralklappe. Darüber hinaus sind die Patienten heute im
Durchschnitt deutlich älter. Eventuelle Komorbiditäten
können natürlich das operationsbedingte Mortalitätsrisiko
erhöhen. Jede Herzklappenerkrankung stellt ein ganz
spezifisches chirurgisches und internistisches Problem dar.
Euro Heart Survey 2001
Bei der zweithäufigsten Klappenerkrankung, der Mitralklappeninsuffizienz, dominiert die degenerative Ätiologie.
Diese Patienten haben ein Durchschnittsalter von 64
Jahren. Die kardiovaskulären Risikofaktoren waren bei
einem Drittel der Fälle Rauchen sowie bei einem Drittel
ein erhöhter Cholesterinspiegel. Darüber hinaus hatte fast
die Hälfte der Patienten gleichzeitig Bluthochdruck.
Bei einem Viertel der Patienten schließlich gab es eine
positive Familienanamnese für eine frühzeitige Koronare
Herzkrankheit, die eine der stärksten Faktoren für das
Bestehen eines vaskulären Risikos ist.
Komorbiditäten sind innerhalb dieser Populationen relativ
häufig: So hatten 13 % einen Myokardinfarkt, 7 % neurodegenerative Erkrankungen, 15 % chronische Bronchitis
usw. Je älter die Patienten sind, umso wahrscheinlicher ist
eine Mehrfacherkrankung. Deshalb müssen die Komorbiditäten auf jeden Fall berücksichtigt werden.
Bei Aortenklappenerkrankungen ist ein Klappenersatz in
den meisten Fällen unausweichlich. Nur in bestimmten
Fällen ist ein klappenerhaltender chirurgischer Eingriff
möglich.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Die Pathophysiologie
von Herzklappenerkrankungen
Die Aortenklappenstenose
Im Unterschied zu Klappeninsuffizienzen hat es der
Facharzt bei Stenose oder Aortenklappenverengung mit
einem fortschreitenden Prozess zu tun, in dessen Verlauf
die Klappenöffnung enger wird und allmählich verkalkt,
wodurch der Blutauswurf des linken Ventrikels behindert
wird. Unterbleiben entsprechende Maßnahmen, wird
dieser Auswurf immer mühsamer.
Zu Beginn wird eine leichte Sklerose der Aortenklappe
diagnostiziert. Im weiteren Verlauf tritt ein Herzgeräusch
ohne begleitende Symptome auf. Über einen langen
Zeitraum verspürt der Patient keine Beschwerden, bis sich
plötzlich die Klappenerkrankung mit ihren Auswirkungen
zeigt. Selbst wenn eine signifikante Obstruktion
entstanden ist, vergeht eine gewisse Latenzzeit. Die ersten
objektivierbaren Symptome manifestieren sich unter
Belastung. In einer solchen Situation spürt der Patient zum
ersten Mal das stenosebedingte Symptom. Er verspürt ein
der Angina pectoris ähnliches Gefühl, obgleich mit der
Klappenanomalie nicht zwangsläufig eine Koronarerkrankung einhergehen muss. Kommt es zu Bewusst-
33
losigkeit und Synkope, ist ein weiteres Stadium im
Krankheitsverlauf erreicht.
Am Ende dieses Prozesses steht die Herzinsuffizienz. Ab
dem Zeitpunkt, zu dem sich bei einem Patienten diese
letztgenannten Anzeichen manifestieren, stellt sich die
Frage der Überlebensprognose. Diese liegt bei Patienten
mit Angina pectoris bei drei bis fünf Jahren, bei Patienten
mit Synkopen ist sie etwas kürzer. Ist das Stadium der
Herzinsuffizienz erreicht, liegt die Überlebensprognose
nur noch bei einigen Monaten.
Um die Schwere einer Aortenstenose zu beurteilen, muss
man sich also folgende Frage stellen: Inwieweit ist diese
Verengung symptomatisch? Das Bestehen eines Symptoms
rechtfertigt einen chirurgischen Eingriff, wenn keine
andere Komorbidität der Operation entgegensteht.
PROGRESSION DER AORTENKLAPPENSTENOSE
Follow-up
Faggiano
Roger
Brener
45
112
394
18
25
37
16
22
12
0,10
0,10
0,14
Otto
123
30
7
0,12
der Patienten
(m)
Grad. /
$
$
Anzahl
Klappen-
Jahr (mmhg) Öffnungsfläche /
Jahr (cm²)
Einer Studie mit Patienten über 65 Jahre zufolge weist ein
Viertel des Patientenkollektivs eine unbedeutende
Aortensklerose auf, nur 2 % entwickeln eine Stenose bzw.
4 % ab einem Alter von 85 Jahren.
Eine Aortenklappenverengung entsteht also nicht plötzlich. Mit Hilfe der dopplergestützten Echokardiographie,
einer relativ kostengünstigen Untersuchung, kann man
den Verlauf der Erkrankung beobachten. Im Durchschnitt
verringert sich die Klappenöffnungsfläche um 0,1 cm2 pro
Jahr. Die Öffnungsfläche der Aortenklappe muss in
einem bestimmten Verhältnis zur durchschnittlichen
Körperoberfläche stehen. Im Normalzustand beträgt
diese Klappenöffnungsfläche durchschnittlich 3 cm2.
Verringert sie sich um die Hälfte, tritt noch kein besonderes Symptom auf. Dieser Zustand entspricht dem
Stadium der Aortensklerose. Kennzeichnend ist ein
normales Herzminutenvolumen in Ruhe ohne Ausbildung
eines Druckgradienten.
Dann kommt man in den Bereich einer hochgradigen
Stenose, deren Obergrenze bei 0,5 cm2 Klappenöff-
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
nungsfläche pro m2 Körperoberfläche festgelegt ist. Eine
Aortenöffnungsfläche zwischen 1,2 und 1,3 cm2 entspricht
dem Stadium einer solchen hochgradigen Stenose.
Bei der Progression der Aortenstenose erhöht sich das
Risiko, dass entsprechende Symptome auftreten. Der
Facharzt kann den Statistiken und der Gaussverteilung für
die betreffende Population entsprechend eine Verlaufsprognose für die Klappenerkrankung erstellen. Dies wird
anhand einer klassischen Patientenreihe mit aktuellen
Daten verdeutlicht, die den natürlichen Verlauf der
lange asymptomatisch bleibenden Aortenklappenstenose
beschreibt.
Das Hauptrisiko für einen Arzt, der einen entsprechenden
Patienten behandelt, ist der plötzliche Herztod. Die
größte Befürchtung ist nämlich die, dass der plötzliche
Herztod das erste und gleichzeitig letzte Symptom der
Aortenstenose sein könnte.
Eine österreichische Studie umfasste auch Patienten mit
einer hochgradigen Stenose (Geschwindigkeit der
Blutströmung über 5 m/s).
Im Vergleich zur Lebenserwartung einer Kontrollgruppe
führt eine hochgradige operationspflichtige Aortenklappenstenose zur Übersterblichkeit. Diese umfasst das
Operationsrisiko beim Einbringen der Prothese. Eine
solche Operation ist immer mit gewissen Risiken
verbunden. Die entscheidenden Faktoren für den Verlauf
der Erkrankung sind der Grad der Verkalkung und die
Geschwindigkeit, mit der sie fortschreitet. Ein Patient mit
einer rasch progredienten Stenose hat eine weitaus
schlechtere Prognose.
Die Aortenklappeninsuffizienz
(kurz Aorteninsuffizienz)
Bei der Aortenklappeninsuffizienz ist der entscheidende
Parameter das Rückflussvolumen. Während eine Aortenklappenstenose mit der Zeit fortschreitet, ist eine
Aorteninsuffizienz von Anfang an mittelschwer oder
hochgradig.
Ist die Endokarditisprophylaxe zweifelsfrei beachtet
worden, kann man mit einer Insuffizienz durchaus über
mehrere Jahrzehnte ganz gut leben. Es gibt keinen Grund,
bei solchen Erkrankungen einen erheblichen Prämienzuschlag zu erheben, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass
diese Insuffizienz der Aortenklappe mittelschwer bleibt
und nicht fortschreitet.
Focus
Der natürliche Verlauf der hochgradigen chronischen Aortenklappeninsuffizienz ist im Anfangsstadium asymptomatisch, wobei die Systolenfunktion erhalten bleibt. Nur
4 % der Betroffenen haben in diesem Stadium der
Klappenerkrankung überhaupt Symptome oder eine linksventrikuläre Funktionsstörung. Der plötzliche Herztod ist
äußerst selten. Es besteht also kein Grund, diese Patienten
mit geringem Risiko für einen plötzlichen Herztod zu
operieren.
Eine Funktionsstörung des linken Ventrikels hingegen ist
eine Operationsindikation. Unterbleibt der Eingriff, wird
die Erkrankung in der Regel sehr schnell symptomatisch.
Mittels Echokardiographie können solche Ventrikelanomalien entdeckt werden. Der wesentliche Prognosefaktor
bei Aortenklappeninsuffizienz ist die Herzkontraktilität.
nicht einmal ein Herzgeräusch nachgewiesen wurde. Es
wurde also ein Klappenfehler diagnostiziert, obwohl die
Patienten keine schwerwiegende Erkrankung aufwiesen.
Das Regurgitationsvolumen und der ursächliche Defekt
bestimmen nahezu vollständig den Krankheitsverlauf der
Mitralklappeninsuffizienz. Bei einem starken Rückflussvolumen spricht vieles für eine Operation. Es liegt sehr im
Interesse des Patienten, sich bald operieren zu lassen, vor
allem weil seine Klappe repariert werden kann. Nach einer
solchen Rekonstruktion hat er wieder eine normale
Lebenserwartung, so dass man mit Fug und Recht von
einer „Heilung“ der Mitralklappeninsuffizienz sprechen
kann. In einer Kohorte von 216 Patienten mit schwerer
Insuffizienz wies die Gruppe derjenigen, die nicht operiert
wurden, eine schlechtere durchschnittliche Lebenserwartung auf. In einigen Fällen wurde sogar ein plötzlicher
Herztod festgestellt.
NATÜRLICHER VERLAUF EINER HOCHGRADIGEN
MITRALKLAPPENINSUFFIZIENZ
100
Inzidenz (%)
Bei einer Insuffizienz mit großem Regurgitationsvolumen
muss man das genaue Rückflussvolumen kennen, um das
zusätzliche Risiko einschätzen zu können. Für hochgradige Insuffizienzen mit klassischer Ätiologie ist die
Prognose nicht gut. Diese Patienten neigen in einem
Zeitraum von 10 Jahren zu zahlreichen Komplikationen
(Aneurysmen, Herzinsuffizienz in fast der Hälfte der Fälle).
Knapp zwei Drittel von ihnen werden operiert und gut
10 Jahre nach der Operation treten in mehr als 80 % dieser
Fälle erneut Herzsymptome auf. Das gilt allerdings nur für
hochgradige und nicht für mittelschwere Insuffizienzen.
90 ± 3 %
Operation oder Tod (188)
82 ± 4 %
80
63 ± 8 %
60
40
IC (55)
Operation (143)
30 ± 12 %
FA (13)
20
0
Operierte Patienten haben, selbst wenn die Operation
komplikationsfrei verlaufen ist, eine schlechtere Überlebensprognose als die gleichaltrige Kontrollgruppe ohne
Eingriff. Die Prognose ist zwar in den ersten Jahren noch
gleich, verschlechtert sich danach aber. Erfolgte der Eingriff
außerdem bei einem Patienten mit veränderter linksventrikulärer Systolenfunktion, wird die Langzeitüberlebensprognose im Vergleich zur Kontrollgruppe immer schlechter.
Die Mitralklappeninsuffizienz
Die Mitralklappeninsuffizienz ist die zweithäufigste
Herzklappenerkrankung. Entsprechend den Ausführungen
zur Aortenklappeninsuffizienz hängt der Schweregrad dieser
Erkrankung auch hier vom Rückflussvolumen ab. Mit einer
leichten Insuffizienz kann ein Patient jahrzehntelang
leben. Ein zusätzlich erhöhtes Risiko liegt somit nicht vor.
Der Begriff „Mitralklappenprolaps“ ist eigentlich ein
Sammelbegriff, unter dem die verschiedensten klinischen
Situationen zusammengefasst werden. Die Diagnose eines
„Prolapses“ wurde sogar bei Patienten gestellt, bei denen
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Jahre nach Diagnose
Aus einer anderen Patientenserie, die in den Achtziger
Jahren behandelt wurden, können weitere Erkenntnisse
gewonnen werden. Wenn es sich ätiologisch gesehen um
abgerissene Sehnenfäden der Klappe handelt, ist die
spontane Prognose ungünstig. Nach Entwicklung einer
Herzinsuffizienz neigt diese Art von Patient vor allem im
Sinusrhythmus zu Vorhofflimmern. Die therapeutischen
und prognostischen Konsequenzen sind bekannt.
Besonders zu nennen ist hier das Risiko eines plötzlichen
Herztodes, wobei folgende Faktoren dieses Risiko zusätzlich begünstigen:
der funktionelle Schweregrad (mit den entsprechenden Symptomen)
die linksventrikuläre Auswurffraktion
das Vorliegen eines Vorhofflimmerns
Selbst in Fällen, bei denen keiner dieser drei Faktoren
festgestellt wurde und die systolische Funktion erhalten
ist – also bei typischen asymptomatischen Patienten – liegt
35
die Häufigkeit für den plötzlichen Herztod bei 1 %. Diesem
Wert ist durch entsprechende Behandlung der Patienten
Rechnung zu tragen.
Insbesondere verbessert eine frühzeitige klappenerhaltende chirurgische Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz die Lebenserwartung beträchtlich. Die Kategorie
der symptomatischen Kranken hat eine geringere Lebenserwartung als die Kontrollgruppe. Die frühzeitig Operierten
müssen hingegen als normale Patienten angesehen
werden. Ihre Lebenserwartung entspricht derjenigen einer
Kontrollpopulation. Solche Zahlen sprechen demnach
dafür, eine Mitralklappeninsuffizienz möglichst frühzeitig
zu operieren. Außerdem gibt es keinen Grund, der es
rechtfertigt, Prämienzuschläge von Antragstellern zu
verlangen, die zwar eine Herzoperation hatten, durch
diesen Eingriff jedoch eine normale Lebenserwartung
wiedererlangen. Es ist jedoch anzunehmen, dass bei
manchen Versicherern eine Sternotomienarbe für den
Antragssteller trotzdem mit hohen Kosten verbunden ist.
Auch die Ätiologie spielt hier eine Rolle: Wenn die Mitralklappeninsuffizienz ischämischen Ursprungs ist und im
Zusammenhang mit einer Koronarerkrankung steht, ist sie
im Verhältnis schwerwiegender. Schlechter sieht es auch
bei einer rheumatischen Ursache aus. Statistisch gesehen
werden degenerative Mitralklappeninsuffizienzen, die am
häufigsten zu finden sind, zu 85 % operativ behandelt.
Die Mitralklappenstenose
Diese Herzklappenerkrankung ist in den meisten Fällen
rheumatisch bedingt. Daneben gibt es einige wenige
unbedeutendere degenerative Ursachen. Der Ursprung
des akuten rheumatischen Fiebers ist oftmals im Alter von
5 bis 10 Jahren zu finden. Dabei kommt es zunächst zu
einer längeren Latenzphase, bevor die ersten Anzeichen
auftreten. Diese Ursache für krankhafte Klappenveränderungen ist in den Entwicklungsländern (Südostasien,
Afrika, Südamerika …) heute noch endemisch. In diesen
Ländern ist das rheumatische Fieber eine der häufigsten
Todesursachen bei jungen Frauen.
Grundsätzlich hängt die Überlebensprognose von den
aufgetretenen Symptomen ab. Bei symptomatischen
Patienten weist die Lebenserwartung geradezu katastrophale Werte auf. Auch hier handelt es sich um eine
progressive Krankheit, bei deren Verlauf die Verengung
der Klappenöffnung weiter zunimmt. Ohne Behandlung
ist die Prognose bei einem symptomatischen Krankheitsbild
schlecht.
Die Mitralklappenstenose hat eine Besonderheit: Es
kommt hier zunächst zu einem Blutstau, dann zur
Dilatation des linken Vorhofs und zur Bildung von
Blutgerinnseln. Gefährlich sind Komplikationen, die den
Auswirkungen von thromboembolischen Insulten entsprechen. Diese können eine Halbseitenlähmung (Hemiplegie)
nach sich ziehen, was ein einschneidendes Ereignis ist,
insbesondere wenn beispielsweise eine 25-jährige Frau
davon betroffen ist. Thromboembolien haben kardiale
Ursachen. Das Initialsymptom ist daher bei 25 % der
Mitralklappenstenosen ein zerebrovaskulärer Insult.
Dieses Risiko spricht für therapeutische Maßnahmen bei
Patienten, bei denen eine hochgradige, noch asymptomatische Stenose vorliegt.
Eine Behandlung mit Antikoagulantien (Gerinnungshemmern) kann hämorrhagische Komplikationen zur
Folge haben. Sie verringert zwar die Zahl der
Thromboembolien, schließt sie aber nicht völlig aus.
PTCA BEI EINER MITRALKLAPPENSTENOSE
Danach
Davor
Echokardiographische Darstellung
der Stenose vor und nach der Dilatation
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Aufblasen des Ballons
im stenosierten Bereich
Focus
Die moderne perkutane Behandlung der Mitralklappenstenose besteht darin, einen Ballon-Katheter zur
Klappenaufweitung in die Vene einzuführen. Hierzu muss
die Scheidewand zwischen Herzkammer und Vorhof
punktiert werden und der Katheter auf einem Weg vorgeführt werden, der nur während der Embryonalphase offen
war. Ein kleiner aufblasbarer Ballon wird dann an den
gewünschten Ort in der Mitralklappe gebracht.
Sobald dieser Ballon in der Mitralklappe positioniert ist,
werden die Kommissuren durch das Aufblasen des Ballons
gelöst, was zu einer besseren Öffnung der Klappe führt.
Der Druckgradient zwischen Vorhof und Herzkammer
sinkt hierdurch. Anhand einer Doppler-Echokardiographie
kann die Klappenöffnung graphisch dargestellt werden.
Wenn eine solche Dilatation in einem frühzeitigen Stadium
vorgenommen wird, sind die Ergebnisse hervorragend.
Der operative Eingriff ist effizient und verbessert in
gewissem Maße die Prognose.
Abschließend ist zu sagen, dass das rheumatische Fieber
als Ursache für Herzklappenerkrankungen in Europa einen
deutlichen Rückgang verzeichnet. Dagegen ist die
Entwicklung bei den degenerativen Ätiologien genau
gegenläufig.
Die beiden häufigsten Klappenerkrankungen sind die
Aortenklappenstenose (insbesondere bei älteren Patienten,
die selten Lebensversicherungen abschließen) und die
Mitralklappeninsuffizienz. Letztere betrifft die Versicherer
sicherlich in höherem Maße. Herzklappenstenosen sind
evolutive Krankheiten, d. h. eine mittelgradige Stenose
wird sich im Laufe der Zeit weiter verengen, während sich
undichte Klappen kaum verändern. Eine unauffällige
Insuffizienz ändert sich in der Regel nicht.
Bei der medizinischen Lösung von Problemen aufgrund
von Klappeninsuffizienzen sind in der Kardiologie
beträchtliche Fortschritte erzielt worden. Zur Diagnosestellung und bei der Therapie bedient man sich in
großem Umfang der Doppler-Echokardiographie. Die
chirurgi-schen Methoden entwickeln sich ständig weiter,
so hat sich z. B. die Anfangssterblichkeit nach einem operativen Klappenersatz um den Faktor 10 verringert. Die
Risiken sind aber selbstverständlich nicht zu vernachlässigen, als Versicherer wissen Sie das besser als jeder andere.
Sie sind jedoch in keiner Weise mit den anfänglichen
Risiken einer Klappenoperation vergleichbar, als dieser
Eingriff noch Neuland war. Dies sollte bei den Beiträgen
und der Tarifgestaltung berücksichtigt werden.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
John EVANS
Ich persönlich stelle fest, dass Patienten manchmal dazu
neigen, ihre Symptome unterzubewerten. Daher muss
man zusätzlich die Doppler-Echokardiographie einsetzen,
um objektive Daten zu erhalten. Bei symptomatischen
Patienten ist ohne jeden Zweifel ein chirurgischer Eingriff
erforderlich. Gibt es aber darüber hinaus Entscheidungshilfen, wenn noch nicht völlig klar auf der Hand
liegt, wie schwerwiegend die Symptome sind?
Pierre-Louis MICHEL
In diesem Fall muss man die Lebensweise berücksichtigen.
Ein älterer Mensch, der viel zu Hause ist, kann nicht mit
einer sportlichen Person verglichen werden. Neben der
Bewertung der Aktivitäten ist im Zweifel eine Belastungsuntersuchung durchzuführen, um zu messen, wie sich die
Herzklappenerkrankung des Betroffenen auswirkt.
Manche Personen sind körperliche Anstrengungen
gewöhnt, insbesondere jene, die Ausdauersportarten
treiben (Marathon, Radfahren). Ihre Leistungen sind
teilweise beachtlich. Die Symptome der Herzklappenerkrankungen treten dann allerdings erst bei großer
Anstrengung auf, also viel später als bei Patienten ohne
nennenswerte körperliche Aktivitäten. Wenn sich jemand
nicht täglich körperlich betätigt, wird er bei einer
Ergometriebelastung von rund 60 Watt außer Atem
kommen. Das bedeutet nicht, dass sein Herz geschädigt
ist, sondern weist vielmehr darauf hin, dass sein HerzKreislauf-System nicht an Belastungen gewöhnt ist. Die
Herzbeanspruchung ist abhängig von der körperlichen
Grundaktivität und vom Training. Diese Tatsache kann zu
Recht als Appell verstanden werden, regelmäßig Sport zu
treiben.
Frage aus dem Publikum
Bei der Aortenklappeninsuffizienz ist es wichtig,
das Rückflussvolumen zu bestimmen. Auf welchen
Kriterien beruht hier die Untersuchung mittels DopplerEchokardiographie?
Pierre-Louis MICHEL
Jedes Jahr meint ein Echokardiologe, dass er diese Frage
abschließend beantworten kann und einen neuen definitiven Wert ermittelt hat, der die anderen übertrifft. Jahr
für Jahr folgt ein „bester“ Wert auf den anderen. An
Berechnungswerten mangelt es also nicht in der Literatur.
Keiner ist perfekt und keiner ermöglicht eine näherungsfreie Berechnung. Ein guter Echokardiologe muss also
zunächst einmal ein guter Kardiologe sein. Es gibt
zahlreiche Untersuchungsparameter und nur eine gut
37
durchdachte Synthese der Ergebnisse führt zu einer zuverlässigen Diagnose. Mitunter vergleiche ich die
Echokardiologen mit einem ins Gegenteil verkehrten
ungläubigen Thomas. Dieser sagte: „Ich glaube nur, was
ich sehe.“ Der Echokardiologe seinerseits sieht, also glaubt
er. Gelegentlich kann es sein, dass manche Bilder, die nicht
so eindeutig zu interpretieren sind, ihn zu falschen
Schlüssen verleiten. Diese Untersuchungsmethode hängt
deshalb sehr vom Geschick des Untersuchers ab.
Frage aus dem Publikum
Welche Merkmale zeichnen eine gute chirurgische
Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz aus?
Pierre-Louis MICHEL
Es darf nach dem Eingriff keine noch so geringfügige
Restinsuffizienz oder Reststenose verbleiben. Patienten,
die aufgrund einer Mitralklappeninsuffizienz von einem
guten Chirurgen wie Christophe ACAR operiert wurden,
verlassen das Krankenhaus in 95 % der Fälle ohne residuelle
Klappeninsuffizienz oder -stenose.
Wir können heute die Ergebnisse der Chirurgie mit einem
Abstand von rund dreißig Jahren, seit den ersten
Operationen von Prof. Carpentier, betrachten. Sie sind
nunmehr verlässlich und im Bereich der Herzklappenerkrankungen konstant. Der Erfolg einer solchen Operation
ist auch langfristig gewährleistet, so dass man berechtigterweise von einer Heilung der Krankheit sprechen kann.
Zwar trägt der Patient eine Sternotomienarbe davon, aber
sein Herz kann als normal angesehen werden.
John EVANS
Verändert sich eine erkrankte Mitralklappe im Laufe
der Zeit noch, nachdem eine perkutane Behandlung
durchgeführt wurde, so wie es der Fall bei einer
Mitralklappenstenose ist?
Pierre-Louis MICHEL
Es geschieht das, was früher geschah, wenn eine operative
Kommissurotomie durchgeführt wurde. Vor 15 oder 20
Jahren kam es an der Klappe zu einer rheumatischen
Erkrankung. Man kann nicht davon ausgehen, dass man
eine Klappe völlig wiederherstellen kann. Eine Stenose
entwickelt sich in Abhängigkeit vom Alter des Patienten
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
mehr oder weniger schnell. Es ist ganz klar, dass der
Patient keine neue Klappe zurückbekommt. In jedem Fall
hat eine Mitralklappenstenose, die ja doch selten ist, keine
günstige Prognose. Auch nach der Operation verändert
sich die Klappe weiterhin degenerativ. Im Bereich der
rheumatischen Herzerkrankungen hat es der Facharzt oft
mit bereits operativ behandelten Mitralklappenstenosen,
mit Rezidiven etc. zu tun. Die Klappe hat sich durch
einen progredienten rheumatischen Prozess verändert,
die Klappe ist also nicht mehr neu. Man hat durch den
Eingriff nur Zeit gewonnen. Die angesprochenen Herzerkrankungen erfordern eine langfristige Behandlung.
Denken wir an den medizinischen Standard bei der
Therapie der Koronarinsuffizienz. Beachtliche Fortschritte
sind erst kürzlich mit den perkutan implantierten
Klappenprothesen erzielt worden. Dies ist jedoch
aufgrund der potentiellen Entstehung eines Atheroms in
der Koronararterie nicht notwendigerweise mit einer
Heilung gleichzusetzen. Menschen mit einer bereits
bekannten Koronarerkrankung haben folglich das
höchste Risiko, ein akutes Koronarsyndrom zu entwickeln.
Frage aus dem Publikum
Als Rheumatologe möchte ich gerne wissen, ob die
Prognose der Aortenklappeninsuffizienz durch eine
Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) verschlechtert
wird.
Pierre-Louis MICHEL
Die Spondylitis ankylosans ist in diesem Fall eine recht
seltene Ursache. Im Grunde hängt alles von der Art der
Insuffizienz und den damit verbundenen Problemen ab.
Leitungsstörungen können prothetische Maßnahmen
erforderlich machen. Der Patient kann zugleich eine
Klappenprothese und einen Herzschrittmacher tragen.
Frage aus dem Publikum
Wie häufig sollte man nach einer Klappenerkrankung
Kontrolluntersuchungen vornehmen?
Pierre-Louis MICHEL
Bei einer geringfügigen Erkrankung reicht eine Kontrolle
einmal im Jahr oder alle zwei Jahre. Wenn sie sehr signifikant ist, müssen die Überprüfungen in kürzeren Abständen
erfolgen (jährlich, dann alle sechs Monate).
Focus
Der Einfluss der neuen Operationstechniken
auf die Akute und die Langzeitmorbidität
und -mortalität
Prof. Dr. Christophe ACAR. Abteilung für Herz- und Thoraxchirurgie, Institut für Kardiologie Pitié-Salpêtrière
Die Herzchirurgie ist eine junge Disziplin, die in den
Sechziger Jahren entstanden ist. Im Vergleich zu anderen
Disziplinen erlebt sie erst in jüngerer Zeit einen
Aufschwung. In Frankreich werden jedes Jahr 38 000
chirurgische Eingriffe am offenen Herzen durchgeführt,
was dem Durchschnitt der Industrieländer entspricht.
Allein im Ballungsraum Paris (Ile-de-France) liegt die Zahl
bei 11 000 Operationen, also nahezu einem Drittel der
Gesamtzahl. Derzeit stagniert die Zahl der operativen
Eingriffe, sie hat sich schon seit rund einem Jahrzehnt auf
den zuvor genannten Wert eingependelt. In Frankreich
werden jährlich insgesamt 291 000 Operationen durchgeführt, eine Zahl, die im europäischen Mittel liegt.
Darüber hinaus ist die chirurgische Reparatur von
Mitralklappen zu nennen. Statistisch gesehen machen
solche Plastiken ca. 21 % der Eingriffe an Herzklappen
aus. Hierfür stützt man sich auf die von der Industrie
genannten Zahlen für Ringprothesen.
Mit welchen Erkrankungen haben wir in unseren herzchirurgischen Abteilungen zu tun? Grob gerechnet betrifft
die Hälfte der Eingriffe Koronarerkrankungen, die andere
Hälfte Herzklappenschäden. Eine bestimmte Anzahl von
Patienten muss sowohl an den Herzkranzgefäßen als auch
an den Herzklappen operiert werden. Bisweilen operiert
der Chirurg angeborene Erkrankungen. Herztransplantationen hingegen sind eine chirurgische Randerscheinung,
im Ballungsraum Paris zählt man jährlich nur rund
140 Eingriffe dieser Art.
Welche künstlichen Prothesentypen gibt es? Die
Klappenmechanik hat sich beträchtlich weiterentwickelt,
wenngleich das Prinzip eines Ventils zwischen zwei
Herzhöhlen sehr simpel ist. Die Zahl der verfügbaren
Modelle wächst beständig. Zunächst gibt es Kugelprothesen, die bemerkenswerte Eigenschaften aufweisen.
Dieses Modell ist sehr stabil, nahezu verschleißfrei und
alterungsbeständig. Es wirkt leicht obstruierend, da der
Blutfluss um die Kugel herumgeleitet wird, die wie ein
Hindernis wirkt.
Zwei Kategorien von Prothesen kommen als Klappenersatz
in Frage: Mechanische und biologische Klappen.
Wenden wir uns nun den Scheibenprothesen zu: Im
vorliegenden Fall handelt es sich um eine Kippscheibenprothese aus pyrolytischem Kohlenstoff. Die Klappe ist
mithilfe eines Gelenks befestigt und hat einen Öffnungswinkel von ca. 90°. Diese Klappen wirken ebenfalls
leicht obstruierend und raumfordernd, da Platz zum
Öffnen der Scheibe benötigt wird. Aus diesem Grund
haben die Ingenieure eine moderne Klappe, die so
genannte Doppelflügelprothese entwickelt. In diesem
Beispiel ist die zweigeteilte Scheibe, mit einem Gelenk an
einem Gestell befestigt; die Prothese besteht wiederum
komplett aus pyrolytischem Kohlenstoff.
Mechanische Klappen haben den großen Vorteil der
Haltbarkeit. Das Einsetzen ist aufgrund der ständigen
fertigungstechnischen Weiterentwicklung der Klappen
denkbar einfach geworden.
Klappen aus natürlichem Material benötigen im Gegensatz
zur vorigen Kategorie keine besondere Behandlung. Sie
haben ein hervorragendes Sicherheitsprofil, da sie sehr
gute Strömungseigenschaften aufweisen und keine
Blutgerinnsel verursachen. Bioprothesen bringen nicht die
diversen Nachteile mit sich, die künstliche Klappen
aufweisen.
Welche Klappenprothesen finden in Frankreich Verwendung? Einer Branchenumfrage zufolge liegt der Anteil
der mechanischen Prothesen bei 38 % bzw. 39 % bei
Bioprothesen. Von den 38 000 Herzoperationen in
Frankreich betreffen 17 000 Eingriffe die Herzklappen.
Unter dem Strich werden jeweils zur Hälfte mechanische
und biologische Prothesen eingesetzt.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Nur einer sehr kleinen Minderheit von Patienten werden
Klappenhomografts implantiert (2 %).
Die mechanischen Klappen
Der größte Nachteil der mechanischen Prothesen sind die
mangelhaften hämodynamischen Eigenschaften. Der
Patient muss lebenslang gerinnungshemmende Medikamente einnehmen. Bei der Aortenklappenprothese ist
für eine adäquate Gerinnungshemmung ein INR-Wert
zwischen 2 und 3 erforderlich. Bei einer Mitralklappenprothese ist die Antikoagulation zu erhöhen, die INRWerte liegen hier zwischen 3 und 5 als Richtwert für diese
schwierige therapeutische Gruppe.
39
Die biologischen Klappen
Bioprothesen werden aus glutaraldehydfixiertem Tiergewebe hergestellt, die infolge dieser Behandlung eine
bemerkenswerte Verträglichkeit aufweisen. Es sind
praktisch keine Abstoßreaktionen bekannt. Der einzige
Nachteil dieser biologischen Klappenprothesen ist, dass
sie mit der Zeit ermüden und nur beschränkt haltbar sind
und daher langfristig eine erneute Operation der betroffenen Klappe erforderlich ist.
Im Wesentlichen unterscheidet man zwei Arten von
Bioprothesen:
porcine Prothesen (hergestellt aus Schweineaortenklappen), die auf einen Ring aufgezogen
werden, um das Einsetzen der Klappen zu erleichtern
sonstige Prothesen, die aus Kalbsperikard gewonnen
werden und industriell auf einem Implantationsgestell
befestigt werden.
Die Nachteile der zwei Prothesentypen
im Vergleich
Die Hauptkomplikation bei mechanischen Klappen ist
letztlich die Gefahr der Bildung eines Blutgerinnsels oder
eines Thrombus. Eine schwere Thrombose, bei der die
Klappe vollständig blockiert wird, schränkt die
Beweglichkeit der Klappenflügel ein und beeinträchtigt
folglich die Funktionsfähigkeit der Prothese. Das
Krankheitsbild ist das einer akuten Stenose, die eine
Reoperation erforderlich macht.
Bisweilen ist die Thrombose unauffälliger und äußert sich
in Form kleiner Blutgerinnsel. Befinden sie sich an einer
ungünstigen Stelle, können sie die Öffnung der beiden
Flügel blockieren. Die Bildung von Blutgerinnseln ist
aufgrund der Auswirkungen auf die Hämodynamik
äußerst gefährlich. Sie verhindern, dass sich wieder ein
normaler Blutfluss einstellt. Es können nach einiger Zeit
vereinzelt fibröse Kapseln auftreten, wobei das
Narbengewebe die Beweglichkeit der Prothese behindert.
Selten kommt es zur Materialermüdung. Ein Beispiel ist
die zerbrochene Kugel einer mechanischen Prothese.
Aufgrund ihrer beschränkten Haltbarkeit muss bei
Bioprothesen häufig erneut operiert werden, obwohl bei
ihnen nicht die Gefahr der Thrombenbildung besteht.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Es können Risse und Verkalkungen an der Klappe
entstehen, die ihre Öffnungsfunktion beeinträchtigen
und daher eine Reoperation erforderlich machen.
Statistisch gesehen kann es interessant sein, die beiden
Prothesentypen in der Verwendung zu vergleichen. Ich
stütze mich hierbei auf groß angelegte Studien, die einen
Konsens erlauben. Das durchschnittliche Alter bei der
Implantation einer mechanischen Prothese liegt bei
62 Jahren, bei einer Bioprothese bei 75 Jahren.
Als häufigste Komplikation ist für beide Implantatkategorien die Thrombose mit der Gefahr einer Embolie zu
nennen. Bei dieser umfangreichen statistischen Studie lag
das Thromboserisiko (22 % der Patienten waren betroffen) für mechanische Prothesen genauso hoch wie für
biologische Prothesen.
Dieses Ergebnis ist recht überraschend. Es besteht hier die
Gefahr von Hemiplegien und beträchtlichen Behinderungen, die sich aus einer solchen Komplikation ergeben
können.
Aufgrund des erwähnten unterschiedlichen Durchschnittsalters sind diese Zahlen allerdings nicht ganz vergleichbar.
Die thromboembolische Komplikation in der Gruppe der
biologischen Klappen steht nicht im Zusammenhang mit
der Prothese, sondern mit dem Alter der betroffenen
Patienten, die vermehrt zu Gefäßerkrankungen neigen.
Daher ist das Problem letztendlich nicht eine Frage des
Prothesentyps, sondern eine Frage des Alters. Diese Studie
wurde an einem Kollektiv von Patienten durchgeführt, die
an der Aortenklappe operiert worden waren. Man weiß
jedoch, dass Thrombosen nach einem Klappenersatz in
Mitralposition häufiger auftreten. Es ist klar, dass das
Thromboserisiko nach dem Einsetzen einer mechanischen
Klappe in Mitralposition höher ist als das einer biologischen Klappe.
Hämorrhagische Komplikationen sind bei mechanischen
Klappen häufiger als bei Bioprothesen, die keine
Behandlung mit gerinnungshemmenden Medikamenten
erfordern. In der Gruppe der künstlichen Klappen leiden
13 % der Patienten unter hämorrhagischen Komplikationen, gegenüber lediglich 5 % in der anderen
Gruppe.
Dagegen liegt das Risiko einer Reoperation aufgrund
einer defekten Prothese bei einem biologischen
Klappenersatz weitaus höher. Es beträgt nach 10 Jahren
11 %, gegenüber nur 4 % bei den mechanischen Klappen,
die selten ersetzt werden müssen.
Focus
Der Homograft
Etwas Besonderes sind jene Patienten, bei denen die
Herzklappe durch ein Homograft, eine menschliche
Spenderklappe, ersetzt wird. Der erste Homograft in
der Geschichte wurde 1962 in London von Donald Ross
implantiert. Seitdem gab es mehr als 25 000 Eingriffe
dieser Art, hauptsächlich zwischen 1962 und 1974.
Ihre Zahl nahm mit der Verbreitung der mechanischen
Prothesen und den Fortschritten in der industriellen
Herzklappenproduktion ab. Das erneute Interesse
an dieser Technik ist zu einem Großteil auf die
Erkenntnis zurückzuführen, dass Bioprothesen nur
begrenzt haltbar sind.
Homografts werden durch die Entnahme von
Spenderklappen an Patienten ermöglicht, die an einer
nichtkardialen Todesursache gestorben sind. Die
Herzklappen sind wieder verwendbar, sofern sie sehr
schnell entnommen werden. In den USA, in Kanada und in
Großbritannien stammen Ersatzklappen in großem
Umfang aus dieser Quelle.
Seit den Bioethik-Gesetzen von 1994 dürfen Herzklappen
nicht von Leichen, sondern nur von hirntoten Patienten
entnommen werden. Wenn das Herz für eine
Transplantation nicht verwendbar ist, kann man sich auf
die Entnahme der Herzklappen beschränken, die dann an
eine Gewebebank geschickt werden. Herzklappen sind oft
noch funktionsfähig und können als Klappenersatz
Verwendung finden. Auch die erkrankten Herzen, die bei
Herztransplantationen entnommen werden, können
diesem Zweck dienen. Selbst wenn das Myokard
(Herzmuskel) nicht mehr genutzt werden kann, sind die
Klappen manchmal noch verwendbar.
Nach der Entnahme muss eine Dekontamination mit
Antibiotika erfolgen. Anschließend werden die Klappen
in einer Gewebebank kryokonserviert, wobei die
Temperatur schrittweise auf –60 °C gesenkt wird. So
werden sie für die kommende Implantation aufbewahrt.
Die Entnahmebedingungen sind klar definiert:
der Organspender darf nicht älter als 60 Jahre alt sein
er darf keine allgemeine Erkrankung wie z.B. Krebs
und keine infektiöse Erkrankung haben
Personen, die mit Hypophysenhormonen behandelt
wurden, sind gleichfalls ausgeschlossen.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Homografts werden im Wesentlichen bei Erkrankungen
der Aortenklappe eingesetzt (Insuffizienz im Zusammenhang mit biskupider Aortenklappe, Aortenklappenstenosen bei biskupider Klappe, akutem
rheumatischen Fieber).
Das Langzeitergebnis bei Homografts variiert in
Abhängigkeit vom Alter der Empfänger. Zwanzig Jahre
nach der Operation leben noch 42 % der Patienten. Bei
Personen unter 20 Jahren ist ein Homograft aufgrund der
Langzeitbehandlungsergebnisse kontraindiziert. Eine der
Erkrankungen, bei der ein Homograft besonders in Frage
kommt, ist die infektiöse Endokarditis (Herzklappenentzündung). Diese kann gelegentlich bei einer Prothese
auftreten, wenn sich Gewebeteile im Kontakt mit dem
Klappenersatz entzünden. Bei Homografts kommen
keinerlei synthetische Stoffe zum Einsatz, sie können ohne
Verwendung von körperfremdem Material und, wie im
Falle einer Endokarditis, ohne das Risiko einer erneuten
Infektion als Klappenersatz implantiert werden. Es ist
bekannt, dass die Endokarditis eine schwerwiegende
Komplikation ist, die zu Embolien führt (Nierenembolien,
Milzembolien, oft äußerst schwere Hirnembolien, da der
verursachte Hirninfarkt sehr ausgedehnt ist).
Wie bereits erwähnt bergen Prothesen das Risiko einer
Endokarditis. Der Homograft hat den gewaltigen Vorteil,
vor einer erneuten Infektion zu schützen.
Der Autograft
Andere Operationsmethoden sind zahlenmäßig eher
unerheblich. Der Autograft oder die so genannte RossOperation besteht darin, an die Stelle der erkrankten
Herzklappe die benachbarte Klappe einzusetzen.
Beispielsweise entnimmt der Chirurg einen Teil der
Pulmonalklappe und setzt ihn in die Aortenklappe ein.
Die Pulmonalklappe ihrerseits wird letztlich durch einen
Homograft ersetzt.
Wird die Pulmonalklappe (ein anatomischer Zwilling der
Aortenklappe) in der Aortenposition wiedereingesetzt,
spricht man von einem „Autograft“. Dieser Eingriff hat
für junge Sportler mit Sicherheit Vorteile. Denn die
Eigenschaften der Originalklappe sind beachtlich: Es ist
keine oder fast keine Stenosewirkung nach der
Implantation zu befürchten. Der operierte Sportler kann
anschließend dieselben Leistungen erbringen wie eine
gesunde Person.
41
Die Lebenserwartung ist hoch, nach 20 Jahren sind 72 %
der Patienten noch am Leben. Allerdings kommt es vor,
dass reoperiert werden muss.
Die Ross-Methode ist insbesondere für Kinder geeignet:
Man kann davon ausgehen, dass der Autograft normal
mitwächst, ohne dass sich die Klappe verstopft oder
degeneriert. Sie ist somit die bevorzugte Methode, wenn
die Aortenklappe bei einem Kind ersetzt werden muss.
Die Therapiewahl
Welchen Klappenersatz soll man je nach den besonderen
Umständen und dem klinischem Kontext bei älteren
Patienten wählen? Ist eine mechanische oder eine biologische Prothese das am besten geeignete Implantat?
Für diese Entscheidung muss die Lebenserwartung des
Patienten und das gewünschte Ergebnis eines
Klappenersatzes berücksichtigt werden. Bioprothesen
altern mit der Zeit zwangläufig, bei betagten Patienten
(ab 70 Jahren) jedoch langsamer. Nach zehn Jahren
Restlebenszeit treten die ersten Degenerationserscheinungen auf. Vor diesem Zeitraum ist nichts Besonderes zu
befürchten. Es ist kaum zu erwarten, dass bei einem
Patienten über 70 mit Bioprothese ein neuerlicher Eingriff
notwendig wird.
Das Alter ist eindeutig einer der entscheidenden
Risikofaktoren. Dem französischen Institut für Statistik
und Wirtschaftsstudien (INSEE) zufolge hat ein 70-jähriger
Mann eine Lebenserwartung von 13 Jahren. Für Frauen
beträgt der Wert 16 Jahre. Die Implantation einer
Bioprothese beinhaltet daher für den Mann und viel mehr
noch für die Frau das Risiko einer Reoperation. Die
Lebenserwartung eines 75-jährigen Mannes liegt bei 9
Jahren, die der Frau bei 13 Jahren. Üblich ist derzeit,
Männern ab 70 Jahren eine biologische Prothese einzusetzen, Frauen ab 75 Jahren.
Bei der Auswahl einer Prothese sind aber noch andere
Faktoren als das Alter zu berücksichtigen. Sie stehen insbesondere im Zusammenhang mit der Herzerkrankung des
Patienten. Wenn bei diesem die Aortenklappe verengt ist,
ist seine Lebenserwartung im Vergleich zur Normalbevölkerung reduziert. Dies gilt umso mehr, wenn zu dem
Klappendefekt noch Erkrankungen der Koronararterien
hinzukommen. Ich habe bereits betont, dass die Lebenserwartung geschlechtsabhängig ist. Weist ein Patient eine
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Koronarerkrankung auf, ist zu berücksichtigen, dass
Frauen eine schlechtere Prognose haben als Männer. Ihre
Koronararterien haben einen geringeren Querschnitt und
krankhafte Veränderungen schreiten bei Frauen schneller
fort. Jedoch ist in der Gruppe der Patienten mit normalen
Koronararterien die Lebenserwartung der Frauen höher
als die der Männer.
Des weiteren ist die Langzeitmortalität umso höher, je
ausgeprägter und weiter entwickelt die Herzerkrankung
ist. Bei Patienten mit begrenzter Lebenserwartung tendiert
man dazu, Bioprothesen einzusetzen.
Schließlich kommen auch sozioökonomische Überlegungen
ins Spiel. Ein 80-jähriger Patient hat eine Lebenserwartung
von 7 Jahren. Wenn er unter einer Aortenklappenstenose
leidet, sinkt die Lebenserwartung auf 2 Jahre. Ziel ist nun,
seine Lebenserwartung um 5 Jahre zu erhöhen; für diesen
Lebensgewinn wird der Patient dem Risiko der
Operationsmortalität (10 %) und einer Reihe von
Komplikationen ausgesetzt, darunter einigen schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen mit möglichen
Folgeschäden. Die Kosten für die Herzklappenoperation
liegen bei 23.000 Euro. Es handelt sich also nicht nur um
eine medizinische, sondern auch um eine gesellschaftliche
Entscheidung.
Wenden wir uns nun dem Ersatz einer Mitralklappe bei
jüngeren Patienten zu. Im Prinzip wird bei einem solchen
Eingriff eine mechanische Prothese verwendet. Die mechanische Klappe in Mitralposition ist nicht so günstig wie in
Aortenposition, da das Thromboserisiko fünfmal höher
liegt. Des Weiteren sind die Risiken der Behandlung mit
Antikoagulantien zu nennen. Nach 10 Jahren haben 83 %
der noch lebenden Patienten keinen besonderen Insult
aufzuweisen. Weitere 10 Jahre später sind 71 % der zum
Operationszeitpunkt durchschnittlich 51 Jahre alten
Patienten noch am Leben. Die Implantation einer mechanischen Prothese ist also bei jüngeren Patienten keine
ideale Lösung. Jedoch ist die Bioprothese keine bessere
Lösung, wie die 52 % der Personen unter 60 Jahren zeigen,
die innerhalb von 10 Jahren erneut operiert werden
müssen. Den Ergebnissen einer Studie mit 232 jungen
Frauen (Durchschnittsalter 24 Jahre) zufolge ist das
Alterungsrisiko der Bioprothese in Mitralposition höher
als in Aortenposition. Die Überlebensrate nach 10 Jahren
liegt in einer so jungen Altersgruppe bei nur 84 %. Daher
wurden Alternativen entwickelt. Unsere Abteilung bietet
z.B. eine Homograft-Implantation für die Mitralklappe an.
Im Bereich der Homograftchirurgie waren die Ergebnisse
bei einer Gruppe von 104 an der Mitralklappe operierten
Focus
Patienten vergleichbar mit den Resultaten für Bioprothesen, mit ähnlichen Reoperationszahlen. Diese
Methode birgt jedoch das Risiko einer frühzeitigen
Klappendegeneration: Die Reoperationszahlen sind daher
im ersten Jahr relativ hoch. Infolgedessen ist ein Homograft
keine optimale Lösung für den Ersatz einer Mitralklappe.
Die Ergebnisse sind nicht besser als beim Klappenersatz
durch eine Prothese.
Die Entscheidung ist daher in erster Linie altersabhängig.
Patienten über 70 Jahre erhalten normalerweise eine
biologische Prothese; eine Ausnahme ist der Sonderfall
einer Frau mit wenig fortgeschrittenem Krankheitsbild
und ohne Koronarerkrankung. Hier wird man eher auf
eine mechanische Klappe zurückgreifen.
Bei Patienten im Alter zwischen 40 und 70 Jahren setzen
die Chirurgen gewöhnlich eine mechanische Prothese ein.
Einen Ausnahmefaktor stellt die Kontraindikation gegen
eine Behandlung mit Gerinnungshemmern dar. In diesem
Fall verwendet man eine Bioprothese oder bei Aortenklappen einen Homograft.
Wenn eine infektiöse Endokarditis vorliegt, ist der
Homograft die Methode der Wahl zur Behandlung der
defekten Klappe.
Bei Patienten unter 20 Jahren bevorzugt man die RossMethode oder es wird gegebenenfalls eine mechanische
Prothese verwendet.
Schließlich ist auf die Möglichkeit einer Plastik, also einer
Rekonstruktion, als Alternative zum Klappenersatz
hinzuweisen. Die Klappenrekonstruktion ist, sofern dies
möglich ist, vorzuziehen. Ein Beispiel hierfür wäre die
Mitralklappenplastik.
Die Mitralklappenplastik
Die Mitralklappenplastik ermöglicht eine Rekonstruktion
ohne Ersatz der Klappe und wurde Ende der Sechziger
Jahre von Alain CARPENTIER entwickelt. Bei dieser Methode
wird an der Stelle der defekten Klappe eine Ringprothese
eingesetzt. Nach der Art der abnormen Klappenbewegung
– übermäßig (wie beim Prolaps) oder eingeschränkt – gibt
es verschiedene Typen der Mitralklappeninsuffizienz. Der
Chirurg stützt sich bei seinem Eingriff auf die funktionelle
Unterteilung in 3 Typen. Er muss genau wissen, mit
welchem funktionellen Typ er es zu tun hat.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Die Echokardiographie ist nach wie vor die beste
Untersuchungsmethode, um den funktionellen Typ der
defekten Mitralklappe zu bestimmen. Hier sehen wir einen
Prolaps, bei dem eine korrigierende Transposition der
Sehnenfäden erforderlich ist, um zu verhindern, dass sich
die Klappe zum linken Vorhof vorwölbt.
Wie unterscheidet sich eine Mitralklappenplastik von
anderen Eingriffen? Das hängt insbesondere von der
klinischen Situation und der Erfahrung ab. In unserer
Abteilung nehmen wir häufig Mitralklappenplastiken vor.
Bei zwei Dritteln bis drei Vierteln der Patienten, die wegen
einer Operation der Mitralklappe zu uns kommen, wird
eine Plastik vorgenommen. Dies ist umso mehr zu betonen,
als für ein Viertel dieser Patienten zuvor ein Klappenersatz
angeraten wurde.
Die Operationsmortalität wird in hohem Maße durch
die Ursachen der Klappenerkrankung bedingt. Sie ist bei
Degenerationserscheinungen (häufigste Ursache) oder
beim akuten rheumatischen Fieber gering. Sie ist deutlich
erhöht, wenn eine Koronarerkrankung oder eine
infektiöse Endokarditis vorliegt, hier erreicht die
Mortalitätsrate 9 %.
Lassen Sie uns nun die Resultate nach einer Rekonstruktion
und nach dem Ersatz der Mitralklappe vergleichen. Die
Langzeitüberlebensrate ist unbestreitbar bei der Plastik
besser als nach einem Klappenersatz. Sofern durchführbar,
ist die Mitralklappenplastik die günstigste operative Lösung
bei Patienten, die an dieser Herzklappe erkrankt sind.
Die Langzeitergebnisse werden stark von den
Krankheitsursachen beeinflusst. Beim Vergleich der
Ätiologie kann man feststellen, dass die Mortalität beim
akuten rheumatischen Fieber höher ist als bei degenerativen Erkrankungen. Bei letzteren wurden 93 % der
Patienten innerhalb von 15 Jahren nach dem Eingriff nicht
erneut operiert, während es bei rheumatischen
Klappenerkrankungen nur 75 % waren.
Der Einsatz moderner Untersuchungsmethoden hat dazu
beigetragen, die Operationsergebnisse zu verbessern. Die
Echographie findet in den Operationssälen breite
Verwendung, wo Echokardiographiegeräte und TEESonden für die transösophageale Untersuchung nunmehr
Vorschrift sind.
Grundsätzlich gibt es weitaus weniger Möglichkeiten, eine
Plastik an der Aortenklappe vorzunehmen als an der
Mitralklappe. Es handelt sich um einige wenige
Ausnahmefälle. Daher ist es üblich, die Aortenklappe
43
durch eine Prothese zu ersetzen. Als eine dieser
Indikationen kann jedoch das Marfan-Syndrom genannt
werden, eine Erkrankung der Aortenklappe, die mit
Aneurysmen, insbesondere der aufsteigenden Aorta
(A. ascendens), verbunden ist. Der Mechanismus der
Insuffizienz erklärt sich bei diesen Patienten durch ein
Aneurysma, das eine Zugkraft auf die Aortenklappe
ausübt. Reduziert man diese Zugkraft, indem man
die Klappenöffnung auf ein normales Maß verringert,
wird die Schließfähigkeit wiederhergestellt. Aufgrund
von Langzeitstudien sind aussagekräftige Ergebnisse
verfügbar.
Bei 158 untersuchten Patienten liegt die Langzeitüberlebensrate nach 15 Jahren bei knapp 60 %. Die Zahl
der reoperierten Patienten ist in dieser sehr speziellen
Gruppe letztlich recht gering.
Generell kann man sich für gesamteuropäische Vergleichsdaten auf das EuroSCORE-System stützen, das einen
Vergleich zwischen Südeuropa (mit Frankreich) und
Nordeuropa ermöglicht.
In Südeuropa wurden 65 % der Patienten aufgrund einer
Erkrankung der Aortenklappe operiert, 35 % wegen eines
Mitralklappendefekts. Diese Zahlen liegen jeweils bei
73 % und 27 % für Nordeuropa. Die Differenz erklärt sich
dadurch, dass das akute rheumatische Fieber in
Nordeuropa vergleichsweise selten ist.
Ein Vergleich des Verhältnisses Plastik/Klappenersatz ist
durchaus interessant. In Südeuropa betrug der Anteil der
Plastik 25 %, gegenüber 19 % in Nordeuropa (bei 81 %
Klappenprothesen).
Die gleichzeitige Implantation einer Klappenprothese und
eines koronaren Bypasses hat eine Häufigkeit von 16 % in
Südeuropa und liegt bei 31 % in Nordeuropa (wo die
Patienten normalerweise etwas älter sind). Die Gesamtmortalität der Bypass-operierten Patienten beträgt 3,4 %.
Diese Zahl verdoppelt sich bei einem Eingriff an der
Aortenklappe (6 %) und liegt für Operationen an der
Mitralklappe noch etwas höher.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Wenn kein weiterer Risikofaktor hinzukommt, ist die
Operationsmortalität in der Herzklappenchirurgie weitaus
geringer. Der klinische Kontext muss daher sorgfältig
beurteilt werden. Jedem erschwerenden Faktor ist ein
Gewichtungsfaktor zuzuordnen, um das Operationsrisiko
vorherzusagen. Hierzu werden etwa fünfzehn Risikofaktoren für die Krankenhausmortalität berücksichtigt.
Als letzter Ausweg kann eine Herztransplantation in den
seltenen Fällen in Betracht gezogen werden, in denen
eine Herzklappenerkrankung das Finalstadium erreicht
hat. Der Patient wird so lange an einen extrakorporalen
Kreislauf angeschlossen, bis das neue Herz implantiert ist.
Nach dem Eingriff sind Operationsnähte am Vorhof und
an den großen Blutgefäßen zu sehen. Allerdings ist die
Prognose für Patienten, die aufgrund einer Klappenerkrankung transplantiert wurden, nicht so günstig wie
für Patienten, die aus anderen Gründen eine Herztransplantation erhalten. Bei ersteren können ischämische
Herzerkrankungen und krankhafte Herzdilatationen
auftreten.
Zuletzt soll der Fall eines Patienten vorgestellt werden, bei
dem eine Mitralklappenplastik vorgenommen wurde. Er
war oligosymptomatisch, wie es manchmal bei Personen
vorkommt, die zum Chirurgen geschickt werden. In diesem
Fall handelte es sich um eine starke Insuffizienz, die mit
mäßiger Kurzatmigkeit einherging. Per Echokardiographie wurde eine ausgeprägte Mitralklappeninsuffizienz
festgestellt. Die Schädigung stand im Zusammenhang mit
einem Sehnenfadenabriss an der Mitralklappe. Der
geschädigte Klappenanteil wurde entfernt und das
entnommene Gewebe zur anatomisch-pathologischen
Untersuchung ins Labor geschickt. Der Eingriff an sich
bestand darin, den Defekt zu beheben, der durch die
Resektion entstanden war. Am Ende der Operation musste
die Plastik durch das Einsetzen einer der Klappenöffnung
entsprechenden Ringprothese ergänzt werden. Mit diesem
Ring konnte der Klappe wieder eine normale Form und
Größe gegeben werden.
Focus
MITRALKLAPPENCHIRURGIE
Anzahl
Alter
Überlebensrate
Patienten nach 10 Jahren
ohne erneute Operation
Mechanisch
St Jude
Baudet JTCVS 1995
207
53
71 %
> 96 %
Schweine-Bioprothese
Hancock
Legarra JHVD 1999
122
61
65 %
77 %
Rinderperikard-Bioprothese
Carpentier Edwards
Aupart JTCVS 1997
150
62
71 %
90 %
Plastik
Carpentier-Technik
Deloche JTCVS 1990
206
49
90 %
92 %
Klappentyp
John EVANS
Frage aus dem Publikum
In der medizinischen Literatur wird der Aortenklappenersatz durch perkutane Endoprothesen erwähnt. Befindet
sich diese Methode derzeit erst in der Erforschungsphase?
Inwieweit können Patienten nach einer Herzklappenoperation wieder ein normales Leben führen? Sind manche
Patienten danach sehr stark eingeschränkt?
Christophe ACAR
Christophe ACAR
Es handelt sich hier um ein Verfahren, das einen faszinierenden Forschungsansatz verfolgt. Alain CRIBIER aus
Rouen ist der Initiator dieser Methode, bei der die Klappe
perkutan eingesetzt wird. Der Eingriff wurde bislang bei 4
oder 5 Patienten durchgeführt, mit mehr oder weniger
guten Ergebnissen. Damit soll ein Aortenklappenersatz
erreicht werden, ohne dafür den Brustkorb öffnen zu
müssen und folglich ohne die Patienten den Risiken eines
extrakorporalen Kreislaufs auszusetzen. In technischer
Hinsicht ist die Methode auf jeden Fall ausgereift und
kann mit der Referenzmethode, der Operation mit
Sternotomie und Ersetzen der Klappe, konkurrieren.
Im Prinzip führen die Patienten ein normales Leben.
Es hängt jedoch alles von den Umständen ab, unter
denen der Eingriff durchgeführt wurde. War der Patient
zu diesem Zeitpunkt in guter Verfassung und war die
Operation gut durchdacht, ist im Alltag nicht mit größeren
Komplikationen zu rechnen. Bei einer kurzatmigen
Dame kann eine Rehabilitationszeit notwendig sein, in
der sie Gehhilfen zum Laufen benötigt. Ein 30-Jähriger
hingegen braucht sie nach einer Plastik nicht.
Frage aus dem Publikum
Welche Bedeutung hat der Homograft für die LibmanSachs-Endokarditis?
John EVANS
Wenn man sich die Mortalitätskurven ansieht, scheint ein
tödliches Risiko nur im ersten Jahr nach der Implantation
zu bestehen. Die Überlebenskurve verläuft praktisch
parallel zur Referenzkurve.
Christophe ACAR
Christophe ACAR
Die Libman-Sachs-Endokarditis ist eine Ausnahmeerscheinung, wenn nicht eine absolute Seltenheit.
Homograft-Eingriffe wurden hier durchgeführt, es musste
jedoch nachoperiert werden. Die beste Methode in diesem
Sonderfall ist die Plastik, sofern sie möglich ist.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Der Zeitraum nach der Operation (postoperativer
Zeitraum) birgt die meisten Risiken. Keine Operation
dieser Art ist völlig risikofrei. Innerhalb der ersten 6 Monate
treten häufig Komplikationen auf (Blutgerinnsel,
Thrombosen etc.). Langfristig gesehen ist die präoperative
Verfassung des Patienten allein ausschlaggebend. Wenn
45
er nicht kurzatmig war und keine fortgeschrittene Herzerkrankung vorlag, wird er eine normale Lebenserwartung
zurückerlangen.
John EVANS
Wie sieht es bei jungen Patienten aus, bei denen ein
Klappenersatz ohne Komplikationen durchgeführt
wurde? Wie hoch ist der Prozentsatz derjenigen, die
wieder in den Beruf einsteigen, und wie hoch ist der
Anteil derer, die auf Dauer wegen Invalidität aus dem
Berufsleben ausscheiden?
Christophe ACAR
Die berufliche Tätigkeit ist absolut entscheidend.
Wenn der Beruf mit erheblichen körperlichen
Anstrengungen verbunden ist, kann es sein, dass der
Patient aufgrund seiner Herzkrankheit eine Umschulung
machen muss.
AORTENKLAPPENCHIRURGIE
Klappentyp
Mechanisch
St Jude
Baudet JTCVS 1995
Schweine-Bioprothese
Hancock
Logeais JHVD 1995
Rinderperikard-Bioprothese
Carpentier Edwards
Aupart Annais TS 1996
Homograft
O'Brien JHVD 2001
Anzahl
Alter
Überlebensrate
Patienten nach 10 Jahren
ohne erneute Operation
773
57
74 %
> 94 %
1 108
74
46 %
89 %
589
67
71 %
97 %
1 022
49
77 %
85 %
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Focus
Risikobewertung bei
Herzklappenerkrankungen
Dr. med. Dominique LANNES. Gesellschaftsarzt, SCOR Global Life
Konsequenzen der jüngsten therapeutischen Ansätze bei der Behandlung
von Herzklappenerkrankungen
Wir wenden uns nun dem speziellen Bereich der
Versicherungsmedizin zu und fassen die überaus nützlichen Informationen zusammen, die wir bei der heutigen
Veranstaltung erhalten haben. Ziel ist die Aufstellung von
zuverlässigen Regeln für die Tarifierung bei Herzklappenoperationen und Herzklappenerkrankungen.
Wir bewegen uns im Bereich der erhöhten Risiken, da es
schwerwiegende Erkrankungen sind, die uns zur Prüfung
vorliegen. Der medizinische Fortschritt bleibt jedoch
nicht stehen und die diagnostischen Möglichkeiten haben
sich durch die Echokardiographie bedeutend verfeinert.
Diese Technologie ermöglicht heute eine präzisere Nachsorge der Patienten nach der Implantation einer Klappenprothese. Außerdem hat sie den Weg zu einer systematischen
Endokarditis-Prophylaxe eröffnet, die ansetzt, sobald ein
abnormales Herzgeräusch festgestellt wird.
Eine Herzklappenerkrankung darf weder zu früh noch zu
spät operiert werden. Die Unterlagen von Antragstellern,
deren Herz sich zum Zeitpunkt des Eingriffs in einem
besseren Zustand befindet, sind einfacher zu beurteilen.
Technisch gesehen haben Doppelflügelprothesen aus
Karbon die früheren Modelle ersetzt.
Die Plastik stellt einen weiteren erheblichen Fortschritt
dar, insbesondere in der Mitralklappenchirurgie. Auch hier
wird die Nachbetreuung der Patienten durch die
Echokardiographie erleichtert. In versicherungstechnischer Hinsicht muss man der analytischen Leistungsfähigkeit dieser Untersuchungsmethode Rechnung tragen.
Die Doppler-Echokardiographie wird sowohl bei der
Diagnose als auch bei der im Allgemeinen halbjährlichen
Nachsorgeuntersuchung der Herzklappenerkrankungen
eingesetzt. Der optimale Zeitpunkt für den chirurgischen
Eingriff kann heutzutage immer besser bestimmt werden.
Wir als Versicherer und Rückversicherer können heute
unsere Risikoeinschätzung in Bezug auf Personen mit
Herzklappenerkrankungen, die eines Klappenersatzes
bedürfen, überprüfen (welche die Implantation einer
Prothese rechtfertigen). Das Risiko für den Versicherer
kann reduziert werden, wenn die Einstufung korrekt ist.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Die Analyseraster
Die Prüfung der medizinischen Risiken erfolgt auf der
Grundlage eines Fragebogens. Ein Herzgeräusch kann ein
Anzeichen für eine Herzklappenerkrankung sein. Wenn
eine Person unter einer Herzinsuffizienz leidet, die eine
umfangreiche Behandlung mit Diuretika und ACEHemmern erforderlich macht, hat man es mit einem
Antragsteller mit schwerwiegender Herzklappenerkrankung zu tun, was in der Regel zu einer Ablehnung führt.
Der Vermerk einer Dyspnoe (Atemnot) ist ein äußerst
wichtiges Alarmsignal, das zumindest eine ergänzende
Untersuchung rechtfertigt. In jedem Fall muss bei einer
Herzklappenerkrankung der letzte Untersuchungsbericht
und die letzte Echographie angefordert werden. Ein
spezieller Fragebogen für Herzklappenerkrankungen
erlaubt dann eine detailliertere Analyse und Tarifierung.
Für die Tarifgestaltung behilft man sich mit den klinischen
Befunden und der Echokardiographie. Für die klinische
Bewertung ist die Belastungsdyspnoe entscheidend. Die
sogenannte NYHA-Klassifikation gibt folgende Definition:
Stadium I entspricht einer normalen körperlichen
Leistungsfähigkeit.
Stadium II entspricht einer Kurzatmigkeit bei stärkerer
körperlicher Belastung. Prof. Dr. MICHEL betonte
diesbezüglich, dass diese Belastung relativ gesehen
werden muss, je nachdem, welche körperliche
Betätigung die Person gewohnt ist.
Stadium III entspricht einer Kurzatmigkeit bei
der geringsten Belastung (beispielsweise beim Treppensteigen).
Stadium IV entspricht einem Lungenödem.
Die letzten beiden Stadien begründen eine Zurückstellung
oder eine Ablehnung.
In der Echokardiographie stellen die Kardiologen im
Zweijahresrhythmus neue Kriterien auf, um den Schweregrad einer Erkrankung und Herzklappenerkrankungen
insgesamt genauer zu bestimmen. Sie haben sich hier noch
nicht auf eine einheitliche Klassifizierungsmethode
geeinigt. Bislang unterscheidet man entsprechend den
dabei festgestellten Auffälligkeiten:
Schweregrad I oder minimale Beschwerden
Schweregrad II oder mäßige Beschwerden
47
Schweregrad III oder mittelschwere Beschwerden
Schweregrad IV oder schwerwiegende Beschwerden
Es geht also darum festzustellen, welcher Gruppe der
Antragsteller angehört. Die zwei letzten Gruppen müssen
in der Regel zurückgestellt oder abgelehnt werden.
Besondere Aufmerksamkeit ist auf die Erweiterung der
Herzhöhlen, auf Hypertrophien und Störungen der
Auswurffunktion zu richten. Hierfür greift man auf die
klinischen Daten und den Echokardiographiebefund
zurück.
Versicherungsfähige Antragsteller müssen asymptomatisch sein, sie dürfen keine Kurzatmigkeit oder Synkopen
aufweisen. Eine Operation ist bei dieser Kategorie, die
Grad I oder II der echokardiographischen Untersuchung
entspricht, nicht geplant.
Ablehnungen oder Zurückstellungen können folgende
Gründe haben:
Zugehörigkeit zur Kategorie der sehr symptomatischen Patienten der Stadien III oder IV nach dem
Bewertungsschema für Beschwerden bei körperlicher
Belastung
Zugehörigkeit zu Grad III oder IV nach dem echokardiographischen Analyseschema
Planung einer Herzklappenoperation in naher
Zukunft
Bei Personen mit Herzklappenerkrankungen unterscheidet
man den präoperativen, den perioperativen und schließlich
den postoperativen Zeitraum, in dem sich der Klappenzustand wieder stabilisiert hat. Die Schlüsselphase für die
Risikobestimmung ist der Zeitpunkt des operativen
Eingriffs.
Ein schematisches Beispiel: Über mehrere Jahre hinweg
zeigt eine Person folgende klinische Symptome:
Herzgeräusch, keine Dyspnoe, unauffällige Echokardiographie. Je näher der Zeitpunkt der Operation rückt,
umso offensichtlicher ist die Symptomatik und umso signifikanter die Echokardiographie. Nun muss der richtige
Zeitpunkt für den Eingriff gefunden werden, die zentrale
Phase für die Risikobeurteilung. Auf diese entscheidende
Phase folgt ein dritter, der postoperative Zeitraum.
Folglich ist die Antiselektion im Zeitraum unmittelbar vor
der Operation am höchsten. Wie einem der gesunde
Menschenverstand sagt, ist es nicht empfehlenswert, direkt
vor einem solchen Ereignis einen Vertrag abzuschließen.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Die wichtigsten erwähnenswerten Risiken vor einer
Herzklappenoperation sind:
Endokarditis
Herzinsuffizienz
Herzrhythmusstörungen
plötzlicher Herztod
Angina pectoris
Der letzte Fall erklärt sich dadurch, dass bei den oft älteren
Patienten zu ihrer Herzklappenerkrankung eine
Koronarerkrankung hinzukommt.
Die Mortalität in der Herzklappenchirurgie liegt nach den
von Prof. Dr. MICHEL und Prof. Dr. ACAR vorgestellten
Daten zwischen 3 und 5 %.
Nach dem Eingriff kann man erneut die vorrangigen
Risiken berechnen und erfassen:
Dehiszenz oder Thrombose der Prothese
Komplikationen infolge der Behandlung mit gerinnungshemmenden Medikamenten
Während des Zeitraums kurz vor bzw. kurz nach dem
chirurgischen Eingriff sind Anträge definitiv zurückzustellen oder abzulehnen.
Gleiches gilt, wenn:
Symptome der Stadien III oder IV oder Anzeichen
einer Herzinsuffizienz vorliegen.
die Echokardiographie eine Situation gemäß Grad III
oder IV ergibt.
Dann muss der Antragsteller dazu aufgefordert werden,
nach der Herzklappenoperation wiederzukommen.
TARIFIERUNG
Zurückstellung
oder Ablehnung 6 Monate
Übersterblichkeit
Übersterblichkeit
+50… bis… +250
+50… bis… +250
Nicht versicherbarer Zeitraum
Focus
Praktische Beispiele für
die Tarifgestaltung
Kommen wir nun anhand konkreter Fälle zu tarifierungsspezifischen Aspekten.
Für eine Tarifierung lange vor einem unumgänglichen
chirurgischen Eingriff bei asymptomatischen Antragstellern der Klasse I oder II und mit echokardiographischem Befund entsprechend Grad I oder II setzt man Tarife
von 50 bis 250 % Übersterblichkeit an.
Nach einer Herzklappenoperation, wenn der Patient
asymptomatisch oder sehr gering symptomatisch ist und
sein letzter echokardiographischer Befund sowie eine
Bewertung der Funktionsfähigkeit der Prothese und der
linken Herzkammer vorliegt, bewegt man sich innerhalb
einer Spanne von 25 bis 150 % Übersterblichkeit.
Dieses Beispiel steht für eine kleine Revolution in den
Tarifierungstabellen, womit man dem chirurgischen
Fortschritt bei Mitralklappenplastiken Rechnung tragen
möchte: Ein alleiniger Mitralklappenprolaps ohne
Komplikationen wird als ein normales Risiko angesehen.
Bei einem Mitralklappenprolaps mit Herzgeräusch und
Insuffizienz setzt man hingegen den Tarif für Mitralklappeninsuffizienz an.
Im Falle einer doppelten Herzklappenerkrankung (bspw.
Aortenklappenstenose und Mitralklappeninsuffizienz) ist
das Risiko fallweise zu prüfen. Eine systematische
Ablehnung wird daher nicht von vornherein empfohlen.
Betrachten wir nun eine Reihe von klinischen Fällen.
Für einen 50-jährigen Mann mit asymptomatischer, laut
Doppler-Echokardiographie mäßiger Mitralklappeninsuffi
zienz, dessen linke Herzkammer eine normale Größe und
Funktion aufweist, sieht die Tarifierung folgendermaßen aus:
75 % für Übersterblichkeit
125 % für Erwerbsminderung/Invalidität
25 % für den Pflegefall (das Risiko ist tatsächlich
relativ gering)
Der Antrag eines 50-Jährigen, der eine Aortenklappeninsuffizienz hat, beim Treppensteigen nach einem
Stockwerk unter Atemnot leidet, mit Diuretika und ACEHemmern behandelt wird und dessen Doppler-Echokardiographie nicht verfügbar ist, wird hingegen abgelehnt
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
werden. Hier ist es auch nicht zweckmäßig, die DopplerEchokardiographie einzuholen, da dieser Patient operiert
werden muss. Wenn er Einwände gegen diese Entscheidung
erhebt, kann man die letzte Echokardiographie einholen
und weitere Befunde anfordern.
Für eine 35-jährige Frau mit einer Mitralklappenstenose,
die bei signifikanter körperlicher Belastung (Jogging)
unter Atemnot leidet und eine Echokardiographie vorlegt,
die eine mäßige Mitralklappenstenose zeigt (eine 2 cm2
große Klappenöffnung), gilt folgende Tarifierung:
200 % für Übersterblichkeit (zu berücksichtigen sind
die Risiken von Herzrhythmusstörungen, einer Embolie
der supraaortalen Gefäße und einer wahrscheinlichen
zukünftigen Operation)
250 % für Erwerbsminderung/Invalidität
100 % für den Pflegefall
Bei einem 65-jährigen Mann, dessen Aortenklappenstenose durch Einsetzen einer mechanischen Prothese
operiert wurde, der asymptomatisch ist und eine normale
Doppler-Echokardiographie vorlegt sowie einen Befund
über eine normale Prothesenfunktion, wird folgende
Tarifierung festgesetzt:
50 % für Übersterblichkeit
Ablehnung bezüglich der Erwerbsminderung/Invalidität aufgrund seines Alters (das Patientenprofil ist
hier durchaus von Bedeutung und man sollte keine
starren Maßstäbe anlegen)
100 % für den Pflegefall
Auf eine 50-jährige Frau, deren Mitralklappe drei Jahre
zuvor mittels einer Plastik operiert wurde, die asymptomatisch ist und eine unauffällige Doppler-Echokardiographie vorweisen kann, wird ein Tarif Anwendung
finden, der Prof. Michels heutigen Ausführungen
Rechnung trägt:
25 % für Übersterblichkeit, was praktisch mit der
Normalbevölkerung vergleichbar ist
50 % für Erwerbsminderung/Invalidität (da man nicht
den Patienten, sondern lediglich dessen Krankenakten
zu Gesicht bekommt, ist eine gewisse Vorsicht
angeraten)
25 % für den Pflegefall.
Eine Narbe auf dem Brustbein infolge einer Plastik, mit
der eine Mitralklappeninsuffizienz korrigiert wurde, führt
also nicht automatisch zu einer Ablehnung seitens des
Versicherers.
49
John EVANS
Die Tarifstrukturen der SCOR Global Life folgen dem klinischen Fortschritt und der Entwicklung der Behandlungsmethoden im Krankenhaus. Selbst wenn unsere
Entscheidungen manchmal mit Blick darauf, was hier
gesagt wurde, ein wenig streng erscheinen: Es wird nicht
nur im Ballungsraum Paris operiert und nicht alle Ärzte
sind so erfahren und fähig wie unsere Referenten.
Außerdem löst die infektiöse Endokarditis immer noch
Ängste aus. Wie hoch ist das Risiko einer Erkrankung
wirklich?
Pierre-Louis MICHEL
Das Risiko ist nicht geringer geworden. Die Inzidenz ist
zwar in den entwickelten Ländern weiterhin sehr gering,
aber stabil (25 Neuerkrankungen pro Million Einwohner
und pro Jahr). In Frankreich liegt der Prozentsatz mit
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
jährlich 1 500 Endokarditis-Fällen in etwa genauso hoch.
Die Mortalität liegt nach wie vor im Bereich von 15 bis
20 %. Das Risiko einer frühzeitigen Operation beträgt
rund 50 %. Diese Erkrankung macht Angst und sie hat
nach wie vor schwerwiegende Folgen. In der Epidemiologie
ist eine Veränderung festzustellen, da man eine Abnahme
der Fälle verzeichnet, die durch Streptokokken im Mund
verursacht werden. Die antibiotische Prophylaxe hat sich
hier ausgezahlt. Im Gegenzug konnte eine Zunahme der
Endokarditis durch Darmstreptokokken festgestellt
werden, insbesondere bei älteren Patienten, die unter
degenerativen Erkrankungen leiden. Die Risiken sind
höher für Personen mit Klappenprothesen und Patienten
mit einer Aortenklappeninsuffizienz. Dagegen gibt es
theoretisch keinen Grund, einen Prämienzuschlag wegen
Endokarditis bei jemandem zu berechnen, der an einer
Mitralklappenstenose erkrankt ist.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
51
Fazit
D
Die Mortalität bei den Herzklappenerkrankungen nimmt in der
sogenannten industrialisierten Welt kontinuierlich ab. Leider ist
dies nicht überall der Fall. Insbesondere in den Ländern der Dritten
Welt muss für die Behandlung dieser Erkrankungen noch viel getan
werden.
Die Vorträge unserer Gastreferenten zeigen jedoch, dass neue Erkenntnisse
im Bereich von Diagnose, Behandlung und Prävention von Koronar- und
Herzklappenerkrankungen dem Personenkreis mit Zugang zu Therapiemöglichkeiten Hoffnung auf eine höhere Lebenserwartung und eine
bessere Lebensqualität bieten.
Daher sind diese medizinischen Fortschritte für all jene konkret umzusetzen,
die von diesen Erkrankungen betroffen sind und sich gegen die Risiken
Sterbefall und Erwerbungsunfähigkeit versichern möchten.
Wir bei SCOR Global Life glauben, dass es anhand der für eine objektive
Risikobewertung notwendigen Informationen möglich ist, vorteilhaftere
Versicherungskonditionen anzubieten. Unsere Risikoprüfungs- und Tarifpolitik muss sich parallel zum medizinischen Fortschritt entwickeln, damit
die überwiegende Mehrheit der von diesen Erkrankungen betroffenen
Personen ihre privaten und beruflichen Projekte verwirklichen können.
Oktober 2007 / Ein neuer Blick auf KHK und Herzklappenerkrankungen
Publikationen SCOR Global Life
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Sonderausgabe
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04
03
02
01
Jahresüberblick Leben: Chronologie der Lebensversicherung im Jahr 2006
Versicherung von Nierentransplantierten
Jahresüberblick Leben: Chronologie der Lebensversicherung im Jahr 2005
Morbide Adipositas und Magenband
Preferred-Lives-Produkte im Bereich der Lebensversicherung
Fibromyalgie
Die Rückversicherung im Dienste der Risikoprüfung
Jahresüberblick Leben: Chronologie der Lebensversicherung im Jahr 2004
Pensionsfonds im europäischen Vergleich
Sterblichkeitsprognosen und Leibrenten
Die Invaliditätsabsicherung
Geschlechtsspezifische Tarife in der europäischen Diskussion
Die private Pflegeversicherung: Pauschal- und Kostenerstattungsprodukte
Versicherer und Versicherungsbetrug
Die finanzielle Risikoprüfung
Versicherungsschutz gegen schwere Krankheiten
Fondsgebundene Lebensversicherungen
Profi-Sportler Risikoeinschätzung und -deckung
Das Allfinanzgeschäft weltweit
Private Pflegeversicherung im internationalen Vergleich
Der deutsche Pensionsfonds
Exposure-Analyse: Ein Grundprinzip guter Betriebsführung
Die Auswirkungen der Anschläge vom 11. September 2001 auf die Personenversicherung
Reform des deutschen Alterssicherungssystems
Raucher / Nichtraucher Getrennte Tarifgestaltung
Die Rückversicherung: Als Instrument zur Erhöhung der verfügbaren Solvabilitätsspanne
Alkoholismus und Personenversicherungen
Die Versicherer und die Bekämpfung der Geldwäsche
HIV – Infektion und Versicherungsschutz
Focus
Versicherbarkeit bei bösartigen Hodentumoren
Bancassurance
Diabetes and its complications
Vital hepatitis B and C: where do we stand ?
Konzeption und Umsetzung: Franklin Partners
Ein neuer Blick auf KHK
und Herzklappenerkrankungen
Verfasser
Dr. John Evans
[email protected]
Herausgeber
Bérangère Mainguy
Tel. + 33(0)1 46 98 84 73
[email protected]
1, avenue du Général de Gaulle
92074 Paris la Défense cedex France
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