Zum Schweresinn von Mehlkäfern (Tenebrio molitor) und

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U. BÄSSLER
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requirem ents fo r pteridines with respect to activity
fo r C. fa scicu la ta : the first governs access to the
in ternal celullar environm ent, the second governs
activity at the p articu la r cellular site. C larification
of w hether or not these specificities are identical
aw ait repetition of the experim ent illustrated in
Fig. 1 but w ith broken cells.
No in form ation on interconversions am ong p te ri­
dines was o btained from either the experim ent illus­
trated in Fig. 1 or a sim ilar one which shows uptake
of the yellow p teridine (Fig. 2 ). In all cases the
p teridines a re taken up from the incubation m ixture.
All subsequent conversions take place w ithin the cell
an d so fu rth e r analysis of products m ust be done
separately.
E xperim ents w ith bacterium IL provided the first
step in clarification of the conversions am ong p te ri­
dines. W hen either pure tetrahydrobiopterin-deriv ate
(TH B) or THB plus ca rrier yellow p teridine was
used as substrate in incubation experim ents, d is­
ap pearance of THB was always accom panied by in ­
crease in yellow pteridine in the incubation su p e r­
n atan t (Fig. 3) thus establishing THB as a p re ­
cu rso r of the yellow pteridine. T here is already some
evidence 5? 6 th a t the yellow p teridine is the d ih y d ro ­
p roduct, the b acteria thus acting by an enzym atic
oxidation. W e m ay speculate th at in the yellow
Fig. 3. Production of yellow pteridine by bacterial strain IL.
Measurements on the ordinate are units of increase of fluores­
cence of yellow pteridine.
dihydro-com pound the aliphatic substituent, which
is attached to C-6 form s an unstable th ird rin g and,
hence, the yellow chrom ophore.
T hese first experim ents have not resolved the
question of w hether the yellow p terid in e is a p re­
cu rso r of one or all of the red p terid in es or w ether
the synthetic pathw ay branches after TH B so that
the red p terid in es and the yellow p terid in e are p ro ­
ducts of this com m on p recu rso r. T hese studies are
being pu rsu ed fu rth e r w ith d isru p ted cells of both
m icro b ial systems.
Zum Schweresinn von Mehlkäfern (Tenebrio molitor)
und Stechmücken (Aedes aegypti)
V on
U
l r ic h
B
ä ssler
* **
(Z. Naturforschg. 16 b, 264— 267 [1961] ; eingegangen am 26. November 1960)
Beim Mehlkäfer dienen Sinnesorgane in den Antennen und zwischen Pro- und Mesothorax als
Schweresinnesorgane. Bei Aedes aegypti sind neben den J o h n s t o n sehen Organen auch Proprio­
rezeptoren in den Beinen an der Schwerkraftorientierung beteiligt. Es wird die Hypothese entwickelt,
daß Landinsekten, wenn überhaupt, dann mindestens zwei verschiedene Schweresinnesorgane haben.
S chw eresinnesorgane sind bisher bei Insekten n u r
sehr spärlich entdeckt w orden und dann vor allem
bei w asserlebenden Form en. U nter L aridinsekten
konnten n u r bei der Biene 1 und bei A ed es a e g y p ti2
spezielle Schw eresinnesorgane nachgewiesen w erden.
Bei der Biene liegen Sinnespolster an der E inlen ­
kungssteile von K opf und T h orax und jen er von
T h o ra x und A bdom en, die eine Bewegung dieser
schweren Teile gegeneinander registrieren. Bei
A e d e s a e g y p ti m ißt das J o h n s t o n sehe O rgan Be­
w egungen der Geißel, die un ter dem Einfluß der
Schw erkraft erfolgen.
D ie vorliegende A rbeit sollte zunächst feststellen,
ob sich beim M ehlkäfer Schw eresinnesorgane nach-
* Die Experimente mit Stechmücken konnten dankenswerter­
weise im Laboratorium von Herrn Prof. Dr. R i s l e r im
Zoologischen Institut Tübingen ausgeführt werden.
** Anschrift des Verfassers: Stuttgart-Möhringen, Kolbäckerstraße 69.
1 M. L in d a u e r u . 0 . N e d e l , Z. vergl. Physiol. 42. 334 [1959].
2 U . B ä s s l e r . Z. vergl. Physiol. 41, 300 [1958].
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SCHWERESINN VON MEHLKÄFERN UND STECHMÜCKEN
weisen lassen. Erst durch diese Arbeit wurde ein
neues Durchdenken früherer Stechmückenversuche 2
nötig.
1. Versuche an M ehlkäfern
Läßt man die Tiere auf einer um 45° geneigten, mit
weißem Tuch bespannten Fläche (Abb. 1) frei, so zei­
gen sie keine deutlich bevorzugte Laufrichtung. Viele
Tiere bleiben nach einiger Zeit sitzen, wie überhaupt
ein länger dauernder Lauf nur in Fluchtstimmung
möglich scheint. Der Lauf ist meist gerade; spontane
Richtungsänderungen kommen gelegentlich, aber nicht
häufig vor. Wurde die Fläche nur noch äußerst schwach
mit nahezu diffusem dunkelgrünem Licht beleuchtet,
gerade so stark, daß sich die Tiere eben noch von der
weißen Fläche abhoben, trat keine Ä nderung des Ver­
haltens ein. Alle folgenden Versuche wurden bei dieser
schwachen Beleuchtung durchgeführt.
Abb. 1. Versuchsanordnung. Die um 45° geneigte Fläche
(50 -70 cm) kann um die dreieckige Achse bewegt werden.
Dreht man während eines Laufes die Fläche um 90°,
so daß sie jetzt in der anderen Richtung um 45° gegen
die Horizontale geneigt ist, so wenden die Tiere. Nur
ein Teil sind allerdings volle 180°-Wendungen, so daß
man höchstens von einem groben geomenotaktischen
Verhalten sprechen kann. Da diese Wendungen dadurch
zustande kommen, daß die Lage des Tieres relativ zur
Schwerkraft verändert wird, lassen sie sich als Test da­
für verwenden, ob das Tier die Richtung der Schwer­
kraft wahrnimmt. Als Wendung gewertet wurde jede
Abweichung von der bisherigen Laufrichtung, die grö­
ßer als 60° war.
Normale Tiere wenden in 91,5% der Fälle. Daß es
nicht 100% sind, liegt vor allem daran, daß manchmal
die Lauffläche gedreht wurde, als sich das Tier kurz
vor dem Rand der Lauffläche befand. Erreichte das
Tier dann vor Einsetzen der W endereaktion die Wand,
so lief es an dieser entlang; die thigmotaktische Ein­
stellung ist also stärker als die geotaktische.
Wurden den Käfern die Antennen abgeschnitten und
die Stummel mit Schellack verklebt, so wendeten sie in
67,5% der Fälle. Dabei zeigten einige Tiere einen un­
regelmäßigen, d. h. häufig die Richtung wechselnden
Lauf.
Als eine besonders leicht bewegliche Körperstelle er­
scheint das Gelenk zwischen Pro- und Mesothorax. Um
265
diese Stelle unbeweglich zu machen, wurden Stücke
eines Strohhalmes am Prothorax und den Flügeldecken
festgeklebt. Aber auch solche Tiere mit intakten An­
tennen und geschientem Thorax wendeten zu 78 P ro­
zent. Wurden jetzt in einem dritten Versuch die Anten­
nen abgeschnitten und die Stummel verklebt sowie der
Thorax geschient, so zeigten die Tiere entweder einen
sehr unregelmäßigen Lauf oder Kreisläufe. N ur ganz
wenige Tiere liefen über kürzere Strecken einigermaßen
gerade. Drehte man bei diesen die Lauffläche, so liefen
sie meist unbeirrt weiter, gelegentliche Wendungen
waren nach Drehen der Lauffläche nicht häufiger als
ohne dieses Drehen. Daß der Lauf intakter Tiere meist
über größere Strecken gerade ist und die im dritten
Versuch verwendeten Tiere nicht mehr längere Zeit ge­
rade liefen, zeigt, daß die Tiere ohne Antennen und
mit geschientem Thorax in ihrer Schwereorientierung
stark beeinträchtigt sind. Ob aber die gelegentlichen
Wendungen bei den wenigen einigermaßen gerade lau­
fenden Tieren auf spontane Wendetendenzen oder auf
Einwirkung der Schwerkraft zurückzuführen sind, ist
nicht zu entscheiden. Aber so viel ist sicher, daß die
Tiere im dritten Versuch stark in ihrer Schwerkraft­
rezeption gestört waren.
Nach diesen Versuchen dienen also die Antennen und
in ihnen vermutlich die J o h n s t o n sehen Organe, so­
wie Sinnesorgane zwischen Pro- und M esothorax als
Schweresinnesorgane. Von diesen beiden Organen kann
jedes für sich eine Orientierung nach der Schwerkraft
ermöglichen. Welcher A rt die Sinnesorgane am Thorax
sind, konnte mit den zur Verfügung stehenden Mitteln
nicht geklärt werden. Einen Hinweis gibt vielleicht fol­
gende Tatsache: Die gleichen Veränderungen der Re­
aktionen traten auch ein, wenn statt der Schienung die
Furche zwischen Pro- und Mesothorax mit einer alko­
holischen Schellacklösung überzogen wurde. W ahr­
scheinlich handelt es sich also um Sinneshaare.
Ob an diesen beiden Stellen des Körpers die ein­
zigen Schweresinnesorgane liegen, oder ob noch an an­
deren Gelenkstellen eine Schwererezeption stattfindet,
läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Da alle Versuche
nur in der Zeit zwischen drei und acht Stdn. nach der
Operation ausgeführt wurden, wäre es durchaus denk­
bar, daß nach dem Ausfall der Antennen und des
Pro-Mesothoraxgelenkes einige Zeit später auch andere
Propriorezeptoren im Körper (vermutlich vor allem in
der Halsregion und in den Beinen) die Rolle der
Schweresinnesorgane übernehmen. Da sich aber der
Mehlkäfer für derartige Untersuchungen nicht beson­
ders gut eignet, wurde von einer W eiterführung der
Versuche abgesehen.
Diskussion
Die vorstehenden Ergebnisse zeigen, daß beim
Mehlkäfer vorzugsweise zwei Stellen im Körper, die
Antennen und die Gelenkstelle zwischen Pro- und
Mesothorax, an der Schwererezeption beteiligt sind.
Dies paßt gut zu den Befunden von L i n d a u e r und
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U. BÄSSLER
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e d e l bei der Biene. Beide T iere haben nicht n u r
ein einziges S chw eresinnesorgan.
N
W ie bei allen W irbeltieren findet nach unseren
b isherigen K enntnissen auch bei den Insekten die
W ahrnehm ung der S chw erkraftrichtung dadurch
statt, daß ein schwerer K ö rp er durch die Schw erkraft
bew egt w ird. Bei den W irbeltieren ist dieser K örper
so gelagert, daß er n u r von der S chw erkraft bewegt
w erden kann. Bei den L andinsekten stellen offen­
sichtlich einzelne K örperteile solche schweren K örper
d ar, die aber an der O berfläche liegen, d. h. es kö n ­
nen auf sie neben der S chw erkraft verschiedene an ­
dere K räfte (W ind. B erührung) einw irken. Es er­
scheint einleuchtend, daß F ehlinform ationen verm ie­
den w erden können, w enn m indestens zwei Stellen
des K örpers, deren bew egte Teile möglichst ver­
schieden sind, als Schw eresinnesorgane w irken. Da
wegen ih re r verschiedenen F orm die betreffenden
K örperteile vom W ind anders bew egt w erden als
von der Schw erkraft, dürfte bei m ehreren O rganen
eine U nterscheidung von W ind und Schw erkraft
möglich sein. A ußerdem ist eine B erührung verschie­
dener K örperteile gleichzeitig und m it gleicher In ­
tensität unw ahrscheinlich.
N un w ird auch verständlich, w arum es bisher so
vielen A utoren nicht gelungen ist. Schw eresinnes­
organe bei L andinsekten nachzuw eisen. Es w urden
bei diesen U ntersuchungen n u r jew eils einzelne O r­
g ane ausgeschaltet, w orunter vielleicht sogar ein
S chw eresinnesorgan w ar. Da aber, wie ausgeführt,
w ahrscheinlich die Insekten, w enn überh au p t, dann
m ehrere Schw eresinnesorgane haben, ist, wie die
M ehlkäfer zeigen, die A usschaltung n u r eines sol­
chen S chw eresinnesorganes u n ter U m ständen ohne
allzu großen E influß auf die S chw erkraftorientie­
rung.
D en h ie r v o rgetragenen G edanken w idersprechen
n u n aber m eine eigenen B efunde an Stechmücken.
Es w urde also notw endig, h ier eine K läru n g h erb ei­
zuführen.
2. Versuche an Stechmücken
Zum Erhellen der Problem atik ist es nötig, nochmals
kurz auf die damals angewandte Methodik einzugehen.
A edes aegypti $ 5 waren am Thorax fixiert. Ihre Beine
standen auf einer kleinen beweglichen Platte. Unter
dieser Platte wTar ein mit Ruß bestäubtes Kärtchen.
W urde die bewegliche Platte weggezogen, begannen die
Tiere zu schwirren. Der dadurch entstandene Wind
blies aus dem Rußkärtchen zwei Bahnen aus. Stand
die ganze A pparatur horizontal, waren die beiden Bah­
nen gleich groß, d. h. die beiden Flügel schlugen gleich
stark. Wurde die ganze A pparatur um 30° um die
Längsachse der Tiere geneigt, so war die untere Bahn
deutlich größer als die obere, der untere Flügel schlug
also stärker, das Tier versuchte sich aufzurichten.
W urde das J o h n s t o n sehe Organ außer Funktion ge­
setzt (schon durch einseitige Amputation zweier Geißel­
glieder war das zu erreichen), so war die untere Bahn
nur noch unwesentlich größer als die obere. Weil der
weggeblasene Ruß nach unten fällt, konnte man sagen,
die Reaktion auf Schwerereize ist erloschen. Um die
Rußbahnen (Pterogramme) zu erzeugen, konnten die
Tiere etwa 1 sec schwirren, dann wurde ihnen die be­
wegliche Platte wieder untergeschoben. Wie schon frü­
her bemerkt, werden also mit dieser Methode nur die
Reaktionen des abfliegenden Tieres gemessen. Aus die­
sen Versuchen ging hervor, daß die Antennen Schwere­
sinnesorgane enthalten.
Will man die oben ausgesprochene Hypothese auch
auf A edes aegypti ausdehnen, dann muß man anneh­
men, daß weitere Sinnesorgane bei den geschilderten
Versuchen ebenfalls ausgeschaltet wurden. Sucht man
nach derartigen Organen, muß man zunächst fragen,
welche Gelenkstellen in der oben besprochenen A ppa­
ratur anders belastet sind als normalerweise; das sind
sämtliche Beingelenke. Durch die Thoraxfixierung ruht
der Körper nicht auf den Beinen, sondern die Beine
hängen am Körper. Dazu kommt noch, daß die A ppara­
tur erst kurz vor der Messung in Schräglage gebracht
wurde und unm ittelbar nach der Messung wieder in
die Horizontallage zurückgedreht wurde. Die Tiere
stellten wohl meistens die Beine in der Horizontallage
auf die bewegliche Platte. Die Beine waren also nicht
nur am Thorax, sondern auch, wenigstens solange das
Tier nicht flog, mit den Tarsen festgelegt. Da aber mit
der beschriebenen Methode nur die Reaktionen beim
Abflug gemessen werden können, konnte eine Meldung
der Propriorezeptoren über die Belastung der Beine
durch den Körper und über die W irkung der Schwer­
kraft auf die nach dem Abflug hängenden Beine sich
nicht auf die Form der Rußbahnen auswirken. Alle
anderen Körpergelenke waren in der A pparatur genau­
so belastet wie im natürlichen Zustand. Sollten also
frei bewegliche Tiere Reaktionen auf Schwerkraft zei­
gen, die auch nach dem Ausschalten der J o h n s t o n schen Organe erhalten bleiben, müssen Propriorezepto­
ren in den Beinen im Dienste der Schwerkraftwahrneh­
mung stehen.
A edes aegypti 9 ? hängen in der Ruhe mit dem Kopf
nach oben an einer senkrechten Wand. Diese Sitzrich­
tung wird durch optische Faktoren höchstens unwesent­
lich beeinflußt. W urden den Tieren wie in den oben
geschilderten Versuchen einseitig die halben Geißeln
amputiert, die J o h n s t o n sehen Organe also für die
Schwereorientierung unbrauchbar gemacht, war keine
Veränderung ihrer Ruhehaltung zu beobachten.
Bei A ed es a e g y p ti 9 9 dienen also neben den
J o h n s t o n sehen O rganen auch P ro p rio rezep to ren
in den Beinen der R e g istrieru n g der L age im R aum .
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KYBERNETISCHE VORGÄNGE BEI DER STIMMGEBUNG
Schluß
Bei den b ish er untersuchten L andinsekten sind
also im m er m ehrere S chw eresinnesorgane v o rh a n ­
den. D ie betreffenden S innesorgane stehen aber
sicher nicht ausschließlich im D ienst der Schw ere­
rezeption, sondern sie reg istrieren B ew egungen der
betreffenden K örperteile gegeneinander, gleichgültig,
welche K raft diese Bew egung v era n laß t hat. Bei
267
L andinsekten treten also w ahrscheinlich keine spezi­
fischen S chw eresinnesorgane auf. V ielm ehr w ertet
das Z entralnervensystem die M eldung m eh rerer,
wenn nicht aller P ro p rio rezep to ren des K ö rp ers aus,
um zu einer In fo rm atio n ü b er die S chw erkraftrich­
tung zu gelangen. D as P ro b lem d er S chw erkraft­
o rien tieru n g der Insekten ist also neben dem P ro ­
blem d er R ezeptoren vor allem ein P ro b lem des
Z entralnervensystem s.
Kybernetische V orgänge bei der Stimmgebung
V on K. F.
F
rüh
* und K.
H
a r t l ie b
**
(Z. Naturforschg. 16 b, 267—278 [1961] ; eingegangen am 26. Januar 1961)
Die kybernetische Darstellung der Stimmgebung ist ein neues Arbeitsgebiet. Zu ihrem leichteren
Verständnis wird einführend sowohl der Aufbau und die Funktion des Stimmorganes kurz beschrieben
als auch die Kenntnis einiger regelungstheoretischer Grundbegriffe vermittelt.
Die kybernetische Betrachtung der Stimmgebungsvorgänge erfolgt an Hand eines kybernetischen
Schaltbildes, das den gesamten Wirkungsablauf der Stimmgebung, ausgehend von der Willkürsteue­
rung durch die Großhirnrinde umfaßt. Dabei werden dieser Betrachtung im wesentlichen die für die
„Theorie der neuromotorischen Betätigung des Stimmorganes durch Impulsfrequenzen“ maßgebenden
Arbeiten von H u s s o n 3 und G o e r t t l e r 4 zugrundegelegt.
Die Darstellung der Vorgänge der Stimmgebung auf regelungstheoretischer Basis bringt im Rah­
men dieser Arbeit wesentlich neue Gesichtspunkte für die Stimmphysiologie, und zwar besonders für
die Einstellung der Tonhöhe und Intensität der Stimme. Der Arbeit können ferner wichtige Hinweise
für die Klang- und Funktionsanalyse der Stimme, für die Ausbildung von Sängerstimmen und für die
Behandlung gestörter Stimmen entnommen werden.
Am Schluß der Ausführungen werden Formeln angegeben, mit deren Hilfe die genaue Bestimmung
der verschiedenen Stimmtypen (Baß . . . Sopran) möglich ist.
1. M e c h a n i s c h - p h y s i o 1 o g i s c h e B e ­
trachtungen
a) Das Stim m organ
Noch heute besteht die Meinung, daß es ein Stimm­
organ im eigentlichen Sinne nicht gibt *. Der Kehlkopf
sei vielmehr ein Teil des Atem traktes mit der Aufgabe,
dem Eindringen von Frem dkörpern in die Atemröhre
den Eingang zu sperren. Dieser Zweck des Kehlkopfes
soll nicht bestritten werden, es soll aber ebenso fest­
gestellt werden, daß der menschliche Kehlkopf sich zu
organhafter Vollkommenheit entwickelt hat, und zwar
nicht nur zur Lautäußerung im Dienste der Lebens­
erhaltung (Lockruf oder Schrei), sondern vielmehr zur
M itteilung und Verständigung durch die Sprache. Die
Erzeugung der Stimme (Phonation) kann also durchaus
einem wirklichen Organ zuerkannt werden, dessen sich
der Mensch als Werkzeug bedient.
W eiterhin ist nicht zu bestreiten, daß das mensch­
liche Stimmorgan in seinen Anlagen und Entwicklungs­
möglichkeiten — hier sei nur die M utation als auffällig
* i. Hse. Siemens & Halske AG., Wernerwerk für Meß­
technik, Forschungslaboratorium für Regelungstechnik,
Karlsruhe-West, Rheinbrückenstr. 50.
** Karlsruhe, Klosestr. 2.
erwähnt — wie andere Organe genetisch bestimmt ist.
Es kann durch persönliche Gestaltungs- und Ausdrucks­
kraft gesteuert werden. Die Untersuchung der Funk­
tionen des Stimmorganes mit Hilfe moderner E rkennt­
nisse und Verfahren ist daher von außerordentlichem
Interesse.
Ein übergeordneter Begriff für Steuerungs- und Re­
gelungsvorgänge sowohl in der Biologie als auch in der
Technik ist die Kybernetik. Die in den Abschnitten 2
bis 8 gegebene kybernetische Darstellung der mensch­
lichen Stimmgebung soll deshalb als eine auf regelungs­
theoretischer Basis aufgebaute Betrachtung der Stimmphänomene verstanden werden.
b) Stim m erzeugung
Uber die Entstehung der Stimme gehen die M einun­
gen auseinander. Zwei Theorien stehen sich scheinbar
unversöhnlich gegenüber. Die eine — myoelastisch be­
gründete 2 — ist gut ein Jahrhundert alt, sie hat aber
trotz vielfacher Bemühungen von Anatomen, Physiolo­
gen und Akustikern nicht alle Stimmphänomene verLeitfaden der pädagogischen Stimmbehandlung
(1961), S. 10 ff.
2 H. L u l l i e s , Physiologie der Stimme und der Sprache (1953).
1 H .W äng le,
Unauthenticated
Download Date | 5/11/16 7:06 PM
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