Jocham/Miller: "Praxis der Urologie" - Beck-Shop

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IX
Fehlbildungen und spezielle Erkrankungen
25
Nierenanomalien
27
Harnleiteranomalien
25.1
Pränatale Diagnostik und Therapie
27.1
Allgemeine Embryologie
25.1.1
25.1.2
Pränatale Diagnostik
Pränatale Parameter zur Einschätzung der
Nierenfunktion
Intrauterine Therapie obstruktiver Uropathien
Prinzipien des postnatalen Managements
pränatal diagnostizierter Nierenanomalien
27.2
Harnleiterduplikation
27.3
27.3.1
27.3.2
27.3.3
Seltene Harnleiteranomalien
Harnleiterklappen
Harnleiterdivertikel
Gefäßanomalien – retrokavaler Harnleiter
27.4
Megaureter
28
Vesikoureteraler und vesikorenaler Reflux
28.1
Klassifikation und Terminologie
28.2
Primärer vesikoureteraler
und vesikorenaler Reflux
28.3
Sekundärer vesikoureteraler
und vesikorenaler Reflux
29
Ureterozele
30
Unterer Harntrakt
30.1
Hypospadie
30.2
30.2.1
30.2.2
Epispadie-Ekstrophie-Komplex
Blasenekstrophie
Epispadie
30.3
30.3.1
30.3.2
30.3.3
30.3.4
Seltene Harnröhrenanomalien
Atresie, Striktur
Harnröhrendivertikel
Megalourethra
Überzählige Harnröhre
30.4
Blasendivertikel
25.1.3
25.1.4
25.2
Nierenagenesie (unilateral, bilateral)
25.3
Hypoplastische Nierendysplasie
25.4
25.4.1
25.4.2
25.4.3
Zystische Nierenerkrankungen
Zystennieren
Markschwammniere
Multilokuläres Zystadenom der Niere
25.5
25.5.1
25.5.2
25.5.3
Anzahl-, Lage- und Rotationsanomalien
Doppelniere
Tiefe Nierendystopie
Nephroptose (syn. Ren mobilis, Senk- oder
Wanderniere)
Inkomplette Rotation, Hyperrotation,
verkehrte Rotation
25.5.4
25.6
25.6.1
25.6.2
IX
25.6.3
Fusionsanomalien
Gekreuzte Dystopie
Hufeisenniere und andere symmetrische
Fusionsanomalien
Asymmetrische Fusionsanomalien
25.7
25.7.1
25.7.2
Anomalien des Nierenhohlsystems
Kelchdivertikel
Megakaliose
25.8
25.8.1
25.8.2
25.8.3
25.8.4
25.8.5
Anomalien der Gefäße
Retrokavaler Ureter
Fraley-Syndrom (Obere Kelchhalsenge)
Aberrierende Arterien
Intrarenale Gefäßmissbildungen
Fibromuskuläre Hyperplasie der A. renalis
26
Harnleiterabgangsstenosen
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31
Sexuelle Differenzierung
33
Äußeres weibliches Genitale
31.1
Chromosomale und gonadale
Geschlechtsentwicklung
33.1
Labiensynechie
33.2
Hydrokolpos, Hymen imperforatum
31.2
Endokrine Funktionen und hormonelle
Steuerung der Genitalentwicklung
32.3
Hydrometrokolpos
33.4
Persistenz des Hymen imperforatum oder des
queren Vaginalseptums bei älteren Mädchen
33.5
Kloakenanomalie
33.6
Kloakenekstrophie
33.7
Weibliches Genitale bei Blasenekstrophie
33.8
Vaginalatresie (Mayer-Rokitansky-KüsterHauser-Syndrom)
33.9
Androgeninduzierter
Pseudohermaphroditismus femininus
33.10
Pseudohermaphroditismus femininus bei
adrenogenitalem Syndrom (AGS)
31.3
31.3.1
31.3.2
31.3.3
31.3.4
Morphologische Entwicklung des Genitale
Initial gemeinsame Genitalentwicklung
Entwicklung des männlichen Genitale
Descensus testis
Entwicklung des weiblichen Genitale
IX
32
Äußeres männliches Genitale
32.1
Kryptorchismus
32.2
Phimose
32.3
Hydrozele
32.4
Spermatozele
32.5
Prune-belly-Syndrom
Hinweise zur Literatur finden Sie im Internet unter http://www.thieme.de/praxisderurologie
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351
27 Harnleiteranomalien
D. Kröpfl und A. Verweyen
Einleitung
Angeborene Harnleiteranomalien sind häufig und reichen
in ihrer Ausprägung von einer ureteralen Atresie bis zum
Ureter triplex. Klinisch sind sie asymptomatisch oder mit
Harnwegsinfekten und extraurethraler Inkontinenz verbunden. Die Diagnostik ist, falls logisch abgestuft und
27.1
Allgemeine Embryologie
Im Laufe der Embryogenese entwickeln sich Nieren, obere
Harnwege, Geschlechtswege und Gonaden aus dem Pronephros, dem Mesonephros und dem Metanephros. Aus
dem Mesonephros bzw. aus dem Urnierengang bildet sich
der mesonephrogene Gang (Wolff-Gang). In der weiteren
Phase der Entwicklung – in der 4.–5. Fetalwoche – entsteht das Metanephros als Endstufe in der Entwicklung
der Niere und der oberen Harnwege. Die Ureterknospe
entwickelt sich aus dem Wolff-Gang, dorsal und medial
von dessen Einmündung in die Kloake. Die Ureterknospe
wächst nach kranial zusammen mit dem nephrogenen
Mesoderm (nephrogenes Blastem) bis zum Erreichen der
endgültigen Position in Höhe Th12–L1. Durch die Differenzierung des kranialen Endes der Ureterknospe entstehen Nierenbeckenkelche und Sammelrohre, durch die
Differenzierung des nephrogenen Blastems die Nierenglomeruli und -tubuli (Skoog 1992; Tanagho 1992).
Störungen der verschiedenen Phasen dieser komplizierten Entwicklung resultieren in einer Vielzahl von Fehlbildungen. Die von Tanagho aufgestellte Hypothese ist
in diesem Zusammenhang insbesondere hilfreich für das
Verständnis der Ureterduplikationen, der ektopen Harnleitermündung, des vesikorenalen Refluxes und der primär
idiopathischen Megaureteren (Tanagho 1976). Demnach
wird der Wolff-Gang zwischen der Ureterknospe und dem
späteren Sinus urogenitalis als Präkursor des Trigonums
bezeichnet. Er wird miteinbezogen in den sich entwickelnden Sinus urogenitalis und trägt mit dem Mesenchym
zur Bildung des Trigonums und des Detrusors dieser Region bei. Als Folge dieser Verschmelzung mit dem Sinus
urogenitalis bekommen die Ureterknospe und der WolffGang verschiedene Mündungen. Wird die Ureterknospe
entgegen ihrer ursprünglichen Lokalisation medial und
distal des mesonephritischen Ganges positioniert, kommt
es zu einer Bewegung der beiden Öffnungen in entgegengesetzte Richtungen (Abb. 27.1 b). Die Harnleitermün-
richtig angewandt, unproblematisch. Um erfolgreich zu
sein, setzt die Therapie theoretische Kenntnisse, das Beherrschen der richtigen Beurteilung der diagnostischen
Methoden und, falls angezeigt, richtig angewandte und
subtile operative Technik voraus.
dung bewegt sich nach kranial und lateral, der Wolff-Gang
kreuzt den Harnleiter als späterer Ductus deferens bei
seiner Bewegung nach kaudal und medial (Abb. 27.1 c,d).
Die sich erst später vollziehende Bildung der Blasenmuskulatur resultiert in getrennten Öffnungen für beide
Kanäle. Die Variationen in Bezug auf die Höhe der Entstehung der Ureterknospe, die sich aus der Spaltung der
Ureterknospe und der Zahl der Ureterknospen ergeben, erklären die Vielfalt der Harnleiter- und Nierenanomalien
(Abb. 27.1 a).
Mackie und Stephens postulierten schon 1975 eine
Theorie über die Beziehung des Schweregrades der Dysplasie der Niere und der kaudalen oder kranialen Ektopie
der Harnleitermündung (Mackie u. Stephens 1975). Diese
Theorie findet heute aufgrund neuer Erkenntnisse ihre
molekularbiologische Unterstützung (Pope et al. 2000;
Ichikawa et al. 1999). Die Ureterknospentheorie basiert auf
zwei beobachteten morphologischen Korrelaten. Erstens
ist die Dysplasie bzw. die Hypoplasie der Niere abhängig
vom Grad der Ektopie der Harnleitermündungen und ist
insbesondere bei der sog. lateralen Ektopie ausgeprägt.
Zweitens steht die Lage der Harnleitermündung in einer
festen Beziehung mit der Fehlbildung des Harnleiters. So
ist ein primär obstruktiver Megaureter in der Regel mit
einer korrekten Position der Harnleitermündung vergesellschaftet und ein vesikorenaler Reflux im Gegensatz
dazu mit einer Lateralisation der Harnleitermündung. Klinisch spricht für diese Abhängigkeit auch die Tatsache,
dass bei einem primär obstruktiven Megaureter die Nierenfunktion häufig völlig normal ist, während bei einem
ausgeprägten Reflux trotz Operation die Nierenfunktion
durch die dysplastischen Veränderungen der Niere vorgegeben und durch die Operation nicht reversibel ist. So
besagt diese Theorie, dass die Fehlbildung der Harnleiter
und der Niere in einem sehr frühen Stadium der embryologischen Entwicklung stattfindet bzw. dass der Beginn
der Entwicklung die Bildung der Ureterknospe aus dem
Wolff-Gang sei.
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352
27 Harnleiteranomalien
1
2
E
E R
R
E R
E
N
N
3
R
R
E
a
b
c
d
e
1 a–e Vereinfachte Darstellung der Entstehung der
Abb. 27.1
Harnleiterduplikatur im Rahmen der Harnleiterentwicklung.
Lage der Ureterknospe bzw. der Harnleitermündung: N = normal, R = refluxiv, E = ektop, 1 = Sinus urogenitalis, 2 = WolffGang, 3 = Ductus deferens. a Position der Ureterknospen
am Wolff-Gang. b,c Entwicklung einer Ureterduplikatur mit
Rotation der distalen Harnleiterenden in entgegengesetzter
Richtung. d,e Ureterduplikatur mit ektoper und refluxiver Lage
der Harnleitermündung.
Zu diesem Zeitpunkt findet die Transposition der
Ureterknospe bzw. der Harnleitermündung zwischen dem
Wolff-Gang und der Blase statt. Gibt es eine Expansion des
terminalen Anteils des Wolff-Ganges und eine Inkorporation in den Blasenboden, so kommt es zur Bildung eines
Hemitrigonums. Befindet sich die Ureterknospe kaudal im
Bereich des Wolff-Ganges, kommt es zur Inkorporation
der Knospe in den lateralen Anteil des Hemitrigonums,
was einen inkompletten Antirefluxmechanismus bedingt
und einen Reflux zur Folge hat. Die weitere Konsequenz
einer am distalen Anteil des Wolff-Ganges entstehenden Knospe ist deren Interaktion mit dem Metanephros.
Man geht davon aus, dass sich gegenüber der korrekt
positionierten Ureterknospe ein ausreichend ausgereiftes
Metanephros befindet, kaudal und kranial davon die
Metanephroszellen nicht genügend entwickelt sind und
die Induktion der Metanephrone in diesem Bereich zu
einer Hypo- oder Dysplasie der Niere führt.
tems eine hohe Konzentration von AGTR I zu finden ist.
Eine hohe Konzentration von AGTR II findet sich in undifferenzierten mesenchymalen Zellen um die Ureterknospe,
im Bereich des Niereninterstitiums und im Bereich der
Nierenkapsel. Im Falle einer normalen Nierenentwicklung
wird eine Expression des AGTR II nicht mehr gefunden.
Daher wird postuliert, dass die Funktion des embryonalen
AGTR II für die Apoptose der früher genannten undifferenzierten mesenchymalen Zellen verantwortlich ist. Gezielte
genetische Manipulationen konnten Mäusezüchtungen
mit Defekten von AGTR I und II hervorbringen. So weisen
Mäuse mit AGTR-I-Defekt einen progressiven Nierenschaden sowie intrarenale Dilatation mit hypoplastischen
Papillen auf, was einem obstruktiven System entsprechen
würde. Die Harnleitermuskulatur ist schlecht entwickelt,
ein richtiges Nierenbecken wird nicht gefunden. Weitere
Untersuchungen zeigen, dass der AGTR-I-Rezeptor dem
Angiotensin II in diesem Bereich die Möglichkeit gibt, eine
normale Entwicklung des Nierenbeckens, des Harnleiters
und eine normale Peristaltik zu ermöglichen. Ein Fehlen
dieser peristaltischen Bewegungen führt zur oben beschriebenen Dilatation.
Mäuse mit AGTR-II-Schaden weisen Hypoplasie, segmentale und zystische Dysplasien, Megaureteren sowie
eine massive Hydronephrose mit Ausdünnung des Nierenparenchyms auf. Darüber hinaus zeigt sich ein vermehrtes
Auftreten des vesikorenalen Refluxes. Histologische Untersuchungen haben ergeben, dass bei diesen Tieren in den
betreffenden Bereichen die normale, zu erwartende Apoptose nicht stattgefunden hat.
Wenden wir diese Theorie auf die Entstehung des
primär obstruktiven Megaureters an, so passt diese sehr
gut zu der schon 1960 von Allen durchgeführten Untersuchung der drei typischen Harnleiterengen im Bereich
des Nierenbeckens, der Gefäßkreuzung und der Harnlei-
Genetische Grundlagen
Vieles spricht zurzeit dafür, dass ein Polymorphismus des
Rezeptorgens für humanes Angiotensin II eine wichtige
Rolle spielt. Zwei Rezeptorentypen sind für die Wirkung
von Angiotensin II im Zielgewebe verantwortlich. Das
Angiotensinrezeptorgen I (AGTR I) ist ein proliferativer
Rezeptor und verantwortlich für Hypertrophie, Matrixdeposition, zelluläre Proliferation und Stimulation der
Wachstumsfaktoren. Das Angiotensinrezeptorgen II (AGTR
II) wirkt in entgegengesetzter Richtung. Er verursacht ein
vermindertes Zellwachstum, die Apoptose und stimuliert
die antiproliferativen Substanzen. Die molekularbiologischen und histologischen Untersuchungen haben gezeigt,
dass bei Mäusen in verschiedenen Phasen der embryologischen Entwicklung im Bereich des nephrogenen Blas-
Aus Jocham/Miller: Praxis der Urologie, Bd 1, ISBN 3131119020 © 2002 Georg Thieme Verlag
27.2 Harnleiterduplikation
termündung. Allen postulierte, dass kongenitale Harnleiterengen in diesen Bereichen durch die inkomplette
Rückbildung der arteriellen fetalen Gefäße bedingt sind.
Klinische Untersuchungen von Hohenfellner et al. weisen auf ein humanes Korrelat bei der möglichen Störung
der Wirkung des AGTR-II-Rezeptorgenes hin. So konnte
eine statistisch hoch signifikante Konzentrationserhöhung
des AGTR-II-Rezeptors bei Patienten mit primär obstruktivem Megaureter nachgewiesen werden (Hohenfellner
et al. 1999).
27.2 Harnleiterduplikation
Pathoembryologie
Das gleichzeitige Entstehen einer zusätzlichen Ureterknospe wird im Allgemeinen als Ursache einer kompletten Harnleiterduplikation angenommen. Die kaudal vom
Wolff-Gang ausgehende Knospe wird als Erstes mit dem
Sinus urogenitalis verschmolzen, woraus sich der zum
unteren Pol gehörende Harnleiter entwickelt. Aus der kranial gelegenen Harnleiterknospe entsteht der zum oberen
Pol gehörende Harnleiter, bedingt durch die Migration
des kaudalen Anteils des Wolff-Ganges in Kombination
mit der Rotation nach medial und kaudal (s. Abb. 27.1 a–c).
Die Harnleitermündung des zum oberen Pol gehörenden
Harnleiters befindet sich somit näher am Blasenhals (s.
Abb. 27.1 d), was als Meyer-Weigert-Regel bekannt ist.
a
353
Eine inkomplette Harnleiterduplikatur wird durch die
frühe Teilung einer einzelnen Ureterknospe erklärt. Das
gleichzeitige Auftreten von drei Ureterknospen ist verantwortlich für die sehr seltene komplette ureterale Triplizität. Selbstverständlich entsteht bei frühzeitiger Spaltung
einer von zwei gleichzeitig bestehenden Ureterknospen
eine inkomplette Triplizität (Tanagho 1992).
Bei einer sehr kranialen Insertion der proximalen
Ureterknospe kommt es als Folge der medialen und kaudalen Rotation des distalen Anteils des Wolff-Ganges
zur Bildung einer ektopen Harnleitermündung, die sich
definitionsgemäß unmittelbar am Blasenhals oder kaudal
davon befindet (s. Abb. 27.1 c). Die fehlende Trennung
des Harnleiters vom Wolff-Gang führt bei beiden Geschlechtern zu einer ektopen Mündung des Harnleiters
im Bereich der genitalen Strukturen. So mündet der Harnleiter beim Mann in die Derivate des Wolff-Ganges und
somit immer proximal des Sphincter urethrae externus
(Abb. 27.2 a). Bei Frauen hingegen degeneriert der WolffGang größtenteils, ausgenommen der Strukturen, die später als der Gartner-Gang bezeichnet werden. So befindet
sich die ektope Harnleitermündung sowohl lateral oder
anterolateral als auch paraurethral in der Vagina, was
zu einer extraurethralen kompletten Inkontinenz führt
(Abb. 27.2 b).
Eine Ureterektopie bei gleichzeitigem Fehlen einer
Harnleiterduplikatur ist sehr selten und resultiert aus
einem Fehler der Induktion der Trigonumbildung. Wenn
diese bilateral auftritt, kommt es zur Blasenhalsschwäche
und Inkontinenz. Der sehr häufige Reflux der unteren
b
2 a,b Lokalisation der ektopen Harnleitermündung a beim Mann, b bei der Frau
Abb. 27.2
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354
27 Harnleiteranomalien
■ Doppelnierenanlage: zwei Nierenbecken, die sich in
Höhe des pyeloureteralen Übergangs vereinigen.
■ Oberpolharnleitermündung: kaudale Harnleitermündung bei kompletter Ureterduplikatur.
■ Unterpolharnleitermündung: kraniale Harnleitermündung bei kompletter Harnleiterduplikatur.
■ Unterpolharnleiter: zum unteren Pol gehörender
Harnleiter, der in die kraniale Harnleitermündung
mündet.
■ Oberpolharnleiter: zum oberen Pol gehörender Harnleiter, der in die kaudale Harnleitermündung mündet.
■ Ektoper Harnleiter: Die Mündung des Harnleiters befindet sich extravesikal, d.h. unmittelbar am Blasenhals oder kaudal davon.
■ Ektope Ureterozele: Ureterozele, die sich bis unterhalb
des Blasenhalses in die Harnröhre erstreckt. Ihre Harnleitermündung kann intra- oder extravesikal liegen.
a
b
3 a,b Ureterduplikation assoziiert mit a Reflux und
Abb. 27.3
b Ureterozele (dysplastischer Oberpol).
Nierenanlage bei der kompletten Ureterduplikatur findet
seine Erklärung ebenfalls in der embryologischen Fehlentwicklung. So befindet sich die kaudale Ureterknospe zu
nah an der später entstehenden Blase, was zu einer frühen Trennung vom Wolff-Gang führt. Das ermöglicht der
Harnleitermündung einen längeren Zeitraum zur Migration und somit eine kranialere Position in der Blase mit
daraus resultierendem kurzen submukösen Harnleiterverlauf. Darüber hinaus entwickelt sich die Muskulatur
des Trigonums der betreffenden Seite inkomplett, was
ebenfalls die Entstehung des Refluxes begünstigt (Tanagho
1992; Abb. 27.3 a).
Häufig ist die Duplikatur des Harnleiters mit einer
Ureterozele verbunden, die typischerweise am Ende des
zum oberen Pol gehörenden Harnleiters gelegen ist. Als
Ursache wird eine verspätete Verschmelzung des entwickelten Harnleiters mit dem Sinus urogenitalis sowie
eine gestörte Differenzierung der Ureterknospe mit nachfolgender Schwäche der distalen ureteralen Muskulatur
angenommen (Stewart u. Jose 1985; Abb. 27.3 b).
Nomenklatur
Der Autor benutzt in Anlehnung an Glassberg et al. (1984)
die nachfolgende Klassifikation:
■ Ureter duplex: Harnleiterduplikatur mit zwei getrennten Nierenbeckenkelchsystemen in der Niere.
■ Ureter triplex: komplette Harnleitertriplizität mit drei
getrennten Nierenbeckenkelchsystemen.
■ Ureter bifidus oder Ureter fissus: inkomplette Harnleiterduplikatur bei zwei getrennten Nierenbeckenkelchsystemen und Vereinigung der beiden Harnleiter
irgendwo zwischen Pyelon und Harnblase.
Inzidenz
Die komplette oder inkomplette Harnleiterduplikation
ist die häufigste Harnleiterfehlbildung mit einer Inzidenz
von 0,8% oder einem Befund auf 125 Geburten. Das Auftreten bei Frauen ist häufiger und Bilateralität wird in
15–40% angegeben (Caldamone et al. 1984; Monfort et al.
1983).
Klinik
Bei der Mehrzahl der Patienten ist die Fehlbildung symptomlos, bei anderen manifestiert sie sich mit Zeichen
eines Harnwegsinfektes, einer Urosepsis, einer Inkontinenz oder seltener mit Harnleitertransportstörungen
(s. auch Infobox S. 357).
In der Regel ist die klinische Manifestation abhängig
von der pathologischen Morphologie, besonders ausgeprägt zeigt sie sich beim vesikorenalen Reflux und der
ektopen Harnleitermündung mit oder ohne Ureterozele.
Meist ist ein vesikorenaler Reflux ausgeprägten Grades vorhanden und fast immer im unteren Pol zu sehen,
was, wie schon erwähnt, durch die kraniale Insertion des
Unterpolharnleiters bedingt ist.
Der Oberpolharnleiter mündet häufig ektop bzw. unmittelbar am Blasenhals oder kaudal davon. Aufgrund der
vorher erklärten embryologischen Bedingungen ist dies
bei Frauen mit einer extraurethralen Inkontinenz verbunden. Leiden die Patienten an einem Harnwegsinfekt, so
wird die Diagnose meist durch typische Befunde in der
bildgebenden Diagnostik gestellt.
T Bei Säuglingen und kleinen Kindern ohne Harnwegsinfekte ist der anamnestische Hinweis das ständige Nasssein
bzw. der Nachweis wasserklarer Tropfen im periurethralen
Bereich. Andererseits wird dies nicht selten verkannt, sodass
immer wieder bei erwachsenen Patienten als Ursache der
Inkontinenz eine ektope Mündung der Harnleiter festgestellt
wird.
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27.2 Harnleiterduplikation
Die Diagnose kann bei Neugeborenen und Säuglingen, bei
denen die Inkontinenz wegen Zeichen eines schweren
Harnwegsinfektes oder einer Urosepsis zuerst im Hintergrund steht, bei ektop mündendem Harnleiter schwierig
sein. Im Gegensatz dazu wird eine Ureterozele, die häufig
bei Neugeborenen und Säuglingen mit einem Harnwegsinfekt verbunden ist, durch bildgebende Verfahren oder
Endoskopie leicht erkannt. Bei älteren Patienten wird im
Erwachsenenalter in der Ureterozele gelegentlich eine
Steinbildung beobachtet.
Diagnostik
Ultraschall. Die initiale Diagnostik bei Patienten, die wegen einer extraurethralen Inkontinenz vorgestellt werden
und keine Zeichen eines Harnwegsinfektes vorweisen, ist
die Ultraschalluntersuchung. Der Erfahrene wird dabei,
geleitet von den typischen anamnestischen Angaben, insbesondere die Oberpolregionen der beiden Nieren sorgfältig begutachten. Der häufig dysplastische obere Pol
imponiert, falls vorhanden, wie eine kleine zystische
Raumforderung. Bei der weiteren Untersuchung wird man
dann in der Regel den deutlich erweiterten zugehörigen
Oberpolharnleiter von der Niere bis prävesikal als eine
in verschiedenen Schnittrichtungen immer wieder auftretende liquide Raumforderung nachweisen können.
Besonders gut lässt sich der Harnleiter bei voller Blase
retrovesikal identifizieren. Bei Unklarheit eines solchen
Befundes kann, nach Ausschöpfung der weiteren Diagnostik, in Narkose die liquide Raumforderung bevorzugt
transvesikal unter kontinuierlicher Ultraschallkontrolle
punktiert werden, um durch die Injektion eines Kontrastmittel-Methylenblau-Gemisches gleichzeitig den Oberpolharnleiter und seine ektope Mündung darzustellen.
Miktionszysturethrogramm. Als zweiter Schritt der Diagnostik ist ein Miktionszysturethrogramm obligat. Die
Untersuchung sollte möglichst an einem Röntgentisch, der
mit einer Durchleuchtung und einer 10×10-cm-Kamera
ausgerüstet ist, durchgeführt werden. Dabei zeigt sich
häufig ein ausgeprägter Reflux in den unteren Nierenpol. Ein Reflux in den oberen Nierenpol wird bei kranialer Insertion der Ober- und Unterpolharnleitermündung
beobachtet. Ist die Ureterduplikation mit einer Ureterozele
verbunden, so ist diese als eine Kontrastmittelaussparung
in der Blase nachzuweisen. Je nach Größe der Ureterozele kann sie das ganze Lumen der Harnblase einnehmen.
Dieser Befund ist typisch, wird aber vom Unerfahrenen
gelegentlich mit einer Darmgasüberlagerung verwechselt.
Klarheit bringt die Sonographie, mit der die große liquide
Raumforderung in der Blase festgestellt werden kann (vgl.
Kap. Ureterozele).
Infusionsurographie. Die Infusionsurographie hat weiterhin ihren Platz in der Diagnostik der Ureterduplikatur,
weil sie insbesondere vor operativen Eingriffen als einzige diagnostische Maßnahme eine ausreichende mor-
355
phologische Darstellung gibt (vgl. Kap. Vesikoureteraler
Reflux). Die Untersuchung erfolgt mittels Kontrastmittelgabe entsprechend dem Körpergewicht des Kindes in
Kilogramm, wobei als Erstes Aufnahmen nach 2, 3 und
5 Minuten angefertigt werden. Diese sehr frühe Phase der
Infusionsurographie ermöglicht eine sehr gute morphologische Darstellung des Parenchyms und darüber hinaus
eine Einschätzung der Nierenfunktion. Nach der 10-minAufnahme erfolgen weitere Spätaufnahmen je nach Bedarf. Die Differenzierung zwischen einem Ureter duplex
und einem Ureter fissus ist bei der Infusionsurographie
nicht immer möglich und wird erst zystoskopisch geklärt.
Ebenso ist es bei der ektopen Mündung des Harnleiters
schwierig, den dilatierten Harnleiter, der in Verbindung
mit dem schlecht funktionierenden Oberpol steht, in
ausreichender Menge zu kontrastieren und somit bis zu
seiner Mündung zu verfolgen. Für den erfahrenen Untersucher gibt es aber einige typische Befunde. So sieht man
am Oberpol der Niere eine zusätzliche kleine und ganz
schwach kontrastierte Kelchgruppe, die der normalen
Morphologie nicht entspricht. Ist dieser Oberpol nicht
funktionsfähig und mit einem dilatierten Ureter verbunden, so präsentiert sich der typische Befund der sog. „verwelkten Blume“. Dabei verliert die Niere ihre normale,
leicht schräge Stellung, da der obere Pol durch den dilatierten Harnleiter nach lateral gedrückt wird und deshalb
die obere und mittlere Kelchgruppe nach kaudal umknickt
(Abb. 27.3 b).
Nuklearmedizinische Diagnostik. Diese spielt in der Therapieplanung eine wichtige Rolle. Der DMSA-Scan ist eine
sehr empfindliche Untersuchung und ermöglicht den
Nachweis funktionsfähigen Parenchyms (Gordon 1987). So
kann getrennt die Funktion des oberen und des unteren
Pols der duplizierten Niere gemessen werden, wodurch
sich insbesondere im Verlauf der Untersuchung herausstellt, ob das erkrankte Organ erhaltungswürdig ist.
Computertomographie und Kernspintomographie. Eine
weiterführende diagnostische Möglichkeit bietet beim
Erwachsenen auch ein Spiral-CT und beim Kind eine Kernspintomographie in Kombination mit einer Kernspinuround -angiographie. Die letztere Untersuchung bietet in
den Händen von erfahrenen Behandlern eine umfassende
Aussage über die Funktion der Niere, deren Gefäßversorgung und die Morphologie des Hohlsystems. Die letzten
beiden Punkte sind sicherlich wichtig, wenn eine laparoskopische Operation angezeigt und geplant ist.
Therapie
Eine zufällig gefundene komplette Duplikatur der Harnleiter ohne zusätzliche Anomalien bedarf keiner Therapie.
Beim symptomatischen vesikoureteralen oder -renalen
Reflux erfolgt die Therapie in Abhängigkeit vom Refluxgrad: Ergebnisse von Skoog (1992) weisen darauf hin, dass
bei den Refluxgraden I und II auch unter konservativer
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356
27 Harnleiteranomalien
b
d
a
c
e
f
4 a–f Operative Behandlung der Ureterduplikatur,
Abb. 27.4
assoziiert mit einer ureteralen oder ektopen Harnleitermündung. a Transurethrale Inzision der Ureterozele. b Harnleiterneueinpflanzung nach Ureterozelenresektion. c Ureteropyelo-
stomie. d Tiefe Ureteroureterostomie. e Obere Polresektion
mit inkompletter Harnleiterresektion. f Obere Polresektion mit
kompletter Harnleiterresektion.
Behandlung eine hohe spontane Rückbildungsrate des
Refluxes zu erwarten ist, was eine primär konservative Behandlung rechtfertigt. Bei höhergradigen Refluxen (Grad
III–V) ist die operative Therapie angezeigt (vgl. Kap. 28).
Bei der symptomatischen Ureterozele bzw. bei Kindern, die mit einem schweren Harnwegsinfekt oder sogar einer Urosepsis auffallen, ist die Behandlung der Wahl
die primäre Entlastung des dilatierten Hohlsystems. Die
Methode der Wahl ist die transurethrale Elektroinzision
der Ureterozele, die zu einer raschen Behebung der bedrohlichen Situation führt (Montfort et al. 1983, 1992;
Pfister et al. 1998; Sperling et. al. 1996; Abb. 27.4 a). Das
weitere Vorgehen richtet sich nach der Funktion des oberen Pols und der Morphologie des dazugehörigen Harnleiters (Abb. 27.4 b). Weist der obere Pol sechs Monate oder
ein Jahr nach der Inzision im DMSA-Scan eine Funktion
von 10 oder mehr Prozent der betreffenden Seite auf, so
wird die Ureterozele reseziert und die Neueinpflanzung
der beiden Harnleiter vorgenommen. Weist das präoperativ routinemäßig durchgeführte Miktionszystourethrogramm keinen Reflux der betreffenden Seite auf, so kann
bei einem asymptomatischen Kind auf eine weiter Behandlung verzichtet werden (Montfort et al. 1992).
Bei schlechter Funktion des oberen Pols (<10% der
betroffenen Seite) ist bei symptomatischen Kindern die
Heminephrektomie mit sparsamer Exzision des zum oberen Harnleiter gehörenden Parenchyms angezeigt. Besteht
eine Ureterozele, sollte diese in derselben Operationssitzung reseziert werden, da sonst bei einer großen Zahl
von Kindern ein zweiter operativer Eingriff notwendig
wird (Caldamone 1984). Der Autor führt deswegen eine
komplette Ureterresektion mit gleichzeitiger Neueinpflanzung des Unterpolharnleiters durch (Abb. 27.4 a–f).
Weist die Doppelanlage einen ektopen Harnleiter ohne
Reflux auf, so kann man sich bei der operativen Therapie
auf eine tiefe Ureteroureterostomie oder eine Ureteropyelostomie beschränken (Das u. Amar 1992; Huisman
et al. 1987; Abb. 27.4 c, d). Alternativ kann der ektope
Harnleiter antirefluxiv reimplantiert werden. Die tiefe
Ureteroureterostomie bzw. die Harnleiterneuimplantation ermöglicht den Verzicht auf die Resektion des oberen Harnleiters und des dazugehörigen Parenchyms. Die
Untersuchungen von Smith et al. (1989) zeigen, dass bei
den resezierten Parenchymanteilen nur weniger als 50%
dysplastisch sind, sodass ein organerhaltendes Vorgehen
gerechtfertigt ist. Die Inzidenz perioperativer Komplikationen ist insgesamt geringer, die postoperativen Ergebnisse auch im langen Zeitverlauf gut (Das u. Amar 1992;
Smith u. Mitarb. 1989).
An der eigenen Klinik wird in den Fällen, in denen
der obere Nierenpol erhaltenswert erscheint, die tiefe
Ureteroureterostomie oder die Reimplantation im Sinne
einer Lich-Gregoir-Technik durchgeführt. Der Eingriff
kann damit auf das kleine Becken beschränkt bleiben.
Aus Jocham/Miller: Praxis der Urologie, Bd 1, ISBN 3131119020 © 2002 Georg Thieme Verlag
27.4 Megaureter
Die Resektion eines stummen oberen Pols mit der
gleichzeitigen Verfolgung des Harnleiters bis ins kleine
Becken ist u.E. eine gute Indikation für eine laparoskopische Operation. Die Vorteile sind eine exzellente Sicht
bei minimalem Trauma und somit ein für das Kind schonendes Vorgehen. Die Problematik eines Zuganges zur
Bergung der Niere ergibt sich hier nicht, da der Harnleiter
entweder komplett oder partiell reseziert wird, was sowieso einen gesonderten Zugang erfordert.
T Es sei nochmals betont, dass – wie auch bei anderen
Anomalien des oberen Harntraktes – Ureterduplikationen
therapeutisch nur dann angegangen werden müssen, wenn
eine Gefahr für die Nierenfunktion droht oder Symptome
bestehen.
357
Ist durch Sonographie und Infusionsurographie der Befund der typischen Abgangsstenose nicht sicher, so muss
bei diesen Patienten eine retrograde Ureteropyelographie
durchgeführt werden (Maizels u. Stephens 1980).
27.3.2 Harnleiterdivertikel
Sehr selten sind Harnleiterdivertikel angeboren und beinhalten dabei alle drei Schichten des Harnleiters. Häufiger
sind sie das Resultat inkompletter ureteraler Duplikationen mit blind endendem oberen Ende eines Harnleiters.
Als Folge einer Verletzung bestehen sie nur aus Schleimhaut als Wandung und imponieren klinisch als liquide
Raumforderungen. Die operative Behandlung ist in der
Regel mit dem Erhalt der ipsilateralen Niere verbunden
(Bauer et al. 1992).
▼
Infobox Klinik, Diagnose und Therapie
der Harnleiterduplikationen
■ Klinisches Bild
■ Häufig symptomlos
■ Rezidivierende und fieberhafte Harnwegsinfekte
■ Urosepsis
■ Inkontinenz
■ Blasenentleerungsstörungen
■ Diagnostik
■ Ultraschall
■ Miktionszystourethrographie
■ Infusionsurographie
■ Nuklearmedizinische Untersuchung
■ Selten: Kernspintomographie
■ Selten: Spiral-CT (bei Erwachsenen)
■ Therapie
■ Antibakterielle Infektionsprophylaxe
■ Behandlung des fieberhaften Harnwegsinfektes
■ Endoskopische Entlastung der Ureterozele
■ Harnleiterneueinpflanzung mit Resektion der Ureterozele
■ Resektion des stummen Oberpols und des zugehörigen Harnleiters
27.3.3 Gefäßanomalien –
retrokavaler Harnleiter
Diese seltene Fehlbildung ist embryologisch durch eine
fehlende Atrophie der subkardialen Vene im lumbalen
Bereich bedingt, sodass der Harnleiter einen Verlauf dorsal der V. cava einnimmt.
Befallen ist immer der rechte Harnleiter und im Infusionsurogramm zeigt sich der typische Befund der Erweiterung des Nierenbeckens sowie des oberen Harnleiters. Der Ureter bricht dann im mittleren Anteil ab, geht
nach medial über, um danach nach einem kürzeren geraden Verlauf in der Mittellinie wieder eine laterale Tendenz
zu seiner normalen Position einzunehmen (Bauer et al.
1992). Das klinische Bild entspricht einem obstruierten
Hohlsystem, die Behandlung ist operativ. Nach der retrograden Darstellung wird der Harnleiter extraperitoneal
aufgesucht, durchtrennt, verlagert und End-zu-End anastomosiert.
Selten verläuft der Harnleiter auf einer oder beiden
Seiten hinter der A. iliaca (Bauer et al. 1992).
■
27.4 Megaureter
27.3 Seltene Harnleiteranomalien
27.3.1 Harnleiterklappen
Harnleiterklappen sind eine seltene Ursache für Obstruktion und sind durch überschüssige Schleimhaut, die glatte
Muskulatur beinhaltet, bedingt. Der Harnleiter ist proximal dilatiert und distal davon normkalibrig.
T An Harnleiterklappen muss bei allen Patienten mit vermuteter Nierenbeckenabgangsstenose, aber unklarem Befund in der bildgebenden Diagnostik gedacht werden.
Klassifikation
Als Megaureter wird ein kongenital erweiterter Harnleiter
bezeichnet. In Anlehnung an die internationale Klassifikation (Hohenfellner u. Walz 1986) wird vom Autor die in
Tab. 27.1 aufgeführte Klassifikation angewandt.
Der primär obstruktive Megaureter ist gekennzeichnet durch eine juxtavesikale fibrotische Einengung mit
konsekutiver massiver Erweiterung des übrigen Harnleiters und des Nierenbeckenkelchsystems. Er ist genau
wie der sehr seltene, primäre idiopathische Megaureter,
der weder refluxiv noch obstruktiv ist, häufig mit einer gu-
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358
27 Harnleiteranomalien
1 Klassifikation der Megaureteren
Tabelle 27.1
1. Obstruktiver Megaureter
T Primär, idiopathisch
T Sekundär, z.B. bei neurogener Blase, subvesikaler
Obstruktion
2. Refluxiver Megaureter
T Primär bei Reflux
T Sekundär bei neurogener Blase, subvesikaler
Obstruktion
3. Nichtobstruktiver, nichtrefluxiver Megaureter
ten Funktion der ipsilateralen Niere verbunden. Darüber
hinaus weist er in der Mehrzahl der Fälle eine spontane
Tendenz zur Rückbildung der Obstruktion auf. Bei 10%
der Patienten ist ein solcher primärer, obstruktiver Megaureter mit einem vesikorenalen Reflux verbunden (Blickman u. Lebowitz 1984). Ein primär refluxiver Megaureter
ist durch die angeborene pathologische Veränderung in
der Harnleitermündung bedingt. So zeigen sich bei Golflochostien häufig dilatierende Refluxe vom Grad IV und
V, sodass im Miktionszystourethrogramm das Bild eines
Megaureters entsteht. Im Gegensatz dazu sind diese Harnleiter bei einer antegraden Kontrastmittelfüllung zart.
Die Klassifikation der primären Megaureteren ist nicht
einheitlich. Von manchen Autoren wird der zuletzt genannte primär refluxive Megaureter, der nichts anderes
ist als ein dilatierender Reflux vom Grad IV bis V, nicht zu
den primären Megaureteren gezählt. Hohenfellner u. Walz
(1986) weisen insbesondere darauf hin, dass sich die operative Prognose eines primären Megaureters mit Reflux
(s.o.) wesentlich von der eines vesikorenalen Refluxes
vom Grad V unterscheidet. Er schlägt aus diesem Grunde
vor, den Terminus „Megaureter“ nur dann zu verwenden,
wenn das typische enge distale Segment besteht und
im Urogramm eine Dilatation nachweisbar ist. Sekundär
refluxive und obstruktive Megaureteren entstehen auf
dem Boden einer Blasenwandveränderung, die durch eine
subvesikale Obstruktion bedingt ist. Diese erfolgt durch
eine mechanische Ursache, wie z.B. Harnröhrenklappen,
oder funktionell bei einer neurogen bedingten DetrusorSphinkter-Dyssynergie.
Ein sekundärer, nichtrefluxiver und nichtobstruktiver Megaureter ist selten und wird als Folge des vermehrten Urinflusses bei Diabetes insipidus beobachtet (Hohenfellner u. Walz 1986).
sion zur Folge hat (Hanna et al. 1976). Die Struktur der
Harnleiterwand proximal der distalen Obstruktion zeigt
eine normale Ordnung der Muskulatur mit den Zeichen
einer muskulären Hypertrophie und Hyperplasie (Hanna
et al. 1976). Im Gegensatz dazu stehen die Untersuchungen von Allen, die bereits im Zusammenhang mit der
embryologischen Entwicklung erwähnt wurden und auf
eine extrinsisch bedingte Obstruktion deuten (s.o.).
Der primär refluxive Megaureter basiert auf einer
primär sehr tiefen Insertion der Ureterknospe, was zu einer maximalen Lateralisation der Harnleitermündung und
ipsilateralen Hemitrigonumschwäche führt (Tanagho
1976). Die Muskulatur der Harnleiterwand weist eine normale Histologie auf (Bauer et al. 1992).
Bei der seltenen Form des nichtobstruktiven, nichtrefluxiven idiopathischen Megaureters wird als Ursache
die Erweiterung der Ureterknospe während der embryologischen Entwicklung angesehen. Die pathohistologische
Untersuchung der Harnleiterwand zeigt einen weitgehend
normalen Befund (Bauer et al. 1992).
Bei den sekundären Formen des obstruktiven Megaureters liegt das pathologische Substrat primär im subvesikalen Bereich, mit konsekutiver Hypertrophie der
Harnblasenwand und dem somit gestörten Verlauf des
Harnleiters im intramuralen Bereich, mit dadurch bedingter proximaler Dilatation des Lumens und Hypertrophie
der Harnleiterwand (Bauer et al. 1992).
Die pathologisch-histologische Untersuchung der
Harnleiterwand beim Prune-belly-Syndrom zeigt einen
vermehrten Gehalt an Kollagen und eine Entwicklungsstörung der Muskulatur, was auf eine primäre Erkrankung
des Harnleiters hinweist (Hanna et al. 1977). Es wird aber
auch die Meinung vertreten, dass die o.g. Befunde der
Harnleiterwand einen Restzustand nach früher bestehender, schwerer subvesikaler Obstruktion darstellen (King
1992).
Inzidenz
Die Angaben über die Inzidenz, insbesondere des primär
obstruktiven idiopathischen Megaureters, sind in der
Literatur spärlich. In der klassischen Arbeit von Pfister u.
Hendren (1978) wird dem primären Megaureter ein Anteil
von 15% aller Megaureteren zugeschrieben. Die Fehlbildung tritt bei Knaben doppelt so häufig und vermehrt
auf der linken Seite auf (Peters et al. 1989; Pfister u. Hendren 1978).
Klinik
Pathologisches Substrat
Der primär obstruktive, idiopathische Megaureter basiert typischerweise auf einer distalen 0,4–0,5 cm langen,
prävesikalen Harnleiterstenose, als deren Ursache bis vor
kurzem intrinsische Veränderungen der Harnleiterwand
verantwortliche gemacht wurden (s. Abb. 27.1 a). So weist
das distale eingeengte Segment einen vermehrten Gehalt
an Kollagen und eine Zerstörung der Harnleitermuskulatur auf, was eine Störung der peristaltischen Transmis-
Durch die breite Anwendung der Sonographie während
der Schwangerschaft und durch die Vorsorgeuntersuchungen von Kleinkindern werden die Megaureteren heute
bei annähernd 80% der Kinder früh und ohne klinische
Symptomatik diagnostiziert (Keating et al. 1989; Stewart
u. Jose 1985). Sehr selten werden heute noch Kinder mit
Urosepsis, tastbaren abdominellen Tumoren oder einer
Niereninsuffizienz bei Megaureteren gesehen (s. auch
folgende Infobox).
Aus Jocham/Miller: Praxis der Urologie, Bd 1, ISBN 3131119020 © 2002 Georg Thieme Verlag
27.4 Megaureter
T Bei bereits intrauterin diagnostizierter uni- oder bilateraler Dilatation der Harnleiter ist eine notfallmäßige postnatale Diagnostik und Therapie nur angezeigt, wenn (z.B.
im Rahmen eines Oligohydramnions) der Verdacht auf eine
schwere subvesikale Obstruktion mit sekundären Megaureteren besteht.
Diagnostik
Bei normaler Amnionflüssigkeit, normalen postnatalen
Kreatininwerten und unauffälligem Miktionsverhalten
kann man sich zunächst auf sonographische Kontrollen
des dilatierten Harntraktes beschränken.
Bei symptomatischen Kindern (Harnwegsinfekt, Fieber) ist ein vesikorenaler Reflux auszuschließen. Das
Miktionszystourethrogramm sollte unter Bildwandlerkontrolle mit der 10×10-cm-Kamera (Strahlenschutz)
durchgeführt werden. Beim männlichen Säugling ist auf
eine gute Darstellung der Harnröhre zu achten (Harnröhrenklappen?). Bei Nachweis eines Refluxes geben Spätaufnahmen durch persistierende Kontrastmittelansammlungen im Harnleiter einen Hinweis auf eine mögliche
Obstruktion (Abb. 27.5).
Bei fehlender Symptomatik, guter Nierenfunktion und
sonographisch gutem Parenchymsaum kann mit der funktionellen Diagnostik zumindest vier Wochen abgewartet
werden (Keating et al. 1989). Zu diesem Zeitpunkt kommt
es zu einem deutlichen Anstieg der glomerulären Filtrationsrate (GFR), was eine bessere Auswertung der diagnostischen Ergebnisse ermöglicht (Stewart u. Jose 1985).
Die Infusionsurographie erlaubt eine grobe Schätzung der
Funktion als auch der eventuellen Obstruktion und bietet
ein vertrautes und leicht verständliches Bild (s. Abb. 27.5).
In manchen Zentren mit sehr großer Erfahrung bei Megaureteren ist die Infusionsurographie auch heute noch die
wichtigste diagnostische Methode (Pfister u. Hendren
1978).
Einen sicheren Ausschluss einer Obstruktion bietet
die Urographie jedoch nicht, sodass bei entsprechendem
Verdacht als Nächstes die Durchführung eines Lasixisotopennephrogramms mit Jod 123 oder MAG 3 angezeigt
ist. Die Obstruktion führt zur Behinderung der Exkretion,
was sich in einer Verlängerung der Exkretionszeit des
Tracers und in einer Anhebung der Renographiekurve
äußert (O’Reilly u. Lupton 1986). Eine derartige Veränderung kann jedoch nicht nur durch eine urodynamisch
wirksame Obstruktion, sondern auch durch eine Erweiterung des Nierenbeckenkelchsystems und die dadurch
bedingte Behinderung des Harntransportes verursacht
werden (O’Reilly u. Lupton 1986). Nach Gabe von Furosemid kommt es bei der reinen Ektasie und fehlender Obstruktion zu einem Abfluss des Urins, einem Abfall der
Renographiekurve und einer Verkürzung der Exkretionshalbwertszeit (O’Reilly u. Lupton 1986; Koff u. Mitarb.
1988).
Die Ergebnisse der Untersuchungen sind abhängig
von der Nierenfunktion und dem Alter des Kindes. Daraus
ergeben sich auch Möglichkeiten der Fehlinterpretation
359
beim neugeborenen Säugling, dessen GFR in den ersten
Lebensmonaten stark eingeschränkt ist, sowie bei einem
nicht gut vorbereiteten Kind. Zur Standardisierung der
Messung ist es notwendig, die Kinder 4 Stunden vor der
Untersuchung mit 20 ml/kg KG zu hydrieren. Darüber hinaus ist es erforderlich, den Urin mit einem Blasenkatheter
abzuleiten. 20 min nach Gabe von Jod 123 oder MAG 3 wird
Lasix in einer Dosierung von 0,5–10 mg/kg KG injiziert
und der weitere Verlauf des Renogramms beobachtet.
Bei abfallendem oder konkavem Kurvenverlauf wird von
einem freien Abfluss ausgegangen. Ein konvexer Kurvenabfall spricht für eine partielle Obstruktion und eine nicht
abfallende Kurve für eine urodynamisch wirksame Obstruktion (O’Reilly u. Lupton 1986).
Diese Beurteilung des Abflusses aufgrund des Kurvenverlaufes fand mithilfe eines dynamischen Nierenbeckenphantoms ihre reproduzierbare experimentelle Bestätigung (Zechmann et al. 1988). Im Gegensatz dazu wird
insbesondere in den Vereinigten Staaten die Methode der
Kalkulation der Halbwertszeit der Tracerausscheidung angewandt (Koff et al. 1988). Aufgrund der Erfahrung mit der
standardisierten Lasixrenographie wurde die Halbwertszeit der Tracerausscheidung von weniger als 10 min als
nicht obstruktiv, zwischen 10 und 20 min als nicht sicher
beurteilbar und von mehr als 20 min als obstruktiv festgelegt (Koff et al. 1988; vgl. Kap. Harnleiterabgangsstenose). Insbesondere bei Megaureteren kann die zweite
Methode der Beurteilung des Abflusses, wegen des sehr
langsamen Harntransportes, falsch beurteilt werden
(O’Reilly u. Lupton 1986). Im Gegensatz dazu ermöglicht
die zuvor erwähnte Methode nach dem Kurvenverlauf,
auch bei sehr großen Systemen durch den konkaven
Abfall eine experimentell reproduzierbare Aussage (Zechmann et al. 1988). Bei Annahme eines guten Abflusses wird das Kind unter medikamentöser Reinfektionsprophylaxe in dreimonatigen Abständen sonographisch
kontrolliert; bei gutem Parenchym und gleich bleibender
Nierenektasie wird nach sechs Monaten unter gleichen
Hydratationsbedingungen das Lasixrenogramm wiederholt. Bei unklarem Befund kann bei guter Funktion der
Niere weiter abgewartet werden.
Ein Whitaker-Test (Whitaker 1976) wird vom Autor
bei primär diagnostiziertem Megaureter nicht mehr angewandt, da letztendlich über die weitere Behandlung
die Funktion der Niere oder das klinische Bild des Kindes
entscheidet. Wird bei dem Kind aufgrund einer schlechten
Nierenfunktion oder einer Urosepsis eine primäre hohe
Harnableitung durchgeführt, so wird nach Ablauf eines
Jahres über das Hautstoma ein Whitaker-Test durchgeführt. Das Prinzip dieser Druckflussmessung basiert auf
dem Zustand des Gleichgewichtes zwischen konstantem
Fluss und Druck. Es erfolgt eine Perfusion der Niere mit
10 ml/min. Die dabei entstandenen Drücke bis 15 cmH2O
gelten als urodynamisch nicht wirksam, eine Grauzone
wird bei einem Druck von 15–20 cmH2O angenommen.
Bei einem Druck von mehr als 20 cmH2O wird eine urodynamisch wirksame Stenose vermutet. In diesem Falle
wird neben dem Verschluss des Hautstomas auch eine
Harnleiterneueinpflanzung vorgenommen.
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360
27 Harnleiteranomalien
b
a
Die Ergebnisse der weit beachteten Studien mit primär
konservativer Behandlung der pränatal diagnostizierten
primär obstruktiven Megaureteren aus der Great Ormond
Street in London (Liu et al. 1994) weisen darauf hin, dass
die sonographisch bestimmte Harnleitererweiterung ein
wichtiger prognostischer Faktor ist. So zeigten sich bei 18
Patienten, deren primäre Harnleiterdilatation (durch die
volle Blase gemessene Breite des retrovesikalen Harnleiters) weniger als 6 mm betrug, prognostisch günstige
Ergebnisse im Langzeitverlauf. Bei 12 Harnleitern bildete
sich die Dilatation zurück, sie verblieb bei 3 Harnleitern
und bei weiteren 3 Harnleitern war eine Operation erforderlich, da sich die Nierenfunktion verschlechtert hatte.
Bei 35 Harnleitern wurde eine Dilatation zwischen 6 und
10 mm beobachtet. Bei 11 Patienten bildete sie sich zurück,
während sie bei 23 Harnleitern persistierte. Bei nur einem
Patienten war wegen der Verschlechterung der Nierenfunktion ein operativen Vorgehen erforderlich. Im Gegensatz dazu sistierte die Hydronephrose nur bei der Hälfte
der Patienten, die eine Dilatation von mehr als 10 mm aufwiesen, während bei der anderen Hälfte ein operativer
Eingriff wegen einer Verschlechterung der Nierenfunktion
notwendig wurde.
Als weiterer prognostischer Faktor zeigten sich die
Ergebnisse der 99-Tc-DTPA-Lasixrenographie. Von 27 Patienten, die innerhalb von 5 min 75% oder mehr der
Traceraktivität ausschieden, musste keiner einem operativen Vorgehen unterzogen werden. Bei allen Patienten
5 a Urogramm
Abb. 27.5
(30-min-Aufnahme)
eines einjährigen
männlichen Kindes mit
primär obstruktivem
Megaureter rechts.
b Im MCU kein Anhalt
für vesikoureteralen
Reflux, unauffällige
Harnröhre. c Perkutane
Nephrostomie wegen
fieberhaftem Harnwegsinfekt (antegrades
Nephrostomogramm).
Bei deutlicher Obstruktion mit Whitaker-Test
weitere Therapie durch
Harnleitermodel lage
und -reimplantation.
c
blieb die Nierenfunktion normal. In der Gruppe von 25
Patienten mit einer Ausscheidungszeit zwischen 5 und
10 min musste bei 8% eine Operation durchgeführt wer-
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27.4 Megaureter
den. Im Gegensatz dazu war bei 9 von 15 Patienten mit
verzögerter Tracerausscheidung (mehr als 10 min) eine
Operation wegen der Verschlechterung der Nierenfunktion unumgänglich.
▼
Infobox Klinik, Diagnose und Therapie
der Megaureteren
■ Klinisches Bild
■ Häufig asymptomatisch prä- und postnatal diagnostiziert
■ Rezidivierende Harnwegsinfekte
■ Urosepsis
■ Niereninsuffizienz
■ Diagnostik
■ Ultraschall
■ Miktionszystourethrographie
■ Nuklearmedizinische Untersuchungen (Diureseszintigraphie, evtl. DMSA-Szintigraphie)
■ Infusionsurographie (präoperativ)
■ Whitaker-Test (obsolet)
■ Therapie
■ Konservative Behandlung bei guter Nierenfunktion
■ Antibakterielle Infektionsprophylaxe
■ Kontrolle der Nierenfunktion
■ Hohe Ableitung (perkutane Nierenfistel, Pyelokutaneostomie)
■ Harnleiterneueinpflanzung (Modellage, Faltung, PsoasHitch)
■
Therapie
Die Behandlung des primären Megaureters ist nicht unumstritten: Während einige Autoren (King 1992) den
Nachweis der Obstruktion im Isotopennephrogramm als
361
wesentliche Indikation für die operative Therapie sehen,
wird dem Isotopennephrogramm von anderen Autoren
die Bedeutung als wesentliche Entscheidungshilfe für die
Therapie abgesprochen (Hohenfellner u. Walz1986). Für
den Trend, den primär obstruktiven Megaureter grundsätzlich, d.h. unabhängig von den Ergebnissen des Isotopennephrogramms bzw. des Whitaker-Tests zunächst
konservativ zu behandeln, sprechen z.B. die Ergebnisse
von Keating et al. (1989), Liu et al. (1994), Baskin (1999),
Beetz et al. (1994) und Blyth et al. (1993). Da jedoch eine
Verschlechterung der Nierenfunktion bei primär konservativer Therapie die Indikation zur operativen Korrektur
gibt, sollte in jedem Fall der Ausgangsbefund einer Isotopenuntersuchung vorliegen.
Bei asymptomatischen Megaureteren und normaler
Nierenfunktion ist ein primär konservatives Vorgehen
unter regelmäßiger Kontrolle der Nierenfunktion (sechsmonatlich) möglich. Alternativ kann die Indikation zur
Intervention (s.u.) vom Nachweis der Obstruktion im Isotopennephrogramm abhängig gemacht werden.
Beim symptomatischen Megaureter (septisches Kind)
oder bei deutlich eingeschränkter Nierenfunktion der
betreffenden Niere (<40%) ist in jedem Fall zunächst die
Ableitung des oberen Harntraktes über eine Ringureterostomie, Pyelokutaneostomie (Abb. 27.6 b) oder Nephrostomie indiziert. In unserer Klinik bevorzugen wir die
Ringureterostomie oder Pyelokutaneostomie. Dieser unproblematische Eingriff wird gut toleriert und die Pflege
sowie Versorgung des katheterlosen Ureterstomas macht
bei Kindern im Windelalter keine Probleme. Im Gegensatz dazu hat sich nach eigener Erfahrung die perkutane
Nephrostomie bei Neugeborenen und kleinen Säuglingen
nur als sehr kurzfristige passagere Harnableitung bewährt
(s. Abb. 27.5).
Im Alter von 12 Monaten kann über die Ureterostomie ein Whitaker-Test durchgeführt werden. Im eigenen
Krankengut zeigte dieser Test bei mehr als der Hälfte
6 a–c Operative BehandAbb. 27.6
lung des primär obstruktiven
Megaureters. a Primär obstruktiver Megaureter mit typischer
kurzstreckiger prävesikaler Verengung. b Temporäre Ureterhautfistel-Pyelokutaneostomie.
c Resektion der Ureterhautfistel
und Verschluss des Stomas.
a
b
c
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362
27 Harnleiteranomalien
der Kinder zu diesem Zeitpunkt einen freien Abfluss des
Kontrastmittels in die Blase, sodass das Stoma verschlossen werden konnte (Abb. 27.6 c; Lettgen et al. 1993).
Wird im Whitaker-Test eine Obstruktion nachgewiesen, erfolgt in der gleichen Sitzung der Verschluss
des Ureterstomas und die Harnleiterneueinpflanzung.
Ist durch die Dilatation des Harnleiters eine wirksame
antirefluxive Einpflanzung nicht möglich (Länge des
submukösen Tunnels entspricht fünfmal der Breite des
Harnleiters), wird der distale Harnleiter modelliert (Pfister u. Hendren 1978).
Dies erfolgt bei Harnleitern bis 1 cm Breite nach der
von Kalicinzki et al. (1977) beschriebenen Faltung, bei
Harnleitern, die weiter sind, mittels der von Hendren
beschriebenen gefäßschonenden Resektion (Pfister u.
Hendren 1978). Bei der Harnleiterfaltung ist das Risiko der
Störung der Blutversorgung geringer als bei der Modellage. Es stellt sich aber die Frage, was im Laufe der Zeit
mit dem durch die Faltung des Harnleiters versenkten
und schlecht kontrollierbaren Urothel passiert. Die Blase
wird durch einen Pfannenstiel-Schnitt freigelegt und der
Harnleiter zuerst möglichst transvesikal weitgehend
freipräpariert (Pfister u. Hendren 1978; Abb. 27.7 a). Danach wird er paravesikal aufgesucht und modelliert. Bei
der Faltung werden die distalen 5 cm des Harnleiters über
einen 10-Charr-Einmalkatheter entsprechend Abb. 27.7 b
mit 6–0-Polyglactin-Einzelknopfnähten modelliert. Bei
der Resektion erfolgt eine vorsichtige Präparation unter
Schonung der Blutversorgung, sodass die Adventitia in
einem blutarmen Areal von der Harnleiterwand abpräpariert wird und der Harnleiter entsprechend Abb. 27.7 c
keilförmig reseziert wird. Man führt dabei die Modellage
um einen 10-Charr-Katheter durch, was einem Harnleiterdurchmesser von ca. 6–7 mm entspricht. Der Harnleiter
wird größtenteils mit einer fortlaufenden 6–0-PolyglactinNaht verschlossen. Am distalen Ende erfolgt der Verschluss mit 6–0-Polyglactin-Einzelknopfnähten, was eine
eventuelle Korrektur der Harnleitermündung ermöglicht.
In der zweiten Seitennahtreihe wird in der gleichen Technik die Adventitia über dem Harnleiter verschlossen
(27.7 d). Die Harnleiterneueinpflanzung erfolgt modifiziert
nach Politano-Leadbetter mit einem möglichst medialen
und geraden Verlauf des Harnleiters (Pfister u. Hendren
1978; Abb. 27.7 e).
T Es ist insbesondere wichtig darauf zu achten, dass der neu
geschaffene Eintritt des Harnleiters in die Blase weit genug
gewählt wird, um so einer späteren Stenose vorzubeugen.
Der submuköse Tunnel hat eine Länge von 4–5 cm. Die
ausreichende und großzügige Präparation des Tunnels in
die Breite ermöglicht einen technisch einfachen Durchzug des Harnleiters und beugt einer späteren Stenose vor.
Die neue Harnleitermündung befindet sich möglichst
trigonumnah (Abb. 27.7 e). Hier wird der Harnleiter mit
drei 3–0-Polyglactin-Nähten verankert, und mit weiteren
6–0-Polyglactin-Einzelknopfnähten erfolgt eine Adaptation zwischen der Blasen- und Harnleiterschleimhaut.
Der Harnleiter wird mit einer 5- oder 8-Charr-Kinderernährungssonde geschient, die durch die Blasenwand
und Bauchdecke neben der Wunde ausgeleitet wird
(Abb. 27.7 e). Nach erfolgter Modellage wird die Schiene
mindestens 10 Tage belassen.
Eine weite Verbreitung zur operativen Behandlung des
primär obstruktiven Megaureters hat die von Turner-Warwick und Riedmiller angewandte Psoas-Hitch-Technik
gefunden (Riedmiller et al 1984; Turner-Warwick et al.
1969). Sie bietet den Vorteil, dass bei ausreichend großer
Blase die Notwendigkeit der Harnleitermodellage selten
ist, sodass fast immer ein ausreichend langer submuköser
Tunnel gebildet werden kann. Darüber hinaus wird der
Harnleiter in einen auf dem Psoas befestigten Anteil der
Harnblase implantiert, was zu einem geraden Verlauf des
Harnleiters führt und wodurch die Kontraktion der Blase
mit einer Obstruktion unmöglich ist. Zusätzlich wird bei
einem solchen Vorgehen mehr als ein Drittel des Harnleiters von den Verwachsungen mit der Umgebung befreit,
sodass eine durch den geschlängelten Verlauf des Harnleiters bedingte Obstruktion in diesem Bereich nicht mehr
stattfinden kann.
Eine komplette Modellage des Harnleiters kann durch
einen erweiterten pararektalen Schnitt im Säuglingsalter
recht einfach durchgeführt werden. Sie bedarf einer sehr
vorsichtigen operativen Technik und genauer Beachtung
der Harnleiterblutversorgung, da ansonsten ein kompletter Verlust des Harnleiters erfolgen kann.
Eine Reinfektionsprophylaxe wird für einen Zeitraum
von weiteren 3–6 Monaten durchgeführt, wobei das Kind
zuerst sonographisch kontrolliert wird. Die Abschlusskontrolle wird entsprechend der Vordiagnostik mit einem
Lasixrenogramm oder Infusionsurogramm frühestens drei
Monate postoperativ durchgeführt. Bei sorgfältiger operativer Technik sind die befürchteten Harnleiterstenosen
sowie -nekrosen selten und die Operation ist bei 90% der
Kinder erfolgreich (Beetz et al. 1994; Keating et al. 1989;
Peters et al. 1989; Pfister u. Hendren 1978).
Bei primär refluxiven Megaureteren bzw. beim dilatierenden Reflux wird das Kind bei guter Nierenfunktion
durch eine medikamentöse Reinfektionsprophylaxe behandelt und im Alter von ca. 12 Monaten endoskopiert.
Weist das Kind weite lateralisierte Ostien oder Golflochostien bzw. assoziierte Fehlbildungen auf (Doppelureter,
periureterales Divertikel), so erfolgt zu diesem Zeitpunkt
die Harnleiterneueinpflanzung. Bei normaler Anatomie
der Harnleitermündungen und auf Wunsch der Eltern
kann für weitere 12 Monate konservativ fortgefahren und
erst dann bei fehlender Rückbildung des Refluxes operiert
werden. Die spontane Rückbildungstendenz, insbesondere bei bilateralem, dilatierendem Reflux (Grad III und
höher), liegt unter 20%, sodass eine weitere medikamentöse Behandlung nach diesem Zeitraum wenig Aussichten
auf Erfolg hat (Olbing 1993, pers. Mitteilung).
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27.4 Megaureter
363
7 a–e HarnleitermodelAbb. 27.7
lage und Neueinpflanzung beim
Megaureter. a Intravesikale Harnleitermobilisation. b Harnleitermodellage mittels Faltung des
distalen Ureters. c Harnleitermodellage mittels gefäßschonender Resektion eines Uretersegments. d Rekonstruktion des
Harnleiters über den 10-CharrPlatzhalter. e Neueinpflanzung
des Harnleiters.
c
a
b
d
e
Sekundäre Formen des Megaureters werden kausal
behandelt. Eine Ureterozele wird in unserer Klinik zuerst
geschlitzt und der Harnleiter, wenn es sich um Neugeborene und Säuglinge handelt, nach etwa 1 Jahr bei nachgewiesenem Reflux neu eingepflanzt. Bei Harnröhrenklappen werden bei eingeschränkter Nierenfunktion trotz
der Entlastung der Harnblase die Kinder primär hoch abgeleitet.
Ist die Ursache des Megaureters eine neurogen bedingte Störung der Blasenentleerung, so versucht man,
durch Kompensation der Blasenfunktion die Erweiterung
der oberen Harnwege zu beeinflussen. Führt der Versuch
der medikamentösen Senkung des Blasenauslasswiderstandes mit α-Sympatholytika nicht zum Erfolg, so wird
eine temporäre Vesikostomie angelegt. Im späteren Verlauf wird entschieden, ob die Blase medikamentös oder
mittels einer Augmentation rehabilitiert werden kann.
Bei größeren Kindern erfolgt, wenn es die Blasenwandbeschaffenheit erlaubt, eine Ureterozystoneostomie. Ist
die Blase für die Harnleiterneueinpflanzung ungeeignet,
so muss eine Blasenaugmentation mit Harnleiterneueinpflanzung in den Darmanteil erfolgen.
Aus Jocham/Miller: Praxis der Urologie, Bd 1, ISBN 3131119020 © 2002 Georg Thieme Verlag
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27 Harnleiteranomalien
Quintessenz
Allgemeine Embryologie
■ Entwicklung der Nieren, oberen Harnwege, Geschlechtswege und Gonaden aus Pronephros, Mesonephros und
Metanephros
■ Bildung des mesonephrogenen Gangs (Wolff-Gang) aus
Mesonephros bzw. aus Urnierengang
■ Fehlbildungen: Resultat von Störungen der verschiedenen
Phasen der Entwicklung
■ Theorie über Beziehung des Schweregrads der Dysplasie
der Niere und der kaudalen oder kranialen Ektopie der
Harnleitermündung
■ Wichtige Rolle des Polymorphismus des Rezeptorgens für
Angiotensin II
Quintessenz
Harnleiterduplikation
T Pathoembryologie
■ Gleichzeitiges Entstehen einer zusätzlichen Ureterknospe
als Ursache einer kompletten Harnleiterduplikation
■ Inkomplette Harnleiterduplikatur: frühe Teilung einer einzelnen Ureterknospe
■ Selten: Ureterektopie bei gleichzeitigem Fehlen einer
Harnleiterduplikatur (Fehler der Induktion der Trigonumbildung)
■ Harnleiterduplikatur häufig mit Ureterozele verbunden
Seltene Harnleiteranomalien
■ Harnleiterklappen: bedingt durch überschüssige Schleimhaut, die glatte Muskulatur beinhaltet
■ Harnleiterdivertikel: häufig bedingt durch inkomplette
ureterale Duplikationen mit blind endendem oberen
Ende eines Harnleiters
■ Gefäßanomalien – retrokavaler Harnleiter: embryologisch bedingt durch fehlende Atrophie der subkardialen
Vene im lumbalen Bereich
Megaureter
T Klassifikation
■ Primär obstruktiver Megaureter
■ Primär refluxiver Megaureter
■ Selten: sekundärer, nichtrefluxiver und nichtobstruktiver
Megaureter
T Pathologisches Substrat
■ Primär obstruktiver, idiopathischer Megaureter basiert
auf distaler prävesikaler Harnleiterstenose
■ Primär refluxiver Megaureter basiert auf tiefer Insertion
der Ureterknospe
■ Prune-belly-Syndrom: vermehrter Gehalt an Kollagen und
Entwicklungsstörung der Muskulatur
T Klinik
■
■
■
■
Meist symptomlos
Abhängig von pathologischer Morphologie
Häufig vesikorenaler Reflux ausgeprägten Grades
Ureterozele gelegentlich mit Steinbildung bei älteren Erwachsenen
T Diagnostik
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■
■
Ultraschall
Miktionszystourethrogramm
Infusionsurographie
Nuklearmedizinische Diagnostik
Kernspinangiographie
T Therapie
■ Symptomatischer vesikoureteraler oder -renaler Reflux:
Therapie in Abhängigkeit vom Refluxgrad
■ Symptomatische Ureterozele: transurethrale Elektroinzision zur Entlastung des dilatierten Hohlsystems
■ Schlechte Funktion des oberen Pols bei symptomatischen
Kindern: Heminephrektomie
■ Doppelanlage mit ektopem Harnleiter ohne Reflux: Ureteroureterostomie oder Ureteropyelostomie
T Klinik und Diagnostik
■ Miktionszystourethrogramm: Ausschließen eines vesikorenalen Refluxes bei symptomatischen Kindern
■ Infusionsurographie
■ 99-Tc-DTPA-Lasixrenographie
T Therapie
■ Asymptomatische Megaureteren und normale Nierenfunktion: primär konservatives Vorgehen unter regelmäßiger Kontrolle der Nierenfunktion
■ Symptomatischer Megaureter oder deutlich eingeschränkte Nierenfunktion: Ableitung des oberen Harntrakts über Ringerureterostomie, Pyelokutaneostomie
oder Nephrostomie
■ Harnleiterneueinpflanzung bei nachgewiesener Obstruktion
■ Psoas-Hitch-Technik: Notwendigkeit der Harnleitermodellage selten
■ Sekundäre Formen des Megaureters: kausale Behandlung
■ Bei neurogen bedingter Störung der Blasenentleerung:
Erweiterung der oberen Harnwege durch Kompensation
der Blasenfunktion
Aus Jocham/Miller: Praxis der Urologie, Bd 1, ISBN 3131119020 © 2002 Georg Thieme Verlag
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