Leitfaden für die Dokumentation von Ausbildungs- und Prüfungsfällen (Stand: März 2015) Allgemeine Anmerkungen Bis zur Prüfungsanmeldung sind nach PsychTH-APrV insgesamt 6 Therapien zu dokumentieren. Fünf der Falldokumentationen müssen Langzeittherapien (mind. 26 bewilligte Sitzungen) sein; eine der Dokumentationen kann eine Kurzzeittherapie mit mind. 15 bewilligten Sitzungen sein. Der Ausbildungsteilnehmer wählt zur Prüfungsanmeldung zwei Falldokumentationen aus, die er beim Landesprüfungsamt als Prüfungsfälle einreicht. Mindestens eine der beiden Prüfungsdokumentationen ist dann die Grundlage für die mündliche Einzelprüfung. Das Deckblatt zur Prüfungsfalldokumentation muss im Original persönlich vom Ausbildungsteilnehmer, seinem Supervisor und der Ausbildungsleitung unterzeichnet werden. Die Prüfungsfalldokumentation wird von der Ausbildungsleitung angenommen, wenn sie den formalen Richtlinien entspricht und vom Supervisor abgezeichnet ist. Alle dokumentierten Fälle werden in der Lehrpraxis auch der Patientenakte hinzugefügt. Gesamtumfang der Dokumentation: Die Falldokumentationen sollten keinesfalls mehr als 15 Seiten in einer moderaten Schriftgröße (mind. Arial 11 pt, einzeilig) umfassen. Bitte Seitenzahlen einfügen und ausreichend Seitenrand (rechts, links jeweils 2,5 cm) für Vermerke lassen! Datenschutz: Die Dokumentation muss aus Datenschutzgründen anonymisiert werden. Es dürfen keine Patientennamen angegeben werden. Der folgende Leitfaden soll als Strukturierungshilfe für die Erstellung der Falldokumentationen dienen. Die Gliederung in der linken Spalte der Tabelle enthält alle notwendigen Punkte, die in der Dokumentation zu berücksichtigen sind. Die in der rechten Spalte eingefügten Leitfragen und ergänzenden Fragen können bei der Fallkonzeptualisierung hilfreich bzw. fallspezifisch relevant sein. Sie dienen als zusätzliche Anregungen für die Dokumentation und die Prüfungsvorbereitung und sollten in der Supervision individuell besprochen werden. Leitfaden AVT Köln © Wälte & von der Laage Seite 1 I. ANAMNESE, DIAGNOSTIK, THERAPIEPLANUNG1 1. Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik Beschreibung der aktuellen Symptomatik auf den relevanten Ebenen: Verhalten, Emotion, Kognition, Physiologie, Interaktion LEITFRAGEN/ERGÄNZENDE FRAGEN 2. Lebensgeschichtliche Entwicklung, Störungsanamnese Herkunftsfamilie Sozialverhalten Leistungsverhalten/Schule/Beruf Beziehungsverhalten (Partnerschaft/Ehe/soziale Beziehungen) Kritische Lebensereignisse Aktuelle Lebenssituation Aktuelles Gesundheitsverhalten (z.B. Konsum von Medikamenten, Psychopharmaka, Suchtmitteln) Störungsanamnese Welche Symptome schildert der Patient? Einordnung der Symptome: Was sind die Hauptsymptome, welche Symptome sind Folgesymptome? Wie schätzen Sie den Schweregrad der Symptome ein? Wie lange dauern die Symptome schon? Welchen Leidensdruck vermittelt der Patient? Was war der Anlass für die Therapie? Wie war Ihr erster Eindruck? Welches Beziehungsangebot vermittelte der Patient im Erstgespräch (z.B. Hilfe suchend)? Sind andere Helfer und Helfersysteme an dem Fall beteiligt? Berichtet der Patient über frühere Behandlungsversuche/ambulante oder stationäre Therapien (mit welchem Ergebnis)? Welche Lebensbedingungen liegen bei dem Patienten vor (familiärer Rahmen, wirtschaftliche Situation, Schul-, Ausbildungs- oder Berufssituation, soziale Bezüge, Netzwerke, Beziehung zu den Eltern, Persönlichkeit der Eltern)? Gib es relevante Informationen zum Lebenslauf (z.B. in Bezug auf Geburt, Schuleintritt und -wechsel, Ausbildung, Berufslaufbahn, langfristige Partnerschaften, Ehen, Geburt von Geschwistern und Kindern)? Welche kritischen Lebensereignisse hat der Patient erlebt (z.B. Trennungen, Todesfälle in der Familie oder im engen Freundeskreis, Schulabbrüche, Ausbildungsabbrüche, Arbeitslosigkeit)? Problementwicklung: Wann tauchte die Störung erstmals auf? Gab es Phasen der Problemfreiheit? Haben sich Symptome/Auffälligkeiten im Laufe der Zeit verändert? In welchen makroanalytischen Zusammenhängen (Kontexten) ist das Problem entstanden bzw. zu beobachten? Bewältigungsversuche: Was wurde bislang unternommen, um das Problem zu lösen? In welcher Weise kann das Problem/Symptom als Bewältigungsversuch betrachtet werden? Ist das Problem in einem Zusammenhang mit somatischen Besonderheiten (z.B. Krankheiten, Behinderungen, Unfall) zu sehen? 1 Der im Prüfungsfall zu Hilfe genommene Therapieantrag darf nicht einfach übernommen werden, sondern er wird überarbeitet. Die Daten werden rückblickend angepasst. Nur so lässt sich ein Prüfungsfall „aus einem Guss“ herstellen. Leitfaden AVT Köln © Wälte & von der Laage Seite 2 3. Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Antragsstellung Kontakt, Motivation, Intelligenz Bewusstsein, Orientierung, Verdacht auf Psychose, Suizidalität Testbefunde 4. Somatischer Befund Konsilbericht Ergänzende somatische Befunde, die nicht im Konsilbericht erfasst sind Haben Sie die Suizidalität abgeklärt? Liegen bereits Testbefunde vor? Welche Tests haben Sie zur Diagnostik und zur Evaluation des Verlaufes eingesetzt? Welche Beziehung besteht zwischen dem aktuellen psychischen Befund und der Störungsanamnese? Wurde für die Symptome des Patienten eine somatische Ausschlussdiagnostik vorgenommen? Liegt ein (ergänzender) somatischer Befund vor, der bei den therapeutischen Interventionen zu berücksichtigen ist (z.B. Belastungsmöglichkeiten des Patienten)? 5. Verhaltensanalyse Makroanalyse: Prädisponierende Faktoren, Sozialisation, Schemata, Verletzung psychologischer Grundbedürfnisse, Erziehungsstil der Eltern, Persönlichkeitsstil des Klienten Mikroanalyse: SORKC o kognitiv o emotional o physiologisch o behavioral Verhaltensexzesse, Verhaltensdefizite, Ressourcen Ätiologisches Gesamtmodell bzw. funktionales Bedingungsmodellthese Leitfaden AVT Köln © Wälte & von der Laage Makroanalyse (die wichtigsten Ergebnisse fließen als O-Variablen in die Mikroanalyse ein): Welche prädisponierenden Faktoren sind bedeutsam für die Entstehung der Symptomatik: Lernerfahrungen in der Familie, Sozialisation, dysfunktionale Schemata? Welche kritischen Lebensereignisse haben die Vulnerabilität des Patienten negativ beeinflusst? Können protektive Faktoren benannt werden? Seite 3 Besteht ein Zusammenhang zwischen der Symptomatik und Veränderungen in der Lebenssituation (z.B. Berufswechsel, Auszug aus dem Elternhaus etc.)? Was sind die überdauernden aufrechterhaltenden Mechanismen der Störung? Mit welchen Modellen/theoretischen Konzepten erklären Sie sich die Aufrechterhaltung der Störung? Welche psychologischen Grundbedürfnisse (Bindung, Autonomie, Selbstwerterhöhung, Lust) sind im Lebenslauf verletzt worden? Wie lassen sich aus systemischer Perspektive das Problem/Symptom und seine Funktion (Dienlichkeit) in relevanten Kontexten beschreiben? Mikroanalyse: Darstellung mindestens einer Mikroanalyse nach dem SORKC-Schema anhand typischer Situationen, in denen der Patient die Symptomatik schildert. Welche Verhaltensexzesse und Verhaltensdefizite können Sie beim Patienten identifizieren? Welche Ressourcen und positiven Bewältigungsfähigkeiten hat der Patient bereits? Welche psychischen, physischen, beziehungsmäßigen, sozialen, systemischen, ökonomischen und ökologischen Ressourcen können Ansatzpunkte für Veränderungen bieten? Funktionales Bedingungsmodell: Welche kurzfristigen Konsequenzen hat das Verhalten? Welche langfristigen Konsequenzen hat das Verhalten? Welche exzessiven/defizitären Verhaltensanteile werden festgestellt? Sind alle Modalitäten der Reaktion erfasst? Leitfaden AVT Köln © Wälte & von der Laage Seite 4 S (Situation bzw. Stimulus) In welcher Situation tritt das Verhalten auf? Außerhalb der Person (situativ): -Umweltreize -Räumliche, zeitliche, materielle Bedingungen -Anforderungen von außen -Verhalten anderer Personen Innerhalb der Person (situativ): -Stimmung -Bedürfnislage -körperliches Befinden (aktuell) -Gedanken (aktuelle Erwartungen und Vorstellungen) O (Überdauernde Merkmale des Organismus/überdauernde Kognitionen) Mit welchen Ausgangsbedingungen reagiert der Patient auf den Stimulus? Biologische Merkmale (überdauernd): -Körperliche Merkmale, Erkrankung -Medikamente, Drogen Kognitionen (überdauernd): -im Wesentlichen überdauernde Kognitionen (Erwartungen, Schemata) R (Reaktion, Symptomverhalten) Wie reagiert der Patient auf den Stimulus nach Verarbeitung durch den Organismus? -R mot: Motorische Modalität -Verhaltensdefizit: Vermeidungsverhalten -Verhaltensexzess: z.B. Essanfall -Fehlregulation: Konfliktverhalten -R emot: Emotionale Modalität -situatives subjektiv-emotionales Erleben -R kogn: Kognitive Modalität -situative Erwartungen -situative Attributionen -situative automatische Gedanken -situative Bewertungen -R phys: Physiologische Modalität -situative physiologische Reaktionen Leitfaden AVT Köln © Wälte & von der Laage Seite 5 K (Kontingenz) Wie regelmäßig tritt die Konsequenz nach der Reaktion auf? C (Konsequenz) Was folgt auf das Verhalten? -Zeitpunkt: Ck = kurzfristige Konsequenzen Cl = langfristige Konsequenzen -Entstehungsort: Ce = externe Konsequenzen Ci = interne Konsequenzen -Qualität: C+ = positive Konsequenz (Belohnung) C / - = Wegfall einer negativen Konsequenz (negative Verstärkung) C- = Eintreten einer negativen Konsequenz (Bestrafung) C / + = Wegfall einer positiven Konsequenz (Löschung) 6. Diagnose(n) nach ICD-10 Komorbidität, Ausschluss von Diagnosen 7. Therapieziele und Prognose kurzfristige und langfristige Ziele Leitfaden AVT Köln © Wälte & von der Laage Wie lässt sich das Problemverhalten funktional (z.B. nach dem SORKCModell) interpretieren? Wie erklärt sich der Patient das Problem? Gibt es Divergenzen in der Erklärung zwischen Patient und Therapeut? Welche differentialdiagnostischen Überlegungen erscheinen Ihnen wichtig zum Ausschluss von Diagnosen? Bestehen Komorbiditäten? Gibt es eine Diagnose (bei Komorbidität), die im Mittelpunkt steht? In welcher Beziehung stehen die Diagnosen untereinander (welche Diagnose in welcher Reihenfolge)? Welche kurzfristigen und langfristigen Zielvorstellungen konnten Sie mit dem Patienten erarbeiten? Konnte der Patient realistische Ziele formulieren? Seite 6 übergeordnete Therapieziele und Teilziele symptombezogene und symptomübergreifende Ziele Angaben zur Prognose 8. Behandlungsplan Angabe der spezifischen Methoden und Techniken mit Bezug zur Diagnose und zu den Therapiezielen Begründung für die Dauer der Behandlung Frequenz der Behandlung Waren Ihnen als Therapeut andere oder weitere Ziele für die Behandlung wichtig? Wie wurden die Ziele operationalisiert und welche Methoden zur Evaluation der Zielerreichung wurden festgelegt? Mittels welcher Techniken soll das Erreichen von Zielen und Teilzielen für Patient und Therapeut sichtbar gemacht werden? Beziehungs- und Motivationsanalyse: Wie kann die Therapeut-PatientBeziehung beschrieben werden? Was kann bzgl. der Änderungsmotivation des Klienten beschrieben werden? Mit welchen Interventionen sollen die vereinbarten Ziele vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus Störungs-, Ressourcen-, Beziehungs- und Motivationsanalyse erreicht werden? Sind die ausgewählten Methoden und Techniken evidenzbasiert? Manualisiertes vs. adaptiertes Vorgehen: Wie begründen Sie die angewendeten Techniken und Methoden? Begründung der zeitlichen Abfolge der Therapieschritte: Gab es akute Problembereiche, die Sie vorrangig bearbeitet haben? Welche Überlegungen haben Sie sich bzgl. weiterer Behandlungsalternativen (z.B. stationär) oder Kooperationen (z.B. mit Ärzten) gemacht? Welche Überlegungen zur therapeutischen Beziehungsgestaltung können in den Behandlungsplan mit integriert werden? Sollten bei Interaktionsproblemen des Patienten seine signifikanten Bezugspersonen einbezogen werden? II. SITZUNGSPROTOKOLLE 1. Probatorische Sitzungen Datensammlung Aufbau der therapeutischen Beziehung gemeinsam erarbeitete Therapieziele günstige und ungünstige Bedingungen Leitfaden AVT Köln © Wälte & von der Laage Wie haben Sie in der probatorischen Phase die Daten erhoben? Wie gestaltete sich der Aufbau der therapeutischen Beziehung in der Therapieeingangsphase? Mittels welcher Methoden haben Sie gemeinsam mit dem Patienten die Therapieziele entwickelt? Seite 7 2. Verlauf der Behandlung Darstellung des therapeutischen Vorgehens, geordnet nach den jeweiligen Problembereichen bzw. Therapiezielen, z.B.: o Aufbau eines therapeutischen Bündnisses o Abbau von phobischen Ängsten o Aufbau sozialer Kompetenz o Abbau der Depression, Aufbau von Selbstwirksamkeit o Abbau der Essstörung Es soll dargestellt werden, o über welche Sitzungen sich die Bearbeitung der einzelnen Problembereiche erstreckte, z.B.“5. 19. Sitzung und 32.- 36. Sitzung“; Überschneidungen sind möglich, da in einer Sitzung auch an mehreren Themen gearbeitet werden kann. o welche Interventionen im jeweiligen Bereich zur Anwendung kamen, wie der Patient darauf reagierte o welche Aspekte der therapeutischen Beziehung von Bedeutung waren o welche therapeutische Veränderungen eintraten o und wie diese erfasst wurden, z.B. Bericht des Patienten, Angaben von Angehörigen, ggf. begleitende Messinstrumente wie Fragebögen, Zielannäherungsskalen o ein möglicher Antrag auf Verlängerung der Therapie (Behandlung der Restsymptomatik, Prophylaxe) Zum Ende der Darstellung des jeweiligen Themenblocks ist das Ergebnis der Supervision zu berichten: o Welche Fragen wurden mit dem Supervisor besprochen? o Was waren die Ergebnisse der Supervision? o Wie wurden diese in die Therapie eingebracht/ umgesetzt? Leitfaden AVT Köln © Wälte & von der Laage Welche Probleme im Therapieverlauf können benannt werden und führten zu Modifikationen im therapeutischen Vorgehen? Kam es zu Änderungen oder Erweiterungen der Ziele? Wann und mit welchen Methoden haben Sie mit dem Patienten die Zielannäherung während der Behandlung überprüft? Wie gestaltete sich die Therapeut-Patient-Beziehung im Behandlungsverlauf? Gab es kritische Situationen oder Phasen im Interaktionsprozess (z.B. fehlende Mitarbeit)? Wie sind Sie damit umgegangen? Welche präventiven Methoden zum Selbstmanagement und zur Rückfallprophylaxe haben Sie eingesetzt? Wie wurde das Ende der Therapie gestaltet? Haben Sie dem Patienten z.B. weitere stabilisierende Maßnahmen nach Abschluss der Therapie empfohlen? Seite 8 III. Abschließende Reflexion und Bewertung der Therapie Die abschließende Reflexion und Bewertung sollte folgende Aspekte enthalten: Zielerreichung (belegen: möglichst mit Testergebnissen und/oder subjektiver Einschätzung des Patienten, diese möglichst mit wörtlichen Zitaten) Erklärung der Fortschritte Kritische Situationen oder Phasen Weitere Prognose Persönlicher Lerneffekt des Therapeuten Leitfaden AVT Köln © Wälte & von der Laage Inwieweit konnten die Therapieziele erreicht werden? Auf welchen Belegen beruht die Zieleinschätzung (subjektive Angaben des Patienten, Fragebögen, Testbefunde, fremdanamnestische Angaben)? Welche Hypothesen haben Sie zur Erklärung der Fortschritte? Welche Behandlungsmaßnahmen waren wirksam bzw. wie können Sie sich Grenzen der Zielerreichung erklären? Gab es positive oder negative Veränderungen in nicht behandelten Bereichen? Welche Aussagen können Sie im Hinblick auf die weitere Prognose treffen? (z.B. Katamnesen) Was war im Rahmen der Therapie Ihr persönlicher Lerneffekt? Was würden Sie aus heutiger Sicht in Zukunft anders machen? Seite 9