Sepsis: Definition und Pathophysiologie Dr. Michael Sasse Abteilung Kinderheilkunde III Pädiatrische Kardiologie und Intensivmedizin Medizinische Hochschule Hannover Hohe Sterblichkeit bei schwerer Sepsis Weltweit sterben täglich 1.400 Menschen an schwerer Sepsis! Geschätzte Anzahl in den OECD-Ländern (OECD=Organization for Economic Development); Sands et al. JAMA 1997; 278: 234 Bedeutung der Sepsis in den USA Mittlerer Krankenhausaufenthalt 31 Tage Kosten pro Patient 40000 € 750000 Fälle/Jahr 225000 Todesfälle Angeborene Immundefizienz 500000 Pat. 80000 Katetherinfekt. mit 28000 Toten und 2,3 Milliarden Dollar Inzidenzen 600 Krankenhaus Intensivstation 400 300 200 100 ps is Sc hw Se ere Se p s pt is is Sc che ho r ck SI RS Se Sc Se p sis hw Se ere Se p s pt is is Sc che ho r ck 0 SI RS Fälle / 1000 Aufnahmen 500 Brun-Buisson C et al. Bacteremia and severe sepsis in adults. Am J Respir Crit Care Med 1996; 154: 617-624; Salvo I et al. The Italian SEPSIS study. Intensive Care Med 1995; 21: S244-S249; Sands KE et al. Epidemiology of sepsis syndrome in 8 academic medical centers. JAMA 1997; 278: 234-249; Brun-Buisson C et al. Incidence, risk factors, and outcome of severe sepsis and septic shock in adults. JAMA 1995; 274: 968-974; Kieft H et al. The sepsis syndrome in a Dutch university hospital. Arch Intern Med 1993; 153: 2241-2247. Inzidenz in der Pädiatrie Schwere Sepsis: – – – – 0,2-5,3/1000 Patienten, altersabhängig 10-13 % Mortalität Höhere Mortalität als bei bösartigen Erkrankungen Bei Komorbidität (17%), deutlicher Mortalitätsanstieg Prävalenz 25% auf päd. Intensivstationen Erkrankungsgipfel Ngb. und Kleinkind Definition Geschichte: – Hippokrates mit erster Definition 400 v., Chr. – Händedesinfektion durch Semmelweiß (1847)mit Senkung der Wöchnerinnen-sterblichkeit von 35 auf 0,75% – Seit 1914 wurde die Definition nur wenig abgewandelt Definition Sepsis Septischer Fokus Invasion pathogener Keime oder von Toxinen Bildung und Aktivierung von Mediatoren Nachfolgende Zellschädigung Multiorgandysfunktion oder –Versagen Das Krankheitsbild der Sepsis entsteht v. a. durch die immunologische Antwort des Patienten Systemic Inflammatory Response Syndrome (SIRS) Systemisch-entzündliche Reaktion auf verschiedene schwere klinische Insulte ohne Infektion Trauma Verbrennung Nichtinfektiöse Pankreatitis Vaskulitiden Organabstoßungen SIRS und Sepsis Unabhängig von der Ursache laufen Mediatorbildung und –freisetzung analog ab Manifestation der Reaktion als Multiorgandysfunktion Sepsis mit höherer Letalität Sepsis, SIRS und Infektion Trauma Anaphylaxie Bakterien Endotoxine Exotoxine INFEKTION Schock SEPSIS SIRS Pilze DIG Parasiten Massivtransfusion Viren Pankreatitis DIG = Disseminierte intravasale Gerinnung, SIRS = Systemisches Inflammatorisches Reaktionssyndrom Koch T und Heller S. Sepsis/SIRS: Pathomechanismen und therapeutische Ansätze. Anästhesiologie & Intensivmedizin 1996; 37: 386-403. Ausprägung der Sepsis Zahl, Virulenz und Pathogenität der Erreger Funktion des Immunsystems Reaktion des Wirtsorganismus Konsensusdefinition nach ACCP* und SCCM** Infektion/ Trauma SIRS Eine klinische Reaktion auf einen nichtspezifischen Insult, die 2 oder mehr der folgenden Symptome aufweist Sepsis SIRS mit vermuteter oder nachgewiesener Infektion Temperatur > 38°C oder < 36°C Herzfrequenz > 90 Schläge/min Atemfrequenz > 20/min Leukozyten > 12.000/mm3 oder < 4000/mm3 oder > 10 % unreife neutrophile Granulozyten Schwere Sepsis Sepsis mit ≥ 1 Organdysfunktion Kardiovaskulär (refraktäre Hypotension) Renal Schock Respiratorisch Hepatisch Hämatologisch ZNS Metabolische Azidose ohne erkennbare Ursache 28-TageSterblichkeit: 10 % 20 % 40 % bis zu 80 % SIRS = Systemisches inflammatorisches Reaktionssyndrom Bone et al. Chest 1992; 101: 1644; Wheeler und Bernard. N Engl J Med 1999; 340: 207; Brun-Buisson C. Intensive Care Med 2000; 26: S64; Friedman et al. Crit Care Med 1998; 26: 2078. *American College of Chest Physicians **Society of Critical Care Medicine Septischer Schock Schwere Sepsis mit arterieller Hypotonie trotz adäquater Volumensubstitution CARS Kompensatorisches Anti-inflammatorisches Response Syndrome – Immunnologische Gegenreaktion mit monocytärer Immunparalyse Der Circulus Vitiosus bei der Sepsis Hyperinflammation IL-8 IL-6 IL-1 TNF IL-6 IL-10 IL-4 TGF-β IL-13 Sepsis Immunparalyse IL = Interleukin, TGF = Transforming Growth Factor, TNF = Tumor-Nekrose-Faktor Nach Seeger W et al. Mediatorblockade bei Sepsis: Inhibitoren, Antagonisten und Antikörper. In: Intensivtherapie bei Sepsis und Multiorganversagen (Hrsg. Schuster HP und Müller-Werdan U). Springer Verlag Heidelberg, 1999. Multiple Organ Dysfunction Syndrome (MODS) Akut verschlechterte Funktion mehrerer Organe die ohne Intervention nicht mehr aufrecht zu erhalten ist Nur die frühe Therapie verspricht Erfolg Pathogenese der Organschäden Minderung des Sauerstoffangebotes – Kardiale Funktionsminderung – Makrozirkulationsstörung – Mikrozirkulationsstörung – Permeabilitätsstörung des Endothels Minderung der Sauerstoffverwertung Was macht uns bei der Sepsis krank? Endothel under Attack Das gesamte Endothel hat die Fläche eines Fußballfeldes Die Masse befindet sich in den Kapillaren Es fördert einen ungehemmtem Blutfluß Unter Stress wirkt es prokoagulatorisch und antifibrinolytisch Übersteigt der Endothelschaden eine kritische Masse kommt es zu einer DIC Der Effekt triggert sich nachfolgend selbst Pathomechanismen bei Sepsis Mikrobieller oder traumatischer Stimulus Humorale Antwort: Komplementkaskade Gerinnungs- und Fibrinolysesystem Kallikrein-Kininsystem Zelluläre Antwort: Aktivierung von Granulozyten Endothel Zytotoxische Mediatoren Proteasen Arachidonsäurederivate O2-Radikale "rolling" Zytokine/Adhäsine Tumor-Nekrose-Faktor α Interleukin-1, -6, -8 Selektine, Adhäsionsmoleküle FibrinThrombozytenAggregate "sticking" Endothelschaden Gewebethromboplastin ↑ Permeabilität ↑ NO-Freisetzung reduzierter Blutfluß Mikrozirkulationsstörung Ödem MODS Makrophagen Thrombozyten SIRS MODS=MultiorganDysfunktionssyndrom NO = Stickoxid SIRS = Systemisches inflammatorisches Reaktionssyndrom Heller A und Koch T. Pharmakologische Aspekte von mehrfach ungesättigten Fettsäuren in der parenteralen Ernährung. AINS 1998; 33: 77-87. Inflammatorische und thrombotische Aktivitäten nach Infektion vWFMultimere Wirkung von Toxinen Moake, Joel, NEJM,2002, Thrombotic Mikroangiopathies Entstehung von Thromben Moake, Joel, NEJM,2002, Thrombotic Mikroangiopathies v. Willebrand Protease Moake, Joel, NEJM,2002, Thrombotic Mikroangiopathies T-PA Inaktivierung Chandler, W., NEJM,2002, Prothrombotic Coagulation Abnormalities Preceding HUS Die Homöostase ist bei Sepsis gestört Pro-inflammatorische Mediatoren Endothelschädigung GewebethromboplastinFreisetzung Thrombinbildung ng n u n erin matio G + flam + In –F yse l o n ibri Hemmung der Fibrinolyseaktivierung durch die Fibrinolyse-Inhibitoren PAI-1 und TAFIa Protein C meistens reduziert PAI = Plasminogen-Aktivator-Inhibitor, TAFIa = Thrombin-aktivierbarer Fibrinolyse-Inhibitor, aktiviert Carvalho und Freeman. J Crit Illness 1994; 9: 51; Kidokoro et al. Shock 1996; 5: 223; Vervloet et al. Semin Thromb Hemost 1998; 24: 33. Inhibitoren der Gerinnung Die meisten Inhibitoren haben auch einen Immunsystem hemmenden Einfluß. Sie beenden die immunologische Reaktion Pathologie der Mikrozirkulationsstörung Gewebefaktor > Aktivierung der Gerinnung Aktivierung der Gerinnung und Hemmung der Fibrinolyse > intravaskuläre Thrombose intravaskuläre Thrombose> Minderperfusion und Organversagen Intravaskuläre Thrombose > Gewebshypoxie Sepsis: Ein Teufelskreis aus Inflammation und Gerinnung Infektion Inflammation Gerinnung Organversagen Ischämie Tod Endotheliale Dysfunktion Inflammation Gerinnung Inflammation Inflammation Gerinnung Nach: Esmon CT. Immunologist 1998; 6:84. Labor bei Übernahme CRP PCT IL 6 Leuko. Thrombo. Hb 84 191 >11000 8 68 7,8 mg/l µg/l mg/dl nl nl g/dl Verbrauchskoagulopathie Quick PTT Fibrinogen AT III D-Dimer Protein C Protein S PAI 1 Akt. 16 % 129 sec 0,6 g/l 29 % >20000 µg/l 7 % 17 % 40 AU/l Zusammenfassung Das Gerinnungssystem ist auf Aktion und Gegenaktion begründet Fehlt einer der Faktoren oder wird er inhibiert kommt es zu Blutungen und/oder Thrombosen/Embolien In der Sepsis wird die Fibrinolyse inhibiert Das Endothel ist das Zielorgan in der Sepsis Zusammenfassung Toxine führen zu einer prokoagulatorischen Aktivität des Endothels Die Wirkung entfaltet sich v. a. in den Kapillaren Thrombosen führen zu einer Minderperfusion Die Minderperfusion verursacht Organversagen Das Organversagen führt in einen Teufelskreis