Text Aktuelles

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Nr. 39
23. Juli 2012 (Koh)
Maßgeschneiderte Viren für verbesserte Krebstherapie
Parvoviren töten spezifisch Krebszellen und werden zur Behandlung bösartiger
Hirntumoren bereits klinisch erprobt. Weil sie jedoch auch normale Zellen infizieren
können – ohne diesen zu schaden –, geht bei der Therapie ein großer Teil der Viren
verloren. Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum veränderten die
Viren nun so, dass sie zunächst ihre Infektionsfähigkeit verlieren. In einem zweiten
Schritt statteten sie die Viren mit einem molekularen Schlüssel für die Infektion von
Krebszellen aus.
Einige Parvoviren können Krebszellen befallen und vernichten, verursachen aber beim
Menschen keine Krankheitssymptome. Seit 1992 erforschen Wissenschaftler um Prof. Jean
Rommelaere im Deutschen Krebsforschungszentrum diese Viren mit dem Ziel, sie für die
Krebstherapie einzusetzen. Die Forscher wählten dafür Parvoviren des Stamms H1, die
normalerweise Nagetiere befallen, aber auch für menschliche Zellen infektiös sind. H1-Viren
töten Tumorzellen aufgrund natürlicher Eigenschaften ab, ihr Erbgut muss dafür nicht
genetisch verändert werden. Im Universitätsklinikum Heidelberg wird bereits eine
Behandlung von bösartigen Hirntumoren mit H1-Viren in einer klinischen Phase I/IIa-Studie
geprüft.
„Die Viren vernichten ausschließlich Krebszellen. Aber mit der gleichen Effizienz wie
Krebszellen infizieren sie auch gesunde Zellen. Dort richten sie zwar keine Schaden an und
können sich darin auch nicht vermehren. Aber dadurch verlieren wir jedes Mal einen großen
Teil der therapeutischen Viren“, sagt Jean Rommelaere. Als Lösung für dieses Problem
konstruierten die Forscher ein Virus „auf dem Reißbrett“: Sie veränderten das Erbgut des
Erregers so, dass das Virus seine Infektionsfähigkeit verliert. In einem zweiten Schritt wurde
das nun nicht mehr infektiöse Virus mit einem molekularen Schlüssel für Krebszellen
ausgestattet.
Anhand eines computerbasierten 3D-Models der Proteinkapsel des H1-Virus konnten
Antonio Marchini und Kollegen aus Jean Rommelaeres Abteilung identifizieren, wie das
Virus mit Zellen in Kontakt tritt: Es dockt an Proteine auf der Zelloberfläche an, die mit
Sialinsäure gekoppelt sind. Die Forscher tauschten daraufhin zwei Aminosäuren eines
Virusproteins aus, die für den Kontakt mit der Sialinsäure ausschlaggebend sind. Diese
geringfügige Veränderung reduzierte die Infektionsfähigkeit von H1 dramatisch: In Zellen, die
mit dem genveränderten Virus behandelt wurden, fand sich nicht einmal ein Zehntel der
Virusmenge, wie sie nach einer Infektion mit dem unveränderten H1 zu erwarten gewesen
wäre.
In einem zweiten Schritt statteten Marchini und Kollegen die nadelartigen Eiweißstrukturen
der Viruskapsel mit drei zusätzlichen Aminosäuren aus. Das verleiht den Viren die Fähigkeit,
an ein so genanntes Integrin anzudocken: Dieses krebstypische Zellmembran-Protein wird
von vielen Tumoren im Übermaß produziert. Die doppelt veränderten Viren erlangten ihre
Infektionsfähigkeit zurück: Normale Zellen, die kein oder nur wenig Integrin tragen, blieben
verschont. Melanomzelle jedoch, die große Mengen des krebstypischen Integrins
produzieren, ließen sich mit dem doppelt veränderten Parvovirus vergleichbar effizient
infizieren wie mit dem natürlichen H1-Virus.
„Das war ein erster Beweis, dass es grundsätzlich möglich ist, Eigenschaften von H1 nach
Plan zu verändern. Wir werden sicher noch einige Anläufe benötigen, um die Viren im
zweiten Schritt noch spezifischer auf Krebszellen zuzuschneiden. Außerdem haben wir
bereits Ideen, wie wir die Infektionsfähigkeit und das Potenzial, Krebszellen zu vernichten,
weiter verbessern können“, sagt Antonio Marchini.
Xavier Allaume, Nazim El-Andaloussi, Barbara Leuchs, Serena Bonifati, Amit Kulkarni, Tiina Marttila,
Johanna K. Kaufmann, Dirk M. Nettelbeck, Jürgen Kleinschmidt, Jean Rommelaere und Antonio
Machini: Retargeting of Rat Parvovirus H-1PV to Cancer Cells through Genetic Engineering of the
Viral Capsid. J Virol. April 2012, DOI :10.1128/JVI.06208-11
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die
größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen
Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Ansätze, mit denen
Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Gemeinsam mit dem
Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und
interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Das Zentrum wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der
Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
Diese Pressemitteilung ist abrufbar unter www.dkfz.de/pressemitteilungen
Dr. Stefanie Seltmann
Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
D-69120 Heidelberg
T: +49 6221 42 2854
F: +49 6221 42 2968
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