11 Embryonenforschung

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Embryonenforschung
Stefan Grotefeld
Einführung in die Angewandte Ethik
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11 Embryonenforschung
11.1 Einleitung
11.2 Literaturhinweise
11.3 Medizinischer Sachstand
11.4 Rechtslage
11.5 Standardargumente in der Statusdebatte
11.6 Kirchlich-theologische Kontroverse
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Einführung in die Angewandte Ethik
11/2
11.1 Einleitung
11.1.1 Worum geht es?
11.1.2 Benachbarte Problemfelder
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11.1.1 Worum geht es?
• Im November 1998 erschien in der Fachzeitschrift
Science ein Bericht über die erstmalige Isolierung, Kultivierung und Selbstreplikation von Stammzellen, die aus
menschlichen Embryonen gewonnen worden waren
• Mit dieser Entdeckung verbanden sich sogleich große klinisch-therapeutische Hoffnungen:
„Menschliche embryonale Stammzellen faszinieren unsere Vorstellung, denn sie sind unsterblich und haben ein
fast unbegrenztes Entwicklungspotential. […] Ihre Fähigkeit zur Vermehrung und Entwicklung verspricht eine im
Prinzip unbegrenzte Versorgung mit spezifischen ZellStefan Grotefeld
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typen zu Transplantationszwecken für eine ganze Reihe
von Erkrankungen, vom Herzinfarkt über Morbus Parkinson bis zur Leukämie.“
(James A. Thomson, zit. nach Merkel, 12)
• Diese Aussichten stellen einen gewichtigen moralischen
Grund dar, die betreffende Forschung voranzutreiben
• Allerdings: Die Gewinnung von embryonalen Stammzellen
setzt den „Verbrauch“ der betreffenden Embryonen voraus
• Dies kann aber nur dann als moralisch legitim gelten,
wenn Embryonen nicht denselben moralischen Status besitzen wie erwachsene Personen
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11/5
11.1.2 Benachbarte Problemfelder
• Die Frage nach dem moralischen Status des Embryos
ist auch für andere Bereiche der Medizinethik von zentraler Bedeutung:
¾ Schwangerschaftsabbruch
¾ Klonen (therapeutisch bzw. reproduktiv)
¾ Präimplantationsdiagnostik (negative bzw. positive
Selektion; „Designerbabys“)
¾ Gentherapie
• Jeder dieser Bereiche wirft aber darüber hinaus weitere,
je spezifische Fragen auf
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11.2 Literaturhinweise
Anselm, Reiner/Körtner, Ulrich H.J. (Hg.): Streitfall Biomedizin. Urteilsfindung in christlicher Verantwortung,
Göttingen 2003
Blickpunkt: Forschung mit humanen embryonalen
Stammzellen, http://www.drze.de/Themen/blickpunkt/
Stammzellen
Dabrock, Peter/Klinnert, Lars/Schardien, Stefanie: Menschenwürde und Lebensschutz. Herausforderungen
theologischer Bioethik, Gütersloh 2004
Geyer, Christian (Hg.): Biopolitik. Die Positionen, Frankfurt a.M. 2001
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Gott ist ein Freund des Lebens. Herausforderungen und
Aufgaben beim Schutz des Lebens. Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der DBK, Bonn/Hannover 1989
Habermas, Jürgen: Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Frankfurt a.M. 2001
Huber, Wolfgang: Der gemachte Mensch. Christlicher
Glaube und Biotechnik, Berlin 2002
Kirchenamt der EKD (Hg.): Im Geist der Liebe mit dem
Leben umgehen. Argumentationshilfe für aktuelle mediStefan Grotefeld
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11/8
zin- und bioethische Fragen, Hannover 2002
Körtner, Ulrich H.J.: „Lasset uns Menschen machen“.
Christliche Anthropologie im biotechnologischen Zeitalter, München 2005
Kuhlmann, Andreas: Politik des Lebens, Politik des Sterbens, Berlin 2001
Merkel, Forschungsobjekt Embryo. Verfassungsrechtliche und ethische Grundlagen der Forschung an
menschlichen embryonalen Stammzellen, München 2002
Schramme, Thomas: Bioethik, Frankfurt a.M. 2002
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11.3 Medizinischer Sachstand
11.3.1 Was sind Stammzellen?
11.3.2 Wie werden Stammzellen gewonnen?
11.3.3 Stammzellen als medizinische Hoffnungsträger
11.3.4 Forschungsstand
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11.3.1 Was sind Stammzellen?
• Im Unterschied zu den meisten anderen Zellen in unserem Körper sind Stammzellen keine Spezialisten:
¾ Sie haben keine feste Funktion, sondern können sich
zu verschiedenen Zelltypen ausbilden
¾ Sie können sich unbegrenzt vermehren
• Stammzellen finden sich in Embryonen, Föten und wurden bisher auch in 20 Organen des menschlichen Körpers (z.B. Knochenmark, Nabelschnurblut) nachgewiesen
Dementsprechend unterscheidet man zwischen embryonalen, fetalen und adulten (Säuglinge, Kinder, Erwachsene) Stammzellen
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• Adulte Stammzellen:
¾ Dienen im erwachsenen Organismus der Regeneration
je spezifischer Gewebe
¾ Günstige Transplantationsbedingungen aufgrund kaum
zu erwartender Abstoßungsreaktionen
¾ Moralisch unbedenklich
→ Diese von Kritikern der Embryonenforschung (und -verwendung) empfohlene Alternative hat auch Nachteile:
¾ Reduziertes Differenzierungspotential
¾ Die Kultivierung und Vermehrung dieser Zellen gestaltet sich (derzeit noch) schwierig
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• Der Potenz nach unterscheidet man außerdem zwischen
totipotenten und pluripotenten (und zuweilen auch multipotenten) Stammzellen
• Totipotente Stammzellen:
¾ Besitzen die Fähigkeit, sich zu einem kompletten Organismus zu entwickeln
¾ Totipotent sind nach heutigem Wissensstand nur die
Zellen der befruchteten Eizelle bis zum 8-Zellen-Stadium
¾ Jede totipotente Zelle ist rechtlich dem Embryo gleichgestellt
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• Pluripotente Stammzellen:
¾ Besitzen die Fähigkeit, sich in (sämtliche) Gewebetypen des Körpers auszudifferenzieren
¾ Dieses Potential verringert sich im Laufe der Entwicklung, da Stammzellen sich immer weiter differenzieren
¾ Embryonale Stammzellen verfügen über das größte
Entwicklungspotential und sind deshalb für die Forschung besonders interessant
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Embryonalentwicklung bis
zur Einnistung
(Quelle: DRZE)
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11.3.2 Wie werden Stammzellen gewonnen?
• Es gibt zur Zeit prinzipiell drei Möglichkeiten, um embryonale Stammzellen
zu gewinnen:
(Quelle: faz.net)
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• zu B) Die Verwendung primordialer Keimzellen ist zwar
erlaubt, wirft in der Praxis aber große Probleme auf
• zu C) Das therapeutische Klonen erscheint Medizinern wegen der vermutlich geringen Abstoßungsreaktionen verheißungsvoll, ist aber verboten und wird von vielen als moralisch bedenklich angesehen (hoher Verbrauch von Embryonen; hochriskant; Einstieg in das reproduktive Klonen)
• Zu A) So erscheint die Verwendung „überzähliger Embryonen“ als der einzig realistische Weg; zwar ist deren
Erzeugung in Deutschland verboten, nicht aber ihr Import
unter bestimmten, restriktiven Bedingungen (s.u. 11.4)
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Gewinnung von Stammzellen aus
„überzähligen Embryonen“
(Quelle: DRZE)
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11.3.3 Stammzellen als medizinische Hoffnungsträger
• Mit der Stammzellforschung
verbinden sich drei Zielsetzungen:
1) Entwicklung von Zell- und
Gewebetransplantaten
¾ zur Behandlung degenerativer Erkrankungen, z.B.
des Nervensystems (Altzheimer, Parkinson)
(Quelle: Spiegel/dpa)
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¾ zur Behandlung von Verschleißerscheinungen an
Knochen und Gelenken
2) Aufklärung der Mechanismen der Zelldifferenzierung
(Grundlagenforschung)
Kennt man die Mechanismen, kann evtl. auf die Verwendung von ES-Zellen verzichtet werden zugunsten einer
Reprogrammierung adulter Stammzellen
3) Entwicklung und Sicherheitsüberprüfung von Medikamenten
Könnte eine Reihe von Untersuchungen an Mensch und
Tier überflüssig machen
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11.3.4 Forschungsstand
• Seit der Gewinnung der ersten ES-Zellen 1998 ist die
Forschung eher langsam vorangekommen
• Bislang ist es gelungen, eine Reihe von Vorläuferzellen
aus humanen ES-Zellen zu generieren (Herzmuskelzellen,
Blutgefäßzellen, Blutzellen, Bauchspeicheldrüsenzellen,
Leberzellen Trophoblastenzellen)
• Die bisherigen Experimente sind der Grundlagenforschung zuzurechnen und lassen keine Rückschlüsse auf
eine konkrete klinische Anwendung zu
• Die Gewinnung embryonaler Stammzellen durch therapeutisches Klonen ist schwierig und bisher nicht gelungen
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Entsprechende Meldungen der Gruppe um den koreanischen Forscher Woo Suk Hwang (Science 2004) haben
sich inzwischen als Betrug erwiesen:
„Klonkönig Hwang –
Neue Stammzelle gefunden“
Quelle: Deutsches Ärzteblatt
103, Ausgabe 6 vom 10.02.
2006, Seite A-302 / B-266 /
C-254
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• Demgegenüber gibt es auf dem Gebiet des Gewebeersatzes aus adulten Stammzellen bereits klinische Erfolge
(blutbildende Stammzellen zur Knochenmarkstransplantation nach Strahlentherapie, hautbildende Stammezellen
nach Verbrennungen)
• „Zum jetzigen Zeitpunkt kann man aus naturwissenschaftlicher Sicht keine begründete Abschätzung liefern, die einer der beiden Forschungsrichtungen [ES- oder adulte
Stammzellen] in Bezug auf ihre klinischen Antwendungsmöglichkeiten den Vorrang vor der anderen einräumen könnte.“
(DRZE)
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11.4 Rechtslage in Deutschland
• Die Embryonenforschung wird in Deutschland durch zwei
Gesetze geregelt, das Embryonenschutzgesetz (1991)
und das Stammzellgesetz (2002)
• Das Embryonenschutzgesetz:
¾ verbietet die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken
¾ verbietet die Verwendung von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen
¾ definiert als Embryo auch „jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle“
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• Das Stammzellgesetz:
¾ verbietet grundsätzlich den Import von embryonalen
Stammzellen
¾ lässt eine Ausnahme zu, wenn die Stammzellen vor
dem 1.1.2002 gewonnen wurden, aus überzähligen
Embryonen nach IVF stammen, mit ihnen hochrangige
Forschungsziele verfolgt werden, zu denen es keine
Alternative gibt
• Bislang wurden in Deutschland 22 Genehmigungen erteilt
• Die Stichtagsregelung war ein Kompromiss, der als solcher bis heute umstritten ist (DFG, 10.11.2006)
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„Importverbot für embryonale Stammzellen“
Quelle: Deutsche Ärzteblatt 99,
Ausgabe 8 vom 22.02.2002,
Seite A-468 / B-376 / C-354
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11.5 Standardargumente in der Statusdebatte
11.5.1 Zwei Grundpositionen
11.5.2 Das Speziesargument
11.5.3 Das Identitätsargument
11.5.4 Das Kontinuumsargument
11.5.5 Das Potentialitätsargument
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11.5.1 Zwei Grundpositionen
• Für die Beurteilung der moralischen Legitimität der Embryonenforschung ist entscheidend, wie man die Frage
nach dem moralischen Status des Embryo beantwortet
• Hierzu gibt es im Wesentlichen zwei Grundpositionen:
1) absolute Schutzwürdigkeit:
• Hiernach besitzt der Embryo von Beginn an, d.h. nach Abschluss der Kernverschmelzung, denselben moralischen
Status wie ein erwachsener Mensch
• Ihn für Forschungszwecke zu instrumentalisieren, wäre
ein Verstoß gegen seine Menschenwürde
• Position des Embryonenschutzgesetzes (s.o.)
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2) graduelle Schutzwürdigkeit:
• Die volle, dem erwachsenen Menschen aufgrund seines
Personseins zukommende Schutzwürdigkeit genießt der
Embryo erst ab einer bestimmten Entwicklungsstufe, z.B.
¾ Einnistung
¾ Entwicklung des Primitivstreifens (Individuation)
¾ Schmerzempfindlichkeit (Neuronalentwicklung)
• Davor ist seine Schutzwürdigkeit eine abgestufte
• Eine verbrauchende Forschung mit Embryonen kann
demnach moralisch zulässig und u.U. sogar moralisch
geboten sein (bei hochrangigen Forschungszielen)
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11.5.2 Das Speziesargument
Argument:
• Jedes geborene Mitglied der Gattung homo sapiens hat
ein Grundrecht auf Leben
• Der Embryo ist biologisch von Beginn an ein Mitglied dieser Gattung
• Dem Gleichbehandlungsprinzip entsprechend hat also
auch der Embryo von Beginn an ein Recht auf Leben
Einwand:
• Das Gleichbehandlungsgebot besagt, dass Gleiches
gleich zu behandeln ist
• Dass der Embryo den Status des moralisch Gleichen hat,
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müsste erst noch gezeigt werden
• Denn der bloße Verweis auf die Gattungszugehörigkeit ist
ähnlich unzureichend wie der Verweis auf Geschlechtsoder Rassezugehörigkeit (→ Speziesismus)
• Nicht weil Menschen biologisch gesehen Menschen sind,
haben sie bestimmte Rechte, sondern weil sie bestimmte,
moralisch besonders schützenswert erscheinende Eigenschaften haben, haben sie diese Rechte
• Reinhard Merkel: Entscheidend ist die subjektive Erlebnisfähigkeit, da sie die Voraussetzung für Verletzbarkeit bildet, die wiederum durch Rechte geschützt werden soll
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11.5.3 Das Identitätsargument
Argument:
• Ein Lebewesen ist zu jedem Zeitpunkt seiner Entwicklung
mit dem Lebewesen identisch, das es zu einem früheren
Zeitpunkt war
• Auch der Mensch ist und bleibt derselbe, der er bereits als
Embryo war
• Die Würde einer Person kann also nicht erst zu einem
späteren Zeitpunkt hinzukommen, sondern ist ihr vom Beginn ihrer Existenz an inhärent
Einwand:
• Das zugrunde gelegte Identitätsverständnis ist zu simpel,
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da es allein auf die Identität des Genoms abhebt
• Es mag sich zwar um eine notwendige, nicht aber um eine hinreichende Bedingung moralisch relevanter Identität
handeln
• Ähnlich wie beim Speziesargument wird in unzulässiger
Weise von einem Sein auf ein Sollen geschlossen
• Dass dementsprechend jede totipotente Zelle dieselben
Rechte haben soll wie ein Embryo bzw. wie ein geborener Mensch, führt zu absurden Konsequenzen
• Andere mögliche Kriterien wären: Wunsch nach eigenem
Weiterleben oder Empfindungsfähigkeit
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11.5.4 Das Kontinuitätsargument
Argument:
• Die Entwicklung des Embryos zum geborenen Menschen
verläuft kontinuierlich
• Es gibt keinen markanten Einschnitt, der einen Wandel
des moralischen Status begründen könnte
• So auch das Bundesverfassungsgericht 1975:
„Der [menschliche] Entwicklungsprozeß ist ein kontinuierlicher Vorgang, der keine scharfen Einschnitte aufweist
und eine genaue Abgrenzung der verschiedenen Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens nicht zuläßt.
Deshalb kann der Schutz der Art 2 Abs. 2 S.1 des GrundStefan Grotefeld
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gesetzes weder auf den ‚fertigen‘ Menschen nach der Geburt, noch auf den selbständig lebensfähigen Nasciturus
beschränkt werden. Das Recht auf Leben wird jedem gewährleistet, der ‚lebt‘; zwischen den einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder
zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier
kein Unterschied gemacht werden.“
(BVerfGE 39, 1975, 37 [zit. nach Merkel, 157])
Einwände:
• Das Argument unterliegt dem sog. Fehlschluss des Sorites
• Einnistung oder Beginn der Schmerzempfindlichkeit stellen durchaus moralisch relevante Einschnitte dar
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11.5.5 Das Potentialitätsargument
Argument:
• Zwar mögen die aktuellen Eigenschaften menschlicher
Embryonen kein Tötungsverbot begründen; aber seine
erwartbaren künftigen Eigenschaften sind genau jene, die
vorausgesetzt werden
Einwände:
• Bloße Potentialität vermag in anderen Kontexten nicht
denselben Rechtsstatus zu begründen (Kronprinz – König)
• Es gibt verschiedene Grade der Potentialität, und eine
bloß logische Möglichkeit taugt offensichtlich nicht als Begründung für den gleichen Status
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• Die Potentialität des Embryos ist keine aktive: Zwar war jeder Mensch einmal eine befruchtete Eizelle, doch nicht jede befruchtete Eizelle entwickelt sich zu einem Menschen
• Rechtliche Inkonsistenz: Pronuclei und frühste Embryonen haben die gleiche Potentialität, aber nicht den gleichen rechtlichen Status
• Die praktisch-reale Potentialität des Embryos, zu einem
Menschen heranzuwachsen, wächst im Laufe seiner Entwicklung (→ graduelle Schutzwürdigkeit)
• Begründet die unterschiedliche Potentialität des Embryos
in vivo und in vitro einen unterschiedlichen Status?
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11.6 Kirchlich-theologische Diskussion
11.6.1 Kirchliche Stellungnahmen
11.6.2 Theologische Kontoverse
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11.6.1 Kirchliche Stellungnahmen
„Gott ist ein Freund des Lebens“ (1989)
• Gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD
• Uneingeschränkter Lebensschutz des Embryos von Beginn an
• An dieser Position hat der Rat der EKD bis heute konsequent festgehalten
„Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen“ (2002)
• Text der EKD-Kammer für öffentliche Verantwortung
• Vorausgegangen waren:
¾ EKD-Aktivitäten für einen konsequenten EmbryonenStefan Grotefeld
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schutz im Vorfeld der Bundestagsdebatte über das
Stammzellgesetz
¾ Eine demgegenüber kritische Stellungnahme einiger
evangelischer Ethiker in der FAZ („Starre Fronten überwinden“, 23.1.2002)
• Dissens: Beginnt das Menschsein a) mit der Befruchtung
oder b) erst, wenn die äußeren Umstände für eine entsprechende Entwicklung gegeben sind (Nidation)
Erklärung von Wolfgang Huber (2006)
• Gegen die von der DFG geforderte Aufhebung der Stichtagsregelung für den 31.12.2005 als neuen Stichtag
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11.6.2 Theologische Kontroverse
Für absoluten Schutz von Beginn an:
• Die unverletzliche Würde jedes Menschen hängt nicht vom
Vorhandensein bestimmter Eigenschaften, sondern von
der ihm verliehenen Gottesebenbildlichkeit (Gen 1,27) ab
• Diese bezieht sich, wie Ps 139, 13-16 oder Hiob 10 zeigen, nicht erst auf den geborenen Menschen
• Jeder Embryo besitzt von Beginn an die volle Potentialität,
eine menschliche Person zu werden; jeder Einschnitt wäre
willkürlich
• Unsere Schutzverpflichtung reicht so weit, wie unsere
Möglichkeiten reichen (in vivo und in vitro)
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Für graduellen bzw. relativen Schutz:
• Die eben genannten biblischen Stellen bedienen sich
hymnischer Sprache und sind retrospekiv formuliert, d.h.
aus der Sicht eines Menschen
• Wenn die Bibel das Wesen des Menschen durch seine
Gottesbeziehung bestimmt sieht, so redet sie vom geborenen Menschen als einer Person
• Die Schutzwürdigkeit des Embryos ergibt sich von daher
aus seiner Potenz, geboren zu werden
• Diese Potenz besitzt aber nicht jeder Embryo und nicht
zu jedem Entwicklungszeitpunkt in gleichem Maße
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