Rezension über: Dietrich Schotte, Die Entmachtung

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Zitierhinweis
Schröder, Peter: Rezension über: Dietrich Schotte, Die
Entmachtung Gottes durch den Leviathan. Thomas Hobbes über
Religion, Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 2013, in:
Neue Politische Literatur, 59 (2014), 2, S. 356-357, DOI:
10.15463/rec.1189740826, heruntergeladen über recensio.net
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in den Beiträgen geäußerte Kritik an Horkheimer und Adorno sollte nicht als Ausdruck einer
oberlehrerhaften Besserwisserei der Nachgeborenen verstanden werden, sondern als Versuch,
die kritische Theorie von Mängeln zu befreien,
um sie desto besser zum Instrument der Erkenntnis einer gesellschaftlichen Wirklichkeit zu
machen, die theoretisch Kritik nach wie vor verdient“ (S. 17). Doch gerade der Versuch einer
posthumen Theoriebildung aus dem Œuvre der
„Meister“ heraus impliziert die Gefahr einer Überhöhung. Dieser erliegen weder die Herausgeber
noch die Autoren des Bandes. Allerdings scheint
die Weiterführung der Forschung mit den klassischen Texten als Ausgangspunkt vielversprechender, im Gegensatz zu ihrer Verwendung als
(dogmatischer) Rahmen.
Schlussendlich ist zu sagen, dass die Reihe „Staatsverständnisse“ mit dem vorliegenden
Buch eine würdige Ergänzung erfahren hat.
Grundsätzlich ist ihr ein großer aufgeschlossener
Leserkreis zu wünschen. Das Werk von Horkheimer und Adorno ist eine wesentliche Lektüre
für Studenten der Geisteswissenschaften und
für Wissenschaftshistoriker, welche die Re-Etablierung der Disziplin und ihrer angeschlossenen
Fächer nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik betrachten wollen. Dabei bietet die
vorliegende Werksrezeption einen guten und gegenwartsrelevanten Einstieg.
Rostock
Christian Nestler
Religion als politisches Problem?
Schotte, Dietrich: Die Entmachtung Gottes
durch den Leviathan. Thomas Hobbes über
Religion, 430 S., frommann-holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013.
Die Philosophie von Thomas Hobbes bleibt ein
unerschöpflicher Gegenstand der philosophischen und ideengeschichtlichen Reflexion. Die
Studie von Dietrich Schotte untersucht das Verhältnis von Politik und Religion – ein Thema, das
in den letzten Jahren in der Hobbesforschung
wieder vermehrt Beachtung gefunden hat. Sorgfältig und kenntnisreich wird der Forschungsstand in dieser Qualifikationsarbeit reflektiert.
Dabei ist auch für diese Studie die politische Philosophie Hobbes’ der Ausgangs- beziehungsweise Fluchtpunkt der Untersuchung. Der Anspruch
dieser Arbeit ist es aber die einzelnen Theorieteile
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zunächst einmal unabhängig von Hobbes’ politischer Philosophie zu interpretieren, da man diese nach Schotte nicht zu voreilig als vollkommen
säkular einschätzen sollte. So wird ein interessanter interpretatorischer Blick gewonnen, in
dem dann auch die hermeneutische Frage nach
der Bedeutung der Religion innerhalb von Hobbes’ Philosophie diskutiert wird. Der Autor wird
so der Komplexität von Hobbes’ Argumentation
hinsichtlich des Verhältnisses von Politik und Religion ohne Zweifel gerecht.
In drei Teilen, die sich in „Philosophie der
Religion“, „Offenbarungstheologie“ und „Politische Philosophie“ gliedern, wird die Bedeutung
der Religion innerhalb von Hobbes’ politischer
Philosophie analysiert. Gleich zu Beginn der Einleitung (S. 4, erneut S. 27) wird die Annahme,
Hobbes sei treffend als Atheist zu kennzeichnen,
bestritten. Aber auch die seit James E. Taylor und
Howard Warrender gelegentlich wieder vertretene These (so v. a. Aloysius Martinich), Hobbes’
Moralphilosophie und die von ihm postulierten Naturgesetze seien nur auf der Grundlage einer religiösen Fundierung verständlich, wird bereits in der
Einleitung verworfen. Vielmehr habe Hobbes „mit
Erfolg versucht, ein Modell dezidiert nicht-religiöser Moralbegründung zu entwickeln“ (S. 8). Hobbes’ Anliegen sei es gewesen „das Christentum
politisch zu neutralisieren“ (S. 19, erneut S. 78).
Mit diesen Positionen ist das Spannungsfeld der
Untersuchung weitgehend umrissen. Schotte untersucht die einzelnen Aspekte dieses vielfältigen
Themenkomplexes dann aber en détail und geht
in seiner Interpretation auf die unterschiedlichen
Standpunkte in der Forschung genau ein, ohne
doch Hobbes’ Werk aus den Augen zu verlieren.
Diese Studie liefert einen wichtigen Beitrag zur
Hobbesforschung, da durch eine genaue Werkanalyse die „ideologiekritische Grundtendenz von
Hobbes’ Religionsphilosophie“ (S. 49) nachgewiesen wird. „Wenn man wie Hobbes argumentiert, dass Religion per se politisch ist, weil sie
als Praxisform die Einsetzung und Stabilisierung
ihrer Institutionen analog zu derjenigen politischer
Institutionen betreiben muss“ (S. 55), dann führt
dies nach Schotte zu der wichtigen Frage, welche
Dynamiken sich zwischen Religion und Staat ergeben. Es zeichnet diese Arbeit aus, dass sie sich
nicht auf das bereits häufiger thematisierte Verhältnis zwischen Kirche und Staat beschränkt, sondern
im Anschluss an Hobbes’ komplexe Religionsphilosophie danach fragt, was für ein Verständnis von
Gott Hobbes dort eigentlich entwickelt. Diese Analyse führt Schotte zu einer neu akzentuierten Kritik
an Taylor, Warrender und Martinich, da Hobbes
l Neue Politische Literatur, Jg. 59 (2014)
Einzelrezensionen
letztlich behaupte, „der ausschlaggebende Grund
für die Annahme der Existenz Gottes [ist] nicht aus
der Erfahrung oder der Vernunft gewonnen, sondern aus dem Vertrauen auf das Zeugnis Anderer“
(S. 109, Hervorhebung im Original).
Es wäre, um die von Schotte insgesamt vorbildlich erörterte Problematik, wie sie Hobbes in
seiner politischen Philosophie entwickelt, wichtig
gewesen, noch genauer auf das fünfzehnte Kapitel des „Leviathan“ einzugehen. Das dort von
Hobbes diskutierte Problem des fool oder Toren,
wird von Schotte nur sehr vordergründig gestreift
(S. 127). Aber für Hobbes stellt der Tor, der Gerechtigkeit und Gott leugnet, ein fundamentales
Problem dar. Der Tor verfolge nur seine kurzfristigen Interessen, halte sich nicht an Abmachungen
und Verträge. Er mag unter Umständen sogar
seine Ansichten publik machen. Sobald er dies
tut, ist er in den Augen Hobbes ein gefährlicher
Friedensstörer. Ein Rebell, der auch innerhalb der
staatlichen Gesellschaft wieder in den Naturzustand zurückfällt. Da er aber ein Tor ist, kommt
man ihm durch Strafe nicht bei. Der Tor fürchtet
niemanden und seine Unvernunft führt letztlich
dazu, dass er seine eigenen wirklichen Interessen
nicht erkennt. Wie kann ein Staat aber mit solchen Toren bestehen? Weder Überzeugung oder
Erziehung, noch Strafandrohung fruchten hier. Es
ist bedauerlich, dass der Autor diesen Aspekt, der
doch bedeutend für die in dieser Studie verfolgte
Fragestellung ist, nicht genauer untersucht. Dies
ist auch insofern überraschend, als von Schotte
zwar zutreffend konstatiert wird, Hobbes habe in
„De Cive“ „den Atheismus als ‚Verbrechen aus
Unklugheit‘“ (S. 155) bestimmt, dann aber fortfährt, dass „bezeichnenderweise […] diese Kritik
des Atheismus im Leviathan“ (S. 156) fehle. Ist
nicht der Tor unklug? Auch der kurze Vergleich
von Hobbes und John Locke hätte von einer Berücksichtigung des Toren in Hobbes’ Argumentation profitiert. Denn wenn die nach Schotte für
Hobbes im Gegensatz zu Locke unproblematische „Geltung der Moral nur dann gegeben [ist],
wenn alle sie einsehen können“ (S. 139), dann
wird verständlich, warum der Tor für Hobbes ein
so grundlegendes Problem darstellt. Gleiches gilt
für Schottes’ Argumentation auf Seite 295, wo
er von Wahnsinnigen spricht, aber genau hier
vielmehr Hobbes’ Diskussion des Toren oder
Narren heranzuziehen gewesen wäre. Es wäre
interessant gewesen, diese Vergleiche weiter zu
führen, vor allem da dieser Aspekt in der Forschung bislang noch nicht erschöpfend diskutiert
wurde (vgl. aber die wichtige Studie „Hobbes and
the Foole“ von Kinch Hoekstra).
Schotte kommt abschließend zu dem Ergebnis, dass Hobbes Staat und Souveränität allein
durch die ihnen eigene Funktion Frieden zu stiften rechtfertigt, also weder Gott noch eine irgendwie auszumachende politische Theologie die
Grundlagen seiner politischen Philosophie bilden.
Bei der hier – in weiten Teilen durchaus zu Recht
– angebrachten Kritik an Carl Schmitts Hobbesinterpretation wird dann allerdings übersehen,
dass Schottes eigene Position der von Schmitt
durchaus korrespondiert. Wenn Schotte behauptet, „Normen setzten, faktisch wie begrifflich eine
Instanz voraus, die sie erstens setzt und zweitens
durchsetzt“ (S. 281), dann findet sich genau diese Position bei Schmitt (vgl. z. B. Schmitt: Legalität und Legitimität, S. 57). Das Fazit dieser
Studie liegt in der detailliert belegten These, dass
die Religion für Hobbes ein politisches Problem
dargestellt habe, da die Religion „wie keine andere Praxisform [...] in der Lage [sei], politische
Ordnungen zu destabilisieren“ (S. 302). Dies
erkläre dann auch, warum Hobbes sich so dezidiert mit der Religion auseinandersetze. All das
ist zugegebenermaßen nicht neu, aber es wurde
bislang noch nicht so gründlich und umfassend
dargestellt wie Schotte das in seiner Studie nun
getan hat.
Man wird im Anschluss an Schottes Interpretation wohl auch sagen können, dass Hobbes’
Anliegen im „Leviathan“ nicht darin bestand einen allmächtigen, quasi totalitären Staat zu begründen, sondern zu zeigen, wie schwach der
frühmoderne Staat war. Hobbes hatte erlebt wie
leicht und wie schnell der Staat jedwede Macht
verlieren konnte, die zur Friedenswahrung nötig
war. Hobbes größte und begründete Sorge war
die Schwäche des „Leviathan“. Das ist eine Perspektive, die wir heute nur sehr widerstrebend
einzunehmen bereit sind.
London
Peter Schröder
Die vielfältige öffentlich-privat Unterscheidung
Geuss, Raymond: Privatheit. Eine Genealogie,
142 S., Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2013.
Derzeit gibt es kontroverse öffentliche Debatten um die Privatsphäre im Internet oder um
die Privatisierung öffentlicher Güter. Vor diesem
Hintergrund hat Suhrkamp den polit-philosophischen Essay „Privatheit“ von Raymond Geuss als
Neue Politische Literatur, Jg. 59 (2014)
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