1. Die Groß- und Kleinschreibung Die deutsche Sprache ist (neben der luxemburgischen) weltweit die einzige Sprache, bei der eine differenzierte Großschreibung existiert, also nicht nur Eigennamen und der Satzanfang großgeschrieben werden. Auch wenn das rechtschreibtechnisch nicht immer einfach zu handhaben ist, ist dies keine überflüssige Eigenart des Deutschen, sondern bedeutet im Gegenteil einen großen sprachlichen Reichtum, um den uns viele andere Nationen beneiden, da durch die unterschiedliche Groß- und Kleinschreibung sprachlich präziser und gleichzeitig facettenreicher formuliert werden kann. Zudem folgt die Groß- und Kleinschreibung einer inneren Logik und Struktur, die sich gut lernen lässt; allerdings gibt es einige wenige Ausnahmen, die Sie hier aber kennenlernen werden. Damit auch Sie diesen sprachlichen Reichtum (richtig) nutzen können, werden wir uns nun strukturiert mit diesem Thema befassen. Neben Satzanfang und Eigennamen werden im Deutschen die Nomen (ein anderes Wort für die gleiche Sache ist „Substantiv“) großgeschrieben. Das Wort Nomen stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Name, Begriff“. Großgeschrieben werden aber auch alle Nominalisierungen, also andere Wortarten in nominaler Funktion, auch wenn sie weiterhin ihrer eigenen Wortart angehören. So können auch Verben, Adjektive, Adverbien oder Zahlen als Nomen fungieren. Hier einige Beispiele für Nominalisierungen, bei denen die Unterschiede (in der Schreibung) deutlich werden: Verb in der Grundfunktion Verb: Ich laufe jeden Tag 5 km. Verb in der Funktion Nomen: Beim Laufen kann ich gut abschalten. Adjektiv in der Grundfunktion Adjektiv: Ein guter Mensch hilft seinen Freunden. Adjektiv in der Funktion Nomen: Man sieht nicht immer sofort das Gute eines Menschen. Adverb in der Grundfunktion Adverb: Im Zimmer lag alles durcheinander. Adverb in der Funktion Nomen: Dieses Durcheinander war unerträglich. Zahl in der Grundfunktion Zahl: Zum Treffpunkt kamen vier Freunde. Zahl in der Funktion Nomen: Eine Vier im Examen wäre deprimierend. Diese Unterscheidungen werden Sie im weiteren Verlauf noch näher kennenlernen und üben. 20 Rechtschreibung | I. 1.1 Nomen Man unterscheidet konkrete Nomen (der Mensch, die Blume, das Buch) von abstrakten Nomen (der Mut, die Eitelkeit, das Vertrauen). Nomen besitzen ein bestimmtes Geschlecht und haben dementsprechend einen Artikel, können aber durchaus auch ohne Artikel im Satz vorkommen, z. B. in folgenden Fällen: Ich esse am liebsten Brot nur mit Butter. Auch ein Chef sollte immer Mensch bleiben. Mut müsste man haben! Toleranz ist anerzogen und nicht angeboren. Regel Nomen schreibt man groß. Bestimmte Merkmale erleichtern es, Nomen als solche zu erkennen. Sie sollten Ihnen als Signalwörter bzw. -silben dienen: 1. Endungen wie -keit, -heit, -ung, -nis, -tum, -ion kommen nur bei Nomen vor, sie sind also ein eindeutiger Hinweis auf Großschreibung: Geschwindigkeit, Freiheit, Vertiefung, Ereignis, Eigentum, Version 2. Artikel der, die, das, ein, eine Die Verschmelzung von Präposition mit Artikel (z. B. am (= an dem), im (= in dem), zum (= zu dem), beim (= bei dem), fürs (= für das), aufs (= auf das)) weist ebenfalls auf ein Nomen oder eine Nominalisierung hin: Wir stehen am Meer, denn wir sind zum Segeln einladen und warten aufs Auslaufen. 3. Adjektive weisen auch auf ein Nomen hin: schlechtes Wetter, teure Mieten, langer und beschwerlicher Weg 4. Pronomen (Possessivpronomen wie z. B. mein(e), dein(e), ihr(e) und Demonstrativpronomen diese, dieser, dieses) stehen ebenfalls immer nur bei Nomen bzw. Nominalisierungen: mein Gewissen, dein Vater, ihre Bluse, dieses Haus, dieser Stift, dieses Versprechen 5. Zahlwörter (bestimmte oder unbestimmte): hundert / fünf / alle / einige / wenige / zahllose Personen 1. | Die Groß- und Kleinschreibung 21 1.2 Verben Regel Verben schreibt man klein. ich lese, du schreibst, er kocht, wir übten, sie hat aufgehört zu rauchen, wir wollen tanzen, ihr seid gefahren, sie haben gegessen, du wirst gewinnen Dies bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Wichtig ist hingegen Folgendes: Regel Verben können auch nominalisiert, also in der Funktion eines Nomens verwendet werden, dann schreibt man sie groß. Ein nominalisiertes Verb steht entweder • im Infinitiv (Das Lernen war mühsam.) • oder im Partizip (Sorgfältig Gelerntes vergisst man nicht so schnell.). Um eine Nominalisierung des Verbs zu erkennen, helfen bestimmte Merkmale (siehe voriges Kapitel zu den Nomen): • Er hasst stupides Auswendiglernen. (Adjektiv) • Ihr Entgegenkommen freut mich sehr. (Pronomen) • Die besten Ideen hat sie beim Duschen. (Präposition + Artikel) • Nach der Operation schmerzte das Gehen noch. (Artikel, immer im Neutrum) Anmerkung zum Artikel: Manchmal wird aus stilistischen Gründen bei einer Verbnominalisierung der Artikel weggelassen, wodurch Unsicherheiten in der Schreibung entstehen können. Tipp Hier hilft es, den Artikel probeweise einzusetzen. Ergibt das einen Sinn, handelt es sich um eine Nominalisierung, es muss also großgeschrieben werden. Im Coloniusbad macht [das] Schwimmen Spaß. 22 Rechtschreibung | I. Ein ähnliches Problem besteht beim nominalisierten Partizip eines Verbs, das immer einen Artikel besitzt. Allerdings wird im Deutschen der letzte Buchstabe des Artikels an das Partizip (wie eine Endung) angehängt. Tipp Formen Sie das Partizip um, indem Sie die Endung in einen Artikel verwandeln – und schon sehen Sie, dass Sie großschreiben müssen. Man sollte Verschimmeltes (= das Verschimmelte) sofort wegwerfen. Es nützt nichts, Vergangenem (= dem Vergangenen) nachzutrauern. Der Reporter sprach mit Überlebenden (= den Überlebenden) des Unglücks. Übung 1 Tragen Sie nun das Verb in der richtigen Schreibweise und – falls vorhanden – das entscheidende Merkmal für Großschreibung ein! Verb 1. Er verschluckte sich beim K/kauen. 2. Ich habe nicht genug Zeit zu L/lernen. 3. Hartes T/trainieren führt zum Erfolg. 4. Das stressige E/einkaufen macht keinen Spaß. 5. Nicht immer ist E/erzähltes wahr. 6. Sein L/lächeln war entwaffnend. 7. Mich stört nachts dieses laute B/brummen. 8. Er will V/verborgenem auf die Spur kommen. 9. Vielen Dank fürs G/gratulieren. 10. Du kannst es G/glauben oder nicht. Merkmal 1. | Die Groß- und Kleinschreibung 23 Übung 2 Groß oder klein? Ergänzen Sie richtig! 1. LERNEN: Nimm dir doch mehr Zeit zum ____________________. 2. WARTEN: Längeres ____________________ macht im Allgemeinen ungeduldig. 3. DRÄNGELN: Manchmal ____________________ die Leute unnötig. 4. GEFÄLSCHTES / ERKENNEN: Es ist nicht immer einfach, ____________________ sofort zu ____________________. 5. REDEN: Schnelles ____________________ zeugt von viel Temperament. 6. NACHDENKEN / LÖSEN: Durch genaues ____________________ ist das Problem zu ____________________. 7. GESAGTES: Einmal ____________________ kann man nicht mehr zurücknehmen. 8. GEHEN: Die anderen brauchen noch nicht zu ____________________. 9. DURCHSEHEN / AUFGEFALLEN: Beim ____________________ der Zeitschriften ist uns Ihre Anzeige ____________________. 10. GEKOCHTEM: Ich gebe frisch ____________________ den Vorzug. 11. ENTGEGENKOMMEN / DANKEN: Für lhr freundliches ___________ ________________________ wir Ihnen im Voraus. 12. EINTREFFEN / FESTGESTELLT : Nach ____________________ Ihres Schreibens haben wir leider einen Fehler ____________________. 13. EXPERIMENTIEREN: Es ist wichtig, ein Kind zum _________________ anzuregen. 14. LIEBENDEN: Eltern sollten ____________________ nicht im Weg stehen. 1.3 Adjektive Adjektive haben die Aufgabe, Nomen bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben. Meistens steht ein Adjektiv direkt bei einem Nomen, es kann aber auch allein stehen. Es kommt auch hier (wie bei den Verben) auf die Funktion an, die das Adjektiv im Satz übernimmt.