Studierende 1803 bis 1945

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Studierende 1803 bis 1945
Katharina Fricke, Antonia Koch, Peter Meusburger und Christina Preusker
Hinsichtlich der Zahl der Studierenden
gehörte Heidelberg lange Zeit zu den kleinen oder mittelgroßen Universitäten.
Selbst in ihrer ersten großen Blütezeit
zwischen 1540 und 1620 verzeichnete
Heidelberg im Durchschnitt nur 249 Studenten, während die damals größte deutsche Universität Wittenberg 853 Studenten zählte. Im durch Kriege und große Bevölkerungsverluste geprägten Zeitraum
zwischen 1620 und 1700 lag Heidelberg
mit einer durchschnittlichen Jahresfrequenz von 109 Studenten unter den 26
deutschen Universitäten an 24. Stelle,
kleiner waren nur noch die Universitäten
Duisburg (96 Studenten) und Herborn
(60 Studenten). Zwischen 1700 und 1790
nahm Heidelberg mit einer durchschnittlichen Jahresfrequenz von 159 Studenten
unter 31 Universitäten den 22. Rang ein.
Entwicklung der Studierendenzahlen
von 1803 bis 1920
Nach der einschneidenden Reform der
Universität im Jahr 1803 ( Beitrag
Meusburger/Schuch “Professoren 18031932“), die zur Erneuerung der Organisationsstrukturen, zur finanziellen Gesundung und zu einer deutlichen Aufwärtsentwicklung des wissenschaftlichen Niveaus führte, stiegen die Studierendenzahlen rasch an. Nach 49 Immatrikulationen im Jahr 1800 wurden 1803 schon
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Wissenschaftsatlas Heidelberg
wieder 93 und 1807 266 Studenten immatrikuliert. Aber die Freiheitskriege
(1812-1815), an denen sich viele Studenten beteiligten, führten wieder zu einem
vorübergehenden Rückgang der Studentenzahlen. Nach 1822 konnte Heidelberg
aufgrund seines Rufs, eine liberale und für
demokratische Rechte eintretende Universität zu sein ( Beitrag Engehausen),
die Zahl der Immatrikulationen auf über
400 pro Jahr (nach Eulenburg 1904) steigern.
Im Wintersemester 1831/32 hatte Heidelberg erstmals mehr als tausend Studenten. Nach dem misslungenen Sturm auf
die Frankfurter Wache am 3. April 1833
verbot jedoch die preußische Regierung
ihren Landeskindern, in Heidelberg zu
studieren. Heidelberg war damals für
Preußen eine zu aufrührerische Universität. Daraufhin ging die Studentenzahl
von 1018 (WS 1831/32) auf 456 (WS
1836/37) zurück . Dieses Verbot galt bis
1838. Auch die Badische Revolution von
1848/49 führte zu einem vorübergehenden Rückgang der Immatrikulationen in
Heidelberg, so dass die Studentenzahl des
Wintersemesters 1830/31 erst wieder im
Sommersemester 1883 übertroffen wurde.
Ab Mitte der 1870er Jahre bis 1914
nahmen die Studierendenzahlen rasch zu
und im Jahr 1908 wurde erstmals die Zahl
von 2000 überschritten. Zu dieser raschen
Expansion trugen vorwiegend die hohe
Reputation der Universität, die zunehmende Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Disziplinen, der starke Zustrom von Ausländern sowie die zunehmende Bildungsbeteiligung der mittleren
und unteren Sozialschichten in Süddeutschland bei.
In der zweiten Hälfte des 19. Jhs. entwickelte sich Heidelberg – besonders für
die Studenten aus dem Königreich Preußen – zu einer typischen „Sommeruniversität“ . Die überraschend großen
Schwankungen zwischen Winter- und
Sommersemester sind damit zu erklären,
dass damals die meisten Studierenden
sehr mobil waren und im Laufe ihres Studiums mehrere Universitäten besuchten.
Dieser Trend war vor allem bei Studenten
aus den oberen Sozialschichten stark ausgeprägt und betraf deshalb auch die Juristische Fakultät in stärkerem Maße als die
anderen Fakultäten.
Einzugsgebiete in Deutschland
1868/69-1914/15
Im Gegensatz zu vielen anderen Universitäten, die in ihrer Funktion als „Landesuniversität“ vorwiegend Studenten aus
dem eigenen politischen Territorium anzogen, wies die Universität Heidelberg
schon im 19. Jh. einen überraschend großen Anteil von Studenten aus anderen
Teilen Deutschlands sowie aus dem Ausland auf. Der hohe Anteil von Nicht-Badenern war nicht nur dadurch bedingt,
dass das kleine Land Baden mit den zwei
Universitäten Heidelberg und Freiburg
damals überversorgt und deshalb auf den
Zuzug auswärtiger Studenten angewiesen
war. Es waren in erster Linie die wissenschaftliche Attraktivität, die liberale
Geisteshaltung der Ruperto Carola
( Beitrag Meusburger/Schuch „Professoren 1803-1932“) und der Mythos der
Romantik ( Beiträge Schlechter und
Berger), die so viele Nicht-Badener anzogen. Insgesamt entfielen im Zeitraum zwischen dem Wintersemester 1868/69 und
dem Wintersemester 1914/15 nur 31,7%
der Immatrikulationen an der Ruperto
Carola auf Studierende aus dem Großherzogtum Baden, fast gleich viele (31,4%)
kamen aus dem Königreich Preußen ;
auf den nächsten Plätzen folgten Bayern,
Hessen, Sachsen, Hamburg, Württemberg, Mecklenburg und Braunschweig etc.
. Überraschend wenige Studierende kamen dagegen aus Elsass-Lothringen. Aus
der Stadt Bremen oder dem weit entfernten Königreich Ungarn immatrikulierten
sich fast gleich viele Studenten in Heidelberg wie aus dem nahe gelegenen ElsassLothringen . Der starke Ausbau der
Universität Straßburg nach 1870 und ihr
hohes wissenschaftliches Niveau erwiesen
sich für Heidelberg als deutliche Konkurrenz.
Studenten aus dem Ausland
Im 19. Jh. gehörte die Universität Heidelberg zu den Deutschen Universitäten mit
dem höchsten Anteil an ausländischen
Studenten. Was die Gesamtsumme aller
Immatrikulationen ausländischer Studenten zwischen 1868 und 1914 betrifft (dies
sind nicht Personen sondern Immatrikulationen), lag das russische Zarenreich
( Beitrag Birkenmaier) mit großem Abstand an der Spitze, gefolgt von Nordamerika ( Beitrag Honeck/Meusburger), der
Schweiz, Großbritannien, Österreich,
Ungarn ( Beitrag Meusburger/Probáld),
den Niederlanden, Frankreich, Bulgarien,
Japan ( Beiträge Schamoni und Seifert), Griechenland, Türkei, Luxemburg,
Serbien, Zentral- und Südamerika, Rumänien, Italien und Schweden/Norwegen.
Einige wenige stammten aus Südafrika,
dem Nahen Osten, Indien, Indonesien,
Thailand und China . Diese Studierenden waren jedoch häufig Kinder von
deutschen Auswanderern, Diplomaten,
global tätigen Kaufleuten, Ärzten oder
protestantischen Missionaren.
Die Grafik zeigt, dass sich die Anteile der einzelnen Herkunftsländer im Laufe
der Zeit sehr unterschiedlich entwickelten. Der Verlauf der Inskriptionen von
Ausländern wurde nicht allein von der
wissenschaftlichen Attraktivität der Universität Heidelberg beeinflusst, sondern
auch von den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen in
ihren Heimatländern. So hat z.B. der
Ausbau des nordamerikanischen Universitätssystems die Zahl der amerikanischen
Studenten in Heidelberg nach 1895 deutlich verringert.
Anteil adeliger Studenten
Im 17. und 18. Jh. ließen viele Adelsfamilien ihre Söhne für deren spätere Führungsaufgaben am Hof, in der Verwaltung und im Heer noch vorwiegend an
Ritterakademien und nicht an Universitäten ausbilden. Der Grund dafür war das
geringe Ansehen des von Universitäten
verliehenen Magistertitels. Erst die zunehmende Bedeutung des Jurastudiums
für den Eintritt in den Staatsdienst und
das steigende wissenschaftliche Prestige
der Universitäten haben den Zustrom
von Adeligen an die Universitäten verstärkt, wobei von ihnen anfangs Universitäten wie Straßburg, Halle oder Dillingen (1804 aufgelassen) bevorzugt wurden. In Heidelberg stieg der Anteil adeliger Studenten nach 1810 auch deshalb
deutlich an, weil die badische Regierung
angesichts der damaligen Überfüllungskrise im Staatsdienst mit der Verordnung
vom 1. Juni 1810 eine Art sozialen Numerus Clausus verhängte. Nach dieser
Verordnung durfte nur jemand Jura oder
Kameralistik studieren, der nachweisen
konnte, dass er später seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, ohne in den
Staatsdienst zu treten. 1811 verlangte die
Zulassungsbehörde auch von den Studierenden der Philologie, der Forstwissenschaft, Mathematik und Chirurgie, dass
sie ein Vermögen von mindestens
8000 Gulden nachweisen können, um für
das Studium zugelassen zu werden. Heidelberg gehörte zusammen mit Leipzig
und Bonn zu jenen Universitäten, an denen viele regierende Fürstenhäuser ihre
Söhne studieren ließen .
Der Erste Weltkrieg
Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges
( Beitrag Wolgast „Erster Weltkrieg“)
gingen die Studierendenzahlen rasch zurück, erst im Sommersemester 1918 stiegen sie wieder auf 2800 an . Der überwiegende Teil der 1914-1918 eingeschriebenen Studierenden leistete jedoch
Kriegsdienst, nur etwa ein Drittel – darunter zunehmend Frauen ( Beitrag Moritz „Frauenstudium“) – besuchte tatsächlich die Vorlesungen. Eine Besonderheit
stellte das zugunsten der Kriegsheimkehrer zusätzlich eingeschobene Kriegsnotsemester 1919 dar, in welchem sich die Zahl
Ansicht des Universitätsplatzes in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Gemälde)
der zu Vorlesungen gemeldeten Studenten
im Vergleich zum Vorjahr auf 1700 verdoppelte, obwohl die Anzahl der Immatrikulierten konstant blieb. In den darauffolgenden Semestern, als all diejenigen
zum regulären Studium drängten, die
durch den Krieg aufgehalten worden waren, stieg die Anzahl der neu immatrikulierten Studenten und der Studierenden
bis zum Sommersemester 1920 auf 3488
an .
Entwicklungen zwischen 1920 und
1945
Anfang der 1920er Jahre gingen die Studierendenzahlen wieder deutlich zurück,
so dass im Wintersemester 1924/25 nur
noch 2002 Studierende immatrikuliert
waren, also ebenso viele wie 1908. In den
Jahren der Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit nahmen dank relativ Studierende 1803 bis 1945
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billiger Wohnmöglichkeiten und fast geschenkter Mensaverpflegung ( Beitrag
Leiblein/Jurek) wieder wesentlich mehr
junge Leute ein Studium auf, so dass im
Sommersemester 1928 wieder die Zahl
von 3253 Immatrikulationen erreicht
wurde. Dieser Anstieg bezog sich vor allem auf Studierende aus der nahen Umge-
bung von Heidelberg. Während 1920
20,8% der Neuimmatrikulierten aus einem Umkreis von 50 km stammten, waren es 1926 schon 28%; Als im Sommersemester 1932 4032 Studierende gezählt
wurden, äußerte der Rektor in seinem Bericht Bedenken angesichts der großen
Zahl von Studenten, für die später kaum
entsprechende Arbeitsplätze vorhanden
sein würden.
Obwohl die Ruperto Carola in der
Weimarer Republik als eine Hochburg des
demokratischen Geistes und Liberalismus
galt, begann schon Ende der 1920er Jahre
eine Radikalisierung, die schließlich in
eine Terrorisierung andersdenkender Professoren und Studierender durch Nationalsozialisten mündete. Bei den AStAWahlen im Januar 1933 erhielt der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund
46,7% der Stimmen (im Reichsdurchschnitt waren es 41,3%).
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ging die Zahl der Studierenden, wie überall im Reich, auch in Heidelberg kontinuierlich zurück . Gesetzliche Zulassungsbeschränkungen gegenüber nicht-arischen Studierenden, eine
Herabsetzung der Zulassungszahlen, eine
feindliche Stimmung innerhalb der Partei
gegenüber Intellektuellen, die mit der
Verbesserung der Wirtschaftslage verbundene Abnahme der Arbeitslosigkeit, die
zunehmende Anziehungskraft einer Karriere in Organisationen der Partei und in
der Wehrmacht, die Einführung des Arbeitsdienstes für alle männlichen Studierenden ab dem Wintersemester 1933/34
sowie die Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht (1935) gehörten zu den
wichtigsten Ursachen für die nachlassenden Studierendenzahlen. Zwischen dem
Sommersemester 1933 (3687 Studierende) und dem Sommersemester 1939
(1841 Studierende) halbierten sich in
Heidelberg die Studierendenzahlen. Besonders stark war der Rückgang bei den
Theologen (von 316 auf 69 Studenten)
und bei den Juristen (von 578 auf 160).
Während des Krieges stiegen die Immatrikulationen wieder stark an, insbesondere an der Medizinischen Fakultät; bis zu
ein Drittel der Immatrikulierten hatte jedoch Kriegsdienst zu leisten und konnte
deshalb die Vorlesungen nicht besuchen.
Im Wintersemester 1941/42 wurde wieder
der Stand von 1933 erreicht; im Sommersemester 1944 gab es nominell ca. 4800
Studierende, im Wintersemester 1944/45
jedoch nur noch etwa 2300. Der Frauenanteil unter den Studierenden stieg von
25,4% (1939) auf 55,1% (1944) an.
Ausländische Studenten 1920-1945
Der Anteil der ausländischen Studenten
war in der Zwischenkriegszeit nicht mehr
so groß wie vor dem Krieg, aber im gesamtdeutschen Vergleich wies Heidelberg
immer noch einen überdurchschnittlich
hohen Ausländeranteil auf. Stellten die
Ausländer zu Beginn der Weimarer Republik noch fast 11% der neu immatrikulierten Studierenden, so sank ihr Anteil bis
1930 auf 9,5%. 1939 waren noch 6,5%
der neu Immatrikulierten Ausländer und
zum Ende des Krieges 4,6%. In den
1920er Jahren kamen relativ viele Studenten aus Japan. 1930 studierten noch
24 US-Amerikaner und 10 Briten in Heidelberg, 1936 nur noch ein einziger Amerikaner und kein Brite mehr. 1944 waren
drei Amerikaner in Heidelberg immatrikuliert. Auch die Mitte der 1920er Jahre
in Heidelberg noch relativ häufig vertretenen Japaner ( Beitrag Seifert) mieden
Heidelberg nach 1933 weitgehend.
Adelige Studenten in Heidelberg
Im Wintersemester 1818/19 waren unter den 598 immatrikulierten Studenten 20,6% adelig, darunter befanden sich fünf Prinzen und 17 Grafen. Im Sommersemester 1819 betrug
der Anteil der Adeligen sogar 24%. Unter diesen befanden sich 7 Prinzen, 16 Grafen und
122 sonstige Adelige. Zu den Prominenten zählten u.a. Durchlaucht Prinz Georg Herzog
zu Sachsen-Hildburghausen, Durchlaucht Prinz Reuß, Durchlaucht Prinz von Waldeck,
Prinz von Bentheim-Tecklenburg, Durchlaucht Herzog zu Holstein-Augustenburg und
Durchlaucht Prinz Friedrich zu Holstein, zwei Grafen von Baudissin und Graf von Moltke.
1831/32 immatrikulierten sich in Heidelberg Friedrich Prinz zu Hohenlohe, 1843/44 Prinz
Friedrich von Baden und Ludwig Erbgroßherzog von Baden. Im Sommersemester 1904
studierte seine Königliche Hoheit Prinz Rangsit Siam in Heidelberg; dieser wohnte damals
in der Gaisbergstrasse 21. Im Sommersemester 1905 war Prinz Alfons von Orleans und
Bourbon an der Universität Heidelberg immatrikuliert; er wohnte in der Neuenheimer
Landstraße 22.
Auch der Geldadel war unter den Heidelberger Studenten vertreten. 1836/37 immatrikuliert sich Mayer Amschel de Rothschild (1818-1874) aus London in Heidelberg. Er war
ein Enkel des berühmten Mayer Amschel (Anselm) Rothschild, der mit seinen fünf Söhnen
die bedeutende Bankendynastie der Rothschilds begründete. Er war der vierte Sohn von
Nathan Mayer Rothschild (1777-1836), der den Londoner Zweig des Bankenimperiums der
Rothschilds aufbaute. Im Gegensatz zu seinem Vater wurde Mayer Amschel de Rothschild
allerdings kein bedeutender Banker, sondern er machte sich als Pferdezüchter einen Namen und wurde 1859 als Angehöriger der Liberalen Partei in das britische Parlament gewählt.
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