Soziale Gerechtigkeit

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Soziale Gerechtigkeit
Freiheit und Teilhabe für alle
Hessinnen und Hessen
Hessen braucht neue Antworten auf die wichtigen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit. Die Grünen wollen Alternativen zur schwarz-gelben Politik aufzeigen und Antworten
geben: mit innovativen, manchmal auch provokanten und für die Gesellschaft
relevanten Konzepten.
Mit diesen neuen Konzepten bekräftigen wir unseren selbstbewussten Anspruch, die ökologische, soziale und progressive Kraft der Linken Mitte zu
werden. Es ist Zeit für grüne Konzepte, um Hessen fit für die Zukunft zu machen.
Unsere Maxime lautet deshalb: Konzepte für Hessen – Mit Grün geht’s besser!
Fraktionsvorsitzender
Weitere Informationen, die Möglichkeiten zum Download und zur Bestellung aller bislang
erschienen Konzeptpapiere finden Sie unter:
www.gruene-hessen.de - Konzepte für Hessen
Soziale Gerechtigkeit:
Freiheit und Teilhabe für alle Hessinnen und
Hessen
Inhalt
I. Einleitung...........................................................................................................3
1. Die Gesellschaft driftet auseinander.........................................................3
2. Für ein sozial gerechteres Hessen............................................................4
II. Eine ermöglichende Sozialpolitik für Hessen - Grundsätze...............................5
III. Handlungsfelder und Maßnahmen...................................................................8
1. Armut verhindern und bekämpfen..........................................................8
2. Chancengerechtigkeit von Klein an – Bildung als Schlüssel....................10
3. Arbeitsmarkt sozial und ökologisch gestalten........................................12
4. Gleichberechtigung von Männern und Frauen voranbringen................14
5. Generationengerechter demografischer Wandel...................................15
6. Inklusion behinderter Menschen in alle Lebensbereiche........................19
7. Gesundheit...........................................................................................20
IV. Neuorientierung der Aufgaben und Kompetenzen
zwischen Land und Kommunen................................................................22
1. Kommunen in ihren sozialen Aufgaben stärken.....................................22
2. Einen fairen Ausgleich zwischen den Kommunen herstellen..................23
3. Landesweite Sozialpolitik verlässlich gestalten - das Sozialbudget.........24
V. Fazit................................................................................................................25
1
I. Einleitung
1. Die Gesellschaft driftet auseinander
besuchen – und das bei gleicher Intelligenz und
Die soziale Schere in unserer Gesellschaft geht
gleichem Lernvermögen. Besonders schlecht ist
auseinander. Das zeigt sich an der Verteilung von
Hessen im Ländervergleich einer aktuellen Bil-
Einkommen und Vermögen, aber auch am Zu-
dungsstudie der Bertelsmann-Stiftung zufolge
gang zu guter Bildung, Arbeit und Gesundheit.
bei der Inklusion von Schülerinnen und Schülern
In kaum einem anderen Industrieland sind die
mit besonderem Förderungsbedarf. Besonders
Aufstiegschancen innerhalb der Gesellschaft so
schwer wiegt zudem die Tatsache, dass knapp
gering ausgeprägt wie in Deutschland.
12 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit
1
Migrationshintergrund die Schule ohne SchulabBei der sozialen Gerechtigkeit in den Staaten
schluss verlassen und damit keine echte Chance
der OECD liegt Deutschland insgesamt nur im
auf Teilhabe an der Gesellschaft erhalten.
Mittelfeld. In unserem reichen Land gibt es ein
Zwar liegt die Zahl der armen und von Armut be-
erschreckendes Ausmaß an Kinderarmut (jedes
drohten Menschen in Hessen im Jahre 2010 bei
neunte Kind lebt unter der Armutsgrenze), die
12,1 Prozent der Bevölkerung etwas unter dem
deren soziale Teilhabe einschränkt und damit ein
Bundesdurchschnitt mit 14,5 Prozent.
selbstbestimmtes Leben schwer möglich macht.
ders auffällig ist jedoch die hohe Abhängigkeit
Dazu kommen Defizite in der frühkindlichen Bil-
von der individuellen Erwerbssituation und den
dung, die eine wichtige Voraussetzung für Teil-
persönlichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
habechancen für das gesamte Leben darstellt.
Rund 43 Prozent der arbeitslosen Menschen
Insbesondere Langzeitarbeitslose und Gering-
sind von Armut bedroht; bei den Erwerbstätigen
qualifizierte, aber auch ältere oder behinderte
sind es demgegenüber „nur“ 6,2 Prozent. Auch
Menschen sowie Menschen mit Migrations-
die Berufsqualifikation spielt eine wichtige Rol-
hintergrund haben Schwierigkeiten, auf dem
le. So tragen 24 Prozent der Geringqualifizierten
Arbeitsmarkt ihren Platz zu finden. Außerdem
ein erhöhtes Armutsrisiko. Als geringqualifizier-
wird in der deutschen Gesellschaft das Zusam-
ter Haupteinkommensbezieher in einem Mehr-
menleben von Menschen aus verschiedenen
personenhaushalt steigt das Armutsrisiko sogar
Kulturkreisen nach wie vor eher als Risiko, denn
auf 32 Prozent an. Auch für Alleinerziehende
als Chance für die Gesellschaft wahrgenommen.
(29 Prozent) und Familien mit drei oder mehr
2
Beson-
Kindern (22 Prozent) ist ein hohes Risiko zu verAlle diese Befunde gelten auch für Hessen, das
zeichnen. Zudem ist jedes siebte Kind (bis 18)
selbst als reiches Bundesland nicht mit einer gu-
und jeder fünfte junge Erwachsene (18 bis 24
ten Bilanz bei sozialer Gerechtigkeit aufwarten
Jahre) armutsgefährdet, während die Jahrgänge
kann. Trotz guter Konjunktur ist die Zahl der
über 50 Jahren bisher unter dem Landesdurch-
Langzeitarbeitslosen mit gut einem Drittel unter
schnitt beim Armutsrisiko liegen.
den Arbeitsuchenden nach wie vor erschreckend
Unterschiede zeigen sich auch bei der Bevölke-
hoch. Vor allem bei der Bildung herrschen gro-
rung mit Migrationshintergrund, die mit einem
ße Defizite. In Hessen hat ein Akademikerkind im
Anteil von 23 Prozent nahezu dreimal häufiger
Vergleich zu einem Kind aus einer Arbeiterfamilie
von Armut betroffen ist als die Bevölkerung
eine deutlich höhere Chance, ein Gymnasium zu
ohne Migrationshintergrund (8,5 Prozent).
3
Vgl. Pollak, Reinhard (2010): Kaum Bewegung, viel Ungleichheit. Eine Studie zum sozialen Auf- und Abstieg in
Deutschland (im Auftrag und herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung), Berlin.
2
Vgl. Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.) (2010): Soziale Gerechtigkeit in der OECD – wo steht Deutschland? Sustainable
Governance Indicators 2011, Gütersloh.
3
Vgl. Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2012): Arbeitslosigkeit und
Arbeitsstellen, Deutschland und Bundesländer, Juni 2012, Nürnberg.
1
2
Deutliche
2. Für ein sozial gerechtes Hessen – mit Es geht um ein selbstbestimmtes Leben und die
einer ermöglichenden Sozialpolitik in gleichen Lebenschancen für alle in einer inklusidie Zukunft der Menschen investieren
ven Gesellschaft, in der jeder Mensch gleich viel
Die hessische Landesregierung ist seit 1999 trotz
wert ist und das Zusammenleben in Vielfalt eine
all dieser Problembereiche der Prototyp des so-
Bereicherung für alle darstellt.
zialpolitischen Nichtstuns. Nach extremen Einschnitten im Landeshaushalt 2004 durch die
Eine solche Politik der Gerechtigkeit ist eine an
„Operation Düstere Zukunft“ hat sie den An-
den Menschen orientierte ermöglichende Sozi-
spruch auf eine Landessozialpolitik de facto auf-
alpolitik, die das friedliche Zusammenleben vor
gegeben. Gespart wurde zudem vor allem bei
Ort – unabhängig von Generation, Geschlecht,
den Schwachen und ohnehin schon Benachtei-
Behinderung, kulturellem Hintergrund – erleich-
ligten. So wurden beispielsweise die Mittel für
tert und die Menschen in der Bewältigung der
die Schuldnerberatung völlig gestrichen und die
Herausforderungen ihres Alltags durch vielfältige
Unterstützung der Gemeinwesenarbeit in sozial
Angebote guter Qualität unterstützt. Statt Geld
benachteiligten Stadtvierteln fast vollständig zu-
in Beton und sinnlose Prestigeprojekte zu geben,
sammengekürzt. Die Unterstützung von Frau-
legen wir unseren Schwerpunkt ganz klar auf Zu-
enhäusern, die Arbeit der HIV/AIDS-Prävention
kunftsinvestitionen in die Menschen, wie in den
und viele andere Bereiche wurden erst gekürzt
Bereichen der Kinderbetreuung, der Bildung, der
und dann an die Kommunen abgegeben – mit
eigenständigen Existenzsicherung und der Hilfen
dem Effekt einer „Kalten Kommunalisierung“
in besonderen Notlagen. Nur mit einer solchen
ohne finanziellen Ausgleich. Bis heute fehlt es
ermöglichenden Sozialpolitik, mit Investitionen
der Landesregierung am Willen, von einem So-
in die Zukunft der Menschen, ermöglichen wir
zialhaushaushalt als Steinbruch und einer eher
ihre tatsächliche Teilhabe an der vielfältigen Ge-
gutsherrlichen Rest-Mittelvergabe – häufig in
sellschaft und geben ihnen allen faire und glei-
Form von Modellversuchen – Abschied zu neh-
che Chancen für ein selbstbestimmtes Leben.
men. Das soziale Netz in Hessen ist unter der
schwarz-gelben Regierung immer löchriger ge-
In diesem Konzeptpapier beschreiben wir unser
worden.
Verständnis von sozialer Gerechtigkeit, identifizieren die zentralen politischen Handlungsfelder
Eine Politik der Gerechtigkeit
für Hessen und zeigen konkrete Maßnahmen
Wir GRÜNE setzen dieser Politik der Ausgren-
auf, wie unser Land sozial gerecht gestaltet wer-
zung und Unverantwortlichkeit eine soziale Idee
den kann. Sozialpolitik ist nach unserem Ver-
entgegen, die Gleichheit und Freiheit nicht ge-
ständnis umfassende Gesellschaftspolitik. In den
geneinander ausspielt, sondern jeder und jedem
einzelnen Kapiteln erfolgt daher an vielen Stellen
die gleiche Freiheit ermöglicht, mit Unterstüt-
die Bezugnahme auf bereits bestehende Kon-
zung und durch eigene Anstrengung etwas aus
zeptpapiere.
ihrem und seinem Leben machen zu können.
3
II. Eine ermöglichende Sozialpolitik für
Hessen – Prinzipien und Grundsätze
Teilhabe für alle in einer inklusiven Gesellschaft
Wir GRÜNE streiten deshalb für eine sozial
ermöglichen
durchlässige Gesellschaft, in der allen der Weg
Für uns GRÜNE ist Gerechtigkeit der Leitmaß-
in die Mitte der Gesellschaft offen steht. Glei-
stab unseres politischen Handelns. Gerechtigkeit
che Freiheit bedeutet auch die Freiheit benach-
zielt auf gleiche, reale Verwirklichungschan-
teiligter Gruppen und nicht nur Gewerbefreiheit
cen für alle Menschen in unserer Gesellschaft.
oder etwa Ellbogenfreiheit. Soziale Gerechtigkeit
Gleichheit und Freiheitsansprüche stehen dabei
erfordert deshalb insbesondere die Parteinahme
nicht in Widerspruch zueinander, sondern bedin-
für die Schwächsten in unserer Gesellschaft.
gen sich gegenseitig: Jede und Jeder soll ihr und
sein Leben gleichermaßen leben können. Jede
Gleiche Freiheit verlangt außerdem: niemand
und jeder soll mit Unterstützung oder eigener
darf ausgeschlossen, diskriminiert oder zurück-
Anstrengung etwas aus ihrem und seinem Leben
gelassen werden. Wir GRÜNE stehen für eine
machen können. Soziale Gerechtigkeit bedeutet
inklusive Gesellschaft mit gleichen Lebenschan-
für uns gleiche Freiheit.
cen für alle. Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund, körperliche, intellektuelle oder psychische
Gleiche Freiheit verbindet die Anerkennung der
Beeinträchtigung, Religion oder soziale Herkunft
Lebensweisen, Interessen und Überzeugungen
dürfen keine Auswirkungen auf die gesellschaft-
anderer mit dem Anspruch auf Achtung der eige-
liche Teilhabe haben.
nen Lebensweise, Interessen und Überzeugungen. Jeder einzelne Mensch hat einen Anspruch
Unser Gerechtigkeitsanspruch der Teilhabe für
auf gleichen Respekt und gleiche Anerkennung.
alle in Selbstbestimmung und Vielfalt umfasst
Dabei geht es nicht darum, alle Menschen per
außerdem nicht nur das Hier und Jetzt, sondern
Gesetz gleich zu machen, sondern sie in ihrer
berücksichtigt selbstverständlich auch Aspekte
Vielfalt und Unterschiedlichkeit anzuerkennen
der Generationengerechtigkeit. Ebenso ist die
und ihnen die Teilhabe an der Gesellschaft zu
Gleichberechtigung von Frauen und Männern
ermöglichen. Gleiche Freiheit bedeutet gesell-
ein fundamentaler Bestandteil unseres Gerech-
schaftliche Teilhabe für alle.
tigkeitsverständnisses.
Wer hinfällt, muss auch wieder aufstehen kön-
Klare Prioritäten setzen – Vorfahrt für Zu-
nen und sich dabei neben eigenen Anstrengun-
kunftsinvestitionen in öffentliche Institutionen
gen auch auf die Unterstützung der Gesellschaft
Eine ermöglichende Sozialpolitik hat echte Teil-
verlassen können. Im Gegensatz zu den leeren
habe für alle in einer inklusiven Gesellschaft zum
neoliberalen Versprechungen einer bloß forma-
Ziel. Teilhabe bedeutet dabei nicht nur, über ein
len Gleichheit der Chancen auf dem freien Markt
Einkommen zu verfügen, das das soziokulturel-
müssen alle tatsächlich die Chance haben, ihre
le Existenzminimum deckt, sondern meint auch
Talente und Fähigkeiten zu entwickeln und in die
gute Bildung und Weiterbildung, Zugang zum
Gesellschaft einzubringen. Es geht um die Her-
Arbeitsmarkt, gute Arbeit zu existenzsicherndem
stellung echter Chancengleichheit.
Einkommen und eine gute Gesundheitsversorgung. Teilhabe hat ganz entscheidend mit der
4
Verteilung von Zugängen zu öffentlichen Gütern
Verfügung zu stellen. Diese öffentlichen Institu-
zu tun: Arbeit, Bildung, Gesundheit, gute Um-
tionen müssen lernende und atmende Instituti-
weltbedingungen, aber auch Mobilität, Sicher-
onen sein, die die Selbstbestimmung der Indivi-
heit oder Kultur. Soziale Gerechtigkeit verlangt,
duen stärken, deren Vielfalt als Bereicherung der
dass jede und jeder unabhängig von der öko-
Gesellschaft anerkennen und würdigen und auf
nomischen und sozialen Lage Zugang zu diesen
der Beteiligung einer aktiven Bürgergesellschaft
fundamentalen Gütern haben muss. Denn es
gründen. Öffentliche Institutionen müssen un-
sind in erster Linie die öffentlichen Güter, die für
abhängig von sozialer und ökonomischer Lage
ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung un-
für alle Menschen offen sein, die auf öffentliche
verzichtbar sind.
Güter wie zum Beispiel Bildung angewiesen sind.
Wir brauchen daher dringend wieder mehr Spiel-
Wir brauchen deshalb einen handlungsfähigen
raum für soziale Investitionen – vor allem für In-
Staat und starke öffentliche Institutionen, die
vestitionen in Menschen.
nicht sich selbst dienen, sondern in der Lage sind,
soziale Barrieren abzubauen und die Menschen
Nachhaltige Sozialpolitik – Ehrlichkeit und
mit ihren Fähigkeiten und Talenten zu unterstüt-
Transparenz bei der Finanzierung
zen. Eine Politik der Umverteilung ist dabei nicht
Dieser Spielraum ist aber nicht zum Nulltarif
überflüssig. Im Gegenteil, sie muss darauf aus-
zu haben. Unser Verständnis von Gerechtigkeit
gerichtet sein, vorrangig diejenigen öffentlichen
reicht über den Tag hinaus und berücksichtigt
Institutionen zu stärken, die einen gleichen Zu-
auch die Belange zukünftiger Generationen.
gang zu allen wichtigen öffentlichen Gütern erst
Für die Generationengerechtigkeit ist nichts ge-
wirkungsvoll sichern. Denn gesellschaftliche So-
wonnen, wenn beispielsweise notwendige In-
lidarität zeigt sich vor allem im Umgang mit den
vestitionen in Bildung unterbleiben. Umgekehrt
Institutionen, auf die die Menschen angewiesen
stimmt etwas nicht, wenn die heutigen Bildungs-
sind, um an öffentlichen Gütern teilzuhaben. Die
investitionen nur mit Schulden zu Lasten künf-
Vielfalt der Träger dieser öffentlichen Institutio-
tiger Generationen finanziert werden können.
nen (insbesondere die Wohlfahrtsverbände und
Im Grünen Konzeptpapier „Hessen tritt auf die
ihre Mitglieder) ist die beste Gewähr, um der
Schuldenbremse“ zeigen wir deshalb auf, wie
Vielfalt der Menschen gerecht zu werden.
durch das dreifache E – Einsparungen, Effizienzsteigerungen und Einnahmesteigerungen – eine
Eine ermöglichende Sozialpolitik räumt den Zu-
solide Haushaltspolitik auch für den Sozialbe-
kunftschancen einen höheren Stellenwert ein als
reich umgesetzt werden kann.
der Bewahrung des Status Quo. Investitionen
in die soziale Infrastruktur öffentlicher Institu-
Mehr Transparenz und Mitbestimmung – für
tionen, insbesondere bei der Bildung von klein
eine aktive Bürgergesellschaft
an bis ins hohe Alter, haben für uns sozialpo-
Gleiche Freiheit im Sinne gleichberechtigter Teil-
litische Priorität. Durch eine Stärkung der öf-
habe hat auch eine politische Dimension: Demo-
fentlichen Institutionen wird es möglich, gerade
kratie als gesellschaftliches Organisationsprinzip
den schwachen und benachteiligten Mitgliedern
geht von dem Gedanken gleicher politischer
unserer Gesellschaft sowie zukünftigen Genera-
Freiheit aus. Sie ist Ausdruck „unseres“ Staates,
tionen möglichst gute Chancen für ein selbstbe-
der als Gesamtheit der öffentlichen Institutio-
stimmtes und gelingendes Leben in Vielfalt zur
nen „unser“ Ort des politischen Entscheidens
5
und Handelns in Freiheit und Gleichheit ist. Der
ben – die Volksgesetzgebung in Hessen auch auf
Zugang zum politischen System muss allen ge-
Verfassungsänderungen ausweiten, sie grund-
sellschaftlichen Gruppen offen stehen – ganz
sätzlich vereinfachen und dafür die Quoren ab-
besonders auch den schwächsten Mitgliedern
senken. Darüber hinaus muss besonders vor Ort
unserer Gesellschaft.
in den Kommunen die aktive BürgerInnengesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt und Kreativität in
Teilhabe für alle in Selbstbestimmung und Viel-
den demokratischen Prozess mit eingebunden
falt bedeutet auch politische Teilhabe und Mit-
sein. Wir wollen Transparenz und Mitbestim-
sprache. Öffentliche Institutionen sind für uns
mung so nicht nur ermöglichen, sondern auch
keine geschlossenen, hierarchischen Anstalten,
einfordern.
sondern offene und lebendige Einrichtungen,
die von der Partizipation und Kreativität der
Zum Anspruch auf Partizipation und Mitbestim-
einzelnen Menschen und den vielen zivilgesell-
mung gehört ebenso die Öffnung der Institutio-
schaftlichen Akteuren leben. Wir brauchen keine
nen für bürgerschaftliches Engagement. Deshalb
Bürokratien, sondern wollen demokratische In-
setzen wir auf eine aktive BürgerInnengesell-
stitutionen, die von gesellschaftlichem Engage-
schaft und auf ehrenamtliches Engagement als
ment getragen werden.
gelebte solidarische Praxis. Lernende Institutionen berücksichtigen Interessen und Stärken
Lebendige Demokratie setzt Einmischung als
der einzelnen Akteure. Wie beispielsweise im
Impulsgeber für die Gestaltung und zukünftige
Konzeptpapier „Hessens Weg zu selbständigen
Ausrichtung „unserer“ Gesellschaft voraus. Sozi-
Schulen“ ausgeführt, beruht die Neue Schule –
ale Gerechtigkeit verlangt dabei, dass alle Betrof-
mit mehr Freiheit und besserer Qualität – auf der
fenen in den Entscheidungsprozess einbezogen
konsequenten Einbeziehung von Schülerinnen
sind und über die „Spielregeln“ mitbestimmen
und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern und El-
können. Wir wollen deshalb – wie in unserem
tern in die Gestaltung von Schule.
Konzeptpapier „Alles was Recht ist“ beschrie-
6
III. Eine ermöglichende Sozialpolitik für
Hessen – Handlungsfelder und MaSSnahmen
Wir GRÜNE verfolgen mit unserer ermöglichen-
zu Wegen aus der Armut zu befähigen und das
den Sozialpolitik den Anspruch sozialer Gerech-
Abgleiten oder den Sturz in Armut zu vermei-
tigkeit durch eine gleichberechtigte Teilhabe für
den. Da Armut auch in einem reichen Land wie
alle Bürgerinnen und Bürger. Selbstbestimmte
Hessen kein Randphänomen ist und vielfältige
Teilhabe begreifen wir als ein soziales Bürger-
Gründe hat, müssen hier auch die Antworten
recht. Die sozialen Hilfen müssen deshalb die
vielfältig sein. Wir brauchen Programme und
eigenen Anstrengungen und Bemühungen der
Maßnahmen, die für jeden einzelnen Menschen
Menschen unterstützen und den einzelnen Men-
das für ihn geeignete Angebot zur Verfügung
schen in seiner spezifischen, von Vielfalt gepräg-
stellen. Deshalb ist es auch notwendig, existie-
ten Lebenssituation zugutekommen. An dieser
rende Programme daraufhin zu untersuchen, ob
Aufgabe haben sich die sozialen Institutionen
sie diese individuelle Unterstützung mit allen ih-
zu orientieren und miteinander zu kooperieren.
ren Facetten tatsächlich leisten. In der Regel ist
Eine am Menschen ausgerichtete Sozialpolitik
der geeignete Ort für solche Angebote die Kom-
benötigt dabei klar formulierte Ziele, transparen-
mune bzw. das Quartier, in dem die Menschen
te Verfahren, definierte Qualitätsanforderungen
wohnen.
sowie unabhängige und individuelle Beratung.
Subsidiarität und Solidarität lassen sich dabei
1.1 Sozialberichterstattung weiterentwickeln
nicht voneinander trennen, sondern sind zwei
Viele hessische Kommunen haben bereits ein
Seiten ein und derselben Medaille.
gutes, vernetztes System sozialer Hilfen und
eine kontinuierliche Sozialberichterstattung –
einschließlich der Evaluation von sozialen Hil-
1. Armut verhindern und bekämpfen
fen – eingeführt. Wir halten das Instrument der
Armut ist ein großes Hindernis für echte soziale
kommunalen Sozialberichterstattung, das insbe-
Teilhabe und macht ein selbstbestimmtes Leben
sondere Vergleiche zwischen den Kommunen er-
schwer möglich. Armut drückt sich nicht nur
möglicht, für eine gute Grundlage eines koordi-
im Mangel materieller Ressourcen aus. Arme
nierten landesweiten Sozialberichts. Wir wollen
Menschen leiden neben materiellen Entbehrun-
deshalb die bislang unverbunden nebeneinander
gen auch unter schlechten Wohnverhältnissen,
stehende Sozialberichterstattung der Kommu-
geringeren Bildungschancen und häufig einer
nen und den Landessozialbericht zu einem ge-
schlechteren Gesundheit. Wege in Armut müs-
meinsamen Instrument der Evaluation, d.h. der
sen deshalb rechtzeitig verhindert und Wege
Qualitäts- und Wirkungsprüfung in der Sozial-
aus der Armut massiv erleichtert werden. Diese
politik weiterentwickeln. Ziel dieser Armuts- und
Aufgaben nehmen eine Schlüsselposition bei ei-
Reichtumsberichterstattung soll letztendlich sein,
ner ermöglichenden Sozialpolitik ein, der es aus
Maßnahmen des Landes und der Kommunen zu
Gründen sozialer Gerechtigkeit zuallererst darum
entwickeln und umzusetzen, die Armut erfolg-
geht, den Schwächsten zur Seite zu stehen und
reich verhindern und dazu beitragen, die gesell-
Armut und sozialen Abstieg zu vermeiden.
schaftliche Spaltung zwischen arm und reich zu
Uns geht es in Hessen vor allem um die Stärkung
vermindern.
von Institutionen, die in der Lage sind, Menschen
7
1.2 Kinderarmut bekämpfen – Teilhabekarte
großen Wohnungsbestände für die Mieterinnen
einführen
und Mieter bezahlbar bleibt. Die Zukunft gan-
Kinder und Jugendliche aus kinderreichen Fami-
zer Stadtviertel wird davon abhängen, dass sich
lien und von Alleinerziehenden haben ein stark
diese Unternehmen aktiv an der Stadtsanierung
erhöhtes Armutsrisiko und sind dadurch häu-
beteiligen. Außerdem wollen wir unterstützend
fig in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe bedroht.
auch mit Blick auf den privaten Wohnungsmarkt
Wir wollen deshalb die bislang weitgehend wir-
– wie in unserem Konzeptpapier „Zukunftsener-
kungslose, da de facto lediglich als kommerzielle
gie 2030“ beschrieben – mit einem Klimazu-
Rabattaktion für einzelne Unternehmen konzi-
schuss im Rahmen des Wohngelds dazu beitra-
pierte Familienkarte der Hessischen Landesregie-
gen, dass einkommensschwache Haushalte ihre
rung in Zusammenarbeit mit den Kommunen
Wohnung auch nach der energetischen Sanie-
und den Anbietern zu einer echten Teilhabekarte
rung finanzieren und von der Energieeinsparung
weiterentwickeln. Für uns GRÜNE stehen dabei
profitieren können.
die Bedürfnisse der Kinder nach gesellschaftlicher Teilhabe im Mittelpunkt. Wie in unserem
1.4 Gemeinwesenarbeit stärken
Konzeptpapier „Familien in den Mittelpunkt“
In den Quartieren sind wohnortnahe, leicht zu-
beschrieben, wollen wir künstlerische, musische,
gängliche und die besonderen Problemlagen
Sport- oder Freizeitangebote für Familien mit ge-
berücksichtigende Angebote der Gemeinwesen-
ringen Einkommen effektiv zugänglich machen
arbeit am besten zu erbringen. Dies belegen die
und die Angebote mit dem Bildungspaket der
Programme zur sozialen Stadt, die seit Jahren
Bundesregierung koordinieren.
mit Erfolg durchgeführt werden. Es war daher
ein schwerwiegender Fehler, dessen Kosten in
8
1.3 Bezahlbares und ökologisch nachhaltiges
der Zukunft noch gar nicht absehbar sind, dass
Wohnen ermöglichen
die schwarz-gelbe Bundesregierung dieses Pro-
Öffentliche Wohnungsunternehmen leisten ei-
gramm ab 2012 auf rein investive Maßnahmen
nen unverzichtbaren Beitrag zur Versorgung
im Wohnungsbau beschränkt hat. Dadurch be-
mit preisgünstigem Wohnraum – insbesondere
steht die Gefahr, dass erfolgreiche soziale Arbeit
für Menschen mit niedrigeren Einkommen und
in besonders benachteiligten Quartieren zusam-
Menschen, die auf altersgerechte und barrie-
menbricht. Davon betroffen ist auch die erfolg-
refreie Wohnungen angewiesen sind. Gerech-
reiche Arbeit der Hessischen Gemeinschaftsini-
te Teilhabe hat für uns GRÜNE neben der so-
tiative Soziale Stadt (HEGISS). Insbesondere in
zialen auch eine ökologische Komponente und
sozialen Brennpunkten ist eine kontinuierliche
schließt Teilhabe und Mitwirkung für alle an
Gemeinwesenarbeit und angepasste, indivi-
der dringend notwendigen ökologischen Mo-
duelle Unterstützung der Bewohnerinnen und
dernisierung der Gesellschaft mit ein. Die öko-
Bewohner aber unverzichtbar. Kommunen mit
logisch fatale Abhängigkeit von immer knapper
einer komplizierten Sozialstruktur dürfen nicht
und dadurch auch teurer werdenden fossilen
allein gelassen werden. Auf Landesebene wer-
Brennstoffen trifft aber schon heute vor allem
den wir deshalb dafür sorgen, dass die Kommu-
die Schwachen in der Gesellschaft. Wir brauchen
nen bei der Koordination sozialer Hilfen, bei der
deshalb nach wie vor öffentliche Unternehmen
Fort- und Weiterbildung des Fachpersonals und
am Wohnungsmarkt, damit die wichtige ener-
bei besonderen Angeboten für bestimmte Ziel-
getische Modernisierung und Sanierung der
gruppen eine qualifizierte Unterstützung durch
konkrete Aus-, Fort- und Weiterbildungsange-
Hilfen (Entschuldung, psychosoziale Beratung,
bote erhalten. Mit einer stärkeren fachlichen
Reha-Maßnahmen, etc.) aktiv zur Seite stehen
Vernetzung auf der Landesebene und der Prü-
und damit in möglichst vielen Fällen Wohnungs-
fung, wie Landesförderprogramme gezielter in
losigkeit im Vorfeld vermeiden.
„Soziale Stadt Quartiere“ nach Ablauf der Investitionsprogramme gelenkt werden können,
wollen wir eine nachhaltige Unterstützung der
Gemeinwesenarbeit erreichen.
2. Chancengerechtigkeit von Klein an –
Bildung als Schlüssel für Teilhabe
Nach unserem Verständnis von sozialer Gerech-
1.5 Kommunen bei der Schuldnerberatung
tigkeit als gerechter Teilhabe muss Bildung als
unterstützen
zentrales öffentliches Gut allen Menschen un-
Zu den wichtigen sozialen Hilfen, die in der Lage
abhängig von Herkunft, Einkommen oder sozi-
sind, die Entstehung von Armut zu vermeiden
alem Status der Eltern zugänglich sein. Bildung
bzw. Wege aus der Armut aufzuzeigen, gehört
ist der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe. Sie
die Schuldnerberatung. Nach der vollständigen
vermittelt soziale und kognitive Kompetenzen
Streichung von Landesmitteln seit dem Haushalt
und ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes
2004 sind heute lange Wartelisten in den Bera-
Leben. Gerade in der Informations- und Dienst-
tungsstellen die Regel, obwohl Kommunen und
leistungsgesellschaft entscheidet Bildung auf-
Wohlfahrtsverbände versuchen, die Angebote zu
grund der immer komplexer werdenden Her-
kompensieren. Hinzu kommt, dass sich die Prob-
ausforderungen im Alltag und in der Arbeitswelt
lemlagen in den letzten Jahren verschärft haben,
maßgeblich über Lebenschancen und damit die
z.B. durch ein größer gewordenes Armutsrisiko,
Möglichkeiten zur Teilhabe in unserer Gesell-
verstärkte Handynutzung von Jugendlichen,
schaft. Bildung hat für uns GRÜNE deshalb von
Langzeitarbeitslosigkeit, prekäre Jobs, usw. Wir
Klein an durch alle Lebensphasen hindurch Pri-
wollen die Kommunen darum dabei unterstüt-
orität.
zen, diese Beratung wieder zu einem festen Be-
Wir wollen gezielt in die Menschen und ihre Teil-
standteil der rechtzeitigen Armutsprävention zu
habechancen investieren. Effizienzsteigerungen
machen. Zur Stärkung der Vorbeugung wollen
und demografische Rendite werden allein nicht
wir deshalb – wie in unserem Konzeptpapier
ausreichen, um die eingangs beschriebenen De-
„Moderne grüne Verbraucherpolitik“ aufgezeigt
fizite im Bildungssystem abzubauen. Deshalb
– die Arbeit der Schuldnerberatung stärker mit
brauchen wir für Krippen, Kindergärten, Schulen
den Verbraucherzentralen vernetzen.
und Hochschulen – auch unter den Bedingungen
der Schuldenbremse – mehr Mittel als bislang.
1.6 Wohnungslosigkeit vermeiden
Denn: Investitionen in gute Bildung sind die bes-
Die Vermeidung von Wohnungslosigkeit ist eine
ten Zukunftsinvestitionen; sie helfen, den An-
vordringliche Maßnahme sozialer Gerechtigkeit,
spruch auf Teilhabe zu verbessern und ihn auch
die sich finanziell und mit Blick auf die Teilhabe
morgen noch einzulösen.
nicht nur für die betroffenen Menschen, sondern auch für die Kommunen nachweisbar po-
2.1 Ausbau und qualitative Verbesserung früh-
sitiv auswirkt. Wir wollen den Kommunen daher
kindlicher Bildung zügig vorantreiben
durch Unterstützung bei der (interkommunalen)
Teilhabe für alle an der Gesellschaft beginnt
Kooperation und der Koordination präventiver
für uns GRÜNE im kleinsten Kindesalter. In den
9
ersten Lebensjahren erfolgen entscheidende
nicht sinnvoller für den quantitativen und quali-
Schritte kognitiver, sprachlicher und motorischer
tativen Ausbau der Kinderbetreuung verwendet
Entwicklung bei Kindern, die später entschei-
werden sollten.
dend sind für die Teilhabe an der Gesellschaft.
Wir legen darum den Schwerpunkt unserer so-
2.2 Integration durch Bildung erleichtern
zialpolitischen Maßnahmen auf die frühkindliche
Menschen mit Migrationshintergrund sehen sich
Bildung, um allen Kindern die gleichen Chancen
im hessischen Bildungssystem vielfach hohen so-
auf gesellschaftliche Teilhabe zu geben. Damit
zialen Barrieren ausgesetzt. Wir brauchen daher
möglichst alle Kinder in den frühen Genuss in-
ein neues Leitbild für unser gesamtes Bildungs-
dividueller Förderung kommen, wollen wir die
wesen, das die Vielfalt in den Kindergärten und
Betreuung der unter 3jährigen zügig ausbauen,
Schulen als Bereicherung und Chance wahr-
den Kindergarten als Bildungsgarten ab dem
nimmt und die Bildungseinrichtungen zu Zen-
dritten Lebensjahr stärken und die Betreuung
tren der sozialen Integration weiterentwickelt.
auch im Grundschulalter sicherstellen. Wie in
Als spezifische Herausforderung steht an erster
unserem Konzeptpapier „Kindergärten zu Bil-
Stelle das Erlernen und Beherrschen der deut-
dungsgärten“ beschrieben wollen wir die indi-
schen Sprache, um am Alltag in der Gesellschaft
viduelle Förderung und die Qualitätsstandards
teilhaben zu können und echte Chancen auf ein
entscheidend verbessern. Um dem eklatanten
selbstbestimmtes Leben zu bekommen. Für Kin-
Fachkräftemangel zu begegnen und die Attrak-
der, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, ist
tivität des Berufes zu steigern, werden wir ein
ein Kindergartenbesuch von besonderer Bedeu-
Aktionsprogramm für mehr Erzieherinnen und
tung. Aber auch viele Kinder aus einem deutsch-
Erzieher gemeinsam mit den Trägern von Kin-
sprachigen Elternhaus haben Probleme beim
dertageseinrichtungen auflegen und zusätzlich
Spracherwerb. Wie in unseren Konzeptpapieren
modellhaft die „duale“ Ausbildung erproben.
„Ein Integrationskonzept für Hessen“ und „Familien im Mittelpunkt“ beschrieben, wollen wir
Zur Finanzierung dieser sozialpolitischen Kraft-
deshalb die Sprachförderung auf allen Ebenen,
anstrengung braucht es den politischen Willen
insbesondere aber für die Kleinsten, ausweiten
und klare Prioritäten. An oberster Stelle stehen
und damit echte Teilhabechancen nicht nur für
für uns der bedarfsgerechte Ausbau des Platzan-
Migrantinnen und Migranten schaffen. Mit dem
gebots und eine hohe Qualität von Bildung und
Ausbau echter Ganztagsschulen werden wir zu-
Betreuung von den Kleinsten bis zu den Grund-
dem mehr Zeit zum Lernen und zur individuellen
schulkindern. Erst wenn das geschafft ist, steht
Förderung auch für Kinder mit Migrationshinter-
für uns das Thema der generellen Beitragsfreiheit
grund schaffen.
auf der Tagesordnung. Für einkommensschwa-
10
che Familien soll es – ganz im Einklang mit unse-
2.3 Die Jugend in ihrer Teilhabe stärken
rem Gerechtigkeitsverständnis – selbstverständ-
Die Generation der Jugend ist die besonders
lich bei der Beitragsfreiheit bleiben. Angesichts
stark gespaltene Generation in unserer Gesell-
des Mangels an Plätzen und an qualifiziertem
schaft. Dies zeigt sich nicht nur an den erwähn-
Personal war es aus unserer Sicht verfrüht, ein
ten sozialen Ungleichheiten im Bildungsbereich.
gesondertes Landesprogramm zur generellen
Auch das relativ große Ausmaß der Armutsge-
Beitragsfreiheit im dritten Kindergartenjahr auf-
fährdung bei Kindern und Jugendlichen in Höhe
zulegen. Wir werden prüfen, ob diese Mittel
von knapp 20 Prozent ist ein Beleg dafür. Ent-
sprechend unserem Verständnis von sozialer
forderungen einstellen können. Vor dem Hinter-
Gerechtigkeit wollen wir diese soziale Spaltung
grund des Fachkräftemangels, der schlechten
jedoch überwinden und gleiche Teilhabechancen
Beschäftigungschancen für Geringqualifizierte
für alle ermöglichen. Gerade für Jugendliche sind
und der großen Gruppe der Schülerinnen und
funktionierende öffentliche Institutionen von
Schüler ohne Abschluss müssen künftig die Mit-
zentraler Bedeutung. Sie sind nicht nur Orte des
tel der unterschiedlichen Institutionen effizienter
Zusammenlebens, sondern auch elementar für
und nachhaltig eingesetzt werden – auch um die
die Teilhabe aller an der Gesellschaft. Ein chan-
Beschäftigungschancen aller zu erhöhen.
cengerechtes Bildungssystem muss deshalb die
Beteiligungsrechte Jugendlicher in Schulen und
3. Arbeit als zentrales Gut der eigenAußerdem muss es durch den flächendeckenden ständigen Existenzsicherung – den ArAusbau von Angeboten der Sozialarbeit ergänzt beitsmarkt sozial und ökologisch gewerden. Wir setzen uns für eine Stärkung der stalten
Bildungseinrichtungen ausbauen und fördern.
Jugendhilfeangebote im Rahmen der kommuna-
Arbeit ist ein zentrales Gut gesellschaftlicher Teil-
len Jugendarbeit ein. Jugendhilfe ist jedoch nur
habe und sozialer Anerkennung. Ein Arbeitsplatz
dann wirklich erfolgreich, wenn frühzeitig die
bringt nicht nur ein Einkommen, sondern auch
ganze Familie in den Blick genommen wird. An
soziale Wertschätzung und soziale Kontakte mit
der Unterstützung der Jugendverbände halten
sich. Wer einen Arbeitsplatz innehat, besitzt gute
wir fest. Wir wollen zudem die Partizipations-
Voraussetzungen, um selbstbestimmt an der Ge-
und Entscheidungsmöglichkeiten von Jugendli-
sellschaft teilhaben zu können. Der Gesellschaft
chen durch projektbezogene direkte Beteiligung
geht die Arbeit nicht aus – der beklagte Fach-
stärken um ihnen echte Teilhabe – als Jugend-
kräftemangel zeigt dies ebenso deutlich wie der
liche und später auch als Erwachsene – zu er-
Bedarf für nachhaltige und zukunftsträchtige
möglichen.
Beschäftigung in den für die gesellschaftliche
Teilhabe besonders wichtigen Beschäftigungsfel-
2.4 Auf lebensbegleitendes Lernen einstellen
dern der qualitativen sozialen Dienstleistungen.
Bildung begleitet die Menschen ihr Leben lang
Um echte Teilhabe für alle zu gewährleisten, ist
auch nach Ausbildung und Studium in Form von
für uns dabei nicht zuletzt die Entlohnung ent-
Fort- und Weiterbildung, manchmal in unser
scheidend. Wir GRÜNE setzen uns deshalb für
sich schnell wandelnden Gesellschaft aber auch
existenzsichernde und zukunftsträchtige Ar-
durch völlig neue Ausbildungen und berufliche
beitsplätze und einen allgemeinen gesetzlichen
Orientierungen. Auf den Einzelnen bzw. die
Mindestlohn ein.
Einzelne bezogen stärkt Weiterbildung die individuelle Kompetenz und damit die Beschäfti-
3.1 Nachhaltige regionale Wirtschaft fördern
gungsfähigkeit und soziale Integration. Sie dient
Nachhaltige, ökologisch ausgerichtete Wirt-
dazu, neue Qualifikationspotenziale zu erschlie-
schaftspolitik trägt durch Schaffung und Siche-
ßen und bereits vorhandene Qualifikationen zu
rung zukunftsträchtiger Arbeitsplätze dazu bei,
stabilisieren. Dem zweiten Bildungsweg kommt
Teilhabe für immer mehr Menschen zu ermög-
dabei eine wachsende Bedeutung zu. Wir wol-
lichen. Wirtschaftspolitik ist insofern auch ein
len, dass auch Abendschulen sich auf diese An-
wichtiger Baustein einer ermöglichenden Sozi-
11
alpolitik. Die Möglichkeit von Kommunen, sich
in den Arbeitsmarkt verbunden. Bis heute wird
im Energiebereich und anderen Zukunftsfeldern
dieser Anspruch in den Job-Centern immer noch
zu betätigen, ist aus unserer Sicht ein wichti-
unzureichend umgesetzt. Durch eine deutlich
ger Schritt zu nachhaltiger Wirtschaftspolitik.
stärkere arbeitsmarktpolitische Steuerung des
Dabei werden nicht zuletzt die Spielräume der
Landes wollen wir die Jobcenter in Hessen zu
Kommunen zum Erhalt des sozialen Friedens er-
einer qualitativ hochwertigen Vermittlungs- und
weitert. Außerdem ist ein wachsendes Interesse
Qualifizierungsarbeit anhalten und eine Unter-
regionaler privater Unternehmen festzustellen,
stützungsstruktur aufbauen, die ein optimales
an der Gestaltung nicht nur wirtschaftlicher,
Arbeiten, insbesondere der zugelassenen kom-
sondern auch sozialer Formen des Zusammenle-
munalen Träger, ermöglicht. In Zukunft sollen
bens mitzuwirken. Immer mehr Unternehmen in
alle zur Verfügung stehenden Mittel für Leis-
öffentlicher wie privater Hand verpflichten sich
tungen der Eingliederung in Arbeit auch bei den
zur Einhaltung einer Vielzahl von sozialen Stan-
Menschen ankommen, damit sie echte Teilhabe-
dards, z.B. bei der Korruptionsbekämpfung, der
chancen bekommen.
Gehaltsstruktur, der Geschlechtergerechtigkeit,
der betrieblichen Gesundheitsförderung, der
3.3 Kein Jugendlicher ohne Ausbildung
Inklusion. Wir wollen gemeinsam mit den Un-
Am Übergang zum Berufsleben fällt für viele
ternehmerverbänden und Kammern sowie den
Kinder und Jugendliche – leider oft endgültig –
Gewerkschaften ein engmaschiges Beratungsan-
die Entscheidung darüber, wie eigenständig ein
gebot aufbauen, das Ökonomie, Ökologie und
existenzsicherndes Einkommen im Berufsleben
soziale Gerechtigkeit in den hessischen Unter-
bis ins Rentenalter gesichert werden kann. Trotz
nehmen zusammenführt.
erheblicher finanzieller Mittel und dem Engagement vieler Akteure bleiben viele Jugendliche
3.2 Gezielt in Arbeit fördern
ohne Berufsabschluss. Eine chancengerechte
Arbeitslosigkeit, vor allem Langzeitarbeitslosig-
Arbeitsförderung lässt aber niemanden zurück:
keit, ist einer der wesentlichen Gründe für ein
Wir wollen, dass jeder junge Mensch, der das
erhöhtes Armutsrisiko. Die Gefahr der Arbeits-
will, eine vollqualifizierende Berufsausbildung
losigkeit ist umso größer, je geringer ein Mensch
erhält. Dazu wollen wir gemeinsam mit den zu-
beruflich qualifiziert ist. Besonders betroffen
ständigen Akteuren eine Reform des Übergangs-
von Arbeitslosigkeit sind Alleinerziehende, Mig-
systems Schule – Beruf
rantinnen und Migranten sowie Menschen mit
bessere Kooperation von Jugendhilfe und Schule
Behinderung. Eine ermöglichende Sozialpolitik,
in Form von individueller Unterstützung für alle
unterstützt und fördert die Menschen individuell
Jugendlichen spätestens ab der siebten Klasse
auf ihrem Weg zurück in den Arbeitsmarkt. Des-
wird ihnen bei der Überwindung von Schwächen
halb legen wir unseren Fokus auf eine Stärkung
und dem Ausbau der Stärken geholfen und der
der sozialen öffentlichen Institutionen, die dazu
Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt gesi-
beitragen, Arbeitslosigkeit zu vermeiden und
chert.
einleiten. Durch eine
den selbstbestimmten Weg in den Arbeitsmarkt
12
zu finden.
3.4 Ausbildungs- und Arbeitsmarktprogramme
Mit der Einführung der Grundsicherung für
neu strukturieren
Arbeitssuchende war das Recht auf individuelle
Wir wollen die bestehenden Ausbildungs- und
Förderung und Hilfestellung für die Integration
Arbeitsmarktprogramme des Landes neu struk-
turieren, auch um spezielle Zielgruppenförde-
das Geschlecht nicht ursächliches Merkmal von
rung zu ermöglichen. Kommunale, Landes- und
Ungleichbehandlung sein darf. Es ist nicht hin-
Bundesprogramme der Arbeitsmarktpolitik sol-
nehmbar, dass im 21. Jahrhundert trotz vielfa-
len sich sinnvoll ergänzen und keine Doppel-
cher Angleichung der Lebensläufe von Männern
strukturen schaffen.
und Frauen die Ungleichheit zwischen ihnen
immer noch Realität ist. Frauen verdienen für
3.5 Einen sozialen Arbeitsmarkt schaffen
gleichwertige Arbeit im Durchschnitt 23 Prozent
Es wird immer wieder auch Menschen geben,
weniger als Männer, sind im mittleren und obe-
die trotz unterschiedlichster Angebote und
ren Management ebenso eklatant unterdurch-
Unterstützung durch die Job-Center nur sehr
schnittlich vertreten wie an den Hochschulen bei
schwer in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt
den Hochschullehrern, besetzen 82 Prozent der
werden können. Deshalb werden wir ein neues
Teilzeitstellen und leisten deutlich mehr unbe-
Programm für einen verlässlichen, sozialen und
zahlte Arbeit.
öffentlich geförderten Arbeitsmarkt einrichten.
Mit diesem Programm wollen wir dauerhaft
Wir GRÜNE stehen für eine Geschlechterpoli-
öffentlich geförderte Beschäftigung mit sozial-
tik, die eine substantielle und nicht nur forma-
versicherungspflichtigen
Arbeitsverhältnissen
le Chancengleichheit zum Ziel hat und Frauen
schaffen, um den Menschen, die keine Chancen
wie Männern nicht nur formal gleiche Startbe-
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben, eine
dingungen, sondern tatsächlich gleiche, echte
langfristige Beschäftigungs- und echte Teilhabe-
Verwirklichungschancen ermöglicht. Dabei geht
perspektive zu geben. Dabei soll die gesamte
es uns nicht um Gleichmacherei, sondern um
Transferleistung, die eine langezeitarbeitslose
die Stärkung der Potentiale jeder und jedes Ein-
Person erhält, in ein sozialversicherungspflich-
zelnen, um die Unterstützung bei spezifischen
tiges
umgewandelt
Problemlösungen sowie um die Akzeptanz der
werden. So wird „Arbeit statt Arbeitslosigkeit“
unterschiedlichen Lebensentwürfe. Unsere ge-
finanziert und besonders schwer vermittelbare
schlechtergerechte Politik orientiert sich an dem
Arbeitslose erhalten die Chance auf Teilhabe an
Leitbild der so genannten „Lebensverlaufsper-
Arbeit, aber auch an gesellschaftlicher Anerken-
spektive“, die nicht mehr allein auf kurzfristige
nung.
Effekte in der Politik abstellt, sondern politische
Beschäftigungsverhältnis
Rahmenbedingungen auf ihre Wirkung in einzelnen Lebenslagen und Lebensphasen und in
4. Gleichberechtigung von Männern ihren längerfristigen Auswirkungen betrachtet.
und Frauen voranbringen
Darin sehen wir die Grundlage für eine nachhalFür uns GRÜNE zeichnet sich eine gerechte Ge-
tige, auf langfristige und dauerhafte Wirkungen
sellschaft dadurch aus, dass sie Selbstbestim-
angelegte Politik für mehr Geschlechtergerech-
mung und Gleichberechtigung aller Menschen
tigkeit, wie wir in unserem Konzeptpapier „De-
gewährleistet und die Vielfalt der Lebensformen
mokratie
anerkennt. Die Leitidee gleicher Freiheit gilt für
vorgestellt haben.
braucht
Geschlechtergerechtigkeit“
Männer wie Frauen gleichermaßen. Wir wollen eine Gesellschaft, in der Frauen und Män-
Wir setzen uns im Sinne einer Selbstbestimmung
ner die gleiche Chance haben, ihr Leben selbst
in Vielfalt für alle dafür ein, neue Freiräume im
zu gestalten. Das bedeutet insbesondere, dass
Verhältnis von Männern und Frauen zu ermög-
13
lichen. Geschlechterpolitik nach unserem Ver-
4.3 Frauen und Kindern besser vor häuslicher
ständnis umfasst daher auch die Belange von
Gewalt schützen
Jungen und Männern, die sich im Erwerbs- wie
Frauen und Kinder wollen wir besser vor häusli-
im Privatleben neue Wege und Entwicklungs-
cher Gewalt schützen. Präventive Angebote wie
möglichkeiten wünschen. Männer sind deshalb
aufsuchende Stadtteilarbeit, Suchthilfe, Famili-
auch nicht Gegner, sondern Verbündete für das
enberatung, etc. sind dazu wesentliche Baustei-
Konzept und die Umsetzung einer geschlechter-
ne. Trotzdem brauchen Frauen und ihre Kinder
gerechten Politik. Für uns GRÜNE gibt es weder
immer wieder Schutzräume, die sie aus akuten
für Frauen noch für Männer „den“ Lebensent-
Gewaltsituationen herausholen und ihnen die
wurf. Unserem emanzipatorischen Menschen-
Möglichkeit geben, ihr Leben neu zu gestalten.
bild folgend, wollen und werden wir niemandem
Wir wollen die Frauenhäuser wieder stärken und
vorschreiben, welche Entscheidungen sie oder er
sie in die Lage versetzen, den Frauen und ihren
zu treffen hat. Wir wollen aber gewährleisten,
Familien in all ihrer Vielfältigkeit einen Weg zu
dass Mädchen und Jungen, Frauen und Männer
einem gewaltfreien Leben zu ermöglichen. Dies
jeden Alters die gleichen substanziellen – und
umfasst auch Hilfen für Elternteile, die überfor-
nicht nur formalen – Freiheits- und Wahlmög-
dert sind und reicht von der Begleitung junger
lichkeiten für ihr eigenes Leben haben.
Familien von Geburt an über die flächendeckende Versorgung mit Interventionsstellen und Frau-
4.1 Das hessische Gleichberechtigungsgesetz
enhäusern bis hin zu präventiver Täterarbeit, die
reformieren
immer noch vernachlässigt wird.
Eine Reform des hessischen Gleichstellungsgesetzes halten wir für notwendig, um die Fördezu stärken und die Rolle von Gender Mainstre-
5. Generationengerechter demografischer Wandel
aming – also die spezielle Berücksichtigung von
Generationengerechtigkeit bedeutet, über den
Männern und Frauen – endlich für alle Bereiche
Tag hinaus zu denken und gerechte Teilhabe für
durch zu deklinieren. Die öffentliche Verwaltung
alle nicht auf die heute lebenden Menschen zu
soll bei der Beseitigung von Hemmnissen und
beschränken. Erweiterte Gerechtigkeit verpflich-
der Erarbeitung neuer Konzepte für mehr Ge-
tet uns alle, die Interessen junger und zukünfti-
schlechtergerechtigkeit eine Vorbildrolle auch für
ger Generationen bei politischen Entscheidungen
die Privatwirtschaft einnehmen.
zu berücksichtigen. Wir wollen unseren Kindern
rung von Frauen im öffentlichen Bereich weiter
und Enkeln die Möglichkeit geben, auch morgen
4.2 Gender-Budgeting im Landeshaushalt
und übermorgen ihr Leben selbstbestimmt und
einführen
in Vielfalt selbst in die Hand zu nehmen. Leitend
Wir setzen uns für die Einführung des Gender-
für unsere Forderung nach Generationengerech-
Budgeting in den Landeshaushalt ein. Wir wollen
tigkeit ist dabei der Gedanke der Nachhaltigkeit
damit erreichen, dass sowohl die Benachteiligung
in allen seinen drei Dimensionen – ökonomisch,
von Frauen als auch von Männern im Rahmen
ökologisch und sozial.
der Verwendung von Steuermitteln festgestellt
und in der Folge beseitigt werden kann.
Ökonomische Nachhaltigkeit
Die ökonomische Nachhaltigkeit stellt für uns
GRÜNE eine wichtige Säule generationenge-
14
rechter Politik dar und betrifft vor allem die Fi-
mer knapper werdenden fossilen Brennstoffen
nanzierung der vorgeschlagenen Maßnahmen
trifft durch immer weiter steigende Energieprei-
und Programme im Rahmen der Finanz- und
se schon heute vor allem die Schwachen in der
Haushaltspolitik. Unsere grüne Finanz- und
Gesellschaft. Wenn durch die Energiewende bei-
Haushaltspolitik ist an der Sicherung von Zu-
spielsweise neue Jobs geschaffen werden und
kunftschancen ausgerichtet und fühlt sich der
Energie nachhaltig und bezahlbar bleibt, profi-
Erhaltung von Handlungsspielräumen für zu-
tieren davon insbesondere auch die Schwachen
künftige Generationen verpflichtet. Wir GRÜNE
in unserer Gesellschaft.
bekennen uns klar zur Schuldenbremse. Für unsere Politik heißt das: ausgabenwirksame Projek-
Soziale Nachhaltigkeit
te müssen an anderer Stelle gegenfinanziert sein.
Generationengerechtigkeit heißt schließlich auch
Zugleich ist für uns klar: der notwendige sozi-
das kluge und bedächtige Ausbalancieren sozi-
alökologische Umbau kann nicht einfach weg-
aler Konflikte, die zwischen den verschiedenen
gespart werden. Wir prüfen deshalb genau, mit
Generationen und Alterskohorten auftreten kön-
welchen Projekten wir diesen Umbauprozess an-
nen – mit dem klaren Ziel einer gleichberechtig-
stoßen werden. Wie in unserem Konzeptpapier
ten Teilhabe für alle. So führt der demografische
„Hessen tritt auf die Schuldenbremse“ aufge-
Wandel mit sinkenden Geburtenzahlen und stei-
zeigt, kann der Grüne Dreiklang aus Einsparun-
gender Lebenserwartung zu einer Gesellschaft
gen, Effizienzsteigerungen und Einnahmeerhö-
mit einer zunehmenden Zahl älterer Menschen.
hungen das gesamtstaatliche strukturelle Defizit
Eine solche Gesellschaftsformation birgt poten-
abbauen und die Schuldenbremse eingehalten
tiell neuartige Konfliktlinien zwischen jüngeren
werden. Er ist die Voraussetzung für nachhaltige
Generationen, besonders belasteten Mittleren
Investitionen in die Zukunft und damit die Er-
im erwerbsfähigen Alter und den Älteren; aber
weiterung wirtschaftlicher und sozialer Perspek-
ebenso auch zwischen sehr wohlhabenden Älte-
tiven.
ren und armen Älteren – sehr häufig Frauen – die
aufgrund unterbrochener Erwerbsbiografien ihr
Ökologische Nachhaltigkeit
Auskommen im Alter nicht ohne staatliche Un-
Generationengerechtigkeit bedeutet für uns
terstützung decken können. Eine besondere He-
GRÜNE im Rahmen unseres erweiterten Ge-
rausforderung für das Verhältnis zwischen den
rechtigkeitsbegriffes auch die Erhaltung und
verschiedenen Generationen ist auch die rasant
Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen
wachsende Zahl pflegebedürftiger Älterer.
des Menschen. Nur eine intakte Umwelt und
ein gesundes Klima ermöglichen die demokra-
Eine Politik der Generationengerechtigkeit hat
tische Aushandlung gleicher Freiheitsansprüche.
solche Konflikte und Herausforderungen im
Dies ist die heutige Verantwortung von Politik
Blick und steuert mit Augenmaß dagegen. Da-
– auch für unsere Kinder und Enkelkinder. Wir
bei geht es einerseits darum, auf die Teilhabe
GRÜNE setzen mit unserer Klimapolitik auf den
von älteren und alten Menschen zu achten, und
Dreiklang aus Energieeinsparung, Energieeffi-
andererseits darum, soziale Blockaden zu lösen,
zienz und Erneuerbare Energien, der gleichzeitig
denen sich insbesondere junge Menschen, die
ein Baustein einer ermöglichenden Sozialpolitik
ihre Interessen noch nicht selbst vertreten kön-
ist. Die ökologisch fatale Abhängigkeit von im-
nen, ausgesetzt sehen. Auf einen guten und
15
fairen Ausgleich der Generationen zu achten –
Die Politik muss von der Tagespolitik zur nach-
das ist die aktuelle Herausforderung auch für die
haltigen Zukunftspolitik übergehen. Dies geht
Landespolitik.
nur, wenn man für die Regionen Hessens die
Entwicklungen und Trends benennt und endlich
5.1. Chancen nutzen – den Demografischen
offen und ehrlich über die Gestaltung des demo-
Wandel aktiv gestalten
grafischen Wandels debattiert. Dazu gehören
Wir werden älter, weniger und bunter. Dieses
kleinräumige Analysen, welche Investitionen in
Motto der Enquetekommission des Landtages
den nächsten Jahren nötig wären, um den jetzi-
„Demografischer Wandel – Herausforderungen
gen Lebensstandard zu halten und welche Kon-
an die Landespolitik“ zeigt kurz und prägnant
sequenzen aus dieser Analyse zu ziehen sind. In
die derzeitige Entwicklung unserer Gesellschaft
unserem Konzeptpapier „Hessens Kommunen
auf. Wir werden älter: Die Lebenserwartung
fair finanzieren“ sehen wir ein neues Finanzie-
steigt an, aber auch die Zahl der gesunden Le-
rungsmodell im Kommunalen Finanzausgleich
bensjahre steigt an. Das hat uns bereits heute
vor. Doch machen wir uns nichts vor: Diese Fi-
eine engagierte ältere Generation von Bürge-
nanzierung wird nicht ein „Weiter so“ für alle
rinnen und Bürgern gebracht, die sich aktiv in
ermöglichen, sondern gezielte Förderung für
die Gesellschaft einbringt. Aber wir haben auch
ausgewählte Ortsteile oder Gemeinden ebenso
eine anwachsende Anzahl von Menschen, die
beinhalten wie mancherorts konkreten Rückbau
auf Unterstützung bei der Selbstbestimmung
notwendig machen. Wir wollen daher bereits
und der Teilhabe an der Gesellschaft angewie-
heute nicht mehr mit unverbindlichen Diskussi-
sen sind. Wir werden weniger: Die Stagnation
onskreisen oder mittellosen Demografiebeauf-
der Bevölkerungszahlen ist auf den ersten Blick
tragten, sondern mit professionellen Partizipa-
in einem Land mit einer hohen Bevölkerungs-
tionsprozessen für eine breite Beteiligung der
dichte kaum ein Problem. Bei genauer Betrach-
Bürgerinnen und Bürger an der Zukunftsplanung
tung müssen wir aber konstatieren, dass es sehr
an ihrem Ort und in ihrer Region sorgen.
große regionale Unterschiede gibt. Insbesondere
16
im ländlichen Raum wirft der Bevölkerungsrück-
5.2. Gemeinwohlorientierung und Selbstorga-
gang – durch Abwanderung jüngerer, zuneh-
nisation unterstützen
mend aber auch älterer Menschen in die Kern-
In Stadt und Land wandelt sich unsere Gesell-
städte und Ballungsräume, und durch Verbleib
schaft. Gesellschaftliche
fast ausschließlich Älterer – erhebliche Fragen für
der Nahversorgung, über Gesundheitsversor-
die Zukunft auf. Wir werden bunter: Hessen ist
gung bis hin zu vielfältigen Wohnprojekten im
ein Einwanderungsland und die zu uns kommen-
Alter werden immer mehr nachgefragt. Genos-
den Menschen bereichern unsere gesellschaft-
senschaften, soziale und solidarische Ökonomie
liche Vielfalt. Vielerorts findet allerdings auch
sind ein wachsender, heute aber noch kleiner
Segregation nach Herkunft, sozialem Status und
Wirtschaftssektor, der Gemeinwohlorientierung,
zunehmend auch Alter statt. Diesen Herausfor-
Selbstorganisation und Bereitstellung von Gütern
derungen muss sich unsere Gesellschaft heute
und Dienstleistungen verbindet. In Kooperation
stellen; es wäre verantwortungslos, würden wir
mit den Fachhochschulen und den Kommunen
diese Herkules-Aufgabe zukünftigen Generatio-
wollen wir den Ausbau dieses Wirtschaftsbe-
nen überlassen.
reichs in Stadt und Land vorantreiben.
Dienstleistungen von
5.3. Altersarmut verhindern
5.5. Selbstbestimmtes Leben auch bei Pflegebe-
Älteren Menschen wollen wir ebenso wie jün-
dürftigkeit ermöglichen
geren die echte Teilhabe an der Gesellschaft er-
Wir wollen uns der großen Herausforderung,
möglichen. Altersarmut bedeutet oft unwieder-
ein
bringlich den Ausschluss von der Teilhabe am
Leben bei Pflegebedürftigkeit und Demenz zu
gesellschaftlichen Leben. Vor allem Menschen
ermöglichen, auch in der Landespolitik stellen.
mit geringem Einkommen und Personen, die
Die zunehmende Zahl pflegebedürftiger und
nicht ununterbrochen erwerbstätig waren, wird
von Demenzerkrankungen betroffener Men-
es in Zukunft immer weniger gelingen, ausrei-
schen erfordert eine Pflegepolitik, die Lösungen
chende Rentenansprüche zu erwerben. Deshalb
nicht isoliert, sondern in Zusammenarbeit mit
brauchen wir zum einen eine Rentenpolitik auf
den Betroffenen und ihren Angehörigen, mit
Bundesebene, die es allen erlaubt in Würde zu
den Kommunen und den Wohlfahrtsverbänden
altern und einen Rentenbezug, der vor Armut
anbietet. Wir sehen das Land in der Verantwor-
schützt. Auch die Einführung eines flächende-
tung, für gute Rahmenbedingungen in der Pfle-
ckenden Mindestlohns und die Reduzierung von
ge und für ein würdiges und selbstbestimmtes
geringfügiger und prekärer Beschäftigung sind
Leben der Hessinnen und Hessen im Alter zu
wesentliche Bausteine für existenzsichernde Ein-
sorgen. Wir setzen uns deshalb für ein stärkeres
kommen und Renten. Begleitet werden muss
Engagement des Landes an der Gestaltung der
dies zum anderen durch eine präventive Politik
Pflegestützpunkte und der Förderung von am-
auf Landesebene. Mit zukunftsorientierten Aus-
bulanten Versorgungskonzepten für demenziell
bildungsprogrammen soll Jungen und Mädchen
Erkrankte ein. Das Hessische Gesetz über Betreu-
die dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt
ungs- und Pflegeleistungen wollen wir zu einem
ermöglicht werden. Auch eine Familienpolitik
modernen und an den Bedürfnissen der pflege-
auf Landesebene, die Familien in ihren Aufgaben
bedürftigen Menschen orientierten Pflegegesetz
unterstützt und bedarfsgerechte Kinderbetreu-
weiterentwickeln.
ungsangebote gewährt, die die Vereinbarkeit
ganzheitlichen, auf den individuellen Bedarf aus-
von Berufstätigkeit und Familienleben für Män-
gerichteten Pflege werden. Selbstbestimmung
ner und Frauen ermöglicht, trägt zur Teilhabe für
und Würde der pflegebedürftigen Menschen,
alle bis ins hohe Alter bei.
die Sicherstellung von Qualität der Pflege, gute
menschenwürdiges und selbstbestimmtes
Die
Pflege muss zu einer
Arbeitsbedingungen, ein engmaschiges, be5.4. Voraussetzungen für individuelles
darfsgerechtes, innovatives und flexibles Pflege-
Wohnen schaffen
angebot einschließlich komplementärer Dienste
Entsprechend der Vielfalt der Lebensformen
und vor allem gut ausgebildete Fachkräfte in
von Menschen wollen wir gemeinsam mit den
genügender Anzahl betrachten wir als grundle-
Bürgerinnen und Bürgern verschiedene Wohn-
gende Aufgaben und Ziele einer zukunftsfesten
formen entwickeln und fördern. Die Vielfalt der
Pflegepolitik.
älteren Menschen drückt sich auch in ihren individuellen Wohnwünschen aus. Dabei ist der
5.6 Pflegeausbildung reformieren
Erhalt öffentlich geförderter Wohnungen und
Seit Jahren verschärft sich der Mangel an aus-
Wohnanlagen wichtig für Menschen aller Ein-
reichendem und qualifiziertem Personal in der
kommensgruppen.
Kranken- und Altenpflege. Der professionelle
17
Pflegebedarf wird in den nächsten Jahren anstei-
Unsere Sozialpolitik bedeutet Parteinahme für
gen. Immer weniger Pflegebedürftige werden
die Schwächsten in unserer Gesellschaft – und
von ihren Angehörigen gepflegt werden (kön-
dazu gehören mit Sicherheit pflegebedürftige
nen). Wir werden deshalb mehr qualifiziertes
Menschen. Sie haben ein Recht auf Schutz vor
Personal brauchen. Dafür werden wir ein Pro-
unsachgemäßer Pflege ebenso wie ein Recht auf
gramm auflegen, das den notwendigen Perso-
gute Pflege. Eine Pflegekammer ist daher auch
nal-Mix in der Pflege und die dafür notwendigen
ein wichtiger Baustein des gesundheitlichen Ver-
Ausbildungen auf eine solide Grundlage stellt.
braucherschutzes.
Letztendlich brauchen wir aber eine grundsätz-
tur des Pflegeberufs weit hinter anderen euro-
6. Inklusion behinderter Menschen in
alle Lebensbereiche unserer Gesellschaft
päischen Ländern zurück. Viele Arbeiten, die
Wir GRÜNE treten für eine Gesellschaft ein, in
in diesen Ländern selbstverständlich von Pfle-
der Menschen in ihrer ganzen Vielfalt gleichbe-
geberufen ausgeführt werden, sind hier in der
rechtigt und selbstbestimmt miteinander leben
Verantwortung von Ärztinnen und Ärzten. Das
und an allen Aktivitäten des täglichen Lebens
Problem des Fachkräftemangels in der Pflege
selbstverständlich teilhaben können. Vielfalt ist
wird daher nicht durch den Zuzug qualifizierten
für uns nicht nur gesellschaftliche Realität, son-
Pflegepersonals aus dem europäischen Ausland
dern auch ein hohes Gut, von dem eine ganze
gelöst werden können. Die Zusammenführung
Gesellschaft profitiert. Unser Ziel ist eine inklusi-
der Kranken- und Altenpflege in einer modu-
ve Gesellschaft, die frei ist von kommunikativen
larisierten Ausbildung hat zum Ziel, die Pflege
und baulichen Barrieren sowie frei von Vorurtei-
insgesamt aufzuwerten, die Voraussetzungen
len und Diskriminierungen. Die Inklusion von
für eine hohe Qualität der Pflege zu schaffen
Menschen mit Behinderung begreifen wir als
und die Finanzierung solidarisch sicherzustellen.
eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe. Sie be-
Eine solche Reform bedarf einer Neukonzeption
ginnt in Kindergarten und Schule, setzt sich fort
der gesamten Ausbildung, der unterschiedlichen
im Arbeitsleben und wird auch für ältere Men-
Qualifikationsstufen und einer darauf aufbauen-
schen eine immer größere Rolle spielen. Besone-
den verbindlichen Fort- und Weiterbildung.
res Augenmerk legen wir auch auf die Probleme
liche Reform der Alten- und Krankenpflege.
Deutschland und Hessen liegen bei der Struk-
von Frauen mit Behinderungen. Die Umsetzung
5.7. Pflegekammer aufbauen
in der UN-Behindertenrechtskonvention steht in
Die rasante Entwicklung der wissenschaftlichen
allen Bereichen unseres Landes auf der Tages-
Erkenntnisse im Gesundheitsbereich und ihre
ordnung und wird unsere Gesellschaft nicht nur
Umsetzung in der Praxis machen eine struktu-
gerechter machen, sondern auch bereichern.
rierte und verbindliche Fort- und Weiterbildung
18
notwendig. Die Verantwortung dafür wollen wir
6.1. Barrierefreiheit als universelles Gestal-
– wie dies in anderen Gesundheitsberufen bereits
tungsdesign umsetzen
geschieht – einer Kammer zuweisen. Eine Pfle-
Gemäß unserem Gerechtigkeitsideal der glei-
gekammer stärkt die Rechte und das Ansehen
chen Teilhabe für alle ist der ungehinderte Zu-
der professionellen Pflege. Sie leistet aber auch
gang für alle zum öffentlichen Raum, und ins-
einen wichtigen Beitrag zur Qualität von Pflege.
besondere zu Bildung, wesentliche Anforderung
an unsere Sozialpolitik. Barrierefreiheit auf allen
halb von Werkstätten für Behinderte schaffen.
Ebenen ohne Zugangshürden, der Abbau von
Unser Ziel sind möglichst viele Arbeitsplätze im
sozialen, kommunikativen und räumlichen Bar-
ersten Arbeitsmarkt. Viele Unternehmen, gera-
rieren, ist unser Ziel. Wir haben dabei beson-
de Klein-und Mittelbetriebe sind durchaus be-
ders Menschen mit Behinderung, aber auch den
reit, auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit
wachsenden Anteil älterer Menschen im Blick
Beeinträchtigungen zu beschäftigen, wenn dies
und wollen ihnen ein selbstbestimmtes Leben in
ohne großen Aufwand möglich ist. Durch den
der Gemeinschaft und umfassende Teilhabe er-
sozialen Arbeitsmarkt, der es den Kommunen
möglichen. Wie in unserem Konzeptpapier „Bar-
und anderen Arbeitgebern ermöglicht, langfristi-
rierefreiheit als universelles Gestaltungsdesign“
ge sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs-
beschrieben, ist die Gestaltung von öffentlichen
verhältnisse zur Verfügung zu stellen, können
und privaten Räumen ohne Zugangshürden eine
auch Menschen mit chronischen Erkrankungen
wesentliche Grundvoraussetzung für gleichbe-
oder Behinderungen wieder ohne Diskriminie-
rechtigte Teilhabe.
rung in den Arbeitsmarkt vor Ort in einer Gemeinde integriert werden. Schließlich wollen wir
Wir streben an, dass neue Gebäude und Woh-
bei der Gestaltung sozialer Leistungen den tradi-
nungen in Zukunft nicht nur energetische Aspek-
tionell eher einrichtungszentrierten Ansatz durch
te berücksichtigen, sondern auch den Kriterien
einen personenzentrierten Ansatz ablösen: die
„ barrierefrei“ bzw. „altersgerecht“ zu entspre-
Menschen mit Behinderung mit ihren jeweils in-
chen haben. Die Vielfalt von Arbeit, Arbeitsplät-
dividuellen Bedürfnissen müssen im Mittelpunkt
zen, Freizeitverhalten und Wohnraum muss der
der Gestaltung der Behindertenhilfe stehen. Der
Vielfalt der Menschen, die dort arbeiten und le-
Landeswohlfahrtsverband Hessen ist hier auf
ben, gerecht werden. In einem Stufenprogramm
einem guten Wege. Ambulante Hilfsangebote
wollen wir die Barrierefreiheit in allen Bereichen
müssen deutlichen Vorrang haben vor stationä-
des öffentlichen Lebens erreichen. Dazu gehö-
rer oder teilstationärer Unterbringung.
ren z.B. das Gesundheitswesen, aber auch Gaststätten, Kinos und andere Einrichtungen der
Freizeitgestaltung. Darüber hinaus wollen wir
7. Gesundheit
die Inklusion in unseren Bildungseinrichtungen,
Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung
insbesondere in Kindergärten und Schulen, als
für umfassende Teilhabe an der Gesellschaft.
wichtige Herausforderung der nächsten Jahre
Sie ist nicht nur um ihrer selbst willen zentral für
aktiv und konsequent angehen. Damit kommen
ein gelingendes Leben ohne physische und psy-
wir nicht nur einer Forderung der UN-Behinder-
chische Beeinträchtigungen, sondern hat Aus-
tenrechtskonvention nach, sondern setzen das
wirkungen im Alltag und am Arbeitsplatz. Wer
Recht aller Kinder – also auch derjenigen ohne
krank ist, ist auch häufiger arbeitslos. Und wer
Behinderung – auf ihre individuelle Förderung in
krank und arbeitslos ist, ist nicht selten von Ar-
die Realität um.
mut bedroht. Arme Menschen haben eine geringere Lebenserwartung als voll in die Gesellschaft
6.2. Teilhabe durch inklusiven Arbeitsmarkt er-
integrierte. Gesundheit ist vom sozioökonomi-
leichtern
schen Status einer Person abhängig – ein Ge-
Wir wollen Beschäftigungsverhältnisse auch für
rechtigkeitsskandal, den wir GRÜNE so nicht
Menschen mit schweren Behinderungen außer-
hinnehmen wollen und werden.
19
7.1 Die Gesundheit fördern
7.2. Den
Gesundheitsförderung und Prävention sind ein
stärken
Schwerpunkt der ganzheitlichen Betrachtung
Wir wollen den derzeitigen Gesundheitsdienst
von Menschen. Wir wissen: je früher bestimm-
der Landkreise und Städte zu einem Haus der
te Lebenskompetenzen erworben werden, desto
Gesundheit weiterentwickeln, wie dies im Kon-
eher werden diese auch in entsprechende Ver-
zeptpapier „Gesundheit im ländlichen Raum“
haltensweisen umgesetzt. In den meisten Fällen
dargestellt ist. Wesentliche Aufgaben sind die
sind die Gesundheit fördernde Lebensweisen am
Gesundheitsförderung und -prävention sowie die
einfachsten zu erreichen, wenn das so genannte
bessere und effizientere Koordination vorhande-
Setting – also der Lebensbereich wie Kindergar-
ner Angebote der Versorgung.
ten, Schule oder Arbeitsplatz u.a. – im Zentrum
wir eine Reform des öffentlichen Gesundheits-
von Maßnahmen steht. Derzeit wird Gesund-
dienstes einleiten. Denn der gerechte Zugang zu
heitsförderung in einer Unzahl von befristeten
Gesundheitsversorgung ist in sozial benachteilig-
Projekten zweifelhafter Wirkung durchgeführt;
ten Quartieren bereits heute nicht gewährleistet.
oft werden sie von Krankenkassen für Eigenwer-
Außerdem entstehen auch im ländlichen Raum
bung genutzt.
wegen des demografischen Wandels und der
öffentlichen Gesundheitsdienstes
Dazu werden
Abwanderung aus strukturschwachen Gegenden
Auch wenn die gesundheitspolitischen Entschei-
zunehmend weiße Flecken der Versorgung. Dem
dungen überwiegend in den Zuständigkeitsbe-
wollen wir entgegentreten, indem wir durch För-
reich der Bundesebene fallen, stehen Land und
derung innovativer Versorgungsmodelle – zum
Kommunen in der Verantwortung, die ihnen zu-
Beispiel mit der Gemeindepflege, „Ärzte auf
gewiesenen Aufgaben auch im Gesundheitsbe-
Rädern“ und ganzheitlichen, fachübergreifende
reich wahrzunehmen. Die Gesundheit zu fördern
Versorgungszentren – den Zugang zu einer qua-
und das Entstehen von Krankheiten zu vermei-
litativ hochwertigen Gesundheitsversorgung für
den, eine gute Krankenversorgung in Stadt und
alle als wichtigen Baustein gesellschaftlicher Teil-
Land zu gewährleisten und Krankenhäuser, ins-
habe in Stadt und Land gewährleisten.
besondere kommunale Krankenhäuser, in ihrem
Versorgungsauftrag zu stärken, sind die Ziele unserer Gesundheitspolitik auf Landesebene.
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IV. Neuorientierung der Aufgaben und Kompetenzen zwischen Land und Kommunen
Ein handlungsfähiger Staat und starke öffentliche
dung und etabliert einen systematischen Erfah-
Institutionen, die in der Lage sind, soziale Barrie-
rungsaustausch.
ren abzubauen und die Menschen mit ihren Fähigkeiten und Talenten so zu unterstützen, dass
2. Die Durchführung gesetzlich festgelegter
alle selbstbestimmt teilhaben können, beinhal-
Leistungen durch die Kommunen muss in aus-
tet die Entscheidung, welche Maßnahmen von
reichendem Maße seitens des Landes (bzw. ggf.
welcher Verwaltungsebene am sinnvollsten und
des Bundes) gewährleistet sein. Dabei ist ins-
kompetentesten zu erbringen sind. Eine Neu-
besondere auch auf eine faire Verteilung der
orientierung der Aufgaben und Kompetenzen ist
Finanzmittel im Rahmen des reformierten kom-
besonders für die Sozialpolitik von zentraler Be-
munalen Finanzausgleichs zu achten.
deutung. Eine solche Neuorientierung muss vom
Grundsatz der Subsidiarität geleitet sein und in
3. Das Land wird im Rahmen seiner freiwilligen
ihrer konkreten Umsetzung mit den verschiede-
Leistungen eine ermöglichende Sozialpolitik ge-
nen Ebenen im Lichte unserer Gerechtigkeitsidee
stalten, die sich am Anspruch der gleichen Teil-
der gleichen Freiheit und Teilhabe für alle offen
habe für alle ausrichtet. Durch den gezielten und
diskutiert werden. Gemeinsam mit den Kommu-
verantwortungsvollen Einsatz von Landesmitteln
nen werden wir eine Kritik und Beschreibung der
wird vorrangig die soziale Infrastruktur Hessens
Aufgaben der verschiedenen Verwaltungsebe-
gestärkt und zukunftsfest gemacht.
nen (Bund, Land, Regierungspräsidien, Kreise
und Städte, Gemeinden) vornehmen.
In der hessischen Verfassung ist das Konnexitäts-
1. Die Kommunen in ihren sozialen Aufgaben stärken
prinzip verankert. Das darf aber nicht heißen,
Gerechte Teilhabe für alle entscheidet sich maß-
wie die CDU/FDP-Landesregierung es bislang
geblich vor Ort in den Kommunen. Kommunen
handhabt, die Kommunen mit ihren sozialen
sind aufgrund der Nähe zu den Bürgerinnen und
Aufgaben allein zu lassen oder ihnen sogar stän-
Bürgern und ihren vielfältigen Angeboten (oft
dig neue Aufgaben zuzuweisen. Wir brauchen
gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden) für
daher klare Definitionen der sozialen Aufgaben
die Bürgerinnen und Bürger besonders geeignet,
auf Landesebene und in den Kommunen, wobei
individuelle Hilfestellung in schwierigen Lebens-
folgende Bausteine die Diskussion darüber struk-
lagen zu geben. Durch Synergie-Effekte der ver-
turieren und leiten sollten:
schiedenen lokalen Einrichtungen lassen sich hier
maßgeschneiderte Lösungen für jeden einzelnen
1. Das Land konzentriert sich auf die Zielsetzung
Menschen finden, die ihm eine echte Teilhabe an
und Rahmenvorgaben für die Sozialpolitik. Dazu
der Gesellschaft ermöglichen kann. Auf kommu-
gehören die Entwicklung von Zielvorgaben und
naler Ebene gehen dabei Solidarität und Subsi-
Indikatoren und die Evaluation der Maßnahmen.
diarität Hand in Hand mit der Partizipation einer
Darüber hinaus leistet das Land Unterstützung
pluralen und selbstbestimmten aktiven Bürger-
durch Qualitätszirkel und Landesarbeitsgemein-
Innengesellschaft. Eine ermöglichende Sozial-
schaften bei Koordination, Fort- und Weiterbil-
politik nach unserem Verständnis setzt deshalb
21
auch eine Stärkung der sozialen Aufgaben der
Aber auch hier müssen wir feststellen, dass es
Kommunen voraus.
eine wachsende Kluft zwischen armen und reichen Kommunen gibt, die auf die strukturelle
Dafür schlagen wir einen neuen Sozialvertrag
Unterfinanzierung von Städten und Gemeinden
für Hessen zwischen Land, Kommunen und
zurückzuführen ist. Zudem haben wir in Hessen,
Wohlfahrtsverbänden vor, der im Dialog erarbei-
zum Beispiel mit dem Rhein-Main-Gebiet, eine
tet, breit und transparent diskutiert und in einem
prosperierende Region, während andere Regio-
Aktionsplan für ein soziales Hessen umgesetzt
nen als strukturschwach zu bezeichnen sind. Um
werden soll.
für mehr Gerechtigkeit zwischen den Kommunen zu sorgen, brauchen wir mehr Solidarität
Die heutige Kommunalisierung sozialer Hilfen
zwischen den Kommunen.
wird dazu im Vorfeld einer kritischen Überprüfung unterzogen. Die sozialen Hilfen und Pro-
Insbesondere im ländlichen Raum befinden sich
gramme müssen sich direkt an den Menschen
die Kommunen infolge des demographischen
orientieren und sie in ihrer Selbstbestimmung
Wandels und durch die Abwanderung jünge-
stärken. Hierzu wollen wir mit Hilfe einer lan-
rer Menschen in einer Spirale der Verschuldung
desweiten Sozialberichterstattung die Ergebnisse
aus wachsenden sozialen Kosten und sinkenden
bisheriger Sozialpolitik evaluieren, vergleichbar
Einnahmen vor Ort. Der derzeitige kommunale
darstellen und hinsichtlich ihrer Wirkung auf die
Finanzausgleich (KFA) schafft es nicht, Gerech-
Menschen, auf die sozialpolitischen Ziele und
tigkeit zwischen den Kommunen und Regionen
ihre Wirtschaftlichkeit hin bewerten. Die meis-
herzustellen. Von daher ist es nur konsequent,
ten Kommunen verfügen über die notwendigen
dass wir GRÜNE in unserem Konzeptpapier
Kompetenzen und Kooperationen – auch der
„Hessens Kommunen fair finanzieren“ eine be-
Ämter – zur Erzielung von Synergieeffekten, die
sondere Regelung für strukturschwache Kom-
dafür sorgen, dass die Mittel unmittelbar dort
munen vorsehen. Der ländliche Raum muss
eingesetzt werden, wo sie für die Gestaltung
seinen Schrumpfungsprozess aktiv gestalten
selbstbestimmten Lebens oder zur Beseitigung
(können). Einwohnerverlust und der zunehmen-
bestimmter Notlagen notwendig sind.
de Anteil älterer Menschen erfordern u. a. einen
Rück- oder Umbau von Infrastruktur. Diesen fi-
Das Land hat dafür zu sorgen, dass diese kom-
nanziellen Aufwendungen stehen prinzipiell sin-
munalen Angebote in bester Qualität (Aus-,
kende KFA-Zuweisungen gegenüber, da diese
Fort- und Weiterbildung, Vernetzung, Partizi-
wesentlich von der Einwohnerzahl abhängen.
pation, etc.) erbracht werden können und neue,
Die dadurch entstehende Finanzierungslücke
innovative Maßnahmen erprobt, wissenschaft-
wollen wir jedoch zum einen durch die Reform
lich begleitet und – bei guter Erfahrung – in der
des KFAs abmildern. Zum anderen wollen wir die
Breite eingeführt werden können.
notwendigen Anpassungsprozesse durch zeitlich
begrenzte und klar definierte Bedarfszuweisungen unterstützen. Als Ergebnis des Rückbaus
2. Einen fairen Ausgleich zwischen den schließt sich dann die durch den InfrastrukturKommunen herstellen
überhang verursachte Finanzierungslücke wie-
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Wir konstatieren eine zunehmend angespannte
der, so dass die besonderen Bedarfszuweisungen
Finanzlage der meisten Kommunen in Hessen.
abgebaut werden können.
3. Landesweite Sozialpolitik verlässlich
gestalten – das Sozialbudget
Wir wollen mit den freiwilligen sozialen Leistungen des Landes durch ein Sozialbudget eine
hessische Sozialpolitik gestalten, die durch den
verantwortungsvollen Einsatz von Landesmitteln die soziale Infrastruktur in Hessen zukunftsfest mitgestaltet. Das GRÜNE Sozialbudget gibt
durch eine verbindliche Festschreibung der Landesmittel über den laufenden Haushalt hinaus
den Menschen, den Kommunen und Trägern
sozialer Dienste Planungssicherheit, ermöglicht den wirkungsvollen und effizienten Einsatz
öffentlicher Mittel durch Qualitätsstandards,
Wirkungsorientierung und Evaluation und sichert bestehende bzw. schafft neue, zukunftsorientierte Arbeitsplätze. Wir wollen die soziale
Infrastruktur in Hessen sichern und im Interesse
der Menschen weiter entwickeln. Aus den Mitteln des Sozialbudgets können auch Kommunen unterstützt werden, die Angebote über die
Grenzen ihres Gebiets hinweg anbieten, wie z.B.
bei der Suchthilfe oder der Betreuung von Menschen mit HIV/AIDS.
23
V. Fazit
In Hessen ist es endlich Zeit für eine neue Politik
Wir wollen eine Sozialpolitik, die allen Menschen
der sozialen Gerechtigkeit. Eine gerechte Sozial-
– ob alt oder jung, Mann oder Frau, arm oder
politik für Hessen erfordert einen Kompass, der
reich, krank oder gesund, mit oder ohne Behin-
auf gleiche Freiheit, d.h. die Ermöglichung von
derung, mit oder ohne Migrationshintergrund
Selbstbestimmung und Teilhabe für alle Men-
und religiös oder nicht – die Möglichkeit gibt,
schen, ausgerichtet ist. Die Stärkung öffentli-
Teil der Gesellschaft zu sein. Wir wollen eine
cher Institutionen mit ihrer zentralen Aufgabe,
Sozialpolitik, die die Menschen in ihrer Selbstbe-
ein gelingendes Leben ohne soziale Blockaden
stimmung stärkt, sie in ihren eigenen Anstren-
zu ermöglichen, hat für uns dabei oberste Prio-
gungen unterstützt und ihre Vielfalt als Bereiche-
rität. Wir wollen keine paternalistische und ob-
rung für die Gesellschaft anerkennt.
rigkeitsstaatliche Sozialpolitik, die den Menschen
bestimmte Lebenspfade und Verhaltensweisen
Wir werden uns für eine verlässliche und ge-
vorgibt. Wir GRÜNE wollen vielmehr eine er-
rechte Landespolitik einsetzen, damit unsere Ge-
möglichende Sozialpolitik mit einem handlungs-
sellschaft in der Lage ist, den demographischen
fähigen, nachhaltig wirtschaftenden Staat, der
Wandel zu gestalten, die Herausforderungen der
die notwendigen öffentlichen Güter für eine
Wissens- und Informationsgesellschaft zu beant-
lebenswerte Umwelt sowie für eine intakte und
worten und einer weiter wachsenden Aufspal-
inklusive Gesellschaft und eine innovative Wirt-
tung in Arm und Reich entgegen zu wirken.
schaft bereitstellt.
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IHR DRAHT ZUR FRAKTION
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fraktion im Hessischen Landtag
Schlossplatz 1-3
65183 Wiesbaden
ZUSTÄNDIGE ABGEORDNETE
KORDULA SCHULZ-ASCHE
Stellv. Fraktionsvorsitzende
Sprecherin für Demografischen
Wandel, Gesundheit, und Behindertenpolitik
Tel.: 0611/350-749
[email protected]
MITARBEITERIN
BETTINA SCHREIBER
Referentin: Gesundheit, Soziales,
Frauen, Kinder, Jugend,
Behindertenpolitik
Tel.: 0611/350-587
[email protected]
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