19 Soziale Gerechtigkeit Freiheit und Teilhabe für alle Hessinnen und Hessen Hessen braucht neue Antworten auf die wichtigen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit. Die Grünen wollen Alternativen zur schwarz-gelben Politik aufzeigen und Antworten geben: mit innovativen, manchmal auch provokanten und für die Gesellschaft relevanten Konzepten. Mit diesen neuen Konzepten bekräftigen wir unseren selbstbewussten Anspruch, die ökologische, soziale und progressive Kraft der Linken Mitte zu werden. Es ist Zeit für grüne Konzepte, um Hessen fit für die Zukunft zu machen. Unsere Maxime lautet deshalb: Konzepte für Hessen – Mit Grün geht’s besser! Fraktionsvorsitzender Weitere Informationen, die Möglichkeiten zum Download und zur Bestellung aller bislang erschienen Konzeptpapiere finden Sie unter: www.gruene-hessen.de - Konzepte für Hessen Soziale Gerechtigkeit: Freiheit und Teilhabe für alle Hessinnen und Hessen Inhalt I. Einleitung...........................................................................................................3 1. Die Gesellschaft driftet auseinander.........................................................3 2. Für ein sozial gerechteres Hessen............................................................4 II. Eine ermöglichende Sozialpolitik für Hessen - Grundsätze...............................5 III. Handlungsfelder und Maßnahmen...................................................................8 1. Armut verhindern und bekämpfen..........................................................8 2. Chancengerechtigkeit von Klein an – Bildung als Schlüssel....................10 3. Arbeitsmarkt sozial und ökologisch gestalten........................................12 4. Gleichberechtigung von Männern und Frauen voranbringen................14 5. Generationengerechter demografischer Wandel...................................15 6. Inklusion behinderter Menschen in alle Lebensbereiche........................19 7. Gesundheit...........................................................................................20 IV. Neuorientierung der Aufgaben und Kompetenzen zwischen Land und Kommunen................................................................22 1. Kommunen in ihren sozialen Aufgaben stärken.....................................22 2. Einen fairen Ausgleich zwischen den Kommunen herstellen..................23 3. Landesweite Sozialpolitik verlässlich gestalten - das Sozialbudget.........24 V. Fazit................................................................................................................25 1 I. Einleitung 1. Die Gesellschaft driftet auseinander besuchen – und das bei gleicher Intelligenz und Die soziale Schere in unserer Gesellschaft geht gleichem Lernvermögen. Besonders schlecht ist auseinander. Das zeigt sich an der Verteilung von Hessen im Ländervergleich einer aktuellen Bil- Einkommen und Vermögen, aber auch am Zu- dungsstudie der Bertelsmann-Stiftung zufolge gang zu guter Bildung, Arbeit und Gesundheit. bei der Inklusion von Schülerinnen und Schülern In kaum einem anderen Industrieland sind die mit besonderem Förderungsbedarf. Besonders Aufstiegschancen innerhalb der Gesellschaft so schwer wiegt zudem die Tatsache, dass knapp gering ausgeprägt wie in Deutschland. 12 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit 1 Migrationshintergrund die Schule ohne SchulabBei der sozialen Gerechtigkeit in den Staaten schluss verlassen und damit keine echte Chance der OECD liegt Deutschland insgesamt nur im auf Teilhabe an der Gesellschaft erhalten. Mittelfeld. In unserem reichen Land gibt es ein Zwar liegt die Zahl der armen und von Armut be- erschreckendes Ausmaß an Kinderarmut (jedes drohten Menschen in Hessen im Jahre 2010 bei neunte Kind lebt unter der Armutsgrenze), die 12,1 Prozent der Bevölkerung etwas unter dem deren soziale Teilhabe einschränkt und damit ein Bundesdurchschnitt mit 14,5 Prozent. selbstbestimmtes Leben schwer möglich macht. ders auffällig ist jedoch die hohe Abhängigkeit Dazu kommen Defizite in der frühkindlichen Bil- von der individuellen Erwerbssituation und den dung, die eine wichtige Voraussetzung für Teil- persönlichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt. habechancen für das gesamte Leben darstellt. Rund 43 Prozent der arbeitslosen Menschen Insbesondere Langzeitarbeitslose und Gering- sind von Armut bedroht; bei den Erwerbstätigen qualifizierte, aber auch ältere oder behinderte sind es demgegenüber „nur“ 6,2 Prozent. Auch Menschen sowie Menschen mit Migrations- die Berufsqualifikation spielt eine wichtige Rol- hintergrund haben Schwierigkeiten, auf dem le. So tragen 24 Prozent der Geringqualifizierten Arbeitsmarkt ihren Platz zu finden. Außerdem ein erhöhtes Armutsrisiko. Als geringqualifizier- wird in der deutschen Gesellschaft das Zusam- ter Haupteinkommensbezieher in einem Mehr- menleben von Menschen aus verschiedenen personenhaushalt steigt das Armutsrisiko sogar Kulturkreisen nach wie vor eher als Risiko, denn auf 32 Prozent an. Auch für Alleinerziehende als Chance für die Gesellschaft wahrgenommen. (29 Prozent) und Familien mit drei oder mehr 2 Beson- Kindern (22 Prozent) ist ein hohes Risiko zu verAlle diese Befunde gelten auch für Hessen, das zeichnen. Zudem ist jedes siebte Kind (bis 18) selbst als reiches Bundesland nicht mit einer gu- und jeder fünfte junge Erwachsene (18 bis 24 ten Bilanz bei sozialer Gerechtigkeit aufwarten Jahre) armutsgefährdet, während die Jahrgänge kann. Trotz guter Konjunktur ist die Zahl der über 50 Jahren bisher unter dem Landesdurch- Langzeitarbeitslosen mit gut einem Drittel unter schnitt beim Armutsrisiko liegen. den Arbeitsuchenden nach wie vor erschreckend Unterschiede zeigen sich auch bei der Bevölke- hoch. Vor allem bei der Bildung herrschen gro- rung mit Migrationshintergrund, die mit einem ße Defizite. In Hessen hat ein Akademikerkind im Anteil von 23 Prozent nahezu dreimal häufiger Vergleich zu einem Kind aus einer Arbeiterfamilie von Armut betroffen ist als die Bevölkerung eine deutlich höhere Chance, ein Gymnasium zu ohne Migrationshintergrund (8,5 Prozent). 3 Vgl. Pollak, Reinhard (2010): Kaum Bewegung, viel Ungleichheit. Eine Studie zum sozialen Auf- und Abstieg in Deutschland (im Auftrag und herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung), Berlin. 2 Vgl. Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.) (2010): Soziale Gerechtigkeit in der OECD – wo steht Deutschland? Sustainable Governance Indicators 2011, Gütersloh. 3 Vgl. Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2012): Arbeitslosigkeit und Arbeitsstellen, Deutschland und Bundesländer, Juni 2012, Nürnberg. 1 2 Deutliche 2. Für ein sozial gerechtes Hessen – mit Es geht um ein selbstbestimmtes Leben und die einer ermöglichenden Sozialpolitik in gleichen Lebenschancen für alle in einer inklusidie Zukunft der Menschen investieren ven Gesellschaft, in der jeder Mensch gleich viel Die hessische Landesregierung ist seit 1999 trotz wert ist und das Zusammenleben in Vielfalt eine all dieser Problembereiche der Prototyp des so- Bereicherung für alle darstellt. zialpolitischen Nichtstuns. Nach extremen Einschnitten im Landeshaushalt 2004 durch die Eine solche Politik der Gerechtigkeit ist eine an „Operation Düstere Zukunft“ hat sie den An- den Menschen orientierte ermöglichende Sozi- spruch auf eine Landessozialpolitik de facto auf- alpolitik, die das friedliche Zusammenleben vor gegeben. Gespart wurde zudem vor allem bei Ort – unabhängig von Generation, Geschlecht, den Schwachen und ohnehin schon Benachtei- Behinderung, kulturellem Hintergrund – erleich- ligten. So wurden beispielsweise die Mittel für tert und die Menschen in der Bewältigung der die Schuldnerberatung völlig gestrichen und die Herausforderungen ihres Alltags durch vielfältige Unterstützung der Gemeinwesenarbeit in sozial Angebote guter Qualität unterstützt. Statt Geld benachteiligten Stadtvierteln fast vollständig zu- in Beton und sinnlose Prestigeprojekte zu geben, sammengekürzt. Die Unterstützung von Frau- legen wir unseren Schwerpunkt ganz klar auf Zu- enhäusern, die Arbeit der HIV/AIDS-Prävention kunftsinvestitionen in die Menschen, wie in den und viele andere Bereiche wurden erst gekürzt Bereichen der Kinderbetreuung, der Bildung, der und dann an die Kommunen abgegeben – mit eigenständigen Existenzsicherung und der Hilfen dem Effekt einer „Kalten Kommunalisierung“ in besonderen Notlagen. Nur mit einer solchen ohne finanziellen Ausgleich. Bis heute fehlt es ermöglichenden Sozialpolitik, mit Investitionen der Landesregierung am Willen, von einem So- in die Zukunft der Menschen, ermöglichen wir zialhaushaushalt als Steinbruch und einer eher ihre tatsächliche Teilhabe an der vielfältigen Ge- gutsherrlichen Rest-Mittelvergabe – häufig in sellschaft und geben ihnen allen faire und glei- Form von Modellversuchen – Abschied zu neh- che Chancen für ein selbstbestimmtes Leben. men. Das soziale Netz in Hessen ist unter der schwarz-gelben Regierung immer löchriger ge- In diesem Konzeptpapier beschreiben wir unser worden. Verständnis von sozialer Gerechtigkeit, identifizieren die zentralen politischen Handlungsfelder Eine Politik der Gerechtigkeit für Hessen und zeigen konkrete Maßnahmen Wir GRÜNE setzen dieser Politik der Ausgren- auf, wie unser Land sozial gerecht gestaltet wer- zung und Unverantwortlichkeit eine soziale Idee den kann. Sozialpolitik ist nach unserem Ver- entgegen, die Gleichheit und Freiheit nicht ge- ständnis umfassende Gesellschaftspolitik. In den geneinander ausspielt, sondern jeder und jedem einzelnen Kapiteln erfolgt daher an vielen Stellen die gleiche Freiheit ermöglicht, mit Unterstüt- die Bezugnahme auf bereits bestehende Kon- zung und durch eigene Anstrengung etwas aus zeptpapiere. ihrem und seinem Leben machen zu können. 3 II. Eine ermöglichende Sozialpolitik für Hessen – Prinzipien und Grundsätze Teilhabe für alle in einer inklusiven Gesellschaft Wir GRÜNE streiten deshalb für eine sozial ermöglichen durchlässige Gesellschaft, in der allen der Weg Für uns GRÜNE ist Gerechtigkeit der Leitmaß- in die Mitte der Gesellschaft offen steht. Glei- stab unseres politischen Handelns. Gerechtigkeit che Freiheit bedeutet auch die Freiheit benach- zielt auf gleiche, reale Verwirklichungschan- teiligter Gruppen und nicht nur Gewerbefreiheit cen für alle Menschen in unserer Gesellschaft. oder etwa Ellbogenfreiheit. Soziale Gerechtigkeit Gleichheit und Freiheitsansprüche stehen dabei erfordert deshalb insbesondere die Parteinahme nicht in Widerspruch zueinander, sondern bedin- für die Schwächsten in unserer Gesellschaft. gen sich gegenseitig: Jede und Jeder soll ihr und sein Leben gleichermaßen leben können. Jede Gleiche Freiheit verlangt außerdem: niemand und jeder soll mit Unterstützung oder eigener darf ausgeschlossen, diskriminiert oder zurück- Anstrengung etwas aus ihrem und seinem Leben gelassen werden. Wir GRÜNE stehen für eine machen können. Soziale Gerechtigkeit bedeutet inklusive Gesellschaft mit gleichen Lebenschan- für uns gleiche Freiheit. cen für alle. Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund, körperliche, intellektuelle oder psychische Gleiche Freiheit verbindet die Anerkennung der Beeinträchtigung, Religion oder soziale Herkunft Lebensweisen, Interessen und Überzeugungen dürfen keine Auswirkungen auf die gesellschaft- anderer mit dem Anspruch auf Achtung der eige- liche Teilhabe haben. nen Lebensweise, Interessen und Überzeugungen. Jeder einzelne Mensch hat einen Anspruch Unser Gerechtigkeitsanspruch der Teilhabe für auf gleichen Respekt und gleiche Anerkennung. alle in Selbstbestimmung und Vielfalt umfasst Dabei geht es nicht darum, alle Menschen per außerdem nicht nur das Hier und Jetzt, sondern Gesetz gleich zu machen, sondern sie in ihrer berücksichtigt selbstverständlich auch Aspekte Vielfalt und Unterschiedlichkeit anzuerkennen der Generationengerechtigkeit. Ebenso ist die und ihnen die Teilhabe an der Gesellschaft zu Gleichberechtigung von Frauen und Männern ermöglichen. Gleiche Freiheit bedeutet gesell- ein fundamentaler Bestandteil unseres Gerech- schaftliche Teilhabe für alle. tigkeitsverständnisses. Wer hinfällt, muss auch wieder aufstehen kön- Klare Prioritäten setzen – Vorfahrt für Zu- nen und sich dabei neben eigenen Anstrengun- kunftsinvestitionen in öffentliche Institutionen gen auch auf die Unterstützung der Gesellschaft Eine ermöglichende Sozialpolitik hat echte Teil- verlassen können. Im Gegensatz zu den leeren habe für alle in einer inklusiven Gesellschaft zum neoliberalen Versprechungen einer bloß forma- Ziel. Teilhabe bedeutet dabei nicht nur, über ein len Gleichheit der Chancen auf dem freien Markt Einkommen zu verfügen, das das soziokulturel- müssen alle tatsächlich die Chance haben, ihre le Existenzminimum deckt, sondern meint auch Talente und Fähigkeiten zu entwickeln und in die gute Bildung und Weiterbildung, Zugang zum Gesellschaft einzubringen. Es geht um die Her- Arbeitsmarkt, gute Arbeit zu existenzsicherndem stellung echter Chancengleichheit. Einkommen und eine gute Gesundheitsversorgung. Teilhabe hat ganz entscheidend mit der 4 Verteilung von Zugängen zu öffentlichen Gütern Verfügung zu stellen. Diese öffentlichen Institu- zu tun: Arbeit, Bildung, Gesundheit, gute Um- tionen müssen lernende und atmende Instituti- weltbedingungen, aber auch Mobilität, Sicher- onen sein, die die Selbstbestimmung der Indivi- heit oder Kultur. Soziale Gerechtigkeit verlangt, duen stärken, deren Vielfalt als Bereicherung der dass jede und jeder unabhängig von der öko- Gesellschaft anerkennen und würdigen und auf nomischen und sozialen Lage Zugang zu diesen der Beteiligung einer aktiven Bürgergesellschaft fundamentalen Gütern haben muss. Denn es gründen. Öffentliche Institutionen müssen un- sind in erster Linie die öffentlichen Güter, die für abhängig von sozialer und ökonomischer Lage ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung un- für alle Menschen offen sein, die auf öffentliche verzichtbar sind. Güter wie zum Beispiel Bildung angewiesen sind. Wir brauchen daher dringend wieder mehr Spiel- Wir brauchen deshalb einen handlungsfähigen raum für soziale Investitionen – vor allem für In- Staat und starke öffentliche Institutionen, die vestitionen in Menschen. nicht sich selbst dienen, sondern in der Lage sind, soziale Barrieren abzubauen und die Menschen Nachhaltige Sozialpolitik – Ehrlichkeit und mit ihren Fähigkeiten und Talenten zu unterstüt- Transparenz bei der Finanzierung zen. Eine Politik der Umverteilung ist dabei nicht Dieser Spielraum ist aber nicht zum Nulltarif überflüssig. Im Gegenteil, sie muss darauf aus- zu haben. Unser Verständnis von Gerechtigkeit gerichtet sein, vorrangig diejenigen öffentlichen reicht über den Tag hinaus und berücksichtigt Institutionen zu stärken, die einen gleichen Zu- auch die Belange zukünftiger Generationen. gang zu allen wichtigen öffentlichen Gütern erst Für die Generationengerechtigkeit ist nichts ge- wirkungsvoll sichern. Denn gesellschaftliche So- wonnen, wenn beispielsweise notwendige In- lidarität zeigt sich vor allem im Umgang mit den vestitionen in Bildung unterbleiben. Umgekehrt Institutionen, auf die die Menschen angewiesen stimmt etwas nicht, wenn die heutigen Bildungs- sind, um an öffentlichen Gütern teilzuhaben. Die investitionen nur mit Schulden zu Lasten künf- Vielfalt der Träger dieser öffentlichen Institutio- tiger Generationen finanziert werden können. nen (insbesondere die Wohlfahrtsverbände und Im Grünen Konzeptpapier „Hessen tritt auf die ihre Mitglieder) ist die beste Gewähr, um der Schuldenbremse“ zeigen wir deshalb auf, wie Vielfalt der Menschen gerecht zu werden. durch das dreifache E – Einsparungen, Effizienzsteigerungen und Einnahmesteigerungen – eine Eine ermöglichende Sozialpolitik räumt den Zu- solide Haushaltspolitik auch für den Sozialbe- kunftschancen einen höheren Stellenwert ein als reich umgesetzt werden kann. der Bewahrung des Status Quo. Investitionen in die soziale Infrastruktur öffentlicher Institu- Mehr Transparenz und Mitbestimmung – für tionen, insbesondere bei der Bildung von klein eine aktive Bürgergesellschaft an bis ins hohe Alter, haben für uns sozialpo- Gleiche Freiheit im Sinne gleichberechtigter Teil- litische Priorität. Durch eine Stärkung der öf- habe hat auch eine politische Dimension: Demo- fentlichen Institutionen wird es möglich, gerade kratie als gesellschaftliches Organisationsprinzip den schwachen und benachteiligten Mitgliedern geht von dem Gedanken gleicher politischer unserer Gesellschaft sowie zukünftigen Genera- Freiheit aus. Sie ist Ausdruck „unseres“ Staates, tionen möglichst gute Chancen für ein selbstbe- der als Gesamtheit der öffentlichen Institutio- stimmtes und gelingendes Leben in Vielfalt zur nen „unser“ Ort des politischen Entscheidens 5 und Handelns in Freiheit und Gleichheit ist. Der ben – die Volksgesetzgebung in Hessen auch auf Zugang zum politischen System muss allen ge- Verfassungsänderungen ausweiten, sie grund- sellschaftlichen Gruppen offen stehen – ganz sätzlich vereinfachen und dafür die Quoren ab- besonders auch den schwächsten Mitgliedern senken. Darüber hinaus muss besonders vor Ort unserer Gesellschaft. in den Kommunen die aktive BürgerInnengesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt und Kreativität in Teilhabe für alle in Selbstbestimmung und Viel- den demokratischen Prozess mit eingebunden falt bedeutet auch politische Teilhabe und Mit- sein. Wir wollen Transparenz und Mitbestim- sprache. Öffentliche Institutionen sind für uns mung so nicht nur ermöglichen, sondern auch keine geschlossenen, hierarchischen Anstalten, einfordern. sondern offene und lebendige Einrichtungen, die von der Partizipation und Kreativität der Zum Anspruch auf Partizipation und Mitbestim- einzelnen Menschen und den vielen zivilgesell- mung gehört ebenso die Öffnung der Institutio- schaftlichen Akteuren leben. Wir brauchen keine nen für bürgerschaftliches Engagement. Deshalb Bürokratien, sondern wollen demokratische In- setzen wir auf eine aktive BürgerInnengesell- stitutionen, die von gesellschaftlichem Engage- schaft und auf ehrenamtliches Engagement als ment getragen werden. gelebte solidarische Praxis. Lernende Institutionen berücksichtigen Interessen und Stärken Lebendige Demokratie setzt Einmischung als der einzelnen Akteure. Wie beispielsweise im Impulsgeber für die Gestaltung und zukünftige Konzeptpapier „Hessens Weg zu selbständigen Ausrichtung „unserer“ Gesellschaft voraus. Sozi- Schulen“ ausgeführt, beruht die Neue Schule – ale Gerechtigkeit verlangt dabei, dass alle Betrof- mit mehr Freiheit und besserer Qualität – auf der fenen in den Entscheidungsprozess einbezogen konsequenten Einbeziehung von Schülerinnen sind und über die „Spielregeln“ mitbestimmen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern und El- können. Wir wollen deshalb – wie in unserem tern in die Gestaltung von Schule. Konzeptpapier „Alles was Recht ist“ beschrie- 6 III. Eine ermöglichende Sozialpolitik für Hessen – Handlungsfelder und MaSSnahmen Wir GRÜNE verfolgen mit unserer ermöglichen- zu Wegen aus der Armut zu befähigen und das den Sozialpolitik den Anspruch sozialer Gerech- Abgleiten oder den Sturz in Armut zu vermei- tigkeit durch eine gleichberechtigte Teilhabe für den. Da Armut auch in einem reichen Land wie alle Bürgerinnen und Bürger. Selbstbestimmte Hessen kein Randphänomen ist und vielfältige Teilhabe begreifen wir als ein soziales Bürger- Gründe hat, müssen hier auch die Antworten recht. Die sozialen Hilfen müssen deshalb die vielfältig sein. Wir brauchen Programme und eigenen Anstrengungen und Bemühungen der Maßnahmen, die für jeden einzelnen Menschen Menschen unterstützen und den einzelnen Men- das für ihn geeignete Angebot zur Verfügung schen in seiner spezifischen, von Vielfalt gepräg- stellen. Deshalb ist es auch notwendig, existie- ten Lebenssituation zugutekommen. An dieser rende Programme daraufhin zu untersuchen, ob Aufgabe haben sich die sozialen Institutionen sie diese individuelle Unterstützung mit allen ih- zu orientieren und miteinander zu kooperieren. ren Facetten tatsächlich leisten. In der Regel ist Eine am Menschen ausgerichtete Sozialpolitik der geeignete Ort für solche Angebote die Kom- benötigt dabei klar formulierte Ziele, transparen- mune bzw. das Quartier, in dem die Menschen te Verfahren, definierte Qualitätsanforderungen wohnen. sowie unabhängige und individuelle Beratung. Subsidiarität und Solidarität lassen sich dabei 1.1 Sozialberichterstattung weiterentwickeln nicht voneinander trennen, sondern sind zwei Viele hessische Kommunen haben bereits ein Seiten ein und derselben Medaille. gutes, vernetztes System sozialer Hilfen und eine kontinuierliche Sozialberichterstattung – einschließlich der Evaluation von sozialen Hil- 1. Armut verhindern und bekämpfen fen – eingeführt. Wir halten das Instrument der Armut ist ein großes Hindernis für echte soziale kommunalen Sozialberichterstattung, das insbe- Teilhabe und macht ein selbstbestimmtes Leben sondere Vergleiche zwischen den Kommunen er- schwer möglich. Armut drückt sich nicht nur möglicht, für eine gute Grundlage eines koordi- im Mangel materieller Ressourcen aus. Arme nierten landesweiten Sozialberichts. Wir wollen Menschen leiden neben materiellen Entbehrun- deshalb die bislang unverbunden nebeneinander gen auch unter schlechten Wohnverhältnissen, stehende Sozialberichterstattung der Kommu- geringeren Bildungschancen und häufig einer nen und den Landessozialbericht zu einem ge- schlechteren Gesundheit. Wege in Armut müs- meinsamen Instrument der Evaluation, d.h. der sen deshalb rechtzeitig verhindert und Wege Qualitäts- und Wirkungsprüfung in der Sozial- aus der Armut massiv erleichtert werden. Diese politik weiterentwickeln. Ziel dieser Armuts- und Aufgaben nehmen eine Schlüsselposition bei ei- Reichtumsberichterstattung soll letztendlich sein, ner ermöglichenden Sozialpolitik ein, der es aus Maßnahmen des Landes und der Kommunen zu Gründen sozialer Gerechtigkeit zuallererst darum entwickeln und umzusetzen, die Armut erfolg- geht, den Schwächsten zur Seite zu stehen und reich verhindern und dazu beitragen, die gesell- Armut und sozialen Abstieg zu vermeiden. schaftliche Spaltung zwischen arm und reich zu Uns geht es in Hessen vor allem um die Stärkung vermindern. von Institutionen, die in der Lage sind, Menschen 7 1.2 Kinderarmut bekämpfen – Teilhabekarte großen Wohnungsbestände für die Mieterinnen einführen und Mieter bezahlbar bleibt. Die Zukunft gan- Kinder und Jugendliche aus kinderreichen Fami- zer Stadtviertel wird davon abhängen, dass sich lien und von Alleinerziehenden haben ein stark diese Unternehmen aktiv an der Stadtsanierung erhöhtes Armutsrisiko und sind dadurch häu- beteiligen. Außerdem wollen wir unterstützend fig in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe bedroht. auch mit Blick auf den privaten Wohnungsmarkt Wir wollen deshalb die bislang weitgehend wir- – wie in unserem Konzeptpapier „Zukunftsener- kungslose, da de facto lediglich als kommerzielle gie 2030“ beschrieben – mit einem Klimazu- Rabattaktion für einzelne Unternehmen konzi- schuss im Rahmen des Wohngelds dazu beitra- pierte Familienkarte der Hessischen Landesregie- gen, dass einkommensschwache Haushalte ihre rung in Zusammenarbeit mit den Kommunen Wohnung auch nach der energetischen Sanie- und den Anbietern zu einer echten Teilhabekarte rung finanzieren und von der Energieeinsparung weiterentwickeln. Für uns GRÜNE stehen dabei profitieren können. die Bedürfnisse der Kinder nach gesellschaftlicher Teilhabe im Mittelpunkt. Wie in unserem 1.4 Gemeinwesenarbeit stärken Konzeptpapier „Familien in den Mittelpunkt“ In den Quartieren sind wohnortnahe, leicht zu- beschrieben, wollen wir künstlerische, musische, gängliche und die besonderen Problemlagen Sport- oder Freizeitangebote für Familien mit ge- berücksichtigende Angebote der Gemeinwesen- ringen Einkommen effektiv zugänglich machen arbeit am besten zu erbringen. Dies belegen die und die Angebote mit dem Bildungspaket der Programme zur sozialen Stadt, die seit Jahren Bundesregierung koordinieren. mit Erfolg durchgeführt werden. Es war daher ein schwerwiegender Fehler, dessen Kosten in 8 1.3 Bezahlbares und ökologisch nachhaltiges der Zukunft noch gar nicht absehbar sind, dass Wohnen ermöglichen die schwarz-gelbe Bundesregierung dieses Pro- Öffentliche Wohnungsunternehmen leisten ei- gramm ab 2012 auf rein investive Maßnahmen nen unverzichtbaren Beitrag zur Versorgung im Wohnungsbau beschränkt hat. Dadurch be- mit preisgünstigem Wohnraum – insbesondere steht die Gefahr, dass erfolgreiche soziale Arbeit für Menschen mit niedrigeren Einkommen und in besonders benachteiligten Quartieren zusam- Menschen, die auf altersgerechte und barrie- menbricht. Davon betroffen ist auch die erfolg- refreie Wohnungen angewiesen sind. Gerech- reiche Arbeit der Hessischen Gemeinschaftsini- te Teilhabe hat für uns GRÜNE neben der so- tiative Soziale Stadt (HEGISS). Insbesondere in zialen auch eine ökologische Komponente und sozialen Brennpunkten ist eine kontinuierliche schließt Teilhabe und Mitwirkung für alle an Gemeinwesenarbeit und angepasste, indivi- der dringend notwendigen ökologischen Mo- duelle Unterstützung der Bewohnerinnen und dernisierung der Gesellschaft mit ein. Die öko- Bewohner aber unverzichtbar. Kommunen mit logisch fatale Abhängigkeit von immer knapper einer komplizierten Sozialstruktur dürfen nicht und dadurch auch teurer werdenden fossilen allein gelassen werden. Auf Landesebene wer- Brennstoffen trifft aber schon heute vor allem den wir deshalb dafür sorgen, dass die Kommu- die Schwachen in der Gesellschaft. Wir brauchen nen bei der Koordination sozialer Hilfen, bei der deshalb nach wie vor öffentliche Unternehmen Fort- und Weiterbildung des Fachpersonals und am Wohnungsmarkt, damit die wichtige ener- bei besonderen Angeboten für bestimmte Ziel- getische Modernisierung und Sanierung der gruppen eine qualifizierte Unterstützung durch konkrete Aus-, Fort- und Weiterbildungsange- Hilfen (Entschuldung, psychosoziale Beratung, bote erhalten. Mit einer stärkeren fachlichen Reha-Maßnahmen, etc.) aktiv zur Seite stehen Vernetzung auf der Landesebene und der Prü- und damit in möglichst vielen Fällen Wohnungs- fung, wie Landesförderprogramme gezielter in losigkeit im Vorfeld vermeiden. „Soziale Stadt Quartiere“ nach Ablauf der Investitionsprogramme gelenkt werden können, wollen wir eine nachhaltige Unterstützung der Gemeinwesenarbeit erreichen. 2. Chancengerechtigkeit von Klein an – Bildung als Schlüssel für Teilhabe Nach unserem Verständnis von sozialer Gerech- 1.5 Kommunen bei der Schuldnerberatung tigkeit als gerechter Teilhabe muss Bildung als unterstützen zentrales öffentliches Gut allen Menschen un- Zu den wichtigen sozialen Hilfen, die in der Lage abhängig von Herkunft, Einkommen oder sozi- sind, die Entstehung von Armut zu vermeiden alem Status der Eltern zugänglich sein. Bildung bzw. Wege aus der Armut aufzuzeigen, gehört ist der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe. Sie die Schuldnerberatung. Nach der vollständigen vermittelt soziale und kognitive Kompetenzen Streichung von Landesmitteln seit dem Haushalt und ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes 2004 sind heute lange Wartelisten in den Bera- Leben. Gerade in der Informations- und Dienst- tungsstellen die Regel, obwohl Kommunen und leistungsgesellschaft entscheidet Bildung auf- Wohlfahrtsverbände versuchen, die Angebote zu grund der immer komplexer werdenden Her- kompensieren. Hinzu kommt, dass sich die Prob- ausforderungen im Alltag und in der Arbeitswelt lemlagen in den letzten Jahren verschärft haben, maßgeblich über Lebenschancen und damit die z.B. durch ein größer gewordenes Armutsrisiko, Möglichkeiten zur Teilhabe in unserer Gesell- verstärkte Handynutzung von Jugendlichen, schaft. Bildung hat für uns GRÜNE deshalb von Langzeitarbeitslosigkeit, prekäre Jobs, usw. Wir Klein an durch alle Lebensphasen hindurch Pri- wollen die Kommunen darum dabei unterstüt- orität. zen, diese Beratung wieder zu einem festen Be- Wir wollen gezielt in die Menschen und ihre Teil- standteil der rechtzeitigen Armutsprävention zu habechancen investieren. Effizienzsteigerungen machen. Zur Stärkung der Vorbeugung wollen und demografische Rendite werden allein nicht wir deshalb – wie in unserem Konzeptpapier ausreichen, um die eingangs beschriebenen De- „Moderne grüne Verbraucherpolitik“ aufgezeigt fizite im Bildungssystem abzubauen. Deshalb – die Arbeit der Schuldnerberatung stärker mit brauchen wir für Krippen, Kindergärten, Schulen den Verbraucherzentralen vernetzen. und Hochschulen – auch unter den Bedingungen der Schuldenbremse – mehr Mittel als bislang. 1.6 Wohnungslosigkeit vermeiden Denn: Investitionen in gute Bildung sind die bes- Die Vermeidung von Wohnungslosigkeit ist eine ten Zukunftsinvestitionen; sie helfen, den An- vordringliche Maßnahme sozialer Gerechtigkeit, spruch auf Teilhabe zu verbessern und ihn auch die sich finanziell und mit Blick auf die Teilhabe morgen noch einzulösen. nicht nur für die betroffenen Menschen, sondern auch für die Kommunen nachweisbar po- 2.1 Ausbau und qualitative Verbesserung früh- sitiv auswirkt. Wir wollen den Kommunen daher kindlicher Bildung zügig vorantreiben durch Unterstützung bei der (interkommunalen) Teilhabe für alle an der Gesellschaft beginnt Kooperation und der Koordination präventiver für uns GRÜNE im kleinsten Kindesalter. In den 9 ersten Lebensjahren erfolgen entscheidende nicht sinnvoller für den quantitativen und quali- Schritte kognitiver, sprachlicher und motorischer tativen Ausbau der Kinderbetreuung verwendet Entwicklung bei Kindern, die später entschei- werden sollten. dend sind für die Teilhabe an der Gesellschaft. Wir legen darum den Schwerpunkt unserer so- 2.2 Integration durch Bildung erleichtern zialpolitischen Maßnahmen auf die frühkindliche Menschen mit Migrationshintergrund sehen sich Bildung, um allen Kindern die gleichen Chancen im hessischen Bildungssystem vielfach hohen so- auf gesellschaftliche Teilhabe zu geben. Damit zialen Barrieren ausgesetzt. Wir brauchen daher möglichst alle Kinder in den frühen Genuss in- ein neues Leitbild für unser gesamtes Bildungs- dividueller Förderung kommen, wollen wir die wesen, das die Vielfalt in den Kindergärten und Betreuung der unter 3jährigen zügig ausbauen, Schulen als Bereicherung und Chance wahr- den Kindergarten als Bildungsgarten ab dem nimmt und die Bildungseinrichtungen zu Zen- dritten Lebensjahr stärken und die Betreuung tren der sozialen Integration weiterentwickelt. auch im Grundschulalter sicherstellen. Wie in Als spezifische Herausforderung steht an erster unserem Konzeptpapier „Kindergärten zu Bil- Stelle das Erlernen und Beherrschen der deut- dungsgärten“ beschrieben wollen wir die indi- schen Sprache, um am Alltag in der Gesellschaft viduelle Förderung und die Qualitätsstandards teilhaben zu können und echte Chancen auf ein entscheidend verbessern. Um dem eklatanten selbstbestimmtes Leben zu bekommen. Für Kin- Fachkräftemangel zu begegnen und die Attrak- der, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, ist tivität des Berufes zu steigern, werden wir ein ein Kindergartenbesuch von besonderer Bedeu- Aktionsprogramm für mehr Erzieherinnen und tung. Aber auch viele Kinder aus einem deutsch- Erzieher gemeinsam mit den Trägern von Kin- sprachigen Elternhaus haben Probleme beim dertageseinrichtungen auflegen und zusätzlich Spracherwerb. Wie in unseren Konzeptpapieren modellhaft die „duale“ Ausbildung erproben. „Ein Integrationskonzept für Hessen“ und „Familien im Mittelpunkt“ beschrieben, wollen wir Zur Finanzierung dieser sozialpolitischen Kraft- deshalb die Sprachförderung auf allen Ebenen, anstrengung braucht es den politischen Willen insbesondere aber für die Kleinsten, ausweiten und klare Prioritäten. An oberster Stelle stehen und damit echte Teilhabechancen nicht nur für für uns der bedarfsgerechte Ausbau des Platzan- Migrantinnen und Migranten schaffen. Mit dem gebots und eine hohe Qualität von Bildung und Ausbau echter Ganztagsschulen werden wir zu- Betreuung von den Kleinsten bis zu den Grund- dem mehr Zeit zum Lernen und zur individuellen schulkindern. Erst wenn das geschafft ist, steht Förderung auch für Kinder mit Migrationshinter- für uns das Thema der generellen Beitragsfreiheit grund schaffen. auf der Tagesordnung. Für einkommensschwa- 10 che Familien soll es – ganz im Einklang mit unse- 2.3 Die Jugend in ihrer Teilhabe stärken rem Gerechtigkeitsverständnis – selbstverständ- Die Generation der Jugend ist die besonders lich bei der Beitragsfreiheit bleiben. Angesichts stark gespaltene Generation in unserer Gesell- des Mangels an Plätzen und an qualifiziertem schaft. Dies zeigt sich nicht nur an den erwähn- Personal war es aus unserer Sicht verfrüht, ein ten sozialen Ungleichheiten im Bildungsbereich. gesondertes Landesprogramm zur generellen Auch das relativ große Ausmaß der Armutsge- Beitragsfreiheit im dritten Kindergartenjahr auf- fährdung bei Kindern und Jugendlichen in Höhe zulegen. Wir werden prüfen, ob diese Mittel von knapp 20 Prozent ist ein Beleg dafür. Ent- sprechend unserem Verständnis von sozialer forderungen einstellen können. Vor dem Hinter- Gerechtigkeit wollen wir diese soziale Spaltung grund des Fachkräftemangels, der schlechten jedoch überwinden und gleiche Teilhabechancen Beschäftigungschancen für Geringqualifizierte für alle ermöglichen. Gerade für Jugendliche sind und der großen Gruppe der Schülerinnen und funktionierende öffentliche Institutionen von Schüler ohne Abschluss müssen künftig die Mit- zentraler Bedeutung. Sie sind nicht nur Orte des tel der unterschiedlichen Institutionen effizienter Zusammenlebens, sondern auch elementar für und nachhaltig eingesetzt werden – auch um die die Teilhabe aller an der Gesellschaft. Ein chan- Beschäftigungschancen aller zu erhöhen. cengerechtes Bildungssystem muss deshalb die Beteiligungsrechte Jugendlicher in Schulen und 3. Arbeit als zentrales Gut der eigenAußerdem muss es durch den flächendeckenden ständigen Existenzsicherung – den ArAusbau von Angeboten der Sozialarbeit ergänzt beitsmarkt sozial und ökologisch gewerden. Wir setzen uns für eine Stärkung der stalten Bildungseinrichtungen ausbauen und fördern. Jugendhilfeangebote im Rahmen der kommuna- Arbeit ist ein zentrales Gut gesellschaftlicher Teil- len Jugendarbeit ein. Jugendhilfe ist jedoch nur habe und sozialer Anerkennung. Ein Arbeitsplatz dann wirklich erfolgreich, wenn frühzeitig die bringt nicht nur ein Einkommen, sondern auch ganze Familie in den Blick genommen wird. An soziale Wertschätzung und soziale Kontakte mit der Unterstützung der Jugendverbände halten sich. Wer einen Arbeitsplatz innehat, besitzt gute wir fest. Wir wollen zudem die Partizipations- Voraussetzungen, um selbstbestimmt an der Ge- und Entscheidungsmöglichkeiten von Jugendli- sellschaft teilhaben zu können. Der Gesellschaft chen durch projektbezogene direkte Beteiligung geht die Arbeit nicht aus – der beklagte Fach- stärken um ihnen echte Teilhabe – als Jugend- kräftemangel zeigt dies ebenso deutlich wie der liche und später auch als Erwachsene – zu er- Bedarf für nachhaltige und zukunftsträchtige möglichen. Beschäftigung in den für die gesellschaftliche Teilhabe besonders wichtigen Beschäftigungsfel- 2.4 Auf lebensbegleitendes Lernen einstellen dern der qualitativen sozialen Dienstleistungen. Bildung begleitet die Menschen ihr Leben lang Um echte Teilhabe für alle zu gewährleisten, ist auch nach Ausbildung und Studium in Form von für uns dabei nicht zuletzt die Entlohnung ent- Fort- und Weiterbildung, manchmal in unser scheidend. Wir GRÜNE setzen uns deshalb für sich schnell wandelnden Gesellschaft aber auch existenzsichernde und zukunftsträchtige Ar- durch völlig neue Ausbildungen und berufliche beitsplätze und einen allgemeinen gesetzlichen Orientierungen. Auf den Einzelnen bzw. die Mindestlohn ein. Einzelne bezogen stärkt Weiterbildung die individuelle Kompetenz und damit die Beschäfti- 3.1 Nachhaltige regionale Wirtschaft fördern gungsfähigkeit und soziale Integration. Sie dient Nachhaltige, ökologisch ausgerichtete Wirt- dazu, neue Qualifikationspotenziale zu erschlie- schaftspolitik trägt durch Schaffung und Siche- ßen und bereits vorhandene Qualifikationen zu rung zukunftsträchtiger Arbeitsplätze dazu bei, stabilisieren. Dem zweiten Bildungsweg kommt Teilhabe für immer mehr Menschen zu ermög- dabei eine wachsende Bedeutung zu. Wir wol- lichen. Wirtschaftspolitik ist insofern auch ein len, dass auch Abendschulen sich auf diese An- wichtiger Baustein einer ermöglichenden Sozi- 11 alpolitik. Die Möglichkeit von Kommunen, sich in den Arbeitsmarkt verbunden. Bis heute wird im Energiebereich und anderen Zukunftsfeldern dieser Anspruch in den Job-Centern immer noch zu betätigen, ist aus unserer Sicht ein wichti- unzureichend umgesetzt. Durch eine deutlich ger Schritt zu nachhaltiger Wirtschaftspolitik. stärkere arbeitsmarktpolitische Steuerung des Dabei werden nicht zuletzt die Spielräume der Landes wollen wir die Jobcenter in Hessen zu Kommunen zum Erhalt des sozialen Friedens er- einer qualitativ hochwertigen Vermittlungs- und weitert. Außerdem ist ein wachsendes Interesse Qualifizierungsarbeit anhalten und eine Unter- regionaler privater Unternehmen festzustellen, stützungsstruktur aufbauen, die ein optimales an der Gestaltung nicht nur wirtschaftlicher, Arbeiten, insbesondere der zugelassenen kom- sondern auch sozialer Formen des Zusammenle- munalen Träger, ermöglicht. In Zukunft sollen bens mitzuwirken. Immer mehr Unternehmen in alle zur Verfügung stehenden Mittel für Leis- öffentlicher wie privater Hand verpflichten sich tungen der Eingliederung in Arbeit auch bei den zur Einhaltung einer Vielzahl von sozialen Stan- Menschen ankommen, damit sie echte Teilhabe- dards, z.B. bei der Korruptionsbekämpfung, der chancen bekommen. Gehaltsstruktur, der Geschlechtergerechtigkeit, der betrieblichen Gesundheitsförderung, der 3.3 Kein Jugendlicher ohne Ausbildung Inklusion. Wir wollen gemeinsam mit den Un- Am Übergang zum Berufsleben fällt für viele ternehmerverbänden und Kammern sowie den Kinder und Jugendliche – leider oft endgültig – Gewerkschaften ein engmaschiges Beratungsan- die Entscheidung darüber, wie eigenständig ein gebot aufbauen, das Ökonomie, Ökologie und existenzsicherndes Einkommen im Berufsleben soziale Gerechtigkeit in den hessischen Unter- bis ins Rentenalter gesichert werden kann. Trotz nehmen zusammenführt. erheblicher finanzieller Mittel und dem Engagement vieler Akteure bleiben viele Jugendliche 3.2 Gezielt in Arbeit fördern ohne Berufsabschluss. Eine chancengerechte Arbeitslosigkeit, vor allem Langzeitarbeitslosig- Arbeitsförderung lässt aber niemanden zurück: keit, ist einer der wesentlichen Gründe für ein Wir wollen, dass jeder junge Mensch, der das erhöhtes Armutsrisiko. Die Gefahr der Arbeits- will, eine vollqualifizierende Berufsausbildung losigkeit ist umso größer, je geringer ein Mensch erhält. Dazu wollen wir gemeinsam mit den zu- beruflich qualifiziert ist. Besonders betroffen ständigen Akteuren eine Reform des Übergangs- von Arbeitslosigkeit sind Alleinerziehende, Mig- systems Schule – Beruf rantinnen und Migranten sowie Menschen mit bessere Kooperation von Jugendhilfe und Schule Behinderung. Eine ermöglichende Sozialpolitik, in Form von individueller Unterstützung für alle unterstützt und fördert die Menschen individuell Jugendlichen spätestens ab der siebten Klasse auf ihrem Weg zurück in den Arbeitsmarkt. Des- wird ihnen bei der Überwindung von Schwächen halb legen wir unseren Fokus auf eine Stärkung und dem Ausbau der Stärken geholfen und der der sozialen öffentlichen Institutionen, die dazu Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt gesi- beitragen, Arbeitslosigkeit zu vermeiden und chert. einleiten. Durch eine den selbstbestimmten Weg in den Arbeitsmarkt 12 zu finden. 3.4 Ausbildungs- und Arbeitsmarktprogramme Mit der Einführung der Grundsicherung für neu strukturieren Arbeitssuchende war das Recht auf individuelle Wir wollen die bestehenden Ausbildungs- und Förderung und Hilfestellung für die Integration Arbeitsmarktprogramme des Landes neu struk- turieren, auch um spezielle Zielgruppenförde- das Geschlecht nicht ursächliches Merkmal von rung zu ermöglichen. Kommunale, Landes- und Ungleichbehandlung sein darf. Es ist nicht hin- Bundesprogramme der Arbeitsmarktpolitik sol- nehmbar, dass im 21. Jahrhundert trotz vielfa- len sich sinnvoll ergänzen und keine Doppel- cher Angleichung der Lebensläufe von Männern strukturen schaffen. und Frauen die Ungleichheit zwischen ihnen immer noch Realität ist. Frauen verdienen für 3.5 Einen sozialen Arbeitsmarkt schaffen gleichwertige Arbeit im Durchschnitt 23 Prozent Es wird immer wieder auch Menschen geben, weniger als Männer, sind im mittleren und obe- die trotz unterschiedlichster Angebote und ren Management ebenso eklatant unterdurch- Unterstützung durch die Job-Center nur sehr schnittlich vertreten wie an den Hochschulen bei schwer in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt den Hochschullehrern, besetzen 82 Prozent der werden können. Deshalb werden wir ein neues Teilzeitstellen und leisten deutlich mehr unbe- Programm für einen verlässlichen, sozialen und zahlte Arbeit. öffentlich geförderten Arbeitsmarkt einrichten. Mit diesem Programm wollen wir dauerhaft Wir GRÜNE stehen für eine Geschlechterpoli- öffentlich geförderte Beschäftigung mit sozial- tik, die eine substantielle und nicht nur forma- versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen le Chancengleichheit zum Ziel hat und Frauen schaffen, um den Menschen, die keine Chancen wie Männern nicht nur formal gleiche Startbe- auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben, eine dingungen, sondern tatsächlich gleiche, echte langfristige Beschäftigungs- und echte Teilhabe- Verwirklichungschancen ermöglicht. Dabei geht perspektive zu geben. Dabei soll die gesamte es uns nicht um Gleichmacherei, sondern um Transferleistung, die eine langezeitarbeitslose die Stärkung der Potentiale jeder und jedes Ein- Person erhält, in ein sozialversicherungspflich- zelnen, um die Unterstützung bei spezifischen tiges umgewandelt Problemlösungen sowie um die Akzeptanz der werden. So wird „Arbeit statt Arbeitslosigkeit“ unterschiedlichen Lebensentwürfe. Unsere ge- finanziert und besonders schwer vermittelbare schlechtergerechte Politik orientiert sich an dem Arbeitslose erhalten die Chance auf Teilhabe an Leitbild der so genannten „Lebensverlaufsper- Arbeit, aber auch an gesellschaftlicher Anerken- spektive“, die nicht mehr allein auf kurzfristige nung. Effekte in der Politik abstellt, sondern politische Beschäftigungsverhältnis Rahmenbedingungen auf ihre Wirkung in einzelnen Lebenslagen und Lebensphasen und in 4. Gleichberechtigung von Männern ihren längerfristigen Auswirkungen betrachtet. und Frauen voranbringen Darin sehen wir die Grundlage für eine nachhalFür uns GRÜNE zeichnet sich eine gerechte Ge- tige, auf langfristige und dauerhafte Wirkungen sellschaft dadurch aus, dass sie Selbstbestim- angelegte Politik für mehr Geschlechtergerech- mung und Gleichberechtigung aller Menschen tigkeit, wie wir in unserem Konzeptpapier „De- gewährleistet und die Vielfalt der Lebensformen mokratie anerkennt. Die Leitidee gleicher Freiheit gilt für vorgestellt haben. braucht Geschlechtergerechtigkeit“ Männer wie Frauen gleichermaßen. Wir wollen eine Gesellschaft, in der Frauen und Män- Wir setzen uns im Sinne einer Selbstbestimmung ner die gleiche Chance haben, ihr Leben selbst in Vielfalt für alle dafür ein, neue Freiräume im zu gestalten. Das bedeutet insbesondere, dass Verhältnis von Männern und Frauen zu ermög- 13 lichen. Geschlechterpolitik nach unserem Ver- 4.3 Frauen und Kindern besser vor häuslicher ständnis umfasst daher auch die Belange von Gewalt schützen Jungen und Männern, die sich im Erwerbs- wie Frauen und Kinder wollen wir besser vor häusli- im Privatleben neue Wege und Entwicklungs- cher Gewalt schützen. Präventive Angebote wie möglichkeiten wünschen. Männer sind deshalb aufsuchende Stadtteilarbeit, Suchthilfe, Famili- auch nicht Gegner, sondern Verbündete für das enberatung, etc. sind dazu wesentliche Baustei- Konzept und die Umsetzung einer geschlechter- ne. Trotzdem brauchen Frauen und ihre Kinder gerechten Politik. Für uns GRÜNE gibt es weder immer wieder Schutzräume, die sie aus akuten für Frauen noch für Männer „den“ Lebensent- Gewaltsituationen herausholen und ihnen die wurf. Unserem emanzipatorischen Menschen- Möglichkeit geben, ihr Leben neu zu gestalten. bild folgend, wollen und werden wir niemandem Wir wollen die Frauenhäuser wieder stärken und vorschreiben, welche Entscheidungen sie oder er sie in die Lage versetzen, den Frauen und ihren zu treffen hat. Wir wollen aber gewährleisten, Familien in all ihrer Vielfältigkeit einen Weg zu dass Mädchen und Jungen, Frauen und Männer einem gewaltfreien Leben zu ermöglichen. Dies jeden Alters die gleichen substanziellen – und umfasst auch Hilfen für Elternteile, die überfor- nicht nur formalen – Freiheits- und Wahlmög- dert sind und reicht von der Begleitung junger lichkeiten für ihr eigenes Leben haben. Familien von Geburt an über die flächendeckende Versorgung mit Interventionsstellen und Frau- 4.1 Das hessische Gleichberechtigungsgesetz enhäusern bis hin zu präventiver Täterarbeit, die reformieren immer noch vernachlässigt wird. Eine Reform des hessischen Gleichstellungsgesetzes halten wir für notwendig, um die Fördezu stärken und die Rolle von Gender Mainstre- 5. Generationengerechter demografischer Wandel aming – also die spezielle Berücksichtigung von Generationengerechtigkeit bedeutet, über den Männern und Frauen – endlich für alle Bereiche Tag hinaus zu denken und gerechte Teilhabe für durch zu deklinieren. Die öffentliche Verwaltung alle nicht auf die heute lebenden Menschen zu soll bei der Beseitigung von Hemmnissen und beschränken. Erweiterte Gerechtigkeit verpflich- der Erarbeitung neuer Konzepte für mehr Ge- tet uns alle, die Interessen junger und zukünfti- schlechtergerechtigkeit eine Vorbildrolle auch für ger Generationen bei politischen Entscheidungen die Privatwirtschaft einnehmen. zu berücksichtigen. Wir wollen unseren Kindern rung von Frauen im öffentlichen Bereich weiter und Enkeln die Möglichkeit geben, auch morgen 4.2 Gender-Budgeting im Landeshaushalt und übermorgen ihr Leben selbstbestimmt und einführen in Vielfalt selbst in die Hand zu nehmen. Leitend Wir setzen uns für die Einführung des Gender- für unsere Forderung nach Generationengerech- Budgeting in den Landeshaushalt ein. Wir wollen tigkeit ist dabei der Gedanke der Nachhaltigkeit damit erreichen, dass sowohl die Benachteiligung in allen seinen drei Dimensionen – ökonomisch, von Frauen als auch von Männern im Rahmen ökologisch und sozial. der Verwendung von Steuermitteln festgestellt und in der Folge beseitigt werden kann. Ökonomische Nachhaltigkeit Die ökonomische Nachhaltigkeit stellt für uns GRÜNE eine wichtige Säule generationenge- 14 rechter Politik dar und betrifft vor allem die Fi- mer knapper werdenden fossilen Brennstoffen nanzierung der vorgeschlagenen Maßnahmen trifft durch immer weiter steigende Energieprei- und Programme im Rahmen der Finanz- und se schon heute vor allem die Schwachen in der Haushaltspolitik. Unsere grüne Finanz- und Gesellschaft. Wenn durch die Energiewende bei- Haushaltspolitik ist an der Sicherung von Zu- spielsweise neue Jobs geschaffen werden und kunftschancen ausgerichtet und fühlt sich der Energie nachhaltig und bezahlbar bleibt, profi- Erhaltung von Handlungsspielräumen für zu- tieren davon insbesondere auch die Schwachen künftige Generationen verpflichtet. Wir GRÜNE in unserer Gesellschaft. bekennen uns klar zur Schuldenbremse. Für unsere Politik heißt das: ausgabenwirksame Projek- Soziale Nachhaltigkeit te müssen an anderer Stelle gegenfinanziert sein. Generationengerechtigkeit heißt schließlich auch Zugleich ist für uns klar: der notwendige sozi- das kluge und bedächtige Ausbalancieren sozi- alökologische Umbau kann nicht einfach weg- aler Konflikte, die zwischen den verschiedenen gespart werden. Wir prüfen deshalb genau, mit Generationen und Alterskohorten auftreten kön- welchen Projekten wir diesen Umbauprozess an- nen – mit dem klaren Ziel einer gleichberechtig- stoßen werden. Wie in unserem Konzeptpapier ten Teilhabe für alle. So führt der demografische „Hessen tritt auf die Schuldenbremse“ aufge- Wandel mit sinkenden Geburtenzahlen und stei- zeigt, kann der Grüne Dreiklang aus Einsparun- gender Lebenserwartung zu einer Gesellschaft gen, Effizienzsteigerungen und Einnahmeerhö- mit einer zunehmenden Zahl älterer Menschen. hungen das gesamtstaatliche strukturelle Defizit Eine solche Gesellschaftsformation birgt poten- abbauen und die Schuldenbremse eingehalten tiell neuartige Konfliktlinien zwischen jüngeren werden. Er ist die Voraussetzung für nachhaltige Generationen, besonders belasteten Mittleren Investitionen in die Zukunft und damit die Er- im erwerbsfähigen Alter und den Älteren; aber weiterung wirtschaftlicher und sozialer Perspek- ebenso auch zwischen sehr wohlhabenden Älte- tiven. ren und armen Älteren – sehr häufig Frauen – die aufgrund unterbrochener Erwerbsbiografien ihr Ökologische Nachhaltigkeit Auskommen im Alter nicht ohne staatliche Un- Generationengerechtigkeit bedeutet für uns terstützung decken können. Eine besondere He- GRÜNE im Rahmen unseres erweiterten Ge- rausforderung für das Verhältnis zwischen den rechtigkeitsbegriffes auch die Erhaltung und verschiedenen Generationen ist auch die rasant Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen wachsende Zahl pflegebedürftiger Älterer. des Menschen. Nur eine intakte Umwelt und ein gesundes Klima ermöglichen die demokra- Eine Politik der Generationengerechtigkeit hat tische Aushandlung gleicher Freiheitsansprüche. solche Konflikte und Herausforderungen im Dies ist die heutige Verantwortung von Politik Blick und steuert mit Augenmaß dagegen. Da- – auch für unsere Kinder und Enkelkinder. Wir bei geht es einerseits darum, auf die Teilhabe GRÜNE setzen mit unserer Klimapolitik auf den von älteren und alten Menschen zu achten, und Dreiklang aus Energieeinsparung, Energieeffi- andererseits darum, soziale Blockaden zu lösen, zienz und Erneuerbare Energien, der gleichzeitig denen sich insbesondere junge Menschen, die ein Baustein einer ermöglichenden Sozialpolitik ihre Interessen noch nicht selbst vertreten kön- ist. Die ökologisch fatale Abhängigkeit von im- nen, ausgesetzt sehen. Auf einen guten und 15 fairen Ausgleich der Generationen zu achten – Die Politik muss von der Tagespolitik zur nach- das ist die aktuelle Herausforderung auch für die haltigen Zukunftspolitik übergehen. Dies geht Landespolitik. nur, wenn man für die Regionen Hessens die Entwicklungen und Trends benennt und endlich 5.1. Chancen nutzen – den Demografischen offen und ehrlich über die Gestaltung des demo- Wandel aktiv gestalten grafischen Wandels debattiert. Dazu gehören Wir werden älter, weniger und bunter. Dieses kleinräumige Analysen, welche Investitionen in Motto der Enquetekommission des Landtages den nächsten Jahren nötig wären, um den jetzi- „Demografischer Wandel – Herausforderungen gen Lebensstandard zu halten und welche Kon- an die Landespolitik“ zeigt kurz und prägnant sequenzen aus dieser Analyse zu ziehen sind. In die derzeitige Entwicklung unserer Gesellschaft unserem Konzeptpapier „Hessens Kommunen auf. Wir werden älter: Die Lebenserwartung fair finanzieren“ sehen wir ein neues Finanzie- steigt an, aber auch die Zahl der gesunden Le- rungsmodell im Kommunalen Finanzausgleich bensjahre steigt an. Das hat uns bereits heute vor. Doch machen wir uns nichts vor: Diese Fi- eine engagierte ältere Generation von Bürge- nanzierung wird nicht ein „Weiter so“ für alle rinnen und Bürgern gebracht, die sich aktiv in ermöglichen, sondern gezielte Förderung für die Gesellschaft einbringt. Aber wir haben auch ausgewählte Ortsteile oder Gemeinden ebenso eine anwachsende Anzahl von Menschen, die beinhalten wie mancherorts konkreten Rückbau auf Unterstützung bei der Selbstbestimmung notwendig machen. Wir wollen daher bereits und der Teilhabe an der Gesellschaft angewie- heute nicht mehr mit unverbindlichen Diskussi- sen sind. Wir werden weniger: Die Stagnation onskreisen oder mittellosen Demografiebeauf- der Bevölkerungszahlen ist auf den ersten Blick tragten, sondern mit professionellen Partizipa- in einem Land mit einer hohen Bevölkerungs- tionsprozessen für eine breite Beteiligung der dichte kaum ein Problem. Bei genauer Betrach- Bürgerinnen und Bürger an der Zukunftsplanung tung müssen wir aber konstatieren, dass es sehr an ihrem Ort und in ihrer Region sorgen. große regionale Unterschiede gibt. Insbesondere 16 im ländlichen Raum wirft der Bevölkerungsrück- 5.2. Gemeinwohlorientierung und Selbstorga- gang – durch Abwanderung jüngerer, zuneh- nisation unterstützen mend aber auch älterer Menschen in die Kern- In Stadt und Land wandelt sich unsere Gesell- städte und Ballungsräume, und durch Verbleib schaft. Gesellschaftliche fast ausschließlich Älterer – erhebliche Fragen für der Nahversorgung, über Gesundheitsversor- die Zukunft auf. Wir werden bunter: Hessen ist gung bis hin zu vielfältigen Wohnprojekten im ein Einwanderungsland und die zu uns kommen- Alter werden immer mehr nachgefragt. Genos- den Menschen bereichern unsere gesellschaft- senschaften, soziale und solidarische Ökonomie liche Vielfalt. Vielerorts findet allerdings auch sind ein wachsender, heute aber noch kleiner Segregation nach Herkunft, sozialem Status und Wirtschaftssektor, der Gemeinwohlorientierung, zunehmend auch Alter statt. Diesen Herausfor- Selbstorganisation und Bereitstellung von Gütern derungen muss sich unsere Gesellschaft heute und Dienstleistungen verbindet. In Kooperation stellen; es wäre verantwortungslos, würden wir mit den Fachhochschulen und den Kommunen diese Herkules-Aufgabe zukünftigen Generatio- wollen wir den Ausbau dieses Wirtschaftsbe- nen überlassen. reichs in Stadt und Land vorantreiben. Dienstleistungen von 5.3. Altersarmut verhindern 5.5. Selbstbestimmtes Leben auch bei Pflegebe- Älteren Menschen wollen wir ebenso wie jün- dürftigkeit ermöglichen geren die echte Teilhabe an der Gesellschaft er- Wir wollen uns der großen Herausforderung, möglichen. Altersarmut bedeutet oft unwieder- ein bringlich den Ausschluss von der Teilhabe am Leben bei Pflegebedürftigkeit und Demenz zu gesellschaftlichen Leben. Vor allem Menschen ermöglichen, auch in der Landespolitik stellen. mit geringem Einkommen und Personen, die Die zunehmende Zahl pflegebedürftiger und nicht ununterbrochen erwerbstätig waren, wird von Demenzerkrankungen betroffener Men- es in Zukunft immer weniger gelingen, ausrei- schen erfordert eine Pflegepolitik, die Lösungen chende Rentenansprüche zu erwerben. Deshalb nicht isoliert, sondern in Zusammenarbeit mit brauchen wir zum einen eine Rentenpolitik auf den Betroffenen und ihren Angehörigen, mit Bundesebene, die es allen erlaubt in Würde zu den Kommunen und den Wohlfahrtsverbänden altern und einen Rentenbezug, der vor Armut anbietet. Wir sehen das Land in der Verantwor- schützt. Auch die Einführung eines flächende- tung, für gute Rahmenbedingungen in der Pfle- ckenden Mindestlohns und die Reduzierung von ge und für ein würdiges und selbstbestimmtes geringfügiger und prekärer Beschäftigung sind Leben der Hessinnen und Hessen im Alter zu wesentliche Bausteine für existenzsichernde Ein- sorgen. Wir setzen uns deshalb für ein stärkeres kommen und Renten. Begleitet werden muss Engagement des Landes an der Gestaltung der dies zum anderen durch eine präventive Politik Pflegestützpunkte und der Förderung von am- auf Landesebene. Mit zukunftsorientierten Aus- bulanten Versorgungskonzepten für demenziell bildungsprogrammen soll Jungen und Mädchen Erkrankte ein. Das Hessische Gesetz über Betreu- die dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt ungs- und Pflegeleistungen wollen wir zu einem ermöglicht werden. Auch eine Familienpolitik modernen und an den Bedürfnissen der pflege- auf Landesebene, die Familien in ihren Aufgaben bedürftigen Menschen orientierten Pflegegesetz unterstützt und bedarfsgerechte Kinderbetreu- weiterentwickeln. ungsangebote gewährt, die die Vereinbarkeit ganzheitlichen, auf den individuellen Bedarf aus- von Berufstätigkeit und Familienleben für Män- gerichteten Pflege werden. Selbstbestimmung ner und Frauen ermöglicht, trägt zur Teilhabe für und Würde der pflegebedürftigen Menschen, alle bis ins hohe Alter bei. die Sicherstellung von Qualität der Pflege, gute menschenwürdiges und selbstbestimmtes Die Pflege muss zu einer Arbeitsbedingungen, ein engmaschiges, be5.4. Voraussetzungen für individuelles darfsgerechtes, innovatives und flexibles Pflege- Wohnen schaffen angebot einschließlich komplementärer Dienste Entsprechend der Vielfalt der Lebensformen und vor allem gut ausgebildete Fachkräfte in von Menschen wollen wir gemeinsam mit den genügender Anzahl betrachten wir als grundle- Bürgerinnen und Bürgern verschiedene Wohn- gende Aufgaben und Ziele einer zukunftsfesten formen entwickeln und fördern. Die Vielfalt der Pflegepolitik. älteren Menschen drückt sich auch in ihren individuellen Wohnwünschen aus. Dabei ist der 5.6 Pflegeausbildung reformieren Erhalt öffentlich geförderter Wohnungen und Seit Jahren verschärft sich der Mangel an aus- Wohnanlagen wichtig für Menschen aller Ein- reichendem und qualifiziertem Personal in der kommensgruppen. Kranken- und Altenpflege. Der professionelle 17 Pflegebedarf wird in den nächsten Jahren anstei- Unsere Sozialpolitik bedeutet Parteinahme für gen. Immer weniger Pflegebedürftige werden die Schwächsten in unserer Gesellschaft – und von ihren Angehörigen gepflegt werden (kön- dazu gehören mit Sicherheit pflegebedürftige nen). Wir werden deshalb mehr qualifiziertes Menschen. Sie haben ein Recht auf Schutz vor Personal brauchen. Dafür werden wir ein Pro- unsachgemäßer Pflege ebenso wie ein Recht auf gramm auflegen, das den notwendigen Perso- gute Pflege. Eine Pflegekammer ist daher auch nal-Mix in der Pflege und die dafür notwendigen ein wichtiger Baustein des gesundheitlichen Ver- Ausbildungen auf eine solide Grundlage stellt. braucherschutzes. Letztendlich brauchen wir aber eine grundsätz- tur des Pflegeberufs weit hinter anderen euro- 6. Inklusion behinderter Menschen in alle Lebensbereiche unserer Gesellschaft päischen Ländern zurück. Viele Arbeiten, die Wir GRÜNE treten für eine Gesellschaft ein, in in diesen Ländern selbstverständlich von Pfle- der Menschen in ihrer ganzen Vielfalt gleichbe- geberufen ausgeführt werden, sind hier in der rechtigt und selbstbestimmt miteinander leben Verantwortung von Ärztinnen und Ärzten. Das und an allen Aktivitäten des täglichen Lebens Problem des Fachkräftemangels in der Pflege selbstverständlich teilhaben können. Vielfalt ist wird daher nicht durch den Zuzug qualifizierten für uns nicht nur gesellschaftliche Realität, son- Pflegepersonals aus dem europäischen Ausland dern auch ein hohes Gut, von dem eine ganze gelöst werden können. Die Zusammenführung Gesellschaft profitiert. Unser Ziel ist eine inklusi- der Kranken- und Altenpflege in einer modu- ve Gesellschaft, die frei ist von kommunikativen larisierten Ausbildung hat zum Ziel, die Pflege und baulichen Barrieren sowie frei von Vorurtei- insgesamt aufzuwerten, die Voraussetzungen len und Diskriminierungen. Die Inklusion von für eine hohe Qualität der Pflege zu schaffen Menschen mit Behinderung begreifen wir als und die Finanzierung solidarisch sicherzustellen. eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe. Sie be- Eine solche Reform bedarf einer Neukonzeption ginnt in Kindergarten und Schule, setzt sich fort der gesamten Ausbildung, der unterschiedlichen im Arbeitsleben und wird auch für ältere Men- Qualifikationsstufen und einer darauf aufbauen- schen eine immer größere Rolle spielen. Besone- den verbindlichen Fort- und Weiterbildung. res Augenmerk legen wir auch auf die Probleme liche Reform der Alten- und Krankenpflege. Deutschland und Hessen liegen bei der Struk- von Frauen mit Behinderungen. Die Umsetzung 5.7. Pflegekammer aufbauen in der UN-Behindertenrechtskonvention steht in Die rasante Entwicklung der wissenschaftlichen allen Bereichen unseres Landes auf der Tages- Erkenntnisse im Gesundheitsbereich und ihre ordnung und wird unsere Gesellschaft nicht nur Umsetzung in der Praxis machen eine struktu- gerechter machen, sondern auch bereichern. rierte und verbindliche Fort- und Weiterbildung 18 notwendig. Die Verantwortung dafür wollen wir 6.1. Barrierefreiheit als universelles Gestal- – wie dies in anderen Gesundheitsberufen bereits tungsdesign umsetzen geschieht – einer Kammer zuweisen. Eine Pfle- Gemäß unserem Gerechtigkeitsideal der glei- gekammer stärkt die Rechte und das Ansehen chen Teilhabe für alle ist der ungehinderte Zu- der professionellen Pflege. Sie leistet aber auch gang für alle zum öffentlichen Raum, und ins- einen wichtigen Beitrag zur Qualität von Pflege. besondere zu Bildung, wesentliche Anforderung an unsere Sozialpolitik. Barrierefreiheit auf allen halb von Werkstätten für Behinderte schaffen. Ebenen ohne Zugangshürden, der Abbau von Unser Ziel sind möglichst viele Arbeitsplätze im sozialen, kommunikativen und räumlichen Bar- ersten Arbeitsmarkt. Viele Unternehmen, gera- rieren, ist unser Ziel. Wir haben dabei beson- de Klein-und Mittelbetriebe sind durchaus be- ders Menschen mit Behinderung, aber auch den reit, auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit wachsenden Anteil älterer Menschen im Blick Beeinträchtigungen zu beschäftigen, wenn dies und wollen ihnen ein selbstbestimmtes Leben in ohne großen Aufwand möglich ist. Durch den der Gemeinschaft und umfassende Teilhabe er- sozialen Arbeitsmarkt, der es den Kommunen möglichen. Wie in unserem Konzeptpapier „Bar- und anderen Arbeitgebern ermöglicht, langfristi- rierefreiheit als universelles Gestaltungsdesign“ ge sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs- beschrieben, ist die Gestaltung von öffentlichen verhältnisse zur Verfügung zu stellen, können und privaten Räumen ohne Zugangshürden eine auch Menschen mit chronischen Erkrankungen wesentliche Grundvoraussetzung für gleichbe- oder Behinderungen wieder ohne Diskriminie- rechtigte Teilhabe. rung in den Arbeitsmarkt vor Ort in einer Gemeinde integriert werden. Schließlich wollen wir Wir streben an, dass neue Gebäude und Woh- bei der Gestaltung sozialer Leistungen den tradi- nungen in Zukunft nicht nur energetische Aspek- tionell eher einrichtungszentrierten Ansatz durch te berücksichtigen, sondern auch den Kriterien einen personenzentrierten Ansatz ablösen: die „ barrierefrei“ bzw. „altersgerecht“ zu entspre- Menschen mit Behinderung mit ihren jeweils in- chen haben. Die Vielfalt von Arbeit, Arbeitsplät- dividuellen Bedürfnissen müssen im Mittelpunkt zen, Freizeitverhalten und Wohnraum muss der der Gestaltung der Behindertenhilfe stehen. Der Vielfalt der Menschen, die dort arbeiten und le- Landeswohlfahrtsverband Hessen ist hier auf ben, gerecht werden. In einem Stufenprogramm einem guten Wege. Ambulante Hilfsangebote wollen wir die Barrierefreiheit in allen Bereichen müssen deutlichen Vorrang haben vor stationä- des öffentlichen Lebens erreichen. Dazu gehö- rer oder teilstationärer Unterbringung. ren z.B. das Gesundheitswesen, aber auch Gaststätten, Kinos und andere Einrichtungen der Freizeitgestaltung. Darüber hinaus wollen wir 7. Gesundheit die Inklusion in unseren Bildungseinrichtungen, Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung insbesondere in Kindergärten und Schulen, als für umfassende Teilhabe an der Gesellschaft. wichtige Herausforderung der nächsten Jahre Sie ist nicht nur um ihrer selbst willen zentral für aktiv und konsequent angehen. Damit kommen ein gelingendes Leben ohne physische und psy- wir nicht nur einer Forderung der UN-Behinder- chische Beeinträchtigungen, sondern hat Aus- tenrechtskonvention nach, sondern setzen das wirkungen im Alltag und am Arbeitsplatz. Wer Recht aller Kinder – also auch derjenigen ohne krank ist, ist auch häufiger arbeitslos. Und wer Behinderung – auf ihre individuelle Förderung in krank und arbeitslos ist, ist nicht selten von Ar- die Realität um. mut bedroht. Arme Menschen haben eine geringere Lebenserwartung als voll in die Gesellschaft 6.2. Teilhabe durch inklusiven Arbeitsmarkt er- integrierte. Gesundheit ist vom sozioökonomi- leichtern schen Status einer Person abhängig – ein Ge- Wir wollen Beschäftigungsverhältnisse auch für rechtigkeitsskandal, den wir GRÜNE so nicht Menschen mit schweren Behinderungen außer- hinnehmen wollen und werden. 19 7.1 Die Gesundheit fördern 7.2. Den Gesundheitsförderung und Prävention sind ein stärken Schwerpunkt der ganzheitlichen Betrachtung Wir wollen den derzeitigen Gesundheitsdienst von Menschen. Wir wissen: je früher bestimm- der Landkreise und Städte zu einem Haus der te Lebenskompetenzen erworben werden, desto Gesundheit weiterentwickeln, wie dies im Kon- eher werden diese auch in entsprechende Ver- zeptpapier „Gesundheit im ländlichen Raum“ haltensweisen umgesetzt. In den meisten Fällen dargestellt ist. Wesentliche Aufgaben sind die sind die Gesundheit fördernde Lebensweisen am Gesundheitsförderung und -prävention sowie die einfachsten zu erreichen, wenn das so genannte bessere und effizientere Koordination vorhande- Setting – also der Lebensbereich wie Kindergar- ner Angebote der Versorgung. ten, Schule oder Arbeitsplatz u.a. – im Zentrum wir eine Reform des öffentlichen Gesundheits- von Maßnahmen steht. Derzeit wird Gesund- dienstes einleiten. Denn der gerechte Zugang zu heitsförderung in einer Unzahl von befristeten Gesundheitsversorgung ist in sozial benachteilig- Projekten zweifelhafter Wirkung durchgeführt; ten Quartieren bereits heute nicht gewährleistet. oft werden sie von Krankenkassen für Eigenwer- Außerdem entstehen auch im ländlichen Raum bung genutzt. wegen des demografischen Wandels und der öffentlichen Gesundheitsdienstes Dazu werden Abwanderung aus strukturschwachen Gegenden Auch wenn die gesundheitspolitischen Entschei- zunehmend weiße Flecken der Versorgung. Dem dungen überwiegend in den Zuständigkeitsbe- wollen wir entgegentreten, indem wir durch För- reich der Bundesebene fallen, stehen Land und derung innovativer Versorgungsmodelle – zum Kommunen in der Verantwortung, die ihnen zu- Beispiel mit der Gemeindepflege, „Ärzte auf gewiesenen Aufgaben auch im Gesundheitsbe- Rädern“ und ganzheitlichen, fachübergreifende reich wahrzunehmen. Die Gesundheit zu fördern Versorgungszentren – den Zugang zu einer qua- und das Entstehen von Krankheiten zu vermei- litativ hochwertigen Gesundheitsversorgung für den, eine gute Krankenversorgung in Stadt und alle als wichtigen Baustein gesellschaftlicher Teil- Land zu gewährleisten und Krankenhäuser, ins- habe in Stadt und Land gewährleisten. besondere kommunale Krankenhäuser, in ihrem Versorgungsauftrag zu stärken, sind die Ziele unserer Gesundheitspolitik auf Landesebene. 20 IV. Neuorientierung der Aufgaben und Kompetenzen zwischen Land und Kommunen Ein handlungsfähiger Staat und starke öffentliche dung und etabliert einen systematischen Erfah- Institutionen, die in der Lage sind, soziale Barrie- rungsaustausch. ren abzubauen und die Menschen mit ihren Fähigkeiten und Talenten so zu unterstützen, dass 2. Die Durchführung gesetzlich festgelegter alle selbstbestimmt teilhaben können, beinhal- Leistungen durch die Kommunen muss in aus- tet die Entscheidung, welche Maßnahmen von reichendem Maße seitens des Landes (bzw. ggf. welcher Verwaltungsebene am sinnvollsten und des Bundes) gewährleistet sein. Dabei ist ins- kompetentesten zu erbringen sind. Eine Neu- besondere auch auf eine faire Verteilung der orientierung der Aufgaben und Kompetenzen ist Finanzmittel im Rahmen des reformierten kom- besonders für die Sozialpolitik von zentraler Be- munalen Finanzausgleichs zu achten. deutung. Eine solche Neuorientierung muss vom Grundsatz der Subsidiarität geleitet sein und in 3. Das Land wird im Rahmen seiner freiwilligen ihrer konkreten Umsetzung mit den verschiede- Leistungen eine ermöglichende Sozialpolitik ge- nen Ebenen im Lichte unserer Gerechtigkeitsidee stalten, die sich am Anspruch der gleichen Teil- der gleichen Freiheit und Teilhabe für alle offen habe für alle ausrichtet. Durch den gezielten und diskutiert werden. Gemeinsam mit den Kommu- verantwortungsvollen Einsatz von Landesmitteln nen werden wir eine Kritik und Beschreibung der wird vorrangig die soziale Infrastruktur Hessens Aufgaben der verschiedenen Verwaltungsebe- gestärkt und zukunftsfest gemacht. nen (Bund, Land, Regierungspräsidien, Kreise und Städte, Gemeinden) vornehmen. In der hessischen Verfassung ist das Konnexitäts- 1. Die Kommunen in ihren sozialen Aufgaben stärken prinzip verankert. Das darf aber nicht heißen, Gerechte Teilhabe für alle entscheidet sich maß- wie die CDU/FDP-Landesregierung es bislang geblich vor Ort in den Kommunen. Kommunen handhabt, die Kommunen mit ihren sozialen sind aufgrund der Nähe zu den Bürgerinnen und Aufgaben allein zu lassen oder ihnen sogar stän- Bürgern und ihren vielfältigen Angeboten (oft dig neue Aufgaben zuzuweisen. Wir brauchen gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden) für daher klare Definitionen der sozialen Aufgaben die Bürgerinnen und Bürger besonders geeignet, auf Landesebene und in den Kommunen, wobei individuelle Hilfestellung in schwierigen Lebens- folgende Bausteine die Diskussion darüber struk- lagen zu geben. Durch Synergie-Effekte der ver- turieren und leiten sollten: schiedenen lokalen Einrichtungen lassen sich hier maßgeschneiderte Lösungen für jeden einzelnen 1. Das Land konzentriert sich auf die Zielsetzung Menschen finden, die ihm eine echte Teilhabe an und Rahmenvorgaben für die Sozialpolitik. Dazu der Gesellschaft ermöglichen kann. Auf kommu- gehören die Entwicklung von Zielvorgaben und naler Ebene gehen dabei Solidarität und Subsi- Indikatoren und die Evaluation der Maßnahmen. diarität Hand in Hand mit der Partizipation einer Darüber hinaus leistet das Land Unterstützung pluralen und selbstbestimmten aktiven Bürger- durch Qualitätszirkel und Landesarbeitsgemein- Innengesellschaft. Eine ermöglichende Sozial- schaften bei Koordination, Fort- und Weiterbil- politik nach unserem Verständnis setzt deshalb 21 auch eine Stärkung der sozialen Aufgaben der Aber auch hier müssen wir feststellen, dass es Kommunen voraus. eine wachsende Kluft zwischen armen und reichen Kommunen gibt, die auf die strukturelle Dafür schlagen wir einen neuen Sozialvertrag Unterfinanzierung von Städten und Gemeinden für Hessen zwischen Land, Kommunen und zurückzuführen ist. Zudem haben wir in Hessen, Wohlfahrtsverbänden vor, der im Dialog erarbei- zum Beispiel mit dem Rhein-Main-Gebiet, eine tet, breit und transparent diskutiert und in einem prosperierende Region, während andere Regio- Aktionsplan für ein soziales Hessen umgesetzt nen als strukturschwach zu bezeichnen sind. Um werden soll. für mehr Gerechtigkeit zwischen den Kommunen zu sorgen, brauchen wir mehr Solidarität Die heutige Kommunalisierung sozialer Hilfen zwischen den Kommunen. wird dazu im Vorfeld einer kritischen Überprüfung unterzogen. Die sozialen Hilfen und Pro- Insbesondere im ländlichen Raum befinden sich gramme müssen sich direkt an den Menschen die Kommunen infolge des demographischen orientieren und sie in ihrer Selbstbestimmung Wandels und durch die Abwanderung jünge- stärken. Hierzu wollen wir mit Hilfe einer lan- rer Menschen in einer Spirale der Verschuldung desweiten Sozialberichterstattung die Ergebnisse aus wachsenden sozialen Kosten und sinkenden bisheriger Sozialpolitik evaluieren, vergleichbar Einnahmen vor Ort. Der derzeitige kommunale darstellen und hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Finanzausgleich (KFA) schafft es nicht, Gerech- Menschen, auf die sozialpolitischen Ziele und tigkeit zwischen den Kommunen und Regionen ihre Wirtschaftlichkeit hin bewerten. Die meis- herzustellen. Von daher ist es nur konsequent, ten Kommunen verfügen über die notwendigen dass wir GRÜNE in unserem Konzeptpapier Kompetenzen und Kooperationen – auch der „Hessens Kommunen fair finanzieren“ eine be- Ämter – zur Erzielung von Synergieeffekten, die sondere Regelung für strukturschwache Kom- dafür sorgen, dass die Mittel unmittelbar dort munen vorsehen. Der ländliche Raum muss eingesetzt werden, wo sie für die Gestaltung seinen Schrumpfungsprozess aktiv gestalten selbstbestimmten Lebens oder zur Beseitigung (können). Einwohnerverlust und der zunehmen- bestimmter Notlagen notwendig sind. de Anteil älterer Menschen erfordern u. a. einen Rück- oder Umbau von Infrastruktur. Diesen fi- Das Land hat dafür zu sorgen, dass diese kom- nanziellen Aufwendungen stehen prinzipiell sin- munalen Angebote in bester Qualität (Aus-, kende KFA-Zuweisungen gegenüber, da diese Fort- und Weiterbildung, Vernetzung, Partizi- wesentlich von der Einwohnerzahl abhängen. pation, etc.) erbracht werden können und neue, Die dadurch entstehende Finanzierungslücke innovative Maßnahmen erprobt, wissenschaft- wollen wir jedoch zum einen durch die Reform lich begleitet und – bei guter Erfahrung – in der des KFAs abmildern. Zum anderen wollen wir die Breite eingeführt werden können. notwendigen Anpassungsprozesse durch zeitlich begrenzte und klar definierte Bedarfszuweisungen unterstützen. Als Ergebnis des Rückbaus 2. Einen fairen Ausgleich zwischen den schließt sich dann die durch den InfrastrukturKommunen herstellen überhang verursachte Finanzierungslücke wie- 22 Wir konstatieren eine zunehmend angespannte der, so dass die besonderen Bedarfszuweisungen Finanzlage der meisten Kommunen in Hessen. abgebaut werden können. 3. Landesweite Sozialpolitik verlässlich gestalten – das Sozialbudget Wir wollen mit den freiwilligen sozialen Leistungen des Landes durch ein Sozialbudget eine hessische Sozialpolitik gestalten, die durch den verantwortungsvollen Einsatz von Landesmitteln die soziale Infrastruktur in Hessen zukunftsfest mitgestaltet. Das GRÜNE Sozialbudget gibt durch eine verbindliche Festschreibung der Landesmittel über den laufenden Haushalt hinaus den Menschen, den Kommunen und Trägern sozialer Dienste Planungssicherheit, ermöglicht den wirkungsvollen und effizienten Einsatz öffentlicher Mittel durch Qualitätsstandards, Wirkungsorientierung und Evaluation und sichert bestehende bzw. schafft neue, zukunftsorientierte Arbeitsplätze. Wir wollen die soziale Infrastruktur in Hessen sichern und im Interesse der Menschen weiter entwickeln. Aus den Mitteln des Sozialbudgets können auch Kommunen unterstützt werden, die Angebote über die Grenzen ihres Gebiets hinweg anbieten, wie z.B. bei der Suchthilfe oder der Betreuung von Menschen mit HIV/AIDS. 23 V. Fazit In Hessen ist es endlich Zeit für eine neue Politik Wir wollen eine Sozialpolitik, die allen Menschen der sozialen Gerechtigkeit. Eine gerechte Sozial- – ob alt oder jung, Mann oder Frau, arm oder politik für Hessen erfordert einen Kompass, der reich, krank oder gesund, mit oder ohne Behin- auf gleiche Freiheit, d.h. die Ermöglichung von derung, mit oder ohne Migrationshintergrund Selbstbestimmung und Teilhabe für alle Men- und religiös oder nicht – die Möglichkeit gibt, schen, ausgerichtet ist. Die Stärkung öffentli- Teil der Gesellschaft zu sein. Wir wollen eine cher Institutionen mit ihrer zentralen Aufgabe, Sozialpolitik, die die Menschen in ihrer Selbstbe- ein gelingendes Leben ohne soziale Blockaden stimmung stärkt, sie in ihren eigenen Anstren- zu ermöglichen, hat für uns dabei oberste Prio- gungen unterstützt und ihre Vielfalt als Bereiche- rität. Wir wollen keine paternalistische und ob- rung für die Gesellschaft anerkennt. rigkeitsstaatliche Sozialpolitik, die den Menschen bestimmte Lebenspfade und Verhaltensweisen Wir werden uns für eine verlässliche und ge- vorgibt. Wir GRÜNE wollen vielmehr eine er- rechte Landespolitik einsetzen, damit unsere Ge- möglichende Sozialpolitik mit einem handlungs- sellschaft in der Lage ist, den demographischen fähigen, nachhaltig wirtschaftenden Staat, der Wandel zu gestalten, die Herausforderungen der die notwendigen öffentlichen Güter für eine Wissens- und Informationsgesellschaft zu beant- lebenswerte Umwelt sowie für eine intakte und worten und einer weiter wachsenden Aufspal- inklusive Gesellschaft und eine innovative Wirt- tung in Arm und Reich entgegen zu wirken. schaft bereitstellt. 24 IHR DRAHT ZUR FRAKTION BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fraktion im Hessischen Landtag Schlossplatz 1-3 65183 Wiesbaden ZUSTÄNDIGE ABGEORDNETE KORDULA SCHULZ-ASCHE Stellv. Fraktionsvorsitzende Sprecherin für Demografischen Wandel, Gesundheit, und Behindertenpolitik Tel.: 0611/350-749 [email protected] MITARBEITERIN BETTINA SCHREIBER Referentin: Gesundheit, Soziales, Frauen, Kinder, Jugend, Behindertenpolitik Tel.: 0611/350-587 [email protected]