Boden- und Felskennwerte für den Neubau einer Kraftwerkskaverne

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WASSERBAU
Kurt Schetelig, Fernand Zanter, Jürgen Köngeter und Michael Heitfeld
Boden- und Felskennwerte für den
Neubau einer Kraftwerkskaverne in
­Vianden, Luxemburg
Für den Neubau einer Kraftwerkskaverne und ergänzende Baumaßnahmen wurden die
­geotechnischen Untersuchungen für bereits bestehende Anlagen und die Kontrollmessungen
während der Bau- und Betriebszeit ausgewertet. Der Einblick in den Skaleneffekt von Laborversuchen bis zu Messungen im Großraum diente der Gewinnung charakteristischer Kennwerte für Fels und Boden als Großraum sowie der Vorbereitung des Sondierstollens und
ergänzen­der Feldversuche.
1 Einführung
Die Ermittlung von Boden- und Felskennwerten für große Baumaßnahmen wie das
Pumpspeicherkraftwerk Vianden der Société Electrique de l’Our (SEO) in Vianden/Luxemburg beginnt üblicherweise
mit einer geologischen Spezialkartierung
und Aufschlussbohrungen, aus denen Gesteinsproben für Laborversuche zur Bestimmung der mineralogischen Zusammensetzung und des Gefüges, zur geotechnischen Klassifizierung, zur Bestimmung der Festigkeit von Boden und Fels,
des Verformungsverhaltens und bei
schiefrigen Gesteinen der Anisotropie ge-
wonnen werden. Anhand von Bohrlochversuchen lassen sich zusätzliche Informationen z. B. mit optischen Sondierungen
zum Trennflächengefüge sowie dessen
Ausbildung und mit Hilfe von Bohrlochversuchen zum Verformungsverhalten des
Gebirges und seiner Durchlässigkeit sowie
zu den Primärspannungen gewinnen. Bei
diesen Versuchen werden Gesteinsvolumina von wenigen dm³ untersucht.
Ein bis zwei Dimensionen größere Volumina werden durch Feldversuche zum Verformungsverhalten des Gebirges, z. B.
durch „Large-flat-jack-Tests“ oder Großscherversuche erfasst. Solche Versuche erfordern jedoch erheblichen Aufwand, kön-
nen in aller Regel nur ein oder wenige Male durchgeführt werden und führen fast
immer zu intensiven Diskussionen, ob die
gewählten Versuchs-Standorte und die bei
den Versuchen erfassten Gebirgsbereiche
tatsächlich repräsentativ für die Bedingungen großer Felshohlräume sind.
Die in dieser Untersuchungsphase erhaltenen Werte werden während der Bauausführung im Zuge baubegleitender Messungen am Bauwerk und im Fels bzw. im
Baugrund überprüft. Es folgen detaillierte
Messungen und Kontrollen während der
Inbetriebnahme sowie im Dauerbetrieb.
Ein Grund für dieses schrittweise Vorgehen ist der Maßstabseffekt, der es in vielen Fällen nicht erlaubt, unmittelbar aus
Labor- und selbst nicht aus Feldversuchen
gesicherte Rückschlüsse auf das Verhalten
im Großraum zu ziehen. Manche Effekte,
wie z. B. dynamische Einwirkungen durch
Erschütterungen oder Sprengungen, lassen sich überhaupt nur durch Messungen
im Feld ermitteln.
2 Kraftwerkskaverne
Bild 1: Schematisches geologisches Profil
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Im Falle der Maschine 11 des Pumpspeicherkraftwerks Vianden konnte ein anderer Weg beschritten werden, da hier umfangreiche Daten und Erfahrungen von
Bau und Betrieb der bereits bestehenden
Anlagen vorlagen [2], [5]. So wurde bei der
Planung und Vorerkundung für die Maschine 11 nahezu der umgekehrte Weg beschritten. Die Festlegung des neuen Kraft-
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werksstandortes innerhalb einer tektonischen Faltenstruktur auf der NW-Flanke
eines tektonischen Sattels (Bild 1) erfolgte
aufgrund der bei den bestehenden Kraftwerksanlagen gewonnenen Erfahrungen
und der betrieblichen, morphologischen
und geologischen Randbedingungen.
Die Kavernenachse wurde so ausgerichtet,
dass die Kavernenwandungen von Schichtung und Schieferung stumpfwinklig geschnitten werden und bei annähernd lotrechter Schieferung die Schichtung mit ca.
30° einfällt. Die aus den verschiedenen
Trennflächen sich ergebenden Felskeile erreichen vor allem an den Kavernenlängswänden ein relatives Minimum. Schichtung,
Klüftung und gelegentlich auch die Schieferung treten als mechanisch wirksame
Trennflächen in Erscheinung, die wegen der
verbreiteten Beläge aus Ton oder tonigem
Gesteinszerreibsel durchweg eine geringe
Scherfestigkeit haben. Zur Information über
das zu erwartende Trennflächensystem
wurde in dieser Projektphase hauptsächlich
auf die Dokumentation der Kleintektonik
bei den bestehenden Anlagen zurückgegriffen. Die Ergebnisse der Spezialkartierung
der dürftigen Übertageaufschlüsse traten
dahinter zurück (Bild 2).
Für die Beurteilung des neuen Kraftwerksstandortes wurde vor allem auf die
Erfahrungen beim Bau der Kaverne für
die Maschinen 1 bis 9 (L = 330 m, B =
18 m, H = 35 m) und beim Schacht für die
Maschine 10 (D = 25 m, T = 50 m) sowie
die zugehörigen Stollen zurückgegriffen.
Als besonders aussagekräftig erwiesen
sich die geodätischen Kontrollmessungen
während der Bauzeit und des rund 50-jährigen Betriebes.
Abklingende Konvergenzen in der Maschinenkaverne von anfangs 0,1 mm/Jahr
erlaubten eine günstige Prognose über das
Kriechverhalten der sandigen Schiefer­
gesteine mit quarzitischer Matrix. Druckkissenversuche, ein Stollenaufweitungs­
versuch mit der TIWAG-Presse sowie
­Messungen zur Bestimmung der Primärspannungen im Gebirge lieferten neben
unmittelbaren Hinweisen zu Ausbruch
und Sicherung vor allem Informationen
zum komplexen Verformungsverhalten des
Gebirges während des Ausbruchs großer
Felshohlräume. Obwohl der Fels fest und
relativ steif ist, stellten sich überraschend
große Konvergenzen bis ca. 30 cm beim
Ausbruch des Kraftwerksschachtes für die
10. Maschine ein. Eine Ursache ist offenbar
die geringe Scherfestigkeit längs der Trennflächen um φ´ = 20° und c = 0 bei einem
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sehr hohen Durchtrennungsgrad um 100 %
sowie eine ungewöhnliche Ebenheit der
Schicht- und Kluftflächen.
Der Vergleich der Feldversuche und der
baubegleitenden Messungen zeigte, dass
neben das elasto-plastische Verformungsverhalten des unverritzten Gebirges beim
Ausbruch großer Felshohlräume ein erheblicher nicht-elastischer Verformungsanteil
unmittelbar an den Kavernenwänden hinzutritt, der im voraus mit Hilfe üblicher
Feldversuche nicht vorhergesagt werden
kann. Gerade dieses Felsverhalten beweist
die große Bedeutung der Betrachtung der
unterschiedlichen Skalen im Felsbau vom
Laborversuch bis zum Großraum.
Die ausgeprägte Schichtung und Schieferung bedingen eine Verformungsani­
sotropie des Gesteins, die in Laborversuchen mit einem Verhältnis von 1:2 bis 1:3
bestimmt wurde und mit Hilfe orientierter Druckkissenversuche in stark geschieferten Gesteinen zu 10 bzw. 30 GPa
normal und parallel zur Schieferung bestimmt wurde, also einem ähnlichen Verhältnis wie beim Gestein. Die geringe
Scherfestigkeit auf den Kluftflächen, die
überwiegend normal zu Schichtung und
Schieferung verlaufen, führen offenbar
verbreitet zu einer Art Isotropisierung
des Gebirges im Großraum. Jedenfalls
zeigten die Konvergenzmessungen im
Schacht der 10. Maschine von Vianden
keine Anisotropie.
Die bei den Voruntersuchungen für den
Kraftwerksschacht der 10. Maschine bestimmten hohen Horizontalspannungen
im Gebirge mit einem Mittelwert des Ver-
Bild 2: Lagenkugelprojektion der
T­ rennflächen und Ausrichtung der
­Kavernenachse
hältnisses σh/σv = 1,7 wurden anfangs mit
gewissen Zweifeln betrachtet. Diese erhöhten Primärspannungen tragen zwar
sicher zu den starken Verformungen der
Schachtwandungen bei, reichen aber als
Argument allein nicht aus. Die hohen Versuchswerte werden auch als Folge der zent­
ralen Lage des Schachtes in einer engen
tektonischen Mulde sowie der morphologischen Situation in einem tief eingeschnittenen Tal gesehen. Die Auswertung
aller vorhandenen Messdaten und Erfahrungen aus den bestehenden Anlagen im
Hinblick auf die Maschine 11 führte zu
den Kennwerten der Tabelle 1.
Tab. 1: Charakteristische geotechnische Kennwerte, ermittelt aus früheren Versuchen und Messungen
Stoffgesetz:
elasto-plastisch
Gesteinsfestigkeit:
normal zur Schieferung:
60 bis 150 (im Mittel 90) MPa
parallel zur Schieferung:
20 bis 60 (im Mittel 40) MPa
bei einem Winkel Schieferung/Probenebene von ca. 60°:
0 bis 15 (im Mittel 3 bis 5) MPa
Poissonzahl:
parallel zur Schieferung:
0,1
normal zur Schieferung:
0,3
Scherfestigkeit auf Trennflächen (dränierter Zustand):
φ’ = 20°, c = 0 MPa
Verformungsmodul:
parallel zur Schieferung:
30 GPa
normal zur Schieferung:
10 GPa
Primärspannungszustand:
σv = γ · h
σh = (0,5 – 1,0) · γ · h
73
WASSERBAU
3 Oberbecken-Ringdamm
Der Oberbecken-Ringdamm entstand in
den Jahren 1959 bis 1962 als einer der ersten
Steinschüttdämme mit Schiefermaterial und
war damals eine ausgesprochene Pionier­
leistung des Dammbaus [1]. Die Ermittlung
der Einbau-Eigenschaften und der Verdichtbarkeit des mit schweren Raupen gebrochenen und gerissenen Felsmaterials sowie
der Scherfestigkeit und Durchlässigkeit der
hergestellten Dammschüttung beruhte auf
Probeschüttungen vor Ort und daraus entnommenen Proben für triaxiale Scherversuche in mittelgro­ßen Versuchsgeräten an
der (heutigen) TU Darmstadt [3] sowie am
großen Triaxialgerät (D = 1,0 m, H bis 3,0 m,
Größtkorn 100 mm) an der Universität
Karlsruhe [4]. Für die Standsicherheitsberechnung war seinerzeit ein Wert von φ´ =
39° bei c = 0 MPa zugrunde gelegt worden.
Die Kontrollmessungen am Oberbecken-Ringdamm während der Bau- und
Betriebszeit bewiesen eine hervorragende
Verdichtung des gemischtkörnigen Schüt­
tmaterials, was zu ungewöhnlich geringen
Setzungen des Dammkörpers führte. Die
Dränagemessungen bewiesen die geringe
Gebirgsdurchlässigkeit des Gebirges sowie die hohe Dichtigkeit der AsphaltOberflächendichtung (Sickerwassermenge ca. 1 l/s). Die Daten lieferten auch Informationen zum Langzeitverhalten von
Dränagen im Hinblick auf die Risiken
Versinterung und Verockerung.
Im Hinblick auf die geplante Anhebung
des Stauziels im Oberbecken um 1,0 m sowie Baumaßnahmen zum Schutz gegen
Wellenschlag erfolgte eine Neubewertung
der seinerzeit durchgeführten Scherversuche im Lichte der Betriebserfahrungen
sowie unter Nutzung der seitdem gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu
Steinschüttdämmen. Demnach sind weitere Sicherheitsreserven für den Ringdamm vorhanden.
den Skaleneffekt der einzelnen Versuche
und deren Aussagekraft als Planungsgrundlage deutlich gemacht.
Voraussetzung für die aufgezeigte integ­
rierte Vorgehensweise war eine ausgezeichnete und vollständige Dokumentation durch die SEO bzw. durch die von ihr
beauftragten Ingenieure sowie eine für die
heutige Zeit eher ungewöhnliche Kontinuität in der Zusammensetzung der
Teams für Planung und Betrieb, die soweit
möglich auch über mehrere Bauphasen
hinweg erhalten blieben. Das gewählte
Vorgehen bei der Maschine 11 hat nicht
nur Kosten verringert und Fehlversuche
erspart, sondern auch insgesamt zu einer
größeren Zuverlässigkeit des Sicherheitskonzeptes und der Beurteilung der maßgeblichen Lastfälle und Berechnungsansätze geführt.
4 Schlussbemerkung
Autoren
Prof. Dr. Kurt Schetelig
Die Neuauswertung der früheren Versuche, Messungen und Betriebsdaten hat
Ingenieurbüro Heitfeld-Schetelig GmbH
Preusweg 74, 52074 Aachen
[email protected]
Fernand Zanter
Kurt Schetelig, Fernand Zanter, Jürgen Köngeter and Michael Heitfeld
Soil and Rock Parameters for the Construction of a New Powerhouse
Cavern at Vianden, Luxemburg
For design and construction of a new powerhouse cavern and appurtenant structures
the previous geotechnical investigations for the already existing plants, experiences
obtained during excavation and rock support and the results of monitoring during
construction and operation were evaluated. The study of the scaling effect from
­laboratory up to field measurements yielded the deduction of characteristic values
for the design of big soil and rock structures as well as an improved preparation of a
new inspection adit, supplementary rock mechanical tests and vibration measurements considering the impact of blasting on the existing machines being in permanent operation.
Société Electrique de l’Our S.A.
Boîte postale 2
L-9401 Vianden, Luxemburg
[email protected]
Prof. Dr.-Ing. Jürgen Köngeter
RWTH Aachen
Lehrstuhl für Wasserbau und Wasserwirtschaft
Mies-van-der-Rohe-Straße 1
52074 Aachen
[email protected]
Dr.-Ing. Michael Heitfeld
Ingenieurbüro Heitfeld-Schetelig GmbH
Preusweg 74, 52074 Aachen
[email protected]
Literatur
Курт Шетелиг, Фернанд Цантер, Юрген Кёнгетер и Михаэль Хайтфельд
Характеристики почвы и скального грунта вновь строящегося
подземного тоннеля электростанции в городе Вианден,
Люксембург
Для выборки вновь строящегося подземного тоннеля электростанции и
проведения прочих строительных мероприятий было проведено геотехническое
исследование уже имеющихся сооружений и осуществлена оценка контрольных
замеров, проведенных во время строительства и эксплуатации сооружений.
Многочисленные измерения, проведенные в ходе лабораторных испытаний, и
замеры, осуществленные вне лаборатории, позволили получить данные о
характеристиках почвы и скального грунта и послужили подготовке разведочной
штольни и проведению дополнительных полевых испытаний.
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[1]Blind, H.: Das Oberbecken des Pumpspeicherwerkes Vianden. In: Wasserwirtschaft, 55
(1965), Heft 2.
[2]Blind, H.: Kaverne und Stollen des Pumpspeicherwerkes Vianden. In: Wasserwirtschaft 56
(1966), Heft 6.
[3]Breth, H.: Die boden- und felsmechanischen
Untersuchungen für das Pumpspeicherwerk
Vianden. In: Wasserwirtschaft 53 (1963),
Heft 7.
[4]Leussink, H.: Bau eines großen dreiaxialen
Schergerätes zur Untersuchung grobkörniger
Erdstoffe. In: Veröff. Inst. f. Bodenmechanik u.
Grundbau TU Karlsruhe (1960), Heft 3.
[5]Moltrecht, M.; Eickmann, G.; Köhn, R.-G.:
E­rweiterung des Pumpspeicherkraftwerkes
Vianden in Luxemburg mit einer 11. Maschine.
In: WasserWirtschaft 100 (2010), Heft 4.
WASSERWIRTSCHAFT
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