unizeit 71 | forschung + praxis | seite 3 07.04. 2012 Begehrte Flächen Die Zerstörung des tropischen Regenwaldes in Brasilien schreitet unentwegt voran. Was das für Kohlenstoffbilanz und Klimaschutz im Detail bedeutet, ist Thema eines Verbundprojekts mit Kieler Beteiligung. Der Regenwald am Amazonas ist ein mächtiger Speicher für organischen Kohlenstoff und nimmt große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf. Der Kohlenstoff steckt aber keineswegs nur in der riesigen Pflanzenmasse, sondern ist auch im Boden gebunden. »Man geht sogar davon aus, dass in vielen Wäldern mehr Kohlenstoff im Boden liegt als im Wald darüber«, erklärt Professor Ulrich Irmler vom Institut für Ökosystemforschung. Für den Klimaschutz ist es wichtig, Regenwälder als Kohlenstoffreservoir zu erhalten. »Denn immer wenn Regenwald gerodet und in Acker umgewandelt wird, entweichen große Mengen an Kohlendioxid, das durch die Zersetzung des organisch gebundenen Kohlenstoffs entsteht.« Tatsache ist jedoch auch, dass die Regenwälder seit Jahrzehnten systematisch zerstört werden, vor allem um Weideflächen für die Viehzucht und Anbauflächen für FutterStreit um neues Waldgesetz Der brasilianische Senat hat im Dezember 2011 eine Neuregelung des Waldschutzgesetzes von 1965 entworfen, die neue Rodungen im Amazonas-Regenwald ermöglichen würde. Der so genannte WaldKodex verkleinert bislang vorgeschriebene Schutzzonen. Zudem befreit er Personen, die Wald besitzen, von Verpflichtungen zur Wiederaufforstung, wie sie in dem Gesetz von 1965 vorgesehen sind. Eine der wichtigsten Änderungen sieht Straffreiheit für alle vor, die bis Juli 2008 illegal Wald abgeholzt haben. Dabei geht es um die seit langem umkämpfte Vorschrift, nach der Farmen auf ihrem Land je nach Naturraum zwischen 20 und 80 Prozent des Waldes stehen lassen müssen. Diese Vorschrift exis­tiert seit Ende der 1990er, aber die Behörden setzen sie erst seit ein paar Jahren durch. Sie verhängen Geldstrafen und fordern Wiederaufforstung. Die Abstimmung im brasilianischen Abgeordnetenhaus über die umstrittene Gesetzesnovelle stand zu Redaktionsschluss (20. März) noch aus. ne mittel (Soja) oder Biotreibstoffe (Mais) zu gewinnen. »In den frühen 1970er Jahren hat man angefangen, Straßen in das Amazonasgebiet zu bauen. Entlang dieser Straßen wird Landwirtschaft betrieben«, so Irmler. Und die Rodung schreitet immer weiter voran. Mit diesem Raubbau am Regenwald und der Milderung der ökologischen Folgen befasst sich ein groß angelegtes Forschungsprogramm in der Amazonasregion. Das Verbundprojekt »Carbiocial« (Carbon-optimized land management strategies for southern Amazonia) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für fünf Jahre mit insgesamt 6,15 Millionen Euro gefördert. Schwerpunkte sind die Analyse und Entwicklung von Methoden zur besseren Kohlenstoffspeicherung in Böden, die Reduktion von Treibhausgasen und der Erhalt wichtiger Ökosystemfunktionen. Der Geograf Professor Gerhard Gerold von der Universität Göttingen koordiniert das Projekt. Beteiligt sind daneben neun weitere deutsche Universitäten, zwei Helmholtz-Zentren sowie zahlreiche brasilianische Partnerinstitute. Das Untersuchungsgebiet liegt hauptsächlich in den brasilianischen Bundesstaaten Mato Grosso und Pará. Ziel des Projekts ist unter anderem ein Modell, mit dem sich abschätzen lässt, wie sich verschiedene Landnutzungsszenarien für die Amazonasregion auswirken. Irmler: »Wir wollen sehen, was zu erwarten ist, wenn die Zerstörung so weitergeht, wie sie bisher in Matto Grosso abgelaufen ist. Was kommt auf uns zu, wenn sich das auch nach Pará weiter fortsetzt? Wieviel Kohlenstoff würde dann entweichen, wie kann man dem entgegenwirken und wie kann man die Bevölkerung einbinden?« Im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso ist die vor 20 bis 30 Jahren begonnene Rodung des Regenwaldes und die Umwandlung zu landwirtschaftlichen Flächen weit fortgeschritten. Das Team vom Kieler Institut für Ökosystemforschung, dazu gehören neben Brandrodung im tropischen Regenwald: Um Anbauflächen für die Landwirtschaft zu gewinnen, werden riesige Waldgebiete in Amazonien vernichtet. Die dadurch freigesetzten Kohlenstoffmengen tragen erheblich zum Treibhauseffekt bei. Irmler auch Dr. Malte Unger und Doktorandin Karina Peňa, untersucht vor Ort, wie sich zum Beispiel die Kohlenstoffspeicherung in landwirtschaftlich genutzten Böden verbessern lässt. »Wir wollen versuchen, in die ­ ckerböden mehr Kohlenstoff A hineinzukriegen.« Denkbar wäre, Ernterückstände oder Reste aus der Forstwirtschaft einzuarbeiten. »Es geht darum, den Kohlenstoff im Boden zu akkumulieren, um ihn aus der Atmosphäre herauszu- bekommen. Gleichzeitig würden die Böden dadurch auch fruchtbarer.« Zudem sammeln sie weitere Daten zum besseren Verständnis der vorherrschenden Bodenbedingungen, um in einem späteren Arbeitsschritt deren Einfluss auf die Zersetzungs- und Mineralisierungsrate der organischen Substanzen im Boden zu erfassen. Damit einher geht die Arbeit an der Entwicklung eines Gerätes zur Einbringung von Kohlenstoff in den Boden, welches leicht und profitabel von der regionalen Landwirtschaft bedient werden kann. Die landwirtschaftlich genutzten Flächen in Mato Grosso und Pará grenzen an flussufernahe Feuchtgebiete, die ein großes Potenzial für Kohlenstoffspeicherung bieten. Ein besseres Verständnis dieses Potenzials ist gleichzeitig eine Möglichkeit für eine bessere Argumentation im Hinblick auf zukünftige Schutzmaßnahmen dieser Ökosysteme. In diesen Feuchtgebieten werden die ober- als auch unterirdisch gespeicherten Kohlenstoffmengen gemessen und die genaue räumliche Ausdehnung dieser Ökosysteme bestimmt. Kerstin Nees Gasmessungen auf See Dr. Christa Marandino verbringt viel Zeit an Bord von Forschungsschiffen. Die Meereschemikerin beschäftigt sich mit Spurengasen an der Ozean­ oberfläche und entwickelt dafür eine neue Messtechnik. Ob im tropischen Atlantik vor Westafrika bei den Kapverdischen Inseln oder im südchinesischen Meer vor Malaysia: Dr. Christa Marandino vom Forschungsbereich »Marine Biogeochemie« ist auf allen Weltmeeren unterwegs. Ihr Kieler Arbeitsplatz ist das Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (GEOMAR) am Westufer. Hier leitet sie eine Nachwuchsforschungsgruppe. Im Labor steht ihr wichtigstes Messinstrument, ein speziell für ihre Zwecke entwickeltes Massenspektrometer – das »atmospheric pressure chemical ionization mass spectrometry«. Dieses Gerät hat sie bereits als Doktorandin an der Universität von Kalifornien eingesetzt, um gasförmige Verbindungen im Meer und der Atmosphäre zu messen. Mit dem Austausch von Spurengasen zwischen Ozean und Atmosphäre und der Technik, die man benötigt, um dazu verlässliche Daten zu bekommen, beschäftigt sich Marandino bereits seit über zehn Jahren. Die Methode heißt »eddy correlation technique«. Dabei misst man vertikale Windgeschwindigkeiten, die Veränderungen von Gaskonzentrationen und bringt beide in Verbindung. Für Kohlendioxid wird diese Methode von einigen wenigen Arbeitsgruppen weltweit schon angewendet. Andere Gase mit noch geringeren Konzentrationen waren bislang schwer zu messen. »Die Messungen müssen extrem schnell und dabei sehr präzise sein und das auf einer schwankenden Messplattform wie einem Forschungsschiff. Das ist das Problem«, erklärt Dr. Maradino. Seit 2008 arbeitet die Chemikerin in Kiel. Die ehemalige Humboldtstipendiatin will hier die Technik noch weiter verfeinern. Im Zentrum der Forschung von Marandinos Arbeitsgruppe stehen sauerstoffhaltige flüchtige organische Verbindungen, so genannte »oxygenated volatile organic compounds« kurz OVOCs. Das sind natürliche Gase wie Aceton oder Acetaldehyde, die zwar nur in geringer Konzentration in der Atmosphäre vorkommen, dort aber wichtige Funktionen erfüllen. So ist bekannt, dass OVOCs Hydroxylradikale bilden und die Ozonproduktion beeinflussen. Die chemisch sehr aktiven Hydroxylradikale reagieren mit den Schadstoffen in der Atmosphäre und bauen sie so ab. Sie reinigen quasi die Atmosphäre. Meerwasser ist eine Quelle für diese Spurengase, es kann sie aber auch aus der Atmosphäre aufnehmen. Die biologischen Produktions- und Abbauprozesse der gasförmigen Spurenstoffe im Ozean sind bislang wenig erforscht. »Wir versuchen zu verstehen, was mit diesen Gasen an der Oze- Dr. Christa Marandino mit ihrem speziellen Massenspektrometer. Sie nutzt das Gerät, um auf hoher See den Gasaustausch zwischen Ozean und Atmosphäre direkt zu messen. anoberfläche geschieht«, erklärt die amerikanische Meereschemikerin. Erhöht oder senkt der Ozean die Konzentration von OVOCs in der Atmosphäre? Das ist die Kernfrage, die sie beantworten möchte. Welche biologischen Faktoren beteiligt sind, ob Bakterien oder Algen die chemisch aktiven Verbindungen aufnehmen oder produzieren, untersucht Cathleen Zindler. Die Biologin ist seit 2009 Doktorandin in Marandinos Team und über die Graduiertenschule »Integrated School of Ocean Sciences (ISOS)« eingebunden in den Exzellenz- cluster »Ozean der Zukunft«. »Wir messen die Gase im Wasser, parallel dazu zählen wir die Bakterien in den Meerwasserproben und messen deren Chlorophyll- und Nährstoffgehalt«, erklärt Zindler. Dabei berücksichtigt sie ein breites Spektrum an unterschiedlichen Bedingungen, zum Beispiel kälteres oder wärmeres Wasser, mehr oder weniger Nährstoffe sowie unterschiedliche Phytoplanktonmengen, und beobachtet, was in den Proben passiert. Aus diesen Messungen lassen sich Rückschlüsse über die Produktion der Spurengase ziehen. Kerstin Nees