Prof. Hans Geiger zu den Finanzmärkten Zuversicht für die Schweiz – gerade wegen der Globalisierung Sind die jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten nur ein Gewitter oder eine echte Vertrauenskrise ? Wie sieht ein renommierter Finanzexperte die unmittelbare Zukunft, und wie beurteilt er das bisherige Verhalten der Zentralbanken ? Welches sind die realen Auswirkungen – gibt es sie überhaupt ? Asien boomt, was heisst das für die globalen Bankaktivitäten – eine Chance für den Finanzplatz Schweiz ? n Finanzmärkte – US-Hypothekarmarkt «Schweizer Arbeitgeber»: Herr Prof. Geiger, die Finanzmärkte waren in jüngster Vergangenheit ziemlich nervös. Einzelne Beobachter behaupten gar, die Nerven lägen blank. Wie stufen Sie deren momentane Befindlichkeit ein? Prof. Hans Geiger: Die Realwirtschaft ist auf der Welt insgesamt robust und gesund. Es gibt allerdings spezielle Sektoren, für die das nicht zutrifft. Einer davon ist der USImmobilienmarkt. Dort sind die Preise sehr hoch, doch sind sie jetzt am Sinken. Gewisse europäische Länder sind in einer ähnlichen Situation, so beispielsweise England und Spanien. Für die Schweiz, aber auch für Deutschland trifft dies nicht zu. Da sind die Immobilienmärkte vernünftig, eher sogar günstig bewertet. Das ist die Ausgangslage. Ist der US-Immobilienmarkt also Auslöser der Turbulenzen? Im US-Hypothekarmarkt gibt es ein Finanzproblem, insbesondere im sogenannten Sub-Prime-Bereich. Das sind relativ schlechte Objekte und schlechte Hypotheken. Hier liegen die Ursachen der heutigen Turbulenzen. Diese müssten uns eigentlich nicht betreffen. Wir sind nicht in Amerika und auch nicht im Sub-Prime-Markt. Allerdings können sich solche Turbulenzen im Finanzmarkt auf andere Länder und andere Märkte übertragen. Wichtig sind damit auch die 4 Übertragungsmechanismen. Im Unterschied zu den Jahren 2000 und folgenden sind nicht die zu hoch bewerteten Aktienmärkte die Ursache, sondern es ist der Kreditmarkt. Zusätzlich agiert der Kreditmarkt auch als «Transmissionsriemen» der Turbulenzen. Können Sie diese «Kreditmarktursache» noch etwas präzisieren? Im Kreditmarkt gab und gibt es immer gute und schlechte Risiken; es ist auch richtig, dass gute und schlechte Risiken Kredit erhalten. Schlechte Risiken sollten aber höhere Zinssätze haben, müssten also teurer sein, weil das erhöhte Risiko entschädigt werden muss. In den letzten Jahren waren die schlechten Risiken zu günstig, die Risikoprämien also zu gering. In den USA oder generell? Auf der ganzen Welt. Eine Staatsanleihe der Schweiz war nicht viel tiefer verzinst als eine Staatsanleihe eines südamerikanischen Landes, obwohl die Risiken und damit das Rating sehr unterschiedlich sind. Dieser Mangel, dass schlechte Risiken zu wenig gut bezahlt wurden, ist jetzt ziemlich brutal und schnell korrigiert worden. Der Auslöser waren diese Sub-Prime-Bereiche, in denen jetzt die Kosten und damit die Finanzierungsanforderungen – die Deckungssätze und die Auflagen in den Verträgen – blitzartig hochgeschnellt sind. Das löst Schockwellen aus wie bei einem Tsunami, der plötzlich an anderen Ufern hohe Wellen schlägt. Vereinzelte Beobachter sprechen von einer globalen Vertrauenskrise und sagen, das Gewitter im US-Markt für Risikohypotheken habe sich zu einer globalen Vertrauenskrise ausgeweitet. Teilen Sie diese Meinung? Vertrauen ist ein schwieriges Thema. Es gibt das Vertrauen zwischen Leuten, die sich kennen und die gemeinsame Werte haben, worum es hier aber nicht geht. Mit dem hier gemeinten Vertrauen verbunden sind meines Erachtens zwei technische Themen. Das eine ist die Liquidität. Wenn jemand Geld erhält und dann plötzlich nicht mehr, ist das ein Zeichen von gesunkenem oder eingeschränktem Vertrauen. Das andere Thema ist vielleicht noch wichtiger: Die Finanzmärkte beruhen auf rationalen Elementen, insbesondere der ökonomischen Bewertung von Aktiven. Man kann eine Aktie oder ein Haus bewerten und diese Aktiven entsprechend belehnen. Wenn es aber für Aktiven keinen Wert mehr gibt, dann funktioniert das System nicht mehr. Und genau das ist jetzt zum Teil passiert: Für gewisse Finanzwerte oder Finanzaktiven gibt es keine Werte mehr. Niemand definiert mehr einen Preis, zu dem er kaufen oder verkaufen würde. Sie haben das Stichwort Liquidität erwähnt. War die Tatsache, dass in den USA offenbar der Markt für Commercial Papers – sie dienen der kurzfristigen Liquiditätsbeschaffung von Firmen – versagte, nicht ein ernst zu nehmendes Symptom beeinträchtigten Vertrauens? Das ist ein Ausdruck dafür. Man muss sich das so vorstellen: Unternehmen finanzieren ihre Investitionen zu einem Teil mit lang- und kurzfristigen Schulden. Commercial Papers sind kurzfristige Geldmarkt- «Schweizer Arbeitgeber» 18 20. September 2007 T H E M A BANKEN Bilder: Hans Reis papiere mit Laufzeiten von drei oder sechs Monaten. Wenn bei Fälligkeit der Commercial Papers die Refinanzierungsmöglichkeiten wegen nicht vorhandener Preise ausfallen und wenn dies grossflächig passiert, ist das sehr schlimm. Wie beurteilen Sie die nächsten Wochen oder Monate? Es muss sich jetzt ein neues Gleichgewicht einspielen. Für die verschiedenen Finanzinstrumente müssen wieder Marktwerte her. Wenn die Bewertung in Form von Kaufrespektive Verkaufpreisen fehlt, gibt es keinen Marktwert. Erst wenn solche Werte wieder da sind, kann der Markt wieder spielen. Dann ist auch die Refinanzierung wieder sichergestellt. Allenfalls müssen die Firmen dann statt 6 % vielleicht 8 % bezahlen, aber sie erhalten wenigstens die benötigte Finanzierung. Wahrscheinlich wird sich wieder ein Gleichgewicht einspielen. Dies auch deshalb, weil die Zentralbanken gut reagiert haben. Diese verstehen das Geschäft. Die Zentralbanken refinanzieren dabei nicht Sub-Prime-Hypotheken, wo sie Geld verlieren könnten. Sie geben den Banken gegen gute Sicherheiten Geld. Die Liquidität, welche die Zentralbanken jetzt zusätzlich ins System geben, soll dazu verhelfen, innert einiger Wochen wieder das angetönte Gleichgewicht zu finden. Damit werden auch wieder Preise für die zugrunde liegenden Aktiven existieren. Die Musik wird etwas weniger laut sein, d. h., die Kredite – vor allem die schlechten – werden teurer. Ich rechne auch nicht mit grösseren Systemausfällen. Sie haben mehrmals die Zentralbanken erwähnt. Eine ganz entscheidende Rolle kommt der US-Notenbank zu mit Fed-Chef Ben Bernanke (seit 20 Monaten) an der «Schweizer Arbeitgeber» 18 20. September 2007 Der Interviewpartner Hans Geiger studierte an der Universität Zürich Nationalökonomie (1969: Dr. oec. publ.). Seine berufliche Tätigkeit begann er als Assistent am Handelswissenschaftlichen Seminar und später am Institut für Schweizerisches Bankwesen an der Universität Zürich. Von 1970 bis 1996 war er bei der Schweizerischen Kreditanstalt/Credit Suisse in den Bereichen Rechnungswesen/Planung/Controlling und kommerzielles Auslandgeschäft Europa und Afrika tätig – 1987 bis 1996 als GD. Hans Geiger war u. a. VR-Präsident der Telekurs Holding AG (1997–2000) und VR-Vizepräsident der Bank Vontobel und Vontobel Holding AG (1998–2004). Wichtige Stationen seiner Lehrtätigkeit waren: 1985 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen, seit 1988 Kursleiter und Referent an der Swiss Banking School und seit 1997 Ordinarius für BWL an der Universität Zürich. Prof. Geiger ist Mitglied verschiedener nationaler und internationaler Expertengremien. Spitze. Wie beurteilen Sie deren Agieren bis jetzt? Die amerikanische Zentralbank hat ihre Arbeit gut gemacht. Sie ist heute etwas weniger personenbezogen als unter Alan Greenspan, der ein orakelhaftes Auftreten zelebrierte – sehr gekonnt und sehr gescheit. Ben Bernanke ist weniger orakelhaft, das hilft eher in der heutigen Zeit. Die Institution ist wichtiger als die Person. Die Mitarbeitenden der US-Zentralbank sind Teil dieser Institution und verstehen ihr Handwerk. Das war 1929 ganz anders. Damals wurde die Weltwirtschaftskrise sehr stark dadurch ausgelöst oder zumindest gefördert, dass die Zentralbanken falsch gehandelt haben. Müsste die amerikanische Zentralbank allenfalls die Zinsen weiter senken – erwarten Sie das? Nein, das erwarte ich nicht. Die Zentralbanken können die Zinsen nur am kurzen Ende, vielleicht bis drei Monate – allerhöchstens bis zwölf Monate – beeinflussen. Die langfristige Rendite, gemessen an den amerikanischen Bundesobligationen, kann durch das Fed kaum beeinflusst werden. Heute braucht es am kurzen Ende, wie erwähnt, tiefe Zinsen. Dies ist gleichbedeutend mit hoher Liquidität. Viel Liquidität heisst, es hat viel Geld, und damit ist der Preis für das Geld relativ günstig. Aber das wird auf das Zinsniveau, so wie das die Wirtschaft refinanziert, nicht schnell durchschlagen. Zu den realen Auswirkungen dieser Situation, zuerst auf das Verhalten der Investoren. Orten Sie hier als Folge eine grosse Zurückhaltung, oder gibt es Leute, die extra investieren, weil gewisse Preise tief sind? 5 ren und zur Erreichung von Überrenditen den Schuldenhebel stark einsetzen. «Die Realwirtschaft ist auf der Welt insgesamt robust und gesund.» Es gibt zwei Arten von Investoren. Es gibt Investoren, die ihr eigenes Kapital haben und solche – und das sind in den USA viele –, die mit Fremdkapital arbeiten. Wer mit Eigenkapital arbeitet, z. B. Pensionskassen oder die Mehrzahl der Anlagefonds, ist frei. Wenn er die Preise günstig findet – z. B. für Aktien –, kann er diese kaufen. Wenn einer aber stark mit Schulden arbeitet und sein Portefeuille an Wert verliert, dann wird die Bank zusätzliche Deckung verlangen. Diese zu beschaffen, dürfte ihm heute schwer fallen, und er muss dann vielleicht Aktien verkaufen, obwohl deren Preis tief ist. Wer stark mit Schulden arbeitet, ist in den schwierigen Zeiten von heute nicht frei. Ein starker Hebel wirkt gegen ihn. Betroffen sind heute viele Hedge-Funds und Private-Equity-Firmen, die mit einem hohen Schuldenhebel agieren. Dabei handelt es sich oft um Fonds, die in risikoarme Werte investie- 6 Auch bei den Konsumenten spielen die Erwartungen eine grosse Rolle. Haben die jüngsten Turbulenzen bei diesen eine gewisse Zurückhaltung zur Folge? Ich bin nicht Experte für die US-Wirtschaft. Aus der Distanz erwarte ich, dass die Konsum ausgaben etwas leiden werden. Die amerikanischen Haushalte arbeiten mit hohen Schulden. Viele haben in den letzten Jahren, als die Zinsen günstig waren und die Hauspreise stiegen, ihre Hypotheken erhöht und das Geld konsumiert. Das hatte natürlich einen stimulierenden Konjunktureinfluss. Jetzt, bei knapper werdender Liquidität, wirkt sich das dämpfend aus. Das ist vielleicht eine theoretische Überlegung aus der Helikopterperspektive, im Grundsatz stimmt sie aber sicher. Die USA waren in der Vergangenheit die Konjunkturlokomotive – und in Zukunft? Amerika ist nicht mehr die Lokomotive, die es noch vor zehn Jahren war. Das liegt nicht an einer allfällig verlorenen Dynamik der USA, sondern an der Dynamik, die mehr und mehr im Osten stattfindet, in China und Indien. Das sind Länder mit mehr als einer Milliarde Einwohnern und mit 8 % bis 10 % Wachstum – über Jahre hinweg. Zudem geht es Europa jetzt endlich wieder besser. Die Firmen sind robust. Viele europäische Staaten sind finanziell zwar schwach auf der Brust, ihre Sozialsysteme nicht wirklich solide, aber insgesamt geht es sowohl dem Unternehmensbereich als auch den Haushalten in Europa besser als in den letzten Jahren. Durch all dies ist der Einfluss der USA auf die Weltkonjunktur kleiner als vor zehn Jahren. Zudem spielt der Dollar nicht mehr ganz die Rolle, die er vor zehn oder auch fünf Jahren noch hatte. Die Wertschriften in den Depots der Schweizer Banken sind inzwischen mehrheitlich in Euro angelegt. Das war bis vor kurzem unvorstellbar, vor einigen Jahren war es noch mehrheitlich in Dollar. Klar bleibt Amerika wichtig, aber weniger wichtig als früher. Zurück nach Europa: Mit dem Zusammenbruch der Sachsen Landesbank (SachsenLB) bzw. deren «Notverkauf» an die Landesbank Württemberg hat die derzeitige Situation ein erstes Opfer gefordert. Wäre die SachsenLB, wenn nicht jetzt, vermutlich beim nächsten Windstoss oder Sturm zusammengebrochen? Staatsbanken sind, sagen wir mal, schwierige Vehikel und sicher nicht meine Lieblingskinder am Finanzmarkt. Eigentlich ist die Zeit der grossen Staatsbanken vorbei. Es braucht sie nicht mehr. Die Governance ist schwierig. Die Anreizstrukturen für die Manager und die Personen, welche Banken beaufsichtigen oder beaufsichtigen sollten, sind bei einer Aktienbank, die von einer Familie oder von Privatpersonen gehalten wird oder an einer Börse kotiert ist, sicher sinnvoller, als wenn Beamte und Politiker das Sagen haben. Ob die SachsenLB beim nächsten Windstoss umgefallen wäre, kann ich von hier aus nicht beurteilen. Bleibt der Fall der SachsenLB nach Ihrer jetzigen Einschätzung ein Einzelfall, oder gibt es auch in der Schweiz mögliche Fälle? Ich denke, dass die SachsenLB kein Einzelfall bleibt. Aber in der Schweiz werden wir kaum solche Fälle erleben. Die Bankenwelt hat insgesamt auf der Welt im Moment geringere Probleme als in der Vergangenheit. Die jetzige Krise trifft primär die Investoren, weil die Banken, die früher die Risiken übernahmen und trugen, sich «Schweizer Arbeitgeber» 18 20. September 2007 T H E M A BANKEN «Die amerikanische Zentralbank hat ihre Arbeit gut gemacht.» in den letzten Jahren vermehrt von Risikoträgern zu Risikohändlern gewandelt haben. Die Banken geben Hypotheken, bündeln diese in besonderen Vehikeln, und bringen sie so an den Markt. Dort kaufen Pensionskassen, Versicherungen, HedgeFunds und Private die Schuldverschreibungen dieser Vehikel. Heute sind die Finanzrisiken also besser verteilt, sie liegen nicht mehr primär bei den Banken. n Globale Entwicklung der Finanzindustrie Die globale Wirtschaftsaktivität verlagert sich stark ins boomende Asien. Die dortigen Finanzzentren und Märkte wachsen stark. Man halte sich die Grösse dieser Länder vor Augen: China hat 1,313 Mrd., Indien 1,096 Mrd. Einwohner. 2050 dürften es je rund 1,6 Mrd. Menschen mit einem wesentlich höheren Wohlstandsniveau als heute sein. Wie sehen Sie die künftigen globalen «Schweizer Arbeitgeber» 18 20. September 2007 Schwerpunkte der einzelnen Sparten des Bankgeschäfts? Der Bankensektor wird weltweit viel grösser sein, als er heute ist. Eine Wirtschaft, die arbeitsteilig industriell arbeitet, braucht einen grösseren Bankensektor. Eine agraroder eine familienbasierte Wirtschaft hat relativ wenig Austausch, da gibt es relativ wenig Zahlungsverkehr. Bankdienstleistungen sind unentbehrlich für die wirtschaftliche Entwicklung. Grundsätzlich gilt: Je höher entwickelt eine Wirtschaft ist, desto grösser ist der Finanzsektor. Ich denke, dass Länder wie China und Indien die Grundversorgung ihrer Wirtschaft mit Bankdienstleistungen – Zahlungsverkehr, Kredite, Einlagen entgegennehmen, Vermögen verwalten, Werte aufbewahren – weitestgehend selbst machen werden. Es gibt natürlich Ausnahmen. Was heisst das für die Bankaktivitäten in der Schweiz? Es gibt sicher einzelne Nischen oder Nischenbereiche, in denen die Ausländer in Asien eine wichtige Rolle spielen werden. Aus Schweizer Sicht ist es vor allem das Private Banking. Eben habe ich gelesen, dass die UBS dieses Jahr in Singapur eine Private-Banking-Akademie gegründet hat. Die Bank wird in den nächsten drei Jahren 5000 Leute im Private Banking ausbilden. Das sind nicht alles neue Leute, zum Teil bereits Beschäftigte, aber 5000 …! Das ist eine ganz massive Investition. Im Investment Banking werden wahrscheinlich die grossen amerikanischen Investment-Banken auch in China und Indien eine wichtige Rolle spielen. Bei der Ausbildung der Bankangestellten in den asiatischen Ländern besteht sicher ein enormer Bedarf nach externer Unterstützung. Wir sehen mehr und mehr Delegationen von Banken, Hochschulen oder Politikern aus diesen Ländern, die in der Schweiz Universitäten besuchen und Kooperationen suchen, um ihre Leute auszubilden. Der Ausbildungsbedarf an Bankangestellten ist mit Blick nach China und Indien gigantisch. Das wird punkto Bankgeschäft zu einem enormen Wissenstransfer führen. Für einen solchen Wissenstransfer ist die Schweiz in vielen Bereichen prädestiniert. Das Beispiel der Private-Banking-Akademie der UBS ist typisch dafür. Sie sind Professor an der Universität Zürich. Spüren Sie, dass Sie mehr Studierende aus diesen Ländern und Regionen haben? Sowohl die Studenten als auch die Ausbildungsverantwortlichen aus den asiatischen Ländern kommen in die Schweiz. Ja, der Wunsch nach Kooperation ist gross. Zum Teil werden auch Kooperationsprojekte abgeschlossen. Darf ich aus den bisherigen Antworten entnehmen, dass Sie trotz dieser globalen Umwälzungen für die Zukunft des Finanzplatzes Schweiz insgesamt zuversichtlich sind, vom Wissen und der Qualität der Institute her? Nicht trotz, sondern vielmehr wegen der globalen Umwälzungen! Wenn die Schweiz davon nicht profitiert, wer dann …? Dann wäre sie selber schuld … Ja, dann wäre sie selber schuld. Das Bankgeschäft ist eine Kernkompetenz der Schweiz. Die Perspektiven sind auch deshalb gut, weil es dem Schweizer Finanzsektor heute sehr gut geht. Der Bankensektor ist allerdings etwas einseitig geworden. Wenn man fragt, was das Huhn und was das Ei ist, dann gibt es ein Huhn, das verschiedene goldene Eier legt. Das Huhn heisst Private Banking. Vielleicht wäre es für die Bankenszene Schweiz strategisch 7 nicht schlecht, wenn sie mehrere Hühner hätte. Die Superhenne bliebe wohl auch dann das Private Banking, mindestens auf viele Jahre hinaus. An welche Hühner denken Sie da, ans Investment Banking zum Beispiel? Das Investment Banking haben wir in den letzten 10 oder 20 Jahren verloren … An die Amerikaner? Ja, und an London. Die UBS und die Credit Suisse sind unter den fünf bis zehn besten Investment-Banken der Welt, das waren sie vor zehn Jahren noch nicht. Die Schweizer Institute haben nicht verloren. Der Verlierer war der Standort Schweiz. Bei einer grossen Investment-Banking-Transaktion, die von der UBS oder der Credit Suisse in der Schweiz gemacht wird, kommen die Leute wahrscheinlich aus London. Dabei sind es oft Schweizer, die aus London hierher reisen, um in der Schweiz ein Geschäft zu machen. Ich denke, es sollte neben dem Private Banking noch ein paar andere Beine geben, auf denen der Finanzplatz Schweiz steht. Dazu bräuchte es vor allem etwas: Die rasche und vollständige Abschaffung der Stempelsteuer. Wenn wir das Geschäft künstlich mit der Stempelsteuer wegtreiben, dann sind wir die Allerdümmsten. Die grossen Schweizer Aktien werden in London gehandelt – unter englischem Recht. Wir sind nicht Mitglied der EU. Ist das für den Finanzplatz Schweiz Ihrer Meinung nach ein Vorteil? Das ist für den Finanzplatz ein grosser Vorteil. Die Schweiz kann ja die Regeln der EU übernehmen oder eben auch nicht. Sie kann auch aushandeln. Einer der wichtigsten Punkte ist für mich, dass wir eine eigenständige Währung und Währungspolitik, eine Nationalbank und den Schweizer Fran- 8 ken haben. Das ist der eine Teil. Dann klagen wir in der Schweiz immer – mit gewissem Recht – über Bürokratie, Regulierung und deren Kosten. Dies ist im Vergleich zur EU aber durchaus bescheiden und qualitativ gut. Natürlich gibt es mit der EU auch Probleme, beispielsweise beim Dienstleistungsexport aus der Schweiz nach Deutschland. Da werden vor allem die kleineren Banken in der Schweiz behindert. Aber vielleicht würden sie auch behindert, wenn wir in der EU wären. Dafür sind die kleinen Banken sehr viel freier in dem, was sie tun. Sie müssen nicht auf andere Länder, beispielsweise die USA, Rücksicht nehmen, weil sie dort keine grossen Operationen unterhalten. n Bankenstruktur der Schweiz Ich möchte auf das Stichwort kleine Banken zurückkommen. Wie wird sich die Bankenstruktur der Schweiz in fünf oder zehn Jahren präsentieren? Wir haben vor kurzem die Vermögensverwaltungsbanken etwas genauer untersucht, und da hat uns Folgendes überrascht: Die grossen Vermögensverwaltungsbanken arbeiten sehr viel profitabler als die Kleinen. Dies steht im Gegensatz zu den Regionalund Raiffeisenbanken, bei denen kaum Grössenvorteile auszumachen sind. Deshalb werden wir bei den Vermögensverwaltungsbanken eine Konsolidierung erleben. Die typische Vermögensverwaltungsbank wird in Zukunft grösser und stärker sein als in der Vergangenheit. Die Regionalbanken sind in der Schweiz insgesamt ziemlich marginalisiert.1990 hatten wir 220 Banken, jetzt sind es noch 80. Hier ist ein massiver Strukturwandel passiert, der sich noch etwas fortsetzen wird. Wenn die Kantonalbanken nicht den Kantonen gehören und über Staatsgarantien und Leistungsaufträge verfügen würden, gäbe es nicht mehr 24. Die Zeit wäre für Kantonalbanken eigentlich günstig, sich mehr Freiheiten zu verschaffen und sich teilweise auch zusammenzuschliessen. Dieses Geschäft gehört auf die Traktandenliste der Politiker und der Stimmbürger. Beide haben in den letzten fünf bis zehn Jahren jedoch kaum Signale in diese Richtung gegeben. Vielleicht noch kurz zu Universität und Ausbildung: Finden die Banken die Leute, die sie brauchen? Welche Signale haben Sie diesbezüglich? Wir haben vor gut einem Jahr eine Umfrage gemacht. Wir haben Banken, HedgeFunds, Private-Equity-Firmen und Versicherungen besucht, um über die Innovation im Finanzbereich zu sprechen. Eine der Fragen war, wie gut die Finanzdienstleister in Zürich Leute finden im Vergleich zu Genf, Frankfurt oder London. Die Antwort hat uns gefreut: Es gibt nur einen Platz, wo man besser Leute findet als in Zürich, nämlich in London. Die Banken finden in Zürich ihre Leute. Sie finden natürlich nicht alle an der Universität. Wir bilden keine Praktiker aus, praktische Erfahrung erwirbt man nicht an der Universität. Wir bieten heute eine sehr gute, solid analytische und intellektuelle Ausbildung zur Finanzfachperson an, die besser ist als noch vor zehn Jahren. Wenn eine Bank für Zürich jemanden sucht – einen Amerikaner oder einen Inder –, dann findet sie den relativ leicht. Die Leute kommen gerne nach Zürich. Wir sehen es auch an der Hochschule. Wenn wir einen Finanzprofessor suchen, dann finden wir diesen auch global, obwohl er an anderen Orten vielleicht mehr verdienen würde. Zürich geht es gut. n Interview: Dr. Hans Reis «Schweizer Arbeitgeber» 18 20. September 2007