Fragen zum Buch Das Meer: Wasser, Eis und Klima von Petra Demmler; gestellt von der 11. Jahrgangsstufe des Theodolinden-Gymnasiums in München 1. In welchem Ausmaß bestimmt der Golfstrom unser Klima in Westeuropa? Hier bedarf es zunächst einmal der Präzisierung des Begriffs „Golfstrom“. Es hat sich in Deutschland so eingebürgert, den „Strom, der unser Klima wärmer macht“, als Golfstrom zu bezeichnen. Geowissenschaftler definieren jedoch nur die atlantische Strömung zwischen der geografischen Breite des Golfs von Mexiko und der geografischen Breite von Neufundland als Golfstrom. Dieser Strom hat nur mittelbar etwas mit dem Klima in Europa zu tun. Einen bedeutenderen Einfluss auf unser Klima hat die Fortsetzung des Golfstroms: der Nordatlantikstrom. Dieser sorgt dafür, dass die Temperaturen im Winterhalbjahr im Mittel etwa 5 °C höher liegen als es ohne diese warme Strömung der Fall wäre. Im Sommer ist die „Heizwirkung“ unserer „Fernheizung“ allerdings nur gering – im Gegenteil, da sorgen atlantische Luftmassen für Abkühlung. 2. Welchen Einfluss hat ein Klimawandel auf den Golfstrom und auf Meeresströmungen allgemein? Dazu möchte ich kurz den Ist-Zustand des mächtigen Strömungssystems der Weltozeane skizzieren: die sog. „Globale Thermohaline Zirkulation“ (s. Abbildung 1). Dieses weltumspannende Strömungssystem in den Ozeanen wird in erster Linie durch das Absinken schweren Wassers im nördlichen Nordatlantik angetrieben – Oberflächenwasser sinkt hier bis in die Nähe des Meeresgrundes. Warum ist das Wasser hier so schwer, sodass es in diese großen Tiefen absinken kann? 1. Es ist in diesen hohen Breiten sehr kalt. Je tiefer die Temperatur des Wassers, desto höher ist seine Dichte (und damit sein Gewicht pro Volumeneinheit). 2. Bei der Meereisbildung wird Salzlauge konzentriert. Je salzhaltiger das Wasser, desto höher ist seine Dichte. Aus diesem Grund sinkt das Wasser im nördlichen Nordatlantik 2000-3000 Meter in die Tiefe und gibt damit den Impuls für das globale Strömungssystem, das man auf der Abbildung sieht. Warum funktioniert dieser Impuls? Wenn Wasser absinkt, erzeugt es einen Sog, denn das fehlende Oberflächenwasser muss ja nach dem Prinzip der Massenerhaltung ersetzt werden – aus der Umgebung. In der „Umgebung“ fließt der Nordatlantikstrom, der aufgrund dieses Absinkens angetrieben und weit nach Norden getrieben wird. Das Wasser, das der Nordatlantikstrom aus südlicheren Regionen wegtransportiert, muss auch dort wieder ersetzt werden, usw. Das großräumige Absinken setzt also ein globales „Strömungs - Perpetuum Mobile“ in Gang: ein System an Strömungen, das sich bei konstanten Klimabedingungen selbst erhält. Was passiert nun, wenn sich das Klima ändert? Wird das globale Klima kälter, wird dieses Strömungssystem angekurbelt und verstärkt. Wird das globale Klima wärmer, wie es derzeit der Fall ist, wird der Impuls für die Aufrechterhaltung des Systems immer schwächer. Denn durch die Erwärmung passiert folgendes: 1. Das Meerwasser wird leichter, weil es wärmer wird. 2. Das Meerwasser wird leichter, weil auf dem wärmeren Meerwasser weniger Meereis gebildet und folglich weniger Salzlauge konzentriert wird. Im nördlichen Nordatlantik sinkt also immer weniger Oberflächenwasser ab. Dadurch verringert sich die Sogwirkung auf den Nordatlantikstrom. „Unsere Fernheizung“ wird also schwächer. Man geht nicht unbedingt davon aus, dass der Nordatlantikstrom „versiegen“ wird. Doch mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er in Zukunft nicht mehr so weit nach Norden reichen, wenn der globale Erwärmungstrend anhält. Die Absinkregionen werden Richtung Süden wandern, weil die Verdunstung – die auch den Salzgehalt des Oberflächenwassers erhöht und dieses Wasser schwerer macht – irgendwann mehr ins Gewicht fällt als die Kälte des Nordens. Man muss damit rechnen, dass sich mittel- oder langfristig die gesamte globale Zirkulation ändern wird – in welcher Form, das können unsere Modelle jedoch nicht genau berechnen, Vorhersagen zum globalen Strömungssystem sind aufgrund seiner Komplexität momentan noch rein spekulativ. Für unser Klima in Europa bedeutet die Verschiebung der großen Absinkregionen im Nordatlantik Richtung Süden sicherlich eine Kompensation des allgemeinen Erwärmungstrends. D.h. mittelfristig wird sich im Hinblick auf die mittleren Temperaturen besonders in Nord- und Mitteleuropa nicht viel ändern, möglicherweise müssen wir sogar mit einer leichten Abkühlung rechnen. 3. Stimmt es, dass die Eisbären vom Aussterben bedroht sind, wenn die Durchschnittstemperaturen weiter ansteigen? Ja. Denn die Eisbären brauchen das Meereis, um jagen zu können. Auf dem polaren Festland können Eisbären nicht überleben, denn sie ernähren sich in erster Linie von Robben. Auf dem Meereis warten sie entweder an den Rändern des Meereises oder an sog. Atmungslöchern im Meereis, bis eine Robbe auftaucht um Luft zu holen. Bereits jetzt müssen Robben aufgrund des schwindenden Meereises oft sehr weit zu ihren Jagdgebieten schwimmen. Sie verbrauchen dabei viel Energie, die Ihnen dann für die Fortpflanzung fehlt – und sie erlegen natürlich auch immer weniger Beute. Viele Tiere sind ausgehungert, was beispielsweise auch dazu führt, dass sie häufiger als es früher der Fall war, Menschen (oft Forscher/Fotografen) angreifen, wenn sie ihnen zu nahe kommen. 4. Lassen sich in der Arktis und in der Antarktis in gleicher Weise die Folgen des Klimawandels beobachten? Nein. In der Arktis ist der Erwärmungstrend aufgrund von Rückkopplungsprozessen (die in meinem Buch beschrieben sind) weltweit am stärksten – mit entsprechender Meereis- und Gletscherschmelze. In der Antarktis sind die Lufttemperaturen (besonders im Landesinneren) im Vergleich zur Arktis deutlich tiefer: Der Erwärmungstrend hat deshalb in großen Teilen der Antarktis keine Auswirkungen (wenn die Temperaturen beispielsweise von -50 °C oder -40 °C auf -30 °C ansteigen, wird weder der Schnee in Regen übergehen noch wird das Eis schmelzen). Die Antarktis hat aber eine empfindliche Stelle: Das ist die Antarktische Halbinsel, die in mittlere Breiten hineinragt. Hier sind die Temperaturen von Haus aus nicht so kalt und deshalb schreitet in diesem Bereich der Erwärmungstrend vergleichbar mit dem der Arktis voran. Durch Rückkopplungsprozesse könnte in den nächsten Jahrzehnten die ganze Westantarktis (Abbildung 2) vom Erwärmungstrend betroffen sein. 5. Stimmt es, dass das Ozonloch über der Antarktis wieder kleiner geworden ist? Auf dem Gebiet der Ozonforschung bin ich leider keine Expertin. Doch ich habe gelesen, dass die Ozonkonzentration aufgrund der sehr tiefen Temperaturen im Südwinter 2011 in der Stratosphäre besonders niedrige Werte annahm. Die Fläche des „Ozonlochs“ entsprach letztes Jahr der Fläche von Nordamerika und nahm damit Platz 5 im Ranking der größten Ausdehnung des antarktischen „Ozonlochs“ seit Anfang der Aufzeichnungen in den 1970er Jahren ein. Seine maximale Ausdehnung erreichte die Fläche mit signifikanter Ozonausdünnung im Jahr 2006. 6. Stimmt es, dass die Verunreinigung durch Plastikmüll in manchen Teilen der Ozeane zu einem ernsthaften Problem geworden ist? Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen beziffert sich der Abfall, der jährlich in unsere Ozeane gelangt, auf etwa 6,4 Mio. Tonnen. 90 % davon ist Plastikmüll, dessen Zersetzung sehr lange dauert (eine Plastikflasche verweilt etwa 450 Jahre im Meer, sofern sie nicht an der Wasseroberfläche schwimmt). Für die Tiere ist Plastik eine große Gefahr, denn oft verwechseln sie Müll mit Nahrung, halten also beispielsweise ein Kunststoffbehältnis für eine Qualle. Die Zahlen sind erschreckend: Mehr als 1 Mio. Vögel und über 100 000 Säugetiere im Meer sterben jährlich durch die Aufnahme von Kunststoffmüll. Abbildung 1 © Helmuth Flubacher Abbildung 2 © Helmuth Flubacher Petra Demmler 08.02.2012