Gottesdienst am 30. Juli 2017 (7. Sonntag nach Trinitatis) Brot des Lebens – Predigt über Johannes 6, 30-35 Der Predigttext steht im Johannesevangelium Kapitel 6: Die Volksmenge sprach zu Jesus: »Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen.« Da sprach Jesus zu ihnen: »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.« Da sprachen sie zu ihm: »Herr, gib uns allezeit solches Brot.« Jesus aber sprach zu ihnen: »Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.« »Brot des Lebens«. Vor ein paar Jahren unternahm ein Reporter einen Test. Er wollte ausprobieren, wie viel ein Brot wert ist. Mit einem Laib Brot in der Hand stellte er sich an die Straßenecken verschiedener Städte. Dann forderte er die Vorübergehenden auf, für dieses Brot eine Stunde lang zu arbeiten. Das Ergebnis: In Hamburg wurde er ausgelacht. In London erschien die Polizei und forderte ihn auf zu verschwinden. Im afrikanischen Nigeria waren mehrere Personen bereit, die geforderte Stunde zu arbeiten. In Kalkutta in Indien bildete sich eine Schlange von Menschen, die für dieses Brot einen ganzen Tag lang arbeiten wollten. »Brot des Lebens« — vor ein paar Jahren hatte ich folgendes Erlebnis: Ein Schüler kam zu spät zum Religionsunterricht. Er entschuldigte sich: »Ich musste noch zum Bäcker und mein Vesper kaufen.« Ich fragte zurück: »Kannst du das nicht von zuhause mitbringen?« Die Antwort des 13jährigen: »Ich esse kein Brot von gestern. Das schmeckt mir nicht. Ich will was Frisches haben.« Brot vom Vortag ist diesem Jugendlichen nicht gut genug. Und auch wir Erwachsenen sind anspruchsvoll geworden. Im Vater-Unser beten wir: »Unser täglich Brot gib uns heute.« Martin Luther hat diese Bitte weit ausgelegt: »Essen und Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld und Gut ...« Für uns heute gehören auch die Urlaubsreisen, das Auto, das Handy und vieles andere dazu. »Brot des Lebens« — da geht es nicht nur um Esswaren aus dem Supermarkt, sondern hier sind besondere Lebens-Mittel gemeint. Das, was unserer Seele Nahrung gibt, was unser Leben sinnvoll macht, was wir uns wünschen und wonach wir uns sehnen. Jesus hat das auf den Punkt gebracht, als er sagte: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein« — und der Komiker Woody Allen fügte hinzu: »er braucht auch mal ein Gläschen Wein«. Nur Brot allein stellt uns nicht zufrieden. Wir wollen mehr: Gesundheit, Beziehungen, Spaß und gute Laune, Erfolg und Wohlstand. Ein gefüllter Kühlschrank garantiert noch kein erfülltes Leben. Jeder Mensch hat seine ganz speziellen Mittel, um das zu erleben, was für ihn zum Leben dazugehört. Der eine braucht auf jeden Fall seinen Urlaub. Für den anderen ist es die Familie: Da vergisst er den Stress aus dem Beruf. Für junge Erwachsene ist es oft das Wochenende: Von Freitag bis Sonntag will ich was erleben, daheim bleiben kann ich, wenn ich so alt bin wie meine Eltern. So hat jeder seine LebensMittel, so versucht jeder mit seinen Mitteln, den Hunger nach Leben zu stillen. Bei diesen Lebens-Mitteln ist in den letzten Jahren ein Trend zur Selbstversorgung zu beobachten. Die Zeiten, als die Kirche für das »Brot des Lebens« zuständig war, sind vorbei. Bei jedem Frisör können Sie sich zu Ayurveda- und Yogakursen anmelden. Was da aus China und Indien nach Europa kommt, scheint für viele ein Lebens-Mittel, eine Hilfe zum Leben zu sein. Ihnen geht es wie dem Schüler, von dem ich vorhin erzählt habe. »Ich will was Frisches haben.« Und natürlich liefern auch die Unterhaltungsmaschine Fernsehen und die Freizeitindustrie »Brot und Spiele« am laufenden Band. Ständig neue Attraktionen lassen uns das Wasser im Mund zusammenlaufen. Doch wer in diesem Supermarkt seine Mittel zum Leben einkaufen will, muss es sich leisten können. Vielleicht hinterlassen deshalb manche dieser Lebensmittel einen schalen Geschmack auf der Zunge, weil wir merken: Es gibt immer noch mehr, es gibt immer noch Besseres. Wir bezahlen teuer, aber nichts mehr sättigt richtig. Wir arbeiten hart — aber leben wir wirklich? Lohnen sich unsere Anstrengungen? Was ist, wenn ich der gewünschte Genuss ausbleibt? Der frühere Landesbischof Theo Sorg hat einmal geschrieben: »Wir haben über den vielen Lebensmitteln die Lebensmitte verloren.« Und nun sagt Jesus: »Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht mehr hungern.« Jesus möchte, dass wir Menschen satt werden. Wir sollen nicht mit leerem Magen Trübsal blasen; uns soll nicht nur das Wasser im Mund zusammenlaufen. Jesus weiß, wie viele nicht satt werden, sondern hungrig bleiben. Wir Menschen können tolle Erfindungen machen, aber den Sinn unseres Lebens kann uns kein Computer ausrechnen. In dieser Hinsicht lebt mancher schon seit Jahren auf Diät und ist vielleicht schon bis auf Haut und Knochen abgemagert. Wir haben verschiedene Geschmacksrichtungen ausprobiert, eine Menge Geld auf Theken und Tresen liegen lassen — und trotzdem kann der Lebenshunger, die Sehnsucht nach Glück und Zufriedenheit, schwer im Magen liegen. All das hat Jesus im Blick, wenn er sagt: »Ich bin das Brot des Lebens«. Vieles, was Jesus hier anspricht, traf bei seinen Zuhörern auf Zustimmung. Die Volksmenge war sich einig: Es ist gut, an etwas zu glauben. Wir Menschen sind nicht das Maß aller Dinge. Wir können uns die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht selbst geben. Aber es gab auch Widerspruch und Widerstand. »Brauchen wir wirklich diesen Jesus? Genügt es nicht, wenn jeder auf seine Weise glaubt? Gibt es tatsächlich nur diesen einen Weg zu Gott?« Jesus lässt keine Zweifel offen. Er sagt nicht: »Ich bin eines der Brote des Lebens«. Er bietet uns kein Lebensmittel unter anderen an, sondern hier finden wir die Lebensmitte selbst. In Jesus zeigt Gott uns sein Gesicht. In Jesus wird Gott Mensch und will Gemeinschaft mit uns haben. Wir sollen von den Lebensmitteln zum wahren Leben zurückfinden. Dieses Leben gibt es nicht im Supermarktregal. Wir finden es in der Begegnung mit Jesus, dem Sohn Gottes. Er verspricht uns: »Ich bin das Brot des Lebens«. Das können wir nicht verstehen und kapieren wie die Bedienungsanleitung eines Backofens. Sondern das können wir nur erleben und glauben. Jesus lädt uns ein, ihm zu vertrauen. Und sein Wort kann Leben verändern. Gott kann Türen öffnen, wo wir nur Mauern sehen. Gott bringt Leben zum Blühen, wo wir unter nur Trockenheit und Dürre leiden. Das Leben, das Jesus verspricht, deckt nicht nur die Sonnenzeiten ab. Sondern er kümmert sich auch um die Schattenseiten, um die Flecken auf der weißen Weste. Und er spart auch Trauer und Schmerzen nicht aus. In seinem Leiden und Sterben am Kreuz gibt Jesus sein Leben für uns Menschen. Und an Ostern wird deutlich, dass er den Mund nicht zu voll genommen hat. Die Auferstehung ist die Bekräftigung, dass die Gemeinschaft mit Gott stärker ist als Tod und Sterben. Diese Gemeinschaft bietet uns Jesus als Brot des Lebens an. Ein Leben, das sich an all’ den anderen Lebensmitteln freut, aber nicht nach ihnen süchtig ist. Leben, dass eine Mitte hat und sich nicht selbst Halt geben muss, sondern gehalten wird. Leben, dessen Lebenshunger gestillt ist. Die Verheißung Jesu gilt auch heute noch: »Wer zu mir kommt, den wird nicht mehr hungern.« Haben wir dieses Vertrauen, dass Gott gibt, was wir zum Leben brauchen? Oder befürchten wir, das Brot des Lebens könnte altbacken sein? Jesus will uns die Angst vor dem Zu-Kurz-Kommen nehmen. Er speist Menschen nicht einfach ab. Bei ihm werden wir ernst genommen. Er kümmert sich um unsere Bedürfnisse, er geht auf unseren Hunger nach Leben ein. Bei Jesus ist die Fülle. Und die Freude über diese Fülle soll uns anstecken. Wir sollen wieder neu zum Staunen kommen über das, was Gott tun kann. Und so möchte ich uns als Kirche Mut machen. In den letzten Jahren haben wir es oft gehört: »Die Finanzmittel werden knapper. Wir müssen kleinere Brötchen backen.« Aber es ist nicht nur das Geld, das fehlt. Unser Glaube ist sprachlos geworden. Was würde ich antworten, wenn einer die Predigt vom »Brot des Lebens« ernst nimmt? Wenn nachher jemand kommt und sagt: »Ich habe genug von meinem Lebenshunger, ich möchte satt werden, ich brauche das Brot des Lebens« — was hätte ich anzubieten? Als Christen stehen wir in der Gefahr, das »Brot des Lebens« selbst backen zu wollen. Doch das Rezept dafür ist Gottes Sache. Wir können es nur dankbar empfangen. Und wir können es fröhlich weitergeben. Wir können erzählen, wie Jesus uns versorgt. Wir können weitersagen, dass der Glaube unser Leben sinnvoll macht. Ich möchte schließen mit einer Geschichte aus dem Evangelischen Gemeindeblatt. Da erzählt einer von einer Begegnung im Bahnhof einer Großstadt. Aus der Unterführung stolperte ein Betrunkener die Treppe herauf. Er blieb vor mir stehen und schaute mich an. Mit der Bierflasche tippte er gegen meinen Mantel und fragte: »Glaubst du an Gott?« Darauf war ich nicht gefasst. Ich wollte nicht antworten. Aber dieser Mann starrte mir so ins Gesicht, dass ich nicht ausweichen konnte. Also sagte ich einfach »Ja«. Während ich noch überlegte, wie ich dieses »Ja« erklären könnte, sagte der andere: »Mensch, hast du’s gut.« In diesem Augenblick war ihm der Lebenshunger ins Gesicht geschrieben. »Mensch, hast du’s gut.« Und auch wir haben es gut. Wir können das Abendmahl miteinander feiern. Wir sind in die Gemeinschaft eingeladen. Wir dürfen satt werden von dem, was Gott gibt und schenkt. Amen. Tobias Geiger, Pfarrer in Sielmingen