Teil II Theorie der öffentlichen Güter und der sozialen Entscheidungen 1 Teil II Theorie der öffentlichen Güter und der sozialen Entscheidungen 4. Die Bereitstellung öffentlicher Güter 5. Abstimmungen und die Theorie sozialer Entscheidungen (Stiglitz, Ch. 6) (Stiglitz, Ch. 7) 6. Das Mehrheitswahlgleichgewicht für die Bereitstellung eines öffentlichen Gutes Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors (Stiglitz, Ch. 7) II-2 4. Die Bereitstellung öffentlicher Güter 4.1 Charakteristika von öffentlichen Gütern 4.2 Effizientes Bereitstellungsniveau für öffentliche Güter Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-3 4.1 Charakteristika von öffentlichen Gütern a) Reine öffentliche Güter sind durch die Merkmale: i) Nichtausschliessbarkeit Ausschluss ist nicht möglich (technologische vs. rechtliche Möglichkeiten!) ii) Nichtrivalität im Konsum (zusätzlicher Konsum verursacht keine Kosten): Ausschluss ist nicht effizient charakterisiert. Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-4 BEISPIELE: Leuchtturm (vs. Richtfunk); Sicherheit; Ozonschicht; Beseitigung von Elend; leere (vs. verstopfte) Strassen, ohne (vs. mit) Mautsystem Folge von i) und ii): Markt kommt nicht oder nur partiell zustande. Illustration als Gefangenendilemma Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-5 b) Unreine öffentliche Güter (Mischgüter): Ausschluss mehr oder weniger kostspielig, Konsum mehr oder weniger rival. Rivalität hoch nicht gegeben reine private Güter reine öffentliche Güter Ausschluss unmöglich Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors leicht möglich II-6 Darstellung im üblichen Marktdiagramm: – Ausmass der Rivalität durch Grenzkosten des zusätzlichen Konsums – Ausmass der Nichtausschliessbarkeit durch Transaktionskosten. Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-7 BEISPIEL: Kostenloser Ausschluss / keine Rivalität Preis Nachfragekurve Effizienzverlust durch Ausschluss p Nichtrivalität: MC=0 E x' Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors x* Menge II-8 BEISPIEL: Rivalität / kein Ausschluss (Nulltarif) p Nachfragekurve Rivalität: MC > 0 Effizienzverlust durch Nichtausschluss E x* Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors x' x II-9 BEISPIEL: Mischgut, z.B. Krankenversicherung Preis, Grenzkosten Transaktionskosten Verlust durch Unterversorgung bei Marktlösung Verlust durch Überkonsum bei freier Versorgung Ausschliessungskosten pro Fall E x' Produktionskosten Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors x* MC = c x '' Versorgungsfälle II-10 Bei unelastischer Nachfrage (Grundversorgung) relativ hoch relativ niedrig Bei elastischer Nachfrage (Luxusversorgung) relativ niedrig relativ hoch Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-11 4.2 Effizientes Bereitstellungsniveau für reine öffentliche Güter a) Informelle Diskussion Effizienz: Zusätzliche Einheit soll bereitgestellt werden, wenn Zahlungsbereitschaft für zusätzliche Einheit Kosten der zusätzlichen Einheit Öffentliches Gut steht allen zur Verfügung der Zahlungsbereitschaft aller zusammen ist massgeblich Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-12 Graphisch erhält man die Summe der marginalen Zahlungsbereitschaften durch vertikale Addition der (Pseudo-)Nachfragekurven (d.h. der wahren marginalen Zahlungsbereitschaften)1. G bezeichnet im folgenden die Menge des öffentlichen Gutes. 1 Wegen des „Free-rider“ Problems werden die Zahlungsbereitschaften nicht ohne weiteres wahrheitsgemäss geoffenbart. (Problem der Präferenzenthüllung). Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-13 P1(G ) Marginale Zahlungsbereitschaft von Individuum 1 G P 2 (G ) Marginale Zahlungsbereitschaft von Individuum 2 G Effizienzbedingungen für öffentliches Gut: P1(G*) P 2 (G*) C '(G*) (Gleiche Menge G, unterschiedliche Zahlungsbereitschaften P1, P 2.) P1(G ) P 2 (G ) C '(G ) G* Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors G II-14 Im Vergleich dazu sieht die Situation beim privaten Gut so aus (horizontale Addition der Nachfragekurven): p p p P1(x) bzw. x1(p) x1(p) + x2(p) P2(x) bzw. x2(p) C '( x ) p*=MC x1 x x2 x x*=x1+x2 x P1 C' für die ersten x1 Einheiten, P 2 C' für die nächsten x2 Einheiten. Im Gleichgewicht: P1 P 2 C', i 1,2 (Gleicher Preis p*, unterschiedliche Mengen x1, x2 ). Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-15 b) Allgemeine Charakterisierung des effizienten Bereitstellungsniveaus durch die Samuelsonregel Präferenzen von Individuum i (= 1, ..., n) gegeben durch: U i ci ,G ci ... privater Konsum von i G ... bereitgestelltes Niveau des öffentlichen Gutes Wahre marginale Zahlungsbereitschaften von i: MRS ci ,G i Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors UGi Uci II-16 Die Kosten C(G) des öffentlichen Gutes werden durch Pauschalsteuern t i auf Ausstattung der Individuen y i finanziert: ti C(G), ci y i t i Bestimmung des Pareto-Optimums: Max t ,...,t ,G 1 n U 1 y1 t1,G unter Nebenbedingungen: n t i C G i 1 U j y j t j ,G U j , Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors j1 II-17 Langrangefunktion: L = U y1 t1,G ti C G j U j y j t j ,G U j i j 1 1 First-order-conditions (Bestimmen für jede Nutzenverteilung U j die optimalen Werte ti* , G* , ci* y i ti* ): t1 Uc1 0 t j j Ucj 0, j 1 G 1 UG C j UGj 0 j 1 t1 , t j , G ergeben die Samuelsonregel: MRS i ci* ,G* C G* i Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-18 5. Abstimmungen und die Theorie sozialer Entscheidungen FRAGESTELLUNG: Wie wird über öffentliche Angelegenheiten entschieden? Zentrale Kriterien für soziale Entscheidungsverfahren: – Welche Verfahren führen zu eindeutigen stabilen Ergebnissen? – Wieviele Personen sind in das Entscheidungsverfahren eingebunden? – Wie „mächtig“ ist ein Verfahren, d.h. welche relevanten sozialen Entscheidungen können damit gefällt werden? – Wie „gut“ (z.B. effizient, gerecht) sind die von einem Verfahren produzierten Entscheidungen? Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-19 a) Einstimmigkeitsprinzip – nur Pareto-Verbesserungen gehen durch – keine Entscheidung zwischen verschiedenen Paretoeffizienten Zuständen. (Versagen bei Problemen, die Verteilungsfragen involvieren). Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-20 b) Mehrheitswahl DAS CONDORCET-PARADOXON Wenn 3 oder mehr Alternativen zur Wahl stehen, ergibt die Mehrheitswahl nicht immer eine konsistente Reihung der Alternativen. Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-21 Illustration: 3 Personen (Gruppen): (z.B.: A, B, C A ... arm, B ... Mittelschicht, C ... reich) 3 Alternativen: I, II, III Wähler i = A, B, C reiht Alternativen k = I, II, III nach dem bei der jeweiligen Alternative erzielten Nutzen Ui k . Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-22 BEISPIEL: Alternative Steuertarife (i muss t i bezahlen) I II III tA 20 18 17 tB 30 28 31 tC 50 54 52 100 100 100 T t A tB tC Präferenzen von A: U A III U A II U A I Präferenzen von B. UB II UB I UB III Präferenzen von C: UC I UC III UC II Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-23 Präferenzen von A: U A III U A II U A I Präferenzen von B. UB II UB I UB III Präferenzen von C: UC I UC III UC II Paarweise Abstimmung I gegen II Wahlergebnis ergibt (A, B pro II): II gegen III ergibt (A, C pro III): III gegen I ergibt (B, C pro I): II vor I III vor II I vor III Intransitive (zyklische) Ordnung der Alternativen. Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-24 Schlussfolgerung aus dem Condorcet Paradoxon: – Es existiert nicht immer ein Wahlgleichgewicht (ein eindeutiges Ergebnis) – Der Abstimmungsleiter kann in diesem Fall das Ergebnis „diktatorisch“ bestimmen (durch Festlegung der Alternativen, über die abgestimmt wird). Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-25 HÄUFIGES MISSVERSTÄNDNIS: Mitunter wird aus dem Condorcet Paradoxon geschlossen, dass Wahlen (Demokratie, Politik überhaupt) ein schlechteres Verfahren zur Entscheidung über soziale Belange darstellen als andere Verfahren (z.B. Märkte) bzw. dass auf Abstimmungen verzichtet werden soll. Diese Schlussfolgerungen sind falsch. 1. Es gibt auch kein anderes „perfektes“ Verfahren. Insbesondere löst der Markt das Verteilungsproblem nicht (siehe Theorie sozialer Entscheidungen unter c)). 2. Nicht immer tritt bei einer Mehrheitswahl ein Abstimmungsparadoxon auf. Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-26 SATZ: Bei eindimensionalen Alternativen gilt: Falls die Präferenzen eingipfelig sind, ist das Mehrheitswahlgleichgewicht eindeutig. Das Wahlergebnis wird durch den Medianwähler bestimmt. Illustration für den Fall, dass 3 Wählergruppen (L, M, H) über GNiveau abstimmen, wobei Ui G , i L, M, H, nur 1 lokales Maximum – einen Gipfel – aufweist. Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-27 Ui (G ) i = L, M, H UL UM GL* * GM UH GH* G * GM siegt gegen jeden Gegenvorschlag G (M ist Medianwähler). * * , L pro G. Falls G GM : M und H pro GM * * , H pro G. Falls G GM : M und L pro GM Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-28 c) Theorie sozialer Entscheidungen PROBLEM: Gegeben individuelle Präferenzordnungen ¹ i über die Zustände der Welt. Gesucht eine soziale Präferenzordnung ¹ s, welche die individuellen Präferenzordnungen widerspiegelt. (Beachte: Präferenzordnungen müssen die üblichen Axiome Vollständigkeit und Transitivität erfüllen). Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-29 FRAGE: Gibt es irgendein Verfahren (eine Arrowsche Soziale Wohlfahrtsfunktion bzw. eine Konstitution), das obiges Problem löst und gewisse Mindestanforderungen (Bedingungen für eine akzeptable Konstitution) erfüllt? ANTWORT: Arrow’s (1963) Unmöglichkeitstheorem So ein Verfahren existiert nicht! Bzw. alle denkbaren Verfahren haben zumindest eine unerwünschte Eigenschaft. Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-30 DISKUSSION: Erkenntnis „Es gibt kein Verfahren, das – unstrittig ist und – alle gesellschaftlich relevanten Entscheidungen konsistent fällt.“ bedeutet nicht! „Entscheidungen über öffentliche Angelegenheiten sind unmöglich oder irrational“ Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-31 sondern: „Man kann sich Diskussion und Auseinandersetzung nicht ersparen.“ (Inhaltliche Auseinandersetzung mit Alternativen zusätzlich zur Diskussion von Entscheidungsverfahren. Infragestellung und Abwägung individueller Präferenzen. Stichworte: „Reflektives Gleichgewicht“, „Öffentlicher Raum“). Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-32 6. Das Mehrheitswahlgleichgewicht für die Bereitstellung eines öffentlichen Gutes i 1, ..., n Wähler mit Einkommen y i entscheiden über Bereit- stellungsniveau G eines öffentlichen Gutes, dessen Stückkosten pG 1 sind. Sie wissen, dass G durch Steuern Ti y i G mit y i 1 i finanziert wird. y i ist der „Steuerpreis“ für i. Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-33 Der dem Wähler i nach Abzug der Steuer verbleibende private Konsum ist ci y i y i G . Seine Präferenzen sind durch Ui G u i y i y i G, G gegeben. Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-34 G-Entscheidungsproblem von Wähler i: max Ui G u i ( y i ( y i )G , G ) G ci (Netto einkommen ) Bedingung 1.er Ordnung2 uGi MRS ci ,G i y i . uc i 2 i i i 0, ucG 0, uGG 0. Bedingung 2.er Ordnung Ui 0 erfüllt für ucc Daher MRS i fallend in G und Ui eingipfelig. Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-35 Graphische Illustration von MRS i ci ,G y i : Steuerpreis MRS i ( y i ( y i )G,G ) (yi ) Gi* G Wert bei dem Wähler i Gipfel erreicht Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-36 Da die Präferenzen eingipfelig sind, existiert eindeutiges * Mehrheitswahlgewicht. Es setzt sich GM des Medianwählers durch. Die Gi* hängen von den Präferenzen u i , vom Einkommen y i und vom Steuerpreis y i ab. Folgende Analyse konzentriert sich auf die Rolle von Einkommen und Steuer und nimmt u i u identisch an, d.h. Gi* hängt nur von y i ab. Wir schreiben daher G * ( y i ) für Gi* . Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-37 ANNAHME: Medianeinkommensbezieher ist Medianwähler D.h. G * ( y M ) , das ist jenes G-Niveau, welches das Individuum mit dem Medianeinkommen y M wählt, setzt sich durch. 1 (Erinnerung: prob y y M prob y y M ). 2 (BEMERKUNG: Eigentlich y M der Wahlteilnehmer relevant. Könnte von y M der Wahlberechtigten oder der Gesamtpopulation abweichen.) Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-38 EVE 98 Schweiz: Verteilung der Haushalte nach Einkommensklassen in Franken, 1998 Lesebeispiel: Rund 5% der Haushalte verfügen über ein Einkommen zwischen 11‘000 Fr. und 11‘999 Fr. Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-39 Medianeinkommen bei typischem Verlauf d. Einkommensverteilung: Dichte Bei lognormaler Verteilung: ymod y M y y mod Modalwert y yM y Mittelwert Median Welches G-Niveau wählt Wähler mit Einkommen y M y ? Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-40 1 BEISPIEL Kopfsteuer: y , für alle y (identischer Steuerpreis) n Fall A: G ist normales Gut (y ) MRS eines yhoch-Beziehers 1 n MRS eines yniedrig-Beziehers G *(y M ) G *(y ) G Fall B: Umgekehrt bei inferiorem Gut! Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-41 Fall C: Identische Nachfragekurven, d.h. entweder identische quasilineare Präferenzen (keine y-Effekte) oder identische Individuen u i u und y i y : * , also Einstimmigkeit auf effizientem Niveau. Gi* G*j GM Vergleich zu Samuelson: 1 MRS ( n MRS ) 1 MRS n Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-42 BEISPIEL proportionale Einkommensteuer: T y ty mit tny G . Also T y G y ny und (y ) Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors T (y ) y 1 . G y n II-43 Fall A: Identische Nachfragekurven (wenn Präferenzen identisch und y keine Rolle für G-Nachfrage spielt). (Beachte: y M y ) MRS (y ) (yM ) 1 n yM 1 y n G *(y ) Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors G *(y M ) G II-44 VERGLEICH MIT SAMUELSON: Bei identischen quasilinearen Präferenzen wäre G * ( y ) effizient. Aus diesem Bild wird mitunter abgeleitet, dass Demokratie zur Überversorgung mit G führt. (Bei progressiver Steuer noch stärker ausgeprägt). Aber, falls G normales Gut, alles möglich (siehe nächste Seite): Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-45 Fall B: G normales Gut: Beispiel für G* ( y M ) G* ( y ) MRS( y 1 G, G ) n MRS( y M ( y M )G, G) 1 n (yM ) G *(y M ) G *(y ) G G * ( y ) entspricht effizientem Niveau, wenn MRS i linear in yi . Teil II – Theorie des öffentlichen Sektors II-46