Solidarische Ökonomie Bestandsaufnahme und Perspektiven in Österreich Maria Anastasiadis (Sozialökonomischen Forschungsstelle) Annäherung Im österreichischen Verständnis sind Organisationen und Initiativen, die an der Konferenz in Berlin unter dem Begriff „Soziale und / oder Solidarische Ökonomie“ zusammengefasst wurden, eng mit den Dynamiken im gewinnorientierten Marktsektor, im öffentlichen Staatssektor und in der informellen Eigenarbeit verknüpft. Sie entstehen in der Regel aus der Kritik am vorhandenen Angebot des Staates oder des Marktes und entwickeln sich als selbst organisierte Gruppe von Betroffenen nicht individualistisch, sondern als kollektiv Verantwortliche für gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Innovationen. Insgesamt versuchen sie jene Blindstellen zu bedienen, die weder von profitorientierten Unternehmen noch von staatlichen Stellen und auch nicht über die informelle Eigenarbeit befriedigend abgedeckt werden können. In den Diskursen rund um dieses Wirtschaftssegment zwischen „Markt“, Staat“ und „Eigenarbeit“ ist in Österreich eine Begriffsvielfalt vorherrschend. „Dritter Sektor“, „NPOs“, „NGOs“ und „Sozialwirtschaft“ sind die häufigst verwendeten Bezeichnungen. Der Begriff „Soziale und/oder Solidarische Ökonomie“ wird in dieser Kombination in Österreich nicht verwendet, wenn auch „Soziales Wirtschaften“ und „Solidarität“ wesentliche Stützen in den Konzepten und in der Tradition sind. Ich möchte mich in diesem Beitrag auf die Suche nach diesen Fundamenten begeben und der Frage nachgehen „wie es gelingt wirtschaftlich zu handeln, um gemeinsam soziale Ziele zu erreichen“. Auf Basis der Ergebnisse aus dem EQUAL Projekt „Der Dritte Sektor in Wien“1 werde ich Einblicke in die Bezeichnungen, Konzepte, Tradition und die aktuelle Situation in Österreich geben, und versuchen das österreichische Verständnis über diesen ökonomischen Bereich für den internationalen Diskurs zu öffnen. 1 Anastasiadis, Maria/Essl, Günter/Riesenfelder, Andreas/Schmid, Tom/Wetzel, Petra (2003) 1 Begriffe und Konzepte Was wird in Ihrem Land bzw. Kontinent unter „Solidarischer Ökonomie“ verstanden und/oder welche Bezeichnungen, Konzepte, Traditionen stehen im Vordergrund? Wie erwähnt werden in der österreichischen Praxis verschiedene Bezeichnungen verwendet, wobei „Dritter Sektor“, „NPOs“, „Sozialwirtschaft“ und „NGOs“ die häufigsten sind. Die erste Aufgabe im Zuge der Forschungsarbeiten war es Licht in dieses Begriffsdickicht zu bringen. Festgestellt werden konnte, dass wenn auch die Begriffe häufig synonym verwendet werden, erhebliche Unterschiede in dem was sie tatsächlich bezeichnen vorhanden sind. Gemeinsam ist den damit verbunden Konzepten lediglich eines - der Bezug auf formal organisierte Institutionen. Der gesamte informelle Bereich der Familienarbeit, Nachbarschafts- oder Selbsthilfe bleibt so in den österreichischen Diskursen weitestgehend ausgeblendet. Zur ersten Orientierung möchte ich nun einen kurzen Überblick über die wesentlichen Bezeichnungen und die damit verbundenen Konzepte geben, so wie sie in der österreichischen Praxis verwendet werden. Bei „Nongovernmental Organizations“ (NGOs) handelt es sich um politische Organisationen von in der Regel überregionaler Bedeutung, die außerhalb der klassischen Strukturen des Parteienstaates und der etablierten transnationalen politischen Strukturen Interessen durchsetzen wollen (z.B. ATTAC, Greenpeace). NGOs sind mehr oder weniger anerkannt und verfügen teilweise über Sitze in politischen Entscheidungsgremien (z.B. in UN-Unterorganisationen). Die Begriffskategorie der NGOs entstammt aus dem politischen Diskurs und bezieht sich auf den politisch agierenden Ausschnitt der Solidarischen Ökonomie. Einschränkend ist auch die Begrifflichkeit „Sozialwirtschaft“. Dazu zählen Organisationen der Sozialen Dienste, wobei hier relative unklar ist, welche Branchen hier tatsächlich zugezählt werden. In der Regel fallen Kultur-, Sport- und Freizeitorganisationen nicht in diese Kategorie, Gesundheitsdienste und Bildungsprojekte aber schon. Auch werden hier Organisationen zugezählt, die sowohl unter staatlicher und privater Trägerschaft stehen. Als „sozialökonomische Beschäftigungs- und Betriebe“ werden jene Organisationen Arbeitsmarktintegrationsmöglichkeiten für bezeichnet, die langzeiterwerbslose Personen schaffen. Sie sind aus der Arbeitsmarktpolitik der 1980er Jahre entstanden und werden heute als Teil der oben genannten Sozialwirtschaft als Soziale Dienstleistung diskutiert. Weniger einschränkend als die bisher genannten präsentiert sich die aus dem angloamerikanischen stammende Bezeichnung der „Non-Profit-Organisationen“, wie sie im 2 Johns Hopkins Projekt2 angelegt ist. Dieser Zugang hat zwar keine siehe z.B. Schauer, R./Blümle, E-B./Witt, D./Anheier, H.K. (Hg.) (2000) 2 tätigkeitsbereichspezifische Begrenzung, klammert aber Organisationen aus, die staatlich organisiert sind und die Überschüsse erwirtschaften, wobei letzteres Kriterium zumindest für die Entwicklungen in Mitteleuropa nicht haltbar zu sein scheint. Denn Organisationen die Überschüsse erwirtschaften, diese allerdings in Form kollektiver Aneignung wieder in die Gesellschaft rückspielen haben in weiten Teilen Europas eine lange Tradition. Hierunter zählen beispielsweise Genossenschaften oder Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Unbestritten ist, dass der Non-Profit Bereich einen wesentlichen Bestandteil bildet, jedoch die Verschiedenartigkeit des wirtschaftlichen Handelns nicht ausreichend berücksichtigt. Um ein möglichst umfassende Bild von diesem Segment zwischen „Markt“, Staat“ und „Eigenarbeit“ zu erhalten, haben wir uns schließlich für die Verwendung des Begriffes „Dritter Sektor“ entschieden, denn alle anderen Begriffe bzw. Konzepte erfassen jeweils nur Teile des gesamten Wirtschaftsbereiches (vgl. Birkhölzer, Kistler, Mutz 2004). Im Rahmen des Projektes „Der Dritte Sektor in Wien“ wurde ein Kriterienkatalog3 entwickelt, um Organisationen dem Dritten Sektor zurechnen und empirisch erfassen zu können. Diese ursprünglich für Wien entwickelten Kriterien gelten aber wohl für ganz Österreich. Das für den Dritten Sektor zu enge Kriterium „nicht-gewinnorientiert“ wurde durch „nicht-gewinnmaximierend“ ersetzt. Allfällige Überschüsse müssen nicht in jedem Fall zur Gänze für den Unternehmenszweck verwendet werden, wie dies der NPOAnsatz fordert, sondern können auch an Mitglieder ausgeschüttet werden (kollektive Aneignung), wie dies etwa in Genossenschaften üblich ist. Ein weiteres Zugehörigkeitskriterium ist die „Nichtstaatlichkeit“, wodurch jene Organisationen nicht dem „Dritten Sektor angehören, die unabhängig von ihrer Organisationsform der Überprüfung des Rechnungshofes oder einer entsprechenden Einrichtung einer Gebietskörperschaft unterliegen. Das Prinzip der „Selbstverwaltung“ erfordert die juristische und organisatorische Eigenständigkeit von Organisationen des Dritten Sektors. Einer Organisation des Dritten Sektors muss es beispielsweise möglich sein, sich selbst aufzulösen. Die „Freiwilligkeit der Mitgliedschaft“ ist ein weiteres wesentliches Merkmal von Drittsektororganisationen, die diesen Sektor von Körperschaften Öffentlichen Rechtes abgrenzt. Gleichwohl müssen Organisationen des Dritten Sektors keine Mitglieder aufweisen. Letztlich müssen Organisationen des Dritten Sektors eine „institutionelle Realität“ aufweisen können, Organisationsformen d.h. wie als juridische Personen Genossenschaften, existieren. Dazu zählen Gegenseitigkeitsgesellschaften, Vereine, Stiftungen, Fonds etc.. Dieses Konzept beschreibt ein äußerst heterogenes Wirtschaftsfeld, das sich in einer Vielzahl von Organisationen differenter Branchenzugehörigkeit, Zielsetzung und Struktur ausdrückt und seit jeher eng mit den anderen Sektoren in Verbindung steht. Der Kriterienkatalog diente als Auswahlschablone für die Stichprobe von 630 befragten Organisationen des benannten Forschungsprojektes „Der Dritte Sektor in Wien“. 3 3 Tradition Wie sind diese entstanden, welches sind Ihre hauptsächlichen Zielsetzungen oder Zielgruppen, Ihre Erfolge oder Misserfolge? Blicken wir kurz zurück auf die vom Gedanken der Selbstverwaltung und der Selbsthilfe getragenen Initiativen, die sich im 19. Jahrhundert als Gegenkraft zur aufstrebenden Marktwirtschaft positionierten Genossenschaften, Berufs- und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, Interessensvertretungen aber auch Wohlfahrtseinrichtungen. Sie gewannen einerseits zunehmend direkten und indirekten Einfluss auf das politische System – etwa bei der Einführung der gesetzlichen Sozialversicherung – andererseits übernahmen sie Dienstleistungsfunktionen, wie z.B. in der Armenfürsorge. Wesentliches Kennzeichen dieser klassischen Initiativen war die Einheit von wirtschaftlichem und sozialem Handeln auf solidarischer Basis. Die empirische Wahrnehmung widerspiegelt diese historische Entwicklung. Uns liegen derzeit nur Forschungsergebnisse für Wien vor, wir gehen aber davon aus, dass sich die Situation in den anderen Bundesländern ähnlich verhält. Die Ergebnisse zeigen, dass die Tradition der Drittsektoreinrichtungen in Wien Jahrhunderte zurück reicht: Die ältesten von den 630 erfassten Organisationen wurden bereits im 18. Jahrhundert gegründet, wobei die vergleichsweise längste Tradition „Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit“ und „Genossenschaften“ aufweisen. Dies unterstreicht gleichzeitig die Relevanz dieses Organisationsspektrums. Insgesamt sind in Wien 10% der erfassten Organisationen vor dem Jahr 1920 gegründet worden. Weitere 10% wurden in der Zwischenkriegs-, der Kriegs- oder direkten Nachkriegszeit gegründet. Im Gefolge der Nachkriegs-Wirtschaftswunderjahre wurden die marktwirtschaftlichen Krisenerfahrungen verdrängt, oder zumindest mit dem keynesianischen Konzept der Sozialen Marktwirtschaft als überwunden angesehen. Der Staat griff regulierend in das Wirtschaftsgeschehen ein und setzte auf eine Sozialpolitik, die eine umfassende Absicherung für die gesamte Bevölkerung zum Ziel hatte. Das führte dazu, dass die Balance von wirtschaftlichen und sozialen Zielsetzungen in manchen dieser Organisationen aufgebrochen wurde, wodurch sie sich nach und nach entweder in rein kommerzielle Unternehmen oder in überwiegend staatlich finanzierte Wohlfahrtsinstitutionen verwandelten. In der Studie, die den Dritten Sektor im regionalen Kontext in Wien beleuchtet geht hervor, dass im Zeitraum der wirtschaftlichen Prosperitätsphase, von Anfang 1950 bis Ende der 1960er-Jahre relativ wenige Drittsektororganisationen in Wien gegründet wurden (10%), allerdings danach in den 1970er- und 1980er-Jahren und insbesondere ab dem Jahr 1990 eine regelrechte Gründungswelle einsetzte (40%). Das kann als Hinweis gelten, dass spätestens mit den Krisenerfahrungen der 1970er-Jahre, die das Ende der Leistungsmächtigkeit des keynesianistischen Wohlfahrtsregimes deutlich gemacht haben, eine „Neue Soziale Bewegung“ entstand, die wieder an die teils 4 verschüttete Tradition anzuknüpfen versuchte, aber auch zahlreiche neue bevölkerungsnahe Angebote hervorbrachte. In dieser historischen Betrachtungsweise wird klar, dass der Dritte Sektor mit der Dynamik der anderen Sektoren – „Markt“, Staat“ und „Eigenarbeit“ - aufs Engste verknüpft ist und in gesellschaftlichen Krisen an Bedeutung gewinnt. Erkennbar wird darin auch seine gesellschaftsgestaltende Rolle und Innovationskraft. Kennzeichen Welches sind in Ihrem Land bzw. Kontinent die wichtigsten Bewegungen ökonomischer Selbsthilfe und/oder Gegenwehr auf solidarischer Basis? Mittlerweile zählen zum Dritte Sektor eine Vielzahl von Organisationen unterschiedlichster Form. Vereine, Stiftungen, Fonds, Genossenschaften, gemeinnützige GmbHs, Gegenseitigkeitsgesellschaften etc. bieten Dienstleistungen in vielfältigen Branchen an. Dabei ist der Verein ist die häufigst gewählte Rechtsform. Neun von zehn Wiener Drittsektororganisationen (90,7%) weisen diese Rechtsform auf. Allen anderen kommt eine vergleichsweise marginale Rolle zu: GmbHs 3,0%, Stiftungen 2,6%, Genossenschaften 1,2%, Fonds 1,0%, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit 0,4%, Trägerlose Gesellschaften 0,1%, andere Formen 0,9%. Trotz dieser RechtsformenHomogenität versammelt sich eine Vielzahl unterschiedlicher Organisationen, mit differenter Branchenzugehörigkeit im Vereinsregister – dem wohl schillerndsten Branchenverzeichnis Österreichs. Typische Drittsektorinitiativen sind beispielsweise der Sparverein um die Ecke, die Selbsthilfegruppe für Hepatitis Erkrankte, der Montessori Kindergarten, der Tierschutzverband oder die Soziale Wohnbaugenossenschaft, auch die Tauschbörsen, das Altenheim und das Integrationsprojekt für Flüchtlinge gehören dazu. In einer branchenspezifischen Betrachtung des Dritten Sektors in Wien entfällt auf die Bereiche 4 „Soziale Dienste“ (14,9%), „Sport“ (16%) und „Freizeit“ (13,8%) fast die Hälfte. Einen Anteil von über 5% weisen „Kultur“ 9,6%, „Bildung und Forschung“ 8,2%, „Gesundheit“ 9,7%, wie die „beruflichen Interessensvertretungen und Gewerkschaft“ mit 8,1% und „Lokale Entwicklung und Wohnwesen“ mit 5% auf. Weniger als 5% beträgt der Anteil in den Bereichen „Umwelt- und Tierschutz“ (2,9%), „Nicht-berufliche Interessensvertretung und Politik“ (3,7%) und „Religionsgemeinschaften“ (3,5%). Was die ökonomische Relevanz betrifft, so gilt der Dritte Sektor seit dem Aufschwung der Dienstleistungen insgesamt als Wachstumsbereich. Auch wenn eine rein quantitative Betrachtung der Verschiedenartigkeit und Dynamik der Drittsektorkultur in keiner Weise gerecht werden kann, wäre eine exakte Abschätzung der volkswirtschaftlichen Relevanz 4 Branchenübersicht in Anlehnung an die ICNPO 5 durchwegs wünschenswert. Dazu fehlt es allerdings noch an Daten. In den Zahlen der regionalen Erhebung in Wien zeigt sich ein doch recht ansehnliches Finanzvolumen. In den hier befragten 630 Drittsektororganisationen betrug das Jahresbudget 2002 zusammen €643.446.730, das sich in einem für den Sektor typischen Finanzierungsmix zusammensetzt: Mitgliedsbeiträge, privater Kostenersatz, Förderungen und Gelder aus Leistungsaufträgen durch die öffentliche Hand, Mittel aus Sponsoring und Spenden. Die durchschnittliche Zusammensetzung der Finanzierungsgrundlagen einer Drittsektororganisation in Wien besteht zu einem Drittel (35%) aus Mitgliedsbeiträgen. Dass der relativ größte Anteil im Budget auf Mitgliedsbeiträge entfällt, deutet auf die Vielzahl der basisnahe ausgerichteten, mitgliederintensiven Einrichtungen in Wien hin5. Der zweitgrößte Anteil umfasst mit 31% Mittel der öffentlichen Hand. Rund 18% stammen aus privaten Kostenersätzen bzw. Eigenerlösen und zirka 13% werden über Spenden und Sponsorgelder aufgebracht. Weitere 3% gaben „Sonstige“ Finanzierungsformen an. Diese Komposition unterstreicht erneut die Verschränkung dieses Wirtschaftsbereiches mit den anderen Sektoren. Mit dieser Rolle ist auch eine wesentliche Eigenschaft verbunden: Organisationen des Dritten Sektors müssen und wollen anders wirtschaften als rein kommerzielle Unternehmen. Arbeit mit Mission In welcher Weise unterscheiden sich Unternehmen der Solidarischen Ökonomie von anderen Unternehmensformen? In der Tradition, der finanziellen und gesellschaftlichen Ausrichtung des Sektors begründete sich das hier geltenden ökonomische Prinzip: Im Glauben, einer besonderen Zweckbestimmung zu folgen werden in den Organisationen Ressourcen mobilisiert, um ein bestmögliches Ergebnis mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu erreichen (Seibl 2002). Oder einfacher in den Worten der Vertreter aus den Organisationen gesprochen: „Da ist sicherlich Idealismus ein großes Motiv für etwas zu arbeiten, wo man glaubt, damit was bewegen zu können und wo nicht nur der Profit im Vordergrund steht, sondern auch die persönliche Verwirklichung“. Es handelt sich hier um ein klassisches „gebrauchswertorientiertes“ Arbeiten, in dem nicht der Preis und die Menge, sondern vor allem die Qualität zählt. Vertreter aus der Organisationslandschaft Wiens sind sich weitgehend einig darüber, dass eine hohe Identifikationsbereitschaft mit der Sache und ein solidarisches, basisdemokratisches Zusammenarbeiten für diese, wichtige Kennzeichen der Arbeitskultur des Dritten Sektors sind. Die Aussagen „Das ist nicht wie bei einem normalen Arbeitsplatz“ oder „Wir arbeiten alle zusammen, es ist ein gemeinsames Miteinander“ sprechen dafür. 5 Die befragten 630 Organisationen weisen knapp über 3,5 Millionen Mitglieder auf. 6 Dieses gemeinsame Miteinander lässt es zu Tätigkeitsfelder zu entwickeln, in denen weniger Fremdbestimmung durch Arbeit und mehr Mitbestimmung in der Arbeit besteht als im Sektor des Marktes und des Staates. Es lässt außerdem das Entstehen von relevanten Innovationen zu, die an die aktuelle gesellschaftliche Bedürfnislage anknüpfen. Dieses Arbeiten mit Mission kann aber auch zur Falle werden. Um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen, wird nämlich auf so manches verzichtet. Z.B. auf die monetäre Abgeltung von Überstunden und Zusatzleistungen, auf die Erstattung von Arbeitsmittel und Weiterbildungskosten durch den Arbeitgeber, auf die Anerkennung von Innovationsbeiträgen etc. Wenn es nun darum geht möglichst kostengünstig die Dienstleistungen anzubieten und so die durch Identifikation und Solidarität freigesetzten Ressourcen nicht mehr für die Qualität der Sache eingesetzt, sondern für die Menge und den Preis geopfert werden, dann ändert sich das Ziel der Arbeit und somit auch der Sinn. Dieser Hinweis ist gerade im Zusammenhang mit der dem Dritten Sektor zugeschriebenen Hoffnung in der „Krise der Wohlfahrtsstaaten“ von Bedeutung. Betonen möchte ich an dieser Stelle, dass der Dritte Sektor stets im Zusammenhang mit den jeweilig vorherrschenden wohlfahrtsstaatlichen Ausrichtungen zu denken und verstehen ist. Konservativ und sozialdemokratisch orientierte Wohlfahrtsregime, wie sie in weiten Teilen Europas bestehen, stellen andere Voraussetzungen an zivilgesellschaftliches und solidarisches Handeln als das liberale System, das wir beispielsweise am US- amerikanischen Kontinent finden6. Die Regulierung von Wohlfahrtsleistungen ist in europäischen Kontexten stark durch den Staat gesteuert. Das bedeutet auch, dass Solidarität hier dual gedacht und gelebt wird (vgl. Schmid 1999). Solidarität bezieht sich zum einem auf die Gemeinschaft, auf das Füreinander unter Gleichgesinnten. Dieses Verständnis von Solidarität wird in den Organisationen des Dritten Sektors, aber auch darüber hinaus in Nachbarschaftsnetzwerken und familiären Zusammenhängen gelebt. Zum anderen ist das wohlfahrtsstaatliche System auf die Solidarität unter Fremden aufgebaut. Dieses wird staatlich reguliert und somit kommt dem Staat hier auch ein erhöhtes Maß an Verantwortung zu als in liberalen Kontexten. Gesamtgesellschaftliche Wandlungsprozesse im globale Kapitalismus drängen dieses nationalstaatlich organisierte System nun mehr und mehr an den Rand seiner Finanzierbarkeit. Der Turn zu einem liberal angelegten wohlfahrtsstaatlichen System zeichnet sich ab. Von staatlicher Seite versucht man die Finanzierungskrise über sukzessive Verantwortungsübergabe zu lösen. Im Regierungsprogramm der letzten Bundesregierung wurde beispielsweise festgeschrieben, dass sich staatliche Leistungen langfristig lediglich auf Kernfunktionen beschränken sollen (vgl. Bundesministerium 2000). Demgegenüber soll der Einzelne mehr Eigenverantwortung übernehmen, z.B. was die Betreuungspflichten gegenüber Kindern und Eltern betrifft. Dafür gilt es das Bewusstsein 6 für die Solidarität unter Gleichgesinnten zu stärken. Der informell Zur Einteilung von Wohlfahrtssystemen siehe Esping-Andersen, G. (1998) 7 organisierte Bereich der Eigenarbeit und der formell organisierte Dritte Sektor sind hierfür willkommene Auswege. Gleichzeitig versucht man kostspielige vormals staatlich organisierte Leistungen möglichst kostengünstig auszulagern. Organisationen des Dritten Sektors, die eng mit staatlichen Bereichen verbunden sind geraten dabei unter erheblichen Druck. In Wien finanziert sich der Dritte Sektor beispielsweise mit einem Anteil von 31% aus öffentlichen Mitteln. Wenn nun Einsparungsprogramme der öffentlichen Hand die Dienstleistungserbringer zu kostengünstigeren Angeboten drängen, werden viele Organisationen des Dritten Sektors mit ihrer „gebrauchswertorientierten Logik“ im Wettbewerb mit kommerziellen Anbietern nicht bestehen können. Davon betroffen sind in Wien beispielsweise viele aus den Branchen der „Sozialen Dienste“, „Kultur“, „Bildung und Forschung“. Andere Organisationen, die eine facettenreichere Einnahmenstruktur haben, und ihre Existenz nicht nur an öffentliche Gelder binden, haben dementsprechend mehr Spielräume. Das heißt, sie können leichter mit überschüssigen Gelder aus anderen Einnahmequellen, Löcher die im Zuge einer knapp kalkulierten öffentlichen Beauftragung entstanden sind füllen – zwar nicht in dem Ausmaß, wie es gewinnmaximierende Unternehmen können, aber sie können es. Jene, die diese Spielräume nicht haben, werden auf kurz oder lang entweder auf die Erreichung eines bestmöglichen Ergebnisses verzichten oder unbezahlte Arbeit ausweiten müssen. Die Decke zwischen wirtschaftlichem und sozialem Handeln ist hauchdünn, und hält nur solange, solange die flexiblen Arrangements an der Nahtstelle von voll entlohnter und teilweise unentgeltlicher Arbeit selbstläufig ausbalanciert werden können. Langfristig betrachtet gefährdet eine Strategie öffentlicher Beauftragung, die alleinig auf den Preis und nicht auf die Qualität ihre Aufmerksamkeit lenkt das innovative und gesellschaftsgestaltende Element vieler Drittsektororganisationen. Gemeinsamkeit als Perspektive Welche Perspektive hat die Solidarische Ökonomie in Ihrem Land bzw. Kontinent? In Zeiten des globalen Kapitalismus stellen sich nicht nur ideelle, sondern zudem auch materielle Herausforderungen Hintergründen ist die an die Rückbesinnung bestehenden auf die Organisationen. Gemeinsamkeiten von Vor diesen erheblicher Bedeutung. Die Fundamente „Solidarität“ und „Soziales Wirtschaften“ wurden an mehren Stellen in diesem Beitrag sichtbar. Das „wirtschaftlich handeln, um gemeinsam soziale Ziele zu erreichen“ ist das in der Tradition gewachsene ökonomische und soziale Potenzial. Das Bewusstsein für dieses Gemeinsame scheint in Österreich jedoch wenig ausgeprägt zu sein. Wie beispielsweise in der begrifflichen Betrachtung deutlich wurde herrscht hier ein Spartendenken vor. Es ist die Rede vom „Sozialbereich“, vom „Kulturbereich“ usw. Diese branchenspezifische Aufteilung hängt auch wesentlich mit der politischen 8 Ressortzuteilung zusammen. So haben sich im Laufe der Zeit Dachorganisationen zu einzelnen Branchen gebildet, um Bedarfe aus der Bevölkerung an die jeweilig Verantwortlichen in der Politik zu kommunizieren. Es gibt kommunale, regionale und nationale Zusammenschlüsse von beispielsweise Kultureinrichtungen, Gesundheitsdiensten, Bildungs- und Umweltinitiativen sowie Sozialeinrichtungen, die teilweise wiederum in europaweiten Netzwerken vertreten sind. Es gibt aber kein Bündnis, das branchenübergreifend agiert. Hinzu kommt, dass die Wettbewerbsbedingungen gemeinsamen durch die geschlossenen öffentliche immer Beauftragung notwendig Selbstbildes des ins werdende gesamten Spiel gebrachten Entwicklung eines Wirtschaftsbereiches erschweren. Die bestehenden auf einzelne Branchen angelegten Kooperation werden zu riskanten Partnerschaften. Die Folge ist ein steigender Konkurrenzdruck zwischen einzelnen Organisationen derselben Branche. Davon zeugen beispielsweise folgende Aussagen von Vertretern der Organisationslandschaft: „Vernetzung ist wichtig. Es ist sehr schlecht, dass Konkurrenzdenken da ist, das eigentlich nicht da sein sollte.“ „Vernetzung, das ist halt sehr schwer. Bei großen Katastropheneinsätzen z.B. da ist man gezwungen zu kooperieren. Aber trotzdem schaut ein jeder, dass er der erste ist, um das medial für sich und für die Spender zu verwerten. Da kommen dann so Situationen raus, dass Organisationen Ärzte hinschicken, die gar nichts tun können, weil noch gar keine Infrastruktur da ist“. Wenn auch der Vernetzung für die zukünftige Entwicklung dieses Wirtschaftsbereiches hohe Bedeutung zugemessen wird, so wird die Umsetzung durch das Sparten- und Konkurrenzdenken gehemmt. Um die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen, wird es wichtig sein, die Identität des Dritten Sektors, nämlich das „wirtschaftlich handeln, um gemeinsam soziale Ziele zu erreichen“ branchenübergreifend inner- und übersektoral verstärkt zu kommunizieren. Nur so kann es gelingen diesen Wirtschaftsbereich aus den Fängen ökonomischer und staatlicher Vorgaben zu befreien. Dazu bedarf es Vernetzungsstrategien sowohl zwischen den Organisationen des Dritten Sektors als auch zwischen den Sektoren. Das Potenzial des Dritten Sektors kann sich nur dann entfalten, wenn diese Initiativen als gemeinsam gesellschaftsgestaltendes Gegenüber zum Staat und zum Markt auftreten. Dann können auch die Angebote von Mitgliedern, Mitarbeitern und Bürgern als sinn- und qualitätsvoll erlebt und in Anspruch genommen werden. 9 Verwendete Literatur Anastasiadis, Maria/Essl, Günter/Riesenfelder, Andreas/Schmid, Tom/Wetzel, Petra (2003): Der Dritte Sektor in Wien – Zukunftsmarkt der Beschäftigung? Ergebnisbericht des Forschungsprozesses der EQUAL-Entwicklungspartnerschaft ‚der Dritte Sektor in Wien‘, Wien. Download unter http://www.sfs-research.at Anastasiadis, Maria (2006): Die Zukunft der Arbeit und ihr Ende? Rainer Hampp Verlag Anastasiadis, Maria (2006): Letzte Hoffnung Nächstenliebe. In GDI Impuls Herbst 2006, Zürich. Birkhölzer, K./ Kistler, E./ Mutz, G. (2004): Der Dritte Sektor. Partner für Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Berlin. Bundesregierung 2000: Das Regierungsprogramm. Österreich neu regieren, vom Februar 2000. Download unter: http://www.austria.gv.at/2004/4/7/Regprogr.pdf (10.8.2004). Esping-Andersen, G. 1998: Die drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus. Zur politischen Ökonomie des Wohlfahrtsstaates; in: Lessenich, St./Ostner, I. (Hg): Welten des Wohlfahrtskapitalismus: der Sozialstaat in vergleichender Perspektive, Theorie und Gesellschaft Bd. 40, Frankfurt/Main, New York, S. 19 – 56. Schauer, R./Blümle, E-B./Witt, D./Anheier, H.K. (Hg.) 2000: Non-Profit Organisationen im Wandel. Herausforderungen, gesellschaftliche Verantwortung, Perspektiven, Linz. Schmid, T. 1999: Solidarität und Gerechtigkeit; in: Pantucek P./Vyslouzil M. (Hg.) Die moralische Profession – Menschenrechte und Ethik in der Sozialarbeit, St. Pölten, S. 87 – 106. Seibel, W. 2002: Das Spannungsfeld zwischen Mission und Ökonomie, 5. NPOForschungscolloquium, Linz. Maria Anastasiadis, Mag. Dr. Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sozialökonomischen Forschungsstelle (SFS), Schwerpunkte: Forschung und Entwicklung in den Bereichen Arbeit, Bildung, Sozialpolitik und Civil Society. Sie ist Autorin mehrer Studien und Fachbeiträge, darunter Die Zukunft der Arbeit und ihr Ende? (2006, Rainer Hampp Verlag); Letzte Hoffnung Nächstenliebe in GDI-Impuls (Herbstausgabe 2006). Kontakt: Email: [email protected] Tel: 0316/ 715921 oder 0664/5305341 http://www.sfs-research.at 10