1 Konrad Kutt 25.3. 2012 Kulturelle Bildung für nachhaltige

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Konrad Kutt
25.3. 2012
Kulturelle Bildung für nachhaltige Entwicklung als Querschnittsaufgabe beruflicher
Bildung – Begründungen und Herausforderungen
Was alles bitteschön, soll berufliche Bildung noch leisten? Ist sie nicht gut damit
beschäftigt, junge Menschen für eine berufliche Tätigkeit in einem der mehr als 350
bundeseinheitlichen Ausbildungsberufe zu befähigen? Hinzu kommen Kompetenzen für
eine nachhaltige Entwicklung und kulturelle Bildung. Zu viel des Guten oder notwendige
neue Herausforderungen?
Weite Teile des handwerklichen Könnens waren und sind in ihren Grundfesten vom
Selbstverständnis einer Kultur der Erhaltung und Nachhaltigkeit ebenso geprägt wie von
kunstvoller, ästhetischer Gestaltung. Kunst kommt von Können und auch die BauhausMaxime „Form follows function“ versteht sich als Rückbesinnung auf das Prinzip des
Schönen in der Einfachheit.
Die heutige Berufsausbildung in Deutschland ist weit von einer integrierten kulturellen
Bildung entfernt, trotz einschlägiger theoretischer und praktischer Arbeiten, beispielsweise
denen von Michael Brater (GAB) seit Beginn der 80er Jahre1. Die folgenden Überlegungen
zielen darauf ab, eine Verbindung von Nachhaltigkeit in Berufsausbildung mit dem
kulturellen und kreativen Sektor neu zu begründen und sichtbar zu machen.
Unter nachhaltiger Entwicklung wird die Herstellung und Erhaltung der Zukunftsfähigkeit
bei einer möglichst ausgewogenen Berücksichtigung der ökonomischen
Wettbewerbsfähigkeit, der ökologischen Verträglichkeit und der sozialen wie auch globalen
Gerechtigkeit verstanden. Die dazu erforderlichen Kompetenzen, Verhaltensweisen und
Einstellungen sollen in den verschiedenen Bildungsbereichen erworben.
In der Berufsausübung müssen sie im Hinblick auf fachliche Kompetenz, berufliche
Handlungsituationen, Abhängigkeiten, Arbeitsprozesse und generelle
Beschäftigungsfähigkeit in der Praxis umgesetzt werden. Da sich Arbeit zunehmend
ausdifferenziert, ist dabei sowohl an Erwerbsarbeit als auch an Nicht-Erwerbsarbeit, an
abhängige Beschäftigung wie auch an Selbstständigkeit im Sinne unternehmerischen
Handelns zu denken. Nachhaltige Kompetenzen müssen sich auch in einem
diskontinuierlichen Arbeitsleben bewähren. Dabei hat die kulturelle Bildung eine
didaktisch-methodische Aufgabe der Vermittlung und Erkenntnisgewinnung, sie ist
zugleich aber auch Ziel und Inhalt professionellen Handelns. In ihrer Prozesshaftigkeit gilt
kulturelle Bildung als Folie für die Gestaltung beruflicher Arbeitsprozesse.
1 Michael Brater u. a.: Kunst als Handeln. Was die Arbeitswelt und Berufsbildung von Künstlern lernen können.
Bielefeld: Bertelsmann 2011, Michael Brater u. a. : Künstlerisch handeln. Die Förderung beruflicher
Handlungsfähigkeit durch künstlerische Prozesse. (Verlag Freies Gestalten)
2
Versuch einer Begründung:

Die Kulturberufe haben einen bedeutenden Anteil an der Erwerbstätigkeit und an
der Wertschöpfung, zugleich spielt die kulturelle Betätigung im Rahmen der
Nichterwerbsarbeit eine immer größere Rolle. Die Beschäftigung in den
Kulturberufen von 1995 bis 2003 stieg um 31 % auf 780.000 (2.2 % aller
Beschäftigten). Zugleich belegen Studien (z. B. von Haak und Schmid), dass die
Arbeitsplätze der Zukunft zunehmend „künstlerisch geprägt“ und im kreativen
Bereich liegen werden2

Nachhaltige Entwicklung und die dafür notwendige Kompetenzentwicklung
erfordern Problemlösungen, die sich mehr und mehr an der Ressource Kreativität
orientieren, die internationale Zusammenarbeit und Netzwerke einbeziehen und
somit den Perspektivwechsel auf allen Ebenen erst ermöglichen.

Beim nachhaltigen Umbau der Gesellschaft hat der kulturelle und kreative Sektor
als Impulsgeber und Werkzeug einer ästhetischen und bewussten Gestaltung des
Lebens eine Schlüsselfunktion. Der Wandel ganzer Industrieregionen, die
Umwidmung von Industriearchitektur, die Entwicklung ländlicher Räume ist ohne
eine zumindest begleitende bzw. substituierende kulturelle Dimension kaum
vorstellbar (vgl. hierzu: die Umstrukturierung des Ruhrgebiets und „Essen als
Kulturhauptstadt Europas 2010).

Zudem entwickelt sich eine große Zahl von Selbstständigen in Kreativ- und
Kulturberufen, eine „kreative Klasse“, wie sie der US-Ökonom Richard Florida
beschreibt. Dazu gehören, Schriftsteller, Musiker, Bühne und Theater, Malerei,
Wissenschaftler, Produktdesigner, gestaltungstechnische Assistenten, Übersetzer,
Werbeleute, Mode, Museen, Restaurierung, Denkmalpflege, Film und Fernsehen,
Eventmanagement: Dienstleister in Kulturberufen oder„Culturepreneure“, deren
Weg in die Selbstständigkeit nicht nur eine „gesunde Portion Irrsinn“ verlangt,
sondern natürlich all die Fähigkeiten von Selbststeuerungsfähigkeit und
Eigeninitiative, die für eine Gründermentalität benötigt wird (Katharina Höhendinger,
in NG/FH 1-2, 2008).

Die Bedeutung und Wirkung der musisch-kulturellen Bildung ist für den
allgemeinbildenden Bereich, den schulischen und außerschulischen Bereich seit
dem Bildungsgesamtplan der BLK von 1973 offenkundig. Neuere Erkenntnisse der
Neurowissenschaften belegen, dass Emotionalität und nicht allein Wissen als
zentrales Steuerungsmedium für das Verhalten des Menschen gesehen werden
müssen.

Kulturelle Bildung führt zu differenzierter Wahrnehmung der Umwelt, führt zu
eigenschöpferischen Aktivitäten, fördert kommunikative Kompetenzen und
vervollständigt oder vertieft intellektuelle Bildung, fördert die Persönlichkeitsbildung
2
Haak/Schmid 2001: Arbeitsmärkte für Künstler und Publizisten. Modelle einer zukünftigen
Arbeitswelt, erschienen im Jahr 2001 in der Zeitschrift leviathan.
3
und Selbstverwirklichung und Identitätsfindung. Sie fördert die Verständigung
zwischen den Kulturen und liefert einen grundlegenden Beitrag für „gelingende
Lebensentwürfe“. Auf diesen Zusammenhang weist aktuell der Schlussbericht der
Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hin (Bundestagsdrucksache 16/7000
v. 11.12. 2007), der feststellt „ohne kulturelle Bildung fehlt der Schlüssel zu wahrer
Teilhabe“ .

Der kulturelle Sektor wird somit zunehmend zum Bindeglied von Staat, Wirtschaft
und Zivilgesellschaft mit einer notwendigen Breitenwirkung, in der die Kultur nicht
mehr nur als Luxusgut einiger Priviligierter gesehen wird. Adrienne Goehler zeigt in
ihrem Buch „Verflüssigungen“ die verschiedensten Wege und Umwege einer sich
immer stärker entwickelnden Kulturgesellschaft auf, die individuelle,
gesellschaftliche und ökonomische Antworten gibt auf „Arbeits-Losigkeit“, das
Gefühl des Nichtgebrauchtwerdens, das Versagen der Großlösungen. Die Beispiele
der Umstrukturierung von Industriergionen, wie z. B. der englischen Städte
Newcastle und Gateshead, sind Belege dafür, wie aus maroder Industriearbeit
moderne Kulturarbeit wird.

Die kulturelle Bildung wird auch eingesetzt als Bindeglied an der ersten Schwelle
im sensiblen Bereich der Berufsorientierung. Das Jugend- und Kulturhaus
Schlesische Str. 27 in Berlin beispielsweise hat einen 12-monatigen Grundkurs für
handwerklich-gestalterische Fähigkeiten für Jugendliche in der Phase des
Übergangs in die Berufsausbildung entwickelt. In verschiedenen Praxismodulen u.
a. in den Materialbereichen Holz, Glas, Textil, Metall werden eigene
Designentwürfe umgesetzt. Das Konzept orientiert sich am Bauhaus-Vorkurs von
Johannes Itten). Das Good-Practice-Center des BIBB für die Förderung von
Benachteiligten in der Berufsbildung weist auf die „positive Sprengkraft der
kulutrellen Bildung“ hin, junge Menschen „machen neue soziale Erfahrungen,
erleben, wie gut sich gemeinsame Anstrengung und Erfolg anfühlen und wachsen
daran. Nicht zuletzt kann kulturelle Bildung einen wertvollen Beitrag zu
gesellschaftlicher Teilhabe leisten.“
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