Pflanzen hungern ihre Feinde aus - Wiley-VCH

Werbung
|
B OTA N I K
T R E F F P U N K T FO R SC H U N G
|
Pflanzen hungern ihre Feinde aus
Pflanzen haben viele Feinde, denn die meisten Lebewesen auf der Erde
wollen sich direkt oder indirekt von den Produkten der Photosynthese
ernähren. Notgedrungen mussten Pflanzen eine Vielzahl von Strategien
entwickeln, um möglichst nicht gefressen zu werden. Jetzt wurde eine
raffinierte Verteidigungsstrategie entdeckt, die gezielt essenzielle
Aminosäuren zerstört und so Pflanzenfresser auf eine Mangeldiät setzt.
Pflanzen können nicht weglaufen,
sondern müssen sich vor Ort gegen
ihre Feinde zur Wehr setzen. Die erste Linie der Abwehr ist oft mechanisch: Rosen, Disteln und Kakteen
bilden scharfe Dornen oder Stacheln,
die gegen große Tiere wie Kühe wirksam sind. Kleinere Tiere wie Insekten
werden hingegen mit chemischen
Keulen in Schach gehalten. Diese
reichen von übel schmeckenden und
riechenden phenolischen Verbindungen über Nervengifte wie bei der
Brennnessel bis hin zu Hemmstoffen,
die Verdauungsenzyme im Darm von
Insekten blockieren sollen.
Vor gut 30 Jahren wurden die
ersten solcher Verdauungshemmer
identifiziert, inzwischen hat man
diese Inhibitoren bei fast allen Pflanzen gefunden. Besonders beliebt sind
diese Verdauungsstörer bei Pflanzen
als Speicherproteine in Samen und
Früchten. So lagert die Sojabohne
eine ganze Batterie verschiedener
Hemmstoffe ein und in der Kartoffelfrucht ist eines der Hauptproteine ein
solcher Verdauungsblocker.
Diese Chemikalien hemmen meist
Proteinasen, die Enzyme, die die Eiweißmoleküle der gefressenen Pflanzenteile in Aminosäuren zerlegen sollen, mit denen das Insekt wiederum
seine eigenen Proteine synthetisieren
will. Werden diese Proteinasen im
Darm von Insekten lahmgelegt, haben die Tiere Schwierigkeiten, genügend Aminosäuren für den eigenen
Stoffwechsel produzieren zu können,
da sie genauso wie wir Säugetiere
essenzielle Aminosäuren nicht selbst
synthetisieren können.
Wissenschaftler an der Michigan
State University in East Lansing fanden jetzt einen zusätzlichen Trick der
Pflanzen, mit dem bei Insekten die
Versorgung mit essenziellen Aminosäuren behindert wird: Durch die
Verwundung an einer Bissstelle wird
in der Pflanze neben anderen Signalstoffen auch das Stresshormon Jasmonat aktiviert, das in den umliegenden
Zellen, im Blatt oder Stängel eine
ganze Reihe von Genen anschaltet,
unter anderem auch die Gene für
Proteinasen. Gleichzeitig induziert
Jasmonat aber auch Gene, deren Produkte spezifisch einzelne essenzielle
Aminosäuren wie Arginin, Threonin
und Phenylalanin abbauen und irreversibel zerstören.
Weitergehende Untersuchungen
zeigten, dass diese Enzyme im Darm
von Insekten außergewöhnlich stabil
sind und von den diversen Proteinasen der Insekten nicht verdaut werden. Im Gegenteil sind sie bei den
hoch alkalischen Bedingungen im
Darm aktiv und bauen die frei werdenden essenziellen Aminosäuren sofort ab. Wurden Raupen mit Tomatenpflanzen gefüttert, die zusätzliche
Genkopien für diese Enzyme enthielten, so wuchsen die Insekten deutlich langsamer als Kontrolltiere, die
mit normalen Tomaten versorgt wurden. Tatsächlich hatten die mit den
überexprimierenden Tomaten gefüt-
© 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
ABB. Wehrhafte Tomaten: Angreifer
werden mit Verdauungsproblemen gestraft.
terten Insekten wesentlich weniger
lebensnotwendige Aminosäuren im
Darmtrakt als die Kontrollgruppe.
Die Strategie der Pflanze ist, dass die
Insekten mit diesen induzierten Verdauungsproblemen und dem resultierenden Bauchweh in Zukunft andere,
weniger gut geschützte Pflanzen anfallen. Auf lange Sicht werden die so
geschwächten Pflanzenfresser in der
freien Natur geringere Überlebenschancen haben und von Insekten abgelöst werden, die auf andere Pflanzenspezies ausweichen – oder die
durch Mutationen resistent gegen die
Verteidigungsmaßnahmen werden.
Diese detaillierten Untersuchungen zeigen, dass die Pflanze koordiniert auf vielen Ebenen gegen ihre
Feinde vorgeht und sich nicht scheut,
diese mit Mangelerscheinungen an
essenziellen Nahrungsbausteinen
krank zu machen. Gleichzeitig eröffnen die Befunde vielleicht neue
Angriffspunkte für Insektizide, mit
denen in der Agrarwirtschaft umweltfreundlich gegen Schadinsekten vorgegangen werden kann.
[1] H. Chen et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA
2005, 102, 19237.
[2] G. W. Felton, Proc. Natl. Acad. Sci. USA
2005, 102, 18771.
www.biuz.de
Axel Brennicke, Ulm
3/2006 (36)
|
Biol. Unserer Zeit
|
143
Herunterladen