AP „Konusnebel“ im Sternbild des Einhorns, „Kaulquappen“-Galaxie im Sternbild des Drachen, „Schwanennebel“ im Sternbild des Schützen*: Sich hoch ASTRONOMIE Morgengrauen des Universums Das mit neuer Kamera ausgerüstete Hubble-Teleskop hat die ersten Fotos zur Erde gefunkt. Die Aufnahmen erlauben den Blick zurück fast bis zum Anfang aller Zeit. V or 420 Millionen Jahren – auf der Erde eroberten gerade die ersten Farne das Land – krachte es gewaltig im Sternbild des Drachen. Eine ganze Galaxie kartätschte in einen zweiten, noch weit größeren Sternenklumpen. Die Wucht der Kollision reichte aus, um Sterne und Gas fast drei Trillionen Kilometer weit durchs All zu schleudern. Jetzt ist der kosmische Kladderadatsch fotografiert worden. In der vergangenen Woche haben NasaForscher die ersten Bilder des mit neuer Kamera ausgestatteten Weltraumteleskops Hubble vorgestellt. In nie da gewesener Qualität zeigen die Fotos der WeltraumPaparazzi spektakuläre Galaxien-Kollisionen und Sternengeburten aus glühender Materie. Sich hoch auftürmende Pfeiler aus Staub und wirbelnde Gasschwaden in schillernder Farbenpracht hat die neue Advanced Camera for Surveys (ACS) eingefangen. Bis in die frühste Jugend des Kosmos blickt das hoch empfindliche elektronische Auge zurück. 208 d e r „Diese Bilder gehören zu den besten, die Menschen je vom fernen Weltall gesehen haben“, schwärmt Holland Ford von der Johns Hopkins University in Baltimore: „Wir können nun das Morgengrauen des Universums beobachten.“ Ford ist Chefentwickler der 76 Millionen Dollar teuren Spezialkamera, die erst im März auf einer Space-Shuttle-Mission an das zwölf Jahre alte Teleskop montiert wurde. Dank höherer Empfindlichkeit und eines größeren Gesichtsfelds soll Hubble mit der neuen ACS zehnmal effizienter als bisher arbeiten. Mit einer Auflösung von 16 Millionen Pixeln beobachtet die Kamera durch Hubbles Teleskop hindurch eine Himmelsfläche von der Größe eines auf Armlänge gehaltenen Zuckerkorns. Die Ausbeute des Technikwunders sind spektakuläre Aufnahmen aus den entferntesten Ecken des Universums. An ein * Der Kreis im mittleren Bild markiert die kleinere der beiden kollidierenden Galaxien, der im rechten Bild eine extrem dichte Gaswolke, aus der ein neues Sonnensystem hervorgehen könnte. s p i e g e l 1 9 / 2 0 0 2 NASA / REUTERS (M./R.) Wissenschaft auftürmende Pfeiler aus Staub und wirbelnde Gasschwaden in schillernder Farbenpracht „Wasserfarben-Phantasieland“ etwa erinnert die Forscher ein Foto des „Schwanennebels“ im Sternbild des Schützen. Mit Energie voll gepumpte Wasserstoff-, Sauerstoff-, Stickstoff- und Schwefelatome lassen die Ränder der Gaswolke in blauem, grünem und rotem Licht erstrahlen. Ein anderes Bild zeigt eine monströse Säule aus Gas und Staub, die sich (relativ erdnah) in 2500 Lichtjahren Entfernung im Sternbild des Einhorns auftürmt. Einem „alptraumhaften Monster“ gleich, das „seinen Kopf aus einem karminroten Meer“ erhebt (Nasa), sitzt die Gaswolke mit Namen „Konusnebel“ (Länge: sieben Lichtjahre) inmitten einer Geburtsstätte neuer Sterne. Oder ebenjener kosmische Verkehrsunfall im Sternbild des Drachen: Das Foto zeigt gleichsam den Durchschuss einer Galaxie durch eine zweite. Weit ins All hinaus schleuderte der Zusammenprall Teile der waidwunden Galaxie – von den Astronomen wegen des über 280000 Lichtjahre langen Sternenschwanzes „Kaulquappe“ getauft. In diesem Schweif können die Forscher sogar einzelne Klumpen aus blauen Sterngiganten ausmachen – jeder von ihnen zehnmal heißer und eine Million Mal heller als unsere Sonne. Noch aussagekräftiger ist für die Wissenschaftler indes der Hintergrund der Bilder. An die 6000 Galaxien können sie etwa hinter der „Kaulquappe“ als Lichtpunkte Weltraumteleskop Hubble (Computersimulation) Fotos vom kosmischen Kladderadatsch d e r ausmachen – doppelt so viele wie bei der legendären Aufnahme „Hubble Deep Field“ von 1995. Einige der Sterneninseln sind wahrscheinlich nur eine Milliarde Jahre nach dem Urknall entstanden. Für die Nasa ist Hubbles neue Scharfsichtigkeit ein großes Glück. Vor der Runderneuerung galt das betagte Teleskop schon fast als Weltraumschrott. Und Hubbles Nachfolger – das bereits vor sechs Jahren wortgewaltig angekündigte „Next Generation Space Telescope“ – ist bislang nicht über die Planungsphase hinausgekommen. Nun jedoch, frohlockt Edward Weiler, Chef der Nasa-Weltraumforschung, sei „Hubble wieder im Geschäft“. Auf der Erde entsteht derweil bereits eine neue Teleskop-Generation. Technische Tricks ermöglichen es inzwischen beispielsweise, das durch die Atmosphäre verursachte Sternenflimmern auszugleichen. Anlagen wie das „Very Large Telescope“ in Chile werden gerade entsprechend aufgerüstet. Durch Kombination mehrerer Teleskope zu einer Einheit wollen die Forscher bald noch mehr aus den Himmelsspähern herausholen. Solche Superfernrohre sollen künftig in der Lage sein, selbst die Planeten ferner Sterne direkt zu beobachten. Immer näher an den Ursprung aller Zeit wollen die Forscher vordringen. Eine Aufnahme jedoch wird ihnen auf ewig versagt bleiben: die vom Urknall selbst. Er liegt hinter einem undurchdringlichen Schleier aus Strahlung verborgen. Philip Bethge s p i e g e l 1 9 / 2 0 0 2 209